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„Du kannst Inez nicht ohne ihre Zustimmung wandeln!”

Thomas warf Etienne einen finsteren Blick zu, als der seinen Satz wiederholte. Er wünschte, er hätte nie einen Ton über seine Absicht verlauten lassen. Genau genommen hätte er seinen Cousin besser mit der Tischlampe außer Gefecht gesetzt, anstatt sich gerade noch zurückzuhalten, als ihm klar wurde, wer da soeben aus seinem Schlafzimmer gekommen war. Er hatte Inez im Wohnzimmer zurückgelassen und war nach oben geschlichen, um den mutmaßlichen Eindringling niederzuschlagen. Er war bereits auf dem Treppenabsatz gewesen und hatte sich der einzigen geschlossenen Tür sie führte zum Schlafzimmer mit dem Doppelbett genähert, als die auf einmal geöffnet wurde und Etienne zum Vorschein kam.

Als er seinen Cousin sah, ließ er die Lampe sinken und umarmte ihn zum Gruß, und während Rachel ebenfalls aus dem Zimmer trat, erklärte Etienne, er habe seinen Termin eingehalten, und sie habe sich ein paar Tage freigenommen, um herzukommen und ihm bei seiner Suche zu helfen. Der mürrische alte Mann von nebenan hatte sie bei ihrer Ankunft ins Haus gelassen, auch wenn er ziemlich ungehalten gewesen war, dass er mitten in der Nacht aus dem Bett geholt wurde. Etienne war in seine Gedanken eingedrungen und hatte den Zwischenfall gelöscht, sodass der Mann am kommenden Morgen glauben würde, er habe die ganze Nacht friedlich durchgeschlafen.

Als Rachel nachfragte, welche Fortschritte sie bislang gemacht hätten, wurde Thomas an Inez erinnert, und er stürmte nach unten, um nach ihr zu sehen. Rachel warf einen Blick auf die fahle, triefend nasse Frau auf dem Sofa, dann scheuchte sie Thomas nach oben, um ein Nachthemd zu holen, damit sie ihr die nasse Kleidung ausziehen konnten. Thomas eilte ins Schlafzimmer, öffnete Inez’ Koffer und betrachtete das verführerische schwarze Negligé, das sie aus Amsterdam mitgebracht hatte. Er klappte den Koffer gleich wieder zu, denn darin sollte Etienne sie auf keinen Fall zu sehen bekommen. Stattdessen zog er eins von seinen T-Shirts aus seinem Rucksack, das ihr bei ihrer Größe bis zu den Knien reichen würde. Er brachte es Rachel, die ihn und Etienne aus dem Wohnzimmer verbannte, damit sie die bewusstlose Frau von ihrer nassen Kleidung befreien und ihr das trockene T-Shirt anziehen konnte.

Die beiden Männer warteten in der Küche, bis sie fertig war, danach ließ Thomas sie in groben Zügen wissen, was sich bislang zugetragen hatte und zu welchen Schlussfolgerungen sie gelangt waren. Erst dann begab er sich nach oben, um sich ebenfalls umzuziehen. Auf dem Weg zur Treppe warf er einen Blick ins Wohnzimmer, wo Inez unter einer dicken Decke auf dem Sofa lag und fest schlief. Etienne kam zu ihm und sagte: „Bastien hat mir erzählt, dass sie deine Lebensgefährtin ist.”

Thomas nickte. „Ja, das ist sie, und sobald ich mich umgezogen habe, werde ich sie wandeln.”

„Hat sie sich so schnell damit einverstanden erklärt?”, fragte Etienne überrascht.

„Nein, aber ich werde es trotzdem tun”, hatte Thomas’ Antwort darauf gelautet, und von da an hatte sein Cousin ihm keine Ruhe mehr gelassen. Als Thomas sich fertig umgezogen und das Schlafzimmer verlassen hatte, war der Streit noch hitziger geworden. Erst als sie Rachel im Flur stehen sahen, wurden sie wieder etwas ruhiger, was Etienne aber nicht davon abhielt, weiter auf ihn einzureden.

„Das kannst du nicht machen!”, wiederholte er beharrlich und folgte ihm zurück ins Erdgeschoss.

„Du hast Rachel auch gewandelt, ohne sie um Erlaubnis zu fragen”, knurrte Thomas ihn wütend an.

„Rachel war bewusstlos, ich konnte sie nicht um Erlaubnis fragen”, betonte Etienne energisch. „Außerdem lag sie im Sterben, und ich konnte nur so ihr Leben retten.”

„Inez wäre heute Nacht auch fast gestorben”, argumentierte Thomas und ging vom Fuß der Treppe in Richtung Wohnzimmer.

„Aber sie ist nicht gestorben”, wandte Etienne ein, der allmählich die Geduld verlor.

„Das war nur ein Glücksfall”, zischte Thomas ihm zu, da er Inez nicht aufwecken wollte, die er mit sorgenvoller Miene betrachtete.

„Sei doch nicht so ein verdammter Starrkopf. Wenn sie aufwacht, kannst du sie immer noch fragen, ob sie gewandelt werden möchte.”

Thomas versteifte sich und drehte sich beunruhigt zu seinem Cousin um. „Und wenn sie es ablehnt?”

Etienne hielt inne und musterte ihn stumm, da er ganz offensichtlich nicht wusste, womit er Thomas Mut zusprechen sollte. Es war schließlich Rachel, die das Wort ergriff. Sie war ihnen nach unten gefolgt,’ und nun stellte sie sich zu Etienne und nahm dessen Hand, als wolle sie mit ihm eine, geschlossene Front bilden. „Hast du mit ihr denn überhaupt darüber gesprochen?”, fragte sie leise.

Er wich ihrem Blick aus. „Sie weiß, sie ist meine Lebensgefährtin, und sie weiß auch ein wenig über die Wandlung, aber sie hat bislang nicht zugestimmt, ihr Leben mit mir zu verbringen, und genauso wenig hat sie ihr Einverständnis gegeben, sich von mir wandeln zu lassen.” Er verzog missmutig den Mund, als er hinzufügte: „Ich wollte ihr Zeit geben, um darüber nachzudenken.”

„Sie hat ja inzwischen etwas Zeit zum Nachdenken gehabt”, überlegte Rachel. „Vielleicht wird sie es nicht ablehnen.”

„Und wenn doch?”, hakte Thomas nach und fügte gequält hinzu: „Ich möchte sie nicht verlieren, Rachel, und wenn ich sie jetzt wandele, dann wird das auch nicht passieren.”

„Meinst du wirklich?”, gab sie zurück. „Vielleicht verlierst du sie erst recht, wenn du sie ohne ihre Zustimmung wandelst. Ich war auch nicht glücklich, als ich erfuhr, was mir widerfahren war. Erst als mir Etienne darlegt hat, dass er mir nur so das Leben hatte retten können, war ich bereit, es zu akzeptieren. Bei Inez sieht es dagegen ganz anders aus. Sie könnte dich dafür hassen, wenn du ihr die Entscheidung abnimmst, und dir niemals verzeihen, was du ihr angetan hast.”

Thomas ließ die Schultern hängen und seufzte. Er wusste, sie hatte recht, aber.... Er hob den Kopf und erklärte: „Lieber verliere ich sie und weiß, dass sie wohlauf ist, anstatt sie dem Tod zu überlassen.”

Erstaunt sah Rachel ihn an und fragte nach, um sich zu vergewissern: „Du willst lieber für den Rest deines Daseins auf eine Lebensgefährtin verzichten, nur um sicherzustellen, dass es Inez gut geht?” Er nickte ernst. „Dann muss deine Liebe zu ihr aber sehr groß sein”, sagte sie leise.

„Sie ist die Frau, auf die ich mein Leben lang gewartet habe.” Ein Geräusch ließ Thomas zum Sofa blicken. Er sah, dass Inez die Augen geöffnet hatte und sich aufzusetzen versuchte, während sie ihn anschaute.

„Inez.” Hastig ging er zu ihr, legte die Arme um sie und setzte sich aufs Sofa, damit er sie an sich drücken konnte. Voller Sorge musterte er dann ihr bleiches Gesicht. „Wie fühlst du dich? Geht es dir gut? Du bist so blass.” Sie sah ihn nur an, schließlich nickte sie und wandte sich Rachel und Etienne zu, da ein Rascheln sie auf die Anwesenheit der beiden aufmerksam gemacht hatte.

„Das ist mein Cousin Etienne mit seiner Frau Rachel. Tante Marguerite ist Etiennes Mutter. Sie sind hergekommen, um uns bei der Suche zu unterstützen.” Inez brachte ein schwaches Lächeln zustande und reichte den beiden die Hand, sagte aber nichts. Thomas fiel ein, wie rau sich ihre Stimme angehört hatte, als er sie aus dem Wasser gerettet hatte, und er fragte: „Schmerzt dein Hals?”

Sie versuchte „Ja” zu sagen, doch es kam ihr nur Schmerzhaft heiser über die Lippen. „Ich werde in der Küche nachsehen, ob wir Honig oder etwas anderes im Haus haben, das ihren Hals beruhigen kann”, überlegte Rachel und ließ Inez’ Hand los.

„Danke”, sagten Thomas und Inez gleichzeitig, aber nur er war zu hören. Mit finsterer Miene sah er sie an. „Hör auf zu reden, du machst es nur noch schlimmer.”

„Dann wandel mich, damit der Schm.... ” Der Rest ihres Satzes ging in einem erneuten Hustenanfall unter. Thomas bekam kaum etwas davon mit, dass Rachel an der Tür stehen blieb und sich ungläubig umdrehte. Sein Herz hatte einen Luftsprung gemacht, sein Blick war auf die Frau in seinen Armen gerichtet. Er betrachtete sie einfach weiter, bis der Hustenanfall abebbte und sie sich erschöpft gegen seine Brust sinken ließ. Dann hob er sie vom Sofa und ging mit ihr zur Tür.

„Ihr habt sie gehört, sie hat mir die Erlaubnis gegeben.”

„Nicht so hastig”, warnte Etienne, lief hinter ihm her und fasste ihn am Arm, damit er stehen blieb.

Widerstrebend stand Thomas zwischen Rachel und Etienne und drehte sich so, dass er sie beide ansehen konnte. „Was denn jetzt?”, fragte er ungeduldig.

Etienne zögerte und sah Inez an. „Wissen Sie, worauf Sie sich damit einlassen?” Sie nickte ernst. „Vampire leben ewig, Inez”, erklärte er ruhig. „Oder zumindest lange genug, dass es einem wie eine Ewigkeit vorkommt.”

„Na, besten Dank”, meldete sich Rachel ironisch zu Wort.

Etienne warf seiner Frau einen gereizten Blick zu. „Du weißt, wie ich das meine.” Als Rachel eine zustimmende Geste machte, wandte er sich Inez zu. „Sind Sie sich sicher, dass Sie das wollen?” Wieder nickte sie nur. „Ihnen ist klar, dass Sie seine Lebensgefährtin sein werden? Für alle Zeit?”, bohrte Etienne weiter nach.

Inez reagierte mit einem weiteren Nicken, aber als Etienne zur nächsten Frage ansetzte, mischte Rachel sich ein: „Jetzt sag doch schon endlich, was dir die ganze Zeit auf der Zunge liegt!”

Thomas sah verwundert mit an, wie sich Rachel vor sie beide stellte und Inez kritisch musterte. „Es tut mir leid”, begann sie, „aber ich muss Sie das einfach fragen. Thomas ist uns sehr wichtig. Er ist ein toller Kerl, und er verdient es, geliebt zu werden. Lieben Sie ihn? Und ist Ihre Liebe stark genug, um Jahrhunderte zu überdauern?”

Thomas betrachtete Inez, und auch wenn er davon überzeugt war, dass sie ihm am Flussufer hatte sagen wollen, sie liebe ihn, hielt er jetzt dennoch gebannt den Atem an. Diesmal antwortete sie nicht sofort, sondern dachte so über die Frage nach, wie Rachel es von ihr erwartete. Sie nahm sich Zeit, sah schließlich Thomas ernst und nachdenklich an, und erst dann nickte sie Rachel zu.

„Ihr habt es gesehen”, verkündete Thomas, nachdem er erleichtert aufgeatmet hatte. „Ich werde sie jetzt wandeln.”

„Verdammt, Thomas, warte doch mal!”, herrschte Etienne ihn an und folgte ihm die Treppe nach oben. „Das kannst du nicht machen.”

„Natürlich kann ich das machen, und ich werde es jetzt auch tun.”

„Hör endlich mal auf, mit deinem Schwanz zu denken, und benutz deinen Kopf’, forderte Etienne ihn auf. „Haben wir überhaupt genug Blut für eine Wandlung? Und was ist mit den Schmerzen?”

Es war die zweite Frage, die ihn am Kopf der Treppe innehalten ließ. Irritiert sah er zu Etienne, der sich in diesem Moment an ihm vorbeidrängte, um sich ihm in den Weg zu stellen. Rachel folgte ihnen ebenfalls nach oben, und ihrer Miene sah er an, wie besorgt sie war.

„Es ist schmerzhaft”, warnte Etienne Inez.

Als er die Zweifel bemerkte, die sich daraufhin in ihrem Gesicht abzeichneten, meinte Thomas mürrisch: „Jetzt hör auf, ihr Angst zu machen.”

„Ich will ihr keine Angst machen”, widersprach Etienne entschieden. „Aber sie sollte wissen, dass es kein Vergnügen ist. Ich rede hier nicht von einem Gefühl wie bei Zahnschmerzen”, wandte er sich an Inez. „Ich rede von unerträglichen Quallen, von dem Gefühl, in einem Säurefass zu treiben, das einen von innen und von außen zerfrisst. Von grässlichen, albtraumhaften Schmerzen, die bei Ihnen den Wunsch wecken werden, jemand möge Ihnen eine Kugel durch den Kopf jagen, damit es ein Ende nimmt.... oder jemand möge Sie enthaupten, denn eine Kugel durch den Kopf kann Sie ja nicht mehr töten, da Sie unsterblich sind.”

Thomas spürte, wie sich Inez entsetzt gegen ihn drückte, und herrschte seinen Cousin an: „Halt die Klappe, Etienne. Woher willst du das überhaupt wissen? Du bist als Unsterblicher geboren worden, und Rachels Wandlung hast du verschlafen.”

„Ich war bewusstlos”, stellte Etienne richtig und konterte: „Und ich weiß, du warst bei Gregs Wandlung mit dabei. Dann sag ihr, es stimmt nicht, was ich gesagt habe. Sag es ihr, wenn du das guten Gewissens kannst.”

Als Inez ihn fragend anschaute, stieß Thomas einen betrübten Seufzer aus. Er konnte sie nicht belügen. Nach dem zu urteilen, was er bei Greg mitbekommen hatte, musste es wie eine Fahrt quer durch die Hölle sein.

„Es tut mir leid”, gestand er ihr schließlich. „Es ist sehr schlimm. Ich wünschte, ich könnte es für dich durchmachen, aber.... ” Betrübt schüttelte er den Kopf.

„So muss es nicht sein”, wandte Etienne ein. „Auch wenn du es vielleicht meinst, versuche ich eigentlich nicht, dich davon abzuhalten. Ich möchte nur, dass du es langsamer angehst. Anstatt jetzt alles zu überstürzen, kannst du doch Bastien anrufen und ihn bitten, genügend Blut und Medikamente liefern zu lassen, damit die Schmerzen nicht ganz so schlimm sind.” Wieder sah er Inez an und erklärte: „Die Medikamente können die Schmerzen nicht verschwinden lassen, aber wenigstens so sehr lindern, dass Sie darüber nicht den Verstand verlieren.”

Als sie die Augen aufriss, verzog Thomas betroffen den Mund. Dieses kleine Detail hatte er völlig vergessen. Es gab ein paar dokumentierte Fälle, bei denen Sterbliche während der Wandlung wahnsinnig geworden waren, weil die Schmerzen so qualvoll waren, dass ihr Verstand es nicht ertragen konnte. Nachdem sie nun von dieser möglichen Nebenwirkung wusste, würde sie sich ganz sicher nicht mehr wandeln lassen, und er selbst war auch nicht mehr davon überzeugt, dass er sie einer solchen Tortur aussetzen wollte. Also machte er kehrt und ging wieder nach unten.

„Dann ruf Bastien an”, knurrte er Etienne zu, „und veranlasse alles Erforderliche. In der Zwischenzeit hole ich den Honig für ihren Hals.”

„Du kannst mich absetzen”, flüsterte Inez ihm zu, als er mit ihr in der Küche stand und versuchte, die Schränke zu öffnen, obwohl er sie noch in seinen Armen hielt.

„Nein. Ich hätte dich fast verloren. Ich werde dich nirgendwo absetzen. Du bleibst bei mir, bis wir diesen Mistkerl geschnappt haben. Und jetzt hör auf zu reden, du musst deinen Hals schonen”, murmelte er, setzte sie dann aber doch auf die Arbeitsplatte und hielt sie weiter mit einem Arm umfasst, während er mit der freien Hand die Schränke durchsuchte. Zu seiner Erleichterung war auch ein Glas Honig bestellt und geliefert worden. Er nahm es heraus, dann trug er Inez zurück ins Wohnzimmer und setzte sich mit ihr auf dem Schoß aufs Sofa. Als er das Glas aufschraubte, fiel ihm ein, dass er einen Löffel vergessen hatte. Sein Blick wanderte zu Inez, die sich ein Grinsen zu verkneifen versuchte und deren Augen amüsiert aufblitzten.

Thomas konnte nicht ernst bleiben, zu albern war sein Verhalten, und schließlich meinte er seufzend: „Ich werde dich auf das Sofa setzen und einen Löffel holen.”

Inez nickte. „Das könntest du machen”, wisperte sie. „Oder du nimmst die Finger.”

Er bemerkte ihren herausfordernden Blick, tauchte einen Finger in das Glas und hielt ihn ihr hin. Sie beugte sich vor und begann, langsam den Honig abzulecken, während sie ihm die ganze Zeit über in die Augen sah. „Verdammt”, stöhnte er, weil sich der kleine Thomas zu regen begann.

Als sie den Honig abgeleckt hatte, lächelte sie zufrieden und fuhr sich mit ihrer süßen rosa Zunge über die Lippen. Der Anblick genügte, um den kleinen Thomas regelrecht zusammenzucken zu lassen. Dann tauchte Thomas den Finger wieder in den Honig und ließ sie nochmals alles ablecken. „Lieber Himmel, Thomas. Nimm gefälligst einen Löffel!” Der kleine Thomas fiel vor Schreck ins Koma, als Thomas sich umdrehte und sah, dass Rachel in der Tür stand und ungläubig den Kopf schüttelte.

„Ich bringe dir einen”, fuhr sie fort und ging nach nebenan.

„Früher konnte ich sie ganz gut leiden”, meinte er betrübt, während er auf die Stelle starrte, an der sie eben noch gestanden hatte. Dann wandte er sich hastig zu Inez um, die sich gegen ihn lehnte und beängstigende Laute von sich gab. Vor Schreck ließ er das Honigglas fallen, fasste Inez an den Armen und drückte sie von sich weg, um sie ansehen und überlegen zu können, welche Art von Hilfe sie wohl benötigte. Erst da wurde ihm klar, dass sie lachte. „Was ist denn so witzig?”, wunderte er sich, was sie nur dazu brachte, noch heftigere Laute auszustoßen.

„Hier, jetzt kannst du.... ” Rachel kam soeben ins Zimmer und hielt einen Löffel vor sich ausgestreckt, stutzte aber, als sie sah, was geschehen war. Sie kam zu ihm geeilt und rief: „Na, großartig, Thomas. Jetzt ist wenigstens alles voller Honig!”

Er schaute nach unten, als Rachel das Glas von Inez’ Schoß nahm und er feststellen konnte, dass der Honig tatsächlich ausgelaufen war. Das T-Shirt war verschmiert, und ihre nackten Schenkel waren mit der goldglänzenden, zähflüssigen Masse bedeckt und nicht nur ihre Schenkel. „Du hast recht”, murmelte er, stand auf und hob Inez hoch, um mit ihr in den Armen um Rachel herumzugehen.

„Wohin wollt ihr denn jetzt?”, wunderte sich Rachel und folgte ihnen bis zur Tür.

„Ich werde mich darum kümmern, dass Inez von dem verschütteten Honig befreit wird”, rief Thomas ihr zu, als er bereits die Treppe hinauflief. „Wir werden später runterkommen, um uns anzuhören, was Bastien gesagt hat. Vielleicht sehr viel später. Inez ist müde und muss eine Weile schlafen, um sich zu erholen.” Oben angekommen, eilte er mit Inez in das Schlafzimmer mit den beiden Einzelbetten und stieß die Tür mit dem Fuß hinter sich zu. Wieder gab Inez diese schrecklichen Laute von sich, während sie von einem Lachkrampf geschüttelt wurde. Diesmal forderte er sie nicht auf, sie solle aufhören und ihre Stimme schonen, sondern küsste sie so beharrlich, bis sie von selbst das Lachen einstellte und stattdessen heiser stöhnte.

Zufrieden hob er den Kopf und sah sie an. Inez schlug die Augen auf und musterte ihn fragend, ehe sie flüsterte: „Ich dachte, du willst mich von diesem Honig befreien. Sollten wir dafür nicht besser ins Badezimmer gehen?”

„Oh nein”, versicherte er ihr. „Dafür müssen wir nicht ins Badezimmer gehen.”

Sie verzog fragend den Mund. „Du brauchst dafür zumindest einen nassen Waschlappen und ein Handtuch. Ich bin über und über mit Honig bekleckert. Zuerst war er nur auf meinen Oberschenkeln, aber inzwischen hat er sich in alle Richtungen verteilt.”

„Ich weiß”, entgegnete er grinsend. „Ich werde dich von jedem einzelnen Tropfen befreien, das verspreche ich dir. Ich habe nämlich Lust auf Süßes.”

„Oh”, hauchte Inez und bekam große Augen, als er sie aufs Bett legte und sich daranmachte, sein Versprechen einzulösen.

 

„Guten Morgen, Inez. Ich hoffe, Sie fühlen sich heute wieder besser.”

Sie blieb an der Küchentür stehen und entdeckte einen Mann am Esstisch. Sein Anblick verblüffte sie, und sie benötigte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass dort Bastien Argeneau saß und eine nachdenkliche Miene machte. In Jeans und T-Shirt wirkte er nicht älter als sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig. So leger gekleidet hatte sie den obersten Boss von Argeneau Enterprises noch nie zu Gesicht bekommen, was dazu führte, dass sie sich in ihrer dunklen Anzughose und der roten Bluse etwas fehl am Platz vorkam. Normalerweise trug sie keine so leuchtenden Farben, aber sie hatte sich im Dunkeln angezogen, um Thomas nicht zu wecken, und da war ihr nichts anderes übrig geblieben, als ihre Kleidung nach dem Tastsinn auszusuchen.

„Guten Morgen, Bas.... Mr. Argeneau”, berichtigte sie sich hastig. Da Thomas und nun auch Etienne und Rachel immer nur seinen Vornamen nannten, wenn sie von ihm redeten, hatte sie selbst auch damit begonnen, obwohl er ihr Vorgesetzter und damit für sie immer noch Mr. Argeneau war.

„Sie können ruhig Bastien zu mir sagen”, gab er lächelnd zurück. „So wie es aussieht, werden wir ja demnächst verschwägert sein.”

Inez errötete, wusste aber nicht, was sie darauf sagen sollte. Niemand hatte bislang von Heirat gesprochen. Thomas hatte nur gesagt, er wolle sie wandeln, weil sie seine Lebensgefährtin sei. Das Wort Hochzeit war dabei nicht gefallen.

Sie rang sich ein Lächeln ab und fragte: „Möchten Sie einen Tee?”

„Danke”, erwiderte er und fügte hinzu: „Wie ich höre, haben Sie noch immer einen rauen Hals. Hat der Honig nicht geholfen?” Die Frage versetzte sie in Panik, und sie begann hastig, mit dem Wasserkocher zu hantieren. Was hatten Rachel und Etienne ihm bloß erzählt?

„Stimmt irgendetwas nicht?”, wollte Bastien unüberhörbar besorgt wissen.

„Nein, nein”, beteuerte sie krächzend, während sie den Wasserhahn zudrehte. Als sie sich mit dem Kocher in der Hand umdrehen wollte, stand Bastien plötzlich neben ihr. Beide machten sie einen Satz zurück, und Wasser spritzte durch die Gegend. „Oh!”, rief sie erschrocken, stellte den Kocher weg und griff nach einem Handtuch, mit dem sie erst sein T-Shirt abtupfte, ehe sie sich seiner nass gewordenen Hose zuwandte.

„Guten Morgen!”

Mit rotem Kopf wandte sich Inez der Tür zu, wo eine reizende Frau mit langem kastanienbraunem Haar, spitzbübischem Lächeln und einem amüsierten Ausdruck in den Augen stand: Bastiens Verlobte Terri Simpson. Sie trug Jeans und ein T-Shirt mit dem Schriftzug „Lass mich dein Blut saugen”, und sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut zu lachen. Inez war ihr ebenfalls in New York begegnet und hatte sie auf Anhieb gut leiden können. Dieses T-Shirt sprach für ihren Sinn für Humor und machte sie ihr gleich noch sympathischer. Während sie weiter Bastiens Hose abtrocknete, lächelte sie Terri zu und entgegnete: „Hallo, Ms. Simpson. Ich wollte gerade....

Oh!” Hastig zog sie die Hand zurück, als ihr auffiel, dass sie blindlings die Lendengegend ihres Chefs abgetupft hatte.

Vor Verlegenheit nahmen ihre Wangen eine tiefrote Färbung an, und sie starrte auf das Tuch in ihrer Hand, da sie es nicht wagte, ihrem Boss oder seiner Verlobten in die Augen zu sehen. Wie kann man nur so linkisch sein?, dachte sie verzweifelt. Es war ihr ein Rätsel, wieso sie im Berufsleben so erfolgreich war, während ihr im Privatleben ständig solche Missgeschicke unterliefen. So etwas Peinliches wäre ihr im Büro nie passiert, wofür sie Gott auf Knien dankte. Ganz bestimmt hätte Bastien niemals zugestimmt, sie zur Vizepräsidentin zu befördern, wäre ihm bekannt gewesen, was für ein Tollpatsch sie in Wahrheit war. Sie stolperte ständig über ihre eigenen Füße, und vermutlich würde er sie jetzt feuern, nachdem er aus erster Hand erlebt hatte, was für einen Volltrottel er da eingestellt hatte. Er würde....

„Inez?”, unterbrach er ihren Gedankengang und nahm ihr das Handtuch ab. „Kein Grund zur Sorge. Ich halte Sie nicht für einen, Volltrottel’.” Verdutzt hob sie den Kopf und bemerkte ein amüsiertes Funkeln in seinen Augen.

„Nein, so was würde er nicht mal denken”, versicherte Terri, legte einen Arm um sie und dirigierte sie zum Tisch. „Und wir wissen auch, dass Sie kein Tollpatsch sind. Bastien redet seit Tagen davon, dass Sie seine beste Angestellte in ganz England sind, und er verflucht Thomas, weil der Sie ihm wegnehmen will.”

„Tatsächlich?”, fragte sie überrascht.

Terri nickte. „Sie setzen sich jetzt hin und ruhen sich aus. Der gestrige Abend war aufregend genug. Ich kümmere mich um den Tee, und Bastien kann sich selbst abtrocknen.”

„Danke”, erwiderte Inez, nahm Platz und beobachtete, wie die beiden sich durch die Küche bewegten, als würden sie einer einstudierten Choreographie folgen.

Die zwei waren ein gut eingespieltes Team, wie Inez feststellen konnte. Terri goss noch etwas Wasser nach, während Bastien seine Kleidung trocken wischte. Sie strichen aneinander vorbei und lächelten sich an; sie stellte den Wasserkocher an, und er wischte das verschüttete Wasser vom Tresen. Wieder warfen sie sich gegenseitig ein Lächeln zu, als sie die Tassen aus dem Schrank holte und er sich um die Teebeutel kümmerte, die er dann in die von ihr bereitgestellten Tassen verteilte. Dann berührten sie sich erneut, als sie die Löffel aus der Schublade nahm, während er im Kühlschrank die Milch suchte.

Ein leiser Seufzer kam über Inez’ Lippen, da sie sich unwillkürlich fragte, ob es zwischen ihr und Thomas wohl auch jemals so sein würde. „Da bin ich mir ganz sicher”, sagte Terri zu ihr, als sie die Teelöffel zum Tisch brachte.

Inez versteifte sich, da ihr klar wurde, dass die Frau soeben ihre Gedanken gelesen hatte. Im nächsten Moment begriff sie, die beiden hatten das vorhin auch schon gemacht, als ihr die Ausdrücke Volltrottel und Tollpatsch durch den Kopf gegangen waren. Sie stöberten ungefragt in ihren Gedanken, was Inez nicht nur erschreckte, sondern vor allem wütend machte.

„Wir stöbern nicht in Ihren Gedanken”, versicherte Bastien und stellte Milch und Zucker auf den Tisch. „Es ist vielmehr so, dass Sie Ihre Gedanken aussenden.”

„Ja, das stimmt”, pflichtete Terri ihm bei, während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte. „Ich habe noch nicht den Dreh raus, wie man Gedanken liest, es sei denn, jemand sendet sie aus, so wie Sie das gerade machen. Das liegt daran, dass Sie aufgeregt sind”, erklärte sie. „Sie fühlen sich unbehaglich, weil Sie nicht so recht wissen, wie Sie sich in Bastiens Gegenwart verhalten sollen, da Sie nun eine Beziehung mit Thomas haben. Und es ist Ihnen peinlich, weil Sie das Wasser verschüttet und ihm den Schoß abgewischt haben. Das alles führt dazu, dass Sie vor Aufregung Ihre Gedanken aussenden.”

„Oh”, machte sie und seufzte leise. Sie wusste zwar nicht so recht, wie dieses Aussenden funktionierte, aber sie glaubte schon, dass sie das tatsächlich machte.

„Und damit Sie es wissen”, fügte Terri an und nahm den Wasserkocher hoch, als der sich automatisch abschaltete. „Ich konnte Sie auch gut leiden, als wir uns in New York begegnet sind, und ich kann Sie immer noch leiden, selbst wenn Sie nicht so ein cooles T-Shirt tragen.” Ungläubig sah sie zu ihrem Boss, als der über diese beiläufige Bemerkung leise lachte.

„Ist sie nicht wunderbar?”, fragte er, als er Inez’ Blick bemerkte.

Sie nickte knapp und musterte ihn weiter. Von dieser Seite hatte sie ihn noch nie erlebt. Im Büro gab er sich immer distanziert und engagiert, aber er schien seine Verlobte regelrecht auf Händen zu tragen.... und die gleiche Bewunderung brachte ihm Terri auch entgegen, die drei Tassen auf den Tisch stellte und ihn dann küsste. Es begann als eine zärtliche, liebevolle Berührung der Lippen, wurde dann aber so innig, dass Inez verlegen zur Seite schaute und überlegte, ob sie vielleicht besser die Küche verlassen sollte. Und sie fragte sich, ob sie und Thomas sich genauso verhielten.

„Ich möchte wetten, Sie und Thomas sind kein bisschen besser”, meinte Bastien amüsiert, als er und Terri den Kuss unterbrachen und sich zu ihr an den Tisch setzten. „Und Sie müssen ganz bestimmt nicht unseretwegen die Küche verlassen. Übrigens wollte ich sowieso mit Ihnen reden.”

„So?” Sie drückte den Rücken durch und straffte die Schultern, um zumindest den Anschein der Geschäftsfrau zu wahren. Sonderbarerweise fiel ihr das ausgesprochen schwer, da sie seit Thomas’ Ankunft in England nicht mehr an ihre Arbeit gedacht hatte und sie sich vorkam, als sei sie bereits völlig aus der Übung.

„Es ist nichts Geschäftliches”, betonte Bastien mit ernster Miene.

„Okay.” Inez entspannte sich ein wenig, kam dann aber ins Grübeln und sagte: „Ich hatte gar nicht mitgekriegt, dass Sie beide gestern Abend auch schon hier waren. Ich dachte, nur Etienne und Rachel seien gekommen.”

„Das ist richtig.” Terri hob ihre Tasse hoch und pustete auf den heißen Tee. „Wir sind erst kurz vor Mittag angekommen.”

Inez nickte, wunderte sich aber, dass sie am helllichten Tag gereist waren. Sie hatte noch gut in Erinnerung, wie viel Blut Thomas in Amsterdam hatte trinken müssen, bevor sie dann die Stadt erkunden konnten.

„Wir haben den Blutvorrat aufgestockt”, beteuerte Bastien, der wieder ihre Gedanken mitbekommen hatte. „Ich habe mit dem Flugzeug genug hergebracht, damit es für die Reise und für Ihre Wandlung reicht.”

„Etienne hat uns ins Haus gelassen, als wir hier angekommen sind”, ergänzte Terri.

„Ja, und dann haben wir uns erst noch eine Weile unterhalten, ehe wir ins Bett gegangen sind.”

„Wo haben Sie geschlafen?”, wunderte sich Inez. Es gab nur zwei Schlafzimmer, und beide waren bereits belegt gewesen.

„Die beiden Sofas im Wohnzimmer lassen sich zum Bett ausklappen”, antwortete Bastien.

„Was wirklich praktisch ist”, fügte Terri hinzu. „Wir konnten endlich Lucern und Kate erreichen, und die beiden sind jetzt auch hierher unterwegs, um uns bei der Suche nach Marguerite zu helfen. Sie werden irgendwann in der kommenden Nacht eintreffen.”

„Lucern und Kate?”, wiederholte Inez verständnislos.

„Lucern ist der ältere Bruder von Bastien und Etienne”, erklärte Terri ihr. „Kate ist seine Lebensgefährtin. Er schreibt Liebesromane, und sie macht das inzwischen auch. Ursprünglich war sie seine Redakteurin. Sie ist übrigens meine Cousine.”

„Ah, ja. Ich glaube, Wyatt hat sie Mal erwähnt”, sagte Inez und dachte darüber nach, dass es in diesem Haus bald ziemlich beengt zugehen würde.

„Oben ist jemand auf den Beinen”, warf Terri leise ein.

Bastien setzte sich kerzengerade hin, lauschte angestrengt und warf einen beunruhigten Blick zur Decke. Dann entspannte er sich. „Das ist Etienne. Thomas war schon immer ein Langschläfer.”

Inez verspürte bei diesen Worten ein leichtes Unbehagen. Bastien hatte es so klingen lassen, als habe er befürchtet, Thomas könnte aufgestanden sein. Warum aber sollte das für ihn ein Grund sein, so erschrocken zu reagieren? „Weil wir mit Ihnen reden möchten, bevor Thomas nach unten kommt”, ließ Bastien sie wissen. „Wenn Sie nicht so früh in die Küche gekommen wären, hätte ich Sie vermutlich dazu veranlasst, indem ich in Ihren Geist eingedrungen wäre.”

Sie lehnte sich zurück und zog eine missbilligende Miene, als sie diese Bemerkung hörte, die sie wie eine Drohung empfand. Sie hatte erlebt, was es hieß, kontrolliert zu werden, und sie war auf niemanden gut zu sprechen, der zu diesem Mittel greifen wollte. „Es wäre nicht mit dem vergleichbar gewesen, was Ihnen gestern Abend widerfahren ist”, betonte Bastien. „Ich wäre so sanft in Ihre Gedanken eingedrungen, dass es Sie nicht erschreckt hätte.”

„Trotzdem hätten Sie mich gezwungen, gegen meinen Willen zu handeln”, erwiderte sie schroff.

„Ja, ich weiß”, räumte Bastien ein wenig betreten ein. „Normalerweise machen wir das auch nicht, es sei denn, es ist unbedingt erforderlich. Bei den meisten Sterblichen geht es darum, sie von allem Wissen fernzuhalten, das unseren Leuten oder ihnen selbst gefährlich werden könnte.”

„Und bei mir?” Ihr portugiesischer Akzent trat deutlicher in Erscheinung, da sie aufgebracht war.

„Bei Ihnen geht es darum, dass wir mit Ihnen allein reden müssen, also ohne Thomas.”

„Warum?” Ihr Argwohn war aus ihrem Tonfall deutlich herauszuhören.

„Letzte Nacht kamen Bastien und ich auf eine Idee, wie wir Mutter finden könnten”, erklärte Etienne, der soeben die Küche betrat, um sich ebenfalls einen Tee aufzugießen. „Aber wir wussten, Thomas würde das nicht mal in Erwägung ziehen wollen. Daher wollten wir erst einmal hören, wie Sie darüber denken, ohne von seinen ständigen Widerworten beeinflusst zu werden.”

„Um es vorwegzunehmen”, ergänzte Bastien, „wir sind davon überzeugt, er wird sich dagegen aussprechen, weil wir genauso denken würden, wenn es um Terri oder Rachel ginge. Ich bin selbst nicht davon begeistert, Sie das zu fragen, aber uns wollte einfach keine andere Lösung einfallen.”

Inez sah die Anwesenden der Reihe nach an, nahm die finsteren Mienen zur Kenntnis und dachte, dass keiner von ihnen es als Verkäufer zu irgendetwas gebracht hätte. Bislang hatten sie ihr mit ihren Ausführungen nur Angst gemacht, und dabei war noch gar kein Wort darüber verloren worden, was sie eigentlich für sie tun sollte.

„Ja, Sie haben natürlich recht, dass wir unsere Idee alles andere als überzeugend anpreisen”, stimmte Bastien ihr selbstironisch zu. „Aber bevor wir Ihnen unseren eigentlichen Vorschlag erklären, möchte ich Sie wissen lassen, dass Sie in Ihrer Entscheidung völlig frei sind. Wir werden nicht wütend auf Sie sein, und es wird sich auch nicht auf Ihre Arbeit oder auf Ihr Ansehen in unserer Familie auswirken. Wir hatten bloß eine Idee, aber wir hoffen nach wie vor, dass uns doch noch etwas Besseres einfällt.”

„Es ist nur so, dass dieser Weg wohl am wahrscheinlichsten zum Erfolg führen dürfte”, ergänzte Etienne, als er sich zu ihnen an den Tisch setzte.

„Oh Mann, das klingt ja immer besser”, spottete Inez. „Sagen Sie mir einfach, was ich tun soll.”

Etienne und Bastien sahen sich kurz an, dann räusperte sich Bastien. „Wenn ich es richtig verstanden habe, hat jemand zweimal Ihre Erinnerung gelöscht und Sie gestern Abend kontrolliert und Sie beinah umgebracht, richtig?” Inez nickte verhalten, während ihre Angstgefühle immer stärker wurden. „Er scheint sich auf Sie konzentriert zu haben”, stellte Etienne fest.

„Wahrscheinlich, weil ich als Einzige angreifbar bin”, entgegnete sie. „Er kann weder Thomas noch einen von Ihnen kontrollieren.”

„Wir hoffen, er weiß nichts davon, dass wir inzwischen eingetroffen sind”, fuhr Etienne fort. „Vermutlich ist er Ihnen und Thomas gefolgt, als Rachel und ich hier eintrafen, und dann war es bereits taghell, als Bastien und Terri herkamen.” Er schüttelte nachdenklich den Kopf. „Er wird nicht wissen, dass wir hier sind, was für uns von Vorteil ist.” Ehe Inez nach dem Grund dafür fragen konnte, warf Bastien ein:

„Worauf es uns ankommt, ist die Tatsache, dass er sich auf Sie konzentriert hat. Wir hoffen, ihn damit in eine Falle zu locken, um von ihm Antworten auf die Frage zu bekommen, wo Mutter ist.”

„Sie wollen, dass ich den Lockvogel spiele”, folgerte sie.

„Bedauerlicherweise ja”, gab Bastien zu. „Und wir müssen unverzüglich handeln, bevor er herausfindet, dass wir auch alle hier sind. Das heißt, es muss geschehen, bevor Sie gewandelt werden können.... womit es für Sie noch etwas gefährlicher wird.”

„Werden Sie es machen?”, fragte Etienne ohne Umschweife.

„Nein, das wird sie ganz bestimmt nicht”, ertönte auf einmal Thomas’ Stimme.