18 Miller

Die Vernichtung der Donnager traf die Ceres-Station, als wäre ein Hammer auf einen Gong geprallt. Die Nachrichtenfeeds überboten einander mit Teleaufnahmen der Schlacht, von denen die meisten, wenn nicht alle gefälscht waren. Im Gürtel kursierten unzählige Gerüchte über eine geheime AAP-Flotte. Die Besatzungen der sechs Angreifer, die das marsianische Flaggschiff erledigt hatten, galten als Helden und Märtyrer. Sprüche wie Wir haben es einmal getan und können es wieder tun und Wirf ein paar Felsen tauchten sogar in vermeintlich völlig unschuldigen Zusammenhängen auf.

Die Canterbury hatte den Gürtel aus dem alten Trott gerissen. Die Zerstörung der Donnager zog etwas viel Schlimmeres nach sich. Sie nahm ihnen die Angst. Die Gürtler hatten einen plötzlichen, entscheidenden und unerwarteten Sieg errungen. Auf einmal schien alles möglich zu sein, und die Hoffnung verführte sie.

Miller hätte es mit der Angst bekommen, wenn er nüchtern gewesen wäre.

Der Wecker bemühte sich schon seit zehn Minuten. Das nervtötende Summen bekam Ober- und Untertöne, wenn Miller lange genug zuhörte. Der Lärm wurde schriller, ein Schlagzeug setzte ein, hinter dem Geblöke glaubte der Detective sogar leise Musik zu vernehmen. Illusionen. Akustische Halluzinationen. Die Stimme des Wirbelwindes.

Die Flasche mit Bourbonimitat aus Pilzen stand auf dem Nachttisch, wo sich gewöhnlich eine Karaffe mit Wasser befand. Ein paar Fingerbreit Schnaps waren noch übrig. Miller betrachtete die goldbraune Flüssigkeit und überlegte, wie sie sich auf der Zunge anfühlen mochte.

Das Schöne daran, die Illusionen zu verlieren, war die Tatsache, dass man aufhören konnte, sich etwas vorzumachen. All die Jahre hatte er sich eingeredet, man achte ihn, er sei gut in seinem Beruf, und er habe die Opfer aus einem guten Grund erbracht. All dies fiel nun von ihm ab, und zurück blieb nur das klare, unverstellte Wissen, dass er ein funktionierender Alkoholiker war, der alles Gute aus seinem Leben verbannt hatte, um Platz für ein Betäubungsmittel zu schaffen. Shaddid hielt ihn für eine Witzfigur. Muss hielt ihn für den Preis, den sie zahlen musste, um nicht mit jemandem schlafen zu müssen, den sie nicht mochte. Der Einzige, der ihn vielleicht einmal respektiert hatte, war Havelock, ein Erder. In gewisser Weise konnte er mit alledem sogar Frieden schließen. Er konnte aufhören, sich zu verstellen. Wenn er im Bett blieb und dem Wecksignal lauschte, erfüllte er einfach die Erwartungen der anderen. Dafür brauchte man sich nicht zu schämen.

Trotzdem, es gab Arbeit, um die er sich kümmern musste. Er streckte den Arm aus und schaltete den Wecker ab. Kurz bevor das Geräusch abbrach, hörte er im Hintergrund eine leise, aber beharrliche Frauenstimme. Was sie sagte, konnte er nicht verstehen, aber da sie sich sowieso nur in seinem Kopf befand, würde sie später noch eine weitere Gelegenheit bekommen.

Er stand mühsam auf und schluckte ein paar Schmerztabletten und eine Paste, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen, stakste zur Dusche und verbrauchte anderthalb Tagesrationen heißes Wasser, während er einfach nur dort stand und zusah, wie die Beine rosa anliefen. Dann zog er die letzte Garnitur sauberer Kleidung an. Das Frühstück bestand aus einem Riegel gepresster Hefe mit Traubenzucker. Die Flasche Bourbon nahm er vom Nachttisch und warf sie in den Recycler, ohne sie auszutrinken, einfach nur, um sich zu beweisen, dass er es konnte.

Muss saß bereits am Schreibtisch und blickte auf, als er kam.

»Ich warte auf den Laborbericht zu der Vergewaltigung in Sektor Achtzehn«, sagte sie. »Bis Mittag soll er angeblich da sein.«

»Wir werden sehen«, antwortete Miller.

»Ich habe auch eine mögliche Zeugin. Ein Mädchen, das früher an dem Abend mit dem Opfer zusammen war. Sie sagt aus, sie sei gegangen, bevor irgendetwas passiert sei, doch die Überwachungskameras bestätigen die Aussage nicht.«

»Soll ich an dem Verhör teilnehmen?«, fragte Miller.

»Noch nicht, aber wenn ich einen bösen Cop brauche, rufe ich Sie.«

»In Ordnung.«

Miller sah ihr nicht nach, als sie ging. Nachdem er eine Weile ins Leere gestarrt hatte, öffnete er seine Partition, informierte sich, was noch zu tun war, und räumte auf.

Während er arbeitete, ging er zum millionsten Mal das zähe, erniedrigende Gespräch mit Shaddid und Dawes durch. Wir haben Holden, hatte Dawes gesagt. Sie können nicht einmal herausfinden, was mit Ihrer eigenen Krawallausrüstung passiert ist. Miller bohrte in den Worten herum wie eine Zunge in einer Zahnlücke. Sie klangen wahr. Immer noch.

Trotzdem war es möglich, dass der Mann ihn verladen hatte. Möglicherweise hatte er sich nur eine Geschichte ausgedacht, um Miller zu demütigen. Schließlich gab es keinerlei Beweise dafür, dass Holden und seine Crew überlebt hatten. Welche Beweise könnte man auch verlangen? Die Donnager war verloren, mit ihr die Logdateien. Höchstens ein anderes Schiff, das alles beobachtet hatte. Vielleicht ein Rettungsboot oder ein marsianisches Begleitschiff. Andererseits war es kaum vorstellbar, dass ein Schiff entkommen war. Die Nachrichtenfeeds und die Piratensender hätten das als Allererstes erwähnt, so etwas konnte man nicht geheim halten.

Oder vielleicht doch, aber es wäre nicht leicht. Nachdenklich starrte er die Decke an. Also – wie kann man ein Schiff verstecken, das entkommen ist?

Miller rief die billige Navigationssoftware auf, die er sich fünf Jahre zuvor gekauft hatte, als er die Flugzeiten in einem Fall von Schmuggelei hatte überprüfen müssen, und trug das Datum und die Position der Donnager kurz vor deren Vernichtung ein. Alles, was keinen Epstein-Antrieb besaß, musste noch dort draußen unterwegs sein. Marsianische Kriegsschiffe hätten die Überlebenden längst aufgesammelt oder in schwache Hintergrundstrahlung verwandelt. Wenn Dawes keinen Unsinn erzählt hatte, musste das Schiff also über einen Epstein-Antrieb verfügen. Miller stellte einige rasche Berechnungen an. Mit einem guten Antrieb hätten sie es in knapp drei Wochen bis nach Ceres schaffen können. Nehmen wir mal volle drei Wochen an, um sicherzugehen.

Fast zehn Minuten lang betrachtete er die Daten. Da ihm nicht einfiel, wie es weitergehen sollte, stand er auf, holte sich Kaffee und rief die Vernehmung eines Dockarbeiters auf, die er und Muss durchgeführt hatten. Das Gesicht des Gürtlers war lang gezogen, erinnerte an eine Leiche und strahlte eine versteckte Grausamkeit aus. Die Kamera hatte ihn nicht gut erfasst, deshalb sprang das Bild ein wenig hin und her. Muss fragte den Mann, was er gesehen habe, Miller beugte sich vor und las die transkribierten Antworten, um die Ausgabe auf falsch erkannte Wörter zu prüfen. Dreißig Sekunden später sagte der Arbeiter alte Fotze, woraus das Programm Apfelmost machte. Miller korrigierte es, dachte im Hinterkopf aber unablässig weiter nach.

Jeden Tag liefen acht- oder neunhundert Schiffe in Ceres ein. Sagen wir mal, es sind runde tausend. Zwei Tage Toleranz vor und nach der Spanne von drei Wochen, das macht insgesamt viertausend Eintragungen. Nervig, aber nicht unmöglich. Ganymed war schwierig. Dort gab es eine Landwirtschaft, die allein jeden Tag für mehrere Hundert Schiffsbewegungen verantwortlich war. Dies hätte den Aufwand aber noch nicht einmal verdoppelt. Dann Eros, Tycho, Pallas. Wie viele Schiffe legten jeden Tag auf Pallas an?

Er hatte fast zwei Minuten der Aufzeichnung verpasst, startete sie noch einmal und überwand sich, dieses Mal genauer hinzuschauen. Eine halbe Stunde später gab er es auf.

Die zehn am stärksten frequentierten Raumhäfen mit der zweitägigen Toleranz vor und nach der geschätzten Ankunft eines Schiffs mit Epstein-Antrieb ergaben mehr oder weniger achtundzwanzigtausend Andockvorgänge. Wenn er Stationen und Raumhäfen ausschloss, die dem marsianischen Militär unterstanden, und Forschungsstationen herausnahm, die fast ausschließlich mit Bewohnern der inneren Planeten bemannt waren, konnte er die Zahl auf siebzehntausend drücken. Wie lange würde er brauchen, um die Hafendaten von Hand zu überprüfen, wenn er einmal annahm, er sei dumm genug, es zu versuchen? Hundertachtzehn Tage, sofern er weder aß noch schlief. Mit zehnstündigen Schichten pro Tag, und wenn er nichts anderes tat, konnte er es in knapp einem Jahr beinahe schaffen.

Aber nein. Es gab ja einige Möglichkeiten, die Datenmenge weiter einzuengen. Er suchte nur nach Schiffen mit Epstein-Antrieb. Die meisten Schiffe, die in den Häfen anlegten, kamen aus der näheren Umgebung. Schiffe mit normalen Antriebsdüsen, in denen Prospektoren und Kurzstreckenkuriere flogen. Die Ökonomie der Raumfahrt führte dazu, dass nur relativ wenige große Schiffe zu Langstreckenflügen fähig waren. Also engen wir es noch einmal auf ein Viertel ein, und es sind wieder annähernd viertausend Vorgänge. Immer noch ein paar Hundert Stunden Arbeit, aber wenn er einen weiteren Filter entwickeln konnte, der ihm die wahrscheinlichsten Kandidaten zuerst servierte … beispielsweise konnte er die Tatsache berücksichtigen, dass das Schiff den Flugplan erst nach der Zerstörung der Donnager hatte aufstellen können.

Die Schnittstelle zur Abfrage der Hafenlogs war alt, unbequem und wies zwischen Eros, Ganymed, Pallas und den anderen Häfen erhebliche Unterschiede auf. Miller teilte die Informationsabfragen auf sieben verschiedene Vorgänge auf, darunter war ein mehrere Monate alter Fall, der in einer Sackgasse geendet hatte und bei dem er nur als Berater tätig geworden war. Die Hafendaten waren öffentlich und frei zugänglich, also musste er nicht einmal seinen Status als Detective betonen und die Abfragen als vertraulich deklarieren. Mit etwas Glück ging Shaddids Überwachung nicht so weit und ließ öffentliche Datenbanken unberücksichtigt. Und selbst wenn, vielleicht hatte er die Antworten bereits gefunden, ehe sie überhaupt aufmerksam wurde.

Ob man Glück hat, weiß man erst, wenn man es auf die Probe stellt. Außerdem hatte er nicht viel zu verlieren.

Als sich das Labor auf seinem Terminal meldete, wäre er beinahe zusammengezuckt. Die Technikerin war eine grauhaarige Frau mit einem unnatürlich jungen Gesicht.

»Miller? Ist Muss bei Ihnen?«

»Nein«, antwortete Miller. »Sie führt eine Vernehmung durch.«

Er war ziemlich sicher, dass seine Partnerin dies gesagt hatte. Die Technikerin zuckte mit den Achseln.

»Ihr System reagiert nicht. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass wir einen Vorläufer für die Vergewaltigung haben. Es war nicht ihr Freund, es war ihr Boss.«

Miller nickte. »Haben Sie auch gleich den Haftbefehl ausgestellt?«

»Ja«, bestätigte die Technikerin. »Befindet sich bereits in der Akte.«

Miller öffnete das Dokument: DIE CERES-STATION VON STAR HELIX AUTORISIERT UND VERLANGT DIE FESTNAHME DES IMMANUEL CORVUS DOWD ZWECKS ANKLAGEERHEBUNG WEGEN VORFALL CCS-4949231. Die digitale Unterschrift des Richters war grün gefärbt. Er lächelte leicht.

»Danke«, sagte er.

Als er die Station verließ, fragte ihn ein Kollege aus dem Sittendezernat, wohin er wolle. »Was essen«, antwortete er.

Die Arranha Accountancy Group hatte ihre Büros in einem angenehmeren Teil des Regierungsviertels in Sektor Sieben eingerichtet. Normalerweise hatte Miller hier nicht viel zu suchen, doch der Haftbefehl galt für die ganze Station. Miller wandte sich an den Sekretär im Vorzimmer – einen gut aussehenden Gürtler mit einem gestickten Kometen auf der Weste – und erklärte, er müsse mit Immanuel Corvus Dowd sprechen. Die dunkelbraune Haut des Sekretärs färbte sich aschfahl. Miller zog sich in die Nähe des Ausgangs zurück, ohne ihn direkt zu blockieren.

Zwanzig Minuten später kam ein älterer Mann in einem guten Anzug zur Vordertür herein, blieb vor Miller stehen und betrachtete ihn von oben bis unten.

»Detective Miller?«, sagte der Mann.

»Sie sind sicher Dowds Anwalt«, entgegnete Miller heiter.

»Der bin ich, und ich möchte Sie bitten …«

»Also ehrlich«, unterbrach Miller ihn. »Wir sollten lieber gleich zur Sache kommen.«

Das Büro war sauber und hatte hellblaue selbstleuchtende Wände. Dowd saß am Schreibtisch. Er war jung genug, um arrogant zu wirken, und alt genug, um sich Sorgen zu machen. Miller nickte ihm zu.

»Sind Sie Immanuel Corvus Dowd?«, fragte er.

»Bevor Sie fortfahren, Detective«, schaltete sich der Anwalt ein, »möchte ich Sie darauf hinweisen, dass mein Mandant über erstklassige geschäftliche Kontakte verfügt. Zu seinen Kunden zählen einige der wichtigsten Personen im Zusammenhang mit den Kriegsanstrengungen. Ehe Sie irgendwelche Vorwürfe erheben, sollten Sie sich bewusst machen, dass ich alles, was Sie getan haben, einer genauen Prüfung unterziehen werde, und falls ich auch nur einen Fehler finde, wird man Sie zur Rechenschaft ziehen.«

»Mister Dowd«, erklärte Miller, »was ich jetzt gleich tun werde, ist gewissermaßen der einzige Lichtblick dieses Tages. Ich würde es wirklich begrüßen, wenn Sie sich überwinden könnten, sich der Verhaftung zu widersetzen.«

»Harry?« Dowd blickte seinen Anwalt an, die Stimme bebte leicht.

Der Anwalt schüttelte den Kopf.

Im Polizeiwagen ließ Miller sich Zeit. Dowd saß hinten, wo alle ihn sehen konnten. Er war bereits mit Handschellen gefesselt und hielt den Mund. Miller zückte sein Handterminal, notierte den Zeitpunkt der Verhaftung, die Einwände des Anwalts und ein paar weitere Einzelheiten. Eine junge Frau, die beigefarbene Firmenkleidung trug, zögerte kurz vor der Tür der Buchhaltungsfirma. Miller kannte sie nicht. Sie hatte nichts mit dem Vergewaltigungsfall zu tun, oder jedenfalls nicht mit dem Fall, an dem er arbeitete. Ihre Miene zeigte die ausdruckslose Gelassenheit einer Kämpferin. Er drehte sich zu Dowd herum, der sich gedemütigt fühlte und den Blick nicht erwiderte. Die Frau sah Miller an und nickte knapp. Danke.

Er nickte zurück. Ich mach nur meine Arbeit.

Sie ging durch die Tür.

Zwei Stunden später war Miller mit den Dokumenten fertig und schickte Dowd in die Arrestzelle.

Dreieinhalb Stunden später trafen die ersten angeforderten Andocklogs ein.

Fünf Stunden später brach die Regierung von Ceres zusammen.

Obwohl sie voll war, herrschte tiefes Schweigen in der Wache. Detectives und Anwärter, Streifenpolizisten und Verwaltungsmitarbeiter, niedrig und hoch im Rang, alle hatten sich vor Shaddid versammelt. Die Vorgesetzte hatte sich die Haare straff zurückgekämmt und stand an ihrem Pult. Sie trug die Uniform von Star Helix, hatte die Abzeichen jedoch entfernt. Ihre Stimme bebte.

»Sie haben es inzwischen alle gehört, aber jetzt wird es offiziell. Die Vereinten Nationen haben auf die Anfrage vom Mars reagiert, entlassen die Ceres-Station aus ihrer Aufsicht und entziehen uns ihren Schutz. Dies ist ein friedlicher Übergang, kein Staatsstreich. Ich kann das nicht oft genug betonen. Es ist kein Staatsstreich. Die Erde zieht sich zurück, aber wir haben sie nicht vertrieben.«

»Das ist doch Blödsinn«, rief jemand dazwischen. Shaddid hob eine Hand.

»Es gibt unzählige Gerüchte«, sagte sie. »Ich will von Ihnen keines davon zu hören bekommen. Zu Beginn der nächsten Schicht wird der Gouverneur eine offizielle Verlautbarung herausgeben, und dann erfahren wir weitere Einzelheiten. Solange wir nichts anderes hören, ist der Kontrakt von Star Helix weiterhin gültig. Aus Vertretern der örtlichen Wirtschaft und der Gewerkschaften wird eine Übergangsregierung gebildet. Wir sorgen auf Ceres nach wie vor für Recht und Ordnung, und ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich entsprechend verhalten. Sie erscheinen wie gehabt, wenn Ihre Schicht beginnt, und Sie kommen pünktlich. Sie werden sich wie Profis und Ihrer Ausbildung entsprechend verhalten.«

Miller blickte zu Muss. Die Haare seiner Partnerin waren nicht gekämmt, weil man sie aus dem Bett geholt hatte. Es war kurz vor Mitternacht.

»Noch Fragen?« Shaddids Unterton ließ durchblicken, dass sie gut darauf verzichten konnte.

Wer bezahlt jetzt Star Helix?, überlegte Miller. Welche Gesetze sollen wir anwenden? Welche Informationen könnten die Erde bewegen, sich aus dem größten Raumhafen im Gürtel zurückzuziehen?

Wer handelt jetzt unseren Friedensvertrag aus?

Muss bemerkte Millers Blick und lächelte.

»Damit sind wir wohl im Eimer«, meinte Miller.

»Das war ja zu erwarten«, stimmte Muss zu. »Ich gehe dann mal lieber, ich hab noch was zu erledigen.«

»Nach oben in Richtung Kern?«

Muss antwortete nicht, weil es nicht nötig war. Ceres hatte im Grunde sowieso keine Gesetze, sondern nur eine Polizei. Miller kehrte in sein Wohnloch zurück. Die Station summte, der Stein unter ihm vibrierte unter den unzähligen Andockkrallen und Reaktorkernen, Röhren, Recyclern und pneumatischen Vorrichtungen. Der Stein lebte, doch Miller hatte die kleinen Anzeichen, die es bezeugten, fast vergessen. Sechs Millionen Menschen lebten hier und atmeten diese Luft. Weniger als in einer mittelgroßen Stadt der Erde. Er fragte sich, ob Ceres verzichtbar sei.

War es wirklich schon so weit gediehen, dass die inneren Planeten bereit waren, eine wichtige Station zu verlieren? Es schien, als habe die Erde Ceres aufgegeben. Die AAP würde die Lücke füllen, ob sie es wollte oder nicht. Das Machtvakuum war viel zu groß. Anschließend würde Mars von einem AAP-Coup reden. Und dann … was dann? Die Station besetzen und unter Kriegsrecht stellen? Das wäre die angenehme Lösung. Sie in die Luft jagen? Er konnte nicht ganz glauben, dass sie so weit gehen würden, dazu war einfach zu viel Geld im Spiel. Allein die Andockgebühren entsprachen dem Haushalt einer kleinen Volkswirtschaft. Shaddid und Dawes hatten recht, so wenig ihm der Gedanke auch behagte. Ceres unter dem Kontrakt der Erde war die größte Hoffnung auf einen Verhandlungsfrieden gewesen.

Gab es jemanden auf der Erde, der keinen Frieden wollte? Jemanden, der mächtig genug war, um den Gletscher der UN-Bürokratie in Bewegung zu setzen?

»Was sehe ich, Julie?«, fragte er die leere Luft. »Was hast du da draußen beobachtet, das einen Krieg zwischen Mars und Gürtel wert wäre?«

Die Station summte leise vor sich hin. Das Geräusch war zu leise, um die Stimmen dahinter zu vernehmen.

Muss kam am nächsten Morgen nicht zur Arbeit, hatte ihm aber eine Nachricht hinterlassen, sie werde später kommen. »Will aufräumen«, lautete die Erklärung.

Auf den ersten Blick hatte sich die Wache nicht verändert. Dieselben Leute suchten dieselben Arbeitsplätze wie immer auf. Nein, das traf nicht zu. Sie standen unter Anspannung. Die Leute lächelten, lachten und alberten herum. Es war fast manisch, und die Panik lauerte dicht unter der Oberfläche der vermeintlichen Normalität. Es würde nicht lange halten.

Die Cops waren alles, was Ceres vom Sturz in die Anarchie abhielt. Dreißigtausend Wachleute vertraten Recht und Ordnung und sorgten dafür, dass sechs Millionen Bewohner überlebten und kein irrer Dreckskerl sämtliche Luftschleusen öffnete oder die Recycler vergiftete. Leute wie er selbst. Vielleicht sollte er sich zusammenreißen und sich besonders viel Mühe geben, wie es die anderen taten. Der Gedanke daran verstärkte nur noch seine Müdigkeit.

Shaddid marschierte vorbei und tippte ihm auf die Schulter. Er seufzte, stand auf und folgte ihr. Dawes saß schon wieder in ihrem Büro. Er wirkte erschüttert und übernächtigt. Miller nickte ihm zu. Shaddid verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr Blick war weicher und weniger anklagend als sonst in der letzten Zeit.

»Es wird hart«, verkündete sie. »In einer so schwierigen Lage haben wir uns noch nie befunden. Ich brauche ein Team, dem ich mein Leben anvertrauen kann. Es sind außergewöhnliche Umstände. Verstehen Sie?«

»Ja«, sagte er. »Kapiert. Ich hör auf zu trinken und reiße mich zusammen.«

»Miller, Sie sind im Grunde kein schlechter Kerl. Früher waren Sie mal ein richtig guter Cop. Aber ich traue Ihnen nicht, und wir haben keine Zeit, von vorne zu beginnen.« Ihre Stimme klang so sanft wie nie. »Sie sind gefeuert.«

Expanse 01: Leviathan erwacht
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