35. Kapitel
Ich sehe ihm dabei zu, wie er mir die Stiefel auszieht. Draußen wütet der Schneesturm und lässt das alte Haus ächzen und stöhnen. Obwohl der Heizofen auf Hochtouren läuft, ist der Raum kalt. Meine Arme und Beine zittern unkontrolliert. Ich weiß nicht mehr, ob vor Kälte oder dem Grauen, das mich erfüllt. Ich denke an das letzte Gespräch mit John und frage mich, ob er mir das mit Detrick geglaubt hat. Ob er mich sucht. Ob irgendwer mich sucht. Oder ob ich genauso enden werde wie die anderen Frauen.
Detrick stellt meine Stiefel beiseite und blickt mich an. Selbst in dem düsteren Licht sehe ich den Hunger in seinen Augen brennen, leuchtend und heiß. Ich bin so angewidert, dass mein Magen rebelliert.
»Du zitterst ja«, sagt er. »Das gefällt mir. Das gefällt mir sogar sehr.«
Ich sehe ihm direkt in die Augen, will meine Wut heraufbeschwören, denn alles ist besser als diese Angst, die mich lähmt. »Du warst das an dem Abend im Wald, stimmt’s?«
»Ich hatte ihren Schlüpfer verloren, war mir glatt aus der Hosentasche gefallen.« Er grinst. »War ziemlich knapp, was?«
»Warum machst du das?«
Die Frage scheint ihn zu amüsieren. »Meine Mami war nicht gemein zu mir, und mein Daddy hat mich nicht vergewaltigt, falls du das meinst.«
»Ich will nur wissen, warum.«
»Es gefällt mir. Schon immer. Ich bin sozusagen ein Fall wie aus dem Lehrbuch. Hab als Kind mit Tieren angefangen. Mit acht hab ich ein Kätzchen getötet und dabei ’nen Ständer gekriegt wie nie zuvor.«
Während er spricht, mache ich im Kopf eine Bestandsaufnahme meines körperlichen Zustands. Meine Zehen sind taub vor Kälte. Meine Fußgelenke sind steif von den Fesseln. Meine Hände sind noch zusammengebunden, aber meine Beine sind frei. Ich kann kämpfen. Ich kann rennen.
»Ich will dich aufreißen«, sagt er. »Ich will hören, wie du schreist und stöhnst. Ich will sehen, wie dir die Augen rausquellen.« Er fasst sich an die Hose und reibt seinen Penis. »Siehst du, was ich meine? Es ist wie bei dem verdammten Pawlow’schen Hund. Ich stelle mir vor, wie ich dich schneide, und dann muss ich’s machen. Ich muss dir weh tun, und dann kann ich abspritzen. Mein Schwanz gibt mir so lange keine Ruhe, bis es vollbracht ist.«
Ich unterdrücke ein Schaudern. »Wenn ich heute Nacht sterbe, werden die Cops alles in Bewegung setzen. Sie werden es rauskriegen. Und sie wissen, dass Jonas Hershberger nicht der Mörder ist.«
»Erzähl nur weiter, Kate. Ich mag den Klang deiner Stimme.«
Mein Atem geht zu schnell, zu flach. Ich habe Angst, große Angst.
Er kniet nieder und nähert sich mir. Ich schrecke zurück, doch er packt mich bei den Haaren und zerrt mich zu sich heran. »Ich zieh dir jetzt die Hose aus. Du wirst stillliegen wie ’ne gute kleine Schlampe und lässt mich machen. Sonst kommt wieder der Elektroschocker zum Einsatz. Kapiert?«
Er stößt mich auf den Rücken. Meine Ellbogen und Hände bohren sich in den Fußboden, doch ich wehre mich nicht. Noch nicht. Soll er doch glauben, dass er leichtes Spiel mit mir hat.
Als er meine Jacke beiseiteschiebt und meine Hose aufmacht, zucke ich zusammen. Seine Hände sind rau, und zum ersten Mal zittern sie. Sein Atem wird schneller. Trotz der Kälte steht Schweiß auf seiner Stirn.
»Ich werde dir weh tun. Es wird schlimm werden, Kate. Schlimmer als alles, was du dir vorstellen kannst. Du wirst schreien.«
Er zerrt meine Jeans über die Hüften nach unten, über die Knie, die Knöchel, fegt sie beiseite. Die Luft ist eiskalt an meinen nackten Beinen, ich setze mich auf, will mich bedecken. Da trifft mich sein Schlag unvorbereitet, die flache Hand klatscht so fest auf meine Wange, dass ich Sterne sehe. Ich falle zurück, doch drehe mich sofort auf die Seite, um nicht auf meinen gefesselten Armen zu liegen.
Er knurrt etwas Unverständliches und zerrt mich an den Haaren hoch. Meine Kopfhaut schmerzt furchtbar. Der zweite Schlag ist wie eine Stange Dynamit, die in meinem Kopf explodiert. Ich falle zurück und liege still, mit brennender Wange.
Detrick steht über mir, macht die Hose auf und schiebt sie runter bis zu den Knien. Er sieht auf mich hinab, der Mund zu einem permanenten Zähnefletschen verzerrt. »Du wirst die Beste, die ich bis jetzt hatte«, flüstert er.
Sein erigierter Penis schwingt leicht auf und ab, purpurrot und knollig. Er greift in die Brusttasche seines Hemdes, holt ein Kondom heraus und reißt die Verpackung auf. Mit zittrigen Händen schiebt er es sich drüber. Der Anblick seiner rasierten Lenden schockiert mich, sollte er aber nicht. Ich hatte recht: deshalb haben die Techniker im Labor nie Haare gefunden. Ich sehe das glänzende Gleitmittel auf dem Kondom und muss an die anderen Frauen denken, die das gleiche Schicksal erlitten haben, dem ich jetzt entgegensehe.
Das Grauen drückt wie ein kalter Fels auf meine Brust. Ekel wühlt in meinen Eingeweiden. Die Vergewaltigung wird schlimm sein, doch ich weiß, dass mich heute Nacht noch viel Schlimmeres erwartet. Ich versuche, wie eine Polizistin zu denken. Ich muss offensiv agieren. Seinen wunden Punkt finden. Doch in diesem Moment fühle ich mich wieder wie vierzehn und bin vor Entsetzen wie gelähmt.
Er stopft die Kondomverpackung in die Hemdtasche und kniet sich vor mich. Er wird mich wieder schlagen, ich sehe es in seinen Augen. Wilde Gedanken toben mir durch den Kopf. Tausend entrüstete Schreie stecken mir im Hals. Seine Hose rutscht auf die Knöchel. Das macht ihn verwundbar. Meine Beine sind frei. Meine Oberschenkelmuskeln sind richtig kräftig. Ich habe nur eine Sekunde zum Reagieren.
Ich ziehe beide Beine an und trete ihm mit voller Wucht gegen die Brust. Er stößt einen tierischen Laut aus, taumelt zurück, landet auf dem Rücken und wirft dabei das Heizgerät um. Hoffnung flackert in mir auf, als sich Petroleum und Flammen über den Holzfußboden ergießen.
In springe auf die Füße, kicke seinen Mantel in die Flammen. Zwei Meter von mir entfernt schießt Detrick hoch, reißt sich mit wutverzerrtem Gesicht die Hose hoch. Sein Blick schnellt von mir zum Feuer. Ein hysterischer Lacher entflieht meinem Mund, als mir klar wird, dass er nicht weiß, wer oder was die größere Gefahr darstellt.
Er macht einen Satz auf mich zu. Ich drehe mich um und laufe. Wo habe ich zuletzt die Kimber gesehen? Auf dem Boden? Dem Kaminsims? Ich habe keine Zeit zum Suchen und renne zur Tür, versuche den Knauf mit meinen im Rücken gefesselten Händen zu drehen.
Da packen seine Hände meine Schultern und ich stoße einen Schrei aus. Er zerrt mich zurück, wirft mich auf den Boden. Hätte ich mich doch nur durchs Fenster gehechtet, ist alles, was ich denken kann.
Ich trete wild, aber ziellos um mich, lande ein paar Treffer. Er flucht lautstark. Schlägt mit den Fäusten auf meine Beine, doch der Schmerz ist mir egal. Wenn ich aufhöre zu treten, bin ich tot.
Ich kämpfe wie nie zuvor, nehme vage das kaum einen Meter entfernte Feuer wahr. Rauch und Petroleum steigen mir in die Nase. Sein Mantel brennt neben dem Heizgerät. Der Boden fängt Feuer, Flammen züngeln hoch in die Luft. Der Gedanke, dass jemand den Lichtschein sieht, gibt mir neue Hoffnung.
Doch die wird umgehend zunichtegemacht, als er sich auf mich wirft. Der erste Schlag trifft mein Kinn. Ich versuche mich zu drehen, wegzurollen, doch er ist zu schwer. Ich trete mit dem rechten Bein, aber der Winkel ist schlecht. Der zweite Schlag trifft mich an der Schläfe. Mein Kopf knallt auf den Boden, weiße Lichter explodieren hinter meinen Augen. Er schlägt mich wieder, und ich höre meinen Wangenknochen krachen. Schmerz brennt in meinen Nasenhöhlen, meine Sicht verdunkelt sich und ich kämpfe gegen eine Ohnmacht an.
Du musst bei Bewusstsein bleiben! Kämpfe!
Mein Verstand singt die Worte wie ein Mantra. Ich versuche einen Kopfstoß, doch diesmal ist er vorbereitet. Fluchend knallt er mir die Faust in die Magengrube. Mir bleibt die Luft weg. Ich muss würgen, schnappe nach Luft, doch meine Lunge streikt.
Dann spüre ich seine Hände um meinen Hals. Er ist unheimlich stark. Ich öffne den Mund zum Atmen, doch er drückt mir die Kehle zu. Panik überkommt mich. Ich drehe und winde mich unter ihm, sehe Sterne am Rand meines Gesichtsfelds. Meine Zunge quillt aus dem Mund, meine Augen treten hervor. Und ich frage mich, ob sich so Sterben anfühlt.
Dunkle Finger greifen nach mir. Ich höre seine Stimme, verstehe aber nichts. Langsam verliere ich das Bewusstsein. Aber ich will leben. Leben! Und dann wird es dunkel um mich herum und ich stürze in den Abgrund.
Hätte das Feuer nicht die Fenster erhellt, wäre John an dem Haus vorbeigefahren. Zuerst hatte er es für Einbildung gehalten, dass die Beleuchtung des Armaturenbretts ihm einen Streich spielte. Dann sah er es wieder. Ein gelber Lichtschein durch die scheinbar undurchdringliche Schneewand.
Autoscheinwerfer? Taschenlampe? Ein Feuer?
Er machte die Scheinwerfer aus und blieb mit dem Tahoe mitten auf der Straße stehen. Die Sig zog er aus dem Schulterholster, lud sie durch, um eine Patrone schussbereit im Lauf zu haben. Als er die Autotür öffnete, peitschten Schnee und Wind auf ihn ein. Die Sichtweite betrug nur noch wenige Meter. Er kämpfte sich zum Haus vor. Nach zehn Metern sah er wieder Licht aufflackern und wäre fast auf das Auto in der Auffahrt geprallt. Er wusste sofort, dass es Detricks Suburban war. Gleich dahinter stand Kates Mustang, mit einer Abschleppstange daran befestigt.
John zog sein Mobiltelefon aus der Jackentasche und rief Glock an. »Ich hab sie gefunden.« Er konnte kaum seine Stimme hören, so laut heulte der Wind. »Das leerstehende Haus nahe Killbuck.«
»Ich bin auf dem Weg.«
John schob das Telefon zurück in die Tasche. Er hatte keine Ahnung, was ihn da drinnen erwartete. Doch zwei Umstände waren auf seiner Seite: Erstens wusste er, dass Detrick seine Opfer ziemlich lange am Leben hielt. Und zweitens bot der Schneesturm die perfekte Deckung.