Zweites Kapitel

Es hatte sich am Hofe von Burgos auch der Clerc Godefroi de Leigni eingefunden, um als Vertreter der Prinzessin Marie von Troyes an der Vermählungsfeier der Infantin Berengaria teilzunehmen. Godefroi war ein enger Freund des vor kurzem verstorbenen Chrétien de Troyes, des berühmtesten unter den Conteurs, und wo immer Godefroi sich zeigte, lagen die Ritter und Damen ihm an, aus den Verserzählungen seines toten Freundes vorzutragen.

Nun hatte der große Dichter Chrétien de Troyes eine ganze Reihe von schönen, wunderlichen und vieldeutigen Versromanen geschrieben. Er hatte erzählt von den bunten, märchenhaften und dennoch sinnvollen Schicksalen des Guillaume d’Angleterre, von der dunkeln, herrlichen Liebesverzauberung des Tristan und der Ysault, von den wunderbaren Abenteuern des Ritters Yvain in geheimnisvollen Schlössern, von den Fahrten und Grübeleien des treuherzigen, ahnungsvollen Knaben Perceval. Lieber aber als diese Geschichten hörten die Damen und Herren aus des Chrétien Erzählung von dem Ritter Lanzelot auf dem Karren. Vergebens wies Godefroi darauf hin, daß Chrétien diese Dichtung für nicht recht geglückt gehalten und sie auch nicht vollendet habe; der »Lanzelot« war nun einmal das populärste seiner Werke, und die Ritter und Damen wollten immer wieder gerade daraus hören.

Was sich aber in der Erzählung »Lanzelot auf dem Karren« zuträgt, ist dies: Lanzelot, der beste Ritter der Christenheit, liebt die Dame Genièvre, und da sie in Bedrängnis gerät, zieht er aus, sie zu befreien. Er verliert sein Pferd und verzweifelt daran, den Entführer der Dame weiter zu verfolgen. Da kommt ein Karren vorbei, ein Schinderkarren, und der Besitzer, ein scheußlicher Zwerg, lädt Lanzelot unter vielen höflichen, lächerlichen Verbeugungen ein, das Gefährt zu besteigen; keinen schlimmeren Schimpf aber gibt es für einen Ritter, als auf einem solchen Karren gesehen zu werden. Lanzelot zögert zwei Augenblicke; dann besteigt er den Karren und zieht auf ihm weiter, von den Bürgern verhöhnt. Er befreit seine Dame. Sie jedoch läßt ihn nicht vor sich, sondern trägt ihm auf, im nächsten Tournier seine Kraft und Geschicklichkeit zu verbergen und sich besiegen zu lassen. Er tut es und nimmt auch mancherlei weiteren Schimpf auf sich, weil es seine Dame so befiehlt. Sie aber bleibt ungnädig und läßt ihm zuletzt auch den Grund nennen: er wisse nicht, was wahre Liebe sei; er habe, bevor er den Karren bestieg, zwei Augenblicke gezögert.

Da Königin Ellinor und Doña Leonor den Vorträgen der Troubadours und Conteurs selten fernblieben, verlangte die Courtoisie, daß sich auch Don Alfonso manchmal einfand. Da hörte er denn eines Tages den Clerc Godefroi aus dem »Lanzelot« vorlesen.

Gemeinhin langweilten den Alfonso die Versromane. Die Abenteuer dieser erfundenen Ritter schienen ihm blödsinnig, ihr Liebesgegirr und -gestöhne affektiert. Diese Geschichte aber, gegen seinen Willen, fing ihn ein. Das Verhalten des Lanzelot, so aberwitzig es war, ging ihn an, es kratzte ihn, zwang ihn, nachzudenken, sich damit auseinanderzusetzen.

Noch als er spät nachts auf seinem Bette lag, dachte er nach. Mit geschlossenen Augen lag er, zu müde, um wach zu sein, zu wach, um einzuschlafen, und er sah den Ritter Lanzelot auf seinem Karren. Plötzlich aber war Lanzelot nicht mehr auf dem Karren, er saß hier, auf seinem, Alfonsos, Bett.

»Was suchst du hier?« fragte Alfonso streitbar. »Willst du vielleicht behaupten, wir gehören zusammen?« Lanzelot nickte heftig. »Das verbitte ich mir«, herrschte Alfonso ihn an. »Ich bin nicht dein Bruder und Kamerad.« Lanzelot erwiderte nichts, aber er schaute Alfonso immerzu an, und der wußte, was der Stumme sagte. »Gewiß bist du mein Bruder und Kamerad«, sagte er, »eques ad fornacem, Ritter Ofenhocker.« Alfonso wollte kräftig erwidern, alle die zwingenden militärischen und politischen Gründe anführen, aus denen er dem Kreuzzug so lange ferngeblieben war. Mit einem Male aber wurde ihm schmerzhaft klar: das war alles Schein und falsch. Es gab einen einzigen wahren Grund, weshalb er nicht gekämpft hatte – er hatte bei Raquel bleiben wollen. Er war der Bruder und Kamerad des Lanzelot, er hatte Schimpf auf sich geladen, er hatte »sich verlegen«.

Er spürte heiße Scham.

Bald indes, mit einem süßen Schreck, merkte er, wie sich diese Hitze in eine andere wandelte, in eine sehr vertraute, verfluchte und willkommene Schwüle. Leibhaft roch er den schweren Duft der Gärten der Galiana, seine Adern klopften, kitzelnd rieselte es ihm durchs Geblüt, in ihm arbeitete süß und fein das liebe Gift Raquel.

Er suchte sich loszureißen. Atmete heftig, stieß kindisch gewalttätig den nackten Fuß gegen die Bettdecke. Dieser Lanzelot soll sich nicht mehr lange lustig machen über ihn. Der Krieg ist da, und sowie er erst im Felde ist, liegt Raquel hinter ihm und für immer. Absit! Absit! beschloß er. Es soll aus sein mit ihr! Sowie er nach Toledo zurückkommt, wird das erste sein, daß er das Söhnchen taufen läßt, und dann geht er an seine Südgrenze, nach Calatrava und nach Alarcos, und es ist aus mit Raquel.

»Dann habe ich nichts mehr mit dir zu tun, Weiberknecht, trauriger«, erklärte er heftig dem Lanzelot, »und überhaupt bist du lächerlich mit deiner kriechenden Liebe.« Aber Lanzelot war bereits verschwunden.

Sowenig Gunst Don Alfonso den Troubadours und Conteurs bezeigte, einer war unter ihnen, der ihm gefiel, ein Baron aus dem Limousinischen, Bertran de Born.

Dieser Bertran war, wiewohl er sich Vizegraf von Hautefort nannte, nicht eigentlich ein großer Herr, es unterstanden ihm nur wenige hundert Mann. Aber er war berühmt um seiner wilden Verse willen, er war hinreißend von Wesen, er hatte von frühester Jugend an Menschen bezaubert und durcheinandergewirbelt. Es hieß, er habe sich seinerzeit, ein halber Knabe noch, der Gunst der blühenden Königin Ellinor erfreut. Später dann, als Herr seiner beiden Burgen, hatte er mit Wort und Schwert an jeder Fehde teilgenommen, nicht lange prüfend, welche Sache die bessere sei, und es immer verstanden, seiner Sache viele Menschen zu gewinnen. Er war streitbar und jähzornig. Mit seinem Bruder hatte er sich über die Teilung des Erbes entzweit und ihn, obgleich des Bruders Forderungen mäßig waren, mit Versen und Waffen bekämpft. König Heinrich, der Lehnsherr, hatte eingegriffen und dem Bruder zu seinem Recht verholfen. Bertran hatte darauf durch seine Verse den jungen König Heinrich gegen den Vater aufgehetzt, bis dieser junge König vor einem Schloß Bertrans durch einen Bolzen den Tod fand. Auch weiterhin hatte Bertran die Barone des Limousin angespornt, Krieg gegen ihren König zu führen, den alten Heinrich, und Krieg auch untereinander; seine Hand war gegen alle, die Hand aller gegen ihn. Schließlich hatte der junge Richard die Schlösser Bertrans niedergebrannt und ihn gefangengenommen. Bald aber hatten sie sich wieder ausgesöhnt, und jetzt war Bertran im Begriff, nach Sizilien zu fahren und sich dem Kreuzheer Richards anzuschließen.

Die Kunde von Bertran de Born war auch über die Pyrenäen gedrungen. Man wußte in Hispanien vor allem von seinen politischen Liedern, seinen Sirventés. Wo immer eine Fehde oder ein Krieg heranzog, sang man seine wilden Verse. Seine Devise: »Den Frieden halt ich ungeehrt. / Mir gilt ein einzig Recht, mein Schwert«, war bekannt wie die Bitten des Vaterunsers.

Bertran war jetzt wohl schon um die sechzig Jahre alt, doch ritterlich und höfisch wie kaum ein zweiter. Er hatte Alfonso sogleich gefallen, und wiewohl der König manchmal Mühe hatte, Bertrans Provençalisch zu verstehen, spürte er, diese wilden Streitlieder waren aus sehr anderm Stoff als die lahmen Verse der hispanischen Sänger; sie waren elegant und gefährlich wie scharfe córdovanische Degen.

Don Alfonso zeichnete Bertran aus, schickte ihm reiche Geschenke, verwöhnte ihn, nahm ihn in sein Jagdgefolge auf, pflegte mit ihm vertrautes Gespräch.

Bertran hatte die Gabe, Menschen und Geschehnisse rund und leuchtend zu machen, daß man sie leibhaft vor sich sah.

Da erzählte er etwa von dem alten König Heinrich. Mit seinem Wort malte er den toten König, die grauen, blutunterlaufenen Augen, die hohen Backenknochen, das mächtige Kinn mit dem kleinen Spitzbart, den wilden, gierigen Mund. Er war fast ein Held, König Heinrich, aber doch kein ganzer Held. Es fehlte ihm an der wahren Largesse, an der Generosität, er knauserte. Bertran war dem König zuletzt als Gefangener gegenübergestanden, er hatte keine Waffe, nichts als sein Wort, aber mit diesem seinem Wort hatte er den Sieger besiegt, daß er ihn freiließ und ihm die verbrannte Burg wieder aufbaute. Aber auch da hatte er gespart. Er war eben kein rechter König, so königlich er sich gab. Er eroberte nichts aus bloßer Lust am Erobern, sondern um zu haben und zu halten. Immer wieder konnte man ihm an kleinen Zügen und Gesten absehen, daß er gierig war, ein Krämer. Seine Finger etwa verrieten ihn, gierige Finger, die er nicht ruhig halten konnte, er bog und streckte sie, daß sie seine Würde Lügen straften, oder aber er skribbelte und zeichnete. Er versprach vieles, er hielt auch, aber immer nur zum Teil; »Ja und Nein« hatte Bertran ihn genannt, und dieser Name wird ihm bleiben. Don Alfonso, da Bertran so erzählte, sah den Vater seiner Frau vor sich, sah ihn deutlicher, als da er ihn mit leiblichen Augen gesehen hatte.

»Da war mein junger König Heinrich ein anderer«, erzählte Bertran weiter. »›Rassa‹ hieß ich ihn, und Rassa war er. Er lebte aus dem vollen, er verschwendete, was er hatte, die Schätze von Chinon, seine Ritter und Routiers, sich selber. Herrlich war er, Rassa war er, und darum war es eine doppelte Niedertracht des alten Königs, ihn so knappzuhalten. Warum hatte er ihn zum König gemacht, wenn er’s ihm verwehrte, wie ein König zu leben? Ja, ich hab ihn gehetzt gegen den Vater, und als er sich mit ihm versöhnte, hab ich ihn von neuem gehetzt. Er ist daran gestorben, sagen sie. Ich habe nie geglaubt, daß ein Mensch einen so höllischen Schmerz spüren kann wie ich, als mein junger König starb. Und vielleicht ist er wirklich an meinen Versen gestorben. Ich bereu es trotzdem nicht.« Er fuhr fort, leise, wild, und jetzt sprach er wohl mehr für sich: »Ich habe viele Frauen geliebt und viele verloren, und ich war wohl auch traurig, wenn ich diese verlor oder jene. Aber wirklich getrauert hab ich nur um den jungen König. Nur ihn hab ich geliebt.« Und er begann, halb singend, die Verse vor sich hin zu sprechen, die er beim Tod des jungen Königs gedichtet hatte, jenes Klagelied, von dem es hieß, nie sei einem Helden ein schöneres gesungen worden, seitdem David geklagt hatte um Jonathan. »Si tuit li dol e’lh plor e’lh marrimen«, sang er.

»Wär’n alle Qualen, Tränen, Herzeleid,

Der Kummer, der Verlust, die ärgste Pein,

Die man gefühlt in dieser Zeitlichkeit,

In eins gesammelt, schienen sie noch klein

Vorm Tod des jungen Herrn von Engelland.«

Don Alfonso schaute auf Bertran, wie der vor sich hin sprach, wild, versunken; über der dünnen, stark gekrümmten Nase, einer richtigen Habichtsnase, leuchteten stark die weiten, heftigen, grauen Augen. So tief aus der Brust heraus holte der Mann die klagenden Verse, daß es Alfonso war, als entstünden sie jetzt, und es bewegte den König, daß Bertran vor ihm auf solche Art sein Herz nach außen kehrte. Es trieb ihn, sein Vertrauen zu erwidern. Bertran, dieser wahre Ritter, hatte die Gabe, auszusagen, was einem Manne wirr, unausgesprochen und schier unaussprechlich durch die Brust ging; wenn einer, dann wird er Verständnis haben für die Dunkelheiten, die Alfonso bedrängten.

»Du sagst«, fragte er, gegen seine Art zaghaft, »du habest niemals eine Frau wirklich geliebt?« Bertran schaute hoch. »So bündig möchte ich es nicht fassen«, antwortete er lächelnd, »doch ist eine Spur Wahrheit in deinem Satz.« – »Aber du hast doch herrliche Verse auf Frauen gedichtet«, wandte Alfonso ein. »Gewiß hab ich das«, erwiderte Bertran. »Ein Mann muß einer Frau schöne Dinge sagen, das verlangt die Courtoisie und manchmal auch das Herz. Ich hab den Frauen das Blaue vom Himmel herunter geschworen. Aber die Schwüre einer Liebesnacht gelten nur bis zum Morgen. Sie zu brechen, ist läßliche Sünde, das hat mir sogar mein Beichtvater zugegeben. Schließlich war es die Frau, die uns verführt hat mit dem Apfel.«

Alfonso lachte, forschte aber sogleich weiter: »Und du bist immer weggekommen über die Liebe? Über die Liebe zu jeder Frau bist du weggekommen?« Der alte Ritter merkte die Gespanntheit des andern, er sah, daß Alfonso an seinen Liebeshandel mit der Jüdin dachte, er spürte eine fast väterliche Neigung für den jungen König, der auf so naive, kindlich verkleidete Art von ihm Trost verlangte. »Ja, ich bin darüber weggekommen«, antwortete er. Er schaute ihn an, lustig freundlich, und: »Weiber!« fuhr er fort mit hochmütiger, leichtsinniger Handbewegung, »sie mögen unserm Blute nahekommen, unserer Seele bleiben sie fern. Ich sag dir was, Alfonso: das Leben eines Ritters ist ein reißender Fluß, er fließt und fließt und zerreibt alles nicht ganz Feste, alles, was nicht in die Seele gegangen ist. Jene Frauen meiner Verse, sie sind längst zerrieben, leere Erinnerungen, im Nebel verschwommen. Das ist was anderes mit einer guten Schlacht. Ihre Spürung dauert, ihre Erinnerung macht einem heiß und stark. Die Schlachten, in denen ich kämpfte, haben mir den Sinn jung gehalten.« Er lachte scherzhaft, übermütig. »Und wohl auch den Leib. Du wirst gleich sehen, was ich meine«, sagte er fröhlich und geheimnisvoll.

Er rief seinen Schildknappen heran, Papiol, der kaum jünger war, sich aber nicht minder stramm hielt als er selber, und den König aus seinen heftigen, tiefliegenden Augen lustig anfunkelnd, befahl er: »Los, Papiol, mein Knabe! Sing uns das Lied von alt und jung!«

Und Papiol, sich auf der kleinen Harfe begleitend, sang das freche, kecke Lied: »Joves es om que lo seu be engatge,

Jung ist, wer seine Burg und sein Hab verpfändet

Und glänzend auszieht zum Tournier.

Jung ist, wer ohne Geld die reichsten Gaben spendet,

Und wen die Schar der Gläubiger nicht verdrießt.

Jung ist, wer sich beim Spiel ausgibt und in den Fehden,

Und jung ist, wer sich in der Lieb nicht schont.

Alt ist, wer seine Burg niemals und nie sein Land belastet,

Wer Korn aufspeichert, Wein und Speck.

Wer, wenn er satt, sich nicht mehr traut, zu essen,

Und wenn es regnet, zag zum Mantel greift.

Alt ist, wen’s lüstet, einen Rasttag einzulegen,

Alt, wer das Spiel aufgibt, eh er’s gewann.«

Nun hatte die Wildheit seines Lebens an Bertran gezehrt, und wenn er sich auch stattlich und hochfahrend gab und fast immer in der Rüstung einherklirrte, so konnte er’s doch kaum verbergen, daß in dieser Rüstung ein etwas wackeliger Körper stak, und der und jener hätte vielleicht gelächelt über den alternden Ritter und seinen alternden Schildknappen und ihre Verse. Alfonso lächelte nicht. Er hörte und spürte den federnden Elan der Verse, die Herausforderung an die fließende Zeit, das rinnende Leben. »Dank dir, Bertran«, sagte er entzückt. »Das ist Ritterschaft, das ist Kunst!«

Das Entzücken des jungen Königs tat dem alten Bertran wohl. Hätte irgendwer auch nur mit einem Blick oder einer Geste seine Rüstigkeit bezweifelt, so hätte er ihn ausgefordert. Aber dieser Alfonso war ein Freund, ein Bruder, ihm gestand er: »Leider sind auch die kühnsten Verse kein Schutz vor dem Verfall des Leibes. Dir, Herr König, sag ich’s: der Krieg, in den ich jetzt gehe, ist mein letzter. Ich mache mir nichts vor, ich weiß: noch ein Jahr oder zweie, dann versagt mir der dumme Leib, und ein gebrechlicher Ritter ist ein Kinderspott. Ich habe schon mit dem Abt von Dalon gesprochen; wenn ich aus diesem Kriege heil zurückkomme, geh ich ins Kloster.«

Es machte den König stolz, daß ihm Bertran sein Inneres aufschloß, und es kam ihm eine Eingebung und ein Entschluß: Dieser gute Ritter und Dichter soll seine letzten Taten nicht als Kriegsmann König Richards tun. Mein Schwager Richard soll mir nicht auch diesen wegnehmen. Bertran soll an meiner Seite sein und meinen Krieg singen.

Der Domherr Don Rodrigue kam nach Burgos.

Er war voll trüber Erregung. Don Alfonso hatte offenbar seinem Söhnchen die Taufe, die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft, vorenthalten, er hatte tödliche Schuld auf sich geladen, und er war, als er Toledo verließ, einer Aussprache ausgewichen. Er selber aber, Rodrigue, war froh darüber gewesen, er selber verspürte schimpfliche Scheu vor der Aussprache, er drückte sich von seiner Pflicht. Erst jetzt, nach Wochen, hatte er sich aufgerafft, den König aufzusuchen.

Doch auch hier, in Burgos, mußte er’s erleben, daß Alfonso ein Zwiegespräch vermied. Und wiederum fügte er sich.

Um sich von seinen Sorgen, seiner Reue und Scham abzulenken, trieb er mit in dem höfischen Leben von Burgos. Beobachtete mit Interesse, wie sehr sich die höfischen Manieren des Nordens verfeinert hatten. Eifrig jetzt studierten die Damen und Herren die Regeln der Courtoisie, sie debattierten die spitzfindigen Gesetze der Minne und bezeigten der Kunst der Dichter sachverständige Teilnahme.

Bald indes erkannte er, daß das anmutig höfische Getue nichts war als leeres, verlogenes Spiel. Was die Damen und Herren in Wahrheit beschäftigte, was sie ganz ausfüllte, war der bevorstehende Krieg. Auf ihn warteten sie mit taumeliger, rauschhafter Ungeduld.

Don Rodrigue sah es mit Trauer. Er verwies sich den Kummer. Der Krieg, den sie ersehnten, war heilig, ihre Begeisterung fromm; an ihr teilzunehmen, war Pflicht, sie zu mißbilligen, Sünde.

Aber er konnte die fromme Entzückung nicht teilen. In ihm lebten die wunderbaren Lobpreisungen des Friedens aus dem Jesaja, aus dem Evangelium, die fanatischen Friedensreden seines Schülers Don Benjamín. Er dachte nur mit Trübsal und Schauder an den Krieg und das Elend, das er der Halbinsel bringen mußte. Er fühlte sich grausam allein inmitten des lauten, frohen Treibens, der blutdürstende Enthusiasmus dieser gepflegten, gebildeten Menschen stieß ihn ab, rief ihm ins Gedächtnis die Betrachtungen seines Freundes Musa über den Jezer Hara, den bösen Trieb.

Vor den andern widerwärtig war ihm der Mann, dem es gegeben war, ihrer wilden, gewalttätigen Freude Stimme zu leihen, dieser Bertran de Born. Beim ersten Anblick war er ein nicht eben ansehnlicher, alternder Herr wie viele andere. Aber Don Rodrigue wußte Bescheid um sein Dichten, Trachten, Tun, und sah man näher zu, dann konnte man auch dem Gesicht des Ritters mit den wilden Augen unter den dichten Brauen ablesen, was er wirklich war: der leibgewordene Krieg. Ein klein wenig lächerlich mochte der Ritter sein, wenn er mit bemühter Strammheit schritt und ritt und stolzierte; aber das Entsetzen, das von dem Manne ausging, erstickte die Spottlust des Domherrn. Da war nichts zu lächeln. Dies war der böse Gott Mars in seiner ganzen Furchtbarkeit. So wie dieser mußten die Reiter ausgeschaut haben, die der Evangelist Johannes erblickt hatte, als ihm die letzten Dinge geoffenbart wurden.

Dabei konnte Don Rodrigue selber sich dem Zauber der stürmischen Verse dieses Bertran kaum entziehen, der Kenner Rodrigue mußte ihm zugestehen, daß seine Kriegslieder herrlich waren, hinreißend, ziervoll in all ihrer Wildheit. Voll Trauer und Zorn nahm Rodrigue wahr, mit wieviel Kunst Gott diesen wüsten Menschen begabt hatte. Sein Zorn wuchs, als er mitansehen mußte, wie sein geliebter Alfonso ihm, Rodrigue, auswich, während er den greulichen, unbändigen Ritter nicht von der Seite ließ. Der eifersüchtige Rodrigue spürte schmerzhaft die innere Verwandtschaft der beiden, und immer blasser wurde seine Hoffnung, den König auf den rechten Weg zurückzuführen.

Eine Freude blieb dem Domherrn inmitten seines Kummers: der Umgang mit dem Clerc Godefroi. Don Rodrigue liebte und bewunderte die Erzählungen des Chrétien de Troyes, und das Wesen des Godefroi schien ihm die seltsame, innige Frömmigkeit widerzuspiegeln, welche Chrétien seinen Geschichten einzudichten verstand. Häufig denn auch, dem Domherrn zuliebe, wählte Godefroi, wenn er aus den Werken des Chrétien vorlas, stille, abseitige Kapitel, welche die einmalige, wunderliche, dem irdisch Gemeinen abgekehrte Art des Chrétien erkennen ließen.

So las er einmal vor vielen Hörern das Abenteuer des Ritters Yvain mit den Pauvres Pucelles, den Armen Fräuleins.

Da gerät der Ritter Yvain in die Behausung der Pauvres Pucelles, da sieht er sie, diese Armen Fräuleins. Sie nähen und weben Fäden von Gold und Seide zu Kleidern; sie selber aber sind überaus schäbig anzuschauen, Latz und Kleid löcherig, zerfetzt, die Hemden voll Schweiß und Schmutz, grobhäutig der Hals, das Gesicht blaß von Hunger und Elend. Yvain sieht sie, und sie sehen ihn, und sie senken voller Scham das Gesicht zur Erde und weinen.

Und erheben ihre Klage:

»Wir nähen Seide, Brokat und Putz,

Sind aber selber halbnackt und verschmutzt.

Das kommt: unser Lohn ist nicht genug,

Er kauft uns weder Fleisch noch Tuch.

Einteilen wir genau und voll Angst

Unser täglich Brot, aber niemals langt’s,

Des Morgens zuwenig, noch weniger zur Nacht.

Wer von uns in der Woch zwanzig Sous macht,

Dünkt sich eine Gräfin und Herzogin,

Und zwanzig Sous langt nicht her und nicht hin.

Dabei wird, wer den elenden Lohn uns bereit’t,

Reich von unserer Arebeit,

Und treibt uns trotzdem und hetzt immerzu

Und läßt uns auch des Nachts keine Ruh.

Wenn eine von uns todmüd eindöst,

Gleich ist er da und schlägt und stößt.

Wir haben das Elend, wir haben die Hölle,

Wir Armen Fräuleins, wir Pauvres Pucelles.«

Es war dem Don Rodrigue Genugtuung, daß der Dichter Chrétien de Troyes über dem Glanz und der Glorie der Ritter und Damen die Finsternis und das Elend derer nicht vergaß, die sich in der Tiefe abmühten. Die andern Hörer aber, die preux chevaliers und dames choisies, welche die Kleider trugen, die jene Pauvres Pucelles gefertigt hatten, waren erstaunt und unwillig. Was für eine närrische Anwandlung hatte da dieser tote Conteur gehabt? Wie konnte einer, der so süß und edel von erlesener Minne und heldischen Abenteuern gesungen hatte, seinen Mund derart verunreinigen? Wie konnte er Vers und Reim haben für diese armseligen Schneidermädchen? Die einen machten die Kleider, die andern trugen sie; die einen schmiedeten die Schwerter, die andern schlugen damit zu; die einen bauten die Burgen, die andern bewohnten sie: das war nun einmal so, das hatte Gott in seiner Weisheit so eingerichtet. Wenn sich diese traurigen Geschöpfe, die Pauvres Pucelles, dagegen auflehnten, dann mochte ihr Herr ihnen gut und gern die Glieder brechen.

Wiederum war es Bertran de Born, der den Gefühlen aller Stimme gab. Die Sprache des Nordens, die Langue d’Oïl, in welcher dieser Chrétien dichtete, schien ihm ohnehin plumpes Gelalle, das milchherzige Reimgeklingel gar, das er soeben hatte hören müssen, dünkte ihm reine Tollheit. Er hatte denn auch schon während des Vortrags mehrmals hell auflachen müssen, und nun Godefroi zu Ende war, meinte er: »Ihr Herren im Norden habt ja erstaunlich viel übrig für den Pöbel und seinen Gestank. Willst du wissen, guter Meister Godefroi, wie wir hier im Süden darüber denken?« Die Damen und Herren, sich freuend auf die männliche Antwort, die Bertran dem Gewinsel des toten Chrétien sicher geben wird, baten: »Laß hören, edler Bertran!« Und: »Laß uns nicht warten! Laß hören!« drängten sie. Und: »Sing uns den Sirventés vom Vilain, mein Knabe Papiol«, befahl lachend und grimmig Bertran seinem Spielmann.

Dieser trat vor, kühn und jugendlich, klimperte auf der kleinen Harfe und sang das Lied vom Vilain, vom Lumpigen Bürger und Bauern. Er sang:

»Das Bürger-, Händler-, Bauernpack

Ist nicht nach meinem Strich und Schmack,

Ich mag es gar nicht leiden.

Sie haben sich auf Schweinesart,

Und ihre Art und feine Art,

Das will sich übel reimen.

Kriegt so ein Lump erst Geld und Gut,

Dann packt ihn gar der Übermut

Und macht sein Hirn verbrennen.

Drum haltet ihm den Trog fein leer,

Und zieht ihm ab das Hemde.

Der Regen gerb sein schäbig Fell.

Wer das Gelump nicht mager hält,

Mehrt nur die Pöbelei der Welt.

Drum wenn sich solch ein Bauernschuft,

Ein Bürgerschuft, ein Händlerschuft

Erdreistet und euch seinen Schein

Vor Augen hält, brecht ihm das Bein

Ja, brecht ihm alle Knochen!

Dann ist die Schmach gerochen.

Sperrt das Geziefer ins Verlies,

In eure tiefsten Grotten,

Und laßt sie dort verrotten!

Laßt euch ihr Schrein nicht dauern!

Verderben über das Geschmeiß

Der Wuchrer, Bürger, Bauern!«

Stürmischen Beifall riefen die Hörer dem Ritter. Das Gesindel in der Tiefe wurde wirklich zu übermütig. Die Herren, die im Begriff waren, in den Heiligen Krieg zu ziehen, dachten an die Händler und Bänker, die ihnen ihre Güter weit unterm Preis abhandelten; sie mußten darauf eingehen, weil sie aus ihren Bauern nicht genug herausgeholt hatten. Wer dem Geschmeiß auf kräftige Art die Wahrheit sagte, sprach ihnen aus dem Herzen.

Don Rodrigue sah, wie die verbrecherisch hochfahrenden Verse des Bertran das unheilige Feuer der preux chevaliers noch höher schürten. Was der Mann da in gottlosem Übermut gesungen hatte, erfüllte den sanften Domherrn mit reißendem Kummer. Inmitten all seiner heiligen Betrübnis aber bedachte der Gelehrte Rodrigue, wie sich da wieder einmal die Sprache lasterhaft den bösen Trieben der Sprechenden anschmiegte und langsam aus dem sachlichen »Vilain«, aus dem Dorf- und Städtebewohner, den Lumpen und Schuft machte.

Don Alfonsos Gesicht war überstrahlt von glückhafter Erregung; die stolzen, klirrenden Verse waren ihm aus dem Herzen gesprochen. Aus diesen Versen klang der Groll des rechten Ritters gegen das Gelump der Händler und Bänker, die Wut, die er selber, Alfonso, oft gespürt hatte, wenn er mit seinem Jehuda hatte herumfeilschen und seine gute, kostbare Königszeit hatte vertun müssen. Dieser Bertran war sein Bruder.

»Höre, edler Bertran«, sagte er, »willst du nicht den Krieg an meiner Seite mitmachen? Ich gebe dir den Handschuh, und du sollst guten Teil an meiner Beute haben.« Bertran lachte sein lustiges, grimmiges Lachen. »Wie du die paar Verse belohntest, die ich dir gemacht habe«, antwortete er, »hat mir deine Großherzigkeit gezeigt, Herr König. Ich hatte vor, einen rechten Sirventés für dich zu dichten.« – »Kommst du also mit mir, Bertran?« fragte der König. »Ich bin Lehnsmann König Richards und ihm versprochen«, erwiderte Bertran. »Aber ich will die Dame Ellinor fragen.«

Er fragte. »Gehst du wieder einmal zu einem andern Herrn über?« sagte Ellinor. Sie schauten einander an mit heitern Augen, die alte Fürstin und der alte Ritter, und sie sagte: »Bleib also bei Alfonso. Ich will’s bei meinem Richard vertreten.«

Ellinor wollte Burgos nicht verlassen, bevor in einem gründlichen Kriegsplan Rechte und Pflichten der beiden Könige genau abgegrenzt waren.

Mehrmals lagen Alfonso und Pedro ihr an, ihnen ein paar Fähnlein ihrer bewährten Routiers abzugeben, ihrer Brabançons und Cottereaux. Aber Ellinor wollte davon nichts hören. »Ihr habt genug, ihr beiden Knaben«, wehrte sie ab. »Glaubt ihr, ich würde mir meine teuern Routiers halten, wenn ich sie nicht dringlich gegen meine rebellischen Barone bräuchte? Manchmal kann ich nicht schlafen, weil ich nicht weiß, wovon ich sie zahlen soll.« – »Aber ›In Chinon ist Geld‹ heißt es doch in der ganzen Christenheit«, wandte Don Alfonso ein. »Dieses dumme Sprichwort«, wies ihn Ellinor zurück, »haben die Juden meines seligen Heinrich in die Welt gesetzt, um seinen Kredit zu heben. Ich jedenfalls habe kein Geld in Chinon vorgefunden. Ich habe Schwierigkeiten gehabt, die Rechnung zu zahlen für die Beerdigung meines Heinrich. Nichts da, meine Lieben! Ein paar Soldaten müßt ihr einer alten Frau schon lassen, ihre Haut zu schützen.«

Der Kriegsplan gründete sich auf die Annahme, man könne unter Umständen den Kalifen Jakúb Almansúr dem Krieg fernhalten. Mächtige Stammeshäuptlinge an seiner Ostgrenze rebellierten; auch hieß es, es stehe nicht gut um seine Gesundheit. Zu vermuten war, er werde jeden halbwegs guten Vorwand benutzen, seine Emire im Andalús sich selber zu überlassen. Nun war da eines: der Kalif nahm, genau wie Sultan Saladin, Vertragsbruch unter keinen Umständen hin, und da war dieser lästige Waffenstillstand Alfonsos mit Sevilla. Kastilien mußte also für die erste Zeit neutral bleiben. Dagegen sollte Aragon, das durch keinen Vertrag gebunden war, schon in allernächster Zeit unter Vorwänden ins moslemische Valencia einfallen und sehr bald die Waffenhilfe Kastiliens anrufen. Griff daraufhin der Krieg schließlich auch nach Córdova und Sevilla über, dann würde man den Kalifen wahrscheinlich überzeugen können, es handle sich nicht um einen bösartigen Bruch des Waffenstillstands.

Alfonso murrte, daß dem jungen Don Pedro der Ruhm des ersten Vorstoßes zufallen sollte, wich indes den guten Gründen der alten Königin und verpflichtete sich, unter keinen Umständen gegen Córdova und Sevilla vorzugehen, ehe Aragon Waffenhilfe verlangte. Don Pedro seinesteils versprach, solche Waffenhilfe binnen längstens eines halben Jahres zu fordern und dann seine ansehnliche Heeresmacht dem Oberbefehl Don Alfonsos zu unterstellen.

Die Dame Ellinor gab sich so schnell nicht zufrieden. Sie fürchtete, Eifersucht oder falsch verstandene Ritterpflicht könne Alfonso oder Pedro verleiten, sich über den Vertrag hinwegzusetzen; ein solcher Pakt war schließlich nur Tinte auf Tierhaut, das Blut, das durchs menschliche Herz floß, war stärker. So berief sie denn die beiden Könige und deren Frauen vor sich und erläuterte an Hand des umständlich aufgezeichneten Kriegsplanes in einer kurzen, herzhaften Ansprache, was Alfonso und was Pedro tun und was sie lassen müßten. Dann fiel sie aus dem Feierlichen ins Gemütliche und meinte, schelmisch mit dem Finger drohend: »Ich weiß schon, ihr gönnt einer dem andern immer noch allerlei Ungemach. Aber solche Launen könnt ihr euch nicht leisten in diesem großen und wichtigen Krieg. Wenn er aus ist, dann ärgert einander wieder nach Herzenslust. Vorläufig ärgert mir die Moslems.« Und, wieder sehr königlich, schloß sie: »Ich beschwöre euch, reißet allen Groll aus euren Herzen mit der Wurzel, so wie der Stier das Gras mit der Wurzel ausrauft.«

Alfonso stand verlegenen, grimmigen Gesichtes; auch Don Pedro schien befangen. Plötzlich aber, in die Stille hinein, sagte mit ihrer harten, noch kindlichen Stimme Berengaria: »Wir verstehen dich, Frau Großmutter und Königin. Entweder sind die beiden Fürsten, mein Herr Vater und mein Herr Gemahl, völlig und von Herzen einig, oder sie werden von den Heiden geschlagen. Tertium non datur – Ein Drittes gibt es nicht.«

»Du hast es begriffen, kleine Enkelin«, sagte Ellinor. »Und jetzt«, wandte sie sich an die Könige, »in Gegenwart von uns drei Frauen, küsset euch brüderlich und schwört auf das Evangelium, daß ihr es halten werdet, wie ihr’s unterschrieben und gesiegelt habt.«

Am Tage, bevor die Versammlung auseinandergehen und ein jeder seine Straße ziehen sollte, feierte man Abschied im Castillo von Burgos.

An diesem Tage erfüllte Bertran de Born eine Bitte, die er bisher geflissentlich überhört hatte. Er sang selber sein Lied zum Preise des Krieges, das Lied vom Sterben in der Schlacht, das berühmte Lied: »Be’m platz lo gais temps de Pascor.«

Er sang:

»Der süße Lenz gefällt mir wohl,

Wenn Blatt und Blüte neu entspringt;

Es freut mich, höre ich den Chor

Der Vögel, deren Lied verjüngt

Erschallet in den Wäldern.

Mehr aber freut’s mich, seh ich weit

Gezelte an Gezelt gereiht

Und ringsum auf den Feldern

Ritter und Roß zum nahen Streit

Bewaffnet stehen und bereit.

Mich freut’s auch, wenn die Plänkler nahn

Und furchtsam Mensch und Herde flieht

Und dann statt ihrer auf den Plan

Ein rauschend Heer von Kriegern zieht.«

Die alte Königin Ellinor, der Bertran einmal nahegestanden war, hörte mit heiterer Rührung zu, wie der alte Mann die wilden, grimmig fröhlichen Verse sang. Schon damals, da er sich, ein halber Knabe noch, ungestüm an sie heranmachte, hatte er sie fast ebenso erheitert wie gerührt. Er war der gleiche geblieben, der liebe Bertran, eine einmalige Mischung von Mut, Frechheit und Dichtergabe. Er hatte sein Leben lang nein gesagt zu jeder Niederlage und war sichtlich noch jetzt entschlossen, zu kämpfen und zu singen und nicht aufzugeben, eh ihm der Tod die Schulter klopfte – genauso wie sie selber nicht aufgeben wird.

Sang Bertran:

»Es ist mir Augenweide,

Wenn man ein festes Schloß berennt,

Die Mauer klafft, das Pfahlwerk brennt.

Auch hab ich meine Freude dran,

Wenn auf der weiten Heide

Die wackern Reiter sprengen an.

Es rinnt das Blut, es bricht der Speer,

Und Lanz und Schwert sind Splitter.

Die Rosse rennen wild umher,

Gefallen sind die Ritter.

Macht kein Gewese davon her.

Solch Sterben ist nicht bitter

Besser, wer tot vorm Feinde liegt,

Als wer entläuft und lebt, besiegt.«

Das rote Gesicht des Erzbischofs Don Martín rötete sich noch tiefer, er atmete stark, er bewegte die Lippen, die Verse leise mitsprechend. Der junge Alazar starrte verzückt auf den Sänger, seine Augen rissen Bertran jedes Wort von den Lippen. Bisher hatte Alazar von der Herrlichkeit des Krieges nur geträumt: jetzt sah er, hörte er, fühlte er sie mit jeder Faser. Dieser Ritter Bertran sprach aus, was Alazar durch die Brust ging, seitdem er in Kastilien war. Aus dem Munde dieses Mannes klirrte der Krieg. Was dieser Ritter Bertran sang, dafür lebte er, Alazar.

Sang Bertran:

»Nicht Speis noch Trank, nicht Schlaf noch Weib

Ist mir solch süßer Zeitvertreib,

Als wenn ich’s höre schallen:

A lor! A lor! Schlagt drauf! Haut ein!

Und große Herrn und Knechte klein

Todwund zur Erde fallen.

Die Pferde wiehern reiterleer.

Getroffne schrein: Aidatz! Hilf! Her!

Von allen Seiten übers Feld

Das herrlich wilde Schreien gellt,

Geschrei des Siegs, Geschrei der Not.

Das grüne Gras ist rot von Tod.

Ein Leichenhauf die Erde deckt,

Und in so mancher Brust noch steckt,

Dieweil der Leib weit offen klafft,

Bewimpelt bunt der Lanzenschaft.«

>Hingerissen hörten die Versammelten zu. A lor! Aidatz! Schlagt drauf! Hilf! Her! Die ganze alte Burg klang wider von der blutigen Begeisterung des Ritters Bertran, von der Lust des Tötens.

Mehr noch als die andern schätzte und schmeckte der Domherr Don Rodrigue die federnde Kraft der klingenden provençalischen Verse. Aber nicht Enthusiasmus erregten sie ihm, sie erregten ihm Schauder. Mit Entsetzen sah er das Gesicht des Königs, den er liebte wie einen Sohn. Ja, »vultu vivax« war Don Alfonso, da hatte Rodrigue die rechten Worte gefunden: das Gesicht spiegelte die Seele erschreckend treu wider. Was es aber jetzt spiegelte, das war schiere Lust am Dreinhaun, am Zerstören, jener Jezer Hara, der böse Trieb, von dem Musa immer wieder redete.

Don Rodrigue schloß die Augen; er konnte die Gesichter dieser Ritter und Damen nicht länger sehen. Bestürzt erkannte er: er hätte seinen Alfonso lieber noch Monate und Jahre hindurch in der sündigen Gemeinschaft der verstockten Jüdin gesehen als in der fromm und blutig begeisterten Verbundenheit mit den Kriegern Gottes.

Der Domherr hatte im Gefolge des Königs nach Toledo zurückreisen wollen. Er hatte sich vorgenommen, auf dieser Reise endlich seine Pflicht zu tun, den König zu mahnen. Jetzt gab er’s auf.

Noch in der gleichen Nacht, in Hast, machte er sich auf den Weg und ritt zurück nach Toledo, noch tiefer bedrückt, als er gekommen war, schuldhaft infectis rebus, unverrichteterdinge.