KAPITEL 17

Bei unserem Eintreffen im Krankenhaus war Abby allein. Bis zu diesem Tag hatte ich sie nur in Gegenwart von anderen Besuchern oder Sasha Mendelsohn angetroffen. Die Krankenschwester am Empfang erkannte mich und winkte mich durch, während sie den Hörer ihres klingelnden Telefons abnahm.

Die Zimmertür stand offen. An mehrere Kissen gelehnt, las Abby Hüter der Erinnerung. Dass sie selbst las und das Buch auch halten konnte, war höchst erfreulich. Demnach musste ihr Schlüsselbeinbruch fast ausgeheilt sein. Da ihr Krankenhaushemd oben geöffnet war, konnte man erkennen, dass die vielen blauen Flecken auf ihrer Brust jedoch noch nicht ganz verschwunden waren. Ihren Gips, mit dem ihr Bein ruhig gestellt wurde, zierten ein paar Namen und Kritzeleien.

Sie nahm Notiz von uns, als wir eintraten, und spähte über den Buchrand.

»Hallo, Abby. Ich bin Karin. Erinnerst du dich? Ich war ein paarmal hier und wohne in der gleichen Straße wie du. Das hier ist Dathi. Sie ist zwölf und möchte dich unbedingt kennenlernen.«

Ihr Blick huschte von mir zu Dathi, die grinste.

»Ich habe es mitgebracht.« Sie hielt die Zeichnung hoch. »Hast du meine Nachricht auf Facebook gelesen? Ich wollte mit dir chatten, aber du bist nie online. Hier.«

Abby ließ das Buch fallen. Dathi eilte zu ihr und versuchte, es aufzufangen; die zusammengerollte Skizze warf sie auf das Bett. Ihr unbeschwertes Lachen führte dazu, dass sich Abbys Miene ein wenig aufhellte.

»Wo ist dein Lesezeichen?« Dathi suchte es; sie blätterte das Buch durch, schaute unter das Bett und unter Abbys Laken. Zu guter Letzt fand sie es auf dem Boden. »Hier! Aber wie finden wir die richtige Seite?«

Abby streckte die Hand nach dem Buch aus, das Dathi ihr reichte, blätterte vor, bis sie die Stelle fand. Sie überließ es Dathi, das Lesezeichen hineinzulegen. Zaghaft lehnte Abby sich wieder an die Kissen und versuchte, sich mehr aufzurichten.

»Warte.« Dathi eilte ihr zu Hilfe und schüttelte die Kissen auf. »Besser so?«

Obwohl Abby beweglicher war als in den vergangenen Wochen und auch ohne Hilfe sitzen konnte, kam ihr immer noch kein Wort über die Lippen. Ich hatte Dathi davor gewarnt und war ziemlich beeindruckt, wie abgeklärt sie auf das Schweigen ihrer Freundin reagierte.

Der Besucherstuhl stand in der Zimmerecke, und als ich ihn ans Bett schob, trat Dathi zurück, damit ich mich setzen konnte.

»Der ist für dich«, sagte ich.

»Nein, ich stehe.«

»Nimm ihn. Ich möchte gar nicht sitzen.«

Dathi gab nach und schob den Stuhl noch näher ans Bett. Schon vor ihrem Besuch hatte sie beschlossen, dass Abby und sie Freundinnen sein würden, und so war es dann auch. Wundersamerweise sah Abby, die auch ein Stück näher rückte, das genauso.

»Karin hat mir von dir erzählt«, begann Dathi. »Ich habe dich auf Facebook gefunden, und jetzt sind wir Freundinnen. Nach dem Unterricht habe ich dir das alles geschrieben. Ich bin auf der Middle School 51. Zu welcher Schule gehst du?« Sie rollte die Zeichnung auf und zeigte sie Abby die jedes Detail in sich aufsog.

»Kannst du sagen, was das ist?« Dathi beobachtete Abbys Miene. »Siehst du es? Das ist ein Mädchen mit ihrer Mutter. Das ist das Schöne an Müttern: Kuschelt man sich an sie, sind sie weicher als alles andere. Meine hat nach Nelken gerochen. Eine Klassenkameradin hat mir erzählt, ihre Mutter rieche nach Keksen. Kekse esse ich sehr gern. Daheim, in meinem Dorf in Indien, waren Kekse etwas ganz Besonderes.«

Abby lenkte den Blick von der Zeichnung auf Dathi, die ihre Federohrringe und ein Stirnband trug, das ihr rundes, ernstes Gesicht betonte. In ihrer neuen amerikanischen Kleidung wirkte sie ein wenig merkwürdig: Ihr fehlte noch die Lässigkeit für so ein Teenager-Outfit, und sie war einfach zu intelligent für den SMS-Slang ihrer Altersgenossen. Auf Dathis Schule hatte ich ein Mädchen sagen gehört: »NB, sie war meine BFFI, aber sie ist so chaotisch, dass ich ihr LL nicht mehr ausstehen kann.« Es dauerte eine ganze Weile, bis ich den Satz entschlüsselt hatte. In der einen Woche seit Dathis Ankunft hatte ich viel gelernt – und das, obwohl sie in ihrer Welt noch ein Außenseiter war. Doch im Vergleich zu ihr lebte ich auf einem anderen Planeten, was mir das Kichern der beiden Mädchen wieder deutlich vor Augen führte.

Ich wartete neben der Tür und bemühte mich, ihre Zweisamkeit nicht zu stören und mich von dieser für Mädchen so typischen und geheimnisvollen Welt fernzuhalten.

»Soll ich die Zeichnung hier aufhängen, damit du sie sehen kannst?« Dathi zeigte auf eine Stelle gegenüber von Abbys Bett, gleich unter dem an der Wand befestigten Fernseher.

Abby nickte nach kurzem Zögern.

»Ich brauche Klebeband.« Dathi blickte sich suchend im Krankenzimmer um.

»Ich kann mal beim Empfang nachfragen, ob sie dort welches haben«, bot ich an.

Auf dem Weg dorthin lief ich den Campbells über den Weg. Linda wirkte bei weitem nicht mehr so gestresst wie bei unserer letzten Begegnung, wo sie die Fassung verloren hatte und in Tränen ausgebrochen war. Pater X, der wesentlich blasser und dünner als vor seiner Einlieferung war, begleitete das Paar.

Wir begrüßten uns mit Handschlag, und ich erkundigte mich nach seiner Gesundheit. Er berichtete, dass er nur zwei Nächte im Krankenhaus gewesen sei und man ihn unter der Auflage, kürzerzutreten, entlassen habe. Der wohlmeinende Rat der Ärzte ließ uns schmunzeln.

»Wie soll das gehen?«, sinnierte Linda. »Meinen die Ärzte, man könnte einfach seine Koffer packen und auf eine einsame Insel ziehen?«

»Das soll den Blutdruck beträchtlich senken.« Pater X lachte, bis sich seine Wangen rot färbten.

Ich hasste ihn.

Ich kannte ihn nicht, und vielleicht vergifteten die vielen Berichte über pädophile Priester meine Gedanken. Vielleicht durfte ich diesen Mann Gottes nicht für die Verbrechen anderer verantwortlich machen, aber ich konnte einfach nichts gegen dieses Gefühl machen. Was hatte er eigentlich andauernd am Krankenbett von diesem Waisenkind zu suchen? Musste er sich nicht auch um seine anderen Schäfchen kümmern?

»Ich hörte, Detective Staples möchte noch mal versuchen, mit Abby zu reden«, wandte sich Pater X in einem leicht weinerlichen Ton an mich. Um wen trauerte er: um Reed, Marta, Abby oder sich selbst?

»Ich bin mit meiner Tochter gekommen, die gerade bei Abby ist.« Dass ich Dathi als meine Tochter ausgab, nahm in diesem Moment selbst mich wunder.

»Ich wusste gar nicht, dass Sie eine Tochter haben«, sagte Pater X.

»Doch. Sie ist ungefähr in Abbys Alter. Und ich habe auch noch einen Sohn, der drei, nein, fast vier ist.«

»Kennen sich Ihre Tochter und Abby von der Schule?«, fragte Linda. »Ich muss so viel wie möglich über ihr Leben in Erfahrung bringen, falls ich nun ihre Mutter sein soll. Nicht falls. Ich meinte, weil.« Linda stieg die Röte ins Gesicht.

»Das schaffst du schon mit der Zeit«, versicherte Steve ihr. Da er offensichtlich ein hingebungsvoller Ehemann war, ging ich davon aus, dass er sich auch als Vater so verhalten würde. Jedenfalls hatten die Dekkers anscheinend große Stücke auf ihn gesetzt. Dass sie auch Linda ihr Vertrauen geschenkt hatten, nahm mich allerdings wunder.

»Marta und ich waren eng befreundet, aber erst jetzt begreife ich, wie wenig ich von ihrem Alltag mitgekriegt habe.«

»Wir alle wandeln im Schatten«, merkte Pater X in einem Ton an, der beruhigen sollte, doch das zog nicht bei mir.

Alles, was er sagte oder tat, hinterfragte ich oder lehnte es gar rundweg ab. Plötzlich fiel mir eine Textstelle aus der Sonntagsschule ein, die immer mit bedrohlichem Unterton zitiert wurde: Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt, bleibt unter dem Schatten des Allmächtigen.

Kaum kam mir das in den Sinn, ärgerte ich mich schon über meine Arroganz. Womöglich hatte La-a recht, und ich urteilte, ehe es Beweise gab. Möglicherweise waren meine Vermutungen zu unseren Fällen nicht das Ergebnis eines speziellen Instinkts, sondern nur Vorurteile, wodurch ich die ganze Ermittlung gefährdete. Vielleicht war es ja doch besser, wenn ich ihren und Billys Rat beherzigte und mich nicht in ihre Arbeit einmischte.

»So ist es.« Steve klopfte Pater X auf den Rücken. »Wir versuchen, so viel wie möglich über Abbys Leben zu erfahren, und bei allem anderen können wir improvisieren, oder? Du wirst ihr eine gute Mutter sein, Linda.«

»Das erfordert eine gehörige Umstellung, aber ich freue mich auch darauf«, betonte Linda. »Ich möchte nicht, dass jemand etwas anderes denkt. Darling, da fällt mir gerade etwas ein ... Was ist mit Brasilien?«

»Die Reise wurde schon vor einem Jahr gebucht.«

»Na, dann bleibe ich eben daheim, und du fährst.« Sie wandte sich zu mir um und sagte mit einem Grinsen: »Seit Jahren fahren die Jungs im Frühling zum Fischen nach Brasilien, und wir Mädels reisen für eine Woche nach Paris.«

»In Brasilien kann man prima fischen.« Der Gedanke zauberte ein Lächeln auf Steves Lippen. Als Lehrer hatte er sich diese Reisen, für ihn vermutlich der Höhepunkt des Jahres, zugegebenermaßen schwer verdient.

»Natürlich«, fuhr Linda fort, »wird es ohne Marta nicht mehr das Gleiche sein. Daher macht es mir nichts aus, daheimzubleiben. Um ehrlich zu sein, ist es mir sogar lieber.«

»Nächstes Jahr stimmen wir uns ab«, überlegte Steve laut, »oder einer fährt das eine Jahr und der andere im nächsten. Wir finden da bestimmt eine Lösung.«

Jetzt fiel mir wieder ein, wieso mir Steve bei unserer ersten Begegnung bekannt vorgekommen war: Auf dem Foto im Wohnzimmer der Dekkers war er der Mann neben Reed. Die Aufnahme, auf der die beiden Männer ziemlich entspannt und sonnengebräunt aussahen, war auf einem Boot gemacht worden.

»Wie steht es mit Ihnen, Pater?«, fragte ich. »Brauchen Sie nicht auch eine Auszeit?«

»Ich nehme selten frei – und wenn, dann besuche ich Orte, die ich mit dem Auto erreichen kann.« Er rang sich ein Lächeln ab und wandte sich an die Campbells. »Sollen wir?«

Ich folgte ihnen in Abbys Zimmer.

Dathi saß auf der Bettkante und trug Abby wie eine geübte Erzählerin in dramatischem Flüsterton eine Geschichte vor. Allem Anschein nach kam sie gerade zum Höhepunkt, denn Abby neigte sich zu Dathi vor und lauschte ganz gespannt. In dem Augenblick, wo sie uns kommen hörten, gingen sie auf Distanz.

»Ach, Schätzchen, du siehst ja viel besser aus!« Linda eilte an Abbys Bett und beugte sich über sie.

Abby zeigte keinerlei Regung, ihre Miene war ausdruckslos. Die Begeisterung, die sie eben noch an den Tag gelegt hatte, war schlagartig fort.

»Wie geht es dir? Kannst du bald nach Hause kommen?« Wie bei ihrem letzten Besuch zögerte Linda kurz, bevor sie Abbys Stirn vorsichtig berührte; diesmal brach sie gottlob nicht in Tränen aus. Dann wich sie zurück und lächelte wohlwollend Abby zu, während Dathi sich nicht rührte.

Bei Dathis Anblick, die mir überhaupt nicht ähnlich sah, spiegelte sich Verwunderung in den Mienen von Pater X und den Campbells.

Obschon es sie im Grunde genommen gar nichts anging, weshalb ich sie als meine Tochter ausgegeben hatte, trat ich vor und erklärte: »Dathi lebt jetzt bei mir. Ihre Mutter hat für uns gearbeitet, ehe ...«

Pater X versuchte seine Überraschung hinter einem gekünstelten Lächeln zu verbergen. »Ja, sicher. Dann wollen wir dich mal willkommen heißen.« Er streckte die Hand aus, die sie nur ganz kurz schüttelte.

»Ich bezeichne sie als Tochter«, fuhr ich fort, »denn ich hoffe, dass sie bei uns heimisch wird.«

Von Gefühlen überwältigt, schaute Dathi weg. Anschließend sah sie zu Abby, deren Blick sich verdüsterte.

»Na«, meinte Linda mit gedämpfter Stimme zu mir, »in dem Fall haben wir etwas gemein, nicht wahr?«

»Sieht ganz so aus.«

Plötzlich redeten wir, wenn auch nur indirekt, in Anwesenheit der beiden Mädchen über ihre ermordeten Mütter. Eine spürbare Kälte breitete sich in dem Raum aus, als hätte jemand das Fenster geöffnet. Mir fiel auf, wie seltsam es hier roch. Wie in den meisten klimatisierten Gebäuden wurde die Luft nur ausgetauscht und verließ nie das Haus. Auch hier herrschte dieser abgestandene, leicht säuerliche Geruch, der mich davon abhielt, in großen Hotels abzusteigen: Binnen kürzester Zeit wurde ich kurzatmig und meinte zu ersticken.

Während ich darauf wartete, dass dieser unangenehme Moment vorüberging, musste ich daran denken, dass ich nach all den Jahren in der Armee und bei der Polizei einen regelrechten Widerwillen gegen Institutionen entwickelt hatte. Erst nachdem ich den Job hingeschmissen und alle Zwänge abgestreift hatte, spürte ich wirklich, wie stark mich von anderen gesetzte Grenzen einschränkten. Vielleicht war dies ja auch der Grund, weshalb es mir so schwerfiel, mein Studium abzuschließen, wieso ich mich neuerdings am liebsten ausschließlich um meine Familie kümmern wollte – und warum ich Pater X, Autoritätsfigur und fest verwurzelt in einer der mächtigsten Institutionen, so unheimlich fand.

»Dathi, ich denke, wir sollten uns jetzt auf den Heimweg machen.«

Sie erhob sich, flüsterte Abby etwas ins Ohr und nahm meine Hand.

Kurze Zeit später standen wir in der überfüllten U-Bahn ganz dicht beieinander und hielten uns an derselben Stange fest.

»Heute war Brennpunkt Brooklyn in der Post«, teilte ich ihr mit.

»Ach ja?«

»Wenn du deine Hausaufgaben gemacht hast und Ben im Bett ist, könnten wir uns den Film ansehen.«

»Ich werde mich beeilen.«

Danach schwiegen wir. Sie schien in Gedanken versunken zu sein, und ich war es auch. Mein Wunsch, mit Edward Walczak zu sprechen und in Erfahrung zu bringen, was er über Pater X wusste, wurde von Minute zu Minute drängender – fast wie eine Obsession. Und so ein Gespräch konnte doch nicht schaden, oder? Vielleicht hatte er ja wichtige Informationen, die Billy und La-a bei ihrer Ermittlung weiterhalfen. Nach dem Treffen konnte ich ja den Rat der anderen beherzigen, mich um meinen eigenen Kram kümmern und die Suche nach den Tätern den Profis überlassen.

An diesem Abend kuschelte ich mit Dathi unter einer Decke im dunklen Wohnzimmer, knabberte Popcorn und versuchte nachzuvollziehen, wieso Brennpunkt Brooklyn eine so große Faszination auf sie ausübte. Warum begeisterte sie sich für einen Polizisten, der in den Siebzigern einen internationalen Drogenring auffliegen ließ? All das hatte überhaupt nichts mit ihrem Leben zu tun. Am Ende fiel bei mir der Groschen: Sie bewunderte Popeye Doyle für seine Beharrlichkeit, seine Respektlosigkeit und seine alles andere als mustergültige Unbeugsamkeit. Er hätte seine Nase nicht so tief in die Unterwelt stecken dürfen; dennoch tat er es und erreichte am Ende das Unmögliche. Aus dem gleichen Grund faszinierte mich Meg aus Die Zeitfalte: Angetrieben von ihrer Wut und ihrer Sturheit, dringt sie zum Kern, zur Wahrheit vor.

* * *

Am Samstagnachmittag um vier Uhr standen Mary und Fremont Salter vor unserer Tür. Fremont hatte eine Gitarre auf dem Rücken und trug einen schweren Verstärker. Seine Band gab später ein Konzert, zu dem Mary ihn mitsamt seiner Ausrüstung fuhr, die er offenbar nicht unbeaufsichtigt im Auto lassen wollte.

Die Kinder bestaunten die Gitarre, während wir Erwachsene uns leise in der Küche unterhielten. Das Vorstellungsgespräch, falls man es überhaupt so nennen konnte, dauerte nicht lange. Es war nicht von der Hand zu weisen, dass Mac von Mary genauso angetan war wie ich. Er stellte ihr nur wenige Fragen über ihre früheren Tätigkeiten. Da sie vor der Geburt ihres Sohnes viele unterschiedliche Jobs ausgeübt und sich nie auf ein Berufsfeld festgelegt hatte, war sie ein Tausendsassa mit zahllosen Fähigkeiten. Zudem beherrschte sie Tai-Chi, Karate und Aikido so gut, dass sie Anfänger darin unterrichten konnte, hatte in verschiedenen Büros und ein halbes Jahr lang sogar beim FBI in Manhattan gearbeitet.

»Dann haben Sie also die Sicherheitsüberprüfung bei denen bestanden?«, hakte Mac nach.

»O ja, den ganzen Zirkus. Eigentlich war das ein Heidenspaß ... Bis dahin hatte noch niemand meine Fingerabdrücke genommen. Keine Ahnung, ob Karin es erwähnt hat, aber ich stehe auf all den Kram.«

»Gibt es jemanden beim FBI, mit dem ich sprechen könnte?«

»Sicher.« Sie zog ein altes iPhone hervor, schickte dem Betreffenden die Kontaktdaten von Mac und schrieb eine SMS mit der Bitte um eine Empfehlung. Nur eine halbe Minute später meldete ein Signalton, dass eine Antwort eingegangen war.

»Gary sagt, Sie können ihn jederzeit anrufen«, meinte Mary. »Auch jetzt gleich, wenn Sie möchten.«

Mac zog die Augenbrauen hoch. Stars Ineffizienz war eines der Dinge gewesen, die ihn an ihr gestört hatten. »Warum nicht?«

Während er telefonierte, gesellte Mary sich zu den Kindern im Wohnzimmer. Ich schloss die Tür, damit Mac ungestört sprechen konnte, blieb in der Küche und hörte seinen Teil der Unterhaltung mit. Er stellte die üblichen Fragen und nickte, wenn Gary antwortete. Noch ehe er sich für die Auskunft bedankte und Mary lobte, hatte mir sein wohlmeinender Ton verraten, wie positiv das Gespräch verlaufen war. Nach dem Gespräch sagte er: »Er wollte sie einstellen, aber weil ihr Sohn noch zu klein war, hat sie sich gegen eine Vollzeitstelle entschieden.«

Ich musste schmunzeln. »Dann wagen wir es?«

»Ja.«

Wir gingen ins Wohnzimmer. Mac hob seinen Daumen, um Mary zu signalisieren, dass er nur Positives über sie erfahren hatte. »Laut Gary sind Sie diejenige, die entkommen ist.«

»Oje«, meinte sie verschämt, was wir ihr nicht abkauften, denn in Wahrheit wusste Mary ganz genau, wie kompetent sie war. »Möchten Sie noch mit jemand anderem sprechen?«

»Nicht nötig«, wehrte Mac ab. »Also, wollen Sie für uns arbeiten?«

Mary strahlte uns an. »Das war wohl Schicksal. Ich freue mich wirklich sehr. Wann soll ich anfangen?«

»Jetzt?«, platzte es aus mir heraus, als ich sah, wie wohl sich die Kinder mit ihr und Fremont fühlten.

»Okay. Fres Gig fängt erst in ein paar Stunden an. Sie beide können ausgehen, und ich und die Kinder machen einen Probelauf, bevor Sie mir endgültig zusagen.«

In Windeseile zogen wir Schuhe und Jacken an und stürmten in der Abenddämmerung aus dem Haus.

»Zum Abendessen ist es noch zu früh.« Mac zog die Haustür hinter sich zu, streifte sich die Lederhandschuhe über und lief die Stufen hinunter.

»Bist du hungrig?«

»Eigentlich nicht. Du?«

»Gar nicht.«

»Reicht die Zeit fürs Kino?«, fragte er auf dem Weg zur Smith Street.

»Hm. Was hältst du davon, wenn wir bei Edward Walczak vorbeischauen? Mit etwas Glück kommt er raus und spielt mit uns.«

Mac lachte so herzhaft, dass kleine Atemwölkchen in der kalten Luft aufstiegen. »Du kannst einfach nicht loslassen, oder?«

»Warum sollte ich?«, entgegnete ich unwirsch, was ihn offensichtlich auf die Palme brachte.

»Karin, wenn du um jeden Preis wieder Polizistin sein möchtest, bitte schön. Und wenn nicht, lass die Finger davon. Ich meine es ernst.«

Ich blieb stehen und wartete, bis er sich umdrehte und mich ansah. Sein Kommentar ärgerte mich nicht, sondern bestärkte mich nur in meinem Entschluss. Ich hatte mich lange genug zurückgehalten, und sein Blick sprach Bände: Ihm war klar, dass er mich nicht von meinem Vorhaben abbringen konnte.

»Du findest, ich übertreibe. Klar. Nur gibt es einen triftigen Grund, weshalb ich immer weiterbohre.« Ich erzählte ihm alles: von Vargas’ Ring, meinem Besuch auf dem 72. Polizeirevier, meiner Begegnung mit La-a, von der Liste der Verdächtigen, auf der auch Billys Name gestanden hatte, wie ich die beiden zusammengestaucht hatte, von meinen Bedenken, sie nicht überzeugt zu haben, und von meinem Bestreben, Billy zu schützen.

»Scheiße. Ich kann’s nicht fassen.«

»Verstehst du mich jetzt?«

Wir setzten uns wieder in Bewegung und legten ein flottes Tempo vor.

»Ja, sicher. Wo wohnt dieser Walczak?«