9

»Mr. Schmidt, das ist meine Nichte Faith«, stellte Tom vor.

Dave Schmidt arbeitete nicht für Tom. Als Gebäudeingenieur war er einer völlig anderen Firma unterstellt. Aber sie hatten sich im Laufe der Zeit miteinander angefreundet – und wenn Tom nicht bald jemanden fand, um Faith zu beschäftigen, brach hier definitiv die Hölle los. Und er hatte eine Menge zu erledigen, verdammt noch mal.

»Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Miss.« Schmidts Augenbraue wanderte nach oben.

»Freut mich ebenfalls, Mr. Schmidt.« Faith winkte, statt ihm die Hand zu geben.

Faith war so dicht an ihrem ›besten Verhalten‹ dran, wie sie es schaffte. In Anbetracht der Tatsache, dass Onkel Tom sie nicht nur sämtlicher Waffen beraubt, sondern auch noch den Großteil ihrer Ausrüstung im Umkleideraum der Security deponiert hatte. Nicht mal die Panzerweste hatte man ihr gelassen. Während einer Zombieapokalypse!

»Es gibt einige gute Gründe, warum ich möchte, dass Faith eine vollständige Einführung in die Bauplanung von Großprojekten erhält«, führte Tom aus. »Ich weiß, dass Sie Pflichten zu erfüllen haben, aber wäre es zu viel verlangt, wenn Ihnen Faith dabei zur Hand geht?«

»Es gibt Vorschriften, Mr. Smith.« Schmidt klang wenig begeistert.

»Und wir leben in spannenden Zeiten.« Tom grinste von einem Ohr zum anderen. »Echt jetzt, helfen Sie mir aus meiner Notlage.«

»Ich ...« Schmidt gab nach. »Sicher. Kein Problem.«

»Vielen Dank.« Tom fiel ein Stein vom Herzen. »Ich schulde Ihnen was.«

»Können wir unter vier Augen miteinander reden, Sir?«, fragte Schmidt.

»Sicher.« Tom scheuchte Faith mit einer Handbewegung aus dem Kellerbüro des Ingenieurs.

»Ich ...« Schmidt räusperte sich. »Ich weiß, dass die Bank Zugang zu einem Impfstoff hat, Sir ...«

»Das Gerücht hat sich schnell verbreitet.« Tom legte die Stirn in Falten. »Ich werde nichts bestätigen und nichts abstreiten, aber im Sinne der Diskussion ...«

»Ich hätte wirklich gerne etwas davon, Sir.« Die Muskeln in Schmidts Gesicht arbeiteten. »Meine ... Schwester hat sich schon ... Sie ist in der Arresteinrichtung.«

»Das tut mir leid.« Tom seufzte. »Sie verstehen, dass es sich um einen Impfstoff handelt. Es ist kein Heilmittel. Es gibt im Moment nichts, womit Ihrer Schwester geholfen werden kann.«

»Ja, Sir«, antwortete Schmidt. »Aber ... Ich will selbst nicht so werden und ... ich habe Kinder. Und Enkelkinder.«

»Ich kann nicht viele Dosen freigeben.« Smith unterdrückte einen weiteren Seufzer. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Solange Sie mir diese Amazone einstweilen vom Leib halten.«

»Ich habe das mit der Sicherheitskontrolle gehört.« Schmidt kicherte. »Ein Schwert? Echt jetzt?«

»Meinen Sie die Machete oder das Kukri?«, wollte Tom wissen. »Ja, es war wirklich so. Und okay, ja, ich werde sehen, was ich tun kann. Aber ...«

»Ich halte sie Ihnen einfach eine Weile vom Leib.« Schmidt stand auf und streckte Tom die Hand entgegen. Kurz darauf zog er sie zurück. »Tut mir leid. Dumm von mir. Auf jeden Fall gibt es viel zu lernen. Und ich bin ein ziemlich guter Lehrer.«

»Vielen Dank.«

»So sieht das also aus?« Faith stürzte sich auf Tom, als dieser das Büro verließ. »Du schiebst mich an einen fetten, alten Ingenieur ab, um in der Kanalisation rumzuwühlen?«

»Faith.« Tom musste sich zurückhalten, um nicht mit den Zähnen zu knirschen. »Es gibt dafür wirklich einen guten Grund.«

»Welchen?«, schrie Faith. »Was kann ich denn hier ...?«

»Bauplanung!«, schnauzte Tom zurück. »Wo sind wir hier?«

»Ich hab wirklich keine Ahnung«, gab Faith zu. »Ich hab seit ’ner halben Stunde die Orientierung verloren.«

»Genau darum geht es. Mal angenommen, es bricht wirklich alles zusammen. Dann musst du Sachen tun, die eigentlich keine vernünftige 13-Jährige tun sollte, um zu überleben. Denkst du nicht, dass es nützlich wäre, wenn du dann mehr über den Aufbau solcher großen Gebäudekomplexe weißt?«

»Nun ...« Faith blieb skeptisch.

»Außerdem bin ich unglaublich beschäftigt«, schob Tom nach. »Ich bin der Leiter der Sicherheitsabteilung einer bedeutenden internationalen Bank, von der Millionen von Menschen bei einer internationalen Krise abhängig sind! Bist du wirklich so selbstsüchtig, dass du findest, ich sollte meine ganze Zeit damit verplempern, dich zu verhätscheln und mich um deine Trotzattacken zu kümmern? Oder dass du überhaupt welche haben solltest?«

»Tut mir leid, Onkel Tom«, stammelte Faith. »Ich ... Ich wollte ...«

»Das wird dich beschäftigen und hoffentlich interessieren«, sagte Tom. »Derweil rette ich so viele Menschenleben, wie ich kann. Also, ja, du erhältst einen Einführungskurs in Gebäudeplanung. Dabei lernst du wenigstens ansatzweise, wie du dich in einem Wolkenkratzer zurechtfindest. Das könnte dir eines Tages das Leben retten.«

»Ich verstehe das und gebe nach, Onkel Tom.« Faith klang auf einmal ziemlich kleinlaut. »Aber ... Du bittest mich darum, in den, ehrlich gesagt, gruseligen Eingeweiden eines Gebäudes rumzukriechen, in dem sich, du weißt schon, Menschen ohne Vorwarnung in Zombies verwandeln. Das ist nicht gerade ›sich gut um mich kümmern‹, Sir.«

»Der Einwand ist berechtigt«, gab Tom zu. »Ich hatte geplant, dass du auf der Führungsebene bleibst. Wo sich die Sicherheitsposten aufhalten.«

»Nur ein paar Waffen?«, bettelte Faith.

»Da gibt es ein Problem.« Tom sah sie eindringlich an. »Laut Gesetz darf eine minderjährige Person fast gar nichts mit sich führen.«

»Ich hasse diesen Ort«, knurrte Faith und riss sich sofort zusammen. »Entschuldige. Aber ...«

»Ich besorg dir einen Gummiknüppel«, gab Tom nach. »Aber das war’s dann.«

»Besser als nichts.« Faith salutierte. »Ich melde mich zum Dienst, Sir!«

»Lass ... Verwandle dich bitte nicht in einen Zombie«, sagte Tom. »Deine Mutter bringt mich sonst um.«

»Ich wusste nicht, dass diese Gebäude so komplex sind«, staunte Faith, als sie einen scheinbar endlosen Wartungsflur entlangliefen.

»Jedes dieser Gebäude ist im Grunde eine eigenständige Stadt.« Dave war stolz. Er genoss die Begleitung des Mädchens. Sie schien zwar ein kleiner Hitzkopf zu sein, aber sie war klug. Und sie packte mit an, egal wie schwer es wurde. Stärker als der Teufel war sie auch noch. Sie schleppte einen 60 Pfund schweren Sicherungsautomaten zwei Treppenfluchten hoch, ohne auch nur zu meckern. »Mehr wie ein Raumschiff. Die Luft muss eingesaugt und mit Pumpen im ganzen Gebäude verteilt werden. Dann sind da noch Wasser und Abwasser. Die Bewegung der Materialien. Das ist ein richtiger Tanz. Ein toller Tanz.«

»Was ist das da ...?« Faith zeigte auf irgendwelche riesigen ... Teile.

»Das sind ebenfalls Klimaschränke«, erklärte Dave. »Im Moment laufen sie nicht, denn der Gebäudeteil, für den sie vorgesehen sind, wird nicht genutzt. Deshalb sind sie derzeit überflüssig. Keiner verbraucht die Luft.«

»Und das ist ...« Faith blieb stehen und neigte den Kopf zur Seite. »Was ist das für ein Geräusch?«

»Flüssigkeitsströmung?« Daves Stimme hatte einen fragenden Unterton angenommen. »Luftströmung? Da ist ein elektrisches Summen ...«

»Ich meinte dieses ...« Als das Kreischen ertönte, blieb sie stehen.

Der Zombie hatte hinter einem der Klimaschränke gestanden. Blutüberströmt, doch es stammte nicht aus eigenen Wunden. Faith wollte gar nicht wissen, was er da hinter dem Schrank gefressen hatte.

»Charlie?« Dave trat einen Schritt auf ihn zu. »Charlie, ich bin es, Dave ...«

»Nicht.« Faith wollte ihn zurückhalten und streckte die Hand aus. »Er wird nicht ...«

Der Zombie stürzte sich auf die beiden und heulte.

Faith hörte den Klagelaut der Zombies zum ersten Mal und ihr lief ein Schauer über den Rücken. Es glich dem Geräusch, das Menschen der Frühzeit aus dem Wald vernommen haben mussten. Von wilden Tieren, die nachts dort lauerten. Oder das Monster unter dem Bett. Im Wandschrank. Die Angst, die sich zu einem Pfropfen zusammengeballt hatte und in die Realität einsickerte. Einen Augenblick lang stand sie wie erstarrt da.

»Nein«, schrie Dave und wich zurück. »Charlie! Nein, nein, nein, NEIN!«

Der Zombie fixierte sich auf den Ingenieur. Dadurch erhielt Faith eine Chance.

Als der Zombie an ihr vorbeilief, schwang sie den Gummiknüppel gegen sein Schienbein. Sie hörte, wie der Knochen unter dem Schlag brach. Doch er wandte sich trotzdem in ihre Richtung. Sie fing eine klauenartige Hand ab, die auf sie zugeschossen kam, hob den Arm und tauchte darunter weg, stemmte die Hand nach oben und von sich weg.

Die Stärke des Zombies überraschte sie, genau wie seine vollständige Missachtung von Schmerz. Jeder normale Mensch hätte mit einem gebrochenen Bein und einem beinahe ausgerenkten Arm längst auf dem Boden gelegen. Der Zombie hingegen drängte weiter auf sie zu, bis sein Arm vollständig ausgerenkt war. Die Zähne schnappten nach seiner Peinigerin.

Faith ließ den Gummiknüppel in die Niere des Zombies krachen. Es wunderte sie kaum, dass sie damit keine Wirkung erzielte. Er schien einfach keinerlei Schmerz zu verspüren. Mit diesem Wissen zog sie den Knüppel zur Seite und nach oben, dann kräftig gegen den oberen Teil des Halses. Es ertönte ein abscheuliches Knirschen und das Wesen ging zu Boden.

»Oha.« Sie kämpfte gegen den Würgereiz an. »Ich denke, das müssen wir Onkel Tom melden ...«

»Ich wollte ihn nicht töten.« Faith fühlte sich hundeelend. »Aber er ließ sich mit keinem Trick überwältigen, nichts hat funktioniert. Ich wusste, ich sollte den Knüppel nicht gegen einen Knochen oder den Hals rammen, aber ... Mir ist nichts anderes mehr eingefallen ...« Sie begann zu schluchzen.

»Es überrascht mich, dass Sie ihn bezwungen haben.« Der NYPD-Officer konnte es kaum fassen. »Geht es Ihnen gut, Miss?«

Das BotA-Sicherheitspersonal und der Gerichtsmediziner hatten die Leichen bereits abtransportiert. Wie Faith befürchtet hatte, hatte der Zombie ein weiteres Opfer gefressen. Bei beiden handelte es sich um Mitarbeiter der Haustechnik, die in diesem Sektor ihren Dienst verrichtet hatten.

Faith traf sich mit dem NYPD-Officer unter Aufsicht eines Sicherheitsbeauftragen der BotA sowie dem Chefjuristen. Der erfahrene Anwalt kannte sich zwar mit Vertragsrecht besser aus, aber er kannte trotzdem die Grundzüge des Strafrechts. Jugendstrafrecht zählte allerdings nicht zu seinen Spezialgebieten.

»Wollen Sie meine Mandantin anklagen?«, erkundigte sich der Anwalt. »Sie hat sich absolut kooperativ verhalten.«

»In Anbetracht der Situation und aller übrigen Vorkommnisse?«, erwiderte der Cop. »Dafür ist der Staatsanwalt zuständig, aber ich glaube nicht, dass er Anklage erhebt. Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Ein 13-jähriges Mädchen verteidigt sich selbst und eine weitere Person gegen einen Infizierten und dieser wird dabei getötet? Mit einem Knüppel? Ich behaupte mal, die Post leckt sich alle Finger nach einem Gespräch mit ihr, aber nicht der Staatsanwalt.«

»Ich denke, das werden wir zu verhindern wissen«, meinte Tom. »Wenn Sie also keine weiteren Fragen mehr haben?«

»Wir würden es begrüßen, wenn Sie die Kleine an einem sichereren Ort unterbringen könnten als in der Nähe der Luftschächte.« Der Cop stand auf. »Und sie wird psychologische Betreuung brauchen.«

»Wir werden ihr die beste zukommen lassen, die es gibt«, versicherte Tom. »Chad, könntest du den Officer nach draußen begleiten, während ich mit meiner Nichte spreche?«

»Natürlich.« Chad wandte sich dem Polizisten zu. »Officer?«

»Glaubst du, dass du damit klarkommst?«, fragte Tom, nachdem die Männer den Raum verlassen hatten. »Und sag ruhig ›Ich hab’s dir ja gleich gesagt‹.«

Faith lachte grunzend und zuckte die Achseln.

»Ich würd ja gern behaupten, dass die Schreie nach dem Cop nur gespielt waren.« Ihre Stimme klang monoton. »Ein Stück weit stimmt das sogar. Aber ich pack das schon. Bezüglich des ›Ich hab’s dir ja gleich gesagt‹: Ich musste eine Nahkampfwaffe einsetzen. Eigentlich hatte ich geplant, meinen ersten Zombie auf mindestens 20 Meter Entfernung umzubringen! Nicht so, dass ich seine Knochen knacken höre und mir das Blut ins Gesicht spritzt! Das war ganz und gar nicht optimal. Okay?« Sie schniefte erneut und verzog das Gesicht. »Herrgott, ich hasse es, wenn ich flenne. Das ist so ... mädchenhaft!«

»Denkst du, Soldaten weinen nicht?«, fragte Tom. »Glaubst du, dein Vater hat nie geweint? Man weint. Normalerweise, wenn keiner zusieht, klar. Man weint unter der Dusche. Oder in Gesellschaft guter Freunde. Von Menschen, die es nachvollziehen können. Und natürlich weint man nach Möglichkeit nicht mitten in einer heiklen Situation.«

»Erklär’s mir«, forderte Faith ihn auf.

»Ich glaube nicht, dass ich die passenden Worte finde. Ich kann dir jede Therapie dieser Stadt organisieren. Aber es läuft darauf hinaus, dass du getan hast, was du tun musstest, als du es tun musstest. Wenn du es nicht getan hättest, wären zwei Menschen gestorben.«

»Einer«, korrigierte Faith. »Wenn es richtig übel geworden wäre, hätte ich Dave das Bein gebrochen und wäre weggerannt.«

»Das ist die richtige Einstellung.« Tom presste sich eine Hand auf den Mund, um nicht loszuprusten.

»Ich meine, eine 22er hätte gereicht!« Faith warf die Hände in die Luft. »Damit hätte ich ihm aus sicherer Entfernung ins Bein geschossen!«

»In das von Dave oder dem Zombie?«, hakte Tom nach.

»Einem davon! Oder beiden!«

»Na, darüber wirst du dir keine Sorgen mehr machen müssen«, versicherte Tom. »Ich hätte umsichtig handeln und dich von Anfang an hier oben behalten sollen. Ich ... such dir irgendwelchen Papierkram, mit dem du dich beschäftigen kannst.«

»Na toll!« Faith verschränkte die Arme.

»Erst einmal geht es zurück ins Apartment«, beschloss Tom. »Ich hab schon mit Dr. Curry telefoniert und ihm gesagt, dass Sophia für heute Feierabend hat. Und du definitiv auch. Ich werde euch von jemandem nach Hause bringen lassen.«

»Ich ...« Faith versagte die Stimme. »Das ist das einzig Sinnvolle. Aber ... Ich gehe nicht ohne meine Ausrüstung in das Apartment.«

»Faith ...«

»Onkel Tom«, fügte sie nachdrücklich hinzu. »Das nächste Mal werde ich dir vielleicht nicht mehr ›Ich hab’s dir ja gleich gesagt‹ sagen können. Mir ist klar, dass du uns bei der Fahrt wie einen der Manager beschützen lassen wirst. Aber werden sie an der Tür Wache stehen, bis du kommst?«

»Ähm ...« Tom grübelte. Es war schwer genug gewesen, Mitarbeiter zu finden, die sie nach Hause fuhren. Es gab endlos viele Aufgaben zu erledigen.

»Es gibt weiterhin Verbrecher«, wies ihn Faith zurecht. »Und unbekannte Risiken. Du wirst uns nicht in dem Apartment allein lassen, ohne dass ich zumindest einen Taser bekomme. Diesmal nicht.«

»Einverstanden«, seufzte Tom. »Ich werde der Security Bescheid geben, dass sie ihn mitnehmen. Aber du gehst keine Zombies jagen!«

»Hab ich schon, ist für heute erledigt.« Faith legte ihre Hand aufs Herz. »Jetzt freu ich mich einfach auf eine heiße Wanne.«

»Und morgen werden wir ... eine andere Beschäftigung für dich finden.«

»Das Archiv. Du steckst mich ins Archiv, stimmt’s?«

»Miss, es tut mit wirklich leid, dass ich Sie bei Ihrer Ankunft entwaffnen musste ...«

Es handelte sich um den gleichen Wachmann und er machte tatsächlich den Eindruck, als täte es ihm leid. Der Zwischenfall musste schon im gesamten Gebäude die Runde gemacht haben.

»Sie haben nur Ihre Pflicht getan.« Sie zeigte mit dem Daumen auf Durante. »Er sollte all meine Sachen schleppen. Ist da etwas, was ich in New York bei mir führen darf?«

Sie hatte den Knüppel ›zur Untersuchung‹ dem NYPD überlassen müssen. Doch Tom hatte ihr gleich einen neuen gegeben.

Der Wachmann beugte sich vor und schob einen Taser über den Tisch, wobei er ihn mit dem Körper abschirmte.

»Steck den in die Tasche deiner Cargoshorts«, flüsterte er. »Und wenn du in Schwierigkeiten gerätst, ruf mich auf dem Handy an und ich hol ein paar meiner Kumpels ...«

»Danke«, flüsterte sie zurück.

»Es tut mir leid, Miss, aber wie ich schon sagte, dürfen all diese Gegenstände in New York nicht ohne Genehmigung mitgeführt werden«, sagte er laut. Er händigte den Stoffbeutel mit ihren Waffen an Durante aus. »Mr. Durante wird das für Sie verwahren.«

»Ich verstehe«, bestätigte sie mit gleicher Lautstärke. »Los jetzt, Gravy.«

»Oh mein Gott.« Sophia wirkte fassungslos. Nach der Arbeit in dem Labor trug sie Jeans und ein T-Shirt. Sie begann sich zu fragen, ob eine Panzerweste nicht die geeignetere Kleidung gewesen wäre.

Als sie aus dem Gebäude traten und auf das wartende Auto zugingen, stürmte ein Fotograf heran und schoss einige Bilder. Von Sophia.

»Au!« Sophia rannte davon. Er verwendete ein leistungsstarkes Blitzlicht und in ihren Augen, die sich noch nicht an die untergehende Sonne gewöhnt hatten, schien eine kleine Atombombe zu explodieren.

»Hey«, rief Durante und trat zwischen sie. »Hau ab!«

»Miss, würden Sie uns Ihren Namen nennen?«, fragte ein Kerl mit Diktiergerät. »Sind Sie die 13-Jährige, die einen Zombie mit einem Nunchaku bekämpft hat?«

»Wie bitte?«, entrüstete sich Faith.

»Aus dem Weg.« Durante drängte den Kerl zurück. Doch da kamen bereits ein Dutzend oder mehr Kollegen um die Ecke des Eingangs an der Hauptstraße. Er aktivierte sein Mikrofon. »Einheit 14. Ich habe ein Sicherheitsproblem vor Eingang sechs. Bitte um Unterstützung. Geht einfach weiter, Mädchen. Zum Auto!«

»Beweg dich, du Idiot!«, schnauzte Faith und rammte einen der mit einem Mikrofon bewaffneten Reporter per Bodycheck aus dem Weg. »Mir nach, Soph.«

»Pass auf, du Möchtegern-Rambo!« Der Reporter drängte erneut in ihre Richtung. »Ich kann dich wegen Körperverletzung vor Gericht bringen!«

»Du bist scharf auf eine Körperverletzung!« Faith zog ihren Gummiknüppel. »Verpiss dich oder ich zeig dir gleich eine Körperverletzung!«

»Geh einfach weiter, Faith.« Durante schob sie vorwärts.

»Können Sie uns sagen, was Sie in dem Gebäude gemacht haben ...?«

»Nein«, sagte Sophia und hob ihre Hand, um das Gesicht vor dem Blitzlichtgewitter abzuschirmen.

»Welche Beziehung haben Sie zur BotA ...?«

»Sag ›Kein Kommentar‹«, forderte Durante sie auf.

»Kein Kommentar ...«

»Dürfen wir Ihren Namen erfahren ...?«

»Nein.«

»Hat sich der Infizierte feindselig verhalten ...?«

»Darauf kannst du einen lassen«, murmelte Faith.

Aus dem Gebäude strömten weitere Security-Leute. Mithilfe von Durante schafften es die Mädchen, bis zum Wagen zu kommen, ohne tatsächlich jemanden in der Menge zu verletzen. Darunter hatten sich inzwischen auch die üblichen Gaffer gemischt. New Yorker ignorierten in der Regel alles mit Ausnahme von Paparazzi, denn das deutete normalerweise auf die Anwesenheit von Berühmtheiten hin.

»Ist das Lindsay Lohan ...? Hat man sie mal wieder verhaftet?«

»Nein!«, brüllte Faith, während sich die Wagentür schloss.

»Ach du Scheiße«, fluchte Durante. »Los, Bewegung! Zur Eigentumswohnung. Wenn uns jemand verfolgt, schüttle ihn ab, aber mach keinen auf Princess Di.«

»Möchtegern-Rambo?« Faith schnallte sich an. »Möchtegern-Rambo?«

»Sie dachten, du seist einer vom Sicherheitsdienst.« Durante kicherte.

»Dieser Hurensohn!«, zischte Faith. »Ich sorg dafür, dass die Boulevardpresse was zu schreiben hat, und dann das?«

»Du könntest dich mal dran erinnern, warum wir eigentlich hier sind.« In Sophias Gesicht zeigte sich Anspannung.

Durante winkte rasch mit der Hand ab, um zu signalisieren, dass dieses Thema nicht zur Diskussion stand.

»New York.« Faith beobachtete den ungewöhnlich ruhigen Nachmittagsverkehr. »Ich bekomme hier keine Aufmerksamkeit. Es stinkt. Es ist überfüllt. Die Menschen sind unhöflich. Und es gibt in der ganzen Gegend kaum einen Grünstreifen.«

»Du wolltest herkommen«, erinnerte sie Sophia.

»Weil es besser war, als auf einem Segelboot zu versauern«, schimpfte Faith. »Aber nur ein bisschen.«

»Das Essen ist klasse.« Durante mochte New York eigentlich auch nicht besonders, aber er fühlte sich verpflichtet, einige Vorteile der Stadt aufzuzählen. »Und die Weiber sind ... es gibt jede Menge ... Kunst und Kultur ...«

»Die Weiber sind heiß?«, brachte Faith den Satz zu Ende. »Oder leicht flachzulegen?«

»Ich werde diese Diskussion nicht mit den minderjährigen Nichten meines Chefs führen«, beschloss Durante. »Es gibt hier Attraktionen. Natürlich ... sind viele davon derzeit geschlossen.«

»Achtung«, schrie der Fahrer und der Wagen geriet ins Schlingern. Eine nackte Frau rannte durch den Verkehr und rammte die Autos, als wolle sie die Wagen mit bloßer Körperkraft auf den Bürgersteig schieben.

»Ein Zombie?«, fragte Sophia.

»Möglich«, antwortete Durante. »Wahrscheinlich. Aber das ist New York. Sie könnte auch einfach nur high sein. Das weiß man nie, bis man einen Bluttest durchgeführt hat.«

»Also wegen der Geschichte mit dem Essen ...« Faiths Magen knurrte.

»Wir lassen dir was liefern«, sagte Durante. »Ein weiterer Vorteil von New York. Man kann sich jedes Essen dieser Erde nach Hause bringen lassen.«

»Ich habe kaum Hunger«, meinte Sophia.

»Ich schon«, entgegnete Faith. »Ich muss was essen. Und nach einer Diät fast ausschließlich aus Astronautenfraß brauch ich gutes Essen. Gibt’s hier einen anständigen Italiener?«

»Das beste italienische Essen der Welt«, schwärmte Durante. »Besser als in Italien selbst. Obwohl es meistens winzig kleine Läden sind. Da finden wir schon was.«

»Ich will einfach nur duschen.« Sophia musterte ihre Umgebung. »Noch ein Zombie.«

»Das ist ein Zombie«, stimmte Durante zu. Zwei NYPD-Officers hatten ihn gebändigt, aber er hatte vorher offenbar einen Passanten gebissen. Einen Punk mit hoch aufragendem rosa Irokesenschnitt, der weinte, sich den Arm hielt und die Beamten anflehte, etwas zu unternehmen. Doch die schienen ihm überhaupt nicht zuzuhören.

»Und das wird noch einer«, kommentierte Faith die Situation.

»Die Indizien sprechen dafür, dass sich die Wahrscheinlichkeit verringert, wenn man den betroffenen Biss schnell reinigt«, erklärte Durante. »Und inzwischen wird behauptet, dass man nach Ausbruch der Grippe den sekundären Virus abschwächen kann, wenn man Kaliumpräparate zu sich nimmt.«

»Stimmt, die Separation der B-Phase-Telomerase wird durch Kalium gehemmt«, dozierte Sophia. »Aber das läuft nicht nach dem Entweder-oder-Prinzip. Wenn man genug Kalium zu sich nimmt, um die Expression vollständig zu verhindern, ist die Dosis tödlich. Wenn man allerdings ein starkes Immunsystem hat, erhält es durch Hemmung des Expressors eine Chance, den Beta-Expressor zu bekämpfen. Wenn man ein starkes Immunsystem hat. Und bei Bissen ist das so eine Sache. Der Beta-Expressor ist aggressiv und widerstandsfähig. Es kommt darauf an, wie viel Viruslast durch die jeweilige Quelle übertragen wird ...«

»Ich schätze, du hast bei der Arbeit gut aufgepasst«, lobte Durante.

»Dr. Curry lässt jeden Kanal, der sich mit diesem Thema beschäftigt, ununterbrochen laufen ... sowohl in der Hot Zone als auch in der Cold Zone.« Sophia blinzelte. »Also ja, ich habe ein bisschen was aufgeschnappt. Mehr als ich hier im Wagen erzählen kann. Zum Beispiel haben wir ein aktuelles Verbreitungsdiagramm. Das ist dem Stand in den Nachrichten um Lichtjahre voraus.«

»Darf ich fragen ...«, setzte der Fahrer an und verstummte.

»Es wird schlimmer.« Sophia sah Durante an. »Viel schlimmer. Die Sache ist die ... Der Virus ist molekular. ›Spucke und Bindfaden‹, so hat es Dr. Curry umschrieben. Nach einer Weile verheizt er sich einfach selbst.«

»Bald?«, fragte Durante. Das war mehr, als man ihm bisher anvertraut hatte.

»Nicht früh genug.« Sophia seufzte. »Schaut, es ist so ... Der Virus, der mit der Grippe, ist ziemlich komplex. Sie nennen das dualistische Expression. Und zwei Zentren, UCLA und das College of Rome, haben ziemlich gute Modelle entwickelt, die beweisen, dass es unmöglich ist, diesen Dualismus länger aufrechtzuerhalten. Darum hat er sich bei den Mikroorganismen wahrscheinlich nie entfaltet. Auf chemischer Basis gibt es da wohl einige grundlegende Probleme. Und Grippen mutieren. Aber die Art und Weise, wie sie mutieren ... na, es passiert eben einfach. Sie können noch tödlicher werden, noch infektiöser, oder weniger tödlich, weniger infektiös. Sie können ihre Ansteckungskraft oder Tödlichkeit vollkommen verlieren oder eine Kombination daraus hervorbringen. In unserem Fall ist der echte Killer der Beta-Expressor, der Zombievirus, der in die Grippe eingebettet ist. CDC und Pasteur haben dafür Modelle über verschiedene Kopien laufen lassen und er ... zerfällt ziemlich schnell. Er mutiert nicht zu einer noch tödlicheren oder noch ansteckenderen Variante. Er hört einfach auf zu funktionieren und ruft nur noch eine leichte Grippe hervor. Er ist nicht mehr dazu fähig, den Zombieteil hervorzubringen.«

»Die Seuche wird also einfach ... aufhören?«, fragte der Fahrer.

»Ja«, antwortete Sophia. »Aber das geschieht nicht früh genug. Stellt euch vor, ihr kauft einen neuen Computer. Ihr wisst es zwar nicht, aber etwas stimmt damit nicht. Jedes Mal, wenn ihr ihn einschaltet, kommt es zu ’ner Fehlfunktion bei einem Teil der Software. Ein Computer kann trotzdem lange Zeit weiterfunktionieren. Oder er geht gleich beim ersten Einschalten kaputt. Das passiert vollkommen willkürlich. Genau wie bei den Grippeviren. Wenn sie sich vervielfältigen, gehen sie manchmal kaputt. Oder sie werden zumindest etwas kaputter. Wenn immer mehr davon zerstört werden, verheizt sich die Grippe von selbst. Es stellt sich nur die Frage, ob sie ausbrennt, bevor sie die Welt vernichtet.«

»Und der Teil mit den Zombies?«, hakte Durante nach. »Es gibt viele Übertragungen durch Bisse.«

»Richtig.« Sophia malmte mit den Zähnen. »Sie haben die Übertragungsdiagramme nach Bissen und Grippe aufgeschlüsselt und die Bisse, oder zumindest die Blutübertragungen, überholen gerade die Grippe. Es gab einen Fall in Südkalifornien, bei dem ein Ehemann den Virus auf seine Ehefrau übertragen hat, als sie es ... nun ... miteinander getrieben haben. Dann wurde er zum Zombie, aber er hat sie nicht gebissen. Sie versteckte sich im Bad. Und ihr fehlten die Grippeantikörper. Daher wird angenommen, dass es beim Geschlechtsverkehr übertragen wurde. Und dann hat sie sich in einen Zombie verwandelt.«

»Gruselig.« Faith lief ein Schauder über den Rücken.

»Der Beta-Expressor ist auch nicht besonders widerstandsfähig«, ergänzte Sophia. »Es werden vier verschiedene Modelle diskutiert, doch anscheinend entwickelt sich der Virus zu einer normalen Tollwut zurück oder zerfällt eben. Wie ich schon sagte: Spucke und Bindfaden.«

»Und damit sind wir bei der Eigentumswohnung angekommen«, sagte Durante, als der Fahrer vor dem Eingang anhielt. »Warten Sie nicht auf mich. Ich finde selbst zurück.«

»Ja, Sir«, erwiderte der Fahrer.

»Ich darf als Erste duschen«, schrie Faith.

»Alter vor Inkompetenz«, konterte Sophia.

»Das kann ja heiter werden«, stöhnte Durante.