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Missmutig stapfe ich durch das nasse Gras in die hintere Ecke unseres Grundstücks. Ich habe eine Weile gebraucht, um mich zu beruhigen. Um mich wieder aufzurappeln, anstatt an die Wand gekauert auf dem Boden zu sitzen und mir die Seele aus dem Leib zu zittern.

Immerhin habe ich die Zeit genutzt, um einen Entschluss zu fassen. Es ist keine Entscheidung, für die ich viel Begeisterung aufbringe. Sie wird eher von den Worten Ich muss total verrückt sein begleitet. Andererseits fällt mir keine bessere Lösung für mein Problem ein. Und so kommt es, dass ich in der dampfigen Schwüle, die den sommerlichen Nieselregen abgelöst hat, unser riesiges Anwesen durchquere.

Schneller, als mir lieb ist, bin ich in dem Teil des Gartens angekommen, der von alten, knorrigen Bäumen dominiert wird. Eine Trauerweide, die ihre Äste tief auf den Boden hängen lässt, sorgt für eine melancholische Atmosphäre; eigentlich wie auf einem Friedhof.

Jetzt muss ich nur noch den … Toten hierher bringen. Bei dem Gedanken wird mir schlecht. Aber ich habe keine andere Wahl. Obwohl ich mein Hirn nach Auswegen zermartert habe, steht eines fest: Wenn ich die Polizei informiere, bin ich mit Sicherheit ihre Hauptverdächtige.

Am liebsten hätte ich mich ein paar Tage mit diesem Problem herumgeschlagen, um mich so lange wie möglich vor einer Entscheidung zu drücken. Aber in diesem Fall muss ich schnell handeln. Was, wenn meine Mutter plötzlich feststellt, dass sie mich vermisst und mir einen Besuch abstattet? Oder eine meiner Freundinnen.

Nein. Das muss sofort erledigt werden, auch wenn ich nicht weiß, wie ich das schaffen soll.

Vielleicht sollte ich doch die Polizei …? Vor meinem inneren Auge läuft eine kurze eindringliche Bilderserie ab. Wie ich in Handschellen abgeführt werde und im Präsidium zu erklären versuche, warum auf der Pistole meine Fingerabdrücke sind.

Ron, der mich besorgt und verzweifelt ansieht, und sagt: „Tamara wäre niemals fähig, einen Menschen zu töten. Niemals!“ Mein Vater in einem Fernsehinterview, wie er bedauernd feststellt, bei der Erziehung seiner Tochter versagt zu haben. Genau wie damals …

Die Erinnerung lässt ein altbekanntes Gefühl in mir hochsteigen: Entschlossenheit. Ich werde nicht zum zweiten Mal in meinem Leben für eine Straftat verantwortlich gemacht werden, die ich nicht begangen habe.

Wie so oft folgt diesem Entschluss sofort der Zweifel. Ich muss verrückt sein. Vollkommen verrückt.

 

Nachdem ich mich vergewissert habe, dass ich diese absurde Idee umsetzen könnte, falls es nicht eine bessere Lösung gibt, die mir bald einfallen wird, kehre ich ins Haus zurück. Es kann ja nicht schaden, so zu tun, als würde ich den Fremden im Garten vergraben. Das Planen der nächsten Schritte hilft mir dabei, meine Angst einzudämmen. Ich zittere nicht mehr so schlimm wie vorher, habe ein gewisses Maß an Ruhe gefunden. Nicht viel, aber immerhin genug, um nicht heulend in einer Ecke zu sitzen.

Ein wenig gelassener beschließe ich, die Schlösser auswechseln zu lassen. Gerade als ich nach dem Hörer greife, um einen Handwerker anzurufen, zerreißt ein Schrillen die Stille. Mein Herz macht einen Satz.

„Es war nur das Telefon. Das verdammte, blöde Telefon“, sage ich laut, um das rasende Herzklopfen in meiner Brust zu beruhigen. Mist! Ich kann meine Zeit nicht mit belanglosen Telefonaten verschwenden. Trotzdem nehme ich das Gespräch entgegen, als ich die Nummer im Display sehe. Meine Mutter.

 

„Tamara. Warum rufst du mich nicht zurück? Ich wollte dir Bescheid sagen, dass ich ganz wundervolle Vorhänge entdeckt habe. Ich bringe dir nachher ein paar Stoffmuster vorbei“, ertönt ihre Stimme, kaum dass ich „Hallo“ gemurmelt habe.

Nachher? Wann nachher?

Hastig versuche ich, diese Idee im Keim zu ersticken: „Du kannst heute nicht vorbeikommen!“

„Aber warum denn nicht? Ich bin schon auf dem Weg.“

„Du bist schon auf dem Weg?“ Ich muss mich zusammenreißen, um nicht in den Hörer zu brüllen. „Das geht nicht. Ich bin schon so gut wie weg. Ich habe den ganzen Tag Termine. Morgen kannst du kommen oder übermorgen“, oder nächste Woche, setze ich in Gedanken hinzu.

„Das ist doch kein Problem, Schatz. Ich schaue nur schnell bei dir vorbei, um zu sehen, ob die Stoffe passen. Da musst du ja nicht dabei sein.“

„Nein!“

„Was ist denn heute los mit dir?“

„Ich … Ich bin etwas im Stress. Unsere Putzfrau kommt gleich, später muss ich mit dem Caterer das Menü besprechen, und der Innenausstatter will, dass ich mir irgendwelche italienische Fliesen ansehe.“ Die Liste könnte ich endlos fortsetzen, aber so langsam geht mir der Atem aus.

„Es ist ohnehin besser, wenn ich bei diesen Gesprächen dabei bin“, stellt meine Mutter fest.

Verdammter Mist. Verzweifelt suche ich nach einer Erklärung, die meine Mutter davon abhält, mir bei diesen wichtigen Verhandlungen hilfreich zur Seite zu stehen. Andererseits habe ich gestern Abend beschlossen, mir nichts mehr gefallen zu lassen, also werde ich sie mit der Wahrheit konfrontieren. Sie muss sich in Zukunft aus meinem Leben heraushalten, wenn es um solche Entscheidungen und meine Hochzeit geht. Und dann wäre da noch die Leiche, die sie auf keinen Fall entdecken darf …

„Lieber nicht. Das ist wirklich furchtbar nett von dir, aber ich habe zwischendrin einen Frisörtermin und muss danach kurz bei Nigel vorbei. Er will, dass ich bei ihm in der Galerie anfange, sobald wir aus den Flitterwochen zurück sind.“ Immerhin. Das war doch schon ein Anfang. Wenigstens habe ich NEIN gesagt … irgendwie.

„Also gut. Wenn du meinst.“ Wie immer schafft sie es, in diesen wenigen Worten jede Menge Emotionen mitschwingen zu lassen. Ich kann sie förmlich vor mir sehen, wie sie mir mit strafendem Blick zu verstehen gibt, dass ich gerade dabei bin, einen riesigen Fehler zu begehen. Und dieses Mal hat sie sogar recht.

 Meine Mutter beendet das Gespräch wie üblich abrupt, ohne sich mit Abschiedsfloskeln aufzuhalten. Mit einem tiefen Seufzer lasse ich mich auf die Couch sinken. Noch mal Glück gehabt. Wenn sie erst einmal auf dem Weg zu mir ist, gibt es kaum etwas, was sie von ihrem Vorhaben abbringen kann. Trotzdem muss ich unbedingt die Leiche aus dem Haus schaffen, bevor meine Mutter es sich anders überlegt und doch noch vorbeikommt. Aber erst muss ich den Schlosser anrufen. Ich will neue Schlösser, und zwar heute noch.

 

„Verdammt, verdammt, verdammt!” Das ausgiebige Fluchen ist das Einzige, was mich in dieser Situation ein wenig von meiner Anspannung befreit.

„Wo ist das verflixte Ding?“ Mit einem verzweifelten Blick suche ich die Garage ab. Die Abdeckplane des Swimmingpools lässt sich nirgends finden. Kein Wunder, Ron hat sie irgendwo verstaut. Stunden später – so kommt es mir zumindest vor – fällt mein Blick auf ein ordentlich zusammengelegtes blaues Paket, das in der hintersten Ecke eines Regals liegt.

Die Plane ist schon ziemlich zerschlissen, weshalb wir sie wegwerfen wollten. Jetzt habe ich die perfekte Verwendung dafür gefunden. Niemand wird sie vermissen, sondern denken, sie sei auf dem Sperrmüll gelandet, nicht ahnend, dass eine Leiche darin vermodert, während das Plastik wahrscheinlich in hundert Jahren biologisch noch nicht abgebaut sein wird.

Egal. Ich bin heute nicht in der Stimmung, mich um Umweltverschmutzung zu sorgen. Stattdessen ziehe ich ein Paar Gartenhandschuhe an und zerre das Teil aus der Garage hervor, schleife es über die Terrasse ins Haus und zur Esstheke. Dorthin, wo der Tote noch immer auf seinem Barhocker sitzt.

Okay. Ein tiefer Atemzug. Dann noch einer. Er ist schon tot. Ich tue ihm nicht weh. Am besten kippe ich ihn vom Hocker auf die Plane. Genau.

 

Mit einem dumpfen Schlag fällt er auf das Plastik. Mir dreht sich der Magen um und ich übergebe mich, aber nicht auf den weißen Teppich, sondern in den großen Blumenkübel, der direkt neben mir steht. Es dauert ziemlich lange, bis ich keine Sternchen mehr sehe. Fast bedauere ich, dass ich weitermachen kann. Irgendwie war es angenehmer, hilflos herumzustehen, denn das hat mich davor bewahrt, etwas tun zu müssen.

Jetzt aber muss ich ihn in den Garten bringen. Obwohl ich weiß, dass mir nichts anderes übrig bleibt, kann ich mich nicht dazu motivieren, diese Absicht in die Tat umzusetzen. Erst nach langem innerlichem Zureden ziehe ich eine Hälfte der Plane über den reglosen Körper. Das ist besser, denn jetzt ist er unter der Abdeckung nur noch zu erahnen und starrt mich nicht mehr anklagend an. Dann fasse ich die Abdeckung an einer Ecke, die so weit wie möglich von dem darauf liegenden Körper entfernt ist, und schleife das Ganze hinter mir her.

Ist das schwer. Ich schwitze, als wäre ich in der Sauna gewesen. Dabei bin ich noch nicht einmal über die Terrasse hinausgekommen.

Keuchend bleibe ich stehen und wische mir den Schweiß ab. Und dann weiter. Noch mindestens hundert Meter. Wenn ich in diesem Tempo weitermache, brauche ich dafür den ganzen Tag.

 

Und dann höre ich es. Schon wieder.

 

Die Türklingel.

 

Scheiße. Scheiße. Scheiße. Wenn das noch mal die Polizei ist, kann ich mir gleich lebenslänglich geben lassen.

 

Trau niemals einem Callboy!
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