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„Wo zur Hölle bist du?”, tönt es mir aus dem Handy entgegen. Mit einer Grimasse beende ich das Gespräch, ohne die Frage zu beantworten. Wenn Ron in dieser Stimmung ist, hat es ohnehin keinen Zweck, mit ihm zu reden. In Gedanken sehe ich ihn vor mir. Er tobt bestimmt vor Wut. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Wahrscheinlich hat er versucht, seinen Kontostand über das Internet abzurufen. So ein Pech.

 Als er das nächste Mal anruft, höre ich seiner Stimme an, dass er sich bemühen muss, um nicht wieder loszubrüllen.

„Tamara, was soll das?“, fragt er in einem halbwegs normalen Tonfall.

„Wovon redest du?“, frage ich zurück, obwohl ich genau weiß, weshalb er anruft.

„Was hast du mit meinen Konten angestellt? Verdammt noch mal!“

„Ron, ich habe keine Ahnung, warum du glaubst, mich mit deinen Geldsachen belästigen zu müssen. Wie wäre es, wenn du dich stattdessen darum kümmerst, unsere Hochzeit abzusagen?“

„Unsere Hochzeit? Was interessiert mich unsere Hochzeit! Mehr als zwei Millionen Euro sind weg! Verschwunden! Und ich will wissen, was du mit meinem Geld angestellt hast!“

„Gar nichts“, lüge ich und spüre die Genugtuung, die sich in mir ausbreitet. Soll er sein Geld suchen. Irgendwann wird er es finden. Es ist immerhin sein eigenes Sparkonto, auf das ich es transferiert habe.

„Tamara, was sollen diese Spielchen? Egal, was du getan hast. Du wirst es wieder rückgängig machen. Hast du mich verstanden?“

„Schatz, ich weiß noch immer nicht, wovon du redest.“

„Ich … ich. Das wird dir noch einmal leidtun. Das verspreche ich dir.“ Ron klingt, als wäre er kurz davor zu explodieren. Wenn ich nicht so wütend auf ihn wäre, könnte er mir leidtun. So aber finde ich, dass er ein wenig Stress verdient hat. Warum soll ich die Einzige sein, die in einer emotionalen Achterbahn sitzt?

 

Gerade, als ich mich endlich meinem Frühstück widmen will, das ich über den Zimmerservice bestellt habe, klingelt das Handy wieder. Meine Mutter. Mit einem Seufzer nehme ich das Gespräch entgegen.

„Hallo, Mutter.“

„Hallo“, erwidert sie, um dann nach einer kurzen Pause „Wie geht es dir?“ zu fragen.

Es geht so“, antworte ich wahrheitsgemäß und wappne mich für weitere Vorwürfe in Sachen Hochzeit, Nana und was ihr sonst noch so einfallen könnte. Aber wie so oft schafft sie es, mich zu überraschen.

„Ich habe über die ganze Sache nachgedacht, und ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass du recht hast. Zu unserer Zeit war das noch etwas Anderes, da stand man zu seinen Versprechen. Tu also, was du für richtig hältst.“

„Gut. Freut mich zu hören. Vielleicht kannst du …“

„Ich komme gleich rüber und dann trinken wir einen Kaffee und überlegen, wie du das Ganze am besten angehst. Du wirst sehen …“

Panisch versuche ich, diese Idee im Keim zu ersticken. Wenn ich auf etwas keine Lust habe, dann darauf, in unserem Haus mit meiner Mutter einen Kaffee zu trinken. Sie weiß noch nicht, dass ich im Mainhatten wohne, und was mich betrifft, soll das auch so bleiben.

„Nein, das geht jetzt wirklich nicht. Lieb von dir, aber ich habe heute Morgen keine Zeit. Ich habe einen Termin mit meinem Rechtsanwalt, und ich weiß nicht, wie lange das dauern wird. Außerdem muss ich noch einen Makler kontaktieren. Wir wollen das Haus verkaufen.“ Das ist mir selbst neu, die Idee ist mir gerade gekommen. Aber ich habe sicherlich recht. Ron wird nicht allein darin leben wollen. Es sei denn, seine Freundin will unbedingt einziehen, vielleicht gefallen ihr ja die silbernen Vorhänge …

„Ihr wollt das Haus verkaufen?“

„Für einen allein ist es viel zu groß. Du warst doch auch immer der Meinung, wir würden nicht so viele Zimmer benötigen.“

„Ja, aber trotzdem! Du hast so viel Liebe und Arbeit darin investiert.“

„Ich will nicht darin wohnen!“ Allein bei dem Gedanken schüttelt es mich, „und Ron will es auch nicht haben“, glaube ich zumindest. „Deshalb verkaufen wir es.“

„So viel Veränderung auf einmal. Das ist nicht leicht für dich. Willst du in der Zwischenzeit zu mir ziehen?“

„Nein!“ Ich brülle fast vor Schreck, dann korrigiere ich mich schnell und versuche, möglichst normal weiterzureden.

„Nein, Mutter, das ist wirklich lieb von dir, aber ich … ich denke, ich werde mir ein kleines Apartment im Süden kaufen, in Spanien oder so.“ Kaum habe ich diese Worte ausgesprochen, als ich mich auch schon dafür verwünsche. Woher nur ist diese dämliche Eingebung gekommen?

„Spanien? Was willst du denn dort? Da kennst du niemanden und bist ganz allein. Das halte ich für keine gute Idee. Du brauchst jetzt deine Familie und deine Freunde, die dir über diese schwere Zeit hinweghelfen. Glaube mir, sich im Ausland zu vergraben, macht alles nur schlimmer.“

Mit einem Seufzer verteidige ich eine Entscheidung, die ich noch gar nicht getroffen habe.

„Ich brauche einen Tapetenwechsel. Andere Leute, andere Umgebung, anderes Klima.“

„So ein Unsinn. Wenn du einen Tapetenwechsel brauchst, zieh nach Frankfurt, stürze dich ins Großstadtleben. Gehe in die Oper, in die Museen.“

„Ich will nicht nach Frankfurt. Ich will irgendwohin, wo es warm ist. Wo ich Ron nicht begegne, und wo ich mich wohlfühle.“ Allmählich erwärme ich mich für das Thema. Eigentlich wäre es gar nicht so schlecht, sich von dem ganzen Trubel zurückziehen. In Spanien das schöne Wetter zu genießen und jede Nacht durchzufeiern.

„Hast du deinem Vater von dieser Idee erzählt?“ Das ist ihre Standardfrage, wenn ihr die Munition ausgeht. Meine Mutter weiß genau, dass ich meinem Vater nichts davon erzählt habe. Meine Eltern sind zwar seit fast zehn Jahren geschieden, haben es aber irgendwie geschafft, ein freundschaftliches Verhältnis aufrechtzuerhalten. Keine schlechte Leistung, finde ich, im Lichte meiner eigenen Situation. Allerdings hat meine Mutter auch nicht mit Leichen und einem untreuen Ehemann zu kämpfen gehabt.

„Nein, Vater weiß noch nichts davon. Ich wollte ihn nicht beunruhigen.“ Fast werde ich rot bei dieser Lüge.

„Tamara. Rufe ihn an und sage ihm, dass du die Hochzeit absagen wirst. Er ist dein Vater und hat ein Recht darauf zu erfahren, was in deinem Leben vor sich geht.“

Natürlich ist auch dieses Telefonat enorm anstrengend. In manchen Dingen bleibt sich meine Mutter treu.

„Und dann kommst du heute Nachmittag bei mir vorbei, und wir überlegen in aller Ruhe, was du machen sollst. Keine Widerrede“, setzt sie noch hinzu, aber dieses Mal lasse ich mich nicht beirren.

„Das geht nicht. Ich fliege heute Mittag nach Spanien.“

„Heute Mittag? Musst du dich nicht darum kümmern, eure Hochzeit abzusagen und den Hausverkauf organisieren? Wie kannst du jetzt verreisen?“

Ich seufze. Ich bin fast dreißig Jahre alt und muss mir von meiner Mutter immer noch erzählen lassen, wie ich zu leben habe.

„Ich habe dort einen Termin mit einem Makler“, lüge ich und merke, dass ich in diesem Gespräch ziemlich selten die Wahrheit sage. „Und außerdem regelt unser Makler den Hausverkauf. Es gibt im Moment nicht viel für mich zu tun. Genau die richtige Zeit, um auszuspannen.“

Okay. Es gibt noch keinen Makler, der irgendetwas regelt, weder in Spanien noch in Deutschland, aber das kann sich ändern. Im Grunde genommen habe ich nicht gelogen. Nicht richtig jedenfalls. Das Dumme ist nur, dass ich mich in etliche Widersprüche verstrickt habe. Zum Glück geht meine Mutter nicht darauf ein. Stattdessen überrascht sie mich wieder: „Wenn du meinst“, sagt sie.

Mit einem riesigen gedanklichen Fragezeichen starre ich das Handy an. War das meine Mutter, die diese Worte gesagt hat? Ohne darauf herumzureiten, was für eine blöde Idee diese Reise ist? Ohne mindestens eine halbe Stunde lang auf mich einzureden?

„Wie lange bleibst du?“, fragt sie, nachdem ich nicht in der Lage bin, ein Wort zu sagen.

„In einer Woche bin ich wieder zurück.“

„Gut. Aber dann kommst du als Erstes bei mir vorbei. Oder noch besser, ich hole dich vom Flughafen ab.“

Nachdem ich ihr versichert habe, dass das eine gute Idee sei und wir uns dann ausführlich unterhalten würden, lege ich erleichtert auf. Für ein Gespräch mit meiner Mutter ist es nicht schlecht gelaufen. Außerdem hat sie mir noch immer keine Frage zu Nanas Verhältnis oder, besser gesagt, zu meinem Auftrag, mit Nana darüber zu reden, gestellt.

 

Trau niemals einem Callboy!
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