Siebenundvierzig
Kurz nachdem die drei gegangen waren, läutete das Telefon.
»Mr. Garber, hier ist Detective Julie Stryker.« Die Ermittlerin im Mord an Theo Stamos.
»Hi«, sagte ich
»Ich habe eine Frage an Sie. Warum könnte Theo Stamos Ihnen einen Brief geschrieben haben?«
»Einen Brief?«
»Genau.«
»War’s ein Drohbrief? Ich habe ihm gesagt, dass er von mir keine Aufträge mehr bekommt. So einen Brief haben Sie gefunden?«
»Er lag in einem Stapel anderer Papiere auf dem Küchentisch. Sieht so aus, als habe er sich Notizen gemacht. Weil er Ihnen einen Brief schreiben wollte. Vielleicht wollte er Sie auch anrufen. Und vorher seine Gedanken ordnen.«
»Was steht in den Notizen?«
»Anscheinend sollte es eine Art Entschuldigung werden, vielleicht sogar ein Geständnis. Können Sie sich vorstellen, was er Ihnen gestehen wollte?«
»Ich habe Ihnen doch von dem Haus erzählt, in dem er die Elektroinstallationen gemacht hat und das dann abgebrannt ist.«
»Kürzlich gab es einen Zwischenfall zwischen Ihnen beiden. Ich habe mit einem Hank Simmons gesprochen. Mr. Stamos hat auf einer seiner Baustellen gearbeitet.«
»Ja.« Mir war klar, dass sie es früher oder später sowieso rausfinden würde. »Ich habe ihn mit ein paar Neuigkeiten konfrontiert. Ich hatte gerade von der Feuerwehr gehört, dass die Elektroteile, die er in dem abgebrannten Haus verwendet hatte, nichts taugten. Sie haben den Brand verursacht.«
»Das haben Sie mir aber heute Vormittag nicht gesagt.«
»Das mit den Elektroteilen habe ich Ihnen gesagt.«
»Laut Aussage von Mr. Simmons haben Sie Mr. Stamos … Gummihoden vom Wagen geschnitten?«
»Ja«, sagte ich.
Pause. »Kann ich Ihnen, ehrlich gesagt, nicht verdenken.«
Mir wurde klar, dass es nicht sehr klug war, mit ihr zu reden. Leg auf und ruf Edwin an, dachte ich. War ich durch meine Auseinandersetzung mit Theo verdächtig? Immerhin war ich auch da oben bei seinem Wohnmobil gewesen. Ich hatte die Leiche gefunden. Glaubte Stryker, dass ich etwas mit dem Mord zu tun hatte?
Aber wenn sie mich für verdächtig hielt, würde sie mir all diese Fragen am Telefon stellen? Hätte da nicht schon ein Streifenwagen vor meinem Haus auf mich gewartet?
Und dann hatten sie natürlich Doug in Gewahrsam.
»Darum ging’s also in dieser Entschuldigung?«, fragte ich. »Um den Brand?«
»Schwer zu sagen. Ganz oben auf dem Blatt steht Ihr Name, darunter ein paar Worte. Ich lese Ihnen vor, was er geschrieben hat. Denken Sie daran, das Ganze sind nur Fragmente. Nur Halbsätze, noch dazu in einer Sauklaue geschrieben. Und mit der Rechtschreibung hatte er’s auch nicht so.«
»Alles klar.«
»Mal sehen … ja, hier. ›Mr. Garber, Ihr Urteil über mich, nicht fair‹ und ›das mit Wilson tut mir leid‹. Wer ist Wilson?«
»Das abgebrannte Haus war für die Wilsons.«
»Gut. Dann ›versuche nur, über die Runden zu kommen‹ und ›dachte die Teile sind‹, das sieht aus wie n, o, vielleicht ein r und ein m und –«
»›Normgerecht‹ wahrscheinlich. Er dachte, die Teile entsprächen den Vorschriften.«
»Und ›kann es nicht mehr vertuschen‹. Ergibt das für Sie einen Sinn?«
»Nein«, sagte ich.
»Und das Letzte, was da steht, ist ›mit Ihrer Frau tut mir leid‹. Warum sollte ihm etwas leidtun, das Ihre Frau betrifft, Mr. Garber?«
Mich fröstelte. »Steht da noch mehr darüber?«
»Das ist alles. Was könnte das sein, was Ihre Frau betrifft und ihm leidtut? Ist sie da? Könnten Sie sie ans Telefon holen?«
»Meine Frau ist tot.«
»Oh«, sagte Stryker. »Wann ist sie denn verschieden?«
»Vor fast drei Wochen.«
»Erst?«
»Ja.«
»War sie krank?«
»Nein«, sagte ich. »Jemand ist ihr in den Wagen gefahren. Dabei wurde sie getötet.«
Ich spürte, wie ihr Interesse wuchs. »War Mr. Stamos schuld an diesem Unfall? Könnte es das sein, was ihm leidgetan hat?«
»Ich weiß nicht, warum er das schreibt. Er ist ihr nicht reingefahren.«
»Dann hatte er also mit dem Unfall nichts zu tun?«
»Nein … nein«, sagte ich.
»Sie haben da ein wenig gezögert.«
»Nein«, wiederholte ich. Was, zum Teufel, hatte das zu bedeuten? Warum hatte Theo das geschrieben? Natürlich hatten viele Leute etwas in der Art gesagt. Das mit Sheila tut mir leid.Aber hier passte es überhaupt nicht her. Es ergab keinen Sinn.
»Ich kapier’s nicht«, sagte ich. »Jetzt habe ich eine Frage an Sie.«
»Schießen Sie los.«
»Sind Sie sich sicher, was Doug betrifft? Glauben Sie wirklich, dass er Theo umgebracht hat?«
»Wir haben ihn angeklagt, Mr. Garber. Das ist meine Antwort.«
»Was ist mit der Pistole, die Sie im Wagen gefunden haben? Ich wette, dass Dougs Fingerabdrücke da nicht drauf sind. Auch wenn es die Waffe ist, mit der Theo erschossen wurde.«
Pause. »Wie kommen Sie darauf?«
»Ich habe mich in letzter Zeit zu wenig um Doug gekümmert. Jetzt bin ich wieder voll für ihn da. Ich glaube nicht, dass er es war. Er hat nicht das Zeug zum Mörder.«
»Wer war’s dann?«
Da war ich im Moment überfragt. Ich schwieg.
»Also, wenn Ihnen dazu etwas einfällt, rufen Sie mich an.«
Jemand hämmerte an meine Haustür.
»Betsy«, sagte ich, als ich öffnete.
Sie stand auf der Veranda, eine Hand in die Hüfte gestemmt, und sah aus, als würde sie mir am liebsten eine reinhauen. Am Straßenrand stand ein Wagen im Leerlauf, hinter dem Lenkrad saß ihre Mutter.
»Ich komme wegen Dougs Pick-up«, sagte sie.
»Wie bitte?«
»Die Polizei hat meinen Wagen. Die haben ihn in irgendein Kriminallabor gebracht, und ich brauche einen fahrbaren Untersatz. Ich will Dougs Wagen.«
»Komm morgen vorbei«, sagte ich. »Wenn ich wieder im Büro bin.«
»Ich hab den Schlüssel für seinen Wagen, aber ich habe keinen Schlüssel fürs Tor. Gib ihn mir, dann hol ich mir den Pick-up.«
»Ich geb dir überhaupt keine Schlüssel, Betsy. Bis morgen kann deine Mutter dich doch fahren.«
»Wenn du mir nicht traust und Angst hast, dass ich dir mit deinem heißgeliebten Elektrospielzeug durchbrenne, dann komm mit und sperr mir auf, damit ich den Pick-up holen kann. Dauert keine fünf Minuten.«
»Es war ein langer Tag, und ich hab noch zu tun«, sagte ich.
»Was du nicht sagst!«, sagte sie, mittlerweile mit beiden Händen an den Hüften. »Du hattest also einen schweren Tag. Zuerst verlier ich mein Haus, und am nächsten Tag wird mein Mann wegen Mordes verhaftet. Aber du hattest einen schweren Tag.«
Ich seufzte. »Willst du reinkommen?«
Sie erwog das Angebot und kam dann ohne ein weiteres Wort ins Haus.
»Erzähl mir, wie’s Doug geht«, forderte ich sie auf.
»Wie’s ihm geht? Ja, Scheiße, was glaubst du denn, wie’s ihm geht?«
»Betsy, es interessiert mich wirklich. Wie geht’s ihm?«
»Weiß ich nicht«, sagte sie. »Ich hab ihn nicht gesehen.«
»Sie lassen dich nicht zu ihm?«
Diese Frage mochte sie nicht, sie sah weg. »Ich hatte noch nicht wirklich Gelegenheit dazu. Aber wahrscheinlich haben sie ihn irgendwo eingesperrt, wo ich ihn eh nicht besuchen kann.« Sie blickte kurz auf ihre Hände hinunter, die kaum merklich zu zittern schienen. »Gott, ich bin mit den Nerven am Ende.« Sie schob die Hände in die Vordertaschen ihrer hautengen Jeans.
»Hast du ihm einen Anwalt besorgt?«
Sie lachte. »Einen Anwalt? Soll das ein Witz sein? Glaubst du wirklich, ich kann mir einen Anwalt leisten?«
»Was ist mit einem Pflichtverteidiger?«
»Ja, klar. Wie gut würde so einer wohl sein?«
Ich dachte an das Geld in der Wand meines Bürokellers. Mit dem könnte ich einen Anwalt für Doug engagieren.
»Außerdem«, fügte Betsy hinzu, »habe ich auch noch was anderes zu tun.«
»Den Pick-up zu holen, ist das deine erste Priorität?«
»Ich brauch einen Wagen. Meine Mutter braucht ihren selbst.«
»Hast du ihn schon aufgegeben, Betsy? Ist es so? Dich interessiert gar nicht mehr, was aus ihm wird?«
»Natürlich interessiert’s mich. Aber jetzt haben sie ihn. Sie hätten ihn nicht angeklagt, wenn sie nicht was gegen ihn in der Hand hätten, sagt meine Mom. Ich meine, die wissen wahrscheinlich, dass er da oben war, bei Theos Wohnmobil. Da ist diese Waffe im Auto, und sie sagen, das ist die, mit der er erschossen wurde. Was brauchst du denn noch? Ich wusste nicht mal, dass er eine Knarre hatte.« Sie schüttelte den Kopf. »Da denkt man, man kennt jemand.«
»Ich wusste nicht, dass du so kalt bist, Betsy.«
»Ich will nur ein anständiges Leben«, sagte sie. »Ich hab was Besseres verdient als das hier. Ist das ein Verbrechen?«
»Doug hat einmal, nur so im Spaß, zu mir gesagt, dass er sich manchmal fragt, ob du irgendwo Geld gehortet hast. Wie kommt er auf so was, was meinst du?«
»Wenn ich irgendwo ein geheimes Geldversteck hätte, würde ich dann bei meiner Mutter wohnen und dich anbetteln, dass ich mir die elende Schrottkarre von meinem Mann holen darf?«
»Das ist keine Antwort, Betsy. Hat Doug recht? Hast du irgendwo Geld auf die Seite gebracht? Mir ist nicht entgangen, dass die Stapel von Rechnungen in eurer Küche dich nicht davon abgehalten haben, einkaufen zu gehen. Du warst immer noch flüssig, obwohl eure Kreditkarten wahrscheinlich schon längst gesperrt waren.«
»Ich fass es nicht. Echt nicht. Glaubst du, ich geh auf den Strich oder so was?«
»Nein«, sagte ich. Aber interessant war es schon, dass sie das sagte, wenn ich an das dachte, was ich über Ann Slocum erfahren hatte.
Sie schüttelte zornig den Kopf. »Na gut, manchmal hilft mir meine Mom aus der Klemme. Sie steckt mir schon mal ein paar Scheine zu.«
»Betsy, sag mir die Wahrheit.«
»Wenn du’s unbedingt wissen musst: Sie sieht vielleicht nicht aus, als hätte sie Geld zum Verprassen, aber da war so ein Onkel, von dem hat sie vor ein paar Jahren was geerbt. So an die achtzigtausend, nachdem sie das Haus verkauft hatte. Sie war die einzige Verwandte, also hat sie’s bekommen.«
»Wusste Doug Bescheid?«
»Himmel nein. Ich bin doch nicht blöd. Sie hat mir manchmal was zugesteckt, wenn wir knapp waren oder wenn wir die Raten für die Kreditkarten nicht zahlen konnten.« Sie lachte. »Wenn die ganzen Banken uns dauernd Kreditkarten schicken, warum sollen wir sie dann nicht benutzen? Ich sag da jedenfalls nicht nein.«
»Damit hast du dein Haus verloren, Betsy.«
Die Hände wanderten von den Hosentaschen wieder zu den Hüften. »Wie kommst du eigentlich auf die Idee, dass du besser bist als alle anderen? Kommt man damit auf die Welt, oder kriegt man das erst mit der Zeit?«
»Was hast du gemacht, als Doug zu Theo gefahren ist?«
»Häh?«, machte sie. »Wovon redest du?«
»Das war nur eine Frage, Betsy. Was hast du gemacht, während Doug unterwegs war?«
»Ich wusste nicht mal, dass er weg war, bis ich in der Früh aufgestanden bin und mein Wagen war weg. Was soll ich denn gemacht haben? Geschlafen hab ich.«
»Warst du schon mal oben bei Theo?«
»Was? Nein. Was soll ich da oben?«
»Woher weißt du dann, dass er in einem Wohnmobil wohnt?«
»Was?«
»Gerade vor einer Minute hast du gesagt, dass er bei Theos Wohnmobil war. Woher weißt du das?«
»Was soll diese Fragerei? Wahrscheinlich hat’s die Polizei mir gesagt, keine Ahnung. Was hat dich denn gebissen? Und kann ich mir den Pick-up jetzt holen oder nicht?«
»Komm morgen vorbei«, sagte ich. »Wenn ich nicht da bin, dann vielleicht Sally. Oder KF. Irgendjemand wird dir schon helfen. Aber im Moment haben wir geschlossen.«
Ich brachte sie zur Tür und schloss hinter ihr ab.
Ich musste die ganze Zeit an das denken, was Doug gesagt hatte: dass er und Betsy bei ihrer Mutter nicht mal im selben Zimmer schliefen. Es wäre also nicht ausgeschlossen, dass Betsy um die Zeit, zu der Doug das Haus verließ, um zu Theo zu fahren, gar nicht daheim gewesen war.
Sie hätte weiß Gott wo sein können.
Keine Ahnung, worauf ich mit meinen Spekulationen hinauswollte, warum ich Betsy unterstellte, dass sie … Das kam wahrscheinlich davon, dass es ihr anscheinend völlig egal war, wie es mit Doug weiterging. Er war in Haft, und sie besuchte ihn nicht mal. Anscheinend gab sie sich mit der Version der Ereignisse zufrieden, die sie von der Polizei bekommen hatte.
Genau wie Darren Slocum hatte Betsy kein Interesse, den Dingen auf den Grund zu gehen. Sie fand sich einfach mit den Tatsachen ab.