Acht

»Emilys Mutter hat dich angefasst?«, fragte ich. Das schien mir noch weniger denkbar.

»Nein, sie hat mich nicht angefasst«, sagte Kelly. »Sie war schrecklich böse auf mich.«

»Böse auf dich? Warum sollte sie böse auf dich sein?«

»Ich war in ihrem Zimmer.« Sie sah mich nicht an.

»In ihrem Zimmer? In ihrem Schlafzimmer, meinst du?«

Kelly nickte. »Wir haben doch nur gespielt.«

»Gespielt? Im Schlafzimmer von Emilys Eltern?«

»Ich hab mich doch dort nur versteckt. Im Kleiderschrank. Ich hab nichts Schlimmes gemacht. Aber sie war so sauer, weil sie nicht wusste, dass ich da drin war, und sie hat telefoniert.«

Ich war zwar fassungslos, andererseits aber auch erleichtert. Der schlimmste aller Fälle schien vom Tisch. Kelly in einem Zimmer, in dem sie nichts zu suchen hatte, versteckt in Anns und Darrens Kleiderschrank, tja, wenn ich Emily in meinem Schlafzimmerschrank erwischt hätte, wäre ich wahrscheinlich auch sauer gewesen.

»Also gut, damit ich das auch richtig verstehe«, sagte ich. »Du hast dich in ihrem Schlafzimmer versteckt, und dann kam sie herein, um zu telefonieren?«

Kelly nickte. »Sie kam herein und setzte sich aufs Bett, direkt vor den Kleiderschrank, und rief jemanden an, und ich hatte schreckliche Angst, dass sie mich sieht, weil die Tür nicht ganz zu war, aber ich dachte, wenn ich versuche, sie zuzumachen, dann sieht sie das, also hab ich nichts gemacht.«

»Alles klar«, sagte ich.

»Sie hat mit jemandem gesprochen, und dann hat sie mit jemand anderem gesprochen und –«

»Sie hat aufgelegt und jemand anderen angerufen?«

»Nein, da muss jemand sie angerufen haben, während sie noch mit der ersten Person telefonierte. Und als sie mit der zweiten Person gesprochen hat, da hat sie mich wahrscheinlich im Schrank atmen gehört, und sie hat aufgehört zu reden, und sie hat die Tür aufgemacht, und sie wurde böse und sagte, ich soll rauskommen.«

»Du hättest da gar nicht erst rein dürfen«, sagte ich. »Und schon gar nicht in den Kleiderschrank. So was macht man nicht.«

»Siehst du, jetzt bist du auch böse.«

»Nein, ich sag dir das nur. Was hat sie denn gesagt?«

»Sie hat mich gefragt, ob ich gelauscht habe.«

Ehe ich mich’s versah, waren wir auf dem Weg nach Devon, also bog ich an der Naugatuck Avenue links ab und fuhr über die Milford Point Road wieder zurück. »Wahrscheinlich hätte sie das, was sie am Telefon gesagt hat, nicht gesagt, wenn sie gewusst hätte, dass noch jemand im Zimmer war.«

»Ganz bestimmt nicht«, sagte Kelly.

»Was?«, fragte ich. »Was hat sie denn gesagt?«

Sie sah mich an. »Du meinst, du willst, dass ich es dir sage? Obwohl ich’s gar nicht hätte hören dürfen? Heißt das nicht, dass du dann irgendwie mithörst?«

Ich schüttelte den Kopf. »Du hast recht, es geht mich nichts an, genauso wenig wie dich. Aber ich meine, ganz allgemein, worum ging es denn? Warum war sie denn so außer sich, dass du mitgehört hast?«

»Bei dem ersten Anruf oder bei dem zweiten?«

»Bei beiden, würde ich sagen.«

»Weil auf den Ersten war sie ja nicht sauer. Sondern auf den Zweiten.«

»Auf den zweiten Anrufer? Auf den war sie sauer?«

Nicken.

»Weißt du, wer das war?«

Kopfschütteln.

»Also, was hat sie gesagt?«

»Ich kann nicht darüber reden«, sagte Kelly. »Mrs. Slocum hat gesagt, ich darf nicht.«

Ich ließ mir das durch den Kopf gehen. Kelly hatte unerlaubterweise ein Gespräch belauscht. Was Ann Slocum am Telefon zu sagen hatte, ging weder Kelly noch mich was an. Andererseits wollte ich der Sache auf den Grund gehen. Ich wollte wissen, ob Anns Reaktion angemessen war oder ob sie eine Grenze überschritten hatte.

»Gut, was genau sie am Telefon gesagt hat, kann uns egal sein, aber was hat sie hinterher zu dir gesagt?«

»Sie hat mich gefragt, wie lang ich mich schon da verstecke, und dann hat sie gefragt, ob ich gehört habe, was sie gesagt hat, und ich habe gesagt: Nein, eigentlich nicht, das hat aber nicht ganz gestimmt, und dann hat sie gesagt, dass ich das nicht hätte tun dürfen und dass ich niemand weitersagen darf, was sie gesagt hat.«

»Mir zum Beispiel«, sagte ich.

»Überhaupt niemand. Sie sagte, ich darf es Emily nicht weitersagen und Mr. Slocum auch nicht.«

Das war interessant. Anfangs dachte ich, Kelly hätte etwas mitbekommen, das nur die Familie Slocum etwas anging und allgemein nicht für fremde Ohren bestimmt war. Doch jetzt sah es so aus, als hätte sie etwas ganz Konkretes gehört.

»Hat sie gesagt, warum?«

Kelly schüttelte den Kopf. »Nö. Sie hat nur gesagt, ich darf nichts sagen. Und sie hat gesagt, dass sie nicht erlauben würde, dass Emily und ich Freundinnen bleiben, wenn ich jemals wem was sage.« Ein feuchter Schimmer trat in ihre Augen. »Ich hab eh nicht so viele Freunde, und ich will nicht, dass Emily nicht mehr meine Freundin ist.«

»Natürlich willst du das nicht«, sagte ich und bemühte mich, meinen Ärger vor ihr zu verbergen. »Wie ging’s dann weiter?«

»Sie ist rausgegangen.«

»Aus dem Schlafzimmer?« Nicken. »Ihr seid nicht beide rausgegangen?« Kopfschütteln. »Warte mal. Sie hat sich aufgeregt, weil du dich in ihrem Schlafzimmer versteckt hast, und dann bleibst du da drin? Wie kommst du dazu?«

»Weil ich musste. Sie hat gesagt, ich muss da jetzt drinbleiben, bis sie weiß, was sie mit mir anfangen soll. Sie hat gesagt, das ist jetzt so was wie eine Auszeit. Und sie hat das Telefon mitgenommen.«

In mir begann es zu gären. Was bildete sich diese Frau eigentlich ein?

»Da hab ich dich angerufen«, sagte Kelly. »Als sie die Tür aufmachte, hatte ich das Handy schon wieder eingesteckt, und sie hat gar nicht mitbekommen, dass ich eins hab.«

»Warum hattest du das Handy überhaupt in der Hand?«

»Wenn Emily die Tür aufmacht, wollte ich ›Überraschung!‹ rufen und filmen, wie sie kreischt.«

Ich schüttelte ein wenig den Kopf. »Also gut, sie ist rausgegangen, hat dir gesagt, du sollst drinbleiben, und da hast du mich angerufen.« Sie nickte. »Sehr gescheit von dir. Hat sie beim Rausgehen abgeschlossen?«

»Keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, ob die Tür ein Schloss hat. Aber sie hat gesagt, ich soll mich nicht rühren, und ich wollte keinen Ärger, also bin ich dageblieben. Aber sie hat nicht gesagt, dass ich dich nicht anrufen soll. Da hab ich dich halt angerufen. Aber ich hatte Angst, dass sie sich noch mehr aufregt, deshalb habe ich geflüstert. Als du gekommen bist, hat Mr. Slocum nach mir gerufen, und da bin ich rausgekommen.«

Ich schluckte. »Liebes, was sie da getan hat, das war falsch. Du hattest zwar nichts in ihrem Schrank zu suchen, aber das hätte sie nicht tun dürfen. Ich werde morgen ein Wörtchen mit ihr reden.«

»Dann weiß sie, dass ich es dir erzählt hab, und Emily darf nicht mehr meine Freundin sein.«

»Ich sorge dafür, dass das nicht passiert.«

Kelly schüttelte heftig den Kopf. »Und wenn sie sauer wird?«

»Liebes, Emilys Mutter wird dir nichts tun oder so was.«

»Vielleicht tut sie aber dir was.«

»Mir? Was sollte sie mir denn tun?«

»Sie könnte dir eine Kugel in den Kopf jagen«, sagte Kelly. »Jedenfalls hat sie das zu der Person gesagt, mit der sie telefoniert hat. Dass sie das mit ihr macht.«

Weil Ich Euch Liebte
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