21. Kapitel
Ja, meine lieben Kinder! Ihr könnt die Liebe einfangen! Aber eher noch wird sie euch einfangen, ob ihr wollt oder nicht...
... so sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei jungen Enkelinnen.
Gregor sah sich um. „So ist es. Und wir werden hier hier bleiben, bis wir unsere Diskussion beendet haben.“
„Das hier ist keine Diskussion. Es ist ein Streit. Du bist absolut... “
„Unwiderstehlich? Unglaublich gut aussehend? Im Recht?“ Er lächelte grimmig. „Obwohl du nicht mit allem übereinstimmst, was ich sage, musst du doch zugeben, dass meine Worte Hand und Fuß haben.“
„Wir können nicht hier drinnen bleiben, Gregor. Der Squire und Mrs. Bloom klangen sehr zornig. Diese Situation ... “ „Hast du selber verursacht.“
„Nein, das habe ich nicht!“
„Hast du Miss Platt ermutigt, ihre Stelle bei Mrs. Bloom aufzugeben, oder hast du es nicht getan?“
„Mrs. Bloom ist eine schwierige Frau.“
„Ebenso wie Miss Platt. Mir schien es, als wären sie wie füreinander geschaffen.“
Venetia wünschte sich inständig, der Schrank wäre ein wenig größer, denn sie musste ihren Kopf weit in den Nacken legen, um Gregor ansehen zu können. „Damit könntest du eventuell recht haben. Aber ich habe Miss Higganbotham nicht ermutigt, ihrem Vater davonzulaufen!“
„Nein? Hast kein Verständnis für ihre Lage geäußert und sie praktisch aufgefordert, sich selbst zu bemitleiden, obwohl du vielleicht erst einmal etwas mehr über die Situation hättest wissen sollen?“
„Sir Henry scheint mir der perfekte Mann für sie zu sein.“ „Das ist möglich, aber die Entscheidung darüber steht uns nicht zu. Der. Squire ist nicht dumm. Er will das Beste für seine Tochter ..."
„Er war mit ihr auf dem Weg nach London und hat sie aus den Armen des Mannes gerissen ... “
„Den sie versuchte dazu zu bringen, mit ihr durchzubrennen. Hast du dich jemals gefragt, ob der Squire nicht einfach nur verhindern wollte, dass seine Tochter ihren Ruf ruinierte? Dass er, erst einmal in London angekommen, Sir Henry vielleicht erlaubt hätte, seine Tochter zu besuchen oder ihr sogar den Hof zu machen, aber auf offiziellere und sicherere Art und Weise?“ Über all das hatte Venetia nicht nachgedacht. „Wie kommst du auf diese Idee?“
„Weil der Squire kein Geheimnis daraus gemacht hat, wohin er seine Tochter bringen will. Er hat Sir Henry sogar eine Nachricht geschrieben. Aus diesem Grund sind wir dem Mann ja begegnet, als er verzweifelt versuchte, nach London zu gelangen.“
„Du kannst dir aber nicht sicher sein, dass es tatsächlich so ist.“
„Ich bin mir sicher, dass der Squire trotz seiner rauen Art ein gutes Herz hat. Er hat es gezeigt, als er alle möglichen Anstrengungen unternahm, damit wir alle den Gasthof verlassen konnten.“
Das entsprach der Wahrheit. Venetia biss sich auf die Unterlippe. „Und was ist mit Ravenscroft?“
„Verdammt, Venetia! Hör auf, alles auf dieser Welt in Ordnung bringen zu wollen!“
„Verstehst du denn nicht, Gregor? Das ist es, was ich tue. Ich bringe Dinge in Ordnung. So bin ich.“ Als ihr Blick seinem begegnete, schwammen ihre Augen in Tränen. „Wenn du mich liebtest, würdest du das verstehen“, flüsterte sie.
Er konnte sie verstehen. Man hatte ihr beigebracht, sich um andere Menschen zu kümmern - so wie man ihn gelehrt hatte, sich selbst und sein Leben im Griff zu haben, sich um nichts anderes zu kümmern und erst recht nichts von anderen zu erwarten. Und schließlich gab er vor sich selbst zu, dass sie recht hatte. Er durfte nicht von ihr verlangen, etwas aufzugeben, das ihr so viel bedeutete.
Draußen vor der Schranktür war inzwischen die Hölle los. Der Squire schrie herum, seine Tochter schluchzte, Mrs. Bloom regte sich auf, Miss Platt schnatterte vor sich hin, Venetias Großmutter verlangte nach Ravenscrofts Kopf auf einem Silbertablett, und der junge Lord rief nach einem Schiedsrichter, der selbstverständlich ihm recht gab.
Venetia wischte sich die Tränen aus den Augen. „Es gibt zwischen uns nichts mehr zu sagen. Ich kann nicht länger hier drinnen bleiben, Gregor. Ich muss hinausgehen und helfen, die Dinge zu klären.“
Sie legte ihre Hand auf den Türknauf.
Gregors Finger schlossen sich um ihre. Und in dem Moment, in dem er Venetias warme Hand in seiner spürte, wusste Gregor, was er zu tun hatte. Wusste es in aller Klarheit und musste lächeln. „Ich komme mit dir.“
Sie schaute hinunter auf seine Hand, die zärtlich ihre umschloss. „Warum?“
„ Weil ich dich liebe, und weil ich dich verstehe.“
Venetias Herz wurde warm und schwer in ihrer Brust. „Du...“
„Ich. Liebe. Dich.“
„Wirklich?“, fragte sie atemlos.
Anstelle einer Antwort küsste er sie. Nachdrücklich und leidenschaftlich. Hob sie von den Füßen und plünderte ihren Mund. Mit diesem Kuss zeigte er ihr, dass sie füreinander bestimmt waren, dass sie wahr und wahrhaftig zueinander gehörten. Und Venetia erwiderte seinen Kuss, wurde, wie schon zuvor, einfach von der Leidenschaft mitgerissen.
Es kostete Gregor all seine Selbstbeherrschung, sie schließlich wieder auf den Boden zu stellen. „Was hast du gesagt?“, erkundigte er sich mit heiserer Stimme.
Mit halb geöffnetem Mund, die Augen leuchtend vor Sehnsucht, lehnte sie sich gegen ihn. „Ich kann mich nicht erinnern.“
In genau dem Moment, in dem er fröhlich auflachte, wurde der Lärm in der Halle noch heftiger. Er sah zur Tür. „Ich nehme an, du willst jetzt dort hinausgehen.“
Das war keine Frage, sondern eine Feststellung, und deshalb antwortete sie nicht.
„Nun gut. Wir werden fünf Minuten brauchen“, erklärte er.
„Fünf?“
„Ja. Diese Zeit reicht aus, um ihnen zu erklären, wie man deiner Meinung nach die Dinge in Ordnung bringen kann. Aber, Venetia, sie selber müssen es tun. Du kannst nicht für jeden verantwortlich sein, und ich kann nicht so tun, als wäre ich nicht verantwortlich für dich.“
Das klang fair. Sie nickte. „Fünf Minuten. Ich verspreche es.“
„Gut. Ich kann nämlich auf keinen Fall länger warten, dich wieder anzufassen“, gestand er grinsend. „Wenn du länger brauchst, kann ich für das, was ich tue, nicht mehr verantwortlich gemacht werden.“
„Fünf Minuten also“, stimmte sie grinsend zu.
Er stieß die Tür auf, stieg aus dem Schrank und verbeugte sich. „Nach dir, meine Liebste.“
Venetia folgte ihm hinaus auf den Flur.
Nachdem der Tohuwabohu schon vom Inneren des Schrankes aus schrecklich geklungen hatte, hörte er sich von draußen noch schlimmer an. Im Flur schrien der Squire und seine Tochter einander an, und Sir Henry versuchte erfolglos, den Streit zu schlichten. Miss Platt und Mrs. Bloom standen fast Nasenspitze an Nasenspitze, während sie sich gegenseitig beschuldigten, gefühllos und egoistisch zu sein. Viola versuchte, Ravenscroft vor der Witwe zu beschützen, die mit dem Krückstock auf ihn losgehen wollte. Und von der Treppe aus beobachteten Gregors drei Brüder voll Erstaunen den ganzen Aufruhr.
Als Dougals Blick dem von Gregor begegnete, zwinkerte eisernem Bruder zu. Gregor grinste, während Venetia sich in das Handgemenge stürzte.
Bei ihrem Anblick hörten alle auf zu streiten und beeilten sich, an ihre Seite zu kommen, um Venetia ihre persönliche Sichtweise der Angelegenheit zu schildern.
„Venetia!“ Miss Platt schob Ravenscroft mit der Schulter beiseite. „Mrs. Bloom beschuldigt mich, schamlos zu flirten. Schamlos! Können Sie das glauben?“
„Oh!“, rief Mrs. Bloom erbost. „Sie haben noch weit Schlimmeres getan! Und das, nachdem ich extra Näharbeiten für Sie beschafft habe, um Ihnen dabei behilflich zu sein, die Kaution für Ihren Halunken von Bruder zu zahlen. Das ist also der Dank für alles, was ich für Sie getan habe, Sie undankbare Frau!“
Mit gerötetem Gesicht beugte sich Ravenscroft über Mrs. Blooms Schulter. „Ihre Großmutter behauptet, ich hätte sie beim Kartenspiel um zwei Pence betrogen, Venetia! Sagen Sie ihr, dass ich so etwas niemals tun würde!“
„Ha!“, blaffte Großmama und schwenkte ihren Krückstock durch die Luft. „Ich habe von diesem Knaben namens Ulster gehört, der nur darauf wartet, Ihnen die Kehle durchzuschneiden, sobald Sie in die Stadt zurückkehren. Den haben Sie auch betrogen, nicht wahr?“
„Wo warst du denn,Venetia“, klagte Mama. „Ich bin in dein Zimmer gegangen, aber da war niemand, und ..."
Die blauen Augen voller Tränen, kam Miss Higganbotham angerannt und griff nach Venetias Hand. „Sie müssen meinem Vater erklären, dass ich nicht mit ihm nach London gehe, ganz gleich, was er sagt oder tut! Ich werde meinen geliebten Henry nicht verlassen! “
„Wer hat dir die Erlaubnis erteilt, Sir Henry beim Vornamen zu nennen“, donnerte der Squire.
„Schreien Sie sie nicht an!“, knurrte Sir Henry und reckte zornig seinen Kopf in die Höhe.
Venetia atmete tief durch. „Ruhe, bitte! Ich habe nur fünf Minuten, also werde ich das hier rasch erledigen müssen.“ „Fünf Minuten?“ Die Falten auf Großmamas Stirn vertieften sich. „Wieso ausgerechnet fünf?“
„Weil es so beschlossen wurde“, mischte Gregor sich ein. „Brauchst du Unterstützung, Venetia?“
Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln. „Nein, ich glaube nicht. Ich werde mit Miss Higganbotham beginnen.“
Was eine gute Wahl war, denn Miss Higganbotham klammerte sich verzweifelt an Venetias Hand. „Vater ist so gemein!“, jammerte die junge Dame mit zitternder Stimme. „Er sagt, ich muss nach London und kann Henry nicht sehen.“
Venetia sah den Squire an. „Sir, ich weiß, ich habe nicht das Recht, mich einzumischen, aber mir scheint es, als würde ein komplettes Kontaktverbot zwischen Ihrer Tochter und Sir Henry den Wunsch Ihrer Tochter, ihren Liebsten zu sehen, nur noch verstärken.“
„Ich habe nie gesagt, er dürfe nicht zu Besuch kommen“, erklärte der Squire mit finsterer Miene. „Es geht nicht darum, sie vor allen Menschen zu verstecken! Ich möchte nur, dass sie eine Saison in London mitmacht, bevor sie eine endgültige Entscheidung trifft.“
„Nur eine Saison?“, vergewisserte sich Venetia.
Sir Henry sah den Squire erwartungsvoll an.
Elisabeth verzog weinerlich das Gesicht. „Aber das wäre ein ganzer Monat!“
„Ja“, stimmte Venetia ihr zu. „Aber wenn Ihr Vater Sir Henry erlaubt, Sie in London zu besuchen, wäre es das wert.“ Sie wandte sich an den Squire. „Wenn Elisabeth zustimmt, eine ganze Saison in London mitzumachen und dann auch an allen gesellschaftlichen Ereignissen teilnimmt, wie Sie es wünschen, und keine Szenen mehr macht, und außerdem verspricht, Sir Henry nur mit Ihrem Einverständnis zu sehen ...“
„Venetia“, rief Elisabeth dazwischen. „Ich kann das nicht alles tun.“
„Doch, das kannst du“, versicherte Sir Henry, während er seine Liebste mit zärtlichem Blick betrachtete. „Ich würde hundert Jahre auf dich warten. Was ist schon eine einzige Saison, ganz besonders, wenn ich dich während dieser Zeit sehen kann?“
„Nun?“, fragte Venetia den Squire.
„Ich denke, das wird gehen“, erklärte der Squire. „Aber Sir Henry wird in London nicht in unserem Haus wohnen.“
„Das wird auch gar nicht nötig sein“, versicherte der ehrenwerte Gentleman steif. „Ich habe mein eigenes Haus in Mayfair.“
„Tatsächlich?“ Der Squire sah beeindruckt aus.
„Henry besitzt Häuser in London, Brighton, Bath und York, nicht wahr Henry?“, verkündete Miss Higganbotham stolz. „Momentan gehören mir sogar zwei Häuser in Bath, beides sind gefragte Mietobjekte“, verbesserte Sir Henry sie.
Nun schaute der Squire Henry an, als hätte er ihn niemals zuvor gesehen. „Ich dachte, Sie sind ein Bauer.“
„Das bin ich auch, Sir. Ich bin ein Bauer und ein Gentleman.“ Gregor hörte grinsend zu, und in ihm wuchs ein unbändiger Stolz auf Venetia.
„Nun zu Ihnen“, wandte Venetia sich an Ravenscroft. „Ich glaube, Sie schulden meiner Großmama zwei Pence.“
„Das tue ich nicht“, widersprach er verärgert. „Ich habe fair gewonnen und ... “
Großmamas Krückstock krachte gegen sein Schienbein. „Autsch! “ Mit schmerzverzerrtem Gesicht hüpfte er auf und ab.
„Hör auf damit, Großmama!“, befahl Venetia.
„Ich mag Leute nicht, die beim Spiel betrügen.“
„Haben Sie zwei Pence bei sich?“, wollte Venetia von Ravenscroft wissen.
„Ja“, erklärte er mürrisch. „Aber es geht ums Prinzip.“
„Es geht darum, Ihre Schienbeine zu retten. Ich werde nicht jedes Mal in der Nähe sein, wenn Großmama ihren Krückstock schwingt. Und falls Sie glauben, sie würde Ihnen nicht nach London folgen, sind Sie im Irrtum. Sie werden darum beten, dass Lord Ulster Sie erschießt.“
„Da hat sie recht“, rief Großmama und schwenkte drohend ihren Stock vor Ravenscrofts Nase.
Er machte einen Sprung rückwärts und wühlte in seiner Jackentasche. „Alles, was ich bei mir habe, ist diese Guinee.“
Mit einer geschickten Bewegung schnappte Großmama nach der Münze. „Betrachten wir den Rest als Zinsen.“ Kichernd steckte sie das Geld in die Tasche.
Ravenscroft ließ die Schultern sinken, wusste aber, dass er verloren hatte.
„Und was ist mit mir?“ Die knochigen Arme vor der Brust verschränkt, die Nase hoch in die Luft gereckt, stand Miss Platt da. „Mrs. Bloom war nicht nett zu mir.“
Mrs. Bloom richtete sich kerzengerade auf. „Nicht nett? Wann soll das gewesen sein? Als ich Ihnen half, das Geld aufzutreiben, um die Schulden Ihres nichtsnutzigen Bruders zu bezahlen?“
„Indem Sie mich zwangen, zu nähen.“
„Ich habe Sie zu gar nichts gezwungen. Ich arrangierte es so, dass Sie eine sehr gut bezahlte Arbeit verrichten konnten. Was übrigens genau das ist, was ich ebenfalls getan habe, bevor ich Ihren Onkel heiratete. Es ist nichts verkehrt daran, Geld zu verdienen, ganz egal, was mein verstorbener Ehemann Ihnen erzählt haben mag.“
Seufzend sagte Mrs. Bloom zu Venetia: „Randolf war in vielerlei Hinsicht ein wunderbarer Mann, aber er konnte nicht gut mit Geld umgehen. Ich fürchte, er hat Mr. und Miss Platt zu einem extravaganten Lebensstil ermutigt. Sie haben niemals gelernt zu haushalten und mögen den Gedanken nicht, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Es ist wohl leider so, dass sie ziemlich verdorben wurden.“
„Wir wären nicht gezwungen, für unseren Lebensunterhalt zu sorgen, wenn Sie nicht Mr. Blooms ganzes Geld genommen hätten, nachdem er gestorben war“, behauptete Miss Platt in grollendem Ton.
„Mr. Bloom besaß überhaupt kein Geld, als er starb. Ich habe Ihnen das schon mehrmals gesagt, aber Sie bestehen darauf, anderer Meinung zu sein.“ Mrs. Bloom streckte den Arm aus und nahm Miss Platts Hand. „Ich weiß, Sie haben nie geglaubt, ich würde Sie so mögen, wie Ihr Onkel Sie mochte, aber über die Jahre sind Sie mir wichtig geworden.“ Die letzten Worte sagte Mrs. Bloom mit zitternder Stimme. „Als ich von falschen Namen und Miss Higganbothams Flucht im Koffer erfuhr und dachte, Sie seien von ein paar Halunken in die Irre geführt worden, konnte ich gar nicht schnell genug hier sein.“
Miss Platt starrte Mrs. Bloom an, und Tränen füllten ihre Augen. „Oh, Mrs. Bloom! Sie ... Sie sind gekommen, um mich zu retten?“
Mrs. Bloom nickte.
Erstaunt sah Gregor zu, wie Miss Platt sich in Mrs. Blooms Arme warf und anfing zu weinen.
Venetia seufzte glücklich, dann drehte sie sich zu Gregor um. „Wie viel Zeit habe ich noch übrig?“
Er zog seine Uhr aus der Tasche. „Dreißig Sekunden. Ich würde sagen, das ist eine ...“
„Einen Moment!“
Mrs. Bloom, den Arm immer noch um Miss Platt gelegt, betrachtete Venetia missbilligend. „Miss West oder Miss Oglivie oder wie auch immer Sie heißen mögen. Ich glaube, Sie sind uns allen eine Erklärung schuldig. Sie haben uns belogen. Sie und Ihr ,Bruder“ und Ihr Vormund“. Ich verlange eine Erklärung! “ „Ja“, stimmte ihr der Squire zu und rieb sich die Augen, als würde er plötzlich erwachen. „Wer sind Sie, und warum haben Sie uns belogen?“
Alle Blicke wandten sich Venetia zu, die schlagartig erblasste.
Ihre Mutter trat einen Schritt vor. „Ich kann das alles erklären.“
„Das müssen Sie nicht tun. “ Gregor ließ seine Uhr zuschnappen und schob sie wieder in die Tasche. „Ich stehe im Begriff, meine Verlobte an einen ruhigen, abgeschiedenen Ort zu bringen und ihr dort in aller Form einen Antrag zu machen.“ „Was?“, stieß Dougal hervor und sah aus, als hätte er irgendetwas verschluckt, das ihm nun in der Kehle steckte.
„Verdammt will ich sein, wenn Sie mich nicht mehr und mehr an Ihren Großvater erinnern“, stellte die Witwe kichernd fest und klopfte Gregor auf die Schulter.
„Ein Antrag, hm?“ Mrs. Bloom warf Gregor einen scharfen Blick zu. „Ich nehme an, Sie sind nicht ihr Vormund?“
„Nein, das ist er nicht!“, rief Ravenscroft und deutete mit dem Finger auf Gregor. „Er war niemals ihr Vormund!“
„Und Sie sind nicht ihr Bruder?“, folgerte Mrs. Bloom. „Nein.“ Ravenscroft errötete. „Ich bin ihr ...“
„Die Zeit ist vorbei“, stellte Gregor fest und zog Venetia in seine Arme.
Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, dann begegnete sie jedoch seinem Blick. Ein träges, warmes Lächeln legte sich um ihre Lippen, und sie seufzte glücklich.
Das Gefühl, sie in den Armen zu halten, war unglaublich verführerisch. Gregor räusperte sich. „Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen. Ich weigere mich, noch einen Moment länger zu warten. Ich muss dieser Frau unverzüglich einen Antrag machen.“
„Nicht zum ersten Mal“, betonte Venetia.
„Aber dieses Mal werde ich es richtig machen.“
In Venetias Augen glühte die Leidenschaft.
„Wie herrlich! “Viola klatschte in die Hände. „Oh, ich wusste immer, das würde eines Tages passieren!“ Sie sah den Squire an und sagte in vertraulichem Ton: „Wissen Sie, die beiden sind schon ewig Freunde. Sie geben ein wunderbares Paar ab.“ Der Squire lächelte widerstrebend. „Wenn sie dann auch heiraten. Ich nehme an, er braucht tatsächlich ein wenig Privatsphäre, um ihr einen anständigen Antrag zu machen. Vor einem Haufen Zuhörer ist das ein wenig schwierig.“ Ravenscroft drängte sich in den Vordergrund. „Nur über meine Leiche!“
Geschickt hakte Großmama den Griff ihres Krückstocks hinter sein Bein, und Ravenscroft stürzte zu Boden.
Er versuchte sich aufzurappeln, doch Viola war schneller. Sie eilte an seine Seite.
„Meine Hand“, jammerte er.
Sie bückte sich, sodass ihre Röcke ihren Schuh bedeckten, der fest auf seiner Hand stand. Dabei blickte sie Gregor an. „Der Salon steht Ihnen zur Verfügung. Er ist dort drüben.“ Sie deutete auf die betreffende Tür.
„Perfekt.“ Während er Venetia noch ein wenig dichter an sich heranzog, sah Gregor seinen Bruder an. „Würdest du uns bitte die Tür öffnen, Dougal?“
„Natürlich.“
Neben ihm grummelte Alexander: „Ich kann das alles nicht gutheißen, Gregor.“ Er betrachtete die versammelte Gesellschaft voller Missbilligung. „Es ist ein einziges, riesiges, vollkommen chaotisches Durcheinander.“
„Dann ist es gut, dass es um mein Leben geht und nicht um deines“, erwiderte Gregor achselzuckend. Er schaute Venetia in die Augen und grinste. „Ich persönlich entdecke gerade, dass ein wenig Chaos eine gute Sache sein kann.“
Hugh lachte leise in sich hinein und sagte zu Alexander: „Ich fürchte, damit bist du als Ratgeber und Familienoberhaupt entlassen, großer Bruder. Komm, lass uns versuchen, ein wenig Port aufzutreiben und gönnen wir dem glücklichen Paar seinen besonderen Moment.“
Dougal riss die Tür auf. „Ich werde hier draußen Wache halten.“ Er wartete, bis Gregor mit Venetia im Arm ins Zimmer gegangen war, dann schloss er die Tür fest hinter ihnen.
Durch die Tür hindurch hörte Gregor seinen Bruder Dougal sagen: „Mrs. Oglivie, ich hasse es, ein anspruchsvoller Gast zu sein, aber gibt es vielleicht hier im Haus ein wenig Portwein? Das alles hier hat mich sehr durstig gemacht.“
„Sicher“, erwiderte Viola. „Vielleicht sollten wir alle gemeinsam ins Speisezimmer gehen. Meinst du nicht, wir sollten unseren Gästen ein paar Erfrischungen anbieten, Mutter?“
Die Antwort der Witwe ging im Stimmengemurmel der sich entfernenden Gäste unter.
An Gregors Schulter gelehnt, lachte Venetia leise. „Es wird mir gefallen, mit deinen Brüdern verwandt zu sein.“
„Und ich gewinne deine Mutter und deine Großmutter hinzu, die ich beide ganz entzückend finde.“ Er stellte sie auf die Füße, hielt sie aber immer noch fest an sich gepresst, während er sie küsste.
Als sie beide völlig außer Atem waren, hob er den Kopf und rieb mit dem Daumen über ihre volle Unterlippe. Dann kniete er sich mit leuchtenden Augen vor sie hin und nahm ihre Hand zwischen seine. „Ich liebe dich, Venetia. Ich möchte dich heiraten. Nimmst du mich zum Mann?“
„Ja“, stieß sie atemlos hervor. In ihren Augen schimmerten Tränen. „Ich liebe dich auch.“
Bis zu diesem Moment war ihm nicht klar gewesen, wie sehr er sich bemüht hatte, sein Herz unter Kontrolle zu halten. Als er jedoch ihre Worte hörte, spürte er, wie pures, herrliches Glück in ihm emporflutete, und er stand auf, zog sie erneut in seine Arme und schwenkte sie wieder und wieder herum.
Das Leben mit Venetia würde nie einfach sein; es würde einiges an Durcheinander geben, das entwirrt werden musste. Aber mit ihr an seiner Seite würde es sich lohnen. Nachdem er sie noch einmal geküsst hatte, stellte er sie wieder auf ihre Füße.
Ihre Arme lagen noch um seinen Hals. „Ich finde, wir sollten nach oben in mein Zimmer gehen und dort richtig feiern.“ Leise lachend hob er sie wieder auf seine Arme. „Was auch immer du willst, mein Herz. Was auch immer du willst.“
— Ende —