Sechsunddreissig

Das richtige Haus in der Ward Street zu finden war keine Hexerei. In diesem Teil von Milford gibt es viele ältere, malerische Häuser mit den gleichen architektonischen Besonderheiten, wie man sie bei Villen in Badeorten auf Martha’s Vineyard oder irgendwo oben auf Cape Cod vermuten würde. Sheila und ich hatten manchmal davon gesprochen, in diese Gegend zu ziehen, die nur ein paar Straßen von uns entfernt lag. Aber ob man nun in derselben Straße umzog oder quer über den Kontinent, der Aufwand beim Zusammenpacken war immer derselbe.

Doch solche Gespräche waren schon lange her.

Es war ein einstöckiges Gebäude mit grünen Schindeln, das mit seinen kunstvoll geschnitzten Fassadenornamenten aussah wie ein Pfefferkuchenhaus. Wie ich erwartet hatte, stand ein Schuttcontainer in der Einfahrt. Vor dem Haus und seitlich davon parkten drei Pick-ups. Den ersten wies die Türaufschrift als Installateur aus, den zweiten als Baufirma. Auf dem dritten stand »Elektro Theo«. Einen Meter dahinter schnitt ein Arbeiter auf einem aus zwei Sägeböcken improvisierten Tisch mit einer Handkreissäge Kanthölzer in kleinere Stücke.

»Hey«, sagte ich. »Alles klar?«

Er nickte, dann sah er meinen Namen auf der Tür meines Pick-up »Kann ich Ihnen helfen?«

»Glen Garber«, sagte ich. »Sind Sie hier der Boss?«

»Nee, ich bin Pete. Hank ist der Boss. Hank Simmons. Er ist drinnen.«

Ich kannte Hank. Im Laufe der Jahre lernte man die anderen Leute in der Stadt kennen, die dasselbe machten wie man selbst.

»Und Theo? Ist er da?«

»Sein Wagen steht hier, also kann er nicht weit sein.«

»Danke.« Ich trat einen Schritt näher und bewunderte die Kreissäge. »Hübsch. Ist das eine Makita?«

»Genau.«

»Darf ich mal sehen?«

Er hob die Säge hoch und reichte sie mir. Ich nahm sie ihm ab, spürte ihr Gewicht in der Hand, drückte kurz auf den Schalter, um sie aufjaulen zu hören. »Sehr hübsch«, sagte ich. Ich zog ein paarmal am Verlängerungskabel, damit ich bis zum Heck von Theos Pick-up kam.

»Was machen Sie da?«

Ich hockte mich vor den dekorativen, fleischfarbenen Sack, der von der Stoßstange hing, und sah zu, dass ich einen sicheren Stand hatte. Bei solch heiklen Operationen will man schließlich keine Unfälle riskieren.

»Mensch, was machen Sie denn da?«

Ich schob die Schutzabdeckung über dem runden Sägeblatt zurück, hielt sie mit einer Hand fest und drückte dann mit dem Zeigefinger auf den Schalter. Kreischend erwachte die Säge zum Leben. Ich stützte den Ellbogen aufs Knie und durchschnitt die Aufhängung von Theos Stoßstangenschmuck. Als der Sack zu Boden fiel, nahm ich den Finger vom Schalter.

Ich ließ die Schutzabdeckung zurückgleiten, und als die Säge verstummt war, gab ich sie Pete wieder.

»Wirklich ein tolles Werkzeug«, sagte ich. »Danke.«

»Sind Sie übergeschnappt?«, fragte er. »Vollkommen bescheuert?«

Ich bückte mich, als höbe ich einen Golfball auf, nahm die Plastikhoden und ließ sie zweimal in meiner Hand hüpfen. »Theo ist drinnen, haben Sie gesagt?«

Pete nickte fassungslos.

»Gut, dann bring ich ihm die jetzt«, sagte ich und machte mich auf den Weg. Pete blieb stehen. Zweifellos überlegte er, ob er weiterarbeiten oder mir folgen sollte, um zu sehen, wie es weiterging.

Er beschloss zu bleiben, wo er war, schaltete die Säge aber nicht mehr ein.

Als ich durch die offene Haustür trat, hörte ich Arbeitsgeräusche durch das Haus hallen. Irgendwo hämmerte jemand, von anderswo kam das Zischen einer Nagelpistole, Männer riefen sich etwas zu. Das Hallen kam daher, dass das Haus völlig ohne Möbel und Teppiche war.

Ein Mann in den Sechzigern stand in der Diele und musterte mich von oben bis unten. »Hey, Glen Garber, alter Mistkerl. Wie geht’s denn immer?«

»Ganz gut, Hank«, sagte ich. »Baust du noch immer Häuser, die einstürzen, wenn man die Tür zuschlägt?«

»Mehr oder weniger.« Er erblickte die Truck Nuts in meiner Hand. »Ich lass meine ja lieber in der Hose, aber jeder, wie er will.«

»Ich suche Theo.«

»Oben. Kann ich dir irgendwie helfen?«

»Nein, aber könnte sein, dass ich dir helfen kann. Ich komm nachher noch mal vorbei.«

Ich stieg die Treppe hoch, die mit einer transparenten Plastikplane bedeckt war, um den Stufenbelag zu schonen. Im ersten Stock angekommen, rief ich nach Theo.

»Hier drin!«, schrie er zurück.

Ich fand ihn in einem leeren Schlafzimmer. Er kniete auf dem Boden und isolierte Drähte für neue Steckdosen ab. Ich blieb in der Tür stehen.

»Hey, Glen«, sagte er. »Was führt Sie denn her?«

Ich warf ihm die abgeschnittenen Hoden vor die Knie. »Ich glaube, das sind Ihre.«

Er sah auf sie hinunter, und sein Gesicht rötete sich vor Wut. »Sind Sie übergeschnappt?«

»Sie waren es, Sie Dreckschwein«, sagte ich.

»Was?«, fragte er und stand auf. »Was war ich?«

»Die Feuerwehr hat mir Bescheid gesagt.«

»Aha. Soll heißen?« Er blickte auf seine Gummihoden hinunter wie auf einen überfahrenen Hund.

»Soll heißen, dass Sie mein Haus abgefackelt haben. Die Teile, die Sie in den Sicherungskasten eingebaut haben, waren Schrott.«

»Ich hab keine Ahnung, wovon Sie reden.«

»Ich glaube, ich weiß jetzt, wie das läuft«, sagte ich. »Sie machen einen Kostenvoranschlag mit den Preisen für amerikanische Originalteile, dann kaufen Sie die gefälschten aus China, oder wo immer der Scheiß herkommt, zu einem Bruchteil dessen, was die echten Dinger kosten, und machen einen kräftigen Reibach. Das Problem ist nur, das Zeug taugt nichts. Es hält die Last nicht aus. Und die Schutzschalter lösen nicht aus. Und dann geht ein Haus halt in Flammen auf.«

Da stand Hank Simmons auf einmal hinter mir. »Was ist hier los?«

»Sperr mal die Ohren auf«, sagte ich über die Schulter zu ihm. »Das wird dich nämlich auch interessieren.«

»Sie können doch nicht einfach rumgehen und solche Sachen behaupten«, sagte Theo. Und mit einem letzten Blick auf seinen kastrierten Stoßstangenschmuck fügte er hinzu: »Und Sie lassen Ihre Dreckfinger von anderer Leute Wagen.«

»Ich hab mir nur gedacht, wenn einer selbst keine hat, braucht er erst recht keine an der Stoßstange.«

Ich war auf alles gefasst.

Als er zum Schlag ausholte, duckte ich mich und boxte ihm mit aller Kraft in den Magen. Doch dem Kampf fehlte es an Dramatik. Der erste Schlag war auch der letzte. Theo ging zu Boden.

»Scheiße!«, stöhnte er und hielt sich den Bauch.

Hank packte mich am Arm, aber ich schüttelte ihn ab. »Mensch, Glen, was, zum Teufel, ist in dich gefahren? Du kannst doch nicht einfach hier –«

Ich zeigte auf den Mann auf dem Boden und sagte zu Hank: »Wenn ich du wäre, würde ich mir alles, was er in diesem Haus installiert hat, sehr genau ansehen. Der Typ hat eins meiner Häuser abgefackelt.«

»… nichts damit zu tun«, keuchte Theo.

»Dieses Haus in der Shelter Cove Road?«, fragte Hank.

»Er hat gefälschte Teile eingebaut«, sagte ich.

»Verdammt.«

»Kannst du laut sagen. Und die Versicherungen zahlen nicht so gerne, wenn man ein Haus mit solchem Mist baut.«

»Er hat auch noch auf zwei anderen Baustellen von mir gearbeitet«, sagte Hank besorgt. Er sah auf Theo hinunter und fragte ihn: »Stimmt das? Ich schwöre bei Gott, wenn Sie –«

»Er lügt!« Keuchend kam Theo auf die Knie. »Das werden Sie mir büßen. Ich zeig Sie an. Wegen Körperverletzung!«

Ich wandte mich an Hank. »Du hast doch gesehen, dass er zuerst auf mich losgegangen ist?«

»Ich glaub schon«, sagte Hank.

»Bis dann, Theo«, sagte ich.

Ich wandte mich um und ging nach unten. Kaum war ich aus dem Haus, hörte ich, wie Theo hinter mir herlief. Schnell drehte ich mich um, weil ich damit rechnete, dass er wieder auf mich losgehen würde. Doch er machte keine Anstalten, gewalttätig zu werden.

»Sie tun mir unrecht, Mann«, sagte er. »Ich hab nichts damit zu tun.« Seine Stimme hatte etwas Flehendes.

»Klar«, sagte ich. Ich ließ mich nicht aus dem Konzept bringen. »Sie können einpacken. Sie sind erledigt. Ich werde dafür sorgen, dass alle erfahren, wie Sie arbeiten. Es wird bald keine Baufirma mehr in Connecticut geben, die Ihnen einen Auftrag gibt.«

»Tun Sie das nicht, Mann. Ich wollte doch nur das Beste. Sie waren doch immer anständig zu mir.«

»Sie können von Glück sagen, dass Sie dabei nicht auch noch jemanden umgebracht haben«, sagte ich. »Mich hätte es ja fast erwischt.«

Ich stieg in meinen Wagen, beschwingt wie schon lange nicht mehr. Es war fast wie ein Rausch. Ich hatte meine Wut und meinen Frust an Theo abreagiert. Er hatte nichts anderes verdient.

Doch dieser Rausch verflog rasch. Bald tat es mir leid. Ich hatte gerade Theo Stamos niedergeschlagen, den Mann, den Sally Diehl heiraten, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Ich hatte gerade geschworen, dafür zu sorgen, dass er in diesem Staat nie wieder einen Fuß auf den Boden bekommen würde.

Sally würde sauer sein.

Weil Ich Euch Liebte
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