Viertes Kapitel

Der Kalif Jakúb Almansúr war nicht mehr jung, er kränkelte, er hätte seine letzten Jahre gern im Frieden verbracht und hatte sich verpflichtet geglaubt, den König von Kastilien an den Vertrag zu mahnen. Doch hatte er, über die Natur des Königs wohl unterrichtet, von vornherein wenig Hoffnung gehabt, daß seine Botschaft fruchten werde. Eine so dummdreiste Antwort indes hatte er nicht erwartet. Die Frechheit des Unbeschnittenen schien dem tiefgläubigen Manne eine Mahnung Allahs, vor seinem Ende noch einmal das Schwert zu ziehen, die Ungläubigen zu züchtigen und den Islam weiterzuverbreiten.

Zunächst ließ er den Brief Alfonsos in zehntausend Abschriften kopieren und in seinem ganzen, weiten Reiche bekanntmachen. Die Mohaden, die Araber, die Kabilen, alle Völkerschaften, die ihm botmäßig waren, sollten wissen, wie gemein der christliche König den Herrscher der Gläubigen beschimpfte. Auf den Märkten wurde der Brief von öffentlichen Ausrufern verlesen, und im Anschluß daran die Worte des Korans: »So spricht Allah, der Allmächtige: Ich werde mich kehren wider sie und werde Staub und Verwüstung aus ihnen machen durch Heere, wie sie noch nie gesehen worden sind. Ich werde sie in den tiefsten Abgrund werfen und sie vernichten.«

Aufflammte Glaubenswut im ganzen westlichen Islam. Sogar die widerspenstigen Stämme im Tripolitanischen ließen ab von ihrer Fehde wider den Kalifen, um ihm beizustehen in diesem Heiligen Kriege.

Helle Begeisterung war im moslemischen Andalús, nun man der Hilfe des Kalifen gewiß war. Zudem übertrug dieser den Oberbefehl der gesamten Armee einem Andalusier, dem bewährten General Abdullah Ben Senanid.

In der neunzehnten Woche des Jahres 591 nach der Flucht des Propheten brach Jakúb Almansúr von seinem Hoflager in Fez auf, um sich zu der Armee zu begeben, die er an der Südküste der Meerenge versammelt hatte. In seiner Begleitung waren sein Kronprinz Cid Mohammed und zwei andere seiner Söhne, sein Großwesir und vier seiner Geheimen Räte, ferner seine beiden Leibärzte sowie sein Chronist Ibn Jachja.

Am zwanzigsten Tage des Monats Redsched befahl der Kalif die Überfahrt. Als erste setzten über die Meerenge die Araber, es folgten die Sebeten, die Masamuden, die Gomaras, die Kabilen, ihnen folgten die Bogenschützen, die Mohaden; den Beschluß bildeten die Leibregimenter des Kalifen. Mit der Gnade Allahs vollzog sich die Überfahrt binnen drei Tagen, und das riesige Heer lagerte weitum in der Gegend von Alchadra, von Cádiz bis Tarifa.

Und nun der Kalif auf dem Boden des Andalús stand, gab er ein großes Schauspiel. Seit urdenklichen Zeiten ragte vor Cádiz, im Westen der Meerenge, ein riesiger Säulenbau aus dem Wasser. Gekrönt war er von einer gewaltigen goldenen Statue, die auf viele Meilen hinaus über die See glänzte; sie stellte einen Mann dar, der seinen rechten Arm gegen die Meerenge ausstreckte, in der Hand hielt er einen Schlüssel. Römer und Goten hatten den Bau »Die Säulen des Herkules«, genannt, die Moslems nannten die Statue »Das Götzenbild von Cádiz«; alle hatten sie, die Jahrtausende hindurch, das drohende, glitzernde Wesen gescheut und geschont. Jetzt gab der Kalif Befehl, es zu zerstören. Furchtsam, mit angehaltenem Atem schauten die Zehntausende, als die ersten Schläge geführt wurden. Der Goldene, Drohende wehrte sich nicht, er stürzte, und voll ungeheuern Triumphes schrien sie: Allah ist groß und Mohammed ist sein Prophet.

Der Kalif zog nach Sevilla. Um diese Stadt zu ehren, welche der ungläubige König trotz des Waffenstillstandes so ruchlos bedrohte, hatte Jakúb Almansúr für ihre Hauptmoschee einen Gebetturm gestiftet. Der hochberühmte Architekt Dschabir hatte die Pläne entworfen. Gleichnishaft sollte der Turm den Sieg des Islams über den Unglauben darstellen. Bestimmt hatte der Kalif, daß alles, was sich noch finden lasse an Statuen und Reliefs aus den römischen und gotischen Zeiten des Landes, in diesen Turm hineingebaut werde. Verwendet werden sollte ferner außer der Golddecke jenes Götzenbildes von Cádiz das Gold und Silber der Kirchengeräte, die der Kalif in diesem Krieg erbeuten werde.

Er selber, Jakúb Almansúr, legte den Grund für das Minarett. Und wie ungezählte Tausende gejubelt hatten beim Sturz des Goldenen Mannes, so jubelten jetzt ungezählte Tausende, da der Grund ausgehoben wurde für den Turm, der zum Himmel steigen sollte in bisher nie gesehener Höhe und Schönheit zum Preise Allahs.

Don Alfonso, in Calatrava, war glücklich. Hier war eitel Jubel darüber, daß er dem unverschämten Kalifen Bescheid gesagt hatte, und unbändige Freude auf den Krieg. Das geistliche Wesen des Ritterordens verschwand hinter seinem kriegerischen. Die Ritter feierten Bertran de Born als ihren großen Bruder und Kameraden; »A lor, a lor – Schlagt drauf, haut ein«, schmetterte es durch ihre Träume.

Zwischen Alfonso und dem Erzbischof war wieder die alte, fröhliche Kameradschaft. Es hatte den tapferen Priester schwer bekümmert, daß er Alfonso nicht seine rechte, christliche, ritterliche Meinung hatte sagen dürfen über seine Liebschaft mit der Jüdin. Jetzt, mit der alten Aufrichtigkeit, eröffnete er ihm: »Dein Schwiegervater von Engelland ist wahrlich gerade noch zur rechten Zeit gestorben. Denn daß ich’s dir nur sage, mein lieber Sohn und Freund: länger hätte ich dem Unwesen in der Galiana nicht mehr zugeschaut. Ich hätte, und wenn ich vor Kummer darüber gestorben wäre, vom Heiligen Vater verlangen müssen, daß er dich exkommuniziert. Ich war schon dabei, den Brief aufzusetzen. Jetzt liegt das alles so weit hinter uns wie die heidnische Vergangenheit unserer Väter. Man sieht’s ja geradezu mit Augen, wie dir jetzt der Krieg die letzten Vapores aus der Brust treibt.« Er lachte schallend; Alfonso lachte mit, laut, jung, gutartig.

Späher berichteten von der Größe des moslemischen Heeres. Fünfhundert mal tausend Mann sollten es sein. Auch war viel Gemunkel von schrecklichen neuen Waffen, die der Kalif mitführe, von riesigen Angriffs-Türmen, Geschützen, die gewaltige Felsen weithin schleudern könnten, von verderblichem Griechischem Feuer. Die Ritter blieben zuversichtlich. Sie glaubten an ihre uneinnehmbaren Festungen, ihren Santiago, ihren König.

Alfonso hatte eine kühne Eingebung. Alle hielten es für selbstverständlich, daß man sich angesichts der Übermacht der Moslems auf die Verteidigung beschränke. Mußte man das wirklich? Warum nicht dem Feind eine Schlacht auf offenem Felde bieten? Das Unterfangen schien wahnwitzig, doch gerade darum konnte es Erfolg haben. Und war da nicht im Süden von Alarcos jenes Gelände, dessen Vorteile und Tücken er besser kannte als jeder andere, »Das Gebreite der Arroyos«? Warum sollte er nicht eine zweite Schlacht von Alarcos gewinnen?

Er sprach Bertran und dem Erzbischof von seinem Vorhaben. Don Martín, dem es sonst an raschen Worten nicht fehlte, starrte ihn an, offenen Mundes. Dann war er begeistert. »Das alte Israel«, sagte er, »war ein kleiner Haufen, gemessen an dem zahllosen Pack der Kanaaniter, Midianiter, Philister, und sie haben sie trotzdem geschlagen und ausgetilgt. Da wird ihnen wohl der Herr Schlachtfelder gezeigt haben, so günstig wie dein ›Gebreite der Arroyos‹.« Bertran seinesteils meinte fröhlich und sachverständig: »Diese Schlacht wird dich viele Tote kosten, Herr König – aber die Ungläubigen noch mehr.«

Die jüngeren Herren, wenn ihnen Alfonso von seinem Plan sprach, waren zuerst erstaunt, ja, betreten, dann entzückt. Den älteren Feldhauptleuten von seinem Vorhaben zu reden, unterließ der König.

Doña Leonor war länger in Burgos geblieben, als sie beabsichtigt hatte. Von hier aus war es leichter, den Granden des nördlichen Kastiliens und den Räten von Aragon zuzusetzen, daß sie Alfonso bald die nötigen Hilfskräfte stellten. Sie brannte danach, daß er seinen Feldzug beginne. Seitdem sie erkannt hatte, wie tief sich jenes geile Fieber für die Jüdin in ihn eingefressen hatte, war ihr Argwohn niemals völlig eingeschlafen. Ganz genesen von seiner höllischen Krankheit wird Alfonso erst durch den Krieg.

Dann hatte sie Nachricht erhalten – er selber hatte ihr’s fröhlich mitgeteilt –, wie kühn er den frechen moslemischen Prinzen zu seinem Kalifen heimgeschickt hatte. Das erste, was sie spürte, war eine wilde Freude gewesen: nun war der Krieg da. Gleich darauf hatte sie die ganze Gefahr erkannt, die aus Alfonsos Kühnheit wachsen mußte. Niederlage, hatte sie gedacht, nun wird Niederlage sein. Vielleicht nicht die Niederlage, aber Niederlage. Das schuf ihr, neben Zorn und Sorge, finstere Genugtuung. In ihr festgehakt hatte sich, was die Mutter von den wohltätigen Folgen einer Niederlage gesagt hatte. Niederlage mehrte die Kraft, heizte die Energie, Niederlage öffnete zehn neue Möglichkeiten; es bereitete ihr einen wunderlichen Kitzel, an Niederlage zu denken.

Sie war sogleich nach Toledo aufgebrochen. »Geh nach Toledo«, hatte die Mutter befohlen. Die verbrecherische Unbesonnenheit, mit welcher Alfonso den moslemischen Gesandten herausgefordert hatte, mehrte nur ihre Liebe. Und immer mischte sich in ihre heiße Sehnsucht nach Alfonso jenes leise, dunkle Frohlocken: Jetzt kommt Niederlage. Jetzt ist es aus mit der andern. Actum est de ea – Es ist um sie geschehen.

Da sie den König in Toledo nicht mehr antraf, hatte sie einen Vorwand gefunden, ihm in den Süden nachzureisen. Don Pedro, der plangemäß ins Gebiet von Valencia eingefallen war und seinen Vormarsch gegen die Hauptstadt Valencia nicht aufgeben wollte, hatte gezögert, Alfonso vor der vertraglich festgesetzten Frist Hilfstruppen zu stellen. Sie aber hatte ihm nun ein bindendes Versprechen abgerungen: er wird binnen längstens sechs Wochen zehntausend Mann schicken, und achthundert Mann schon jetzt, um seinen guten Willen zu zeigen. Dem Alfonso diese glückliche Nachricht zu bringen, reiste sie selber nach Calatrava.

Er kam ihr entgegen, sie zu begrüßen. Sie verbarg nicht ihre helle Freude an seinem Anblick. Hier unter seinen Rittern in der strengen Luft der Festung Calatrava war er ganz der Alfonso, den sie sich wünschte.

Sie berichtete strahlend, wie sie den widerstrebenden Don Pedro dazu vermocht hatte, Verstärkungen schon in wenigen Wochen zu senden. Alfonso dankte ihr herzlich. Verschwieg ihr, daß ihm ihre Botschaft keineswegs willkommen war. Sein Vorhaben, sich dem Kalifen in offener Feldschlacht zu stellen, hatte sich gefestigt. Wenn nun bekannt wurde, daß aragonische Verstärkungen schon in naher Zukunft zu erwarten waren, werden seine Räte und Offiziere seinem Plan noch heftiger widerstreben.

Der betagte Ordensmeister Nuño Perez und Don Manrique de Lara suchten Doña Leonor auf. Der Plan des Königs war trotz seiner Zurückhaltung ruchbar geworden und machte den Umsichtigen unter seinen Freunden große Sorge. Die alten Herren stellten Doña Leonor vor, wie gefährlich das Unterfangen sei und wie wichtig es sei, die aragonischen Truppen abzuwarten. Sie baten die Königin, sie möge Don Alfonso bewegen, von seinem Vorhaben abzustehen.

Doña Leonor erschrak. Sie verstand nichts von Strategie, sie wollte nichts davon wissen, sie und Alfonso waren stillschweigend übereingekommen, daß sie teilhabe an den Staatsgeschäften, doch nicht an der Kriegführung. Dieses Mal aber, das begriff sie, ging es um den Bestand des Reiches. Sie erinnerte sich, wie Alfonso damals gegen die Warnung seiner Ratgeber Sevilla angegriffen hatte, sie ahnte, sie wußte, es war ihm Ernst mit diesem tollkühnen Projekt. Ihre Vernunft sagte ihr, sie müsse sich mit Alfonso aussprechen. Aber sie wollte sich ihm gerade jetzt nicht unlieb machen, sie wollte ihm nicht mit verhaßten Ratschlägen kommen; überdies flüsterte es kitzelnd tief in ihrem Innern: Niederlage.

Liebenswürdig und doch ganz Königin antwortete sie den besorgten Herren: sie verstehe nichts von Fragen der Strategie, sie habe alle die Jahre her niemals mit Alfonso über derlei Fragen gesprochen, sie bewundere seinen kriegerischen Genius, und es stünde der Königin von Kastilien schlecht an, den fürstlichen Mut und die fromme Zuversicht ihres Gemahls mit kleinmütigen Bedenken anzunagen.

Sie blieb zwei Tage und Nächte in der Festung. Es war ihr in aller Eile prächtiges Quartier bereitet worden; denn es ziemte sich nicht, daß sie mit Alfonso im gleichen Hause schlief. Die Kreuzfahrer, so wollte es die Sitte, enthielten sich der Frauen. Doch nahmen nur wenige der Ritter diesen Brauch ernst, und Leonor, nachdem Alfonso bei ihr zu Abend gegessen hatte, erwartete, er werde bleiben. Allein er sagte ihr auf herzliche Art gute Nacht, küßte ihr die Stirn und ging. Und so hielt er’s am zweiten Abend.

Als sie zurückritt, begleitete er sie eine gute Stunde lang.

Sie, als er sich verabschiedet hatte, beantwortete nur einsilbig das Gerede ihrer Begleiter. Bald auch, obwohl eine gute Reiterin, befahl sie ihre Sänfte.

Geschlossenen Auges saß sie in der Sänfte. Alfonso war erfüllt von seinem Krieg, auch war er kein Mann der schnellen, gelegentlichen Liebe. Sie brauchte sich nicht verschmäht zu fühlen. Und bestimmt nicht war es das Gedächtnis der Jüdin, das ihn ihr ferngehalten hatte.

In Toledo hatte sie sich viel mit der andern beschäftigt, mit der Jüdin. Die andere war dort sehr nahe, man mußte an sie denken. Sie saß da unten, die andere, kühn und dumm, sie war in Leonors Gewalt gegeben wie die Stadt und alles ringsum, Leonor brauchte nur zuzugreifen. Das hatte sie nicht eben gedacht, aber gespürt, und jetzt, in der Sänfte, auf dem Weg nach Toledo, dachte sie es. Jetzt auch, in der Sänfte, gegen ihren Willen, trachtete sie, sich die andere deutlich zurückzurufen, Gesicht, Gestalt, Bewegung. Stellte sich vor, wie Raquel nackt ausschauen mochte. Maß sich mit ihr. Sie, Leonor, hatte sich gut gehalten; das hatte sogar die Dame Ellinor anerkannt, die scharf und bös von Urteil war. Daß die andere zehn oder zwölf Jahre nach ihr aus ihrer Mutter Leib gekrochen war, das war es sicher nicht, was Alfonso von Leonor zu der andern gezogen hatte. Es war Hexerei gewesen, ein Fieber, eine böse Krankheit. Und sowie Alfonso wieder ganz er selber ist, nach seiner großen Schlacht, ob sie nun Sieg bringt oder Niederlage, wird er die andere vergessen haben. Sie wäre eine Närrin gewesen, wenn sie sich von den alten Herren hätte bereden lassen, Alfonso von seiner Schlacht abzuraten.

Sie war keine Närrin. Sie war klug, sie war jung, sie war schön, sie war ihrer Sache sicher.

Meldung kam, das moslemische Heer rücke in drei Säulen nach Nordosten vor. Alfonso konnte nicht länger warten, er mußte seinen Räten und Feldhauptleuten seinen Plan eröffnen.

Er berief den Kriegsrat. Enthusiastisch legte er den Plan dar. Er wolle den Moslems entgegenrücken, ins »Gebreite der Arroyos«. Dort, zwischen den tiefen Rissen der ausgetrockneten Bergbäche, habe er die Schlacht geschlagen, die ihm seinen ersten großen Erfolg und die Festung Alarcos gebracht habe. Niemand in Hispanien kenne dieses Gelände so gut wie er. In kühnen, überzeugten Worten stellte er dar, wie er den Kalifen nötigen werde, den tiefern Teil der langsam sich senkenden Ebene einzunehmen, wie er große Teile des feindlichen Heeres, gerade weil es so zahlreich sei, ins Unterholz und in den Wald hineinzwingen werde. Er zweifle nicht am Sieg. Und dann liege das ganze südliche Andalús offen vor ihnen, Córdova, Sevilla, Granada, und der Krieg sei zu Ende, kaum daß er begonnen habe.

Die jüngeren Herren stimmten begeistert zu.

Der alte Don Manrique aber warnte ehrerbietig und dringlich. Es sei mehr als gewagt, einem Heere von so ungeheurer Übermacht eine offene Feldschlacht anzubieten. Erringe man keinen entscheidenden Sieg, dann sei Toledo verloren. Der kriegskundige Baron Vivar pflichtete Manrique bei. »Deine Majestät«, führte er aus, »hat mit Mühe und Kunst die Festungen Calatrava und Alarcos zu den stärksten der Halbinsel gemacht. Im Schutz ihrer Mauern können wir in Ruhe die Ankunft unserer Verbündeten abwarten. Das moslemische Heer ist gerade infolge seiner riesigen Zahl schwer zu verproviantieren; die Belagerung wird es sehr vermindern. Treffen dann die Aragonier ein, so wird unsere Armee der des Kalifen an Stärke nicht mehr so verzweifelt unterlegen sein. Dann, Herr König, wenn Gott es dich heißt, schlage du deine Feldschlacht.«

Don Alfonsos gefurchte Stirn furchte sich noch tiefer. Sein Verstand gab zu: die Argumente des Manrique und des Vivar hatten Hand und Fuß. Aber es war unerträglich, faul hinter den Mauern der Festung zu hocken und abzuwarten, daß der Jüngere, der Fant, ihm Hilfe bringe. Er ließ sich nicht einen Teil seines Sieges wegstehlen. »Es ist mir nicht unbekannt«, antwortete er, »daß ein schlauer Feldherr eine Schlacht gegen eine dreifache oder fünffache Übermacht besser vermeidet. Aber ich kann nicht untätig zuschauen, wie sich der Feind im Land ausbreitet. Mir hitzt sich das Blut. Ein rechter Krieg ist kein Schachspiel, er ist ein Tournier, und den Ausschlag gibt nicht klügelnder Verstand, sondern das starke, fromme Herz. Ein rechter Feldherr riecht sein Schlachtfeld. Mein Schlachtfeld ist das ›Gebreite der Arroyos‹.«

Die Ritter stimmten stürmisch zu.

Nun aber warnte selbst der alte Maëstre Nuño Perez: »Wenn die Armee der Ungläubigen so riesig ist, wie die Späher fest behaupten, dann kann ohne Hilfstruppen kein kastilisches Heer ihr standhalten. Warte auf Aragon, Herr König!«

Alfonso hatte es satt, sich von seinen alten Feldhauptleuten belehren zu lassen; die waren ja lahmherziger als sein Rodrigue. »Ich warte nicht, Don Nuño«, erklärte er. »Begreift mich doch! Ich lasse nicht mein Alarcos, dieses Alarcos, das ich dem Reiche zugefügt habe, umzingeln von den Beschnittenen. Ich werde mit ihnen fertig auch ohne Aragon.«

Allein Don Manrique ließ nicht ab. »Schicke wenigstens erst einen Kurier an Don Pedro!« bat er dringlich. »Wenn man deinen Vertrag mit Aragon engherzig auslegt, dann schreibt er dir vor, zu warten.«

»Ich bin aber nicht engherzig«, antwortete heftig Don Alfonso, »und auch der König von Aragon ist es nicht. Er ist ein christlicher Ritter. Ich brauch ihn nicht erst lange um Erlaubnis zu bitten!« Ruhiger fuhr er fort: »Ich ehre eure Bedenken, aber ich darf mich nicht darum kümmern. Mag der Kalif dreimal mehr Männer haben oder auch fünfmal, wir haben auf unserer Seite das Recht und den allmächtigen Gott. Wir schlagen uns auf dem ›Gebreite der Arroyos‹.«

Nun sich der König entschieden hatte, förderten auch die Zweifler treu und eifrig das Unterfangen. Das Lager wurde auf dem von Alfonso gewählten Gebreite aufgeschlagen. Die Zelte dehnten sich auf dem sanften Hang eines Berges, im Rücken geschützt durch eine immer steiler steigende Höhe, die Flanken gedeckt von den Arroyos, die der Gegend den Namen gaben, tiefen Erdrissen, den Betten reißender Bergbäche, die jetzt ausgetrocknet waren und weithin bedeckt mit weißem und rotem Oleander.

Die moslemische Armee rückte mittlerweile in guter Ordnung näher, in regelmäßigen, kurzen Tagemärschen. Als sie noch zwei Tagemärsche entfernt war, konnte ein jeder ausrechnen, daß die Entscheidungsschlacht am 19. Juli stattfinden werde, am 9. Schawan moslemischer Rechnung.

Es war aber der 9. Schawan ein Sabbat.

Das schuf den jüdischen Soldaten Don Alfonsos große Not. Die dreitausend hatten sich dem König nicht ohne Gewissensqualen zur Verfügung gestellt. Sie wußten, der Kriegsdienst werde sie zwingen, verbotene Speisen zu essen und am Sabbat verbotene Arbeit zu verrichten; in der großen Vorzeit aber hatten sich jüdische Soldaten lieber von Griechen und Römern erschlagen lassen, als daß sie am Sabbat gekämpft hätten. Nun hatten zwar, gemäß einer Jahrhunderte alten Verfügung des Synhedrions, die Doktoren der Aljama die jüdischen Freiwilligen durch den Akt des »Mutar Lach – Es sei dir erlassen« feierlich der Verpflichtung entbunden, die Sabbat- und Speisegesetze zu halten; diese Dispensation galt aber nur für den Fall äußerster Not, und war dieser Fall wirklich gegeben? Mußte sich der König gerade am Sabbat schlagen?

Sie sandten eine Delegation an Don Alfonso, die geführt war von Don Simeon Bar Abba, einem Verwandten des Ephraim. Wenn seine jüdischen Soldaten, setzte dieser dem König auseinander, anders als in äußerster Not heilige Verbote überträten, dann forderten sie Gottes Zorn heraus und beschworen Gefahr und Niederlage herunter auf sich und ihre christlichen Kameraden. Sie fragten die Majestät mit gebührender Ehrfurcht, ob nicht ein anderer Tag für die Schlacht gewählt werden könnte.

Alfonso klopfte dem Don Simeon die Schulter und meinte jovial: »Ich kenne euch als tapfere Soldaten und würde euch gern den Gefallen tun. Aber seht, länger als um einen Tag kann ich die Schlacht nicht verzögern. Ich müßte also am Sonntag kämpfen. Das wäre nun wieder euern christlichen Kameraden nicht recht, und die sind viel zahlreicher. Lassen wir’s also beim Sabbat, und wir alle wollen beten, daß euer Gott euch die Sünde verzeihe.«

Der König, nachdenklich geworden durch die Frömmigkeit der Juden, beriet mit Don Martín, was er selber tun könne, um sich und seinem Heer die Gnade des Allmächtigen zu sichern. Nun hatte auch der Erzbischof jenen »Baum der Schlachten« des Priors Bonet gelesen. Dort war empfohlen, am Tag der Schlacht zu fasten, unter Hinweis darauf, daß der große Ritter und König Saul, ehe er gegen die Feinde focht, einen jeden, der vor Einfall der Nacht esse oder trinke, mit der Strafe des Todes bedroht hatte. Der Erzbischof schlug also vor, es sollten die christlichen Soldaten am Tage der Schlacht fasten; der König Unser Herr könne ihnen ja, um sie nicht zu schwächen, am Abend vorher ein reichliches Mahl vorsetzen. So verfügte denn auch Don Alfonso.

Don Martín seinesteils schickte Kuriere durchs ganze Land bis nach Toledo mit der Weisung, es sollten am Morgen des Schlachttages in Toledo und in allen Ortschaften zwischen Alarcos und Toledo die Glocken geläutet werden.

Am Abend des 18. Juli beschaute der König von der Höhe, von der aus er am nächsten Tage die Schlacht leiten wollte, das eigene Lager und das des Feindes. Dort, wo die Ebene abfiel, lagerte das Heer des Kalifen. Zelt an Zelt reihte sich endlos, und Alfonso und seine Herren wußten: wo der Wald die weitere Sicht verwehrte, bog das feindliche Lager nach dem Westen und weit in den Westen hinein. Lange schaute der König, die Augen mit der Hand beschattend, schweigend, in den Abend über das feindliche Lager.

Die Herren ritten zurück, von den Soldaten überall mit fröhlichem, ehrerbietigem Zuruf begrüßt. Die Soldaten freuten sich des reichen Mahles.

Dann setzten sich die Herren selber zu Tisch in dem Kriegszelt des Königs. Es glänzte prächtig rot und golden, mit Wimpeln und Standarten; auch das Innere war kostbar geschmückt mit Teppichen und Wandbehängen, dem Krieg zu Ehren, dem edelsten Geschäft des Ritters und Königs. Man war gehobenen Mutes, man aß und trank mit Genuß, Bertran sang seine wildesten Lieder.

Doch trennte man sich bald, um sich durch frühen Schlaf für den kommenden Tag zu stärken.

Den König begleiteten freundliche Bilder und Gedanken in den Schlaf. Raquel war da, und er erläuterte ihr die Einzelheiten seines Schlachtplans. Bewies ihr, daß man ein auch an Zahl unterlegenes Heer so aufstellen könne, daß der Sieg gewiß sei. Setzte ihr auseinander, wie er sich den weitern Verlauf des Feldzugs dachte. Wenn er die Armee des Kalifen zerschlagen hat, wird er bis ans Meer vorstoßen. Dann wird er Frieden schließen. Die Küste und Granada wird er dem Kalifen lassen; aber Córdova und Sevilla muß der Beschnittene ihm herausgeben. Sevilla wird er zu einer Grafschaft machen, zur größten des Reiches, und zum Grafen von Sevilla ernennt er den lieben kleinen Bastard Sancho.

Er hörte die leisen Rufe der Wachen, die das nächtliche Lager abschritten. Seine innere Stimme sagte ihm: Das wird ein großer Tag werden, morgen, dieser 19. Juli – er suchte sich auf das Jahr zu besinnen, aber die hispanische Zeitrechnung und die der andern Christenheit gerieten ihm durcheinander, er fand das Jahr nicht und ärgerte sich, daß er dem Rodrigue recht gegeben hatte gegen seinen lieben Freund Don Martín. Aber in seinen Ärger hinein tönten Glocken und feierlicher Jubelgesang, sie sangen das Tedeum seines Sieges, und er schlief ein inmitten von Siegesgeläute.

Er wachte auf inmitten von Glockengeläute. Denn noch vor der Sonne hatten, wie der Erzbischof es befahl, alle Glocken im Lande zu läuten begonnen von Alarcos bis Toledo.

Gleich nach Sonnenaufgang wurde den Soldaten Messe gelesen. Sehr viele empfingen die heilige Kommunion. Feierlich dann wurden die Reliquien gezeigt, welche die einzelnen Abteilungen in die Schlacht begleiten sollten. Die kostbarste, kräftigste Reliquie hatten die Calatrava-Ritter, die Cruz de los Angeles, ein Kreuz, das dem Dritten Alfonso zwei überirdische Pilger auf geheimnisvolle Weise zugestellt hatten. Eine jede Abteilung, Ritter und Knechte, kniete und küßte ihre Reliquie.

Auch vom Lager der Moslems her tönten Gebete. Dort riefen Priester und Offiziere die Krieger an mit den Versen des Korans: »O ihr Gläubigen, fasset Herz! Seid frohen Mutes! Fürchtet niemand außer Allah! Er hilft euch. Er stärkt euch den Fuß, daß er feststeht. Er gibt euch den Sieg.« Und die moslemischen Soldaten warfen sich zur Erde, die Hunderttausende, in der Richtung gegen Mekka, und beteten gellend die Erste Sure des Korans, das Siebengebet: »Im Namen Allahs, des Allbarmherzigen. Preis sei Allah, dem Herrn der Welten, / Dem Wohltätigen, dem Allbarmherzigen, / Dem Richter am Tage des Gerichts. / Du allein bist Unser Gott, dich allein rufen wir um Hilfe an. / Zeig uns den rechten Weg, / Den Weg derer, denen du gnädig bist, / Und nicht den Weg derer, denen du zürnst und die in die Irre gehen.«

Die Schlacht begann.

Die Calatrava-Ritter hatten Befehl, als erste anzugreifen und das Zentrum des Feindes zu durchbrechen. In guter Ordnung hielten sie, ihrer achttausend, auf ihren erlesenen Pferden, weithin glänzend in ihren Rüstungen. Schallend sangen sie ihr Kriegsgebet, den sechzigsten Psalm Davids: »Wer führt mich in eine feste Stadt? Wer geleitet mich bis nach Edom? Mit Gott wollen wir Taten tun. Er wird unsere Feinde untertreten.«

Sie preschten los gegen das Zentrum des Feindes.

»Mit solcher Furie«, berichtet der Chronist Ibn Jachia, »stürmten die Verfluchten, daß ihre Pferde in die Spitzen der moslemischen Lanzen rannten. Zurückgeworfen, wichen sie nur eine kurze Strecke, dann stürmten sie von neuem. Wurden abermals zurückgeworfen. Ein drittes Mal ritten sie ihre schreckliche, wahnwitzige Attacke. ›Haltet aus, ihr Freunde!‹ rief Abu Hafas, der General, der das Zentrum kommandierte. ›Fasset Herz, ihr Gläubigen! Allah von seinem hohen Thron aus steht euch bei.‹ Allein die Verfluchten stürmten jetzt mit solcher Raserei, daß die Reihen der tapfern Moslems brachen. Abu Hafas selber, der General, hielt stand mit Löwenmut, starb kämpfend und erwarb die Märtyrerkrone. Die Verfluchten richteten ein fürchterliches Gemetzel an unter den Truppen des Zentrums; alle moslemischen Soldaten, die dort kämpften, waren von Allah erlesen für die Märtyrerkrone und gingen an diesem 9. Schawan ein in die zehntausend Freuden des Paradieses.«

Alfonso, von seiner Höhe aus, überschaute das Schlachtfeld. Sah, wie die Calatrava-Ritter stürmten, zurückgeworfen wurden, ein zweites Mal stürmten, ein zweites Mal wichen, dann aber die Reihen der Feinde brachen. Und nun drangen sie vor, seine Calatrava-Ritter, unaufhaltsam, und bald werden sie das rote Kriegszelt des Kalifen erreicht haben und den Siegesboten schicken, und dann wird er seinesteils vorstürmen und den Feind vollends aufreiben.

Da schauten sie also, der König und die Seinen, warteten, genossen die Schau. Dort unten, auf dem »Gebreite der Arroyos«, erfüllte sich der Traum des Sängers Bertran de Born; da waren die Stürmenden, die Fallenden und Gefallenen, da war jenes Geschrei: A lor, a lor!, und da hinein: Allah! und: Mohammed!, da war das Wiehern der reiterlosen, todwunden Pferde. Alazars Herz schwoll vor Lust. Er nahm in sich auf die herrliche Wirrnis von Tod, Ruhm, Sieg, Märtyrertum, und es war ihm nur leid, daß Staub und Dunst aufwölkte und ihm den Kampf verhüllte. Aber er sah um sich die wilden, glühenden, freudigen Gesichter des Königs und seiner Ritter, und sein Gesicht war freudig wie das ihre, und er wischte sich die tränenden Augen, nieste sich den Staub aus der Nase und lachte.

Da aber ereignete sich Unerwartetes. Staub und Dunst waren jetzt so dicht, daß man kaum mehr recht erkennen konnte, was geschah. Doch soviel war gewiß: Kampf war plötzlich schon ziemlich nahe an ihrer Höhe, weit also im Rücken der Calatrava-Ritter. Beturbante Reiter tauchten auf in naher Nähe des Lagers. Griffen die jüdischen Abteilungen an, die zur Verteidigung des Lagers bestellt waren. Ja, die Juden waren im Kampf, sie hielten sich wacker, man hörte deutlich ihren geilen, uralten, hebräischen Schlachtruf: »Hedad, hedad!«, sie gaben nicht Raum, sie hielten stand. Aber ihrer waren nur dreitausend, der Feind war sichtlich in der Überzahl, und dunkel, einen Augenblick lang, dachte Alfonso an die Vorhersage Don Simeons, es werde Unheil bringen, am Sabbat zu kämpfen.

Aber wie in aller Welt war es möglich, daß moslemische Reiter so weit vorgedrungen waren? Und in solcher Zahl? Und wo blieben die Calatrava-Ritter?

Der König ahnte, was geschehen war, aber er verbot sich, es zu glauben. Fünfhundert mal tausend Mann, hatten die Späher berichtet, zähle das Heer des Kalifen, und Alfonso hatte gelacht. Aber da wälzte es sich heran, endlos, und aus dem Staub kamen immer neue, beturbante Krieger, zu Fuß und zu Pferde. Alfonso lachte nicht mehr.

Was sich aber ereignet hatte, war dieses. Die Calatrava-Ritter, siegberauscht, waren weitergestürmt in das dichte Gewimmel. Sie achteten nicht der Hitze und des Staubes, der ihnen das Atmen schwer machte. Aus dem dumpfen Lärm, von dem das Schlachtfeld dröhnte, hörten sie nur ihr eigenes Geschrei und das Geschrei derer, die sie töteten. Benommen, halb irr von Kampfgier, wütig um sich hauend, drangen sie immer weiter vor in den sonnverhüllenden Dunst.

Der Oberkommandierende der Moslems, Abdullah Ben Senanid, der Andalusier, der Kriegskundige, Schlachtenkluge, hatte das vorhergesehen. Er ließ die Ritter vordringen, ja, er setzte ihnen dünneren Widerstand entgegen. Auf beiden Flanken aber ließ er mohadische Regimenter vorrücken und jene unheimlichen, weithin treffenden Schleudergeschütze in Stellung bringen. Die mohadischen Soldaten, berühmt als ausgezeichnete Armbrustschützen, schlossen sich, unbemerkt von den stürmenden Calatrava-Rittern, in ihrem Rücken und riegelten sie ab von ihrer Hauptmacht und von ihrem Lager. Und nun geschah hier vor Alarcos, was damals in der Schlacht von Al Hattin geschehen war. Die moslemischen Armbrustschützen beschossen die Pferde der christlichen Ritter, und sowie das Pferd fiel, war der Ritter in seiner schweren Rüstung hilflos. Jetzt auch schleuderten die Geschütze des Kalifen ihre gewaltigen Blöcke in die dichten Reihen der Christen. »Es begann«, berichtet der Chronist Ibn Jachja, »ein fürchterliches Schlachten. Alle waren sie stahlbekleidet, die Ungläubigen, auch ihre Pferde trugen Rüstungen, und sie waren die Blüte ihres Heeres, aber es half ihnen zu nichts. Vor der Schlacht hatten sie ihre drei Götter angerufen und bei ihren Kreuzen geschworen, sie würden in diesem Kampfe nicht den Rücken kehren, solange unter ihnen noch einer am Leben sei. Jetzt, zum Segen der Gläubigen, fügte es Allah, daß sie ihr Gelübde auf den Buchstaben erfüllten.«

Und gleichzeitig, um das feindliche Heer vollends zu vernichten, hatte der moslemische Feldherr, seine ungeheure Übermacht nützend, im Rücken der kämpfenden Ritter seine eigene, erlesene, andalusische Reiterei vorgeschickt zu einem Angriff auf das Lager der Christen.

Das also, dieser Angriff auf das Lager, war es, was Alfonso von seiner Höhe wahrnahm. »Jetzt ist es wohl an uns«, erklärte er grimmig fröhlich. Sie sprengten hinunter, dem Lager zu. Sie waren zahlreich, aber doch zu wenig. Die Massen der Moslems schwollen und schluckten sie ein, sie mußten zurück, bevor sie das Lager erreichten, die Höhe wieder hinauf. Sie hielten indes ihre Reihen geschlossen und ließen es nicht zu, daß die Moslems sie überflügelten. Auch gelang es ihnen immer wieder, sich durch kleine Vorstöße Raum und Luft zu schaffen.

Don Alfonso war mitten im Getümmel. Er dachte nicht mehr an das Ganze der Schlacht, nur mehr an den Kampf in seiner nächsten Nähe. Er atmete nur mit Mühe in dem Staub und in der Hitze, und der mattleuchtende Dunst machte alles vor seinen Augen flirren. Er hörte das Gellen der Hörner, das Schlagen der Trommeln, das wüste Geschrei der Moslems und das: Haut ein! Hilf! Her! der Freunde und über dem allem den dunklen Lärm, der ständig von jeder Richtung her rollte und dröhnte. Er war erfüllt von einer dumpfen Wut, die nicht ohne Wohlgefühl war. Er genoß es, mit seinem guten Schwerte Fulmen Dei zuzuschlagen; er genoß es, wenn der Feind fiel, und auch wenn der Freund fiel, spürte er etwas wie Lust.

Langsam wurden sie zurückgedrängt bis zur Hälfte ihrer eigenen Höhe. Der König befahl einen neuen Vorstoß. Sie preschten – es mochten ihrer noch um die Achthundert sein – hinein in feindliches Fußvolk. Einer der Moslems, aus nächster Nähe, zielte mit dem Speer nach Alfonso. Ehe er werfen konnte, haute Alazar ihn nieder. Der Knabe lachte hell. »Das ist ihm nicht geglückt, Herr König«, rief er in den wüsten Lärm hinein. Aber in der Minute darauf stürzte er selber vom Pferd, getroffen, sein Fuß verfing sich im Steigbügel, er wurde eine kleine Strecke geschleift.

Die andern waren weiter vorgedrungen, vor sich her trieben sie das feindliche Fußvolk den Berg hinunter. Ein wenig Luft entstand um den König und die ihm Nächsten.

Er stieg vom Pferde, noch immer in wütiger Dumpfheit, fast ohne Willen und Bewußtsein. Er bemühte sich um Alazar. Er hob das Visier, er wußte kaum, warum, er nahm dem Knaben den Helm ab und wußte kaum, warum, auch nicht, ob der Knabe ihn noch erkannte. Er dachte vorwurfsvoll, daß Alazar ihm doch die tausend Ritter hätte aussuchen sollen, die er ohne Lösegeld freigeben wollte. Der Knabe atmete hart, sein sonst blaßbräunliches Gesicht sah gerötet und verschwollen aus und inmitten all des Schmutzes, des Blutes, der Hitze, der sichtlichen Qual sehr jung. Alfonso beugte sich tiefer über ihn, sah ihn, sah ihn nicht, sah ihn, sagte mit einer Stimme, die heiser vom vielen Schreien war: »Alazar, mein Junge, mein Treuer.« Alazar hob die Hand, mit Mühe, Alfonso verstand nicht, wozu; später deutete er sich’s so, daß Alazar ihm hatte den Handschuh zurückgeben wollen, und es war ihm leid, daß er’s nicht verstanden hatte. Alazar bewegte die Lippen, Alfonso wußte nicht, ob er sprach. Er glaubte zu hören: »Sag meinem Vater –«, aber er erinnerte sich erst viel später, daß er geglaubt habe, das zu hören; auch hätte er nicht sagen können, in welcher Sprache der Knabe diese Worte gesprochen hatte.

Es schwemmte aber, während er über Alazar gebeugt war, zum erstenmal an diesem Tage und auch jetzt nur sehr trüb inmitten des Geschreies und Geklirres der Gedanke herauf an Raquel, und sogleich auch der Gedanke an Manrique und Nuño Perez, die ihm geraten hatten, innerhalb der Mauern der Festung zu bleiben, und der Gedanke an den zornigen Don Rodrigue. Aber er verweilte nicht bei diesen Gedanken, es war keine Zeit. Auch war keine Zeit, sich länger mit dem Knaben zu befassen; nur schnell noch das Zeichen des Kreuzes über ihn machen konnte er.

Denn nun wälzte es sich abermals herauf durch den Staub und Dunst, und wieder in ungeheuern Massen. Stumpf, in finsterer Wut, schaute Don Alfonso dem Gewimmel entgegen. Endete das niemals? Fünfhundert mal tausend Mann, hatten die Späher gesagt, sie hatten nicht gelogen. »Bisher haben wir es nur mit der Vorhut zu tun gehabt«, scherzte böse der Erzbischof, »jetzt erst kommt der rechte Feind.« Und: »Gut«, sagte Bertran, »so mehr Mütter und Weiber werden um sie klagen.« Und: »Zurück, langsam zurück!« drängten alle. Bertran aber stimmte eines seiner Lieder an:

»Keiner von uns ist Sohn eines Manns,

Der feig im Bette starb.

Und wir selber wünschen nicht andern Tod

Als im Feld und durch kalten Stahl.«

So, langsam, die Gesichter dem Feinde zugekehrt, auf tänzelnden Pferden, wichen sie die Höhe hinauf.

Getümmel war, unübersichtlicher Kampf. Doch als sie am Fuß des letzten, steilsten Teils der Höhe angelangt waren, hatten sie sich von neuem Raum geschaffen, und hier konnte ihnen keiner in den Rücken kommen. Sie atmeten, schauten sich um, suchten, zählten. Es waren ihrer nun um die zweihundert. »Wo ist Don Martín?« fragte Alfonso. »Er ist getroffen«, sagte Garcerán. »Schwer, wie es scheint. Sie suchen ihn über die Höhe zu schaffen, ins Eichengehölz. Sie wollen ihn über den Arroyo bringen.« Und: »Du solltest zurück, Herr König«, bat er dringlich, »solang sie den Weg über den Arroyo noch nicht entdeckt haben.« Es führte nämlich unmittelbar jenseits der Höhe ein gedeckter Pfad ins Eichengehölz und zu einem Übergang über den nördlichen Teil des Arroyos. »Nach ihrem nächsten Sturm«, entschied Don Alfonso, da sich der Feind schon wieder, und dieses Mal sehr nahe, zum Angriff sammelte. Und: »Was ist mit dir, Herr Bertran?« fragte er. »Bist du verwundet?« – »Es sind nur ein paar Finger«, antwortete Bertran mit einer Stimme, die sich mühte, unbefangen zu klingen, und: »Wahrscheinlich werde ich dir nur ein Stück des Handschuhs zurückgeben können«, spaßte er. Dann war man wieder im Getümmel.

Hier, am Fuß der letzten Höhe, löste sich jetzt die Schlacht in verbissene Einzelkämpfe auf. Ein jeder schlug um sich, wild, sinnlos, keiner hielt Fühlung mit keinem. »Und Alfonso, der Verfluchte«, berichtet der Chronist Ibn Jachia, »hob seine Augen von dem Gemetzel und sah die weiße Fahne des Beherrschers der Gläubigen – Allah schütze ihn – schon in nächster Nähe, und er sah die goldenen Buchstaben darauf: ›Allah ist Allah, und Mohammed ist der Prophet Allahs.‹ Da erzitterte das Herz des Verfluchten in großer Angst, und er floh. Und alle die Seinen flohen, und die Moslems verfolgten sie. Der Verfluchte selber entkam über die Höhe, aber die Moslems töteten Unzählige aus seinem Volke und ließen nicht ihre Lanzen von den Hüften der Fliehenden und ihre Schwerter nicht von ihrem Nacken, ehe sie den Durst ihrer Waffen gestillt hatten im Blute der Ungläubigen und sie gezwungen, den bittern Becher des Todes bis zur Neige zu leeren.«

Auf der Höhe, für den Bruchteil eines Augenblicks, sah Alfonso zurück auf das »Gebreite der Arroyos«, sein Schlachtfeld. Staub lag darüber, in Staub war er selber und die Seinen, Staub war auf den Helmen, den Rüstungen. So dicht über dem ganzen Felde war der Staub, daß in ihm der wüste Lärm gedämpft klang, das Klirren und Schreien der Männer, das Stampfen, Trappeln und Wiehern der Pferde, das Schmettern der Trompeten. Auch der König von Kastilien mit seinen hellen Augen konnte in diesem grauen Gespinst von Hitze, Dunst und Staub nur mehr undeutlich unterscheiden, was vor sich ging. Aber er wußte, hier in diesem Staub und Geschrei verreckte sein Ruhm, verreckte Kastilien. Doch ehe er das in Worten ausdenken oder auch nur recht spüren konnte, rissen die Seinen ihn weiter.

Die Moslems mittlerweile plünderten das kastilische Lager. Sie erbeuteten Waffen, Schätze, Kriegswerkzeug, Vorräte jeder Art, auch mehrere hundert edle Jagdfalken, auch viel Kirchengerät, dazu die Galakleider, welche die Calatrava-Ritter bei der Siegesfeier hatten tragen wollen. »Die Zahl der Christen, welche von den Gläubigen erschlagen wurden«, berichtet der Chronist, »kann ich nicht nennen. Niemand konnte sie errechnen. Es waren der toten Christen so viele, daß nur Allah, der auch sie erschaffen hat, ihre Zahl weiß.«

Seit der Schlacht von Zallaka, seit einhundertundzwölf Jahren, hatten die Moslems keinen solchen Sieg auf der Halbinsel erfochten. So ungeheuer war der Schreck der Christen, daß er auch den Verteidigern von Alarcos das Herz lähmte. Schon nach wenigen Tagen übergaben sie diese stärkste Festung Kastiliens. Die Sieger aber, um den Schrecken weiterzuverbreiten, zerstörten mit ihren gewaltigen Kriegsmaschinen die Mauern und die Häuser der Stadt und Festung Alarcos bis in den Grund und bestreuten den Grund mit Salz.