»Schau mir in die Augen, Kleines.«

Humphrey Bogart in »Casablanca«

 

2

 

»Das war gut«, flüsterte Alan und schlang seine Arme um mich.

»Hmmm«, murmelte ich verträumt und kuschelte mich an seine Brust. Nach dem Frühstück im Starbucks, wo wir uns tatsächlich gut unterhalten hatten, fuhr Alan, der mit Nachnamen Warksi hieß, mich nach Hause.Wir landeten noch einmal im Bett und holten alles nach, was wir in der vorangegangenen Nacht versäumt hatten. Zufrieden schloss ich die Augen. Ginge es nach mir, blieben wir den ganzen Tag im Bett.

»Hast du auch Hunger?«, unterbrach Alan diese wohlige Vorstellung.

»Ich habe immer Hunger.«

»Wir könnten noch irgendwo eine Pizza essen gehen«, schlug er vor.

»Ich habe zwei Tiefkühlpizzen hier. Wenn du Lust hast, können wir sie hier essen und das ganze Bett vollkrümeln.« Alan sah mich mit schiefem Grinsen an.

»Gar keine schlechte Idee«, meinte er dann und zog mich enger an sich.

 

Ganz gegen meine sonstige Gewohnheit – eigentlich hasse ich Hausarbeit, Kochen und alles, was damit zusammenhängt – tänzelte ich kurz darauf in die Küche.

Stace, wie Stacey von ihren Freunden genannt wird, saß an unserer Küchentheke. Ich kenne Stace seit meiner Schulzeit. Wir hatten gleich in der ersten Woche an der Highschool Freundschaft geschlossen. Ebenso wie ich strebte sie damals eine Schauspielkarriere an. Ein halbes Jahr nachdem wir unser Highschool-Diplom endlich geschafft hatten, änderte sie jedoch ihre Meinung und begann eine Ausbildung als Maskenbildnerin und Visagistin. Seit einigen Jahren war sie selbständig, hatte sich in der Branche einen Namen gemacht und hatte es eigentlich gar nicht mehr nötig, sich mit mir eine Wohnung zu teilen.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte sie, als ich, ein Lied vor mich her summend, zwei Pizzen in die Mikrowelle schob. »Und für wen ist die zweite Pizza?«

»Für Alan.«

»Für Alan. Und wer ist Alan?«

»Oh, du wirst schon sehen«, säuselte ich und tanzte durch die Küche.

»Muss ja ein toller Kerl sein«, meinte Stace in dem vergeblichen Versuch, mehr Informationen zu bekommen.

»Stimmmmmt«, rief ich und verschwand im Badezimmer, um die paar Minuten zu nutzen, bevor die Pizzen fertig waren.

»Und was machst du, wenn du nicht damit beschäftigt bist, aus dem Nichts ein Essen zu zaubern?« Ein amüsiertes Lächeln spielte um Alans Lippen.

»Ich arbeite in der Kantine vom Fox Plaza. Also nicht unbedingt der Stoff, aus dem die Träume sind«, antwortete ich.

Alan hob seine Hand und zeichnete die Konturen meiner Wangenknochen nach. »Und was ist der Stoff, aus dem deine Träume sind?«

»Nichts Besonderes«, murmelte ich. »Nichts, was sich nicht jede Zweite, die in Hollywood wohnt, auch wünschen würde. Ich will Schauspielerin werden.«

Sein Finger fuhr eine Linie zu meinem Hals hinunter. »Das hört sich so an, als würdest du selbst nicht viel davon halten«, bemerkte er. Für einen Mann war er erstaunlich aufmerksam. Mir wäre es aber lieber gewesen, wenn er wie all die anderen gewesen wäre. Die Männer, die nichts lieber taten, als ihre eigene Lebensgeschichte in epischer Breite zu erzählen. Ich redete nicht gerne über meinen Traum. Mehr als einmal hatte ich ein ironisches Lächeln geerntet, wenn ich von meinen Wünschen erzählte.

»Ich war bisher nicht besonders erfolgreich«, gab ich zu. »Was ist mit dir? Gibt es etwas, was du unbedingt erreichen möchtest?«, lenkte ich das Gespräch von mir weg.

Alans Hand stoppte kurz über meinem Schlüsselbein.

»Nichts, was nicht jeder Zweite in Hollywood auch gerne erreichen würde«, antwortete er und grinste.

»Aber, nein, ich will nicht Schauspieler werden«, fuhr er fort, bevor ich etwas sagen konnte. »Die andere Hälfte in Hollywood träumt davon, Regisseur zu werden.«

»Bist du deinem Ziel schon näher gekommen?«

»Vielleicht. Drück mir die Daumen, in ein paar Tagen werde ich erfahren, ob ich eine Chance bekomme.«

»Du hast es gut.« Ich seufzte. »Alle anderen haben Erfolg, nur ich nicht«, setzte ich hinzu. Ich musste an Stace denken. Sie konnte sich vor Aufträgen kaum retten, so erfolgreich war sie als Visagistin.

»Gib niemals deinen Traum auf«, flüsterte Alan und zog mich an sich heran. Seine Hand, die eben noch die Konturen meines Körpers nachgezeichnet hatte, strich an meiner Hüfte entlang. Und dann küsste er mich.

 

Es war später Nachmittag, als Alan auf seine Uhr sah. »Schade, ich muss bald weg«, bemerkte er nach einem kurzen Blick auf das Ziffernblatt.

»Was hast du vor, kannst du nicht bleiben?« Kaum waren die Worte aus meinem Mund, hätte ich sie am liebsten zurückgenommen. Wie uncool kann man sein? Ich hatte Regel Nummer eins verletzt, die besagte: Lass einen Mann nie ahnen, ob du an ihm interessiert bist. Play it cool! Stace hatte diese Regeln sogar eine Zeitlang über unserer Waschmaschine aufgehängt, so lange, bis einer ihrer Verehrer ein nasses T-Shirt in den Trockner stecken wollte.

»Ich … habe noch einen Termin.« Das kurze Zögern verriet mir genug. Er hatte eine Verabredung mit seiner Freundin – und das, nachdem er mit mir im Bett gewesen war.

»Gut, wenn das so ist, gehst du am besten gleich. Ich bekomme Besuch und muss noch aufräumen.« Schon wieder. Ich hätte mich am liebsten geohrfeigt. Hätte mir nicht was Besseres einfallen können? Etwas Interessanteres? Eine Party meinetwegen oder ein Casting-Termin? »Besuch am Samstagnachmittag« hörte sich so an, als ob ich kurz vor der Rente stand. Abrupt schlug ich die Bettdecke zurück und stand auf.

Alan schien etwas überrascht zu sein. Was dachte dieser Idiot sich?

»Ja, klar. Sag das doch gleich. Kein Problem.« Mit diesen Worten stand er auf, angelte nach seiner Hose, die über einem der Rattansessel hing, und zog sich an. Als er fertig war, stand er unentschlossen in der Gegend herum und sah mir beim Aufräumen zu. Normalerweise raffe ich alles zusammen, was auf dem Boden liegt, und stopfe es in meinen Schrank. Heute gab ich mir mehr Mühe: Mit hochrotem Gesicht versuchte ich, die Wäsche in den überquellenden Wäschekorb zu quetschen.

Nachdem klar war, dass Alan nicht einfach so zur Tür herausspazierte, drehte ich mich zu ihm um.

»Ich bringe dich noch hinaus«, sagte ich und zermarterte mir das Hirn darüber, was ich sagen könnte, um wenigstens an seine Telefonnummer zu kommen. Wie immer in diesen Fällen fehlten mir die Worte, so dass wir schweigend den Flur betraten, in dem uns auch schon Stace auflauerte. Sie wollte natürlich unbedingt sehen, wen ich da aufgegabelt hatte. Als sie Alan sah, starrte sie ihn mit großen Augen an. Es hätte nicht viel gefehlt, und ihr wäre die Kinnlade runtergeklappt. Man könnte meinen, sie habe noch nie einen Mann aus meinem Zimmer kommen sehen. Alan sah ähnlich erstaunt aus, als er Stace sah: Sie glich einem entlaufenen Leopard. Jedes Wochenende änderte Stace ihr Aussehen. Heute war alles an ihr im Leopardenmuster. Sogar ihr Haar. Um das Ganze abzurunden, trug sie Kontaktlinsen, die ihr den durchdringenden Blick einer Katze verliehen.

»Das ist Stace«, sagte ich im Vorbeigehen. »Stace, das ist Alan.«

»Hi, Alan. Nett, dich kennenzulernen«, war alles, was Stace herausbrachte. »Gehst du schon?«, schaffte sie auch noch.

»Ja, leider. Muss weg«, antwortete Alan und floh zur Tür. Wahrscheinlich hatte er Angst, ich könnte ihn fragen, ob er wiederkäme.

»Also tschüss, war nett«, fügte er noch hinzu, die Klinke in der Hand. Bevor ich etwas sagen konnte, war er auch schon draußen. Die Tür fiel leise ins Schloss.

»Wow. Was für toller Kerl! Wo hast du den her?«

»Frag lieber nicht. Er ist weg, ohne nach meiner Telefonnummer gefragt zu haben. Das war’s dann wohl. Den sehe ich nie wieder.« Frustriert ließ ich mich auf einen Sessel fallen.

»Dich hat’s ja ganz schön erwischt.« Stace musterte mich mit Kennerblick. In Liebesdingen, vor allem mit Liebeskummer, kannte sie sich bestens aus. Schließlich war sie jede Woche in einen anderen Mann verliebt, der ganz bestimmt derjenige welcher war. Der Mann fürs Leben, den sie heiraten und mit dem sie Kinder haben würde. Nach etwa drei Tagen war meist alles wieder vorbei, entweder, weil bei Stace einfach das Gefühl nicht stimmte, er doch ein Idiot war, mit ihr Schluss gemacht hatte, verheiratet war … oder was auch immer. Die Liste war endlos.

»Wundert dich das? Bei dem Aussehen?«

»Ja, aber Aussehen ist nicht alles«, antwortete Stace in ungewohnter Weisheit, als ob sie nicht gerade fast hechelnd neben ihm gestanden hätte. »Die gutaussehenden Männer habe ich mir seit langem abgewöhnt. Meistens nehmen sie viel und geben nichts.«

Das war mir neu, denn eines musste man Stace lassen: Ihre jeweiligen Traummänner sahen immer gut aus.

»Wart’s ab. Er weiß, wo du wohnst. Vielleicht steht er nächste Woche wieder vor der Tür.«

»Ja, klar. Um dich zum Date abzuholen.«

»Ach, mich hat er doch gar nicht beachtet.« Stace klimperte mit ihren langen Wimpern. »Und außerdem bin ich gerade sehr verliebt.«

Wenn das nicht was Neues war.

Bei Staceys Lebenswandel hörte ich diese Worte so oft, dass ich mir ihre Männer gar nicht mehr merkte. Wenn ich sie überhaupt zu Gesicht bekam. Ihre Männer wechselte Stace fast noch öfter als ihr Aussehen.

»Oh! Kenne ich ihn?«, rang ich mir trotzdem ab.

»Nein, aber er kommt gleich. Dann kannst du ihn dir ansehen.« Mit diesen Worten schwang sie sich vom Barhocker und ging Richtung Badezimmer. Ich seufzte. So wie ich Stace kannte, war das Bad jetzt für mindestens eine Stunde blockiert.

 

Trau niemals einem Callboy!
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