23
Alexander kehrte zu dem Schlachtfeld zurück, auf dem er und seine Brüder einst gekämpft hatten, stellte sich an den Eingang der Höhle, in der Sara geschlafen hatte, und wartete darauf, dass sie ihn wieder in ihre sandfarbene kleine Welt zerrten. Er war sich nicht sicher, ob es so funktionierte, ob die befehlshabenden zehn ihn dieses Mal ohne Einladung empfangen würden, aber es war einen Versuch wert. Die Mission, auf die sie ihn geschickt hatten, wies einen Schönheitsfehler auf, und er musste wissen, ob sich diese Bastarde dessen bewusst gewesen waren oder nicht – ob sie ihn dreist einfach blind hineingeschickt hatten. Und warum.
Er schloss die Augen und atmete tief durch.
Ich bin bereit, Mistkerle.
Aber als er die Arme anhob, geschah nichts. Er blieb am Boden, und der kühle Wind pulsierte um seinen Körper. Hinter ihm starteten drei Vögel und flogen über seinen Kopf, wobei sie krächzten und ihn verspotteten.
Gottverdammt, er wollte wieder bei Sara im Bett sein, den Arm um ihre Taille legen, um sie noch unmöglich näher an sich heranzuziehen, bis sie miteinander verschmolzen.
Sein Schwanz zuckte, seine Schulter wurde warm – die offene Wunde, die sie vor einer Stunde mit ihren Lippen berührt hatte, schloss sich nun wieder. Eine weitere unerklärliche Sache.
Er schloss erneut die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Kommt schon, ihr Bastarde. Ich weiß, dass ihr mich spüren könnt. Er wartete, mehrere Augenblicke verstrichen, aber nichts geschah. Sie spielten mit ihm, er wusste es – sie liebten es, mit ihm zu spielen.
Er konnte nicht länger stillstehen, trat zum Rand des kleinen Felsvorsprungs und blickte über das schneebedeckte Tal hinweg. Er verfluchte die herrschenden zehn. Einhundert Jahre lang hatte er ohne sie auf der Welt existiert, und jetzt bat er praktisch darum, vor sie treten zu dürfen. Noch nie hatte er wahrgenommen, wie bitter sich die Geschlossenheit eines Kreises anfühlte …
Seine Gedanken erstarben in seinem Geist, und als er spürte, wie er von dem Hang hinabgerissen wurde, grinste er zufrieden. Sie hatten ihn gespürt.
Es geschah blitzschnell. Er wurde wieder ein paar Sekunden in Dunkelheit umhergeworfen und dann am Boden abgesetzt.
Er brauchte einen Augenblick, um sich zurechtzufinden, um wieder klar denken zu können, aber als es so weit war, nahm er Kampfhaltung ein, die Hände erhoben, sein Blick bemüht, alles auf einmal wahrzunehmen. Aber es war nicht so, wie er es in Erinnerung hatte. Kein Sand, keine herrschenden zehn, die hinter einem Tisch saßen, ihre Blicke auf ihn gerichtet. Er befand sich in seiner alten Credenti in Montauk. Und es war Sommer.
Was, zum Teufel …?
Zunächst fragte er sich nur, welches Spiel ihm zugemutet wurde – wurde er in der Zeit zurückversetzt oder fand etwas ähnlich Verwirrendes statt –, aber dann erkannte er, dass der Orden tatsächlich doch hier sein könnte. Er reiste mehrmals im Jahr, besuchte Credenti, hielt Vorträge und lehrte die Vampire, wie sie als Reinblütige leben sollten, was essen, wie sich vereinigen. Das wurde die Triba genannt. Und um eine Gemeinschaft zu verunsichern und seine ach so große Macht zu demonstrieren, änderte der Orden häufig die Jahreszeit, normalerweise zu etwas Gegenteiligem – Herbst zu Frühling, Winter zu Sommer.
Alexander wandte sich um und lief auf das Feld zu, das gestern noch knöcheltief mit Schnee bedeckt gewesen war. Jetzt, unter dicht belaubten Bäumen und mit dem Geruch des in der Nähe befindlichen Strandes, war es ein malerischer Flecken roter und purpurfarbener Blumen. Als Alexander weiterging, sah er Unreine auf dem Feld arbeiten, Unkraut jäten und die zarten Blüten pflücken und in Körbe legen. Sie schauten auf, als er vorüberging, und wandten den Blick dann wieder ab, aber ihre reinblütigen Nachbarn, die in Gruppen von ungefähr zehn Leuten im Schatten der vielen dicht belaubten, das Feld säumenden Bäume saßen, ignorierten sein Herannahen völlig. Alle Reinblütigen lauschten einem Mitglied des Ordens. Jedenfalls fast alle. Alexander erblickte seine kleine Schwester Evaline, die mit ihrer Mutter und Theydon unter einer Weide saß. Alle drei saßen mit gekreuzten Beinen da, die Rücken kerzengerade, und lauschten dem weißhaarigen weiblichen Mitglied des Ordens. Evaline lächelte ihm kurz zu, wurde aber mit einem raschen Ruck an ihrem Kinn, damit sie wieder zum Orden blickte, von ihrem Vater zurechtgewiesen.
Alexander schürzte die Lippen. Er merkte, wie sein Beschützerinstinkt für dieses Mädchen geweckt wurde, spürte die Blutsverbindung, die man nur schwer ignorieren konnte. Aber genau das würde er tun, denn sie würde ihn, gleichgültig, welches Interesse sie im Moment an ihm zeigte, durch das Konzil und die Erziehung ihrer Eltern beizeiten schmähen.
»So bald zurück?«
Alexander wandte sich um und sah Cruen hinter sich stehen, dessen rotes Gewand im Sonnenschein glänzte und dessen erstaunliche blaue Augen durch das einzelne schwarze kreisförmige Brandmal auf der linken Seite betont wurden und aller Welt verkündeten: »Ich bin der Orden.«
»Wir haben ein Problem«, erwiderte Alexander.
»Wir?«
»Wusstest du, dass Dare mit Geisteskraft fliegen kann?«
Cruen sah sich zu den übrigen Mitgliedern des Ordens um, die eifrig mit der Triba beschäftigt waren und ihre Unterhaltung nicht hören konnten. Dann schnaubte er und sagte: »Unmöglich.«
»Es geschah vor meinen Augen«, sagte Alexander. »Und er hat eine ganze Gruppe Unreiner mit sich genommen.«
Cruen wurde einen Moment lang nachdenklich. Dann zuckte er die Achseln und vollführte eine abfällige Geste. »Das war ein Trick. Zweifellos menschliche Magie.«
»Das ist Unsinn, und ich denke, das weißt du.«
»Du überraschst mich, Alexander Roman. Ich hatte gehört, dass du und deine Brüder große Krieger wärt, scharfe Beobachter – aber nun bist du auf einen billigen Trick hereingefallen.«
»Das war kein verdammter Vegas-Trick, Cruen. Ich kenne den Unterschied. Das war echtes Fliegen mit Geisteskraft.«
»Ruhe«, zischte Cruen. Die übrigen Mitglieder des Ordens beendeten ihre Sitzung gerade. »Du wirst zurückkehren und deine Aufgabe erfüllen. Und das nächste Mal werden wir dich rufen. Verstanden?« Seine blauen Augen blitzten, und er zischte leise und gehässig: »Sohn des Breeding Male.«
Alexander ging mit gebleckten Fängen auf den Paven los. Aber er traf Cruen trotz seiner Entschlossenheit und erschreckenden Schnelligkeit nicht. Der Paven war im Handumdrehen verschwunden, und Alexander wurde durch eine unsichtbare Macht aus der Credenti geworfen, in die nun schon vertraute Dunkelheit geschleudert und wieder neben dem Eingang der Höhle fallengelassen.
Schäumend vor Wut nahm er einen großen Stein vom Boden auf und warf ihn gegen die Wand der Höhle. Er zersprang in hundert kleine Stücke, und Alexander wünschte sich, es wäre Cruens arroganter breiter Kopf gewesen.
Er fluchte laut in der kalten Bergluft, kniff die Augen zu und transportierte sich nach Hause.
Dreißig Minuten später saß er in einem der braunen Ledersessel in seiner Bibliothek, einen Vorrat an Waffen auf dem Tisch neben sich. Eine Vampirärztin, die gekommen war, um nach seiner Schulterwunde zu sehen, schritt nun vor ihm auf und ab.
»Haben Sie also eine Antwort auf das alles?«, fragte Alexander, der das Gespräch mit dem Orden verdrängt hatte. Für den Moment.
Leza schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nein.« Sie blieb vor ihm stehen und strich mit der Hand über die glatte Haut seiner Schulter. »Sind Sie sicher, dass die Wunde offen war?«
»Natürlich bin ich sicher!«, erwiderte Alexander schroff. »Ich habe es gespürt und gesehen – habe gesehen, wie die Blutstropfen daraus hervorsickerten.«
»Nun, es ist von selbst wieder geheilt.«
Alexander legte den Kopf auf die Seite. »Sehen Sie mich nicht so an, als hätte ich den Verstand verloren, Leza. Sara hat es auch gesehen. Tatsächlich hat sie …«
»Was hat sie?«, unterbrach die Ärztin ihn mit vor Neugierde verengten Augen.
Der Blick ließ Alexander innehalten. Er würde nicht die Details von Saras unglücklichem, unvergesslichen Kuss auf seine Schulter preisgeben. Wenn er es täte, würde er höchstwahrscheinlich eine Predigt zu hören bekommen, ganz zu schweigen von dem Vorschlag, dass die Frau auf ihre menschliche Substanz geprüft werden sollte. Und nach dem, was er gerade mit dem Mistkerl Cruen erlebt hatte, wollte er nicht noch einmal zurechtgewiesen werden.
Lezas Blick durchbohrte ihn misstrauisch, als er nicht weitersprach. Alexander erhob sich mit angespanntem Kiefer, trat zum Tisch und lud seine Pistole. »Sara hat die offene Wunde bezeugt, das ist alles.«
Aber das kaufte Leza ihm nicht ab. »Wenn ich das richtig sehe, ist diese Veränderung an Ihrer Wunde eingetreten, während Sie mit Dr. Donohue zusammen waren. Sie könnte etwas damit zu tun haben.«
»Nein«, sagte er schlicht.
»Sie haben nie dazu geneigt, die Realität einer Situation zu leugnen, Alexander Roman.«
»Die Realität ist, dass keine noch so große Anstrengung dieses Siegel brechen können sollte.«
»Stimmt.« Leza zuckte die Achseln. »Ich habe noch nie gehört, dass es geschehen wäre. Wenn eine Veana eine Wunde versiegelt, dann war das bisher stets unwiderruflich.«
Alexander lud weiterhin seine Waffen, aber sein Geist kehrte in Saras Schlafzimmer, zu ihren sanften Augen und zu ihrem süßen Mund zurück. Wenn sie tatsächlich der Katalysator war, durch den sich seine Wunde wieder geöffnet hatte, was könnte dann der Grund dafür sein? Hatte sie eine Art Macht über ihn? Etwas, das er nicht verstehen konnte? Oder war es einfach Zufall gewesen? War es möglich, dass der Atem einer Veana zu schwach war, um den Sohn eines Breeding Male wirklich zu heilen?
Er legte die geladene Glock auf den Tisch. Wie auch immer die Antwort lautete, heute musste er seine Gedanken auf das Blut eines anderen konzentrieren. Er und seine Brüder würden noch in dieser Stunde zu einer Übung und einer Strategiebesprechung in die Tunnel gehen, um sicherzustellen, dass Dare und seinen Rekruten beim nächsten Mal keine Fluchtmöglichkeit blieb.
Er hob den Blick zu Leza und sagte bestimmt: »Vielleicht habe ich etwas gesehen, das gar nicht da war.«
Leza schwieg einen Moment. Dann wurde ihr Blick weicher, und sie nickte. »Vielleicht.«
Alexander wandte sich wieder seiner Arbeit zu, als ein Klopfen an der Tür zur Bibliothek im Raum widerhallte. »Herein«, rief er.
Leza packte gerade ihre Medizintasche wieder ein, als die Veana hereinkam. Sie trug ihre Stoffstreifen um Kehle und Handgelenke, außerdem Jeans und einen weißen Pullover und hatte ein hübsches, gefälliges Lächeln aufgesetzt. Sie war zugegebenermaßen wunderschön, und wenn Alexander sein Gefühl nicht trog, war sie auch scharfsinnig. Aber was ihn betraf, hätte sie ebenso gut geistig beschränkt und unattraktiv sein können. Er gehörte jetzt zu der Frau mit den Blaubeeraugen, dem Herzen voller Sehnsucht und der verletzten Seele, die der seinen so sehr glich.
Die Veana neigte den Kopf und lächelte selbstsicher. »Alexander?«
Er neigte ebenfalls den Kopf. »Hallo, Bronwyn.«
Leza blickte von einem Vampir zum anderen und schlang sich dann ihre Tasche über die Schulter. »Alexander, wenn irgendwelche Veränderungen auftreten, dann schicken Sie sofort nach mir.«
Alexander nickte. »Danke, dass Sie gekommen sind.«
Als Leza den Raum verließ, trat Bronwyn zur Couch und setzte sich hin. »Tut mir leid, Sie zu stören.«
»Es ist keine Störung.« Alexander registrierte, dass die Veana überhaupt nicht nervös schien, während sie ihm offen in die Augen sah. Sie war nicht für ihn bestimmt, das war gewiss, aber dennoch empfand er tiefen Respekt vor jemandem mit solch starkem Rückgrat.
»Ich nehme an, Sie wissen, warum ich hier bin«, sagte sie und verschränkte die Beine.
»Sie glauben, wir seien wahre Gefährten.«
»In der Tat.«
»Nicholas hat mir von Ihrer Arbeit mit der Erbfolge, den genetischen Codes und der DNA erzählt sowie von Ihrem Glauben, wir gehörten zusammen. Er erwähnte auch, dass Sie uns nichts zeigen können, was diese Behauptung stützen könnte.«
»Tatsächlich könnte ich es.« Bronwyn richtete sich wieder gerade auf, während sie erklärte. »Aber das Dokument enthüllt auch Informationen, die ich für einen Privatklienten von mir gesammelt habe. Ich kann sie zu diesem Zeitpunkt nicht preisgeben.«
»Wie interessant und unangenehm«, sagte Alexander.
»Ich weiß, aber ich versichere Ihnen, dass unser Blut, unsere Gene passen. Ich wäre nicht hierhergekommen, wenn ich den Beweis nicht schwarz auf weiß gesehen hätte.«
Alexander reckte das Kinn und zeigte die Brandmale auf seinen Wangen. »Sehen Sie diese Male?«
»Ja.«
»Und tragen Sie sie auch?«
Ihre Augen trübten sich kaum merklich. Tatsächlich hätte Alexander das Wanken ihrer Zuversicht niemals bemerkt, wenn er sie nicht so genau beobachtet hätte. »Ich habe sie noch nicht entdeckt. Aber das bedeutet nichts. Wie Sie wissen, können Veanas ihre Male später entwickeln, oder sie können so verborgen sein …«
»Ich spüre keine Verbindung zu Ihnen, Miss Kettler.«
Bronwyn schwieg, sah ihn jedoch weiterhin fest an.
Alexander seufzte. »Ich entschuldige mich für meine Unverblümtheit. Aber Sie müssen verstehen, dass ich mich nicht binden werde. Niemals.«
»Darf ich fragen, warum?« Sie war angespannt.
»Ein wahrer Gefährte hat die Pflicht, Liebe, Sex und Blut zu geben, richtig?«
»Richtig.«
»Ich glaube nicht, dass Erstere existiert, das Zweite kann ich auch so haben, und das Dritte … nun, sagen wir einfach, dass ich nach Jahren des Hungerns, des Bettelns nach auch nur einem Tropfen Blut, niemals wieder zulassen will, dass jemand eine derartige Kontrolle über mich hat.«
Es dauerte einen Moment, bis sie das verdaut hatte. Dann erhob sie sich und nickte ihm zu. »Ich verstehe. Aber ich bitte, ungeachtet Ihrer starken Empfindungen, dennoch um diese drei Wochen.«
Alexander nickte. »Natürlich.« Vielleicht war er Nicholas ähnlicher, als er gedacht hatte. Auch er war zutiefst von den alten Gesetzen geprägt.
»Und vielleicht werden Sie beizeiten merken …«
Da platzte Lucian herein und unterbrach Bronwyns Worte schon durch seine bloße Anwesenheit. Sein Blick schweifte zu seinem Bruder, sich der Tatsache vollkommen unbewusst, dass noch jemand im Raum war. »Ich hoffe, dass du uns nicht vergessen hast, denn nach diesem Auftritt im Restaurant habe ich einen richtigen Hass auf diesen Unreinen.«
»Hallo, Lucian.«
Der blasse, grausamste Roman-Bruder wandte sich beim Klang von Bronwyns Stimme um. Er presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen, während der Blick seiner mandelförmigen Augen zu ihr schweifte. »Puritita«, brummte er.
Bronwyn zuckte zusammen und sagte angespannt: »Nennen Sie mich nicht so.«
»Vielleicht sollten Sie dann die Tücher von Ihrem Hals und den Handgelenken nehmen.«
»Sie wissen, dass ich das nicht kann.«
»Richtig«, knurrte Lucian boshaft. »Die Credenti hat ihre Virgini fest im Griff.«
»Schweig, Lucian!«, befahl Alexander, aber Bronwyn brauchte seine Fürsprache nicht.
Sie stolzierte zu dem furchterregenden Albino hinüber, ungeachtet seiner beeindruckenden Gesamtgröße von eins neunzig und seinen zweihundertzwanzig Pfund, und stach einen Finger in seine felsenharte Brust. »Nur weil wir uns an die Traditionen unserer Art halten, uns um unsere Familien kümmern und für unsere wahren Gefährten aufsparen, bedeutet das nicht, dass wir unaufgeklärte Idioten sind.«
Lucians Mund verzog sich zu einem spöttischen Grinsen. »Tatsächlich bedeutet es genau das, Prinzessin.«
Bronwyn murmelte etwas und wandte sich dann von ihm ab und wieder Alexander zu. »Danke, dass Sie mit mir gesprochen haben. Wenn Sie mich entschuldigen wollen; ich muss zurück zu Edel. Wir haben noch Arbeit zu erledigen.«
»Natürlich.« Alexander sah ihr nach, während er ihre instinktive Reaktion auf seinen Bruder registrierte – es war keine Angst in diesen smaragdgrünen Augen, nur die Hitze des Zorns und der Geruch sexuellen Interesses.
Lucian stand bereits am Waffentisch, schärfte eine lange Klinge und beklagte sich. »Ich hasse diese Puritita-Veanas der Credenti wirklich.«
»Nun, hasse sie nicht zu sehr«, sagte Alexander und steckte eine Glock in den Taillenbund seiner Hose. »Du musst bei dieser Eheleite für mich einspringen.«
Lucian wandte sich abrupt zu ihm um, das Messer kampfbereit in einer Faust. »Was?«
»Du hast mich gehört, Duro.«
»Nein. Verdammt nein.«
»Lucian …«
»Lass es Nicholas tun«, sagte Lucian schroff. »Er kann gut mit Eigentum und Gesellschaft umgehen. Ich könnte wetten, dass er immer noch eine Verbindung dazu hat, zumindest eine emotionale.«
Alexander schüttelte den Kopf. »Nicholas ist beschäftigt.«
»Womit?«
»Er will Trainer und Dare aufspüren.«
»Vergiss es!«, brüllte Lucian und stach sein Messer in den Tisch. »Ich kann den Aufenthaltsort dieser zwei Mistkerle ausfindig machen, und Nicky kann die Veana übernehmen.«
Die im Tisch steckende Klinge vibrierte, während Alexander leise und langsam sprach. »Ich brauche deine Hilfe, und deshalb wirst du das für mich übernehmen.«
»Warum? Damit du die Menschenfrau ficken kannst?«, höhnte Lucian. »Du bist genauso schlimm wie Dare.«
Alexander ging Lucian im Handumdrehen an. Brust an Brust, Nase an Nase, zwei Paar gebleckter Fänge. »So sprichst du zu mir über sie? Zu mir, einem umgewandelten Mann?«
»Nein«, erwiderte Lucian. »Ich spreche zu meinem Bruder so, der in letzter Zeit seine paar Sinne nicht mehr beisammenhat.«
»Pass auf, kleiner Bruder, bevor deine Zunge endgültig zu bösartig wird, als dass ich sie dir im Mund lassen kann.«
Lucian stieß Alexander zischend von sich, riss sein Messer aus dem Tisch und steckte es wieder ein. Alexander begegnete seinem jüngeren Bruder nicht gern mit Muskelkraft, aber abgesehen von der Tatsache, dass sich der Paven in letzter Zeit mit seiner herausfordernden Haltung selbst schadete, hatten sich auch die Zeiten geändert. Es gab keine Demokratie mehr. Der Orden war wieder in ihr Leben getreten, sie befanden sich im Krieg, fochten einen Kampf gegen eine Abart der Vampire aus, und er, Alexander, trug als Ältester der Familie die Verantwortung.
Er deutete mit seinem bevorzugten ägyptischen Dolch auf Lucian. »Du wirst es für mich tun. Pass auf sie auf, beschütze sie.«
Lucian murmelte nun ein wenig versöhnlicher: »Sie ist eine Plage.«
»Gut, dann wirst du sie wenigstens nicht anrühren.«
Lucian schnaubte. »Als hätte mich das jemals abgehalten.«
»Du wirst sie nicht anrühren«, wiederholte Alexander.
Ein verruchtes Grinsen breitete sich auf Lucians Zügen aus. »Was ist, wenn sie mich zuerst anrührt?«
Alexander schüttelte den Kopf. »Du bist noch immer ein verdammter Balas, weißt du das?«
»Hallo, ihr beiden.« Nicholas trat ein und gesellte sich am Waffentisch zu ihnen. Er nahm zwei Gewehre, steckte sie in seinen Hosenbund, nahm einen Stammesspeer auf und fragte: »Seid ihr bereit?«
»Ich bin bereit«, sagte Lucian und eilte zur Tür.
»Hast du Dare ausfindig gemacht?«, fragte Alexander Nicholas, während sie Lucian folgten. Er hatte beschlossen, sein Treffen mit Cruen für sich zu behalten. Er hatte nichts Neues erfahren, und so wie seine Brüder reagierten, wenn sie hörten, dass er allein dem Orden gegenübertrat, wollte er diese Bombe nicht zünden, wenn es nicht sein musste.
Nicholas grinste. »Noch besser. Einen möglichen Wohnsitz.«
Alexander bleckte die Fänge. »Gut.«
»Ja«, stimmte Nicholas ihm zu. »Aber vergiss nicht: Ich werde den Menschen töten.«
Alexander erinnerte ihn draußen im Flur: »Unser Hauptziel ist Dare.«
Lucian schnaubte.
Nicholas sah Alexander mit schmalen Augen an, während sie auf den Eingang der Tunnel zueilten. »Warum kommt es mir nur so vor, als wärst du nicht allzu erfreut, wenn Tom Trainer getötet würde?«
»Weil er es nicht wäre«, murrte Lucian.
»Schweig, Luca«, grollte Alexander.
»Was ist los?«
»Rate mal, Nicky«, sagte Lucian, zog den Eingang zu den Tunneln weit auf und eilte hindurch.
Nicholas hielt Alexander auf, bevor er eintreten konnte. »Alex?«
»Wir kommen zu spät«, erwiderte Alexander durch zusammengebissene Zähne.
»Duro?«, drängte Nicholas.
Lucian, der einige Meter voraus wartete, seufzte entnervt. »Wenn der Mensch tot ist, hat Alexander keine Ausrede mehr, um die Frau hierzubehalten.«
Alexander spannte den Kiefer an.
Nicholas stieß ein resigniertes Seufzen aus. »Mist, nein. Alex, du kannst sie nicht hierbehalten. Sie sollte nicht bei dir sein, nicht mit dir zusammen sein. Sie wäre dein Untergang. Und vielleicht auch unserer.«
Alexander stieß mit vor Zorn glühenden Augen hervor: »Was mich betrifft, so töte den Mistkerl, Nicky. Reiß ihm die Schlagader heraus. Ich sage einfach nur, dass Dare Vorrang haben muss. Wenn ihr beiden endlich fertig seid mit eurem Blödsinn, dann lasst uns gehen.« Wütend ging er an ihnen vorbei. »Dillon wird einen verdammten Wutanfall bekommen, wenn wir zu spät kommen.«
Nicholas zögerte einen Moment, zuckte die Achseln und folgte seinem Bruder dann die dunklen, mit Wächtern gesäumten Gänge entlang, den Blick wie immer auf den Steinboden gerichtet.
Sara träumte. Tom Trainer saß in ihrem Traum in einem Zimmer mit blauen Wänden neben einem sehr großen, sehr gut aussehenden Mann, den sie nicht kannte, auf einem Sofa. Tom senkte die Zähne aufs Handgelenk des Mannes, und seine Wangen pulsierten, als er in tiefen Zügen aus dessen Ader trank. Dann ließ Tom, als hätte er etwas gehört, das Handgelenk wieder los und richtete sich auf. Blut befleckte seine Lippen und sein Kinn. Saras ehemaliger Patient wirkte auf ihren vom Schlaf beeinträchtigten Geist verändert – älter, mit strengeren Zügen und wacheren Augen.
Der große Mann neben Tom stöhnte leicht, als litte er Qualen, sexuelle Qualen, und er zog Tom an seine Brust und küsste ihn zärtlich auf den Mund.
Plötzlich erweiterte sich der Fokus der Traumlinse in Saras Geist, und sie konnte den gesamten Raum überblicken. Nun zeigten die blauen Wände Fotografien von miteinander schlafenden Paaren, aber sie waren nicht unbelebt, sie lebten und bewegten sich. Auf den Teppichen um das Sofa und Tom und seinen Geliebten lagen weitere Männer und Frauen, die Sex miteinander hatten. Sara beobachtete, wie eine Frau von ihrem Partner befriedigt wurde und dann eine andere Frau deren Platz einnahm.
Saras Körper reagierte auf diese Bilder. Hitze sammelte sich in ihrem Bauch, sank dann tiefer, und ihre Beine begannen zu zittern. Mit einem Schlag, wie ein Geistesblitz, verschwand der Raum, und Toms Gesicht tauchte vor ihr auf, seine Züge größer als im Leben. Als er den Mund öffnete, drang kein Laut hervor, obwohl seine Stimme in ihrem Kopf widerzuhallen schien.
Ich werde dich ficken, Dr. Donohue. Und dann werde ich dich töten.
Sara erwachte keuchend. Schweißnass und desorientiert setzte sie sich auf und sah sich im Raum um, sah den Stuhl vor dem Tisch, das nicht angerührte Essen und den Blick auf die Stadtlichter vor ihrem Fenster. Oh Gott. Danke, Gott. Alexanders Haus. SoHo.
»Sara? Was ist los?«
Sie wandte sich um und atmete erleichtert aus. Sie hatte ihn im Dunkeln nicht gesehen, hatte nicht gewusst, dass er zurückgekommen war. Aber nun war er neben ihr, sein großer Körper so nah, bereit, sie sowohl körperlich als auch geistig zu beschützen.
Sie legte sich wieder hin, schlang die Arme um seinen Hals und barg ihr Gesicht an seiner Brust. »Halt mich fest. Gott. Halt mich einfach ganz fest.«
Sie wusste, warum sie von Tom träumte. Es war normal, dass ihre Ängste vor ihm ihr in den Schlaf folgten, um abgearbeitet zu werden. Aber der sexuelle Aspekt ihres Traumes hatte sich so real angefühlt. Ihr Unterleib zeugte davon.
»Du zitterst.« Alexander legte seine Arme um sie und zog sie noch näher an seine warme Brust. Er hatte das Hemd ausgezogen und trug ansonsten nur eine Jogginghose, die aber seine Erektion an ihrem Bauch, hart wie Marmor und pulsierend, dennoch nicht verbarg. Ihre Haut kribbelte, wollte verzweifelt berührt werden, und sie wölbte sich ihm entgegen. Alexanders Hand glitt von ihrem unteren Rücken zu ihrem Gesäß, presste sie an seine Hüfte und spürte dann dort etwas, das seinen Schwanz zucken ließ.
»Du hast nicht vor Angst aufgeschrien, oder?«, murmelte er an ihrem Hals. »Hast du von mir geträumt?«
Sara wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wollte ihm nicht von ihrem Traum erzählen, nicht jetzt, noch nicht. Nicht wo er noch so frisch war. Der Konflikt, dem ihr Körper unterlag, machte sie unvernünftig und egoistisch, sie wollte nur seine Hände an ihr, in ihr spüren.
Sie wölbte die Hüften vor, und ihr Innerstes drängte gegen seinen Oberschenkel. »Alexander, bitte …«
Alexander lachte leise, als hätte sie seine Frage gerade beantwortet, und er küsste ihr Ohr, während er seine Finger von hinten zu der weichen, nassen Öffnung ihres Körpers gleiten ließ. »Ist es das, was du willst?«, flüsterte er, und seine Finger fanden den empfindsamen Punkt, den seine Zunge Stunden zuvor liebkost hatte.
Sara stöhnte leise. »Ja.«
»Ist es das, was du brauchst?«, fragte er, und zwei seiner Finger umkreisten langsam ihre Klitoris.
»Gott, ja … bitte …«
Sein Mund lag an ihrem Hals, dann an ihrem Ohr. »Sehnt sich deine Möse danach, ausgefüllt zu werden, Sara?«
»Ja.« Mit dir, wollte sie ausrufen, aber bevor sie die Gelegenheit dazu hatte, trieb Alexander drei Finger so tief in sie, dass seine Knöchel verschwanden, und ihr Atem, ihre Worte blieben in ihrer Kehle gefangen.
»Keine Träume mehr«, sagte er an ihrem Hals und saugte dann an der Haut über ihrer Ader, während er einen weiteren Finger in sie gleiten ließ.