21
»Ich denke, die Large wird erst mal zu einer Hafenkönigin.« Steve sprach in das Sprechfunkgerät. »Sie säuft Kraftstoff, wir haben nicht genügend Leute für ein Boot dieser Größenordnung und es ist extrem schwierig, sie zu steuern. Wenn wir sie später einsetzen, dann meiner Meinung nach als feste Anlaufstation auf dem Meer. Wenn wir genügend Kraftstoff für sie auftreiben können.«
»Hier Cooper.« Chris’ Stimme drang aus dem Funkgerät. »Das sehe ich ein, aber was ist, wenn sie gestohlen wird?«
»Sie hat fast keinen Treibstoff mehr«, sagte Mike. »Wir pumpen ihn ab und sie fährt erst mal nirgendwohin. Lasst sie in der Nähe der Victoria. Vielleicht haben wir später Verwendung für sie. Sie funktioniert schließlich.«
»Hier spricht die Endeavor. Wir gehen auf diesem Kahn ein. Könnten ein größeres Boot gebrauchen.«
Stephen Blair, der einzige Überlebende der zehneinhalb Meter langen Viking Worthy Endeavor, hatte von Anfang an Schwierigkeiten gemacht. Aber er hatte auch mehr als 40 Flöße und Rettungsboote geräumt, seit er das in Mitleidenschaft gezogene Schiff übernommen hatte.
»Endeavor, Seawolf«, sagte Sophia. »Sie wollen dieses Ding nicht neben ein Floß steuern. Ich bin deiner Meinung, Dad, das ist ein klassisches Versorgungsschiff. Besser erst mal in den Hafen damit.«
»Endeavor.« Er dachte einen Moment über die sich vergrößernde Flotte nach. »Sea Fit. Ihr steht beide oben auf der Liste, wenn es um ein größeres Boot geht. Das entscheiden wir, sobald wir auf eines stoßen. Dieses ist allerdings ein wahres Monster. Irgendwelche aussichtsreichen Kandidaten?«
»Endeavor. Wir melden ein weiteres Boot. Etwa 20 Meter Länge. Ich hätte nichts dagegen, wenn es noch einsatzfähig wäre.«
»Haben wir einen genauen Standort?«, fragte Steve.
»Klar«, erwiderte Mike. »Die Daten sind auf der Vicky.«
»Ich hab es hier auf der Toy auch auf dem Schirm«, meldete sich Sophia.
»Meine Empfehlung ...« Steve überlegte kurz. »Wir stationieren dieses erst mal im Hafen. Besatzung aus vertrauenswürdigem Personal. Wir bringen die neue Mannschaft vor der Zuweisung zum Ausruhen und Erholen in die Basis. Kommentare und Antworten zur Abstimmung? Sea Fit.«
»Ich bin mit meinem Boot vorerst zufrieden«, gab Kapitän Sherill zurück. George Sherill, der einzige Überlebende der 10,5 Meter langen Bertram, war nicht unbedingt begeistert von der Vorstellung, in seinem Leben noch einmal einem Zombie über den Weg zu laufen. Wahrscheinlich deswegen, weil seine gesamte ehemalige Mannschaft als Zombies auf ihn losgegangen war. »Und, ja, das klingt nach einem guten Plan.«
»Endeavor?«
»Wir brauchen ein größeres Boot«, entgegnete Blair. »Aber ich bin einverstanden.«
»Knot?«
»Ein größeres Boot schlag ich ebenfalls nicht aus«, meldete sich Gary Loper von der Knot So Little. »Ich schätze, ich komme nach Blair an die Reihe?«
»Das besprechen wir ein andermal«, betonte Steve. »Grundsätzlich spricht nichts dagegen, aber jetzt gibt es wichtigere Themen. Stimmen Sie zu, die Large zur Erholung und Nachrüstung im Hafen zu lassen?«
»Logisch, damit kann ich leben. Aber die Sache mit dem größeren Boot ...«
Die Wahrheit war, dass Steve nicht glaubte, dass Loper und seine Besatzung ein größeres Boot verdienten. Sie schienen einfach nur durch die Gegend zu schippern und von Zeit zu Zeit zur Basis zu kommen, um Vorräte abzufordern.
»Kapitänsabstimmung für den nächsten Upgrade-Kandidaten«, entschied Steve. »Das kann ich nicht selbst bestimmen.« Er dachte einen Augenblick nach und versuchte, keine Grimasse zu ziehen. Er wusste, dass er Politik betrieb. Nach den geltenden Regeln sollte Blair der Erste sein, der einen Kandidaten aufstellte. Aber wenn dieser für Loper stimmte, könnten andere nachziehen. Und Sherill mochte nicht nur sein Boot, so klein es auch war, sondern auch Blair.
»Sea Fit.«
»Blair von der Endeavor«, antwortete Sherill unverzüglich.
»Endeavor.«
»Seawolf«, antwortete Blair
»Wirklich?«, freute sich Sophia.
»Knot So Large.«
»Äh ... Seawolf.«
»Wahnsinn«, murmelte sie.
»Daniel Cooper.«
»Blair.«
»Dieser Hurensohn«, flüsterte Sophia.
»Victoria.«
»Blair«, sprach Mike in das Funkgerät.
»Vielen Dank für das Vertrauensvotum«, sagte Sophia.
»Du verstehst es nicht, oder?« Mike lächelte. »Du bekommst dafür die Endeavor.«
»Oooh«, sagte Sophia und verzog den Mund. »Die ist echt klein.«
»Es ist ein gutes Ausbildungsboot«, sagte Steve. »Mal von der Tina’s Toy abgesehen. Irgendwelche Stimmen dagegen, dass Kapitän Blair als Nächster ein neues Boot erhält ...? Also nur Ja-Stimmen. Das nächste funktionstüchtige Boot geht an Kapitän Blair und die von ihm gewählte Mannschaft. Gibt es noch weitere Themen, über die wir sprechen müssen? Denn ich will jetzt zu diesem 20-Meter-Teil rausfahren.«
»Commodore, Cooper«, sagte Chris. »Wir sind in Position und haben Räumungsteam Bravo. Fahre zum Räumen raus.«
»Roger, Cooper«, bestätigte Steve und musste sich zusammenreißen, damit die Überraschung nicht in seiner Stimme mitklang. Er hatte vergessen, dass er nicht alles allein machen musste.
»Sie müssen nicht alles allein erledigen, Comm«, meinte Chris.
»Sonst noch was, worüber wir reden sollten?«, fragte Steve.
»Wir hätten gerne so schnell wie möglich ein größeres Boot.« Loper ließ nicht locker.
»Das besprechen wir, wenn es so weit ist«, wiegelte Steve ab. »Andere Wortmeldungen?« Er sah sich um und Mike hob die Hand. »Victoria.«
»Wir verbrauchen unglaublich viel Diesel«, sprach Mike ins Funkgerät. »Ich meine, versucht von Wracks aufzutanken, wo immer es möglich ist, oder schleppt sie her und wir pumpen den Treibstoff ab. Der Diesel geht verdammt schnell zur Neige.«
»Haltet Ausschau nach den kleinen Tankschiffen«, steuerte Steve bei. »Weitere offene Punkte?«
»Können wir etwas von dem Impfstoff bekommen?«, erkundigte sich Loper. »Ein paar Mitglieder meiner Besatzung fragen danach.«
Der Funktechniker beugte sich vor und presste sich den Kopfhörer an die Ohren.
»Wie war das?«, fragte Petty Officer Second Class Stan Bundy und nahm sein eigenes Headset.
Das Sturmboot SSN 900 der Los-Angeles-Klasse, die USS Dallas, hatte die Formierung dieser ›Miliz zur See‹ – so hatte man sie intern getauft – in den vergangenen drei Wochen aufmerksam verfolgt, seit man den Funkverkehr unter verschiedenen Booten zwischen den Bermudas und den USA aufgefangen hatte.
»Impfstoff«, flüsterte Electronics Mate Harry Fredette.
»Hurensohn!«, fluchte Steve und hämmerte auf eine Taste an seinem Funkgerät. »Okay, Knot, zuerst mal danke dafür, dass Sie alle noch existierenden Piraten auf uns aufmerksam gemacht haben. Wie wir abgesprochen hatten, wird darüber nicht über Funk geredet. Aber da wir schon darüber sprechen: Nein, der Vorrat ist begrenzt und ausschließlich für die Räumungskommandos bestimmt. Wenn ihr was davon wollt, fangt an zu räumen. Oder sammelt zumindest Überlebende auf!«
»Laden Sie das für eine Dringlichkeitsuntersuchung hoch«, sagte Bundy, drückte eine Taste und fertigte eine Sicherheitskopie der Aufzeichnung an.
»Hey, wir reißen uns hier auf diesem schäbigen kleinen Boot den Arsch auf und können es nicht leiden, wenn Sie uns dumm kommen, ›Commodore‹! Wir haben diese verdammten Rettungsboote geräumt. Da ist niemand.«
»Loper, Sie sind voller Scheiße«, funkte Blair. »Wir haben in den vergangenen Tagen 20 Rettungsboote geräumt. Und ja, das ist nicht viel. Aber wir haben sechs Menschen aufgesammelt. Auf unserem noch viel schäbigeren Boot ...«
»Macht die Kanäle frei«, sagte Steve, als der Kanal in einem Durcheinander aus Stimmen unterging, die sich gegenseitig anschrien. »Macht die ... ach, Mist.«
»Mann, da würd ich mich jetzt gern reinklinken.«
Commander Rex Bradburn war frustriert, wütend und verängstigt. Genau genommen galt das für seine gesamte Besatzung. Sie waren in See gestochen, ehe sich die Seuche ausgebreitet hatte, und verzichteten seitdem darauf, in Kontakt mit anderen zu treten. Sie stuften das Risiko als viel zu groß ein, dabei zu sterben. So wie ihre Familien an Land.
Ein U-Boot konnte jedoch nur eine gewisse Zeit im Wasser bleiben. Klar, der Atomantrieb funktionierte 20 Jahre lang oder sogar noch länger, wenn man mit der Energie sparsam umging. Aber die ganzen anderen Systeme? Ganz zu schweigen von den Vorräten. Sie hatten die Nahrung streng rationiert, sobald sie feststellten, dass ihnen ein verlängerter Einsatz drohte. Schließlich gingen einem die Lebensmittel früher oder später aus. Und das galt auch für die anderen Unterseeboote. Einige von ihnen hatten sich bereits vom Radar verabschiedet. Meuterei oder wahrscheinlicher der Ausfall lebenswichtiger Systeme zum unpassenden Zeitpunkt oder in der falschen Tiefe. Andere hatten verlassene Häfen angesteuert und ihre Besatzungen an Land gehen lassen, damit sie sich nach besten Kräften durchschlagen konnten.
Aber wenn sie über Impfstoff verfügen könnten ...
»Nur überwachen, Sir«, erinnerte ihn Lieutenant Commander Joseph Scholz.
»Knot So Little«, rief Steve, als das Schreien verklang. »Wir haben für diesen Fall noch kein konkretes Prozedere festgelegt. Aber ich denke, eine Kapitänsabstimmung reicht aus. Wenn Sie nicht langsam unter Beweis stellen, dass Sie sich an unserer Arbeit beteiligen, sehe ich keinen Grund, warum Sie noch länger Kraftstoff erhalten sollten. Sie können endlich loslegen oder Ihr Boot abgeben und sich den Verlorenen und Nutzlosen anschließen. Oder versuchen, sich ohne Räumungsteams durchzuschlagen.«
»Nur weil Sie sämtliche Waffen haben, macht Sie das nicht zu Gott, Commodore.«
»Sie haben ebenfalls Waffen«, antwortete Steve. »Ich habe Ihnen zwei Pistolen für leichte Räumungen überlassen. Soweit ich informiert bin, haben Sie die noch nicht benutzt, und, ja, ich werde sie ebenfalls einkassieren. Es liegt allein an Ihnen und Ihrer Besatzung. Sie sind entweder mit von der Partie oder raus. Wenn Sie aussteigen wollen, nehmen wir die Pistolen zurück, betanken Ihr Boot und lassen Sie gehen. Das war’s dann aber. Wer nichts zur Gemeinschaft beiträgt, bekommt auch keine Hilfe. Zum Teufel, von mir aus können Sie gleich jetzt abhauen und ich schenke Ihnen die Pistolen. Aber einseitig nur Vorräte abzustauben, das läuft nicht. Sie haben eine Frist von zwei Wochen. Fangen Sie damit an, sich um die EPIRBs zu kümmern, anstatt hinter der Insel rumzuhängen und einen auf Bermudaurlaub zu machen, oder Sie bekommen keine Vorräte mehr. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Ich habe es zur Kenntnis genommen.«
»An alle, ihr müsst euch das verdeutlichen«, sagte Steve. »Macht das den Leuten klar, die ihr rettet. Entweder helfen sie uns, irgendwie, oder sie helfen uns nicht. Wenn uns jemand nicht helfen will, kann er mit einem Haufen anderer nutzloser Leute auf einem heruntergekommenen Boot abhängen. Wir werden sie mit einem Grundvorrat an Nahrung versorgen. Das war’s aber. Wie sie anderweitig klarkommen, liegt ganz bei ihnen selbst. Wenn jemand, wie bei der Knot, ein Boot hat, kann er abhauen. Aber wir versorgen keine Leute mit Diesel oder anderem Material, wenn sie sich für unser Problem zu fein sind.«
»Sie wissen, dass auf diesen Booten verdammte Zombies sind, oder?«, kreischte eine Stimme.
»Was Sie nicht sagen, Sherlock ...«
Steve lehnte sich zurück, als die Stimmen durcheinanderplapperten.
»Commodore, hier spricht die Knot. Wir nehmen die Vorräte. Wir haben Ihre Scheiße satt.«
»Roger«, bestätigte Steve. »Kommen Sie in den Hafen. Einmal Kraftstoff auftanken und eine Tonne Vorräte nach dem Ermessen der Victoria. Wenn Sie zurückkommen, weil Sie mehr wollen, tauschen Sie Ihr Boot ein und schließen sich den Verlorenen und Nutzlosen an. Die Kapitänskonferenz ist hiermit beendet.«
Er sank in sich zusammen und schüttelte den Kopf.
»Das hätte besser laufen können«, murmelte er vor sich hin.
»Er hat einen Haufen Loser als Crew ausgewählt, weil er selbst einer ist«, sagte Mike. »Ich finde, Sie hatten von Anfang an recht. Nur weil sich jemand uns anschließt, heißt das nicht, dass er ein Boot bekommt. Ich will damit sagen ...« Er sah sich um.
»Ihr Boot, Mike.« Steve lächelte. »Damit hat keiner ein Problem. Verdammt, wenn Sie auf der Large schlafen wollen, ist das für alle in Ordnung. Da bin ich mir sicher. Kommen Sie mit der Knot klar?«
»Ich denke, schon. Kann ich zur Sicherheit eine der Schrotflinten bekommen?«
»Wie wär’s mit einer AK? Man kann sie beim Räumen fast nicht gebrauchen und die Leute haben Angst davor.«
»Das klingt nicht schlecht. Ich denke, die verkneifen sich Unverschämtheiten, wenn man ihnen mit einer AK vor der Nase rumfuchtelt.«
»Wie sehr vertrauen Sie Ihrer Besatzung?«, wollte Steve wissen.
»Ziemlich«, sagte Mike. »Es ist ein bisschen so, als will man Katzen Kunststücke beibringen, aber sie lernen. Zumindest die Grundlagen. Ich würde keinem von ihnen zutrauen, das Teil auf dem offenen Meer zu navigieren, aber bevor wir eine große Wickelspule gefunden haben, fährt der Dampfer eh nirgendwohin.«
»Ich lasse Ihnen zwei AKs da«, beschloss Steve. »Bereiten Sie die Vorräte zum Verladen vor. Lassen Sie die nicht an Bord und falls ein Problem mit der Knot auftritt, haben Sie die AKs. Stellen Sie sicher, dass sich in diesem Kahn kein Treibstoff mehr befindet.«
»Ich habe sogar noch eine bessere Idee«, strahlte Mike. »Ich werde die Hauptsicherung ziehen ...«
»Wissen wir schon, woher sie den Impfstoff haben?«
Frank Galloway bekleidete das wohlklingende Amt eines National Constitutional Continuity Coordinator. Zuvor war er im Verteidigungsministerium mit der atomaren Waffenkontrolle betraut gewesen.
Den Posten eines National Constitutional Continuity Coordinator hatte man 1947 geschaffen, nachdem offensichtlich wurde, dass sich die gesamte Regierungshierarchie der Vereinigten Staaten mithilfe einer einzigen Atombombe auslöschen ließ. Es gab eine klar umrissene Reihe tief greifender ziviler Kontrollmechanismen. Allerdings hatte er mit der in der Verfassung festgeschriebenen Regelung der Präsidentschaftsnachfolge nichts zu tun. Vielmehr ging es darum, die Kontrolle über militärische Einrichtungen für den Fall eines globalen Atomkriegs zu behalten oder – so lächerlich es klingen mochte – bei einer Zombieseuche. Dem NCCC fiel die Aufgabe zu, die grundlegende Ordnung im Land aufrechtzuerhalten oder sie wiederherzustellen, damit Neuwahlen abgehalten werden konnten.
Im Augenblick saß er in Omaha im Bundesstaat Nebraska 18 Meter tief unter der Erde fest und wurde von Zombies eingekesselt.
Kurz nach 9/11 hatte man still und heimlich damit begonnen, das Personal der verschiedenen Einrichtungen, welche im Organigramm dem NCCC unterstellt waren, an sichere Standorte überall in den USA zu verlegen. Nicht nur das Verteidigungsministerium unterhielt derartige Einrichtungen. Sie erfreuten sich in Regierungskreisen größter Beliebtheit. Wenn man keine sichere Rückzugsmöglichkeit hatte, war man nicht wirklich wichtig. Während des Kalten Kriegs, im Schatten einer drohenden nuklearen Auslöschung, hatten lediglich das Verteidigungsministerium, der Präsident und der Kongress auf entsprechende Unterschlüpfe zurückgreifen können. Doch im Zeitalter des H7D3-Virus nutzte selbst die staatliche Lebensmittelbehörde eine eigene Zuflucht.
Allerdings, kaum verwunderlich, gab es derzeit in den USA nur noch zwei Orte, die auch nach Ausbruch der Zombieseuche noch als sicher galten: das Jackson Hole in den Rocky Mountains und die Seuchenschutz-Einrichtungen des Centers for Disease Control, CDC. Und was bedeutete das für Frank Galloway, den früheren Nuklearwaffenspezialisten des Verteidigungsministeriums und NCCC? Nun, er war gerade mal so dem überlebenden diensthöchsten Mitarbeiter des CDC vorgesetzt, der ebenfalls auf der Liste stand. Aber sie kamen erst nach sämtlichen Gouverneuren der Bundesstaaten.
Die Krux bestand darin, dass er erst 33 war. Sein russischer Amtskollege, ein ehemaliger Sicherheitsoffizier des KGB, hätte sein Großvater sein können.
»Nein, Sir«, sagte Brigadier General Shelley Brice gerade zu ihm. Der frühere Assistant Deputy Commander für strategische Rüstungskontrolle zählte zu den wenigen weiblichen Generälen in der Air Force. Als ehemalige B-52-Kampfpilotin hatte sie sich energisch für ein Comeback des Strategic Airforce Command eingesetzt, nachdem sich herausstellte, dass schlimme Sachen passierten, wenn die Luftwaffe die Nuklearwaffen aus den Augen verlor. Vor allem, nachdem eine externe Prüfkommission der internationalen Atomenergiebehörde im Jahr 2007 festgestellt hatte, dass über 30 dieser Waffen als ›unauffindbar‹ galten. Damals war der Leiter des verantwortlichen Air Force Departments gefeuert und das SAC wiedergeboren worden.
Die ›Rebellen‹ aus dieser Ära hatten es nicht völlig geschafft, die höheren Stellungen zu besetzen, doch zumindest hatten sie die Kontrolle über die Nuklearsprengköpfe sowie ihr berühmtes Akronym zurückerobert. Und man hatte ihnen für Krisenzeiten das Hole überlassen.
Und jetzt, nun ja, hatten sie das gesamte US-Imperium übernommen. Zumindest das, was noch davon übrig blieb.
Sie war diensthabende Flaggoffizierin gewesen, als die Befehle zum Einschließen eintrafen. Soweit sie wusste, machte sie das zum ranghöchsten überlebenden Officer im gesamten Militärapparat der Vereinigten Staaten. First Female Commander of the Joint Chiefs of Staff. Das hohe Tier. Zugegeben, letztlich kommandierte sie nichts weiter als einige U-Boote.
Ihr Navy-Gegenstück war ein Kommandant, der inzwischen offenbar den Posten als Stabschef der Marine bekleidete. Oder, und dies war zweitrangig, denn jeder erkannte es als sinnlose Diskussion an, es hätte ein Atom-U-Boot-Kommandant im Pazifik sein können, da er den Kerl vor Ort nach dem Datum der Beförderung übertraf. Eigentlich waren sogar sechs Atom-U-Boot-Kommandanten früher als er befördert worden. Dazu gehörten auch noch ein Army Colonel der ziemlich anständigen Sorte, verdammt gut beim Poker, und ein Marine Lieutenant Colonel, von dem sie glaubte, dass man ihn gezielt auf einen nutzlosen Posten abgeschoben hatte. Jedenfalls konnte niemand bei den Marines nachvollziehen, wie er auch nur Lieutenant Colonel hatte werden können. Und die Tatsache, dass er nicht nur Nuklearwaffen-Wartungsoffizier, sondern auch Sicherheitskommandant einer Lagerstätte war, jagte ihr enorme Angst ein. Sie hielt ihn nämlich für einen absoluten Spinner.
»Es gab Nachrichten, dass einige Gruppen klammheimlich Impfstoff aus menschlichen Überresten hergestellt hatten«, sagte der Spinner in dieser Sekunde. Lieutenant Colonel Howard Ellington zuckte zusammen, nachdem er den Satz ausgesprochen hatte – eine seiner Angewohnheiten, die Brice fast zur Mörderin werden ließ.
»CDC?«, fragte Galloway. »Eure Einschätzung?«
»Durchaus realistisch«, meinte Dr. Dobson. »Und insgeheim hat die immunologische Gemeinschaft zugegeben, dass einige Leute so etwas gemacht haben. Damit meine ich Leute mit akademischen Abschlüssen, die in der Position gewesen sind, an solches ... Material ranzukommen. Das bedeutet letztlich Beihilfe zum Mord. Angesichts der Tatsache, wie die Sache ausgegangen ist, will ich aber nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen oder Leute verurteilen. Es ging letztlich ganz einfach und vor allem viel, viel schneller als die Alternativen. Ehrlich gesagt, wenn wir einfach ... von Anfang an jene Menschen verarbeitet hätten, die vollständig in das neurologische Stadium eingetreten sind, hätten wir der Ausbreitung der Infektionen Einhalt gebieten können. Aber damals wollte niemand auch nur daran denken. Im Nachhinein ...«
»Das ist eine späte Einsicht, bei der ich nicht sicher bin, ob ich mich damit beschäftigen möchte«, sagte Galloway.
»Vielleicht müssen wir das, Sir, mit allem gebotenen Respekt«, gab General Brice zu bedenken.
»Erklären Sie mir das«, forderte Galloway ihn auf.
»Wenn wir den Impfstoff für die nicht infizierten Besatzungen erhalten ... Es gibt nicht viele Alternativen«, sagte Brice. »Ich kenne niemanden, der den Impfstoff produzieren könnte ... Dr. Dobson ...?«
»Der General will damit zum Ausdruck bringen, dass sich der attenuierte Impfstoff relativ leicht herstellen lässt«, führte Dobson aus. »Es gibt zwar gewisse Risiken, ist aber machbar. Das Kristallbildungsserum hingegen ... Davon haben wir einiges hier. Noch. Aber es ist außerordentlich unwahrscheinlich, dass sie sowohl über die Kompetenzen als auch über die notwendige Ausrüstung verfügen, um es zu produzieren. Und wie es sich anhört, haben einige dieser Hobby-Freibeuter kein Problem damit, Infizierte zu töten. Offen gestanden, Mr. Galloway, ist die Gewinnung des attenuierten Virus von infizierten Homo sapiens die einzig mögliche Alternative, Impfstoff für die Besatzungen zu erhalten.«
»Es gibt ein weiteres Problem, das ich ansprechen möchte«, sagte Commander Louis Freeman. »Wenn wir den letzten verbliebenen Angehörigen des Militärapparates dieses Landes einen ungetesteten Impfstoff verabreichen, der von Menschen mit fragwürdigen Referenzen hergestellt wurde, wirft das etliche Fragen auf.«
»Finden Sie?« Galloway kicherte.
Einer der Gründe, die für den NCCC sprachen, war Brices Meinung nach, dass er einen tollen Sinn für schwarzen Humor hatte.
»Dann ist da diese Sache mit dem Köpfe-Abschlagen, um den Impfstoff zu produzieren, Commander. Ich bin mir darüber im Klaren, Commander, und wir werden uns darum kümmern, wenn und falls wir vor einer konkreten Entscheidung stehen. Aber da unsere Agenda für den Rest des Tages vorsieht, Teile der Welt von einer wundersamen Wiederbelebung abzuhalten, sollten wir nicht weiter ins Blaue diskutieren. Dr. Dobson, Sie wissen mehr oder weniger, was man für einen ... attenuierten Impfstoff benötigt?«
»Ja, Sir«, sagte Dr. Dobson. »Normale Laborausrüstung. Eine kontrollierte Strahlungsquelle, zum Beispiel ein Röntgengerät. Infiziertes Rückenmark. Und einen Mixer.«
»Es sollte keine Schwierigkeiten bereiten, dass uns die atomaren U-Boote ein wenig Strahlung zaubern«, fand Brice.
»Kontrolliert«, wiederholte Dobson. »Ich weiß nicht genau, wie viel Radioaktivität sich aus dem Antrieb eines Atom-U-Boots freisetzen lässt oder ob das überhaupt praktikabel wäre. Ein entscheidender Faktor ist allerdings, dass kontrollierbar eine exakte Dosis abgegeben wird. Zu viel Strahlung beschädigt den Impfstoff irreparabel und macht ihn unbrauchbar. Zu wenig und man infiziert stattdessen die Menschen, die man eigentlich damit heilen wollte. Das gehörte zu den Hauptproblemen der Drogendealer, die ihr selbst hergestelltes, grundsätzlich attenuiertes Serum verkauften. Einige von ihnen steckten ihre Kunden damit an, andere dealten mit einer Substanz, die nicht viel mehr war als Leitungswasser mit irgendeinem organischen Material darin. Andererseits hätte einiges des auf der Straße gesammelten Materials auch von uns hergestellt werden können. So gut war es. Kontrolliert.«
»Es gibt bei den Booten jedenfalls eine Möglichkeit zur Freisetzung von Strahlung«, sagte Commander Freeman. »Wie kontrolliert muss sie erfolgen?«
»Die Strahlungsdosis für die Erzeugung des Primers beträgt in einer normalen Mikroröhre 43 Millicurie pro Sekunde pro Milliliter«, erläuterte Dobson. »Beim Booster sind es 37 Millicurie. Wenn man nur um einen Millicurie oder eine Zehntelsekunde abweicht, wird der Impfstoff entweder wirkungslos oder infektiös. Das ist die Gefahr bei einer Attenuierung.«
»Verdammt«, fluchte Galloway. »Was würden Sie vorschlagen, wenn wir dieses Verfahren nutzen? Und ich glaube so langsam, dass wir dazu gar nicht in der Lage sind.«
»Ein Cäsium-Röntgengerät«, sagte Dobson. »Und etliche Stoßgebete. Ich schlage vor, dass wir bestimmte Chargen des Impfstoffs an bestimmten Besatzungsmitgliedern testen. Beurlauben Sie die Leute und sichern Sie sich bei der Gelegenheit auch gleich die Dienste eines Mikrobiologen oder eines anderen Experten, der über das nötige Know-how zur Produktion von attenuierten Impfstoffen verfügt ...«