Zu diesem Band
Es sei »ganz Spanien darin«, hatte Thomas Mann 1951 nach der Lektüre des Goya-Romans geschrieben. Und es war die feste Absicht Feuchtwangers, dieses »düster glänzende Riesengemälde« (ebenfalls Thomas Mann) mit einem zweiten Band fortzusetzen. Der Plan wurde nie realisiert. Der Schauplatz des übernächsten Romans war zwar wiederum Spanien, die Zeit aber nicht das achtzehnte, sondern das zwölfte Jahrhundert. Im »Goya« wird der historische Vorfall episodenhaft bereits erwähnt: Pepa, die Geliebte Don Manuels, singt die Romanze vom König Alfonso, der sich in Toledo in die Jüdin Raquel verliebt und sieben Jahre mit ihr verlebt, »seine Königin, die englische Leonora, allein lassend. Dann aber empören sich die Granden und schlagen die Jüdin tot.«
Einer der ersten, der von Feuchtwangers neuem Romanprojekt erfuhr, war Arnold Zweig: »Ich habe mich an eine ›Jüdin von Toledo‹ gemacht, und ich will darstellen das Wesen des Feudalismus, das tief anziehende, anti-rationalistische und verderbliche, wie es ja heute noch fortwirkt«, schrieb er am 20. Juli 1953. Zu dieser Zeit hatte das Werk schon Form und Umfang angenommen, denn ein paar Monate später weiß Zweig »von einer alten Verehrerin«, daß Feuchtwanger im Freundeskreis daraus vorgelesen hat.
Am 1. Februar 1954 berichtete Feuchtwanger auch von der Stoffindung, auf die er später ausführlich in seinem Nachwort eingeht: daß er sich seit Jahren mit einem Esther-Roman »herumgeschlagen« habe, daß das Buch »im Grunde … schon fertig« gewesen sei, daß er aber wegen der Passivität der Hauptfigur, der biblischen Esther, schließlich darauf verzichtet habe, es zu beenden. (Im Nachwort reduziert er allerdings das Stadium des Manuskripts auf den »Grundriß eines zukünftigen Buches«.) »Jetzt bin ich sehr froh, daß ich bei der Arbeit am ›Goya‹ wieder auf Lopes ›Jüdin von Toledo‹ stieß. Von da ging ich zurück auf die Chroniken, und dann ergab der Stoff genau das, was ich hinter dem Material der Esther gesucht hatte.«
Da Arnold Zweig der historische Vorfall wenig vertraut war und er weder Lope de Vegas Theaterstück »Las paces de los reyes y Judía de Toledo« (1616) noch Franz Grillparzers Tragödie von 1848 »Die Jüdin von Toledo« auftreiben konnte, erläuterte ihm Feuchtwanger am 15. März 1954 die inhaltlich-thematische Absicht seines Romans: »Mich interessiert die Ablösung des feudal Kriegerischen durch den aufkommenden bürgerlichen Humanismus, der seltsamen Kämpfe zwischen dem überzivilisierten spanischen Islam und dem rohen und eleganten christlichen Rittertum und den Juden in der Mitte, der Heilige Krieg, der Kreuzzug und die Judenverfolgungen, Geschehnisse, die so seltsam ineinandergreifen. Der innere Sinn ist die Darstellung der ungeheuern Anziehungskraft des Krieges, der sich nicht einmal die Gegner ganz verschließen können. Darstellen will ich also, welch ungeheure Widerstände der Kampf um den Frieden überkommen muß. Das Schicksal meines jüdischen Ministers Jehuda Ibn Esra wiederholt auf einer sehr viel höheren geistigen Ebene das Schicksal des Jud Süß.«
Seit Ende des zweiten Weltkrieges war Feuchtwanger zwischen die ideologischen Fronten geraten. In den westlichen Ländern begegnete man den meisten Exilautoren ohnehin zunächst mit Vorbehalten; Feuchtwanger hatte sich zudem als Sympathisant der Sowjetunion ausgewiesen. In den östlichen Ländern galt die Emigration zwar als Beweis antifaschistischer Gesinnung, die Wahl des Exillandes aber doch als Warnzeichen prokapitalistischer Infiltration. So jedenfalls verstand man den Roman »Die Füchse im Weinberg« (1947), der schon allein durch seinen ursprünglichen Titel »Waffen für Amerika« zu geradezu absurden Vorwürfen aus Moskau geführt hatte. Seitdem rechnete Feuchtwanger bei jedem neuen Werk mit Mißverständnissen, diesmal neben politischen vorwiegend mit religionsbedingten, hatte es doch bereits nach Erscheinen des »Goya« wegen der Darstellung der Inquisition Attacken seitens der katholischen Kirche gegeben. »Da der Roman in einem Spanien spielt, in welchem Araber, Christen und Juden gegeneinander kämpfen und intrigieren«, schrieb er am 25. August 1953 an Katia Mann, »ist es sicher, daß ich mich diesmal sowohl bei Katholiken und Juden wie bei den Arabern in die Nesseln setzen werde.« Und an Arnold Zweig: »Der alte Hebbel hat zu Emil Kuh gesagt: Wenn man nicht immerzu sein Bild mit dem Stock erklärt, dann versteht der ewige Stumpfsinn überhaupt nichts.« Die Idee, daß ein gekochtes Ei im Frieden besser sei als ein gebratener Ochse im Krieg, werde ihm »hier und bei den Verfechtern der Kreuzzüge nicht viel Freunde machen« (1. Februar 1954). Eher amüsiert als verärgert berichtete er Brecht von einer Fehldeutung anderer Art: »In meinem neuen Roman kommt ein überaus streitbarer Minnesänger vor, Bertran de Born. Ich habe ein paar seiner wüsten Kriegslieder übersetzt; es ging mir darum, die verderbliche Anziehungskraft des Kriegerischen, des Tyrtäischen zu zeigen. Ein Leser, dem ich das Kapitel unlängst gab, ließ sich’s nicht ausreden, daß das Modell meines Bertran de Born der Friedenspreisträger Bertolt Brecht sei; das bewiesen schon die Initialen ›B. B.‹.« (8. Februar 1955)
Ernsthafte Einwände gab es aber dann lediglich wegen des Titels: In den USA und in Westdeutschland fand man, er sei zu »controversial«. Und so erschienen 1955 zwei Erstausgaben, von denen die eine »Spanische Ballade« (Rowohlt Verlag Hamburg), die andere »Die Jüdin von Toledo« (Aufbau-Verlag Berlin) hieß. Für letztere verfaßte Feuchtwanger ein Nachwort, das in den vorliegenden Band aufgenommen wurde.
Über seinen Roman »Die Füchse im Weinberg« hatte Feuchtwanger geschrieben, sein eigentlicher Held sei jener unsichtbare Lenker der Geschichte, der Fortschritt heißt. Auch die »Jüdin von Toledo« durchzieht ein solches Grundprinzip: Es ist die Toleranz, personifiziert in den von Vernunft statt Fanatismus geprägten Vertretern der drei Religionen, Jehuda Ibn Esra, Rodrigue und Musa Ibn Da’ud, als Voraussetzung einer Gesellschaft, die den Frieden zwischen den Völkern möglich macht.
Entgegen allen vorausgegangenen Befürchtungen verstand und akzeptierte man das in West und Ost gleichermaßen. »Die Rezensionen sind sehr zahlreich, beinahe alle sehr günstig und zum Teil sogar verständnisvoll«, schrieb Feuchtwanger am 24. Dezember 1955 an Arnold Zweig. Katia Mann rechnete den Roman zu seinen »allerbesten, ich habe ihn, was mir Altersabgestumpften nicht leicht vorkommt …, von Anfang bis Ende mit gespanntestem Interesse gelesen« (14. Januar 1958). In ähnlichem Sinne, natürlich viel differenzierter, äußerte sich auch die Literaturkritik. »Ein neues Meisterwerk deutscher Prosa« überschrieb die Zeitschrift »Neue Deutsche Literatur« die Rezension von Marcel Reich-Ranicki (Heft 3/1956). Alle Vorzüge der Epik Feuchtwangers leuchteten in diesem Roman in hellstem Licht, hieß es da. Besonderer poetischer Reiz hafte den Liebesszenen an, die von glühender Leidenschaft und der heißen Sinnlichkeit südlicher Temperamente erfüllt seien. Die Dialoge seien kunstvoll aufgebaut und mit großer gedanklicher Präzision und psychologischer Konsequenz geformt. Jehuda Ibn Esra erweise sich als eine der vollendetsten Gestalten, die Feuchtwanger geschaffen habe. »Mit dem Roman ›Die Jüdin von Toledo‹ hat Feuchtwanger einen wichtigen Beitrag zur Enthüllung der faszinierenden und verderblichen Anziehungskraft kriegerischer Abenteuer auf die Seele der Menschen geleistet«, und der Roman könne dazu beitragen, »daß wieder wirklich große, gerade jetzt so notwendige Werke deutscher Literatur geschaffen werden«.
Unsere Ausgabe folgt den beiden Erstdrucken von 1955 (»Spanische Ballade«, Rowohlt Verlag Hamburg, »Die Jüdin von Toledo«, Aufbau-Verlag Berlin). Orthographie und Interpunktion wurden unter Beibehaltung charakteristischer Besonderheiten modernisiert. Gedachte Rede steht ohne Anführungszeichen, Hervorhebungen sind kursiv gesetzt. Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert.
Gisela Lüttig