10. Kapitel

Eines ist viel schlimmer, als einen Verehrer zu verlieren, und zwar, nie einen Verehrer gehabt zu haben, den man verlieren könnte ...

... so sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei jungen Enkelinnen.

Sind Sie nicht auch dieser Meinung, Miss West?“, erkundigte sich Miss Platt mit lauter Stimme.

Als ihr bewusst wurde, dass sie - schon wieder -nicht zugehört hatte, blinzelte Venetia verwirrt. „Äh. Ja. Natürlich stimme ich Ihnen zu.“

Mit einem nachdenklichen Ausdruck in den hellblauen Augen legte Miss Platt den Kopf schief. „Stimmt etwas nicht?“ Venetia spürte, wie ihre Wangen anfingen zu glühen. „Es ist alles in Ordnung. Ich war nur ... in Gedanken versunken.“ In Gedanken an Gregor. Seit gestern Morgen, als er sie wieder geküsst hatte - oder besser, seit sie ihn geküsst hatte -, war sie nicht mehr in der Lage, irgendetwas anderes zu tun, als an ihn zu denken.

Tagsüber, als es so schien, als gäbe es im Gasthaus nicht genug Platz für sie beide, war es schlimm genug gewesen, aber in der vergangenen Nacht war es noch schlimmer geworden, denn sie hatte nur sehr wenig geschlafen. Miss Higganbothams Schnarchen war dabei viel weniger das Problem gewesen als die verwegenen Gedanken, die in Venetias Kopf kreisten - die Erinnerung an den Kuss und die Vorstellung von noch viel intimeren Dingen.

Und wenn es ihr hin und wieder doch gelang, für wenige Sekunden zu schlafen, waren ihre widerspenstigen Gedanken noch viel freier und schamloser auf die Wanderschaft gegangen. In ihren Träumen begehrte sie ihn leidenschaftlich und unersättlich, und jede Berührung weckte das Verlangen nach einer weiteren.

Seit dem Kuss hatte Venetia vermieden, mit Gregor allein zu sein, was dank der Anwesenheit von Miss Platt und Miss Higganbotham nicht schwierig gewesen war. Die beiden hatten sich als so anhänglich erwiesen, dass Venetia kaum einen Augenblick für sich allein hatte. Ravenscroft war mit seinen Aufmerksamkeiten Miss Platt gegenüber fortgefahren, was Gregor dazu veranlasst hatte, eine finstere Miene aufzusetzen und schließlich den jungen Mann aufzufordern, mit ihm gemeinsam im Stall nach den Pferden zu sehen. Ravenscroft hatte die Beweggründe für diese Einladung nicht erkannt und freudig zugestimmt. Als er mit Ravenscroft das Zimmer verlassen hatte, hatte Gregor einen triumphierenden Blick in Venetias Richtung geworfen.

Beim Gedanken an diese Szene zog Venetia die Nase kraus. In letzter Zeit war Gregor unerträglich und behandelte jeden in seiner Umgebung wie seinen Lakaien. Was sie gestern getan hatte, bereute sie kein bisschen; Gregor hatte es verdient, einen großen Schneeball an den Kopf zu bekommen, auch wenn er dadurch so wütend geworden war, dass es anschließend noch zwei Stunden heftig geschneit hatte.

„Das Wetter ist furchtbar“, stellte Miss Platt fest. „Seit gestern ist mindestens ein Fuß Schnee gefallen.“

Woran einzig und allein der verdammte Gregor schuld war. Wahrscheinlich würde er ihr die Schuld geben, aber er war derjenige, der arrogant und selbstherrlich war.

Miss Platt holte ihre Näharbeit aus dem Korb, den sie mit ins Zimmer gebracht hatte. „Das Wetter ist so ungewöhnlich für April, und es ist so seltsam, dass wir nun alle zusammen hier festsitzen - ich frage mich, ob das Vorsehung war.“

„Glauben Sie an das Schicksal?“, erkundigte sich Venetia.

„Ich fange an, daran zu glauben“, erwiderte Miss Platt mit ernster Stimme, während sie geschickt eine Nadel einfädelte. „Ich frage mich, ob ich vom Schicksal zur gleichen Zeit hierhergeführt wurde wie Mr. West, weil...“ Sie errötete. „Du liebe Güte, ich hätte das Ihnen gegenüber nicht erwähnen dürfen.

Schließlich ist Mr. West Ihr Bruder, aber ich dachte gerade ... ach, vergessen Sie, was ich gesagt habe.“

Venetia blinzelte verwirrt.

Es konnte doch wohl nicht sein, dass Miss Platt in so kurzer Zeit echte Gefühle für Ravenscroft entwickelt hatte? Schließlich waren nur zwei Tage vergangen, und Ravenscroft war nicht die Sorte Mann, der eine Frau mit seinem Charme betören konnte. Natürlich war Miss Platt keine gewöhnliche Frau, aber dennoch war es erstaunlich, wie sehr sie sich gleich in die Sache mit Ravenscroft hineingesteigert zu haben schien.

„Ich weiß, was Sie denken“, sagte Miss Platt, während sie die Nadel in den Stoff stach. „Mr. West und ich kennen uns noch nicht sehr lange.“

„So ist es, und ...“

„Aber als ich Mr. West zum ersten Mal sah, wusste ich sofort, dass es Liebe ist.“

„Aber ... zunächst fühlten Sie sich zu Lord MacLean hingezogen“, erinnerte Venetia sie und zog fragend die Brauen hoch.

„Tatsächlich?“ Mit winzigen, ordentlichen Stichen nähte Miss Platt eine kurze Naht. „Ich kann mich nicht erinnern.“

„Ich bin von Natur aus eher optimistisch und hasse es, Schwarzmalerei zu betreiben, aber Ra... ich meine, Mr. West ist noch sehr jung und offenkundig ein etwas wankelmütiger Charakter. Er ist einfach noch nicht in der Lage, so tiefe Gefühle aufzubringen, wie sie für eine dauerhafte Beziehung nötig sind.“ Was die traurige Wahrheit war. „Wenn er in einigen Jahren reifer geworden ist, wird er möglicherweise in der Lage sein, jemanden wirklich zu lieben, aber so weit ist es noch nicht.“

Miss Platt lachte. „Oh, Miss Venetia! Sie reden wie eine Schwester, die Sie ja auch sind. Ich nehme an, es ist schwierig für Sie, Ihren Bruder als erwachsenen Mann zu sehen. Ebenso geht es mir mit dem armen Bertrand. Aber glauben Sie mir, Mr. West ist sehr wohl in der Lage zu tiefen Gefühlen.“ Sie ließ die Näharbeit in ihren Schoß fallen, presste beide Hände auf ihr Herz und seufzte tief. „Ich habe seine Seele in seinen Augen gesehen.“

Mit den Fingerspitzen rieb Venetia ihre Schläfen, wo sie einen beginnenden Schmerz spürte. So ging das nicht, sie muss-te so bald wie möglich mit Ravenscroft sprechen. Was würde er dazu sagen, dass Miss Platt anfing, sich in ihn zu verlieben? Wahrscheinlich war es am besten, momentan nicht darüber nachzudenken. Dennoch hörte sie irgendwo ganz tief in ihrem Inneren Gregors Stimme, die sie vor den Gefahren warnte, welche es mit sich brachte, wenn man sich in die Angelegenheiten anderer Leute einmischte. Energisch erstickte sie die Stimme. Lieber wollte sie in einen Sack gesteckt und im tiefsten Winter in die Themse geworfen werden, als jemals so hartherzig und gefühllos wie Gregor zu werden.

„Miss West.“ Miss Platts sanfte Stimme brachte Venetia in die Gegenwart zurück. „Eine so schöne Frau wie Sie muss schon viele Verehrer gehabt haben.“

„So schrecklich viele waren es nicht.“ Venetia konnte die Männer, die sie ermutigt hatte, sie zu umwerben, an den Fingern einer Hand abzählen. Den meisten Gentlemen, die sie kennenlernte, schien irgendetwas Entscheidendes zu fehlen, als könnten sie sich nicht an einem unsichtbaren Traumbild messen.

„Ich bin sicher, Sie hatten Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Bewunderern“, widersprach Miss Platt verträumt.

Ihre Vermutung brachte Venetia zum Lachen. „Ich hatte einige wenige, aber ich fürchte, ich bin nicht gerade die Art Frau, die in der vornehmen Gesellschaft unglaubliche Triumphe feiert.“ Sie sah an ihrem üppigen Körper herab. „So sehr ich mich auch bemühe, schaffe ich es nicht, mir die süßen Törtchen abzugewöhnen. Ich bin nicht willensstark genug für die augenblickliche Mode.“

„Da muss ich aber ernsthaft protestieren“, erklärte Miss Platt entschieden.

„Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich beklage mich nicht. Wenn ich mich nicht wohlfühlen würde, krank wäre oder mich nur unter Schwierigkeiten bewegen könnte, hätte ich einen Grund, etwas zu ändern. So aber bin ich eben die, die ich bin, und ich bin glücklich, so wie ich bin.“

Zweifelnd betrachtete Miss Platt Venetia und schaute dann an ihrem eigenen Körper hinab. „Ich wünschte, ich hätte Ihre Rundungen. Mich beachtet nie jemand, weil ich so eine flache Brust habe.“

„Das wäre mit dem richtigen Kleid leicht zu verbergen“, stellte Venetia fest. „Tatsächlich sollten Sie ..."

Die Tür öffnete sich, und Miss Higganbotham trat ins Zimmer. Sie hatte ihre goldenen Locken mit Saphirnadeln hochgesteckt und trug einen mit französischer Spitze verzierten Morgenmantel.

Nach einem Schritt blieb sie stehen und hob mit dramatischer Geste die Hand, um ihre Augen zu beschatten, als wäre das Licht im Raum zu grell.

Venetia fühlte sich versucht, ungeduldig mit den Augen zu rollen, auch weil sie sich sicher war, dass ihre Mutter einem solchen Auftritt bewundernd Applaus gespendet hätte.

Miss Platt hingegen rief besorgt: „Miss Higganbotham! Was ist passiert? Stimmt etwas mit Ihren Augen nicht?“

Das junge Mädchen ließ den Arm sinken und schaute sich im Zimmer um „Oh. Nur Sie beide sind hier. Ich dachte, mein Vater und Lord MacLean wären auch da.“

„Lord MacLean?“ In Miss Platts Augen funkelte Neugier. „Ich frage mich, warum Sie ausgerechnet ihn sehen möchten.“

Miss Higganbotham zuckte die Achseln, konnte aber gleichzeitig ein leises Lächeln nicht unterdrücken. „Natürlich bin ich meinem Henry sehr zugetan, aber ..." Ihr Lächeln wurde breiter.

„Meine liebe Miss Higganbotham“, meinte Miss Platt kichernd. „Ich weiß genau, was Sie meinen. Wenn es den lieben Mr. West nicht gäbe, wäre ich wohl auch verliebt in Lord MacLean!“

Mit einem tiefen Seufzer hob Miss Higganbotham ihren seelenvollen Blick. „Er ist fast schön zu nennen, trotz seiner Narbe.“ Ein zarter Schauer durchlief ihren Körper. „Ich habe vor, ihn heute beim Abendessen danach zu fragen. Ob er wohl bei einem Duell verletzt wurde? Falls ja, ist er ein sehr mutiger Mann.“

Ein seltsames Gefühl machte sich in Venetia breit. Was wollte dieses Kind von Gregor? Nie und nimmer würde er auch nur das leiseste Interesse an jemandem wie ihr haben, und je eher das kleine Biest das merkte, umso besser!

Gewaltsam verdrängte Venetia ihre unfreundlichen Gedanken. Langsam, aber sicher wurde sie verrückt. Erst hatte sie Gregor erlaubt, sie zu küssen und diesen Kuss auch noch genossen, und nun entwickelte sie zu allem Überfluss zusätzlich ein hässliches Gefühl, welches Eifersucht ziemlich nahekam. Als Nächstes würde sie auf jeden herumliegenden Papierfetzen „Lady MacLean“ kritzeln und auf der Rückseite von alten Schnittmustern Hochzeitseinladungen entwerfen!

Völlig ahnungslos, welchen Tumult sie in Venetias Brust entfacht hatte, schloss Miss Higganbotham die Tür und lehnte sich dagegen, als wollte sie einer bösen Macht den Eintritt verwehren. „Ich bin so froh, dass ich Sie beide hier angetroffen habe! Wissen Sie, wo mein Vater sein könnte?“

„Er ist im Stall“, erwiderte Venetia. „Ihr Stallbursche glaubt, dass sich eines Ihrer Zugpferde nicht wie befürchtet das Bein gebrochen hat, sondern dass es nur verstaucht ist.“

„Warum sorgt er sich um das Pferd, wenn seine eigene Tochter dahinsiecht?“ Gegenüber von Venetia und Miss Platt ließ Miss Higganbotham sich auf einem Stuhl nieder.

Miss Platt streckte den Arm aus und tätschelte die Hand des Mädchens. „Sie wirken nicht, als würden Sie dahinsiechen. Vielmehr hat Mrs. Treadwell erzählt, Sie hätten alle Teller leer gegessen, die sie Ihnen aufs Zimmer gebracht hat, und sogar nach mehr gefragt.“

„Was versteht sie denn schon von Schmerz und Leid? Oder irgendjemand sonst hier außer mir?“

Ein hübsches Rosa überzog Miss Platts Wangen. „Ich weiß allerdings nichts davon, denn mein Liebesieben war in letzter Zeit einfach nur wunderschön.“

„Miss Platt! “, stieß Miss Higganbotham in inbrünstigem Ton hervor und griff nach den Händen der älteren Frau. „Vielleicht habe ich Ihnen Unrecht getan. Sind auch Sie von den Flügeln der wahren Liebe berührt worden?“

Anstatt bei diesem seltsamen Gerede in lautes Gelächter auszubrechen, strahlte Miss Platt die junge Frau an. „Oh ja, ich weiß alles über die wahre Liebe! In dem Moment, in dem Sie eintraten, sprach ich gerade mit Miss West über dieses Thema.“

Guter Gott, jemand musste Miss Platt davor warnen, ihr Herz auf der Zunge zu tragen! Es entsprach den Tatsachen, dass Ravenscroft netter zu Miss Platt war, als sie es von Män-nern gewohnt war, aber stets in aller Öffentlichkeit, unter den wachsamen Blicken von Mrs. Bloom und Venetia. Niemals hatte er die Grenze des Schicklichen überschritten; er war freundlich zu ihr gewesen, sonst nichts. Venetia konnte nicht verstehen, wieso Miss Platt meinte, dass mehr zwischen ihr und Ravenscroft war, nachdem sie in den zwei Tagen ihrer Bekanntschaft nicht einmal eine einzige richtige Unterhaltung geführt hatten. Schließlich war Ravenscroft gar nicht in der Lage, seine Langeweile zu verbergen, während Miss Platt ihr nervöses Kichern nicht unterdrücken konnte, welches sie jedes Mal überkam, wenn er das Wort an sie richtete.

Miss Higganbotham strich ihre zarten Röcke glatt und wandte sich dann an Venetia und Miss Platt: „Habe ich eine private Unterhaltung gestört?“

„Oh nein! “, erwiderte Miss Platt rasch. „Miss Venetia und ich haben nur über Männer gesprochen.“

„Ich denke, alle Männer sind schwierig“, verkündete Miss Higganbotham. „Ich wäre nicht in dieser misslichen Lage, wenn mein geliebter Henry auf mich gehört hätte. Obwohl ich ihm sagte, was geschehen wird, wenn mein Vater das mit uns herausfindet, weigerte er sich, mit mir durchzubrennen. Und hier bin ich nun, gegen meinen Willen aus seinen Armen gerissen!“

Während Miss Platt höchst beeindruckt schien, blieb Venetia ungerührt. „Miss Higganbotham ...“, begann sie.

„Nennen Sie mich bitte Elisabeth. Alle tun das.“

„Sehr schön. Sie dürfen mich Venetia nennen.“

Miss Platt lehnte sich vor. „Und ich bin Delilah.“

Erstaunt wandten sich Elisabeth und Venetia Miss Platt zu, die prompt rot wurde. „Meine Mutter fand, dass Delilah in der biblischen Geschichte höchst unfair behandelt wird. Jeder hält sie für schlecht, weil sie Samsons Haare abgeschnitten und ihm damit seine Kraft geraubt hat, aber vielleicht war sie gezwungen zu tun, was sie tat.“

Elisabeth nickte. „Ich habe noch nie darüber nachgedacht, aber ich könnte mir denken, dass Sie recht haben. Männer versuchen immer, den Frauen die Schuld an allem zu geben.“

In diesem Moment stellte Venetia fest, dass es nun sehr deutlich in ihren Schläfen pochte.

„Ich weiß alles über Männer“, fügte Elisabeth hochmütig hinzu. „Ich war schon drei Mal verlobt.“

„Drei Mal?“, wiederholte Miss Platt erstaunt. „Wie ist das möglich?“

„Die Verlobungen waren selbstverständlich geheim, denn mein Vater ist sehr streng. Aber trotzdem waren es Verlobungen. Henry hat mir sogar einen Ring gegeben.“

„Elisabeth“, mischte sich Venetia ein. „Sagten Sie nicht, dass Sie erst sechzehn sind?“

„Man hat mir schon oft gesagt, ich sähe älter aus.“

„Wie alt waren Sie denn, als Sie sich zum ersten Mal heimlich verlobt haben?“

„Vierzehn. Wahrscheinlich sollte ich diese Verlobung nicht mitzählen, denn er war nur ein Lohndiener. Die Sache ging auch nur zwei Wochen, aber sie zeigt doch, dass ich Männer verstehe.“

„Nur ein Mann versteht Männer“, widersprach Venetia barsch. „Fragen Sie mich etwas über Männer“, forderte Elisabeth sie auf. „Ich werde Ihnen beweisen, dass ich Bescheid weiß.“

Miss Platt klatschte in die Hände. „Oh, wunderbar! Ich weiß, was ich gerne fragen würde. Stellen Sie sich einen Mann vor, einen jungen Mann von großer gesellschaftlicher Gewandtheit ...“

War Miss Platt etwa tatsächlich der Meinung, Ravenscroft sei ein gewandter Mann? Schließlich konnte er kaum einen vollständigen Satz herausbringen.

„Ein Mann“, fuhr Miss Platt fort, „der einer Dame gegenüber einige Aufmerksamkeit gezeigt hat. Nach wie langer Zeit kann man davon ausgehen, dass dieses Interesse mehr als ein Flirt ist?“

Elisabeth spitzte ihre rosigen Lippen. Nachdem sie einen Moment nachgedacht hatte, erklärte sie mit großer Autorität: „Nach einer Woche.“

„Eine ganze Woche?“, vergewisserte sich Miss Platt mit enttäuschter Miene.

„Blödsinn!“, stellte Venetia schroff fest. „Man kann sich nicht in einer einzigen Woche verlieben.“

Elisabeth zuckte die Achseln. „Ich habe es getan. Und Henry auch.“

„Sind Sie sicher, dass es Liebe ist?“, fragte Miss Platt.

„Sie können sich der Gefühle eines Mannes nicht sicher sein, bis Sie von ihm den Blick bekommen.“

„Welchen Blick?“, erkundigte sich Miss Platt eifrig.

„So.“ Elisabeth starrte Miss Platt intensiv an.

In ihrem ganzen Leben hatte Venetia noch nie etwas so Albernes gesehen.

Miss Platt schielte skeptisch zurück. „Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, Elisabeth, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich diesen Blick von einem normalen Blick unterscheiden kann.“ „Schauen Sie genauer hin“, befahl Elisabeth, legte die Hände auf Miss Platts Schultern und beugte sich so weit vor, dass die Nasen der beiden Frauen sich beinahe berührten. „Sehen Sie? Sehen Sie, wie ich direkt in Ihre Augen schaue?“

„Oh ja!“, rief Miss Platt mit weit aufgerissenen Augen. Zufrieden lehnte sich Elisabeth auf ihrem Stuhl zurück. „Na also. Da sehen Sie, wie mächtig der Blick ist.“

„Jetzt verstehe ich. Oh, wenn Mr. We...“ Sie warf Venetia einen kurzen Blick zu und errötete. „Ich wollte sagen, ich hoffe, dass mich eines Tages ein Mann so ansehen wird.“

Seufzend sehnte Venetia sich plötzlich nach Einsamkeit und Frieden. „Wenn Sie meinen, dass jeder Mann, der Sie einfach nur ansieht, verliebt in Sie ist, wird keiner wagen, Ihnen ins Gesicht zu sehen.“

„Nicht alle Männer sind so schwierige Fälle. Einige genießen es, die Aufmerksamkeit einer Frau zu erregen“, erklärte Elisabeth und strich ihr Haar zurück. „Sie fühlen sich dann besonders männlich.“

Rasch nickte Miss Platt. „Da Sie ja nun verlobt sind, um dieses Mal auch wirklich zu heiraten, und vorher schon zwei Mal verlobt waren, nehme ich an, Sie kennen sich bestens aus.“ „Ja“, erwiderte Elisabeth in selbstverständlichem Ton. „Ich habe riesige Erfahrung, was ein großes Glück ist, denn es ist ziemlich schwierig, romantisch zu sein, wenn man so desillusioniert ist, wie ich es bin.“

„Armes Ding“, murmelte Miss Platt und tätschelte Elisabeths Knie.

Venetia beschloss, dass sie das hier keinen Augenblick länger ertragen konnte. Hastig entschuldigte sie sich und ließ die beiden Frauen im vertraulichen Gespräch allein vor dem Kamin sitzen. Es war besser, wenn sie Ravenscroft davor warnte, Miss Platt weiter seine Aufmerksamkeit zu schenken - womöglich geriet er schon in große Gefahr, wenn er sie nur anschaute!