20
Ethan Dare hatte eine Liaison mit der Mafia. Er plante Geschäfte und verhängte Strafen, welche die personifizierte Perfektion waren. Und so hatte er, als er den Plan entwickelte, die Ewigwährende Art zu stürzen, viele ihrer Traditionen übernommen, im Besonderen ihre spezielle Art, mit einem schwierigen Mitarbeiter – oder in Ethans Fall einem schwierigen Rekruten – umzugehen: ein dunkles Restaurant, ein großer Tisch, verborgene Waffen.
»Ihr habt zwei Zielvorgaben«, begann Ethan und sah jedem der sechs Rekruten an seinem Tisch nacheinander in die Augen. »Andere Unreine zu finden und zu rekrutieren und Frauen zu schwängern, Unreine und, wenn wir Glück haben, auch Reinblütige. Meine Frage ist: Warum geschieht Letzteres nicht rascher?«
Ein Rekrut, Grevon, ein kleiner Mischling mit schwarzem Haar und Augen von der Farbe von Schnee, stellte seinen Scotch mit Soda ab, bevor er antwortete: »Reinblütige DNA stößt unsere ab.«
Ethan sah den kleinen Mistkerl mit eiskaltem Blick an. »Das kommt, weil sich das Verlangen gleich nach der Erlösung verliert.«
»Sie haben uns eine gewisse Macht zugestanden, Commander, aber sie ist nicht annähernd so groß wie Ihre. Wir sind in solchen Momenten geschwächt und verlieren die Kontrolle, die wir zuvor über den Geist einer Veana hatten.«
Ein großer männlicher Rekrut zu Ethans Linken knurrte in seinen Teller Rigatoni. »Sprich nur für dich, Grevon.«
Grevon fauchte den Mann an. »Das tue ich, sowie für mehrere Weitere, die hier sitzen.« Er wandte sich Ethan zu und zuckte die Achseln. »Wir brauchen mehr Macht, Commander. Sie müssen sie uns geben, wenn diese Aufgabe schneller erfüllt werden soll.« Der Mann verschränkte die Arme über der Brust. »Ich schlage vor, Sie gehen zum Erhabenen und …«
Der Schuss war durch das Stimmengewirr des abendlichen Restaurantbetriebs kaum zu hören, und Grevon war so liebenswürdig, sehr rasch mit dem Gesicht voran in seine Kalbs-Piccata zu fallen, so dass nur die fünf verbliebenen Rekruten es bemerkten.
Das war wahre Schönheit.
Ethan lächelte den verbliebenen Unreinen nacheinander zu und sonnte sich in der kaum verhüllten Angst, die er in ihren Augen wahrnahm. »Ich will mehr reinblütige Frauen, und ich will sie schwanger. Wenn hier jemand zu träge oder zu feige ist, das umzusetzen, dann schlage ich vor, dass er sofort geht.«
Niemand regte sich, nicht einmal ein Muskel zuckte, und Ethan grinste. Entweder waren sie bereit zu tun, was auch immer er von ihnen verlangte, oder sie wollten nicht aufstehen und ihm den Rücken zuwenden. Um ehrlich zu sein, kümmerte es Ethan nicht, was von beidem der Grund war. Er wollte schlicht blinden Gehorsam, und wenn er so den Kopf des Rekruten betrachtete, wie er da in seinem Teller hing, hätte Ethan wetten können, dass schon morgen Abend einige reinblütige Frauen in seinem Haus sein würden.
Das Essen und die Drinks mit den Jungs machten verdammt viel Spaß.
Er wollte die Pistole, die er zwischen den Beinen hielt, gerade in seine Jackentasche stecken, als er zwischen Parfüm-, Tomaten- und Knoblauchgeruch noch einen weiteren Geruch wahrnahm. Es stimmte, dass er ein Unreiner und den Großteil seines Lebens machtlos war, aber als er sich mit dem Erhabenen zusammengetan, aus der alten Ader des Paven getrunken und das reine und machtvolle Blut in sich aufgenommen hatte, waren ihm Mächte jenseits seines Status zuteil geworden; und den Feind durch seinen Geruch zu entlarven gehörte dazu.
Ethan neigte den Kopf auf die Seite und atmete tief ein. Es waren Paven in der Nähe, Reinblütige, von altem Blut, und wenn er sich nicht irrte, war einer von ihnen der Umwandlung unterzogen worden und befand sich auf der Jagd.
Die Roman-Brüder hielten sich angriffsbereit in den Schatten nahe dem Hintereingang von Ciprianis italienischem Restaurant verborgen. Eine Hand an der Glock an seinem unteren Rücken, beobachtete Alexander, wie Dare und mehrere seiner Rekruten an einem Tisch saßen und plauderten, als fände dort gerade eine Teegesellschaft statt.
»Das sollte eine leichte Tötung werden«, murmelte Lucian.
Alexander blickte zu seinem Bruder hinüber. »Du klingst enttäuscht.«
»Das bin ich«, knurrte Lucian. »Ich habe mich gefreut auf … Ich weiß nicht, aber so ist es Mist.«
»Was?«, fragte Nicholas in scharfem Flüsterton. »Was willst du, Luca? Eine monumentale Schlacht?«
»Hölle, ja!«, zischte Lucian.
Nicholas verdrehte entnervt die Augen in Alexanders Richtung und wandte sich dann wieder seinem jüngeren Bruder zu. »Wir werden später ein wenig Blut vergießen, in Ordnung? Erledigen wir einfach diesen Unreinen-Dummkopf, werfen ihn dem Orden vor die Füße und holen uns unser Leben zurück.«
Lucian runzelte die Stirn. »Gut.«
»Dann auf mein Kommando, Jungs.« Alexander konzentrierte seine ganze Aufmerksamkeit auf den Raum vor sich und wollte gerade die Lichter dimmen und die geistige Taktfrequenz der Gastwirte und des Personals im Restaurant verändern, als es plötzlich für ihn getan wurde. Er wirbelte alarmiert zu seinen Brüdern herum, erkannte jedoch, noch bevor sie die Köpfe schüttelten, dass nicht sie es gewesen waren. Die Zeit verlangsamte sich, und die gemischten Gerüche, die in der Luft lagen, existierten nicht mehr. Zusammengekauert und bereit für das, was auch immer ihm begegnen würde, verschränkte Alexander seinen Blick mit Dare, der anscheinend genau wusste, wo Alexander in den Schatten stand.
Nicholas entdeckte in Dares Gruppe etwas, jemanden, und stieß ein animalisches Knurren aus. »Wie, zum Teufel, hat er …«
»Auf sie!«, befahl Alexander. »Aber rührt Dare nicht an. Er gehört mir.«
Die drei stürmten die Szene, Alexander voraus, mit wesentlich größerer Geschwindigkeit als seine Brüder. Die Zeit existierte kaum noch, und die geistige Taktfrequenz der Gastwirte war kurzzeitig abgeblockt, während Alexander voranschritt und die Glocks in seinen Fäusten entsicherte. Aber bevor Alexander zum Tisch gelangte, zog Ethan Dare bereits seine eigene Pistole, schoss und traf den ältesten Roman in die Schulter.
»Verdammt.« Alexander hob die Glocks an und feuerte – einen, zwei, drei Schüsse, unmittelbar auf Dares Herz gerichtet. Aber der seltsame Unreine war schnell – die Augen geschlossen, die Arme wie ein Adler um seine Leute ausgebreitet, war er im Handumdrehen verschwunden, und Alexanders Kugeln trafen auf Leder auf.
»Was, zum Teufel, ist da gerade passiert?«, brüllte Alexander und starrte auf den nun leeren Tisch.
»Trainer war bei ihnen«, sagte Nicholas mit bebenden Nasenflügeln. »Hast du ihn gesehen?«
Alexander antwortete nicht. Solange sich Trainer von Sara fernhielt, kümmerte es ihn nicht, mit wem der hagere Mensch herumhing. Ethan Dares Fähigkeiten bereiteten ihm größere Sorgen. »Wo sind sie hingegangen?«
»Wie sind sie gegangen?«, fragte Nicholas, den Blick immer noch auf den Stuhl gerichtet, auf dem Tom noch Augenblicke zuvor gesessen hatte. »Nur umgewandelte Reinblütige können derart blitzartig reagieren. Und nur im Freien.«
»Dare ist doch ein Unreiner, oder?«, unterbrach Lucian ihn und starrte Alexander so finster an, als hätte er bei ihrem Schlachtplan etwas vergessen.
»Ich weiß nicht, was er ist«, stieß Alexander hervor und bedeutete ihnen zu folgen, während er mit blutender Schulter auf den Hinterausgang des Restaurants zustrebte. »Aber diese Aufgabe wurde gerade wesentlich interessanter.«
»Nun, da hast du es, Luca«, sagte Nicholas trocken, während Alexander in seinen Geist eintauchte und das Restaurant, das Personal und die Wirte wieder in den Normalzustand zurückversetzte. »Scheint so, als würdest du letztendlich doch deine monumentale Schlacht bekommen.«