36 Miller
Die Berichte über den Krieg kamen herein. Miller verfolgte in Fenstern auf seinem Terminal fünf Feeds gleichzeitig. Mars war schockiert, erstaunt, entsetzt. Der Krieg zwischen Mars und Gürtel – der größte, gefährlichste Konflikt in der Geschichte der Menschheit – war auf einmal ein Nebenschauplatz. Die Sprecher der irdischen Sicherheitskräfte sprachen von vorausschauender Verteidigung und schwankten zwischen gelassenen, rationalen Erörterungen und wutschäumenden Anschuldigungen gegen den Mars, der von einem Haufen Tieren bewohnt sei, die die eigenen Kinder schändeten. Der Angriff auf Deimos hatte den Mond in einen sich langsam ausbreitenden Ring aus Kieselsteinen in der Umlaufbahn des ehemaligen Himmelskörpers verwandelt, ein bloßer Schmutzfleck am Marshimmel. Damit hatte das Spiel abermals eine neue Wendung genommen.
Miller sah zehn Stunden zu, wie aus dem Angriff eine Blockade wurde. Die marsianische Marine, die im ganzen System verteilt war, kehrte mit Höchstgeschwindigkeit nach Hause zurück. Die Feeds der AAP sprachen bereits von einem Sieg, und vielleicht hielten das einige sogar für die Wahrheit. Manche Bilder kamen von den Einheiten herein, die noch über entsprechende Sensoren verfügten. Tote Kriegsschiffe, deren Seiten von starken Explosionen aufgerissen waren, flogen rotierend auf unregelmäßigen Umlaufbahnen. Sanitätsstationen wie die auf der Rosinante waren voller Jungen und Mädchen, die halb so alt waren wie er und bluteten oder an Brandwunden starben. Mit jedem Zyklus kamen neue Meldungen herein, neue Einzelheiten über Tod und Gemetzel. Jedes Mal, wenn ein neues Video eingespielt wurde, beugte er sich vor, legte die Hand auf den Mund und wartete auf das Wort, auf das Ereignis, mit dem alles zu Ende gehen würde.
Doch es war noch nicht geschehen, und mit jeder Stunde, die verging, wuchs seine Hoffnung ein wenig, dass es vielleicht und wider Erwarten doch nicht so weit kommen würde.
»He.« Amos stand in Millers offener Kabinentür. »Haben Sie überhaupt geschlafen?«
Mit steifem Nacken blickte Miller auf. Auf der Wange und der Stirn zeichneten sich die Falten des Kissens als rote Striemen ab.
»Was?«, entgegnete Miller. »Oh … nein. Ich habe … zugeschaut.«
»Hat schon jemand mit Felsen geworfen?«
»Bisher nicht. Bis jetzt spielt sich alles in der Umlaufbahn oder weiter draußen ab.«
»Was für eine halbherzige Apokalypse veranstalten die da?«, fragte Amos.
»Lassen Sie ihnen Zeit. Es ist ja ihr erster Versuch.«
Der Mechaniker schüttelte den kantigen Kopf, doch hinter dem gespielten Widerwillen erkannte Miller die Erleichterung. Solange die Kuppeln auf dem Mars noch standen, solange die empfindliche Biosphäre der Erde nicht direkt bedroht wurde, war die Menschheit noch nicht tot. Miller fragte sich, was sich die Bewohner des Gürtels erhofften, und ob sie sich inzwischen sogar einredeten, die mühsam erkämpften ökologischen Nischen der Asteroiden könnten das Leben beliebig lange erhalten.
»Wollen Sie ein Bier?«, fragte Amos.
»Trinken Sie Bier zum Frühstück?«
»Für Sie wäre es wohl das Abendessen«, erklärte Amos.
Der Mann hatte recht, Miller musste schlafen. Seit der Sprengung des Stealthschiffs war er höchstens einmal kurz eingenickt, und selbst dabei hatten ihn eigenartige Träume heimgesucht. Er gähnte, sobald er an das Gähnen dachte, doch die Anspannung im Bauch sagte ihm, dass er vermutlich eher den Tag mit dem Ansehen der Nachrichten als mit Schlafen verbringen würde.
»Wahrscheinlich ist doch schon wieder Frühstück?«, erwiderte Miller.
»Wollen Sie ein Bier zum Frühstück?«, fragte Amos.
»Gern.«
Es kam ihm surreal vor, durch die Rosinante zu laufen. Das leise Summen der Luftrecycler, die weiche Luft auf der Haut. Die Reise zu Julies Schiff war ein Irrgarten voller Schmerzmittel und Übelkeit gewesen, die Zeit auf Eros davor ein Albtraum, der nicht vergehen wollte. Durch die freien, intakten Korridore zu wandern, wo ihn die vom Schub erzeugte Schwerkraft sachte auf den Boden drückte, wo niemand herumschlich, der ihn töten konnte, das kam ihm seltsam vor. Wenn er sich vorstellte, Julie sei bei ihm, war es nicht ganz so schlimm.
Als er aß, zirpte sein Terminal. Es war die Weckfunktion, die ihn an die nächste Blutwäsche erinnerte. Er stand auf, rückte den Hut zurecht und ging los, damit ihn wieder einmal die Nadeln und Hochdruckinjektionen malträtieren konnten. Der Kapitän war schon da und mit den Geräten verbunden, als Miller eintraf.
Holden wirkte, als hätte er geschlafen, allerdings nicht sehr gut. Unter den Augen hatte er nicht wie Miller die dunklen Ringe, die an Blutergüsse erinnerten, aber die Schultern waren angespannt, die Stirn hatte er leicht gerunzelt. Miller fragte sich, ob er den Mann vielleicht etwas zu hart angefasst hatte. Ich hab’s doch gleich gesagt war durchaus eine wichtige Botschaft, aber die Schuld am Tod so vieler Menschen, an dem Chaos und angesichts der Drohung, dass die ganze Zivilisation untergehen konnte, war vielleicht zu viel für den Kapitän.
Vielleicht war er auch wegen Naomi bedrückt.
Holden hob die Hand, die nicht von medizinischem Gerät in Anspruch genommen wurde.
»Morgen«, grüßte Miller.
»Hallo.«
»Haben Sie schon entschieden, wohin wir fliegen?«
»Noch nicht.«
»Es dürfte immer schwieriger werden, zum Mars zu gelangen.« Miller überließ sich der vertrauten Umarmung der Gerätschaften. »Falls Sie dies vorhaben, sollten Sie es bald tun.«
»Sie meinen, solange es den Mars noch gibt?«
»So ungefähr«, bestätigte Miller.
Die Nadeln schoben sich aus den Armaturen heraus. Miller blickte zur Decke und gab sich Mühe, nicht zusammenzuzucken, als sich die Kanülen in die Venen bohrten. Es stach einen Moment, darauf folgte ein leichter, dumpfer Schmerz, dann Taubheit.
»Glauben Sie, es hört wieder auf?«, fragte Holden. »Ich meine, die Erde ist doch nur in diese Lage geraten, weil Protogen ein paar Generäle oder Senatoren oder so gekauft hat, nicht wahr? Es läuft doch alles darauf hinaus, dass sie die Einzigen sein wollen, die dieses Ding haben. Wenn Mars es auch hat, dann hat Protogen keinen Grund mehr zu kämpfen.«
Miller blinzelte. Ehe er sich eine Antwort zurechtlegen konnte – ›Sie würden versuchen, den Mars komplett auszulöschen‹, oder ›Dazu ist es jetzt zu spät!‹, oder ›Wie naiv sind Sie eigentlich, Kapitän?‹ –, fuhr Holden fort: »Ach, verdammt. Wir haben die Daten, ich werde sie senden.«
Millers Antwort kam reflexartig. »Nein, werden Sie nicht.«
Holden richtete sich auf, in seiner Miene tobte ein Sturm.
»Ich akzeptiere, dass Sie anderer Meinung sind«, sagte er, »aber dies ist immer noch mein Schiff. Sie sind ein Passagier.«
»Das ist wahr«, antwortete Miller. »Aber es fällt Ihnen schwer, auf Leute zu schießen, und Sie müssten mich umlegen, ehe Sie das Ding da abschicken.«
»Wie bitte?«
Das aufgefrischte Blut strömte in Millers Kreislauf, als tröpfelte Eiswasser durch sein Herz. Die Monitore wechselten die Anzeige und zählten die anomalen Zellen, die in den Filtern hängen blieben.
»Sie müssten mich erschießen«, wiederholte Miller langsam. »Sie hatten jetzt zweimal die Möglichkeit, sich zu entscheiden, ob Sie das Sonnensystem zerstören, und beide Male haben Sie es vermasselt. Ich will nicht zusehen müssen, wie Sie das noch einmal tun.«
»Ich glaube, Sie überschätzen den Einfluss, den der zweithöchste Offizier eines Wassertransporters tatsächlich hat. Ja, es gibt einen Krieg, und richtig, ich war da, als er begann. Doch der Gürtel hat die inneren Planeten schon verabscheut, lange bevor die Canterbury angegriffen wurde.«
»Sie haben auch die inneren Planeten gespalten«, ergänzte Miller.
Holden nickte.
»Die Erde hat den Mars schon immer gehasst«, sagte Holden, als verkündete er lediglich, dass Wasser nass sei. »Als ich noch in der Marine war, haben wir Projektionen entwickelt. Schlachtpläne für den Fall, dass es zwischen Erde und Mars ernst wird. Die Erde verliert. Wenn sie nicht zuerst und sehr hart zuschlägt, ohne nachzulassen, verliert die Erde.«
Vielleicht lag es an der Entfernung, vielleicht war es nur ein Mangel an Fantasie. Von einem Konflikt zwischen den inneren Planeten hatte Miller jedenfalls noch nie gehört.
»Ehrlich?«, fragte er.
»Der Mars ist die Kolonie, aber sie haben das bessere Spielzeug, und das weiß jeder«, erklärte Holden. »Alles, was jetzt da draußen geschieht, baut sich schon seit hundert Jahren auf. Wenn es nicht von Anfang an da gewesen wäre, hätte es gar nicht passieren können.«
»Ist das Ihre Verteidigung? Es ist ja nicht mein Pulverfass, ich habe nur das Streichholz mitgebracht.«
»Ich verteidige mich gar nicht«, erwiderte Holden. Sein Herz raste, der Blutdruck stieg.
»Wir haben schon einmal darüber gesprochen«, sagte Miller. »Also will ich einfach nur fragen, warum Sie glauben, es sei dieses Mal anders.«
Die Nadeln in Millers Arm wurden so heiß, dass es beinahe wehtat. Er fragte sich, ob das normal war und ob sich jede Blutwäsche so anfühlen musste.
»Dieses Mal ist es tatsächlich anders«, erklärte Holden. »Der ganze Mist, der da draußen passiert, konnte nur geschehen, weil die Informationen unzureichend waren. Der Mars und der Gürtel hätten einander nicht angegriffen, wenn sie von Anfang an gewusst hätten, was wir jetzt wissen. Die Erde und der Mars würden nicht aufeinander schießen, wenn sie gewusst hätten, dass sie auf jemand anders hereingefallen sind. Das Problem ist nicht, dass die Leute zu viel wissen, sondern dass sie zu wenig wissen.«
Etwas zischte, und Miller spürte die chemische Entspannung wie eine Woge. Er mochte es nicht, doch das Medikament konnte er nicht mehr zurückrufen.
»Sie können die Leute nicht einfach mit den Informationen überschütten«, widersprach Miller. »Sie müssen vorher wissen, was die Informationen bedeuten und welche Folgen sie haben werden. Auf Ceres hatten wir mal einen Fall, bei dem ein kleines Mädchen getötet wurde. Die ersten achtzehn Stunden waren wir alle sicher, ihr Daddy habe es getan. Er war ein Straftäter und Trinker, er war der Letzte, der sie lebendig gesehen hatte. All die klassischen Indizien. In der neunzehnten Stunde bekamen wir einen Hinweis. Es stellte sich heraus, dass Daddy einem örtlichen Syndikat eine Menge Geld schuldete. Auf einmal wurde die Sache kompliziert, wir hatten mehrere Verdächtige. Glauben Sie, Daddy hätte, als die richtigen Hinweise eingingen, noch gelebt, wenn ich von Anfang an alles verbreitet hätte, was ich wusste? Hätte sich nicht vorher jemand entschlossen, das Naheliegende zu tun?«
Millers Geräte zirpten. Ein neuer Krebsherd. Er kümmerte sich nicht darum. Holdens Behandlung war fast beendet, die geröteten Wangen zeugten ebenso von dem frischen, gesunden Blut im Kreislauf wie von seiner Erregung.
»Das ist genau die Moral, die sie auch an den Tag legen«, sagte Holden.
»Wer?«
»Protogen. Auch wenn Sie nicht auf deren Seite stehen, spielen Sie deren Spiel mit. Hätte jeder gesagt, was er wusste, dann hätte es nicht geschehen können. Hätte der Labortechniker auf Phoebe, der etwas Eigenartiges bemerkte, sofort zum Com gegriffen und gesagt: ›He, Leute, seht euch mal diese verrückte Sache hier an!‹, dann wäre all dies nicht passiert.«
»Richtig«, erwiderte Miller. »Wenn man Ruhe und Ordnung bewahren will, ist es unheimlich nützlich, allen zu sagen, dass es ein außerirdisches Virus gibt, das uns alle umbringen will.«
»Miller«, gab Holden zurück, »ich will Sie ja nicht in Panik versetzen, aber es gibt ein außerirdisches Virus, das uns alle umbringen will.«
Miller schüttelte den Kopf und lächelte, als hätte Holden einen Witz erzählt. »Vielleicht kann ich ja nicht eine Pistole auf Sie richten und Sie zwingen, das Richtige zu tun, aber ich will Sie mal was fragen.«
»Na gut«, willigte Holden ein. Miller lehnte sich zurück. Die Mittel machten seine Augenlider schwer.
»Was wird passieren?«, fragte Miller.
Es gab eine lange Pause. Wieder zirpten die medizinischen Geräte, wieder jagte etwas Kaltes durch Millers Adern.
»Was passieren wird?«, überlegte Holden. Miller fiel auf, dass er die Frage nicht präzise genug formuliert hatte. Mühsam öffnete er noch einmal die Augen.
»Sie senden alles, was wir haben, in das ganze System. Was passiert dann?«
»Der Krieg hört auf, und die Leute nehmen sich Protogen vor.«
»Ganz so einfach ist es wohl nicht, aber meinetwegen. Was passiert danach?«
Holden schwieg ein paar Herzschläge lang.
»Die Leute kümmern sich um das Phoebe-Virus«, sagte er.
»Sie beginnen zu experimentieren. Sie kämpfen darum. Wenn dieses kleine Mistding so wertvoll ist, wie Protogen glaubt, dann können Sie den Krieg nicht verhindern. Sie werden ihn lediglich verändern.«
Holden runzelte die Stirn, Zornesfalten bildeten sich um Mund und Augen. Miller sah in dem Mann ein Stück Idealismus sterben und schämte sich, weil er es genoss.
»Was passiert, wenn wir zum Mars gelangen?«, fuhr Miller leise fort. »Wir tauschen das Protomolekül gegen mehr Geld, als jeder von uns je gesehen hat. Vielleicht erschießt man Sie auch einfach. Der Mars besiegt die Erde und den Gürtel. Oder Sie gehen zur AAP, die größte Hoffnung des Gürtels auf Unabhängigkeit, aber dort gibt es verrückte Eiferer, von denen die Hälfte denkt, wir könnten uns ohne die Erde selbst erhalten. Glauben Sie mir, auch die werden Sie vermutlich erschießen. Oder Sie geben alles allgemein bekannt und waschen Ihre Hände in Unschuld, was auch immer geschieht.«
»Man kann immer etwas tun, was richtig ist«, wandte Holden ein.
»Es gibt hier nichts Richtiges, mein Freund«, erwiderte Miller. »Sie haben eine große Auswahl an Möglichkeiten, die alle mehr oder weniger falsch sind.«
Holdens Blutwäsche war beendet. Der Kapitän entfernte die Nadeln aus dem Arm und wartete, bis sich die Metalltentakel zurückzogen. Als er den Ärmel hinunterrollte, wurde seine Miene etwas freundlicher.
»Die Menschen haben das Recht zu erfahren, was vorgeht«, erklärte Holden. »Ihre Einwände laufen auf die Überzeugung hinaus, die Leute seien nicht klug genug, um mit den Informationen vernünftig umzugehen.«
»Bisher haben alle das, was Sie gesendet haben, als Vorwand benutzt, um auf jemanden zu schießen, den sie schon vorher nicht leiden konnten. Wenn Sie den Leuten einen zusätzlichen Grund geben, werden sie gewiss nicht aufhören, aufeinander zu schießen. Sie haben diese Kriege ausgelöst, Kapitän. Das heißt nicht, dass Sie sie auch beenden können, aber Sie sollten es wenigstens versuchen.«
»Wie soll ich das denn tun?« Das Gefühl, das durchklang, war möglicherweise Zorn, vielleicht aber auch ein inbrünstiges Gebet.
Irgendetwas in Millers Bauch veränderte sich, irgendein entzündetes Organ beruhigte sich und nahm die normale Tätigkeit wieder auf. Erst jetzt bemerkte er, dass dort die ganze Zeit etwas nicht gestimmt hatte.
»Fragen Sie sich vorher einfach, was passieren wird«, erklärte Miller ihm. »Fragen Sie sich, was Naomi tun würde.«
Holden lachte humorlos. »Treffen Sie so Ihre Entscheidungen?«
Miller schloss die Augen. Juliette Mao war da, sie saß in ihrer alten Wohnung auf Ceres auf dem Sofa, sie bekämpfte die Crew des Stealthschiffs. Sie lag in der Dusche auf dem Boden, überwältigt von dem außerirdischen Virus.
»So ähnlich«, gab Miller zu.
Am Abend kam ein Bericht von Ceres, der nach den sich gegenseitig überbietenden Presseerklärungen eine Abwechslung darstellte. Der regierende Rat der AAP verkündete, man habe einen marsianischen Spionagering ausgehoben. Das Video zeigte die Leichen, die anscheinend in den alten Docks in Sektor Sechs aus einer industriell genutzten Luftschleuse flogen. Aus der Ferne wirkten sie beinahe friedlich. Die Perspektive wechselte zur Leiterin des Wachdienstes. Captain Shaddid schien gealtert. Härter.
»Wir bedauern die Notwendigkeit dieser Aktion«, erklärte sie den Zuschauern. »Doch wenn man für die Freiheit kämpft, kann es keine Kompromisse geben.«
So weit ist es also gekommen, dachte Miller. Er rieb sich mit einer Hand über das Kinn. Jetzt gibt es Pogrome. Schneidet noch einmal hundert oder tausend Leuten die Kehlen durch, dann zehntausend, und dann sind wir frei.
Ein leises Alarmsignal ertönte, kurz danach verlagerte sich die Schwerkraft ein paar Grad nach links. Ein Kurswechsel. Holden hatte sich entschieden.
Der Kapitän saß allein in der Operationszentrale und starrte einen Monitor an. Das Glühen beleuchtete sein Gesicht von unten, sodass die Augen in tiefem Schatten lagen. Auch der Kapitän schien gealtert.
»Haben Sie die Sendung abgesetzt?«
»Nein. Wir sind nur ein einziges Schiff. Wenn wir allen sagen, was das für ein Ding ist, und dass wir es haben, sind wir noch vor Protogen erledigt.«
»Das stimmt vermutlich.« Miller setzte sich grunzend an eine freie Station. Der kardanisch aufgehängte Sitz passte sich lautlos an. »Also fliegen wir zu einem bestimmten Ziel.«
»In diesem Punkt bin ich vorsichtig«, erklärte Holden. »Ich kann mich auf niemanden verlassen, was den Safe angeht.«
»Das ist eine kluge Entscheidung.«
»Wir fliegen zur Tycho-Station. Dort ist jemand, dem ich … vertraue.«
»Also doch?«
»Nicht ganz und gar.«
»Hält Naomi dies für richtig?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe sie nicht gefragt. Ich glaube aber, sie würde zustimmen.«
»Auch gut«, sagte Miller.
Erst jetzt blickte Holden von dem Monitor auf.
»Wissen Sie, was das Richtige ist?«, fragte er.
»Ja.«
»Was ist denn richtig?«
»Bringen Sie den Safe auf Kollisionskurs mit der Sonne, und sorgen Sie dafür, dass nie wieder jemand Eros oder Phoebe betritt«, sagte Miller. »Geben Sie vor, all dies wäre nie passiert.«
»Und warum tun wir das nicht einfach?«
Miller nickte bedächtig. »Wie wirft man den Heiligen Gral weg?«