1. Kapitel

Das Blaulicht auf dem Dach des Streifenwagens flackerte über die kahlen Winterbäume. Officer T. J. Banks hielt auf dem Seitenstreifen. Er schaltete den Suchscheinwerfer ein und leuchtete den Rand des Feldes ab, wo Getreidehalme in der Kälte zitterten. Etwa zwanzig Meter entfernt standen sechs Jersey-Rinder im Wassergraben und käuten in aller Ruhe wieder.

»Blöde Viecher«, murmelte er. Genau wie Hühner gehörten Rinder bestimmt mit zu den dümmsten Tieren der Welt.

Er aktivierte das Funksprechgerät. »Zentrale, siebenundvierzig hier.«

»Was gibt’s, T. J.?«, fragte Mona, die nachts in der Telefonzentrale arbeitete.

»Ich hab hier ’nen 1054. Stutz’ verdammte Kühe sind wieder mal ausgebrochen.«

»Das ist das zweite Mal in einer Woche.«

»Und immer in meiner Schicht.«

»Was willst du machen? Er hat kein Telefon.«

Der Blick auf die Uhr im Armaturenbrett verriet ihm, dass es fast zwei war. »Also, ich bleib bestimmt nicht hier draußen in der Scheißkälte und passe auf die dämlichen Viecher auf.«

»Vielleicht solltest du sie einfach erschießen.«

»Bring mich nicht in Versuchung.« Er blickte sich um und seufzte. Um diese Uhrzeit stellten Tiere auf der Straße ein großes Unfallrisiko dar. Es brauchte nur einer zu schnell um die Kurve kommen und schon war’s passiert. Er dachte an den ganzen Papierkram, den ein Unfall nach sich zog, und schüttelte den Kopf. »Ich stell ein paar Warnleuchten auf, fahr zu Stutz und hol seinen amischen Arsch aus dem Bett.«

»Melde dich, wenn du Hilfe brauchst.« Sie kicherte.

Er zerrte den Reißverschluss seiner Jacke bis hoch zum Kinn, nahm die Taschenlampe aus der Vertiefung neben dem Sitz und verließ den Streifenwagen. Es war so kalt, dass ihm die Nasenhaare gefroren. Beim Gehen knirschten seine Stiefel im Schnee und sein Atem formte weiße Wölkchen in der Luft. Die Nachtschicht war ihm fast so verhasst wie der Winter.

Er leuchtete mit der Taschenlampe den Zaun ab und fand in zirka sechs Metern Entfernung tatsächlich eine Stelle, wo der Stacheldraht lose am knorrigen Pfahl hing. Zahlreiche Hufabdrücke belegten, dass auch die Kühe die Öffnung entdeckt hatten.

»Verdammte Mistviecher.«

T. J. ging zum Streifenwagen zurück, holte zwei Warnleuchten aus dem Kofferraum und platzierte sie auf dem Mittelstreifen, um die Autofahrer zu warnen. Gerade wollte er umkehren, da bemerkte er auf der Standspur der gegenüberliegenden Straßenseite etwas im Schnee. Neugierig ging er hin. Ein einzelner Frauenschuh, der in Anbetracht des guten Zustands und der fehlenden Schneeschicht darauf noch nicht lange dort liegen konnte. Wahrscheinlich Teenager. Der einsame Straßenabschnitt war beliebt, um ungestört Haschisch zu rauchen und Sex zu haben. Die Kids waren fast so dumm wie die Kühe.

Missbilligend runzelte er die Stirn, stieß mit dem Fuß an den Schuh. Erst da bemerkte er die Schleifspur. Anscheinend war hier etwas durch den Schnee gezogen worden. Mit dem Schein der Taschenlampe folgte er der Spur bis zum Zaun und weiter ins Feld dahinter. Plötzlich tauchte Blut im Lichtkegel auf. Viel Blut. Ihm sträubten sich die Nackenhaare.

»Was zum Teufel ist das denn?«

Er stapfte durch den Wassergraben, wo verdörrtes Gras aus der Schneeschicht ragte, und kletterte über den Zaun. Dahinter fand er noch mehr Blut, dunkel und glänzend im blütenweißen Schnee. So viel, dass einem ganz anders werden konnte.

Die Schleifspur führte ihn in die Nähe einer Gruppe kahler Milchorangenbäume am Rande eines Kornfelds. T. J. konnte seinen eigenen Atem hören, begleitet vom Wispern der abgestorbenen Getreidehalme um ihn herum. Die Hand auf dem Revolver, leuchtete er mit der Taschenlampe einen Radius von dreihundertsechzig Grad ab. Und sah wieder etwas im Schnee.

Vielleicht doch ein angefahrenes Tier, das sich bis hierhin geschleppt hatte und dann verendet war. Aber als er näher kam, blieb der Strahl seiner Taschenlampe auf etwas ganz anderem hängen – bleichem Fleisch, dunklen Haaren, einem nackten Fuß. Bei dem Anblick wurde ihm übel. »Heilige Scheiße.«

Einen Moment lang war T. J. unfähig, sich zu rühren. Wie gebannt starrte er auf die dunkle Blutlache und das bleiche Fleisch. Dann riss er sich zusammen und ging neben dem Körper in die Hocke. War es möglich, dass sie noch lebte? Er streckte die Hand aus und berührte die nackte Schulter. Ihre Haut war eiskalt. Er drehte sie trotzdem um, sah aber nur mehr Blut, fahles Fleisch und glasige Augen, die ihn anzustarren schienen.

Erschüttert wich er zurück. Seine Hand zitterte, als er nach dem Ansteckmikro am Kragen tastete. »Zentrale! Siebenundvierzig hier!«

»Was denn jetzt noch, T. J.? Hat ’ne Kuh dir Beine gemacht und dich einen Baum hochgejagt?«

»Auf Stutz’ Weide liegt ’ne Leiche.«

»Was?«

Sie benutzten in Painters Mill das Zehn-Code-System, aber die Nummer für einen Leichenfund fiel ihm beim besten Willen nicht ein. Die hatte er noch nie gebraucht. »Ich hab gesagt, hier liegt eine Leiche.«

»Das hab ich schon verstanden.« Schweigen. Anscheinend hatte es ihr die Sprache verschlagen. Dann: »Was ist dein Zwanzig?«

»Dog Leg Road, gleich südlich der überdachten Brücke.«

Erneute Pause. »Wer ist es?«

In Painters Mill kannte jeder jeden, doch diese Frau hatte er noch nie gesehen. »Ich weiß es nicht. Eine Frau. Nackt wie Gott sie schuf und toter als Elvis.«

»Ein Autounfall?«

»Das war kein Unfall.« T. J. legte die Hand auf den Griff seiner .38er und ließ den Blick zu den Schatten zwischen den Bäumen wandern. Sein Herz klopfte heftig. »Ruf lieber den Chief an, Mona. Ich glaube, sie ist ermordet worden.«