3
»Kann das Boot das alles tragen?« Faith sah es ungläubig an. »Und wie bekommen wir es dorthin? Sollen wir es über den Boden schleifen?«
Wenn man ein ganzes Kontingent aus Klopapier und Hygieneartikeln für Frauen gekauft hat, sind das sinnvolle Fragen. Wenn auch zu einem ungünstigen Zeitpunkt.
»Einen Teil davon können wir auf das Dach des Nissan schnallen.« Stacey musterte den Stapel Toilettenpapier auf der Palette, über den sie nicht einmal hinwegsehen konnte. Sie hatten beim Kauf einige ungläubige Blicke geerntet, aber keine unangenehmen Fragen gestellt bekommen. Außerdem war es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie hier in Williamsburg jemand kannte. Als ihr Handy klingelte, verzog sie ärgerlich das Gesicht. Doch es war nur Tom, der anrief.
»Tom? Warte mal kurz. Wir laufen gerade über einen Parkplatz.«
»Roger«, kam es aus dem Lautsprecher. »Wie sieht es bei euch aus?«
»Bisher ist alles klar.« Stacey schloss die Wagentür auf. »Wir unterhalten uns im Auto, Mädels.«
»Ihr müsst öffentliche Orte meiden.« Tom sagte es mit Nachdruck.
»Klopapier ist ein Recht, kein Privileg«, gab Stacey zurück, stieg ins Auto und steckte das Telefon in die Freisprechanlage. »Okay, wir lauschen gespannt. Leg los.«
»Sind alle da?«, drang Toms Stimme aus dem Lautsprecher.
»Steve verhandelt wegen dem Boot«, antwortete Stacey. »Mach schon.«
Tom berichtete ihnen die wichtigsten Punkte, die er durch Dr. Currys Analyse erfahren hatte.
»Nackte Zombies?«, wunderte sich Faith. »Ekelhaft!«
»Macht für mich Sinn«, fuhr Stacey dazwischen. »Wenn sie ihre Kleidung anbehalten und weiterleben, haben sie Probleme bei der Abführung der Abfallprodukte.«
»Das bedeutet, dass sie nicht kacken können, Faith«, klärte Sophia ihre Schwester auf.
»Ich weiß, was das heißt!«, entrüstete sich Faith. »Noch mal bäh!«
»Ich habe nicht viel Zeit.« Tom wurde ernst. »Ende der Welt und so.«
»Tut mir leid, Onkel Tom.« Auch Sophia scherzte nicht länger. »Wir machen hier nur eine schwere Zeit durch ...«
»Weiter, Tom«, forderte Stacey ihn auf.
»Steigende Verwirrung, im Grunde genommen bis zurück in ein tierisches Stadium. In diesem Zustand dann Hyperaggression. Vielleicht nur die bisher identifizierten Fälle, aber der Aggressionsfaktor scheint zuzunehmen. Sehr bissig, das besagen die Berichte von der Westküste – darum auch die Übertragung, weil sich der Krankheitserreger per Blutkontakt verbreitet. Mindestens ein Polizist, der sich um einen der Fälle gekümmert hat, wurde infiziert. Sechs bestätigte Fälle an der Ostküste, vier in Asien. Bestätigt. Die Gesundheitsbehörde hat sich dazu entschlossen, um Punkt zwölf Uhr an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Nachrichtenagenturen stellen bereits erste Fragen. Sie suchen nach einem Impfstoff. Was wollt ihr wissen?«
»Gibt es andere Anzeichen als ›Grippesymptome‹?«, erkundigte sich Sophia.
»Nichts Bestimmtes«, sagte Tom. »Nicht vor der zweiten Phase. Könnte sein, dass es bis dahin nicht über das Blut übertragen wird. Die allgemeinen Verfahren zum Eindämmen einer Grippewelle, das fordert jedenfalls die Regierung. Wieder mal die Schweinegrippe, aber der Virus hat sich schon verbreitet, wahrscheinlich weltweit, und das geht schnell. Bleibt mal dran ... Pasteur bestätigt Fälle in England und Frankreich ... Schon sechs allein in Hongkong ... Ich muss mich kurzfassen. Ich habe gleich noch eine Besprechung.«
»Wir verfahren nach dem Plan der Aurelius Corporation«, sagte Stacey. »Kannst du ... uns aushelfen? Wir möchten es eigentlich vermeiden, die Jacht stehlen zu müssen.«
»Wie viel?«, fragte Tom.
»1,4 Millionen.« Stacey zuckte bei der Zahl selbst leicht zusammen.
»Geht klar«, bestätigte Tom. »Ich autorisiere die Überweisung, sobald wir das Telefongespräch beendet haben. Wie lautet der Deckname?«
»Jason Ranseld. R-A-N-S-E-L-D.«
»Ich kümmere mich drum. Verschwindet einfach von der Küste.«
»Was hast du für einen Notfallplan?«, fragte Stacey.
»Wenn sie einen Impfstoff finden, gar keinen«, klärte Tom sie auf. »Wenn sie keinen finden, werdet ihr nicht wollen, dass ich euch infiziere. Und jetzt seht zu, dass ihr abhaut.«
Steve winkte einem irritiert dreinschauenden Felix am Ufer zu, während der Wind das Boot vom Dock wegtrug. Es war offensichtlich, dass der Makler darüber nachdachte, ob man ihn übers Ohr gehauen hatte.
Das Boot hielt sicherlich einige Wochen lang durch. Zu diesem Zeitpunkt dürfte klar sein, ob es sich um einen Fehlalarm gehandelt hatte und sich die Smiths, einer wie der andere, ein neues Leben aufbauen mussten, wahrscheinlich in Australien. Gut möglich, dass die Welt bis dahin bereits so eindeutig in Richtung Hölle gerauscht war, dass es sowieso niemanden mehr juckte.
›Jason Ranseld‹ führte einige überaus interessante Dokumente mit sich. Dazu gehörte unter anderem ein Zeugnis als Steuermann. Es war nicht gefälscht. Steve hatte es erworben, als er vor vielen Jahren schon einmal unter diesem Decknamen gelebt hatte. Er hatte einiges an Erfahrung aufzuweisen, wenn es um derart große Boote ging. Selbst bei Wind. Allerdings lag das 20 Jahre zurück.
Er schaffte es daher, ohne größere Zwischenfälle aus dem Jachthafen zu segeln. Er hatte allerdings nicht daran gedacht, einen Mantel mitzunehmen. Und es war verdammt kalt. Die Wolken standen hoch am Himmel, dünn gesät, und wiesen ein gleichförmiges Muster aus Blumenkohlköpfen auf, während die Sonne schwach und grau durch die Wolkendecke drang. Es gab einen Namen für diese Wolkengattung, aber Steve konnte sich momentan nicht daran erinnern.
Er machte sich wegen Stacey und den Mädchen Sorgen. Gegen direkte Bedrohungen konnten sie sich gut selbst wehren, aber gegen eine Seuche ... Es gab einfach keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen, wenn man von Quarantäneausrüstung absah. Und sie hatte sich schon in der Gesamtbevölkerung ausgebreitet ...
Er blickte nach oben zu den Wolken, die über das Firmament eilten, und grübelte immer noch über die offizielle Bezeichnung für diese Formation nach. Doch er erinnerte sich an den Tag, an dem er Großvater Smith deswegen Löcher in den Bauch gefragt hatte. Opa war ein Veteran des Zweiten Weltkriegs gewesen und hatte bei der Milizarmee in Neuguinea gedient. Er wusste immer über alles Bescheid.
Opa hatte nach oben geschielt und dann gemeint, man spreche in solchen Fällen von einem ›Friedhofshimmel‹. Anschließend war er zurück ins Haus gegangen und hatte sich mächtig einen angesoffen.
»Sag schon, Schatz«, drängte Stacey. »Wo bist du?«
Trotz der geringen Auslastung der Häuser handelte es sich um eine schöne Nachbarschaft. Die Immobilienkrise in Virginia hatte luxuriöse Wohnungen ans untere Ende der Beliebtheitsskala rutschen lassen. Deswegen zog der verbeulte Nissan Pathfinder, dem man etwas unter einer Plane auf das Dach geschnallt hatte, neugierige Blicke der wenigen Anwohner auf sich. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie ihre Anwesenheit der Polizei erklären mussten. Und da sie nicht mit einer guten Erklärung aufwarten konnten ...
»Knast?«, stöhnte Faith.
»Lass das, Faith«, sagte Stacey. Sie wollte Steve nicht anrufen, falls Probleme auftraten. Er konnte es jetzt nicht gebrauchen, dass sie ihm ständig in den Ohren lag. »Außerdem ist der Scheck gedeckt. Auf die eine oder andere Weise.«
»Hab ein wenig ... Vertrauen, Schwester«, meinte Sophia.
»Oh, deine Ratschläge sind ja sooo weise«, spuckte Faith zurück.
Stacey fuhr hoch, als das Telefon klingelte. Sie schaute auf das Display. Steve meldete sich. Das konnte gleichermaßen gute oder schlechte Neuigkeiten bedeuten ...
»Sag mir, dass du nicht im Gefängnis sitzt«, meldete sich Stacey.
»Auf dem Weg zum Treffpunkt«, gab Steve zurück. »Ich bin froh, dass du den Kleinkredit von Tom erhalten hast. Der Verkäufer war von dem wichtig aussehenden Papierkram nicht sonderlich beeindruckt. Ich denke, er wundert sich noch immer wegen der Geldüberweisung.«
»Soweit ich das sehe, sollten wir die wohl vertuschen. Wenn nicht, sollte sich die Welt besser möglichst schnell in einen Höllenpfuhl verwandeln«, antwortete Stacey, setzte das parkende Auto in Bewegung und fuhr langsam weiter.
»Gibt es bei euch Probleme?«
»Wir kämpfen nur, das Klopapier auf dem Wagendach zu behalten.«
»Okay, jetzt versteh ich, wie du das gemeint hast«, sagte Steve kichernd.
Das Haus hatte etwa 900 Quadratmeter Wohnfläche und lag direkt neben einem schiffbaren ›Bach‹, der in den meisten Regionen die Definition eines Flusses erfüllt hätte. Dazu gehörte ein sehr schönes T-Dock mit ausreichend Platz ... wenn man beispielsweise mit einem gut 14 Meter langen Hunter-Segelboot mit dem Namen Mile Seven anlegen wollte. Außerdem gehörte eine bequeme Zufahrt dazu, damit man das Auto bis ans Ende des Docks fahren konnte. Und das tat Stacey gerade, recht vorsichtig, während die Mädchen zu Fuß vorliefen.
Der Grund für ihre Vorsicht war das Frachtgut. Stacey gehörte, Steves Meinung zufolge, zu den verkappten Genies auf dem Gebiet der Mechanik und Elektronik. Auf der anderen Seite legte er die Angewohnheit an den Tag, mit einem Hammer auf die Daumen anderer Leute einzuschlagen. Trotzdem übernahm er als ehemaliger Fallschirmjäger stets das Einpacken. Vor allem, wenn es dabei um das Festzurren von Sachen auf dem Dach des Pathfinders ging.
Stacey hatte offensichtlich zwei der Ersatzplanen aus dem Transportkarren gezogen und damit etwas angestellt ... und zwar mit jeder Menge Schnur und Paracord-Nylon. Er hatte in Afghanistan schon kleinere Autos gesehen, die man noch mehr überladen hatte. Deren Fahrer brachten jedoch etwas mehr Verständnis für Aspekte wie Aerodynamik mit. Und Lastverlagerung. Die Plane glich einer vom Wind gepeitschten grünlich braunen Kartoffel.
»Ich weiß nicht mehr, wie dieser Knoten funktioniert ...« Faith zog die Achterleine ein und spannte sie, als das Boot zurück aufs Meer treiben wollte. »Hilfe!«
»Ich weiß es.« Sophia hatte bereits die vordere Leine gesichert. Zwischen ihnen lag das Heck des Boots längsseits und die ältere Schwester hatte es mit einem Doppelknoten festgebunden. »Es ist ganz einfach.«
»Ganz einfach sind eine Schrotflinte und ein Zombie«, gab Faith zurück.
»Hört auf zu streiten und kümmert euch ums Ausladen.« Steve schaltete den Motor des Boots ab. »Uns läuft die Zeit davon.«
»Wir rackern uns ab, was das Zeug hält, Captain, Sir!« Sophia salutierte höhnisch.
»So sieht das schon besser aus«, freute sich Steve.
Neben den Unmengen von Material bestand das größte Problem bei der Erstbeladung genau darin: in der Erstbeladung. Genau wie man die schweren Sachen beim Anhänger zuerst nach unten und von vorn nach hinten packen musste, musste auch das Boot mit den schwersten Sachen zuerst beladen werden. Daher mussten sie den Anhänger erst einmal komplett entladen, ehe sie alles aufs Boot schaffen konnten.
Der Trailer war gerade vollständig leer geräumt, als auch schon der Besuch eintraf, den Steve insgeheim befürchtet hatte.
»Dad.« Sophia spähte verstohlen hinter dem Anhänger hervor. »Ein Bulle.«
»Alles klar«, bestätigte Steve. »Fangt mit dem Beladen an.«
»Darf ich fragen, was Sie hier machen, Sir?«, erkundigte sich Officer Jason Young vom Williamsburg PD.
Die Frühschicht war relativ ereignislos verlaufen. Einige Kids, die mal wieder zu stark aufs Gaspedal drückten, einige Berichte über Diebstähle aus der Nacht zum Samstag. Nichts Besonderes.
Inzwischen schienen die ungewöhnlichen Vorfälle allerdings zuzunehmen. Er hatte eben zwei unabhängige Anrufe wegen 10-64 mitgehört, das bedeutete Exhibitionismus, dann einen 10-28, das war eine Prügelei oder Ruhestörung, und jetzt war er hier und kümmerte sich um ... na ja, er war sich nicht sicher, mit was er es hier zu tun hatte. Der Anruf deutete auf einen typischen 10-37 hin: verdächtige Person. Die Leute schienen allerdings nur ein Boot zu beladen. Doch laut dem Nachbarn, der die Polizei angerufen hatte, lag bei dem Haus, das Zugang zum Dock besaß, eine Liegenschaftspfändung vor. Deshalb sollte sich eigentlich niemand auf dem Grundstück aufhalten. Zudem war das Auto mit den schlecht gesicherten Sachen auf dem Dachgepäckträger fast eine Stunde lang durch das Viertel getuckert.
»Ich belade mein Boot, Officer Young«, gab Steve dem Polizisten Auskunft.
»Das hier ist Privateigentum. Und laut den Nachbarn ist es nicht Ihr Eigentum«, widersprach Young. »Das bedeutet, dass Sie unbefugt hier eingedrungen sind.«
»Das ist ein guter Einwand, Officer Young«, gestand Steve ihm zu. »Das Dock lag günstig und dieses Grundstück ist eindeutig unbewohnt. Es handelt sich also bestenfalls um eine geringfügige Kompetenzüberschreitung. Wir sind in spätestens einer Stunde wieder verschwunden.«
»Macht es Ihnen etwas aus, mir Ihren Personalausweis zu zeigen, Sir?«, fragte Young. »Sie sind kein Amerikaner. Sind Sie Ire?«
»Australier«, antwortete Steve, zog den Führerschein aus der Hosentasche und zwang sich dazu, nicht zusammenzuzucken. Amis konnten Commonwealth-Akzente einfach nicht auseinanderhalten. »Und ich bin eingebürgerter US-Staatsbürger. Kein Ortsansässiger. Ich habe auch einen amerikanischen Pass.«
»Hier steht, Sie leben in Warrentown«, sagte Young. Das passte zu den Nummernschildern des Nissan.
»Ja, Officer.« Steve blieb freundlich. »Dort lebe ich.«
»Ob Sie mir wohl mal Ihre Zulassung und die Versicherungspolicen zeigen können?«
»Kein Problem.« Steve wandte sich um.
»Ehe Sie den Wagen öffnen ...« Young hielt ihn zurück. »Führen Sie Waffen mit?«
»Ah.« Steve drehte sich zu dem Officer um. »Ich hatte mich schon gefragt, wann wir dazu kommen. Ja, das tue ich tatsächlich. Sie befinden sich alle in verschlossenen Koffern im Kofferraum. Meine Frau und ich haben beide CCLs, dürfen Waffen also verborgen am Körper tragen, aber das ist derzeit nicht der Fall.«
»Okay«, sagte Young. Seine Augenbraue wanderte nach oben. »Alle?«
»Es sind schon ein paar«, sagte Steve. »Möchten Sie sie sehen? Sie liegen noch ziemlich weit unten. Wir haben erst den Transportkarren ausgeladen.«
»Den Transportkarren?«
»Tut mir leid.« Steve sprach etwas zu gelassen. »Den Anhänger, wie man hier sagt.«
Young beäugte die Frauen, die weiter das Boot beluden. Sie wirkten nicht, als ob sie sich auf einen Törn in die Karibik vorbereiten. Eher nervös. Und dieser Kerl kam ihm entschieden zu relaxt vor.
»Machen Sie den Wagen nicht auf«, befahl Young. »Gehen Sie nicht näher an das Fahrzeug heran. Ich möchte mich erst mit den Ladys unterhalten.«
Steve öffnete den Mund, um sich nach dem Grund zu erkundigen, aber dann nickte er nur.
»Wie Sie wünschen, Officer.«
»Officer, ich möchte mich dafür entschuldigen«, sagte Stacey, als der Cop zu ihnen kam. »Ich weiß, dass wir unbefugt hier eingedrungen sind, aber das Haus steht leer. Es scheint eine Zwangsvollstreckung vorzuliegen. Hier kann man so leicht einladen! Es tut mir wirklich leid und es wird nicht mehr lange dauern.«
Sie war nicht gerade geschickt darin, sich dumm zu stellen, aber sie gab ihr Möglichstes.
»Dafür gibt es Jachthäfen, Ma’am«, klärte sie der Officer auf. »Ist sonst alles in Ordnung?«
»Ja?«, äußerte sie fragend, sah an dem Cop vorbei zu Steve und hoffte, dass er ihr ein Zeichen gab. »Was meinen Sie damit?«
»Werden Sie hierzu genötigt?«, erkundigte sich der Officer. »Ich meine, sind Sie aus freien Stücken hier? Geht es Ihnen gut, Ma’am?«
»Es ist alles in Ordnung.« Stacey runzelte die Stirn. »Es geht uns gut. Wir wollen nur das Boot beladen und in See stechen!«
»Und Sie sind die Frau von Mister ... Entschuldigung, wie war noch mal der Name Ihres Mannes?« Er schielte auf Steves Führerschein.
»Oh.« Stacey lachte. »Sie meinen Steven John Smith, mit dem ich seit 17 Jahren verheiratet bin? Darf ich Ihnen meine beiden Töchter vorstellen? Sophia Lynn und Faith Marie. Ja, er ist mein Gatte, das sind meine Kinder und wir sind allesamt real existierende Menschen.«
»Darf ich bitte Ihren Ausweis sehen, Ma’am?«, fragte der Officer.
»Der ist in meiner Handtasche im Auto ...«
»Das ich noch nicht öffnen lassen möchte, bis ich mir die Waffen darin angesehen habe«, beharrte der Officer.
»Wozu wir Sie herzlich einladen«, mischte sich Faith ein und unterbrach das Beladen. »Worum geht es denn eigentlich?«
»Mach einfach weiter, Faith«, forderte Stacey sie auf.
»Wie bitte?«, entrüstete sich Faith. »Während du und Dad hier rumsteht und mit dem Bullen plaudert?«
»Mach mit dem Beladen weiter, Faith«, wiederholte Stacey ruhig.
»Was soll die Eile?«, fragte der Officer.
»Wir wollen die Gezeitenströmung nicht verpassen, Officer«, antwortete Stacey.
Sie wusste im gleichen Augenblick, dass sie etwas Falsches gesagt hatte.
»Die Ebbe?« Der Officer klang verwundert. Jeder Cop an der Küste kannte sich mit den Gezeiten aus. Derzeit stieg der Wasserstand, und das dauerte auch noch die nächsten zwölf Stunden an. »Darf ich bitte die Zulassung für Ihr Boot sehen, Ma’am?«
»Da muss ich Steve fragen, wo er sie hat«, antwortete Stacey.
»Es wäre nett, wenn Sie mit dem Beladen aufhören, bis diese Angelegenheit geklärt ist, Ma’am.«
»Natürlich, Officer, wenn Sie darauf bestehen.« Stacey unterdrückte einen Fluch. »Okay, Faith, Soph, hört mal mit der Arbeit auf.«
»Wurde auch Zeit, dass wir mal eine Pause einlegen!«, keuchte Faith mit einem Lächeln auf den Lippen.
»Probleme, Officer?«, erkundigte sich Steve, als Young zu ihm zurückkam.
»Ich versuche gerade, mir einen Reim darauf zu machen«, gab Young zu. »Hier ist genug Ausrüstung für eine Armee. Zumindest haben Sie ausreichend Waffen für eine ganze Armee. Sie sind unberechtigt auf Privateigentum eingedrungen und Sie sind in Eile. Und das liegt nicht daran, dass Sie die Gezeitenströmung nicht verpassen möchten. Andererseits sehen Sie nicht wie eine Drogenbande aus und die Ausrüstung scheint nicht gestohlen worden zu sein. Da passt nichts zusammen. Nennen Sie mich ruhig übervorsichtig.«
»Das Dock ist einfach ideal zum Beladen«, sagte Steve. »Viel besser als ein Jachthafen.«
»Wie lange besitzen Sie das Boot schon?«, fragte Young.
»Eben erst gekauft«, antwortete Steve. »Heute Morgen. Mit einer Banküberweisung vom Unternehmen meines Bruders.«
»Okay, Mr. ›Smith‹.« Young wurde wütend. »Hören Sie auf mit diesem Mist. Was zum Teufel ist hier los? Sagen Sie mir die Wahrheit!«
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mein Handy aus der Tasche ziehe?«, sagte Steve vorsichtig.
»Warum?«
»Ich möchte nachsehen, wie spät es ist«, sagte Steve. »Sie können mir die Uhrzeit auch sagen.«
»Warum?«, fragte Young erneut.
»Ich muss wissen, wie spät es ist.« Steves Stimme klang ruhig.
Young trat zurück und schielte vorsichtig auf die Uhr, behielt dabei aber den Mann und die Frauen im Auge.
»11:47 Uhr«, sagte Young.
»Ein langer Tag.« Steve klang reumütig. »Ich wusste nicht, dass es noch so früh ist. Kann ich noch ... 13 Minuten warten, ehe ich diese Frage beantworte?«
»Was passiert zur Mittagsstunde?« Youngs Augen verengten sich zu Schlitzen.
»Eine Bekanntmachung«, sagte Steve. »Wahrscheinlich eine sehr sorgfältig formulierte Bekanntmachung, die Ihnen und Ihren Kollegen nicht genug Informationen geben wird, um sich selbst zu schützen. Wenn wir bis Mittag weiter das Boot beladen dürfen und eine solche Ankündigung erfolgt, kann ich Ihnen weitere Informationen geben. Informationen, durch die Sie überleben können. Aber bis dahin bin ich zum Schweigen verpflichtet. Ich werde Ihnen einen Hinweis geben. Wenn Sie es in den kommenden Tagen mit einer nackten und verwirrten Person zu tun haben, die sich aggressiv gebärdet, sollten Sie diesen Mann oder diese Frau auf der Stelle niederschießen – wenn nötig sogar erschießen – und sich von den Blutspritzern fernhalten. Man wird Sie beurlauben, solange die Umstände des Schusses untersucht werden. Und das wird Ihre Überlebenschancen nachhaltig erhöhen.«
Young hielt inne und dachte darüber nach. Waffen. Vorräte. Segelboot. In Eile ...
»Sie machen Witze«, sagte Young. »Das ist unmöglich.«
»Mittag«, beharrte Steve. »Zumindest hat man mir mitgeteilt, dass um zwölf Uhr mittags eine erste Verlautbarung erfolgen soll ...«
Youngs Funkgerät piepste eindringlich und er hielt es sich ans Ohr.
»10-27! 10-27! Mehrere feindselige drei...« Es erklangen einige Schüsse, dann wurde der Ruf unterbrochen.
»10-27, 413 Elmshore Road. 10-27, 413 Elmshore Road ... Stopp, Stopp. 10-27, 7276 Waterson Avenue ... 10-27 ...«
»Sie müssen los, Officer Young«, sagte Steve. »Lassen Sie sich unter keinen Umständen beißen. Der Krankheitserreger im Blut ist besonders aggressiv.«
»Sie müssen mich verarschen!« Young stutzte.
»Ihre Kollegen stecken in Schwierigkeiten.« Steve deutete mit dem Daumen auf den Dienstwagen des Polizisten. »Und viel Glück.«