12. Kapitel
Nicht selten kommt die Liebe zu uns, ohne dass wir es bemerken. Auf zarten Samtpfötchen nähert sie sich und lässt sich im verborgensten Winkel unseres Herzens nieder. Ihr wisst vielleicht nicht einmal, dass sie da ist, bis jemand euer Herz berührt und sie weckt...
...so sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei jungen Enkelinnen.
Venetia genoss die wunderbare Ruhe im Gastraum, den
sie im Augenblick für sich allein hatte. Mrs. Bloom
hatte Miss Platt in ihr Zimmer beordert, wo es wieder einmal Näharbeiten zu erledigen gab, und Elisabeth hatte beschlossen, nach oben zu gehen und dort einen Roman zu lesen.
Daraufhin war Venetia mit ihrem eigenen Buch unten geblieben. Es handelte sich um ein bildendes Werk, in dem es um den Fall des Römischen Reiches ging. Pflichtbewusst ließ sie sich auf einem Stuhl nieder und schlug ihre Lektüre auf.
Sie hatte Gregor nicht mehr gesehen, seit er so aufgebracht das Haus verlassen hatte, und Ravenscroft war seit dem Frühstück verschwunden. Die Stimme des Squires war irgendwo im Haus zu hören, aber sie wusste nicht genau, wo er sich aufhielt; vielleicht war er mit Mr. Treadwell im Weinkeller. Der Squire hatte mehrere Mal die Qualität des Brandys gelobt, der im Gasthaus ausgeschenkt wurde.
Venetia blätterte um und betrachtete das Bild zweier Frauen neben einem Marmorbecken, das auf der nächsten Seite abgedruckt war. Die hochmütig dreinblickende Matrone, die auf einem Sofa ruhte, erinnerte Venetia an Mrs. Bloom. Bei diesem Gedanken runzelte sie die Stirn. Am Morgen, als sich Miss Higganbotham wieder einmal über die Kälte beklagt hatte, war Mrs. Bloom hinauf in ihr Zimmer gegangen und hatte für Elisabeth einen kostbaren, pelzgefütterten Umhang geholt. Das Mädchen hatte vor Entzücken gequiekt und Mrs. Bloom impulsiv umarmt, wobei diese höchst unbehaglich ausgesehen hatte, als wäre ihr der Dank peinlich. Venetia war angesichts der Großzügigkeit der älteren Frau höchst überrascht gewesen, doch erstaunlicherweise schien Miss Platt an dem Geschenk nichts Ungewöhnliches zu finden, sondern erklärte, das sei Mrs. Blooms Art.
Venetia streckte die Füße in Richtung des Kamins aus und genoss die behagliche Wärme, die durch ihre Schuhe drang und an ihren Beinen heraufkroch. Als sie sich dabei ertappte, wie sie darüber nachdachte, wo Gregor sich in diesem Moment wohl aufhielt, rief sie sich sofort zur Ordnung und verdrängte die Frage aus ihren Gedanken.
Es war zu dumm, dass sie sich nicht für Ravenscroft erwärmen konnte. Obwohl er nicht gerade ihren Vorstellungen eines idealen Mannes entsprach, wusste man bei ihm doch immer, woran man war. Er hielt mit seinen Gefühlen nicht hinter dem Berg: eine angenehme Abwechslung im Vergleich zu bestimmten Männern, die sie kannte.
Gregor dagegen war ein Mann voller Geheimnisse, fähig zu großen Gefühlen, die er jedoch niemals auch nur andeutungsweise zeigte. Immerhin konnte er wütend werden und verbarg seine Wut dann auch nicht, aber niemals zuvor hatte er so viel Zorn gezeigt wie in der vergangenen Woche.
Mit gerunzelter Stirn dachte Venetia darüber nach, ob sie einander jemals wieder anlächeln würden, ohne sich zu fragen, was genau dieses Lächeln wohl zu bedeuten hatte.
Ihre Hände umklammerten das Buch auf ihrem Schoß. Wie hatte er nur vorschlagen können, dass sie ihre Leidenschaft erforschten, als ginge es um irgendein bedeutungsloses Experiment? Dieser Gedanke brachte ihr Blut zum Kochen. Wie gut, dass ihre Stimmungen das Wetter nicht beeinflussten, denn sonst hätte es in diesem Augenblick einen furchtbaren Sturm gegeben.
Sie sah aus dem Fenster. Es klarte auf, und der Wind trieb die großen, wattigen Wolken auseinander, hinter denen sich ein reingewaschener blauer Himmel zeigte. Nur noch einige wenige Böen beugten die Äste der Bäume zu Boden. Bei diesem Anblick musste sie an den Spaziergang im Wald denken, den sie mit Gregor unternommen hatte, und an den Küss, der immer noch auf ihren Lippen zu brennen schien. In einem Moment hatten sie sich noch gestritten, und im nächsten Moment hatten sie einander plötzlich leidenschaftlich umarmt. Es war himmlisch gewesen. Und außerdem höchst verwirrend.
Um sich zu beruhigen, atmete Venetia tief durch und öffnete dann wieder die Augen. Das Buch auf ihrem Schoß hatte sie längst vergessen, viel zu sehr war sie damit beschäftigt, darüber nachzudenken, wie sie einigermaßen heil aus dieser verworrenen Geschichte herauskam. Trotz der Gefühle, die sie jedes Mal überrollten, wenn er in ihrer Nähe war, musste sie bei klarem Verstand bleiben. Bei der Erinnerung an ihre wilde Reaktion auf den Kuss im Wald schlug sie die Hände vors Gesicht. Ihr Körper vibrierte vor Unruhe. Verdammt noch mal, alles hatte sich verändert! Sie konnte nicht einfach ...
„Venetia.“ Eine Stimme, tief wie das Meer, in der ein rauchiger schottischer Akzent mitschwang, streichelte sie wie zwei warme Hände.
Sie sprang auf und wirbelte herum. Ihre Röcke flogen, das Herz schlug ihr bis in die Kehle.
Gregor füllte die ganze Türöffnung aus. Eine Hand hatte er in die Jackentasche geschoben, in der anderen hielt er ein kleines Buch. Sein schwarzes Haar, ein wenig feucht vom geschmolzenen Schnee, kringelte sich im Nacken, um seine Lippen spielte ein sinnliches Lächeln.
Venetia spürte, dass sich etwas an ihm verändert hatte, und schnappte nach Luft.
Was auch immer es war, es nahm ihm nichts von seiner Anziehungskraft. Sie musste die Nägel in die Handflächen graben, um sich davon abzuhalten, die widerspenstigen Löckchen zu berühren.
Ich muss vernünftig sein und ...du liebe Güte, waren seine Augen schon immer so tiefgrün?
Sie zwang sich zu einem höflichen Lächeln. „Guten Tag, Gregor.“ Auf der verzweifelten Suche nach einem Gesprächsstoff fiel ihr Blick auf das Buch, das er in der Hand hielt. „Was hast du da?“
Mit angeekelter Miene betrachtete er das kleine Buch. „Shelley.“
Sie blinzelte erstaunt. „Der Dichter?“
„Gibt es noch einen anderen?“, erkundigte er sich in spöttischem Ton, ein wenig verärgert angesichts ihrer ungläubigen Reaktion. „Ich pflege durchaus zu lesen, weißt du.“
„Ja, aber ... Shelley?“
Gregor stieß sich vom Türrahmen ab. Für einen kurzen Augenblick schien das ganze Zimmer zur Seite zu kippen, und plötzlich wurde ihm bewusst, wie viel Alkohol er im Blut hatte. Bevor er in die Wärme des Gasthauses zurückgekehrt war, hatte er gar nicht bemerkt, dass er den Großteil des Gebräus alleine getrunken hatte.
Wenn er nicht in erreichbarer Nähe des Türrahmens blieb, konnte es passieren, dass er einfach umfiel, was seine Chancen, die Wette zu gewinnen, drastisch verringert hätte. Und es war eine wichtige Wette für ihn, eine Wette, bei der es um seine Ehre ging. Er hatte hundert Pfund darauf gesetzt, dass Venetia keine Frau wie alle anderen, sondern eine außergewöhnliche Frau war.
Während er an Venetia vorbei in Richtung Fenster schaute, bemerkte er, dass die Vorhänge nur halb zurückgezogen waren. Jemand, der vom Hof aus ins Zimmer sah, konnte deshalb nur den vorderen Teil des Raumes überblicken. Er musste die Vorhänge vollständig öffnen, damit Ravenscroft und Chambers von draußen miterleben konnten, wie falsch ihre Meinung über Venetia war.
Allerdings würde es eines wahren Meisterstücks bedürfen, das Fenster zu erreichen, ohne dass Venetia mitbekam, wie betrunken er war. Sie würde es gar nicht schätzen, dass er sie in diesem Zustand besuchte.
Nein, das war die Meinung anderer Frauen über Männer, die ein wenig zu tief ins Glas geschaut hatten. Venetia würde einfach nur lachen und ihn die nächsten zweitausend Mal, die sie sich trafen, mit seinem erbarmungswürdigen Zustand an diesem Tag aufziehen, was viel, viel schlimmer war, als ausgescholten oder verachtet zu werden. Venetia wusste sehr genau, wie man einen Mann verletzte.
Als Gregors Blick auf das Buch in seiner Hand fiel, fragte er sich einen Moment lang verwirrt, was er damit vorhatte. Ach, ja! Der Dummkopf Ravenscroft glaubte tatsächlich, Venetia würde bei diesem Blödsinn vor Entzücken in Ohnmacht fallen.
Dann konnte es losgehen! Grinsend hob Gregor den Kopf und schaute Venetia an, weil er sich plötzlich wünschte, seine Gedanken mit ihr zu teilen, doch sie ging gerade dicht am Kamin vorbei, und vor dem Schein des Feuers war einmal mehr nur zu offensichtlich, dass sie keinen Unterrock trug. Für einen Augenblick konnte Gregor durch den Rock hindurch deutlich Venetias Beine und Hüften erkennen, weil das Licht klar die Konturen ihrer hübschen Knie, ihrer geschmeidigen Schenkel und ihrer runden Hüften hervortreten ließ.
Gleich darauf entfernte sie sich wieder vom Kamin, und ihr Rock war sittsam undurchsichtig, wie es sich gehörte. Gregor öffnete den Mund, doch ihm wollte kein einziges Wort einfallen, das er hätte sagen können. Er konnte nur dastehen, sie anstarren und spüren, wie sein ganzer Körper starr vor Verlangen wurde.
„Gregor?“
Erst als sie ihn ansprach, bemerkte er, dass er immer noch wortlos dastand und sie anglotzte wie ein zwölfjähriger Knabe.
Verdammt noch mal, das war jedenfalls nicht das richtige Verhalten, um seine Wette zu gewinnen. „Ich habe dir etwas mitgebracht“, stieß er hervor, nachdem er sich ausgiebig geräuspert hatte. „Bist du beschäftigt?“
Sie schüttelte den Kopf, legte eine Hand auf ihre Hüfte und die andere auf die Lehne des Stuhls, hinter dem sie gerade stand. Diese Haltung hatte unglücklicherweise den Effekt, dass sich ihre Brüste eng an den Stoff ihres Kleides schmiegten.
Während Gregor mit seinen Blicken an den üppigen Kurven hing, konnte er kaum atmen. Er hatte schon immer gewusst, dass Venetia hübsche Rundungen hatte, aber aus irgendeinem Grund hatte er nicht wahrgenommen, wie herrlich ihre Brüste waren. Nicht von der ruhigen, kühlen Schönheit eines Gemäldes, sondern von der warmen Herrlichkeit einer Frau aus Fleisch und Blut.
Himmel, wie war es möglich, dass er diese Brüste übersehen hatte? Sie waren voll, mehr, als er in seiner Hand halten konnte, und wunderschön gerundet.
Mühsam riss er seinen Blick von Venetias verführerischen Brüsten los und sah ihr ins Gesicht. „Ich ... Ich brauche Luft“, röchelte er.
„Luft?“, wiederholte sie erstaunt. „Warum das? Bist du krank?“
„Nein, nein. Es ist nur ...“, er wedelte mit der Hand durch die Luft, „... stickig hier drinnen.“ Nun löste er sich endgültig vom Türrahmen und ging langsam zum Fenster, wobei sein ungestilltes Verlangen ihm half, seine Schritte fest zu setzen, obwohl immer noch alles um ihn herum schwankte. Er zog die Vorhänge weit auf, und sofort durchflutete grelles Licht den Raum.
Na also! Nun konnte er Venetia gegenübertreten, ohne Angst haben zu müssen, dass sie sich ihm noch einmal derart entblößt zeigte, wie sie es soeben unwissentlich getan hatte. Er strich seine Jacke glatt, nahm einen tiefen Atemzug, um das Begehren, das noch immer durch seinen Körper rollte, unter Kontrolle zu bringen, und wandte sich um.
Verdammt.
Die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster fielen, ließen die Rundungen von Venetias Brüsten überdeutlich hervortreten, indem es die üppigen Kurven mit einem Hauch cremefarbenen Lichts überzog.
Gregor presste verzweifelt die Lippen aufeinander.
Als Venetia ihn ansah, weiteten sich ihre Augen, und sie verschränkte nervös die Arme. Wodurch sie unglücklicherweise ihre Brüste nach oben presste, bis sie sich überaus deutlich durch den dünnen Stoff ihres Kleides abzeichneten, selbst die steifen Brustwarzen konnte er erkennen. Ebenso wie jedes Band ihres Unterkleides.
Quälend langsam durchlief ein Schauer seinen Körper. Im Stillen verdammte er die übermäßige Menge an Grog, der wahrscheinlich an seiner Reaktion schuld war.
Allerdings hatte er keinen Grog getrunken, bevor er sie gestern geküsst hatte. Das war ganz allein er gewesen. Und sie.
In seinem bisherigen Leben hatte er schon die Liebkosungen vieler höchst unterschiedlicher Frauen genossen, aber niemals zuvor hatte er eine so überwältigende Anziehung gespürt.
Die Vertrautheit, die zwischen ihnen herrschte, hätte ein Schutz sein sollen. Er hatte sie als Kind mit zerzaustem Haar gesehen und als junges Mädchen mit Pickeln erlebt, das zudem bis zu seinem fünfzehnten Geburtstag erbärmlich flachbrüstig gewesen war. Er hatte gesehen, wie sie wegen verschiedener Männer unter Liebeskummer gelitten hatte, aber niemals so heftig, dass es tatsächlich von Bedeutung gewesen wäre. Er wusste, dass sie rote Flecke im Gesicht bekam, wenn sie weinte, und dass sie kreidebleich wurde, wenn sie sich erschrak.
Er hätte immun sein sollen, verdammt noch mal! Aber als er herbeigeeilt war, um sie zu retten und Ravenscrofts offensichtliche Bewunderung erkannt hatte, war es irgendwie passiert, dass Gregor sie zum ersten Mal wirklich gesehen hatte, als das, was sie jetzt war und nicht mehr so, wie er sie als heranwachsendes Mädchen erlebt hatte.
Jetzt sah er Venetia als Frau. Nicht als irgendeine Frau, sondern als intelligente, sinnliche Frau, eine Frau, der er mehr vertraute als ... nun, mehr als irgendjemandem sonst. Vielleicht mehr als seiner eigenen Familie.
Draußen vor dem Fenster bewegte sich etwas. Er schaute genauer hin und sah Chambers und Ravenscroft, die mitten im schneebedeckten Hof standen und höchst verdächtig wirkten, während sie krampfhaft versuchten, unauffällig zu erscheinen und so zu tun, als würden sie mitten im Schnee eine zwanglose Unterhaltung führen.
Gregor betrachtete das Buch in seiner Hand. Wenn er erreichen wollte, dass die beiden dort draußen ihn in Ruhe ließen, sollte er die Sache besser rasch hinter sich bringen. Er schob die Hand in seine Jackentasche, fand das Samtsäckchen mit der Halskette und zog es hervor. „Ich habe dir etwas mitgebracht, Venetia. “
Offensichtlich höchst unbeeindruckt musterte sie das Säckchen. „Was ist das?“
„Ein Geschenk.“
„Für ... mich?“
„Ja, es ist für dich“, erklärte er ungeduldig und bewegte das Samttäschchen ungeduldig vor ihrem Gesicht hin und her. „Es ist eine Halskette.“
Sie antwortete nicht. Rührte sich nicht. Starrte ihn einfach nur an, als hätte er zwei Köpfe, während gleichzeitig eine heftige Röte ihre Wangen färbte.
Mühsam unterdrückte Gregor ein triumphierendes Lächeln. Sie war anders als andere Frauen! Alle anderen Frauen, die er kannte, hätten ihm sofort alle Aufmerksamkeit geschenkt, vor Entzücken gelacht und wie verrückt mit ihm geflirtet, wenn er ihnen ein Geschenk hinhielt.
Er sah durchs Fenster hinaus zu Chambers und Ravenscroft, die nun ganz offen ins Zimmer starrten. Ha! Das würde ihnen abgewöhnen zu behaupten, er habe keine Ahnung, wie Venetia in Wirklichkeit sei!
Natürlich hatte sie das Geschenk immer noch nicht genommen. Da er aber dafür bezahlt hatte und momentan keine andere Verwendung für den Schmuck hatte, hielt er ihren Arm fest und legte ihr das Samtsäckchen in die Hand.
Sie betrachtete es verwirrt.
„Nun steh nicht einfach so da“, schimpfte er. „Mach es auf!“
Ganz langsam öffnete sie das Säckchen und schüttelte den Inhalt in ihre geöffnete Hand. Der Schmuck glänzte im Sonnenlicht, ein goldenes Band, das über ihren zarten Fingern lag. Freude durchzuckte ihn. Chambers hatte einen sehr guten Geschmack; dafür verdiente der Reitbursche eine Extrabelohnung.
Venetia schien nicht in der Lage zu sein, ihren Blick von der glitzernden Halskette zu lösen.
„Gefällt sie dir?“
„Ich ... ich ..." Ihre Finger schlossen sich über der Goldkette, und sie presste ihre Hand gegen die Brust. „Warum machst du mir so ein Geschenk?“
Gregor runzelte die Stirn. Großer Gott, er hatte nicht erwartet, dass sie ihn das fragen würde. „Weil... weil Hölle und Verdammnis, was sollte er auf diese Frage antworten? Er starrte durchs Fenster nach draußen, von wo Chambers und Ravenscroft zurückstarrten.
Venetia wandte sich um. Sie wollte sehen, wohin er schaute, und Gregor zog sie hastig vom Fenster weg und zwang sie, ihn anzusehen.
Sie schnappte nach Luft und sah dann erstaunt auf seine Hand hinunter, die ihr Handgelenk umklammert hielt.
Nie zuvor war ihm aufgefallen, wie zart und schmal ihre Handgelenke waren; seine Finger reichten nicht nur mit Leichtigkeit herum, sondern überkreuzten sich noch über der weichen Wärme ihrer Haut.
Verdammt, sie sah unglaublich verführerisch aus. Das flackernde Licht des Feuers küsste sanft ihre pfirsichfarbene Haut.
Ob sie auch nach Pfirsich schmeckte? Oder eher nach der Sahne und dem Zucker, die sie zu ihrem Tee nahm? Oder vielleicht doch nach rauchigem Verlangen und süßer Leidenschaft?
Er wusste, so wunderbar und verführerisch auch seine Fantasien über sie waren, musste er doch unbedingt herausfinden, wie der Geschmack ihrer Haut in Wirklichkeit war. Bisher hatte er nur ihre Lippen gekostet, deren einladendes Aroma er immer noch zu schmecken meinte. Finster schaute er durchs Fenster hinaus in den Hof, wo Chambers und Ravenscroft sich inzwischen hinter einem Busch versteckt hatten, über dem jedoch ihre Köpfe deutlich zu sehen waren. Hätten die beiden dort draußen nicht herumgelungert, hätte er auf der Stelle herausgefunden, wonach Venetia an jeder noch so verborgenen Stelle ihres Körpers schmeckte.
Er presste einen Kuss auf ihr Handgelenk und ließ seinen heißen Atem über ihre Haut streifen.
Ihre Lippen öffneten sich, und sie riss die Augen weit auf. „Gregor!“, hauchte sie. „Was tust du ... du sollst nicht ... ich kann nicht... “
Nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte, entriss sie ihm errötend ihre Hand. „Ich lasse nicht zu, dass du mit mir Experimente machst, Gregor.“
Experimente? Verwirrt blinzelte er sie an, bis ihm plötzlich klar wurde, wovon sie sprach. „Ach! Du meinst das, was ich in der Halle zu dir gesagt habe. Die Worte, die ich gewählt habe, waren eindeutig falsch. Ich weiß nicht, was ich eigentlich sagen wollte, aber das war es auf keinen Fall. Kannst du mir verzeihen?“
Offensichtlich ernüchtert, öffnete sie den Mund und schloss ihn sofort wieder.
Er lächelte vor sich hin. Venetia benutzte ihren Zorn als Schutzschild, um sich dahinter zu verstecken. Wenn er ihren Ärger nicht noch schürte, sondern sie besänftigte, stand sie fast
hilflos vor ihm. Dieser Gedanke gefiel ihm!
Doch wo waren sie stehen geblieben? Ach ja, er hatte ihr das Geschenk gegeben. Nun war die Poesie dran. Sobald Venetia aufgehört hatte, sich über seinen Gedichtvortrag vor Lachen auszuschütten, würde er sich bei ihr für sein seltsames Verhalten entschuldigen und losgehen, um seinen Wettgewinn zu kassieren.
Zufrieden mit der Entwicklung des Geschehens, schlug er das Buch an einer der Stellen auf, die Ravenscroft markiert hatte.
Mit lauter Stimme begann er zu lesen: „Unten am Fluss erhob ich mich und sah die Morgendämmerung und seufzte beim Gedanken an dich ... “
Venetia musterte ihn erstaunt. Das arme Mädchen musste sich wahrscheinlich furchtbar anstrengen, um sich nicht in Lachkrämpfen am Boden zu wälzen; am besten brachten sie es so schnell wie möglich hinter sich, damit sie aus ihrem Elend erlöst wurde. Gregor räusperte sich und fuhr fort, wobei er die Sache ein wenig gefühlvoller gestaltete, indem er sich die freie Hand auf die Brust presste: „Als die Sonne hoch stand, und der Tau verdunstet war, und der Mittag schwer auf Blume und Baum lag ... “
Wie konnte der Mittag auf irgendetwas liegen, und noch dazu schwer? Er hatte einmal ein Gedicht über ein riesiges Schiff gelesen, das bei einem gewaltigen Sturm sank. Das war ein gutes Gedicht gewesen!
„Gregor?“ Venetias Stimme zitterte ein ganz kleines bisschen.
„Lass mich erst zu Ende lesen.“ Er zwinkerte ihr munter zu. „Und als der matte Tag sich schließlich zur Ruhe begab, zögernd wie ein ungeliebter Gast, seufzte ich noch immer nach dir.“
Unfähig, noch ein einziges Wort zu ertragen, klappte er das Buch zu. „Bitte. Poesie. Für dich. Was denkst du darüber?“
Venetia war kaum in der Lage zu atmen. Sie betrachtete die Halskette, die glitzernd in ihrer Hand lag. Dann schaute sie das Buch an, aus welchem Gregor ihr vorgelesen hatte.
Sie konnte nicht glauben, dass das hier wirklich passierte.
Es konnte unmöglich Gregor sein, der da vor ihr stand, bewaffnet mit Geschenken und Gedichten, der ihr Poesie vortrug, als wäre er ... als wäre ...
Wagte sie, diesen Gedanken zu Ende zu denken?
Venetia umklammerte die Halskette und spürte das Gold warm in ihrer Hand. Vielleicht ... vielleicht bedeutete sie ihm tatsächlich etwas.
Ihr Herz tat einen Sprung und wurde ganz weit. Sie konnte nichts dagegen tun. Die Worte, die er ihr vorgelesen hatte, durchfluteten sie wie eine warme Welle - seufzte ich noch immer nach dir - und brachten ihre Haut zum Prickeln, an ihren Armen, an ihrem Rücken und auch tiefer. „Ich seufzte nach dir“, wiederholte sie mit leiser Stimme verwundert, und in ihr brach ein Damm. Sie machte einen Schritt nach vorn, warf sich an seine breite Brust, hob ihm ihr Gesicht entgegen und zog seinen Mund zu ihrem herab.
Für eine Sekunde stand er stocksteif da. Venetia spürte, wie die Leidenschaft in ihr anschwoll und von ihrem ganzen Körper Besitz ergriff. Sie ließ ihre Zunge über seine Lippen gleiten und presste ihre Brust gegen seine, während sie sich mit beiden Händen an seine Jackenaufschläge klammerte, um ihn näher an sich heranzuziehen.
Das Buch glitt aus Gregors Fingern und schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf, dann strichen seine Hände an ihrem Rücken herab, umfingen sie fester, hielten sie näher, enger bei seinem Körper. Er öffnete den Mund und küsste sie nicht mehr nur, sondern nahm sie in Besitz, bog sie in seinen Armen zurück, presste sich an sie ...
Plötzlich hielt er inne und öffnete die Augen. Dann hob er den Kopf und schaute aus dem Fenster.
Als Venetia in dieselbe Richtung sah wie Gregor, entdeckte sie draußen Ravenscroft und Gregors Reitknecht, die im schneebedeckten Hof standen. Auf ihren beiden Gesichtern lag exakt der gleiche Ausdruck von Erstaunen und Ehrfurcht.
Mit unterdrückter Stimme stieß Gregor einen Fluch aus. Dann ging er zum Fenster, riss es auf, fischte etwas aus seiner Jackentasche und warf es in den Schnee. Nachdem er das Fenster wieder zugeknallt hatte, zerrte er die Vorhänge davor.
„Gregor, ich ...“
Wortlos stapfte er zur Tür und stieß sie mit dem Fuß zu.
Venetias Herz raste, ihre Hände wurden heiß, in ihren Ohren rauschte das Blut. „Gregor?“
Er kam zu ihr zurück. „Ich will dich küssen, Venetia. Ein Nein werde ich nicht akzeptieren.“
Sie öffnete ihren Mund und schloss ihn sofort wieder, unfähig, ein Wort zu sagen.
Gregor legte den Arm um ihre Taille und zog sie fest an sich.
„Es ... es ist ein Schneekoller“, brachte sie atemlos heraus.
Durch die Kleider hindurch spürte sie die Wärme seines Körpers. „Ja“, knurrte er, während seine Lippen ihre Wange streiften.
„Es liegt auch an der Enge hier“, stellte sie stockend fest.
Seine Lippen liebkosten die empfindliche Haut an der Seite ihres Halses. „Hmhm.“
Venetia hob das Kinn, um seinem zärtlichen Mund mehr Raum zu geben. Während ihre Atemzüge immer rascher und rascher kamen, zog sie ihn enger an sich heran. „Das ... hier ... hat ... nichts ... zu ... bedeuten.“
„Ganz wie du wünschst“, murmelte er dicht bei ihrem Ohr, bevor er mit der Zunge über ihre Ohrmuschel strich und sie zum Stöhnen brachte.
Da warf sie die Arme um seinen Nacken und suchte mit ihrem Mund wieder seinen. Als er spürte, wie ihre Leidenschaft sich Bahn brach und wie unmittelbar und direkt ihr Körper auf seine Berührungen reagierte, küsste er sie mit all der Leidenschaft, die zurückzuhalten er sich geschworen hatte. Der Kuss im Wald war nur ein Vorspiel zu dieser Begegnung gewesen.
Gregor war verrückt vor Verlangen und Lust. Und begann herauszufinden, wie sie schmeckte: nach frischem Schnee und nach Sahne, nach verborgenem Lächeln und purer Leidenschaft. Er kostete sie und verschlang sie, unfähig zu denken, unfähig irgendetwas anderes zu tun, als ihre köstliche Unschuld zu genießen.
Sie schob ihre Hände unter seine Weste und krallte sich in sein Hemd. Während sie versuchte, ihn noch deutlicher zu spüren, schmiegte sie sich enger und enger an ihn, und ihr Mund suchte seinen ebenso verzweifelt, wie seiner ihren suchte.
Ihr ganzer Körper, bis in die Zehenspitzen erfüllt mit Leidenschaft, bettelte praktisch darum, berührt, gekostet und verführt zu werden. Mit seinen Lippen zog er eine Linie über ihre Wange bis hin zu ihrem Ohr. „Das hier ist purer Wahnsinn“,
flüsterte er, während sein Herz wie wild pochte.
„Schneewahnsinn“, flüsterte sie zurück, bevor sie sein Kinn küsste.
Als er ihre Zärtlichkeit spürte, durchlief ein Schauer seinen Körper. Himmel, sie war verführerischer als jede Frau, die er bisher kennengelernt hatte. Mit beiden Händen strich sie über seine Brust und ließ sie dann sehr langsam an seinen Armen hinabgleiten, als wollte sie sich jede einzelne Linie und jeden Muskel merken.
„Ich will dich,Venetia.“
Ihr Blick begegnete seinem, verführerisch und dunkel vor Verlangen. „Ich weiß.“
„Du ... bist einverstanden?“
Noch immer lag ihr Blick in seinem. „Oh ja. So sehr.“
Ja, war die Reaktion seines Körpers. Nein, widersprach sein Verstand. Zu seinem Schrecken ließ Venetia ihre Hände zu seiner Taille gleiten und öffnete mit einer einzigen geschickten Bewegung den obersten Knopf seiner Hose.
Ihre Augen wurden noch dunkler, ihre Wangen glühten, als sie entschlossen den zweiten Knopf in Angriff nahm. Dieser glitt nicht ganz so leicht wie der erste durchs Knopfloch, und während sie sich bemühte, ihn zu öffnen, streiften ihn ihre Handrücken auf verführerische und quälende Weise.
„Großer Gott“, murmelte er mit rauer Stimme.
Sie hielt inne, sah ihn erstaunt an und zog die Finger zurück. „Habe ich dir wehgetan?“
„Nein! stieß er hervor, nahm ihre Hände, zog sie wieder hinunter zu seinen Knöpfen und presste sie gegen die feste Beule in seiner Hose.
Ihre Augen weiteten sich, und er stöhnte. Er musste die Sache beenden. Doch obwohl er es sehr genau wusste, dass er ihr Einhalt gebieten musste, war er unfähig, es zu tun. Er kam sich vor wie ein halbwüchsiger Knabe, der zum allerersten Mal mit einer Frau zusammen ist. Sie war so verführerisch, so verlockend - vielleicht weil sie für ihn verboten war, die einzige Frau, die er niemals berühren, niemals küssen durfte. Und doch verlangte sein Körper über alle Maßen nach ihr.
„Wir sollten es nicht tun“, wisperte sie, doch ihre Finger beschäftigten sich bereits eifrig mit dem dritten Knopf.
„Es könnte sein, dass wir es hinterher bereuen“, gelang es ihm zu sagen, während er ihren Rücken und noch tiefere Regionen streichelte.
„Ich bin sicher, wir werden es bereuen.“ Nun wanderten ihre Hände zu seiner Weste, und innerhalb bemerkenswert kurzer Zeit schob sie sie ihm von den Schultern. Ungeduldig warf sie das Kleidungsstück hinter sich und wandte sich seinem Hemd zu, das sie mit fliegenden Fingern aus dem Bund seiner Hose zerrte.
Er konnte sich an keine Frau erinnern, die so entschlossen gewesen war. Venetia war nun die diejenige, die ihn verführte, und er genoss jede Minute davon.
Sie wollte es, wollte ihn.
Wilde Leidenschaft brauste durch seine Adern, und er schob die Hände in ihr Haar und küsste sie voll Verlangen. In diesem Moment gab er den letzten Rest seiner Kontrolle auf.
Es gab keinen Weg zurück.