21
Sara war gerade erst seit dreißig Minuten zu Hause, und nachdem sie ihre Kleidung gewechselt und ihre kalten Hände im Waschbecken in Alexanders Zimmer unter warmes Wasser gehalten hatte, lief sie die Treppe hinab, um sich etwas zu essen zu besorgen. Stattdessen fand sie Evans vor, der gerade einen hübschen Kirschbaumtisch im Eingangsbereich abstaubte.
»Guten Abend, Doktor«, sagte der alte Paven und neigte den Kopf. »Kann ich etwas für Sie tun?«
Saras Magen wählte genau diesen Moment, um nicht nur sie, sondern auch Evans auf seine Leere aufmerksam zu machen, und sie musste bei dem seltsamen Geräusch lachen. »Ich habe ziemlich großen Hunger. Kann ich mir hier etwas zubereiten, oder …«
»Oje, ja, natürlich können Sie das.« Evans’ Miene änderte sich jäh von reserviert zu überaus betreten. »Bitte folgen Sie mir.«
Er führte sie durch einige große, fensterlose Räume, die wohl Büros waren, bevor er schließlich eine Doppeltür durchschritt. Sara nahm den riesigen, gut beleuchteten Wohnraum, den sie nun betraten, in sich auf, ein Raum, der geradezu schrie: HIER LEBEN MÄNNER. Die Wände waren in einem angestaubten Rot und Gold gehalten, und der dunkle Holzboden war mit zeitgenössischen, in Elfenbeinfarben und Grün gehaltenen, handgeknüpften Wollteppichen ausgelegt. An einem Ende des Raumes befanden sich ein Poolbillard-Tisch sowie einige schwarze Leder-Clubsessel. Am anderen Ende stand eine Sitzgruppe aus bequemem Leder einem wuchtigen Flachbild-Fernseher gegenüber, der über einem wunderschönen Feldsteinkamin angebracht war. Der Raum wirkte überaus maskulin, aber nicht auf abstoßende Art.
Da wandte sich Evans wieder zu ihr um, wobei er ein wenig verlegen wirkte. »Dies war einmal die Küche, aber als die Romans einzogen … Nun, es bestand kein wirklicher Bedarf dafür.«
Sara begriff sofort, was er meinte, und war überrascht über sich selbst, weil sie nicht früher daran gedacht hatte. »Sicher. Natürlich.« Sie zuckte die Achseln. »Das ist kein Problem. Ich brauche nur einen guten Chinesen und ein Telefon.«
Sie nahm hinter sich eine jähe Bewegung und das Rascheln von Papier wahr, und dann sagte eine nüchterne weibliche Stimme: »Keine Lieferungen.«
Sara wirbelte herum und sah Dillon auf einer Couch sitzen, die Nase tief in die Seiten des Wall Street Journals gesteckt, und seufzte. War sie schon die ganze Zeit da?, fragte sich Sara. Hatte sie gelegen oder … sich versteckt? Und warum war sie noch immer im Haus? »Ich dachte, Sie wären gegangen«, sagte Sara.
»Offensichtlich nicht.« Dillons Gesicht blieb hinter der Zeitung verborgen.
Sara blickte über die Schulter zu Evans, der anscheinend unsicher war, was er als Nächstes tun oder wie er mit seinem neuen Gast umgehen sollte. »Keine Sorge«, sagte Sara zu ihm. »Ich werde etwas holen.«
»Nein«, erwiderte Dillon barsch und blätterte ihre Zeitung um.
Sara wandte sich erneut um und schaute zu dem lästigen weiblichen Vampir. »Was schlagen Sie also vor, Dillon? Soll ich verhungern?«
Sie zuckte die Achseln. »Nicht mein Problem.«
»Was ist dann Ihr Problem? Ich meine, abgesehen davon, dass Sie eine gewaltige Zicke sind.«
Von Saras Zorn unbeeindruckt, stellte Dillon gleichmütig fest: »Ich sollte Sie hierherbringen und Sie festhalten.«
Sara atmete tief ein und langsam wieder aus. »Ich habe Hunger. Außerdem ist mein Benzintank leer. Ich brauche etwas zu essen, und ich werde gewiss nicht auf Ihre Diät einsteigen, also …«
»Ich würde nur zu gerne teilen, was ich mitgebracht habe.«
Sowohl Sara als auch Dillon wandten sich zu der Sprecherin um. Im Eingang stand, mit hautengen Jeans, einem langen hellgrauen Wollpullover und demselben weißen Halstuch sowie hohen Absatzstiefeln bekleidet, die perfekte Vampirfrau namens Bronwyn. Sie lächelte kühn und betrat den Raum, eine schwarze Reisetasche in einer zierlichen, mit einem Tuch umwickelten Hand.
Evans neigte den Kopf. »Miss Kettler.«
Die schwarzhaarige Schönheit setzte sich auf die Couch gegenüber von Dillon. Sara beobachtete, wie sie etwas aus der Tasche nahm, das wie eine Bentobox aussah, sie öffnete und eine Mahlzeit zusammenzustellen begann.
Sara blickte sie verwirrt an. »Sie essen Nahrungsmittel?«
»Gewisse Nahrungsmittel«, erklärte Bronwyn und schöpfte sich mit einem Löffel etwas auf den Teller, das wie eine Eichhörnchendiät wirkte. »In der Credenti – der Gemeinschaft – schenkt uns die Erde Grundnahrungsmittel wie Körner und Beeren, die uns helfen, unsere Klarheit und Geisteskraft zu erhalten, und zugleich unsere Körper rein halten.«
Dillon schnaubte hinter ihrer Zeitung.
»Nicht alle befolgen das«, sagte Bronwyn ohne Verlegenheit, ohne Kritik.
Sara setzte sich fasziniert auf die dritte Couch zwischen den beiden Veanas. Sie fragte sich, wie es bei Alexander war. Ob er auch Nahrungsmittel aß? »Ist das alles, was Sie zu sich nehmen, oder trinken Sie auch noch …«
»Blut?«, beendete Bronwyn den Satz für sie.
»Ja.«
»Ja, und zwar Blut des Ordens. Es wurde entnommen, in kleine Phiolen gefüllt und dann an die Bürger der Credenti ausgeteilt.«
Leises Unbehagen regte sich in Sara. Der Orden. Diese Gruppierung schien bei allem die Finger im Spiel zu haben – in aller Leben, in aller Zukunft.
»Wir trinken nicht voneinander«, fuhr Bronwyn fort und nahm einen Bissen von einer Art Getreideriegel. »Diese Ehre wird nur unserem wahren Gefährten zuteil.«
Das Unbehagen in Sara verwandelte sich in einen reißenden Strom des Zorns und der Eifersucht. Bronwyn wartete auf ihren wahren Gefährten, auf Alexander, wartete darauf, von ihm trinken zu können, ihren Körper mit seinem mächtigen roten Blut zu füllen.
Sara betrachtete die wunderschöne Vampirin. Der Gedanke daran, das Blut eines anderen Wesens in den Mund zu nehmen, die metallische Flüssigkeit zu schlucken und mehr davon zu wollen, sollte ihr bestenfalls Übelkeit bereiten, aber so war es nicht. Nicht mit Alexanders Bild im Kopf – das Bild seiner nackten Brust, der breiten Schultern und des langen, kräftigen, wartenden Halses.
Sie blickte zu Dillon hinüber, die in ihre Zeitung vertieft blieb. »Gibt es bei Ihnen zum Mittagessen Nüsse und Beeren?«
»Um Himmels willen.«
»Warum nicht?«
Dillon ignorierte sie, aber Bronwyn antwortete rasch. »Es gibt einige, die mit dieser Lebensart nicht einverstanden sind und ihre Vorteile nicht sehen. Einige glauben, unsere Art sollte sich nur von Blut ernähren.«
»Was geschieht mit ihnen?«, fragte Sara.
»Sie beschließen, die Credenti zu verlassen.« Bronwyn zerkaute ihre Nahrung, schien sie aber nicht sehr zu genießen. »Sie gehen fort und wählen ein anderes Leben.«
Sara fragte sich, ob es tatsächlich so einfach war. Sie blickte erneut zu Dillon, die weiterhin ruhig und schweigsam hinter ihrer Zeitung saß. »Sind Sie fortgegangen, Dillon?«
»Nein, Mensch. Ich bin fortgerannt.«
Bronwyn zuckte die Achseln, als wäre das keine große Sache. »Wie ich bereits sagte, dieser Lebensstil behagt nicht jedem.«
»Nein«, grollte Dillon, senkte die Zeitung und fixierte die Vampirin ihr gegenüber. »Die Zeit im Gefängnis behagt nicht jedem.«
Ein Muskel an Bronwyns Wange zuckte, aber sie blieb ruhig. »Manche empfinden es vielleicht so. Für andere ist es eine wundervolle, glückliche, vollständige Existenz.«
Sara hatte schon immer begeistert menschliches Verhalten beobachtet, aber dieses Vampirverhalten und die Kulturunterschiede bei Vampiren zu beobachten fand sie besonders spannend. Sie beugte sich vor und blickte von einer Veana zur anderen. »Können denn diejenigen, welche die Credenti verlassen, unter Menschen leben, ohne entdeckt zu werden?«
Bronwyn nickte. »Eine Weile, wenn sie vorsichtig mit ihren Gelüsten umgehen.«
»Wie lange ist ›eine Weile‹?«
»Wenn ein Paven oder eine Veana der Umwandlung unterzogen werden, sind sie für immer verändert, und dann wird das Leben unter Menschen unmöglich.«
Sara beugte sich noch weiter vor. »Warum?«
»Eine Veana durchläuft den Umwandlungsprozess mit fünfzig Jahren, also weitaus früher als ein Paven, und obwohl sie noch immer im Sonnenlicht wandeln kann, empfindet sie ein starkes Verlangen, ihren wahren Gefährten zu finden und schwanger zu werden. Sie handelt klug, wenn sie sich der menschlichen männlichen Gesellschaft entzieht und in die Sicherheit ihrer Credenti zurückkehrt. Bei einem Paven«, fuhr sie fort, »wird die Sonne zum Feind des Körpers, aber wie bei der Veana wird auch sein Verlangen, seine wahre Gefährtin zu finden, übermächtig. Er kann auf der Suche nach ihr leicht zum Jäger werden.«
Die Umwandlung war das, was Alexander vor ihrer Tür durchlebt hatte, sann Sara. Und sie hatte ihn vor den Verbrennungen und dem Schmerz gerettet. Wenn also eines auf das andere folgte, so würde das bedeuten, dass er nun auf der Jagd nach seiner wahren Gefährtin war oder es bald sein würde. Sie schaute zu Bronwyn. »Haben Sie, oder Angehörige Ihrer Art, Verlangen nach menschlichem Blut?«
Bronwyn hielt Sara einen Teller mit Körnern und braunen pflanzenähnlichen Keksen hin und antwortete: »Wir begehren kein menschliches Blut, nur das Blut anderer Vampire.«
Den Blick auf Bronwyn gerichtet, schnaubte Dillon erneut.
Sara lehnte den Teller mit den Keksen dankend ab. »Also lernen Sie, sich und das Verlangen nach Blut zu unterdrücken, bis Ihr wahrer Gefährte ins Spiel kommt.«
Bronwyn nickte. »Genau.«
»Und was passiert, wenn Ihnen das nicht gelingt?«, fragte Sara.
»Jede Wahl zieht Konsequenzen nach sich, oder?« Bronwyns Blick wanderte jäh zu Dillon, deren Kiefer so angespannt wirkte, dass Sara fürchtete, sie würde sich einen Zahn abbrechen, oder einen Fang.
Da erhob sich Dillon und sagte in bissigem Tonfall: »Ich denke, wir beenden das Thema.«
»Warum?«, fragte Sara unschuldig.
Dillon blickte auf sie herab. »Ich dachte, Sie hätten Hunger, Mensch.«
Sara wölbte die Augenbrauen. »Sie wollen mir etwas zubereiten, Vampirin?«
Es war in einem Sekundenbruchteil vorbei, aber Sara hätte schwören können, dass sie Dillon hatte lächeln sehen. »Wenn Sie Tatarbeefsteak mögen, dann ja«, erwiderte sie trocken. »Wenn nicht, sollte ich besser gehen und Ihnen etwas besorgen, bevor der Boss zurückkommt.«
Bronwyn schaltete sich ein. »Ich vergaß zuvor zu fragen, aber wieso sind Sie hier, Dillon? Ich hatte gehört, Sie würden einen menschlichen Politiker schützen.«
»Ich habe eine kleine Pause eingelegt, um Alexander auszuhelfen, seine momentane Freundin zu beschützen.« Sie deutete mit dem Kopf auf Sara.
Bronwyn hörte auf zu kauen und blickte zu Sara hinüber wie ein Vogel, der ein köstliches kleines Insekt betrachtet. Während in ihrer Miene allmählich das Begreifen dämmerte, löste sich ein leises, wildes Knurren aus ihrer Kehle. Sie schwieg, aber ihre Augen wechselten von freundlichem und wunderschönem Hellgrün zu einem tosenden smaragdgrünen Meer.
Sara versank eingeschüchtert tiefer in ihrem Sessel. Dillon trat neben sie und kicherte freudlos. »Habe ich etwas gesagt, das ich nicht hätte sagen sollen?«, fragte sie, die Stirn gefurcht, während sie zu Bronwyn schaute. »Denken Sie daran, Miss Kettler, für unsere Wahl sind wir immer selbst verantwortlich.«
Bevor Bronwyn etwas erwidern konnte, wurde die Doppeltür zum Wohnzimmer aufgestoßen, und ein Chor lauter männlicher Stimmen brach herein: Die drei Frauen sahen Alexander, Nicholas und Lucian hereinstolzieren und unmittelbar auf die ledernen Clubsessel zustreben, wobei sich Alexander Halt suchend auf Nicholas stützte.
»Verdirb mit deinem Blut meinen Poolbillard-Tisch, Duro«, knurrte Lucian Alexander scherzhaft an, »und ich durchlöchere dir die andere Schulter.«
»Blut sollte in Bezug auf Poolbillard deine geringste Sorge sein«, erwiderte Alexander trocken, während ein besorgter und bemühter Evans Aufhebens um ihn machte.
Nicholas lachte leise und ließ Alexander in einen der Sessel sinken. »Stimmt. Wenn ich für jedes Mal, wenn du die Acht gestreift und eingelocht hast, einen Pint bekommen hätte, wäre ich jetzt satt und zufrieden.«
»Ja, Luca – du musst lernen, deine Kugeln zu kontrollieren«, erklärte Alexander, woraufhin alle drei Brüder in Lachen ausbrachen.
»Was ist passiert?«, fragte Sara und lief zu ihnen, Dillon unmittelbar hinter ihr.
Alexander saß in einem der Clubsessel, ohne Hemd, ein dickes Handtuch auf eine kräftige Schulter gepresst. Es war Sara unmöglich, nicht auf die beeindruckenden Muskelstränge unter seiner glatten Haut zu starren. Sie hatte noch nie in ihrem Leben solch perfekte männliche Schönheit gesehen. Da fing er ihren Blick auf, und seine Augen wurden sanft, sein voller Mund verzog sich zu einem Lächeln. Saras Herz flatterte in ihrer Brust, und es drängte sie, zu ihm zu laufen und sich ihm in die Arme zu werfen.
»Wir sind losgezogen, um einen leichten Sieg zu erringen«, sagte Nicholas gerade. »Aber die Regeln haben sich geändert.«
»Wer hat das getan?«, forderte Dillon zu wissen. »Ethan Dare?«
Hinter Sara erklang ein Keuchen. Bronwyn. Sara riss ihren Blick von Alexander los und sah nun Dillon mit gewölbter Augenbraue an. »Wer ist Ethan Dare?«
Die Augen der Veana verengten sich. »Ein hinterhältiger Vampir mit einem Ziel.«
»Ein Feind unserer Art«, fügte Bronwyn hinzu und trat neben Dillon, ihre Stimme rau vor unverhülltem Abscheu. »Ein Unreiner, der den Eternal Breed vernichten, ihm seine Ehrbarkeit nehmen und ihn in Gift verwandeln will.«
»Dafür ist es ein wenig zu spät«, brummte Lucian leise, legte seine Waffen ab und warf sie auf den Poolbillard-Tisch.
Nicholas wandte sich, seinen Bruder ignorierend, zu Sara um und sagte: »Ihr hagerer Angreifer war bei ihm.«
Entsetzen und Angst durchströmten Sara. »Sie haben Tom gesehen? Was hat er da gemacht?«
»Wir waren uns zuerst nicht sicher, aber anscheinend ist er von Dare rekrutiert worden.«
»Das ergibt keinen Sinn«, wandte Sara ein. »Wie konnte das geschehen?«
Nicholas zuckte die Achseln. »Ich bin mir nicht sicher. Aber er ist bei Dare, und …« – er wagte einen besorgten Blick zu Alexander und wandte sich dann wieder Sara zu – »… ist kein vollständiger Mensch mehr.«
Saras Blick zuckte ebenfalls zu Alexander. »Rede mit mir.«
»Er trägt Vampirblut in sich«, sagte Alexander vorsichtig. »Und es geht um Rache. Wir haben es gerochen. Was bedeutet, dass du in weitaus größerer Gefahr schwebst, als ich dachte. Entweder Dillon oder ich werden nun rund um die Uhr bei dir sein.«
Sara war zu entsetzt, um augenblicklich zu protestieren, aber sie wusste, dass es später Diskussionen geben würde. Sie wollte weder von Alexander noch von der psychotischen Handlungsweise ihres Expatienten kontrolliert werden.
»Oh verdammt«, murmelte Nicholas und deutete mit dem Kopf auf Alexanders Schulter. »Sie blutet wieder stark.«
Sara folgte seinem Blick und keuchte auf. »Oh mein Gott!« Das Handtuch, das Evans jetzt auf Alexanders Wunde drückte, wirkte wie ein umgestürzter Eimer roter Farbe, von dem sich das Blut in alle Richtungen verteilte.
Alexander blickte abwärts und riss das Handtuch fort. »Mehr Handtücher, Evans.«
»Ja, Sir. Sofort.« Der alte Diener verschwand eilig.
Sara starrte auf die in Alexanders muskelbepackter Schulter klaffende Schusswunde und auf das Blut, das daraus hervorströmte. Sie hatte in ihrem Leben schon viel Blut gesehen, hatte im Studium an den Gehirnen von Kadavern gearbeitet, aber Alexander mit einer Wunde am Körper zu sehen verursachte ihr Schwindel.
»He«, sagte Alexander sanft zu ihr, »jetzt nicht schlappmachen.«
»Es sieht schlimm aus.«
»Es ist nichts. Von einem Menschen zugefügt. Die Kugel wurde bereits entfernt, und die Wunde wird in wenigen Stunden verschwinden.«
»Nein. Sie wird jetzt verschwinden«, sagte eine resolute weibliche Stimme hinter Sara. Stoff raschelte, und Bronwyn trat an ihr vorbei zu Alexander.
»Halt!«, platzte Sara heraus, folgte der Veana und packte sie am Handgelenk. »Fassen Sie ihn nicht an.« Sie konnte nicht anders. Der seltsame Drang, Alexander zu schützen, lenkte ihre Handlungen.
»Ruhig, Doktor«, sagte Nicholas, stellte sich zwischen sie und Bronwyn und zwang Sara, das Handgelenk der Veana loszulassen. »Es ist eine große Freude und die Gabe einer reinblütigen Veana, einen Paven oder eine andere Veana zu heilen.«
Blödsinn, dachte Sara. Nicht wenn der Paven ihr Paven war. Sara blickte zu Alexander und wartete darauf, dass er etwas erwidern, dass er Bronwyn sagen würde, sie solle verschwinden. Aber das tat er nicht. Er nickte.
Sara, die am liebsten losgelaufen wäre und auf die Wand eingehämmert hätte, beobachtete, wie die wunderschöne Vampirin tief durch die Nase einatmete, sich ihre perfekten Lippen dann teilten und sie auf die verheerte und blutige Haut an Alexanders Schulter blies. Alexander schloss zitternd die Augen und ließ den Kopf zurücksinken. Bronwyn wiederholte den Vorgang mehrmals, bis Alexander zufrieden aufseufzte und sich die Wunde in seiner Haut vor Saras Augen zu schließen begann.
Die Eifersucht und der Hass, die Sara in diesem Moment durchströmten, erinnerten sie an ihre erste Zeit an der Junior High und an einen Jungen, den sie geliebt hatte, der sie aber nur beachtete, wenn sie mit ihrer unglaublich heißen besten Freundin, Penny Matthews, zusammen war oder er Hilfe bei den Biologie-Hausaufgaben brauchte. Sara fühlte sich seltsam, während sie Bronwyn dabei beobachtete, wie sie Alexander heilte. Im Zweifel mit sich selbst und unsicher, ob sie sich davon abhalten könnte, der Veana den Arm auszureißen, wenn sie die Gelegenheit dazu bekäme.
Als sich die Wunde vollständig geschlossen hatte, trat Bronwyn zurück, und Alexander öffnete die Augen, blickte zu ihr hoch und nickte. »Ich danke Ihnen.«
Sie lächelte ein unwiderstehliches Lächeln. »Gern geschehen.«
Sara schaute mit angespanntem Kiefer zu Dillon hinüber. Die Vampirin beobachtete sie, einen neugierigen Ausdruck auf dem Gesicht. Sara wollte sie schütteln und sie anschreien: Sie sind doch auch eine Veana! Warum konnten Sie ihn nicht heilen?!
Aber hier ging es nicht um Dillon. Hier ging es um Sara und alles das, was ihr fehlte, so dass sie für ein Wesen mit Fängen nicht die passende Partnerin war. Also reckte sie das Kinn und verkündete: »Für Menschen ist es Zeit, schlafen zu gehen. Gute Nacht allerseits.« Sie verließ den Raum ruhig, gelassen und ohne Bronwyn oder Alexander anzusehen.