Erstes Kapitel
Vom Norden her, den Pyrenäen zu, durch ihre ausgedehnten fränkischen Länder zog mit großem Gefolge die alte Königin Ellinor.
Am gleichen Tage noch, da sich in Engelland Nachricht verbreitet hatte vom Absterben König Heinrichs, ihres Mannes, war sie aus den Toren des Turmes von Salisbury, ihres Gefängnisses, herausgetreten mit der alten Gewalt, niemand hatte ihr zu wehren gewagt, und hatte die Herrschaft in ihre Hände genommen für ihren Lieblingssohn Richard, der nun König war. Dieser selber, der ungestüme Soldat, die Staatsgeschäfte gerne der klugen, energischen Mutter überlassend, hatte sich bald nach der Krönung eingeschifft zur Kriegsfahrt ins Morgenland. Sie aber durchzog ihr großes Reich, Engelland und die riesigen Besitzungen im Fränkischen, zwang störrische Barone nieder, trieb von widerwilligen Grafen, Prälaten, Städten große Gelder ein, hielt Gau- und Gerichtstage ab, ordnete mit schneller Hand die verworrenen Geschäfte.
Verließ die Grafschaften und Herzogtümer des Nordens, die ihr durch die Heirat mit Heinrich zugefallen waren, zog ein in ihre Erblande, das Poitou, die Guienne, die Gascogne. Hörte die vertrauten Laute der Sprache ihrer Jugend, des Provençalischen, der klingenden Langue d’Oc, atmete die milde Luft der Heimat. Im Norden hatte sich dem unterwürfigen Willkomm, den man ihr bot, viel Angst beigemengt; hier begrüßten die Leute, welche die Straße säumten, die alte Fürstin mit unverstellter Freude. Ihnen war sie mehr als die berühmte Königin des Nordens und Erste Dame der Christenheit, ihnen war sie Ellinor de Guienne, die angestammte Herrin ihres Landes, die rechte Erbin.
Fast neunundsechzig Jahre alt war sie jetzt, und die letzten fünfzehn Jahre hatte sie in Gefangenschaft verbracht; aber stattlich saß sie zu Pferde, sorgfältig gekleidet, kunstvoll geschminkt, das Haar gut frisiert und gefärbt. Vielleicht machte es ihr manchmal Mühe, sich aufrecht zu halten, diese ganze Reise in die noch verschneiten Berge hinein und über die Pässe war Strapaze und Wagnis, aber die alte Frau schrak nicht zurück vor Mühe und Gefahr. Sie spürte, die fünfzehn Jahre Haft hatten sie nicht gelähmt, und das Bewußtsein, daß sie, die vor kurzem noch hilflos zornig im Turm von Salisbury gesessen hatte, jetzt wieder mit festen, geschickten Händen ihr Pferd und ihre Länder lenken konnte, mehrte ihre Kraft. Hell schauten ihre blauen, etwas harten Augen in das vertraute Land. Sie drängte voran, sie befahl lange Tagesreisen und verschmähte es, ihr Pferd gegen Sänfte oder Tragsessel zu tauschen, auch wenn es gegen Abend ging und alle müde waren.
Sie war auf dem Weg nach Kastilien, nach Burgos, um Doña Leonor zu besuchen, ihre Tochter, der Vermählung ihrer Enkelin Berengaria beizuwohnen und das Verlöbnis einer zweiten Enkelin in die Wege zu leiten.
Je tiefer nach dem Süden sie vorstieß, um so größer wurde ihr Gefolge, ihre »Mesnie«. Als man in die Pyrenäen hineintauchte, waren es an die fünfhundert Ritter und zweihundert Frauen und Fräuleins, preux chevaliers et dames choisies, stolze Ritter und erlesene Damen, Prälaten und Barone aus allen ihren Ländern, dazu eine Leibwache von ausgesuchten Routiers, erprobten Söldnern, Brabançons und Cottereaux, die begleitet waren von wohlabgerichteten, scharfen Wachhunden. Ein Troß von mehr als tausend Wagen folgte, Gepäck, notwendigster Hausrat und Proviant, dazu Geschenke für die Bevölkerung. Reitknechte und Wärter führten Pferde und Jagdhunde der Königin und ihrer großen Herren, Falkeniere trugen ihre Lieblingsfalken. So wand sich der Zug bunt und langsam durch die hier und dort noch verschneiten Berge.
An der kastilischen Grenze holten Alfonso und Leonor, Don Pedro von Aragon und die Infantin Berengaria die alte Königin ein. Vor den Toren von Burgos kamen ihr die angesehensten Prälaten und Höflinge der beiden Könige entgegen. Feierlich zog sie in Burgos ein, überall wehten Fahnen, von den Fenstern und Balkonen hingen Gobelins und Tücher, alle Glocken der kirchenreichen Stadt läuteten, die Wege waren bedeckt mit Zweigen und Blumen, die Duft verströmten unter den Hufen der Pferde und den Schuhen der Schreitenden.
Sie war, die wilde und glänzende Ellinor, Jahrzehnte hindurch die am meisten bewunderte und gescholtene Frau Europas gewesen, und nun man sie in der alten Herrlichkeit einherziehen sah, lebten die zahllosen Geschichten auf von ihren Abenteuern im Kriege, in der Staatskunst und in der Liebe. Wie sie der Sporn und das Herz des Zweiten Kreuzzugs gewesen war, einherreitend an der Spitze der Kreuzfahrer, kriegerisch und prächtig gleich der Penthesilea, der Führerin der Amazonen. Wie in der glorreichen Stadt Antiochien König Raymond, ihr jugendlicher Onkel, in uferlose Liebesleidenschaft gefallen war. Wie er und ihr Mann, der König von Francien, der Siebente Louis, sich um sie stritten, bis schließlich ihr Mann sie dem andern mit Gewalt zurück übers Meer entführte. Wie sie diese Gewalt nicht duldete und den Papst bewog, sie von dem König von Francien zu scheiden. Wie sogleich der junge Graf von Anjou zur Stelle war und um sie warb, eben der spätere König Heinrich von Engelland. Wie sie und er das gewaltige Reich schmiedeten. Wie sie Gelehrte an ihren Hof zog, Doktoren und Magister der sieben Wissenschaften und Künste, und Troubadours, Trouvères und Conteurs ohne Zahl. Und wie sie wohl auch dem oder jenem dieser Dichter ihre Gunst schenkte, dem Bernard von Ventadour etwa, obschon er nur der Sohn eines Ofenheizers war. Wie seinesteils Heinrich seine Königin hinterging mit vielen, vor allem aber mit einer, und wie Ellinor ihm diese seine schöne Geliebte Rosamund umbrachte. Wie er dann Ellinor einsperrte und wie sich ihre Söhne für sie erhoben und den Vater bekämpften. Und viele von den Liedern klangen wieder auf, fränkische, provençalische, katalanische, die ihren Hof rühmten, wo edelste Dichtkunst und zierlichste Sitte ihre Stätte hatten. Da sang der Dichter Philipp von Thaün: »Die süße junge Königin zieht alle Gedanken auf sich, wie die Sirene den sinnberaubten Fischer zur Klippe lockt.« Da sang Benoît de Sainte-Maure: »Du Hochgeborene, Erlesene, du Stolze und Kühne, der keine andere Fürstin gleicht, des größten Königs größere, freigebigere Gattin.« Und selbst ein rauher Deutscher hatte gedichtet: »Wär die Welt alle mein / Von dem Meer bis an den Rhein / Ich wollte ihrer darben / Wenn nur die Königin von Engelland / Läge in meinen Armen.«
Diese Lieder und Berichte und Romanzen der Bewunderer, vermischt mit den wilden, von Verwünschungen erfüllten Versen und Erzählungen der Feinde, hatten den meisten aus Ellinor de Guienne etwas Unwirkliches gemacht, eine Gestalt der fernsten Ferne oder eines andern Zeitalters, und sogar jetzt, da sie höchst wirklich in die Stadt Burgos einzog, leibhaft, in Fleisch und Blut, umgeben von ihren Rittern, Damen, Söldnern, Pferden, Hunden, Falken und Schätzen, war es vielen der kastilischen und aragonischen Herren, als ritte sie in einer goldenen Wolke einher. Wie schal und schäbig erschien ihnen ihr Heute, maßen sie es an dem Damals dieser großen Frau. Leuchtend bei ihrem Anblick stieg ihnen empor, was sie vom Zweiten Kreuzzug gehört hatten, der in Wahrheit Königin Ellinors Kreuzzug gewesen war. Damals verließen sich Ritter und Könige nicht krämerhaft auf die Übermacht, es stak nicht Geldgier und schlaue Berechnung hinter dem Kampf, vielmehr kämpfte man nach genauen, edlen Regeln, aus schierer Lust am Kampf, und die Schlacht war nichts anderes als das Tournier, ein edles Spiel auf Leben und Tod. Vierzig Tage lang war der Vasall seinem Herrn verpflichtet, vierzig Tage kämpfte er, und war eine Burg am vierzigsten Tage nicht erobert, dann zog der Ritter ab, auch wenn Gewißheit bestand, sie am einundvierzigsten zu nehmen. Damals gab es keine Routiers, keine gemieteten Söldner aus dem Pöbel, die ohne feine Lebensart nur für den Sieg kämpften. Damals bezeigte man auch dem Feind Courtoisie, selbst wenn dieser dem fremden Gott anhing. Der belagernde Kalif schickte der belagerten christlichen Königin Urraca höflich seinen Leibarzt, damit er ihr in ihrer Krankheit beistehe. Und Krieg fand statt nur von Montag bis Donnerstag; Freitag, Sonnabend und Sonntag war Waffenstillstand, damit ein jeder, Moslem, Jud und Christ, ungestört seinen Ruhetag feiern konnte.
Jetzt werde, glaubten die aragonischen und kastilischen Herren, eine ähnliche große Zeit anbrechen. Im Geist der Dame Ellinor war damals der Zweite Kreuzzug geführt worden; in ihrem Geist wird jetzt hier auf der Halbinsel der Heilige Krieg geführt werden, und sie, die hispanischen Edelleute, werden Gelegenheit haben, sich als wahre Erben der Ritter des Artus und des Charlemagne zu betätigen.
Der junge König Don Pedro ging umher wie schwebend. Welche Gnade Gottes, daß er eine Enkelin dieser glorreichen Fürstin zu seiner Königin machen durfte. Voll der Seligkeit des christlichen Ritters wird er in den Krieg ziehen, ledig der Bosheit und Rachsucht gegen Don Alfonso.
Auch der Schildknappe Alazar verfiel dem Zauber der berühmten alten Königin. In Toledo hatte er manches Mal hämische Blicke in seinem Rücken zu spüren geglaubt, und als der König ihn nach Burgos mitnahm, hatte er gefürchtet, Doña Leonor werde ihn seine verfängliche Verwandtschaft entgelten lassen. Aber sie war von höchster Milde und Freundlichkeit, der König behandelte ihn wie einen jüngeren Bruder, und in Gegenwart der großen Frau Ellinor schmolzen ihm die letzten Zweifel. Die edeln Damen fanden ihn wert, des Königs Don Alfonso Schildknappe zu sein, er war aufgenommen in die christlich ritterliche Welt.
Die ganze Stadt Burgos feierte den Besuch der alten Königin; Tausende waren gekommen, an der Feier teilzunehmen oder aus der festlichen Ansammlung Nutzen zu ziehen. Wirte machten fliegende Schenken auf, Händler boten kostbare Weine und Gewürze an. Die offenen Bogen und Gewölbe, die Fenestrae, in welchen die Kaufleute ihre Waren feilhielten, zeigten Putz und Schmuck aus flämischen, levantinischen, moslemischen Ländern. Pferdehändler und Waffenschmiede machten Geschäfte. Bänker und Wechsler waren da, die Güter der Ritter, die in den Krieg zogen, zu kaufen oder zu beleihen. Und ein Meer von Zirkusvolk war da, Amuletthändler, Huren, Taschendiebe. Das alles lärmte, feilschte, liebelte und liebte, lief in die Kirchen und in die Schenken, war fromm, frech, gutartig, brutal, spreizte sich bunt fröhlich, stank, machte Kinder, sang Hymnen und Sauflieder, freute sich des Lebens, verfluchte den Kalifen und den Sultan und rühmte die glorreiche Königin Ellinor.
Auch bei Hofe hatten die Kämmerer schwere Arbeit, die Gäste geziemend unterzubringen und zu verköstigen, die von überallher aus Kastilien und Aragon kamen, der Vermählung Don Pedros und der Infantin beizuwohnen und der alten Fürstin ihre Aufwartung zu machen. Viele dieser Prälaten, Barone, hohen Räte brachten Bediente mit, Jäger, Stallmeister. Dazu stellten sich wie bei jedem solchen Fest abenteuernde Ritter ein, arme, junge Edelleute, die sich von den Tournieren Geld und Ehre erhofften. Auch an Troubadours fehlte es nicht, an Trouvères, Conteurs; sie wußten, sie waren Doña Leonor und der Dame Ellinor stets willkommen.
Die alte Königin erholte sich nicht erst lange von den Mühsalen der Reise, sie hielt schon am zweiten Tage Hof im großen Saale der Burg. Im Lichte vieler Kerzen saß sie auf der Estrade, auf erhöhtem Stuhl, aufrecht, damenhaft. Etwas dicklich war sie geworden, manchmal fiel ihr das Atmen schwer, sie mußte ein Hüsteln unterdrücken, und unter der Schminke, die im Lauf der Stunden abbröckelte, zeigte sich ein altes Gesicht; aber die sehr blauen, hellen Augen schauten hart und klar, und mit kräftigen, wohlüberlegten, freundlichen Worten nahm sie unermüdlich teil an der Unterhaltung.
Der alte aragonische Graf Ramón Barbastro, der damals mit in Ellinors Heiligen Krieg gezogen war, sprach sehnsüchtig von jenen herrlichen Jahren, und klagte über die traurige Kahlheit der neuen Zeit. Der Krieg hatte seinen Adel verloren, er wurde im Rate vorbereitet und wurde mehr mit der Feder geführt als mit dem Schwert. Nicht die Tapferkeit der Ritter entschied die Schlacht, sondern die Anzahl der Routiers.
Auch zu der Zeit, da sie und der edle Don Ramón jung gewesen seien, antwortete Ellinor, sei der Krieg nicht immer nur Glanz und prächtiges Spiel gewesen. »Wenn ich’s recht überlege«, meinte sie, »dann waren die großen, herzwärmenden Schlachten und Feiern die Ausnahme, die Regel waren die kleinen Leiden: die Märsche durch das endlose, weglose, unbekannte, gefährliche Gelände, die wunden Füße, das überhitzte Blut, der schreckliche Durst, die schlaflosen Nächte mit den giftigen Stechmücken, den juckenden Flöhen und Läusen. Und das Schlimmste: die Acedia, die grauenvolle Langeweile, die endlose Seefahrt, die wochenlangen Märsche ins Unbekannte, das quälende Warten auf die Abteilungen, die morgen kommen sollten oder übermorgen und nach einer Woche noch nicht da waren.« Sie sah die Enttäuschung ihrer Hörer und übermalte lächelnd und kundig das trübe Bild. »Freilich«, sagte sie, »war dann der Lohn um so reicher: die wilde Lust der Schlacht, die Feier in einer eroberten Stadt.« Und sie erzählte von den Festen des Morgenlandes, wie sich da christliche mit moslemischer Pracht gemischt und Gesänge der Troubadours abgewechselt hatten mit Künsten arabischer Tänzerinnen. Die Worte strömten ihr willig zu, aber noch beredter waren ihre Augen. Lächelnd dachte der alte Graf an die beiden Männer, die damals in Antiochien um ihre Gunst gekämpft hatten, der christliche König Raymond und Prinz Saladin, der Neffe und Gesandte des Sultans. »Was diesen Festen ihre Lust gab«, schloß voll sehnsüchtiger Erinnerung die alte Königin, »war, daß wir sie zwischen Schlachten feierten. Gestern war man einem seligen Tode entgangen, morgen vielleicht wird man diesen seligen Tod sterben.«
Erzbischof Don Martín genoß mit ganzem Herzen den Anblick und die Reden der Dame Ellinor. Er war in den Monaten des langen Wartens mürrisch herumgegangen, voll hilflosen Zornes, jetzt, da diese Debora, diese Jaël, die letzten Hindernisse niederriß, die dem guten Krieg noch im Wege standen, blühte er fromm und fröhlich auf. Beschwingt ging er einher; die Rüstung, die er jetzt ständig unter seinem Priestergewand sehen ließ, drückte ihn nicht. Er nahm alle seine Courtoisie zusammen und sagte mit ungelenker, schallender Höflichkeit: »Das Heilige Land hat herrliche Taten gesehen, erhabene Frau, als du dort hinkamst, die Heiden zu zertreten, und wieder stehen ihm gute Zeiten bevor, nun dein strahlender Sohn auf dem Weg ist. Schon füllt der Ruhm deines Richard, sich mit dem deinen mengend, die Moslems mit Entsetzen. Ich habe zuverlässige Nachricht von einem Freunde, dem Bischof von Tyrus. Schon drohen arabische Mütter, wenn ihre Kinder nicht folgen wollen: ›Sei still, du Fratz, sonst kommt der König Richard, der Melek Rik, und holt dich.‹«
Ellinor verbarg nicht ihre Freude an dem Lob ihres Lieblings Richard. »Ja, er ist ein großer Soldat«, stimmte sie bei, »ein rechter Miles Christianus. Aber leicht wird er’s im Morgenland nicht haben«, erzählte sie mit jenem Freimut, den nur sie sich erlaubte. »Ich denke da nicht an den Feind, an den Sultan, ich denke an den Bundesgenossen meines Richard, an unsern lieben Verwandten, den Allerchristlichsten König von Francien. Glanz und Freude sind dessen Sache nicht, er möchte den Krieg so billig wie möglich haben, unser guter Philipp August, er ist ein wenig schäbig, rundheraus. Jetzt möchte er dem Kreuzheer die Damen und Troubadours verbieten. Aber da wird er kein Glück haben bei meinem Richard. Der liebt nun einmal Buntheit und Lärm, das hat er vom Vater, vielleicht ein wenig auch von der Mutter. Wie soll man denn einen Kreuzzug führen ohne Damen und ohne Troubadours? Eines habt ihr uns voraus hier auf der Halbinsel«, wandte sie sich an Alfonso und Pedro. »Ihr müßt nicht wie wir, bevor ihr an den Feind herankommt, die lange, langweilige Meerfahrt überstehen, ihr müßt nicht hundert krumme Verhandlungen führen mit tückischen Griechen und anderm christlichen Gesindel. Der Feind und die Beute liegen greifbar nahe vor euch: Córdova, Sevilla, Granada.«
Lockend vor den Augen aller stieg das Bild der wunderbaren Städte auf, der prächtigen Beute. Und im Geiste des Erzbischofs Don Martín klangen jubelnd ineinander die Namen der moslemischen Städte: Córdova, Sevilla, Granada, und die Worte des Evangeliums: »Ich bringe nicht den Frieden, sondern das Schwert. Allà máchairan.«
Doña Leonor war dem Himmel aus tiefstem Herzen dankbar für den Besuch Ellinors. Sie hatte des Vaters Staatsklugheit bewundert, sein kriegerisches Genie, sie hatte ihn wohl auch ein wenig beneidet um der Bedenkenlosigkeit willen, mit der er seinen Leidenschaften frönte. Die Mutter aber liebte sie über alle Bewunderung hinaus, und die Vorstellung, wie die überaus lebendige, immer nach neuen Taten gierige Frau in Mauern eingeschlossen lag, hatte sie oft und bitter gequält. Als gar diese wüste Liebesverwirrung über Alfonso gekommen war, hatte sie sich brennend danach gesehnt, Ellinor ihren Jammer zu klagen, die Tochter der Mutter, die Königin der Königin, die Gekränkte der Gekränkten, und sich Rats bei ihr zu holen. Nun war Alfonso zwar zu ihr zurückgekehrt, ausgefüllt, wie es schien, von Begeisterung für den Feldzug, und hatte wohl die Jüdin vergessen. Aber wenn auch Leonor ehrlich gewillt war, Alfonsos Betrug und Wortbruch zu verzeihen, so hatten sich ihr doch Erfahrung, Erkenntnis, Enttäuschung zu tief eingebrannt, als daß sie der neuen Verbundenheit getraut hätte, und sie war beglückt, daß sie nun mit der Mutter ihre Hoffnungen und Ängste bereden konnte.
Als Ellinor vom Pferde stieg, als Leonor ihr die Hand küßte, als die alten Lippen der Mutter ihre eigenen jungen berührten, spürte sie leibhaft die tiefe Gemeinschaft. Scharf und hart mit einemmal stand vor ihr lang Versunkenes, Menschen und Begebenheiten, welche sie als Kind gesehen und erlebt hatte in Domfront oder an dem üppigen Hof ihrer Mutter in Poitiers oder auch im Kloster Fontevrault, wo sie heiter und sehr weltlich erzogen worden war. Da war ihre Hofmeisterin, die Dame Agnes von Fronsac. Leonor hatte sie bedrängt, ihr von den Geliebten ihres Vaters Heinrich zu erzählen, und schließlich hatte die Dame Agnes willfahrt; und dann hatte das Kind Leonor verlangt, man solle diese Dame Agnes wegschicken, sie habe ihr, der Prinzessin Leonor, nicht genügend Ehrerbietung bezeigt. Und überaus deutlich vor sich sah sie jene hölzerne Statue des heiligen Georg im Schlosse Domfront. Wenn die Abendsonne auf ihn schien, schaute er besonders drohend aus, und Leonor hatte sich oft vor ihm gefürchtet. Aber mehr noch hatte sie ihn geliebt; es war gut, sich von einem so starken Heiligen beschützt zu wissen, vor allem, da ihr Vater so selten da war. Sie hatte diesen heiligen Georg lebendig gemacht, hatte ihn sich gerettet aus dem Lande ihrer Jugend, da stand er neben ihr und hieß Alfonso. Sie hatten ihn ihr stehlen wollen, die Juden, der Satan oder wer immer. Aber sie hatte sich ihn nicht stehlen lassen. Noch war sie nicht sicher, noch waren die Feinde am Werk, aber hier hatte sie ihn, hier an ihrer Seite, und auch ihre Mutter hatte sie hier, und mit deren Hilfe wird sie die Jüdin für immer vertreiben.
Allein es dauerte eine Weile, ehe sie mit der Mutter reden konnte. Die Geschäfte der Ankunft und der Einrichtung, der Hofhaltung und Repräsentation nahmen die ganzen beiden ersten Tage in Anspruch. Endlich, am dritten Tage, inmitten einer großen Versammlung, sagte unvermittelt Königin Ellinor, nun wolle sie einmal ihre Tochter eine Weile für sich haben, und schickte ohne Umschweife alle andern hinaus.
Als sie allein waren, hieß sie Doña Leonor sich ihr gegenüber setzen, ins volle Licht der Sonne, und musterte sie. Ruhig tauchten ihre harten, sehr blauen Augen in die grünen, prüfenden der Tochter. In der prallen Sonne schien Leonor die Mutter älter und schärfer von Zügen als bisher, doch auch fürstlicher, so recht die Mutter ihres Geschlechts. Im Geiste beugte sie sich vor ihr, liebend, ehrfürchtig, und beschloß, ihr blindlings zu gehorchen.
Die Alte, nach einer Weile, sagte anerkennend zu der Jungen: »Du hast dich gut erhalten.«
Dann, sogleich, begann sie, von den Staats- und Familiengeschäften zu reden. Sie war hier, nicht nur um ihre Tochter zu sehen, sondern vor allem auch, um eine zweite ihrer kastilischen Enkelinnen zu vermählen. »Über den Platz, den ich für sie ausgesucht habe«, sagte sie, »wirst du nicht zu klagen haben. Der Erbprinz dieses Philipp August ist ein netter Junge, dem Vater auf erfreuliche Art unähnlich. Es war kein Osterfest, mit diesem fränkischen König den Heiratsvertrag auszuhandeln, das darf ich wohl sagen. Er hält sich für einen großen Herrscher, er träumt davon, der zweite Charlemagne zu werden, aber er hat keine Größe, er versteht sich nur auf Advokatenmätzchen; damit schmiedet man kein Reich. Immerhin hat er mir viel zu schaffen gemacht, er ist schlau und krumm wie ein Jud. Ich hab ihm schließlich die Grafschaft Evreux ablassen müssen und das Vexin, das ist ein schöner Teil meiner Normandie, dazu dreißigtausend Dukaten. Das alles geht aus meiner Tasche, Kind, du brauchst nichts zu zahlen und hast nur den Vorteil. Du wirst Schwiegermutter des künftigen Königs von Francien, dein Bruder Richard ist Herr in den Ländern, die zwischen deinem Spanien und dem Francien deiner Tochter liegen; eine Zeit wird kommen, da du, wenn du’s nur willst, deine Hand spielen lassen kannst über einen guten Teil der Welt.«
Doña Leonor hörte verhaltenen Atems zu, wie die Mutter mit beiläufigen Worten Pläne vor ihr ausbreitete, die in solche Weite und in solche Zukunft griffen. Es war Leonor klar, daß die Mutter, als sie die normannischen Grafschaften abtrat, vor allem ihr eigenes Reich sichern wollte vor dem Zugriff des gefährlichen Philipp August für die Zeit, da ihr Lieblingssohn Richard auf seiner Kriegsfahrt war. Aber welche Gründe immer hinter diesem Ehevertrag standen, sie, Leonor – damit hatte die Mutter recht –, hatte den Vorteil davon: diese Heirat öffnete ihr einen lockenden Weg zur Macht.
Da hatte sie sich für eine große Regentin gehalten, ihrem Alfonso weit überlegen, weil sie hartnäckig daran arbeitete, Kastilien und Aragon zu vereinigen. Aber über die Pyrenäen hinaus waren ihre Träume nie gegangen. Wie karg und armselig waren ihre Strebungen, maß sie sie an dem staatsmännischen Spiel ihrer Mutter. Die setzte Länder ein vom Westen der Welt bis weit in den Osten, Irland und Schottland und Navarra und Sizilien und das Königreich Jerusalem. Ihr Spielbrett war die Welt.
»Ich habe mir deine Töchter angeschaut, meine Liebe«, sagte jetzt Ellinor. »Sie scheinen gut geraten, sowohl die ältere mit dem häßlichen Namen, heißt sie nicht Urraca?, als auch die jüngere. Ich habe mich noch nicht entschieden, welche wir wählen. Du wirst mir an einem der nächsten Tage beide vorstellen in großer Zeremonie. Wir müssen da wohl auch den Bischof von Beauvais zuziehen als Vertreter Philipp Augusts und seines Erben; aber das ist reine Formalität.«
Was die Mutter sagte, bewegte Leonor. Doch tiefer in ihr war die heiße Erwartung, was ihr die Mutter über Alfonso und die Jüdin sagen werde.
Und nun, endlich, sagte sie: »Ich hörte in meinem Turm von Salisbury allerlei über das, was du mit deinem Alfonso durchzumachen hattest. Es war nichts Genaues, und eins widersprach dem andern, aber ich konnte es mir zusammenreimen; du weißt, ich bin selber nicht ohne Erfahrung in diesen Dingen.« Sie nahm die eine Hand Leonors zwischen ihre beiden, und nun, wohl zum erstenmal, faßte sie in Worte, was sie fühlte. »Dir kann ich es ja sagen«, vertraute sie der Tochter an, »natürlich bin ich froh, daß mein Heinrich in der Erde liegt unter seiner schönen Grabschrift« – und genießerisch zitierte sie:
»König Heinrich war ich von Engelland,
Über ein groß Stück Welt hielt ich die Hand.
Bedenke, der du dieses liest,
Wie klein zuletzt der Größte ist.
Ich kriegte der Erde nie genug,
Jetzt hab ich hier zweimal sieben Schuch.
Er liegt gut dort in seinen zweimal sieben Schuch. Trotzdem wünsche ich, die Erde möge ihm leicht sein. Es ist mir leid um ihn. Ich hab ihm nach dem Leben getrachtet, mehrere Male; einmal wär es mir um ein Haar geglückt, und er wäre hingewesen. Er hat recht gehabt, als er mich einsperrte; ich hätte es an seiner Stelle ebenso gemacht. Ich habe ihn sehr geliebt. Er war der einzige Mann, den ich liebte. Außer einem. Außer zweien. Er war der gescheiteste Mann der Christenheit. Er hatte Vernunft genug, seine Leidenschaft manchmal durchgehen zu lassen. Denn wie soll man sonst leben?« meinte sie duldsam und weise. »Andernteils hat freilich auch meine Freundin recht, die Äbtissin Konstanze: die irdische Liebe ist ein Honiglecken an Dornen.«
Doña Leonor, unvermittelt, sagte: »Mutter, was soll ich mit der Jüdin tun?« Die alte Königin schaute hoch. Lächelnd, fast gemütlich riet sie: »Warte ab, bis die Zeit reif ist, kleine Tochter, ehe du sie aus dem Weg schaffst. Ich habe viel leiden müssen, weil ich nicht warten konnte. Wahrscheinlich wird er sie ohnehin vergessen im Krieg.«
Doña Leonor sagte: »Er hat ein Kind von ihr, einen Sohn.« Sie sprach leise, hilflos.
Die alte Königin überlegte sachlich: »Dem Kind würde ich nichts tun an deiner Stelle. Sie hängen an ihren Bastarden, mehr als an den Müttern. Sogar mein Richard, dem weiß Gott nichts liegt an seinen Weibern, seine Bastarde hat er gern. Heinrich muß ihrer eine Menge gehabt haben. Zwei kenne ich, einen William und einen Geoffrey. Dieser Geoffrey ist ehrgeizig und schielt nach dem Thron. Ich muß ihn an der Leine halten, solang Richard außer Landes ist. Aber er ist ein netter Mensch und tüchtig. Ich hab ihn zum Bischof von York gemacht.«
Leonor sagte: »Ich habe sehr gelitten. Ich hoffe, du hast recht und der Krieg spült sie vollends aus seinem Blut. Aber wer will das wissen? Er hat mir bei seiner Seele geschworen, er werde sie lassen, und kaum hatte er Burgos hinter sich, lief er zu ihr zurück.«
Ellinor sagte: »Kein Feind hat’s mir so schwer gemacht wie dein Vater Heinrich, und er hat mich doch geliebt und ich ihn. Und dein Vater hat seine Söhne geliebt, und sie haben ihn gehaßt, weil er größer war als sie, und er hat sie verzogen, und sie haben ihm mehr Leid zugefügt als er mir, und sicherlich mehr als dir dein Alfonso. Und er hat ihnen verziehen wieder und wieder, und sie haben ihn verlacht und sich von neuem gegen ihn empört. Er hat, als ich noch mit ihm lebte, in Manchester drei Wände unseres Schlafzimmers mit Fresken bemalen lassen, die vierte blieb leer. Als ich jetzt Manchester wiedersah, war auch die vierte Wand bemalt. Da ist zu sehen ein großer, alter Adler mit vier Jungen. Zwei reißen mit ihren Schnäbeln Wunden in seine Flügel, der dritte schlägt ihm die Krallen in die Brust, der vierte hockt ihm auf dem Hals und haut nach seinen Augen.«
Sie hustete, vor Leonor unterdrückte sie den Husten nicht, der sie in den letzten Jahren quälte. Sie schloß die Augen, sie war auf einmal eine alte Frau. Mit geschlossenen Augen und seltsam gleichmäßiger Stimme, als leierte sie ein Gebet, meditierte sie: »Mit Louis habe ich nur Töchter gehabt, das schien mir ein Unglück. Mit Heinrich hatte ich Söhne, aber ob es ein Glück war, weiß ich nicht. Söhne machen Sorgen, wenn sie gut und wenn sie schlecht geraten. Keine Mutter möchte sie sanft haben, ich möchte keinen Heiligen zum Sohn. Doch wenn sie Helden sind, dann schlagen sie um sich, und die andern schlagen nach ihnen, und so soll es wohl auch sein, und sie kommen einem um. Die ersten zweie sind mir umgekommen, und mein dritter Nestling, dein Bruder Richard, macht mir das Herz schwer. Er ist ein lieber Sohn, aber er haust wild, und es ist keine Nacht mehr, da ich nicht schlaflos liege, weil ich Sorgen um ihn habe.«
Sie riß sich zusammen. »Komm näher«, sagte sie, »ganz nahe!« Und mit wilder Vertraulichkeit, leise, befahl sie: »Auf keinen Fall darfst du etwas tun, bevor Alfonso tief verstrickt in seinen Krieg ist. Sowie er im Feld steht, tu, was naheliegt. Geh nach Toledo, übernimm die Regentschaft. Die Moslems sind zähe Feinde, dein Alfonso wird nicht nur Siege erleben. Jedes Unglück hat sein Glück, jede Niederlage bietet Möglichkeiten. Da beschuldigt der General den Minister, der Bischof den General, der Christ den Juden, jeder ist jedem ein Verräter, vielen wird dein jüdischer Escrivano der Schuldige und Verräter sein. Du wirst ihn natürlich verteidigen. Du wirst dich decken vor Alfonso und vor der Welt. Du wirst dich mühen, dem Zorn des Volkes Einhalt zu tun. Aber wer kann das? In solchen Tagen läßt es sich nicht verhüten, daß da und dort Gewalt über das Gesetz siegt, und viele kommen um, Verdächtige und die einem Verdächtigen nahestehen.«
Doña Leonor trank jedes der leisen, harten Worte ein. »Warten«, sagte sie vor sich hin, »warten«, und es war nicht klar, ob sie klagte oder ob sie sich einen Befehl gab. »Ja, warten!« befahl scharf die Mutter. Und: »Geh nach Toledo!« befahl sie. »Das ist eine gute Stadt, und die weiß, wie man mit Feinden umgeht. Schon die alten Könige von Toledo haben es verstanden, die rechte Nacht abzuwarten, bevor sie die Köpfe springen ließen. Una Noche Toledana, eine Toledanische Nacht, sagen sie auch bei uns. Warte ab, und decke dich gut.«
Sie hustete, das leise, scharfe Sprechen strengte sie an. Sie lächelte, schlug um, die kalte Leidenschaft der wilden Greisin wandelte sich in die Courtoisie der Dame, und hatte sie bis jetzt provençalisch gesprochen, so ging sie jetzt ins Lateinische über. »Vielleicht«, meinte sie leichthin, »solltest du den Liebeshandel deines Alfonso einmal auch von seiner andern Seite betrachten. Er hat nämlich auch sein Gutes. Dieser dein Alfonsus Rex Castiliae ist ein großer Ritter, ein wahrer Miles Christianus, aber in der Liebe scheint er mir – nimm mir’s nicht übel – ein wenig verschlafen. Da ist es wohl ein Glück auch für dich, daß er in seinen Mannesjahren noch aufgewacht ist. Ich habe zu meiner Freude gesehen, daß du Funken geben kannst. Ich denke, was du erlebt hast, wird nicht so bald wieder Asche werden.«
Don Alfonso fühlte sich wohl in der Hauptstadt seiner Väter, in der alten, strengen, verwinkelten Burg. Er fühlte sich eins mit Doña Leonor, er hatte vergessen, daß jemals zwischen ihnen Streit gewesen war. Er wurde zum früheren Alfonso, liebenswürdig, generös, strotzend jung.
Die Galiana lag hinter ihm in Vergangenheit und Dunst. Er begriff nicht mehr, wie er es so lange in ihrem faulen, üppigen Frieden hatte aushalten können. Er dachte nur mehr an den gesegneten Krieg, den er jetzt führen wird. Wie es ihn wohl auf der Jagd, an einem heißen Tage, nach einem Bad verlangte, so jetzt sehnte er sich nach diesem Krieg. Für den Krieg war er geboren, der Krieg war sein Geschäft. Der Ruhm seines Schwagers, des Königs Richard, des Melek Rik, spornte ihn an. Ihm, Alfonso, war schon aus den kleinen Feldzügen, die er hatte führen dürfen, Ruhm entsprungen; jetzt wird, im großen Krieg, aus diesem jungen, zarten Schößling seines Ruhmes ein starker Baum werden.
Enthusiastisch, vor dem Erzbischof, erging er sich in Entwürfen seines Krieges. Sie waren wieder vertraute Freunde, Don Martín und er – hatten sie jemals Zerwürfnisse gehabt? Er berief die kriegskundigen Barone Vivar und Gomaz; seine Begeisterung machte sie erfindungsreich. Und ständig gingen Boten hin und her zwischen ihm und Nuño Perez, dem Großmeister von Calatrava, seinem vorzüglichsten General.
Ein Jammer nur, daß er nicht seinen ganzen Tag den Vorbereitungen des Krieges widmen konnte, sondern lange Stunden hindurch ödes Gewäsch anhören mußte über Wirtschaft, Werkstätten, Bürger, Bauern, Zölle, Pfänder, Stadtrechte, Darlehen. Denn leider hatten die beiden Ibn Esras recht gehabt: die vielen Händel Kastiliens mit Aragon waren in der Tat schier unlöslich verfilzt. Gewiß, über das Heiratsgut der Infantin Berengaria hatte man sich rasch geeinigt, so daß die Vermählung stattfinden konnte; aber die Abmachungen, die dem Abschluß der Allianz vorangehen mußten, bereiteten immer neue Schwierigkeiten.
Da war ihm denn der Besuch der Dame Ellinor sehr willkommen. Er hoffte, sie, die erfahrene, staatskluge, tatkräftige Fürstin, werde die Schwierigkeiten in kürzester Zeit lösen.
Freilich schuf ihm ihre Gegenwart auch einiges Mißbehagen. Ihr Gefolge ärgerte ihn, die Mesnie, die sie mitführte, dieses Pack geckenhafter Hofleute. Ließ er den Damen das gezierte Wesen zur Not noch durchgehen, so waren ihm unverständlich und höchst widerwärtig diese Ritter, die, auf ihrem Weg in den Kreuzzug, sich die meiste Zeit in modische, überfeine Tracht kleideten; dazu trugen sie die Gesichter glatt rasiert, als wären sie Joglares, Seiltänzer.
Allein er verzieh, was immer ihn am Wesen der Dame Ellinor verdrießen mochte, über der Umsicht, mit welcher sie die Hindernisse aus dem Weg räumte, die der Allianz entgegenstanden. Souverän beurteilte und entschied sie das Ganze und die Einzelheiten. Sie hatte recht, wenn sie auch heute noch verlangte, als Haupt der Familie angesehen zu werden.
Alfonso war denn auch nur wenig überrascht, als sie ihn eines Tages ohne Federlesens fragte: »Und nun, mein Sohn, erzähl mir einmal, was für eine Art Frau ist sie eigentlich, deine Jüdin, die Schöne?« Gewiß war der König von Kastilien befugt, sich solche Neugier sogar von der Dame Ellinor zu verbitten. Andernteils hatte sie das Recht zu ihrer Frage. Überdies war die Galiana Vergangenheit, er konnte aufrichtig, ruhig und sachlich von Raquel erzählen.
Aber als er sich dazu anschickte, merkte er erstaunt: er wußte nichts von Doña Raquels Wesen und Art; was er wußte, war ungenau, locker, spärlich, es ergab kein Bild. Er, der so stolz war auf sein gutes Gedächtnis, konnte sich seiner Liebsten nur mehr undeutlich erinnern.
»Sie ist in Wahrheit sehr schön«, sagte er endlich. »Es ist keine Schmeichelei, wenn alle sie ›Die Schöne‹ nennen. Sie ist zauberhaft und hat mich eine ganze Weile lang bezaubert«, gab er offen zu. »Aber das ist aus«, fuhr er fort. »Abest, sie ist fort. Sie ist fort aus meinem Geblüt«, schloß er entschieden, endgültig.
Ellinor antwortete freundlich: »Ich hatte gehofft, du würdest sie mir deutlicher schildern können. Liebesgeschichten haben mich von jeher interessiert. Aber ich sehe, zum Troubadour oder zum Conteur eignest du dich wenig. Eines kannst du mir vielleicht klarer beantworten: Wie bist du mit deinem Söhnchen zufrieden? Ist es ein erfreulicher kleiner Bastard?« Alfonso sagte stolz: »Ja, da muß ich ihr und dem Himmel dankbar sein. Einen wohlgeratenen Sohn hat sie mir geboren, schön und fest und groß, wiewohl sie selber eher zart und klein ist. Und klug scheint das Söhnchen; ungewöhnlich lebendige, gescheite Augen hatte es schon vom ersten Tage an.« – »Kein Wunder«, meinte Ellinor, »da ja die Mutter eine Jüdin ist. Wie heißt er übrigens, dein Bastard?« – »Sancho«, sagte Don Alfonso, »und ich will ihm die Grafschaft Olmedo geben.« Vollkommen vergessen hatte er, daß das Söhnchen noch nicht getauft war. »Findest du es richtig, Dame und Mutter«, fragte er, »daß ich ihm die Grafschaft gebe?« – »Hat sie viel Landgut, diese Grafschaft«, erkundigte sich Ellinor, »oder nur eine schöne Burg und ein paar hundert Bauern?« – »Es ist eine sehr reiche Grafschaft, soweit ich unterrichtet bin«, antwortete Alfonso. Ellinor erläuterte: »Es macht nämlich jetzt einen Mann stärker, ertragreiches Landgut zu besitzen als eine turmreiche Burg. Ich habe viele meiner Burgen gegen Landgüter vertauscht. Und wenn dein Bastard groß geworden ist, werden Schlösser noch weniger und Landgüter noch mehr wert sein.« – »Du hast also nichts dagegen einzuwenden, Dame und Königin«, vergewisserte sich Alfonso, »daß ich das Söhnchen zum Grafen von Olmedo mache?« – »Wenn dein Sancho ein erfreulicher Bastard ist«, antwortete bedächtig und entschieden die Königin Ellinor, »dann gehört es sich, daß du ihn gut hältst.«
Zwei Tage später wurden in feierlicher Zeremonie die beiden Prinzessinnen, deren eine die künftige Königin von Francien sein sollte, der alten Ellinor vorgeführt.
Die Versammlung war groß und glänzend. Anwesend waren die Granden und Prälaten Kastiliens und Aragons, dazu die Barone der Königin Ellinor und der Sondergesandte Philipp Augusts von Francien, der Bischof von Beauvais.
Wochenlang hatten beflissene Hände an den Kleidern der beiden Infantinnen gewirkt, genäht und gewoben. So traten sie schön geschmückt vor die edle, wählerische Versammlung, nette Mädchen mit hübschen, weiß und rosigen, fleischigen Kindergesichtern, wohlgeraten, ausgezeichnet erzogen. Sie legten das damenhaft gelassene Betragen an den Tag, das die Courtoisie erforderte und das sie mit viel Mühe erlernt hatten. Innerlich waren sie voll von Befangenheit und dem Bewußtsein ihrer Wichtigkeit; nicht nur ihr eigenes Schicksal, auch das vieler Christenmenschen in manchen Ländern hing vom Ausgang dieser Prüfung ab.
Berengaria, Infantin von Kastilien, Königin von Aragon, auf bevorzugtem Platz auf der Estrade sitzend, betrachtete herablassend die Schwestern. Eine wird also Königin von Francien sein. Was ist das schon? Sie selber, Berengaria, wird einmal Kastilien mit ihrem Aragon vereinigen, vielleicht, wahrscheinlich wird es ihr glücken, León dazuzuschlagen, vielleicht auch Navarra, ja, vielleicht wird ihr Don Pedro, wenn sie ihn anfeuert, ein Gutteil des moslemischen Andalús dazu erobern. Das Gebiet des Königs von Francien ist eingeschnürt, rings an seinen Grenzen sitzt ihr großer Onkel Richard, der sein Engelland hat und einen sehr viel größeren Teil des fränkischen Gebiets als dieser arme König von Francien. Nein, ihre Schwester von Francien wird nicht viel Staat machen können neben ihr selber.
Don Alfonso freute sich seiner schönen Töchter. Er war der alten Königin Ellinor dankbar, daß sie diese Verschwägerung mit Francien in die Wege geleitet hatte; es war gut, daß in dieser Zeit des großen Krieges die Verbundenheit der christlichen Fürsten gefestigt wurde. Er sah das nicht schöne, doch kühne und gescheite Gesicht seiner Ältesten, seiner Berengaria, sah mit einer kleinen Heiterkeit, doch auch mit leisem Ärger den unbändigen Hochmut darauf. Sie verschloß sich jetzt vor ihm noch strenger als früher. Sie verdachte es ihm, daß er »sich verlegen« hatte, sie fühlte sich sichtlich schon als Königin von Aragon und sah in ihrem Vater einen Mann, der ihr Erbe sträflich schlecht verwaltete.
Doña Leonor trug ein rotes Gewand aus schwerem Damast mit einem silbernen Saum, in den Löwen eingewirkt waren; sie wußte, dieses Kleid stand ihr nicht gut, aber heute legte sie’s darauf an, sich von ihren Töchtern überstrahlen zu lassen. Sie war stolz auf diese Töchter, von denen nun zweie auf hohen Thronen Europas sitzen werden. Die Welt wurde klein ohne die Länder, über welche sie, ihre Mutter, ihr Bruder, ihre Töchter Gewalt hatten.
Die alte Ellinor betrachtete mit harten, hellen Augen, die sich nichts vormachen ließen, ihre beiden Enkelinnen. Im stillen hatte sie bereits ein neues Projekt ausgedacht. Diejenige, die sie nicht nach Francien vergibt, wird sie auf den Thron von Portugal setzen; Portugal, infolge seiner guten Häfen, war wichtig für Engelland. Sie wog also: welche paßt besser nach Paris, welche nach Lissabon? Sie prüfte die beiden Mädchen mit fast ungeschliffener Gründlichkeit. Richtete unverblümte Fragen an sie, hieß sie näher kommen, um ihren Gang zu beobachten, hieß sie ein weniges singen, fragte sie aus lateinisch und provençalisch. »Nette Mädchen«, sagte sie schließlich zu Doña Leonor, doch so laut, daß jeder es hören konnte, »erfreuliche Prinzessinnen. Sie haben einiges von Alfonsos kastilischen Vätern, mehr von meinen Vätern von Poitou und merkwürdig wenig von den Plantagenets.« Dann wandte sie sich nochmals an die Infantinnen und fragte die ältere: »Wie heißt du doch, Prinzessin?« – »Urraca, Frau Großmutter und Königin«, erwiderte sie, und die andere sagte: »Ich bin Doña Blanca, Frau Königin.«
Später waren Ellinor, Alfonso und Leonor allein mit dem Bischof von Beauvais, dem Sondergesandten des Königs von Francien. »Welche hat dir besser gefallen, Hochwürdigster?« fragte Ellinor den Bischof. Höflich und vorsichtig antwortete der Prälat: »Jede verdient, Königin zu sein.« – »Das finde ich auch«, sagte Ellinor. »Aber da ist eines zu erwägen. In Francien wird man Schwierigkeiten haben, den Namen Urraca auszusprechen. Das mindert die Popularität dieser Infantin. Ich denke, wir geben deinem Erbprinzen Louis unsere Doña Blanca.«
So wurde entschieden. Kaum ein Tag verging, ohne daß der Hof von Burgos ein Fest zu Ehren der Dame Ellinor und der Neuvermählten gab. Die alte Königin zog sich besser an und richtete sich geschickter her als viele Damen, welche ihre letzten Jahre nicht im Gefängnis verbracht hatten, sondern in Kreisen, welche Stoffe, Kleider, Schmuck und Schminke gründlich studierten und diskutierten. Sie schritt im Tanz kundig und geschmeidig wie eine Junge. Sie hatte kennerische Freude an Speisen und Weinen. Sie saß gut zu Pferde und bewährte sich auf der Jagd. Auch wenn sie auf der Tribüne den Kampfspielen zuschaute, bezeigte sie Sachverständnis. Und unbestritten war ihr Urteil, wenn die Damen die Dichtungen der Troubadours und Conteurs zu werten hatten.
So viel Kraft sie brauchte für Jagd und Tanz und Fest und Lied, die Aufmerksamkeit und Energie, mit der sie den Anschluß der Allianz betrieb, wurde dadurch nicht geringer. Sie ging methodisch vor. Erst einmal hatten sich Don Alfonso und Don Pedro feierlich durch Unterschrift und Siegel verpflichten müssen, sich ihrem, Ellinor de Guiennes, Schiedsspruch zu fügen; sie hatte sich eine solche Erklärung auch von Doña Leonor und vorsichtshalber sogar von Doña Berengaria ausstellen lassen. Dann beschied sie die vornehmsten Räte der beiden Könige zu sich, jeden zunächst einzeln, stellte ihnen kurze, gescheite Fragen, konfrontierte die Minister, deren Aussagen und Meinungen einander widersprachen, erkundete, was immer zur Sache gehörte.
Berief einen Kronrat ein, alle Minister der Länder Aragon und Kastilien. Es fehlten nur Don Jehuda und Don Rodrigue; sie wurden in Toledo festgehalten durch die Verwaltung des Reiches.
»Ich gebe jetzt mein Arbitrium bekannt«, erklärte Ellinor. Sie nahm vor jenes alte, ehrwürdige Schriftstück, welches die Lehenshoheit Kastiliens über Aragon festsetzte, und entfaltete das nun gebrechliche, vergilbte Pergament, von welchem groß die beiden Siegel hingen und das alle sogleich erkannten. »Zuerst einmal«, verkündete sie, »erkläre ich das hier für ungültig. Non valet, deleatur«, und mit festen Händen zerriß sie das Pergament in zwei Fetzen. »Deletum est«, stellte sie fest.
Don Alfonso hatte seinerzeit, als Jehuda den König Heinrich zum Schiedsrichter vorschlug, dessen Urteil mit schlechtem Gewissen angerufen; Ellinor hingegen war ihm als die von Gott geschickte Richterin erschienen. Nun aber, da er sah, wie das teure Pergament, das ihm Macht gab über den Fant, vernichtet wurde, dieses berühmte, verhängnisvolle Schriftstück, um welches so viele Ritter und Pferde hatten sterben müssen, war ihm, als rissen die Hände dieser alten Frau an seinem lebendigen Leib.
Ellinor ging jetzt ein auf jene neunzehn wirtschaftlichen Streitfragen, von denen damals Jehuda erklärt hatte, ihre Entscheidung bestimme, welchem der beiden Länder die Vorherrschaft auf der Halbinsel zufallen werde. Auf den Sueldo genau grenzte sie Rechte und Pflichten Kastiliens und Aragons ab. Kastilien und Aragon hörten zu, bald zufrieden, bald unmutig.
Zuletzt verkündete die alte Fürstin ihr Urteil über die Ansprüche des Gutierre de Castro. Don Alfonso solle ihm eine Buße – sie vermied nicht das harte Wort – von zweitausend Goldmaravedi zahlen. Das war eine außerordentlich hohe Buße, die Hörer verbargen kaum ihre Erregung. »Andernteils«, fuhr Ellinor beiläufig fort, »bleibt jenes Castillo in Toledo, auf welches der Castro Rechte zu haben glaubt, Eigentum Don Alfonsos, beziehungsweise des Mannes, der es mittels gültigen Kaufvertrags erworben hat. Es bleibt Castillo Ibn Esra.« Doña Leonor konnte nicht verhindern, daß ihr Gesicht blaß wurde vor Empörung. Alfonso aber, der diesen Bescheid nicht zu erhoffen gewagt hatte, atmete erleichtert auf; es wäre ihm eine sehr unwillkommene Verpflichtung gewesen, dem Juden gerade jetzt das Castillo wegzunehmen.
»Ich denke, wir sind zu Ende«, sagte die Dame Ellinor. »Ich habe die einzelnen Schriftstücke ausarbeiten lassen und bitte die zuständigen Herren, sie ihren Königen zur Unterzeichnung vorzulegen. Es ist aber, was darin verfügt wird, durch meine Unterschrift unter dem Schiedsspruch schon heute Gesetz.«
Später – sie hatte die zornige Überraschung Doña Leonors sehr wohl bemerkt – erklärte sie ihr: »Du bist immer noch nicht klug geworden, kleine Tochter. Dir schwemmt noch immer Leidenschaft die Vernunft weg. Versuche doch zu begreifen, daß es der Gipfel der Torheit wäre, wenn wir, du und ich, dem Juden Krieg ansagten. Und wünschest du etwa, daß der Castro versöhnt werde? Sieh lieber zu, daß er auch in Zukunft dem Juden an den frech herausgestreckten Hals will.«
Sie wartete, bis sich ihre Worte in Leonor eingesenkt hatten. »Mach dir’s zum Grundsatz, Tochter von Kastilien«, mahnte sie dann, »einem Fordernden niemals alles zu geben, was er verlangt. So hab ich’s von der Mutter meines Heinrich gelernt, der hochseligen Kaiserin Mathilde. Sie hat mir’s eingeprägt: ›Wer von seinem Falken guten Dienst haben will, darf ihm den Fraß nicht geben, er muß den Fraß vor ihm baumeln lassen.‹ Laß das Castillo vor dem Castro baumeln, Doña Leonor.«
Eine Weile später sagte sie: »Sei nicht böse, wenn ich dich manchmal hart anfasse und dich schelte. Ich weiß genau, was du gut gemacht hast und daß du viel Hindernis hast aus dem Weg räumen müssen, ehe diese Heirat und diese Allianz zustande kam. Du hast Talent zur Politik. Es ist wohl das letztemal, daß ich dich sehe, und ich möchte gerne deine Lust an der Politik höher schüren. Lust an der Macht ist unter den Leidenschaften die haltbarste.« Sie schloß die Augen und sprach aus ihrem Innern: »Es ist ein gewaltiger Spaß, Menschen hierhin jagen und dorthin, Städte bauen, Länder zusammenschmieden und wieder auseinanderreißen. Was aufrichten, ist Freude, und was zerstören, ist Freude. Ein rechter Sieg ist Freude, aber ich möchte auch meine Niederlagen nicht missen. Sag es nicht weiter: ich habe sogar an der Exkommunikation meinen Spaß gehabt. Wenn da der Bannfluch kommt mit Buch, Glocke und Kerze, wenn die Altäre dunkel werden und die Bilder verhängt und die Glocken verstummen, dann wächst einem ein reißender Wille, die Kerzen wieder anzuzünden und die Glocken wieder zu läuten, ein unbändiger Wille, der den Witz schärft. Alle Mittel und Wege überlegt man: soll man’s mit dem Papst halten, der ist, und ihn schlau sänftigen? Oder soll man einen Gegenpapst einsetzen, der dem andern die Kerzen löscht und die Glocken stumm macht?«
Doña Leonor trank hingegeben die leisen Worte ein. Sie war der Mutter dankbar, daß sie sie in ihr Vertrauen einließ. Sie wird sich bewähren.
Ellinor öffnete die Augen und schaute der Tochter voll ins Gesicht. »Ein großes Herz«, sagte sie, »hat notwendig viele leere Stellen. Da nistet sich leicht die Langeweile ein, die Melancholie, die große Feindin, die Acedia. Man braucht eine gute Menge Leidenschaft, die leeren Stellen zu füllen. Nach Macht jagen, nach mehr Macht, ist ein großes, gutes, haltbares Feuer. Glaub es mir, Tochter, Politik kann einem das Blut hitzen wie die schönste Liebesnacht.«