7
Am Abend hatte ich eine Hochlandwiese erreicht, ein winziges, flaches Grasland inmitten steiler, bewaldeter Hügel und aufragender Felsen. Beim letzten Mal, als ich durch diese wilde Landschaft gewandert war, hatte ich noch zwei Hände gehabt. Mit einer fand ich es sehr viel schwerer, selbst wenn ich mich auf einen starken Eichenast stützte, der mein Wanderstab war. Als es dunkel wurde, holte mich die Erschöpfung ein. Ich machte ein Feuer, aß etwas Brot und kaltes Lamm und wickelte mich in meinen Umhang, um zu schlafen. Schatten, der eine Stunde nach meinem Aufbruch plötzlich aufgetaucht war, legte sich neben mich. In seiner Gesellschaft, so dachte ich, würde ich leicht einschlafen können. Ich täuschte mich.
Eine Stunde ging vorbei, während die Sterne hervorkamen und der Mond aufging, voll und rund und gelb wie ein guter Käse. Bis zu dieser Reise waren mehr als zwei Jahre vergangen, seit ich ohne Dach über dem Kopf geschlafen hatte. Der Nachthimmel ließ alle Arten von Gefühlen aufwallen, alle Arten von Erinnerungen: ich als Kind und Jugendlicher, unterwegs mit Tante Jo und dem Rohling, den sie geheiratet hatte, Hartah. Das, wozu Hartah mich auf den Sommerfesten gezwungen hatte, um ein paar Münzen von trauernden und leicht beeinflussbaren Dorffrauen zu ergaunern. Versteckt in unserem Zelt hatte ich ihren Geschichten über verlorene Mütter, Kinder, Ehemänner gelauscht. Dann hatte ich den Pfad der Seelen betreten, irgendeine alte Frau wachgerüttelt, damit sie mir Einzelheiten über die Familie erzählte, und war mit falschen Botschaften von der anderen Seite des Grabes zurückgekehrt, Botschaften voller Liebe und Glückseligkeit. Noch jetzt wurde mir heiß vor Scham, wenn ich mich an diese Lügen erinnerte.
Aber was Hartah von mir verlangt hatte, war nichts verglichen mit dem, was ich als Königin Carolines Hofnarr für sie getan hatte. Und was ich ihr angetan hatte.
So viele Tote hatte ich aufgestört! Alles alte Leute, denn die Alten kann man aus ihrem tiefen Dämmerzustand aufrütteln; vielleicht leben nur sie lange genug, um sich Erinnerungen an das Leben zu erhalten. Die Toten warten, denke ich, aber weder ich noch sonst jemand weiß, worauf. Aber ich konnte mich auch irren. Vielleicht warteten sie gar nicht. Vielleicht war diese reglose Ruhe auch einfach das, was man erreichte, wenn man sein Leben gelebt hatte.
So malte ich es mir gerne aus. Es würde bedeuten, dass ich Cecilia doch gar nicht so viel geraubt hatte. Cecilia und all den anderen, die ich aus jenem fernen Land zurück ins Leben gebracht hatte, nur um zu erreichen, dass sie nun an keinem der beiden Orte mehr existierten und es auch nie wieder tun würden. Das war die endlose Qual, die meine Gedanken belastete. Nicht dass Cecilia gestorben war, sondern dass sie meinetwegen nicht unter den Toten weilte. Aber wenn der Tod nichts mehr war als diese starre Stille, dann hatte ich ihr nichts genommen, was so wertvoll war, dass man es besitzen musste.
Es war Maggie, der ich alles genommen hatte, was sie wollte.
Aber Maggie mitzunehmen, hätte bedeutet, eine weitere Frau der Gefahr auszusetzen. Ich hatte richtig gehandelt, als ich Maggie zurückgelassen hatte. Aber sie war anderer Ansicht, und selbst für mich war der Gedanke nur ein schwacher Trost. Ich wollte mehr als das, und niemand außer meiner Mutter konnte es mir geben. Ich erinnerte mich an sie, in ihrem lavendelblauen Kleid, wie sie mich auf den Knien gehalten und mir vorgesungen hatte. Lavendelblaue Bänder im Haar. Ich erinnerte mich an ihren Geruch und ihre hellen Augen und ihre sanfte Berührung.
»Tot seit elf Jahren.«
Nein. Die Frau in meinem monströsen Traum war nicht meine Mutter. Meine Mutter hatte keine Krone getragen, war nirgendwo Königin gewesen. Und die Stimme in meinem Traum war heller als die meiner Mutter, hatte eine höhere Lage. Es war auch nicht die Stimme von Königin Caroline, die ohnehin erst seit zweieinhalb Jahren tot war und die ich zuletzt still und reglos im Land der Toten gesehen hatte. Nein, diese Frau war nur ein schlechter Traum, etwas Unwirkliches, das aus Luft und qualvollen Erinnerungen entstanden war, weder in diesem Land noch in jenem anderen wirklich. Nur ein Traum.
Schließlich schlief ich ein. Nur ein paar Minuten später, wie es mir schien, wurde ich von einem Tritt in die Rippen geweckt. Um mich schlagend, weil ich mich umdrehen wollte, aber in meine Decke verstrickt war, kam ich zu mir und blinzelte im frühen Sonnenlicht, um zwei Krieger über mir stehen zu sehen, die kurze Messer gezogen und auf meinen Hals gerichtet hatten.
»Aleyk ta nodrie!«
»Hent!«
Ich wehrte mich, aber es brachte mir nichts. Einer der Wilden riss mich auf die Füße und umklammerte von hinten meine Arme. Der andere starrte mir ins Gesicht, als wollte er entscheiden, wer ich war. Ich hatte keine Ahnung, wer er war – nur dass er ein Soldat in der Armee des Junghäuptlings war. Er trug ihre zottige Felltunika mit dem Ledergürtel und Schuhe mit metallenen Kappen. In seinem langen, zu Zöpfen geflochtenen Haar steckten keine Federn, und er trug auch keinen kurzen Federumhang, also war er kein Offizier. Irgendeine Art Späher vielleicht. Wie bei den meisten von ihnen waren seine Augen blau, nicht das leuchtende Blau wie ein Bruchstück des Himmels, das Solek zu eigen gewesen war, sondern eher ein mattes Blaugrau. Im Palast hatte ich ein wenig von ihrer kehligen Sprache gelernt, aber nicht die Worte, die sie bisher von sich gegeben hatten. Aber ich verstand den nächsten Wortwechsel.
»Mit?« Er?
»Tento.« Ich weiß nicht.
»Jun fie kal.«
Das Letzte verstand ich nicht. Man musste allerdings keine Sprachkenntnisse besitzen, um die Hände zu verstehen, die grob über meinen Körper und durch mein Gepäck wanderten. Sie nahmen das große Jagdmesser, ließen mir aber das kleine Rasiermesser im Stiefel. Sie schoben mich vorwärts, und wir machten uns auf den Weg, fort von der Wiese und den Hang hinab.
Ich war ein Gefangener. Aber bisher hatte man mir noch nichts angetan. Offenbar waren sich die Wilden nicht sicher, wer ich war. In zweieinhalb Jahren hatte ich mich verändert: mein Körper war fülliger geworden, mein Gesicht hager und sonnengebräunt, ich hatte mir einen Bart wachsen lassen, eine Hand verloren. Sie waren nicht sicher, wer ich war. Verzweifelt klammerte ich mich daran, denn es gab nicht viel anderes, an das ich mich hätte klammern können. Die beiden Wilden waren große Menschen, im Zenit ihrer Stärke und im besten Mannesalter, und der größere war mindestens vierzig Pfund schwerer als ich. Wenn ich ihnen weglief, würde ich mir nur Schmerzen einhandeln.
Wie hatten sie mich gefunden? Hatten sie Maggie schon gefangen und sie zum Sprechen gezwungen? Maggie, die ich friedlich schlafend auf dem Hügel im Kleeduft zurückgelassen hatte. Sie würde mich nicht verraten, wenn sie sie nicht dazu zwangen. Aber unter Folter würde jeder alles ausplaudern. Und Jee mit seinen dünnen, kleinen Knochen …
Ich stolperte und fiel schwer hin, weil ich mich mit nur einer Hand nicht abfangen konnte. Die Wilden hielten an und warteten, dass ich mich wieder aufrappelte. Sie berührten mich nicht. Ich kam stolpernd hoch, und wir setzten unseren Marsch den steilen Hang hinab fort. Während wir hinabstiegen, ragte der Berg hinter uns auf und sperrte die Sonne aus, sodass es schien, als würde sie bereits wieder untergehen.
Wir waren unterwegs nach Norden, zurück zum Königinnenreich. Nach Haryllburg? Angst um Maggie und Jee polterte wie sommerlicher Donner durch mein Inneres.
Nach einigen Stunden hielten die Wilden an, um zu essen. Sie ließen mich aus meinem Wasserschlauch trinken und Käse aus meinem Gepäck holen. Meine Kehle war so ausgedörrt, dass mir das Schlucken schwerfiel. Die Wilden, die sogar miteinander wenig redeten, schienen nach dem halbtägigen Marsch durch raues Gelände keine Müdigkeit zu spüren. Ich hatte gedacht, ich wäre von den langen Stunden der Arbeit im Gasthaus abgehärtet, aber sich um Schafe zu kümmern und Bretter zusammenzunageln war kein Vergleich mit den Leistungen, die diese Männer wohl erbringen mussten. Und genauso wenig ließ sich die nun gemütlich wirkende Marschgeschwindigkeit, die Maggie, Jee und ich von Apfelbrück aus an den Tag gelegt hatten, mit der jetzigen vergleichen. Zehn Minuten, um zu essen und die Wasserschläuche an einem flinken Bach neu aufzufüllen, und wir waren wieder unterwegs.
»Alt!«, rief einer der Wilden, riss sein Gewehr von der Schulter und schoss. In zwanzig Schritt Entfernung war ein Reh aus der Deckung gebrochen und wurde in die Luft geschleudert, um dann zurück auf den Boden zu fallen.
Es war das erste Mal, dass ich aus der Nähe gesehen hatte, wie ein Gewehr abgefeuert wurde. Das schreckliche Geräusch hallte von den Bergen wider. Das Reh war tot, sein Kopf blutig. Das war die Waffe, die Lord Soleks Armee schon einmal zur Herrschaft über das Königinnenreich verholfen hatte; und offensichtlich wollten sie es ein weiteres Mal erobern, denn diese Soldaten machten sich keine Mühe, ihre Anwesenheit vor den umliegenden Bauernhöfen geheim zu halten. Meine Ohren waren immer noch taub vom Gewehrschuss. Schwerter waren dem nicht gewachsen.
Der Wilde häutete das Reh und nahm es mit seinem kurzen Messer aus. Das war ein nützlicher Hinweis: Anders als Lord Soleks Messer, das mich die Hand gekostet hatte, war dieses nicht in Gift getaucht. Der Wilde war dabei sogar noch rascher als Maggie, wenn sie Kaninchen häutete. Das Wild war schneller zerteilt, eingesalzen und in seinem Gepäck verstaut, als ich es für möglich gehalten hätte.
Selbst eine so kurze Rast war mir willkommen. Aber dann waren wir wieder unterwegs, und nun hatte ich einen weiteren Brocken Wissen gesammelt. Die Sonne ging im Westen unter, und sie färbte den Himmel hinter uns, nicht vor uns. Wir marschierten nach Nordosten, auf das Meer zu. Ich war aus südöstlicher Richtung in die Unbeanspruchten Lande hinaufgestiegen. Also waren wir nicht zu dem Dorf unterwegs, in dem ich Maggie und Jee zurückgelassen hatte, sondern zu einem Ort weiter im Osten. Natürlich konnten die Wilden sie trotzdem gefangen und nach Osten verschleppt haben, aber weshalb sollten sie das tun, anstatt mich zu ihnen zu bringen? Daher hoffte ich, dass Maggie in Sicherheit war, dass die Wilden mich nicht erkannten, dass man mich vielleicht gehen ließ.
Vor Erschöpfung schmerzte mein Körper bis ins Mark. Mehr als einmal dachte ich, ich könnte nicht weitergehen, meine Beine würden mich nicht weiter tragen. Die Wilden hielten mich jedoch auf Trab, und das in noch schnellerem Tempo, sobald das Land flacher wurde. Wir befanden uns nun deutlich innerhalb der Grenzen des Königinnenreiches. Durch die Düsternis der Dämmerung sah ich überall um mich herum in diesem fruchtbaren Tal Reichtum. Mehr sogar roch und hörte ich ihn noch. Hier düngte Kuhmist ein Feld, und der stechende Geruch wurde von der abendlichen Brise herangetragen. Dort quakten Frösche neben einem Mühlenteich. Der Duft von Minze und Thymian drang von einem Kräuterbeet heran. Gänse, die über Nacht eingesperrt waren, schnatterten und beruhigten sich.
Schließlich kamen wir in ein Dorf. Obwohl die Sommernacht warm war und der Mond voll, waren die Häuser alle verschlossen und verriegelt. Keine Frauen hielten am Brunnen einen Schwatz, keine Liebenden gingen Hand in Hand spazieren, keine jungen Leute tanzten auf dem Anger. Wir gingen an Gärten vorbei, die hinter bemalten Toren lagen, mit vom Mondlicht versilberten Malven, Rittersporn und Rosen, und betraten eines der Häuser.
Zwei weitere Männer warteten dort. Und ich verlor die letzte Hoffnung, dass man mich nicht erkannte.
Das Haus gehörte irgendeinem wohlhabenden Bauern. Es war zweistöckig, aus blassroten Ziegeln errichtet und anschließend mit Stroh gedeckt, das von Moos und Flechten grün geworden war. Wir standen in der Küche, deren Tür in der warmen Sommernacht offen stand. Ein sauberer, gefliester Boden, ein großes Kochfeuer, um das herum polierte Töpfe aus Kupfer und Zinn hingen. Kräuterbündel baumelten an Balken über unseren Köpfen. Eine Frau lebte hier, die fleißig für eine große Familie sorgte, aber weder die Frau noch die Familie waren im Augenblick anwesend. Ich roch Seife und Talg und Lavendel.
Meine Mutter in ihrem lavendelblauen Kleid …
Maggie in Sicherheit oder gefesselt und hilflos in einer der oberen Kammern?
Motten umkreisen Windlichter, die in Halterungen an der Wand hängen.
Ein Mann kommt auf mich zu, der sich mit dem Handrücken Bier vom Mund wischt.
Meine kreisenden Gedanken ließen sich auf diesem Mann nieder, der mit einem Zinnkrug in der Hand zu mir kam. Er starrte mir aus nächster Nähe ins Gesicht, aber es war nicht nötig. »Ven«, sagte er zu den anderen. Und zu mir, in meiner eigenen Sprache und mit einem harte Akzent: »Roger, der Hofnarr der Königin.«
Ich sagte nichts. Es gab nichts zu sagen.
Zweieinhalb Jahre war es her, dass ich ihn zuletzt gesehen hatte, und er war damals ein Junge gewesen, ein Sänger mit einer Stimme so mächtig wie eine Kriegstrommel. Ich war dabei gewesen, als er Lord Soleks Armee mit seinem Gesang in den Thronraum des Palastes geleitet hatte, als die Wilden Königin Caroline ihre Aufwartung gemacht hatten, als sie ihre Keulen auf den Boden geschlagen und ein Schlachtlied gesungen hatten. Später hatte ich gesehen, wie er die Armee mit seinem Gesang in die Schlacht gegen die Soldaten einer konkurrierenden Königin geleitet hatte, eine Schlacht, die die Wilden mit ihren Gewehren und ihrer überlegenen Ausbildung mit Leichtigkeit gewonnen hatten. Der junge Sänger hatte eingeflochtene Zweige in seinem Haar getragen, und rote Farbe auf dem Gesicht, so wie ich gelbe Farbe als Hofnarr der Königin getragen hatte.
Er war kein Sänger mehr. Keine Farbe, keine Zweige, keine Musik. Er war ein Krieger geworden. Aber ich war immer noch ein Narr.
»Tel mit.«
Der Leutnant des Sänger-Kriegers packte mich und schleifte mich zu einem schmalen, steilen Treppenhaus. Die beiden Männer, die mich hergebracht hatten, blieben unten. In dem Stockwerk darüber kamen wir an zwei Kammern vorbei, beide mit geöffneten Türen, beide leer. Maggie und Jee waren nicht in dem Haus. In einer dritten, nur wenig größeren Schlafkammer am Ende des Ganges schob mich der Leutnant auf einen Stuhl mit hoher Lehne und fesselte mich fachmännisch mit Seilen daran. Ich konnte weder die Arme noch die Beine bewegen. Der ehemalige Sänger folgte ihm gemächlich, immer noch den Krug in der Hand. Er leerte ihn und stellte den Krug auf eine polierte Eichentruhe. Er suchte nach Worten in einer Sprache, die nicht die seine war.
»Du … töten … Solek.«
»Nein.« Ich war nicht derjenige gewesen, der das Schwert in Soleks Körper gestoßen hatte, nicht derjenige, der seinen Kopf abgehackt und ihn über dem Osttor der Stadt auf einen Speer gesteckt hatte. Die Armee der Blauen hatte Ersteres getan, Lord Robert Hopewell Letzteres. Aber ich hatte die Armee der Blauen – in der die Wilden magische Illusionen sahen – zum Palast gebracht. Ich hatte sie von weiter hergeholt als es jeder, mich eingeschlossen, für möglich gehalten hätte: aus dem Land der Toten.
»Ja«, sagte er. »Nun Tarek Sohn von Solek Sohn von Taryn …« Ihm gingen die Worte aus. Aber ich wusste, wen er meinte: den Junghäuptling, der Rache für seinen Vater nehmen wollte.
Hoffnung ist eine seltsame Blüte, die selbst auf dem felsigsten Boden ums Überleben kämpft. An diesen Stuhl gefesselt, unter den mordlüsternen blauen Augen des Sängers, der zum Krieger geworden war, hoffte ich noch immer. Ich hoffte, man würde die Rache nicht in diesem Augenblick ausführen. Hoffte, Tarek, Sohn von Solek, Sohn von Taryn, würde mir beim Sterben zusehen wollen. Hoffte, der Junghäuptling wäre nicht in diesem Dorf, und wir würden morgen dorthin reisen, wo immer er sich aufhielt, und dass ich so ein paar weitere Tage am Leben blieb.
Unter mir in der Küche hörte ich die zwei Wilden, die mich hergebracht hatten, lachen und trinken. Der Geruch von geräuchertem Schinken trieb über die Treppen herauf. Unglauben machte sich in meinem Verstand breit. Ich würde doch sicher nicht mit dem guten Geruch von Schinken in der Nase sterben; bestimmt würde ich nicht in dieser kleinen Kammer mit ihrer polierten Eichentruhe und dem bunten Flickenbezug auf dem Bett sterben; bestimmt würde ich nicht sterben …
Dann nahm der ältere Krieger etwas aus einer Falte seiner zottigen Tunika. Ich hatte so etwas noch nie gesehen, aber es war mir schon einmal beschrieben worden, vor drei Jahren, von einem Lehrling der Stallknechte. Und ich wusste, dass ich in der Tat nicht sterben würde, zumindest nicht sofort, aber dass mir stattdessen der Tod willkommen gewesen wäre.
»Nein!« Der Schrei entfuhr mir unwillkürlich, obwohl ich mich zugleich dafür schämte. Aber es würde nicht der letzte sein. Es war ein einfaches Gerät, eine geknotete Kordel, die zu einem Kreis geschnürt war, daran war ein Stock befestigt. Der ältere Wilde legte mir die Kordel eng um die Stirn. Er bewegte den Stab um eine halbe Drehung, und die harten Knoten bohrten sich mir in den Schädel.
Ich schrie wieder auf. Der Schmerz war entsetzlich.
»Du töten Solek, Sohn von Taryn«, sagte der ehemalige Sänger.
Eine weitere Drehung des Stocks. Ich wand mich und schrie. Meine Blase entleerte sich.
»Du töten Solek, Sohn von Taryn.«
Wenn man den Stock lange genug drehte, würden mir die Augen aus dem Schädel quellen.
»Du töten …«
Ich floh auf dem einzig möglichen Weg vor dem Schmerz. Ich betrat den Pfad der Seelen.