4.

Zum Glück hatte er das Fernglas dabei. Ein großes, schweres Gerät, bei weitem nicht so handlich wie die neuen, seit vielen Jahren erhältlichen Apparate, aber schnell scharfzustellen und kaum zu übertreffen in der Leistung. Das Glas an den Augen, auf einem der Ausblicke, der Schützenhütte etwa, dem Hirschkopf oder vom Waldrand oben in die Weinberge spähend, hatte er alles deutlich vor sich, was irgendwo in der Umgebung lief.

Gruppen von Erntehelfern etwa, die Ameisen gleich in den Weinbergen umherwuselten, die Trauben in Körben sammelten, sie dann nach unten oder den Hang hoch schleppten oder sie in Bottiche kippten, die auf schlittenähnlichen Gefährten von Seilzügen zwischen den Rebstöcken in die Höhe gezogen wurden, wo man sie in die breiten, auf landwirtschaftlichen Anhängern wartenden Behälter schüttete. Weinbauern, die mit prüfenden Blicken die Reife ihrer Früchte begutachteten oder letzte Erntevorbereitungen trafen. Spaziergänger, Wanderer, Radfahrer, die die steilen Anstiege der asphaltierten Wege nicht scheuten, Gäste des Hotels auf dem Landgut Burg, die hier in unmittelbarer Nachbarschaft der Weinberge logierten.

Er wandte den Blick zur Seite, erkannte eine der originellen Skulpturen der Bildhauerfamilie Nuss, die seit einigen Jahren die Hauptwege der Umgebung schmückten: Eine lebensecht große Bronzefigur, einen Mann darstellend, der einen Handstand vollzog, vom Künstler als Akrobat bezeichnet. Auf der anderen Seite der Klinge eine hoch aufgerichtete Frau, weithin sichtbar mit einer Gans auf dem Kopf, am unteren Ende des Einschnitts ein neugierig in die Landschaft spähender Ziegenbock.

Er betrachtete das wohlgenährte bronzene Tier durch das Fernglas, hatte die Szene plötzlich wieder vor Augen: Die junge Erntehelferin, ihre beiden Begleiter, zwei Flaschen neuen Weins, der Einbruch der Dämmerung … Sie hatten den Ziegenbock passiert, sich über seine Neugier unterhalten, waren später noch an anderen Figuren vorbeigekommen …

Er hörte das laute Bellen eines Hundes, schrak auf. Hinter ihm, wenige Meter unterhalb, preschte das Tier über den Weg, einen zerbissenen kleinen Stock im Visier, der vor ihm durch die Luft wirbelte. Er sah einen Mann nach dem Vierbeiner, einem wuscheligen, etwas zerzaust wirkenden weißen Pudel spähen, wusste, dass er auf der richtigen Spur war. Wenn die Reihe an ihn kommen sollte, dann hier. Zu deutlich hatte er davon gesprochen, wie sehr er die Arbeit im Weinberg schätzte, das gesellige Miteinander, die Stunden an der frischen Luft, das deftige Essen und Trinken, die Kiste mit verschiedenen Lagen als Lohn. Wenn der Täter es auch auf ihn abgesehen hatte – und daran existierte für ihn nicht der geringste Zweifel – würde er es hier versuchen, hier in unmittelbarer Nähe, wo es geschehen war, fast genau zwölf Monate zuvor.