14
Sophia wirbelte herum und beobachtete, wie Faith auf einen der heraneilenden Infizierten feuerte. Die Frau in den 50ern wurde zurückgeworfen, ihre Brust von einer Zwölf-Kaliber-Schrotflinte aufgerissen. Doch sie war nicht als Einzige in Richtung der Konzertbesucher unterwegs.
Sophia zögerte keinen Augenblick. Ihr Vater hatte sie zu viele taktische Übungen absolvieren lassen und die Aktionen waren ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Sie stand mit dem Rücken zur Gruppe und trat jetzt vor, deckte den anderen den Rücken und riss ihre 1911 aus dem Holster. Sie umklammerte den Griff mit beiden Händen, zielte auf den Zombie, der ihr am nächsten stand, und jagte zwei 45er-Kugeln in seine Brust. Sie benutzte expandierende Hohlspitzgeschosse mit Polymerspitze, die beim Aufschlag kein typisches Kaliber-45-Loch verursachten, sondern eine Öffnung von fast zweieinhalb Zentimetern Durchmesser zurückließen. Während der Arbeit im Labor hatte sie einen Schnellkurs in Biologie auf Master-Niveau absolviert, der unter anderem die Anatomie und Physiologie von Säugetieren umfasste. Sie konnte die Blutgefäße, die ihre Kugeln herausspritzen ließen, praktisch auswendig aufsagen, ohne eine Autopsie vornehmen zu müssen. Die infizierte Frau kam ihr zwei weitere Schritte entgegen und stürzte zu Boden.
Sie hatte eine Kugel im Lauf und ein ganzes Magazin für die 1911 gehabt. Wäre sie vorhin an der Diskussion mit ihrer Schwester beteiligt gewesen, hätte sie besserwisserisch darauf hingewiesen, dass eine 1911 acht Kugeln hatte. Das reichte für vier Infizierte.
Aber es kamen immer mehr.
»Dieser Job ist echt scheiße.«
Specialist Cameron ›Gunner‹ Randall von der New York Army National Guard fühlte sich gelangweilt, gereizt und frustriert. Er war ein verdammter 13F: ein Spezialist für Unterstützungswaffen. Er hätte Artilleriebeschuss anfordern sollen, statt durch die Straßen von New York zu rennen und die ›Ausgangssperre durchzusetzen‹. Außerdem setzten sie die Ausgangssperre überhaupt nicht durch. Da fand ein Konzert mitten im Washington Square Park statt. Und er und seine Jungs sollten lediglich ›Präsenz zeigen‹. Was zum Teufel meinten seine Vorgesetzten damit?
In Wirklichkeit spielten sie eher mobile Zombiesammler. Sie trugen die M4-Standardbewaffnung, doch bisher hatten sie nur ihre Taser eingesetzt. Zombie tasern, Injektion verabreichen, einsammeln lassen. Den Leuten sagen, dass es eine Ausgangssperre gab. Es den Leuten nur sagen. Sie nicht zurück in ihre Häuser schicken, sondern lediglich ›daran erinnern‹. Und die Verhaltensregeln für den Beschuss von Zombies mit der M4 umfassten zehn Seiten. »Ach ja, stört das Konzert nicht.«
Das ging ihm wirklich unglaublich auf den Sack. Er hätte nie gedacht, dass ein Einsatz in den Staaten noch mehr nerven konnte als einer in Afghanistan. Aber das hier war echt der letzte Dreck.
»Zumindest ist es eine ruhige Nacht.«
Sergeant James R. ›Worf‹ Copley vertrat die Meinung, dass ihre momentane Aufgabe eine Idiotie auf derart vielen Ebenen darstellte, dass es nicht mehr lustig war. Zu den Gründen, die ihn störten, gehörte beispielsweise, dass die Zombieitis, wie sie aktuell genannt wurde, als unheilbar galt. Die ›Betreuungseinrichtungen‹ wurden von den Infizierten förmlich überschwemmt. Hätte man sie getötet, so traurig das auch klang, wäre es eine Gnade gewesen. Und wenn schon eine Ausgangssperre verhängt wurde, dann sollte man diese auch durchsetzen. Aber in New York lief es eben anders. The city that never sleeps ... Selbst mit den gelegentlichen Stromausfällen, der Nahrungsmittelknappheit und den Zombies blieb sie wohl so lange ›die Stadt, die niemals schläft‹, bis die Sache endgültig ausgestanden war oder sich alles in einen Haufen Scheiße verwandelt hatte.
»Vielleicht sind alle Zombies auf dem Konzert.« Private Patricia Astroga klang hoffnungsvoll. »Ich nehme nicht an, dass wir mal dort vorbeischauen könnten, um ... ein wenig für Sicherheit zu sorgen?«
»Ich wüsste auch keine Alternative ...«, sagte Sergeant Copley. »Außerdem ...« Er unterbrach sich, als er aus Richtung Bühne das unverwechselbare Dröhnen einer Schrotflinte hörte, gefolgt von einer Reihe von Büchsen- und Pistolenschüssen. Ihn erstaunte die Tatsache, dass der Kerl, der für das Gejohle verantwortlich war, weitersang, während sich die Nebengeräusche zu einem ausgewachsenen Feuergefecht entwickelten.
»Andererseits ...«, meinte Randall.
»Los jetzt«, kam ihm Copley zuvor. »Die M4, keine Taser ...«
Sophia lud nach und verfolgte mit den Augen ein heranrückendes Ziel, als sie jemand von hinten am Arm packte.
»Was machst du da?«, fragte Christine. »Du kannst diese Zombies nicht erschießen!«
»›Kann nicht‹, ›darf nicht‹ und ›sollte nicht‹ sind drei verschiedene Dinge.« Sophia ließ das Magazin einrasten und den Schlitten nach vorn gleiten. »Und was ich hier mache, nennt man beschützen. Warum zum Teufel bist du noch hier?« Sie sah sich um und stellte verwundert fest, dass das Konzert weiterging. Wenn sie so darüber nachdachte, hatte Voltaire keinen einzigen Takt ausgelassen.
»Sie kommen jede Nacht«, sagte Todd. »Es ist ihr Konzert.«
»Was?« Sophias Augen wurden groß. »Aber ... greifen sie euch nicht an?«
»Sie beißen einige Menschen«, erklärte Christine. »Manchmal fressen sie. Ich warte schon lange darauf, gebissen zu werden. Aber sie haben mich noch nicht auserwählt.«
»Was?« Sophia schrie. Die Infizierte hatte sich bis auf 15 Meter genähert. Sie jagte ihr zwei Kugeln in die Brust und drehte sich um, hielt die Waffe zu Boden gerichtet. »WAS? Bist du völlig irre? Du WILLST ein Zombie werden?«
»Wenn man Zombie ist, muss man vor nichts mehr Angst haben.« Christine fing zu weinen an. »Man ist nur noch. Man existiert nur noch. Es ist wie ...«
»Es ist wie Zen, verstehst du?« Todd schwankte vor und zurück. »Man existiert nur im Augenblick, Mann. Es gibt keinen Stress. Keine Schule, keine Arbeit, nur fressen oder gefressen werden. Es ist wie Rousseaus Edler Wilder, die Bestie in jedem Menschen.«
»Ihr seid ja vollkommen durchgeknallt.« Sophia blickte wieder zum Zielgebiet. Da kam noch einer. »Ich werde mich nicht in einen Zombie verwandeln lassen. Meine Schwester hat sich infiziert, aber sie ist durchgekommen, und wir werden keine Zombies. Auf gar keinen Fall.«
»Du raffst es einfach nicht«, sagte Todd. »Arme Sau.«
»Idiot.« Sophia traf den nächsten Infizierten mit zwei Schüssen. Kein neuer Angreifer in Sicht, daher lud sie schnell ihre Magazine nach.
»Und jetzt hast du die verdammten Soldaten angelockt«, spuckte ihr Christine angewidert entgegen. »Sie werden uns alle in die Luft jagen! Babykiller!«
»Du willst ein Zombie werden?«, fragte Sophia. Sie packte Todd am Arm und zog ihn zur nächsten frischen Leiche. Dann zog sie ein Klappmesser. »Schneid dir in den Arm. Wisch ein wenig Blut drauf. Dann verwandelst du dich innerhalb von Minuten in einen.«
»Ich ...«, stammelte Todd. »Lass mich los ...«
»Du tust es nicht, weil du Schiss hast.« Sophia hielt ihm das Messer vor die Augen. »Du hast Angst, weil du nicht bereit bist, zurückzuschlagen. Du bist der Poet. Wie war das mit dem Rasen und der Dunkelheit?«
»Du meinst Dylan Thomas?« Todd klang verächtlich. »›Brenn, Alter, rase, wenn die Dämmerung lauert‹?«
»Geh nicht gelassen in die gute Nacht«, stieß Sophia wütend hervor und breitete ihre Arme in Richtung der Dunkelheit aus.
»Glüh, rase, Alter, weil dein Tag vergeht,
Verfluch den Tod des Lichts mit aller Macht.«
Sie kannte die Worte des walisischen Poeten auswendig.
»Denn weise Männer, wissend, nichts, was sie gedacht
Hat Licht gebracht ins Dunkel, und es ist zu spät,
Geh’n nicht gelassen in die gute Nacht.
Und gute Männer, brüllen, schon der letzten Welle Fracht,
Und denkend ihrer Müh’n, im Meer verweht,
Verfluchen Tod des Lichts mit aller Macht.
Genau das solltest du tun!«, schloss sie. »Den Tod des Lichts verfluchen. Du bist noch nicht mal alt!«
»Du kennst das Gedicht«, staunte Todd.
»Ich hatte die Bestnote in einem wirklich schweren Literatur-Leistungskurs«, klärte Sophia ihn auf. »Und einen Leistungskurs in Physik. Und Integralrechnen. Und ich weiß, wie man Zombies tötet. Was zum Teufel hast du bislang aus deinem Leben gemacht?«
»Klären Sie uns bitte auf, was hier vor sich geht, Miss?«, unterbrach der Sergeant des Dreimannteams das Gespräch. Sie hatten noch nicht auf den Feind angelegt, aber es ließ sich nicht übersehen, dass sie entschlossen waren, ihre Waffen einzusetzen.
»Wir führen eine Diskussion über Poesie und Philosophie.« Sophia steckte ihre Pistole ins Holster. »Schön, dass Sie sich uns anschließen ...«
»Private Sicherheitsleute«, spuckte Copley verächtlich aus. »Hätte nie gedacht, dass ich euch in New York über den Weg laufe. Ihr habt mir in Afghanistan schon gereicht.«
»Hey.« Durante wiegelte ab. »Seien Sie froh, dass wir hier sind. Ansonsten wäre schon die Hälfte des Publikums zu Zombies geworden.«
»Soweit ich das von Sophia erfahren habe, ist das schon mal passiert«, sagte Steve Smith, ›President of Blue Water Security, LLC‹. Dass er ein ›President‹ war, bekam er erst mit, als Tom ihm die entsprechende Bescheinigung in die Hand drückte. »Wann wird das NYPD eintreffen?«
»Überhaupt nicht.« Copley schüttelte den Kopf. »Wir erreichen nicht einmal das Büro des Gerichtsmediziners. Man hat mir befohlen, die Informationen zur Kenntnis zu nehmen und dann die Registrierung der Gräber abzuwarten.«
»So schlimm steht es also schon?« Tom schnaufte verächtlich. »Und Ihre Einsatzregeln besagen wahrscheinlich ›Schießen Sie erst, wenn Sie beschossen werden‹.«
»Ganz so schlimm ist es nicht«, sagte Copley. »Aber im Prinzip haben Sie recht.«
»Also ... knallt ihr sie einfach ab?«, fragte Randall.
»Normalerweise nicht«, widersprach Faith. »In der Regel müssen wir sie tasern. Diesmal waren es zu viele. Müsst ihr Jungs die Ausrüstung die ganze Zeit über tragen?«
Die Nationalgarde trug Masken, Kapuzen und Regenumhänge.
»Hält das Blut ab«, sagte Randall.
»Macht Sinn.« Faith grinste. »Ich wurde kürzlich in eine Schlägerei mit einer Infizierten verwickelt und sie hat mich komplett vollgeblutet. Ich wäre um ein Haar selbst zum Zombie geworden. Das willst du echt nicht durchmachen, selbst wenn du hinterher nicht zombifizierst. So krank bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht gewesen.«
»Verdammt.« Randall sah sie zweifelnd an. »Also ... Du wirst jetzt nicht zum Zombie, oder?«
»Amtlich beglaubigte Immunität«, verriet Faith stolz. »Mein Immunsystem hat es bezwungen. Geringe Virusdosis, schätz ich. Ich hab nicht mal mehr irgendwelche Antikörper, das ist medizinerisch für ›Man wird kein Zombie mehr‹. Ich hab’s komplett abgeschüttelt. Nicht dass es Spaß gemacht hat. Unglaublich krass.«
»Dann werd ich meinen Regenmantel lieber anbehalten«, beschloss Randall. »Lass dir eins gesagt sein: Darunter ist es verdammt heiß, das kannst du mir glauben.«
»Besser oder schlechter als im Nahen Osten?«, hakte Faith nach.
»Oh, besser. Aber nicht wesentlich.«
»Hübsche Ausrüstung.« Astroga trat zu ihnen. »Was ist das für ein Gewehr?«
»Schrotflinte«, klärte Faith auf. »Saiga. Das ist eine AK-Version, die Kaliber-12-Munition abfeuert.« Sie nahm das Magazin aus der Waffe, sicherte sie und reichte sie dem Private. »Magazin mit zehn Kugeln. Die hat einen Rhythmus direkt bis in die Hölle.«
»Zuverlässig?«, wollte Randall wissen. »Darf ich mal?«
»Klar«, erwiderte Faith. »Solange ich sie wiederbekomme. Vor allem, wenn noch mehr Besucher auftauchen.«
»Nett.« Randall amüsierte sich großartig.
»Mir gefällt das Kukri.« Faith zeigte auf das Kampfmesser an seinem Gürtel.
»Hab’s im Irak und in Afghanistan getragen.« Randall zögerte einen Moment, dann gab er es ihr. »Dachte, es könnte vielleicht nützlich sein.«
»Süß.« Faith betrachtete es eingehend. Auf dem Griff war das Wort ›Boosh‹ eingraviert. »Ich hab eins auf dem Boot. Sie meinten, das wäre ›too much‹ für heute Abend. So kann man sich irren.«
»Man kann nie genug Waffen dabeihaben«, sagte Randall. »Man muss ständig drauf gefasst sein, loszuballern und nachzuladen.«
»Schlock-Fan, was?« Faith seufzte. »Ich wusste, dass die Welt den Bach runtergeht, als Schlock keine neuen Updates mehr ins Web gestellt hat.«
»Sie ist schwer«, sagte Astroga. »Die Saiga.«
»Ja, aber nicht so viel Wucht dahinter wie bei der da.« Faith nickte mit dem Kinn Richtung M4. »Mit den USA ging es abwärts, als sie von einer Patrone, die zum Töten von Gegnern entwickelt wurde, zu einer wechselten, die sie nur anpisst.«
»Schönes Zitat«, lobte Randall. »Das kannte ich noch nicht.«
»Hab ich auf irgendeinem Blog gelesen.« Der Horizont war dunkel geworden, genau wie alle Lichter im Park. »Oh, das ist nicht gut. Der Nachhauseweg stinkt jetzt schon.«
»Ich frage mich, ob die U-Bahnen ebenfalls ausgefallen sind.« Astroga klang nervös. »Ich stell mir das nicht schön vor, bei so einer Dunkelheit in der U-Bahn festzustecken.«
»Wir müssen ...« Faith verharrte mitten im Satz. Sie griff nach ihrer Saiga. »Ich wollte zwar was anderes sagen, aber: Da bewegt sich was.«
Eine Frau rannte durch den Park, verfolgt von einem Zombie. Ehe sie in der vermeintlichen Sicherheit der Konzertbesucher abtauchen konnte, sprang sie ein weiterer von der Seite an und riss sie zu Boden. Sie fing an zu schreien.
»Bewegung!« Copley winkte seinen Leuten.
Die drei rannten zu der Frau und blieben kurz vor ihr stehen, um die Zombies, die sie angriffen, mit Tasern zu beackern. Einer davon schien sie sexuell belästigen zu wollen.
»Okay«, sagte Faith. »Das ist einfach nur ekelhaft.«
Sie wandte sich ab und drehte sich erst um, als ein weiterer Schrei erklang. Noch ein Infizierter griff Astroga von hinten an. Sie mühte sich ab, ihn wegzuschleudern. Randall taserte ihn, aber da kamen noch mehr. Plötzlich wurden sie von Zombies umzingelt und dann erklangen die Schreie der Konzertbesucher.
Als Faith sich umsah, erkannte sie, dass sich zunehmend mehr Zombies dem Konzertpublikum näherten.
»Die Lichter!«, schrie Tom. »Sie werden von den Scheinwerfern angelockt!«
Unvermittelt ging ein M4 mit vollautomatischem Feuer los und Faith hörte die Kugeln an ihrem Kopf vorbeischwirren. Copley bahnte sich einen Weg durch die Zombies und zog Astroga am Gurt hinter sich her. Randall schien die Munition ausgegangen zu sein und ihm fehlte die Zeit zum Nachladen. Er schwang sein Kukri und hackte links und rechts auf die Zombies ein.
»Rock ’n’ Roll!«, schrie Copley. »Schießt einfach! Wir sind gepanzert!«
»Genehmigt.« Tom nahm eine beidhändige Haltung ein. »Versucht, nicht die guten Jungs zu treffen.«
»Onkel Tom!« Faith ging rückwärts zu ihrer Gruppe und feuerte zur Seite. »Da kommen noch mehr!«
»Auf dieser Seite ebenfalls«, schrie Stacey. »Sie sind mitten unter den Leuten.«
Faith schielte über ihre Schulter und wurde von einem Anblick begrüßt, mit dem sie nie im Leben gerechnet hätte. Niemals. Da um die eigentliche Bühne, auf der sich die Scheinwerfer befanden, ein Zaun errichtet worden war, konnten die Zombies nicht hochklettern. Jene Meute, die sich von der Fifth Avenue näherte, umrundete die Bühne im Halbkreis, bis sie auf die Tänzer im Moshpit stieß. Ein nackter, sich sträubender Zombie wurde von der Menge als Crowdsurfer auf Händen getragen. Die Mosher betrachteten die Zombies offenbar als Bonus, nicht als Störfaktor. Einfach noch ein paar zusätzliche Leute, die man anrempeln konnte.
Sobald der Infizierte bei den normalen Konzertbesuchern abgeladen wurde, setzten die Schreie ein. Dann wurden weitere Zombies als Crowdsurfer nach hinten getragen.
»Erinner mich daran, dass ich beim nächsten Mal das passende Outfit einpacke«, schrie Faith.
»Geht klar«, brüllte Sophia zurück.
»Gib mir Deckung, während ich nachlade«, sagte Faith. Eine Flutwelle von Zombies kam auf sie zu und wenn es schon nicht das schnellste Nachladen ihres Lebens war, so kam es dem doch sehr nahe. Sie musste aufpassen, das Magazin nicht zu verlieren, denn sie ahnte, dass ihr in nicht allzu ferner Zukunft massive Nachschubprobleme drohten.
»Und da sind wir wieder.« Faith feuerte drei schnelle Schüsse ab, um auf ihrer Seite aufzuräumen. »Woher zum Teufel kommen die alle?«
»Danke«, keuchte Copley, als die drei Soldaten zu ihnen stießen. »Danke, danke ...«
»Nachladen und dann geht’s rund«, sagte Tom. »Wir haben das noch nicht ausgestanden. Und fordert Verstärkung an.«
»Roger, Sir«, bestätigte Copley.
»Sie, Specialist«, Tom deutete auf Randall, »zielen nach Osten. Durante, Süden. Faith, Westen. Sie, Private«, er zeigte auf Astroga, »nach Norden in Richtung Bühne. Wir ziehen uns nach Süden zurück. Steve und ich unterstützen Durante.«
»Da laufen wir geradewegs auf den Pulk der Zombies zu, Boss«, betonte Durante. Er gab kontrollierte Schüsse mit der Saiga ab. »Nachladen.«
»Deckung«, bestätigte Steve.
»Fragt später.« Tom fällte zwei Zombies mit gezielten Schüssen. »Sergeant, bleiben Sie am Funkgerät.«
»Roger, Sir«, bestätigte Copley. »NYPD-Kontaktnetz ist ausgefallen. Genau wie die Handys. Mir bleibt nur noch der Militärfunk.«
»Bleiben Sie am Ball«, ordnete Tom an. »Durante, wir bewegen uns vorwärts, sobald wir nachgeladen haben.«
Die Konzertbesucher hatten sich zerstreut, nachdem die Infizierten um das einzige Licht in einer Meile Umkreis wimmelten. Faith vernahm Schreie, die die Musik übertönten, während in der Finsternis einer nach dem anderen geschnappt wurde. Sie schaltete ihre Einsatztaschenlampe ein, während sie sich die Straße entlang in Richtung Wald bewegten.
»Keine Lampen«, mahnte Tom.
»Boss?« Durante feuerte.
»Das Licht zieht sie an«, schnauzte Tom. »Deswegen gehen wir nach Süden. Keine Lampen.«
»Laser?«, fragte Faith.
»Genehmigt.« Tom zielte sorgfältig.
»Oh mein Gott«, stammelte Astroga.
Faith blickte zur Seite und erbleichte. Man konnte gerade noch auseinanderhalten, wer ein Zombie und wer ein Mosher war, aber es machte nicht den Eindruck, als seien noch allzu viele Mosher übrig. Die Zombies kämpften sich derweil über die Zäune und den Natodraht, um zur Band zu gelangen. Ein Großteil von Voltaires Musikern hatte bereits die Flucht angetreten. Einer drosch mit seiner E-Gitarre auf einen Zombie ein und Voltaire selbst sang ungerührt weiter: »Jasper glittered all over the wall, so they hung him from the ceiling for a Disco Ball. There was so much angst after the fight, Edward and Bella broke up that night. While some wolves chowed down on a puddle of food that used to be some rasta vampire dude.«
Funken stoben durch die Luft, als sich ein Zombie in den Stromkabeln verhedderte und die Scheinwerfer mit einer abrupten Endgültigkeit ausgingen. Faith konnte nicht erkennen, was in der Schwärze vor sich ging. Aber sie hörte die Schreie.
»Du willst, du weißt schon, hier Zombies bekämpfen?«, fragte Sophia. »Ich leih dir eine Pistole.«
»Los.« Faith kämpfte sich durch und versuchte dabei, die Schreie aus der Menge zu ignorieren.
»Nicht schießen!«, schrie eine Frau, die auf die Gruppe zustürmte. »Bitte! Hilfe!« Ein Infizierter hing ihr dicht an den Fersen.
»Runter!«, schrie Astroga. »Legen Sie sich hin!« Die Frau befand sich direkt in ihrer Schusslinie. Und sie ignorierte die Aufforderung.
»Deckung!«, brüllte Faith. Sie konnte kaum etwas erkennen, weil ihre Augen sich noch an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnten, aber sie zog ihre Seitenwaffe und verfolgte den Zombie mit einer Hand. Es gab einen Knall.
»Hab ihn!«
»Guter Schuss«, lobte Copley.
»Danke.« Faith feuerte in die Dunkelheit. Ein Schrei ertönte und etwas prügelte wild um sich.
»Vielen Dank, vielen Dank«, schluchzte die Frau.
»Hey, Christine«, spottete Sophia. »Ich dachte, du wolltest ein Zombie werden.«
»Hab meine Meinung geändert, okay?«
»Leise«, befahl Tom. Christine wollte etwas sagen, doch er schlug ihr gegen den Hinterkopf. »Ich sagte: Leise. Hört mal!«
»Es gefällt mir nicht unter diesen Bäumen«, flüsterte Faith. Es war sogar noch dunkler als auf der großen Freifläche und man konnte die Zombies kaum ausmachen. Sie fuchtelte mit dem Laser hin und her und wurde durch ein weiteres klatschendes Geräusch belohnt. Sie bewegte ihn noch einmal. Wieder ertönte ein Klatschen.
»Spielst du mit dem Zombie und dem Laser fangen?«, wollte Sophia wissen.
»Ich glaube, er jagt ihn«, flüsterte Faith. Die Geräusche der Stadt waren beinahe verstummt. Man hörte nur noch ihr Atmen, das Krachen, wenn Zombies gegen die Bäume liefen, und einen gelegentlichen, weit entfernten Schrei. Eine Hupe ertönte und aus der Distanz hörte man jemanden rufen.
»Bewegt euch einfach weiter«, gab Tom Anweisungen. »Feuert nur, wenn es nötig ist.«
Ein Zombie stolperte auf die Gruppe zu und Durante setzte zu einem Schuss an.
»Ich hab da eine Idee«, hielt ihn Randall davon ab und trat vor. Er ließ seine Waffe am Tragriemen baumeln und streckte dem Infizierten die linke Hand hin. »Komm schon, Zombie, eine frische Hand zum Reinbeißen ...« Behutsam zog er sein Kukri.
Der Zombie packte den Arm und schlug die Zähne in die angebotene Hand. Dabei zog Randall sein Kukri nach unten und zur Seite und schnitt in den Nacken des Zombies. Der fiel zuckend zu Boden.
»Haltet euch von den Blutspritzern fern!«, befahl Tom.
»Oh, ja«, sagte Durante. »Diese Masken und Regenmäntel machen jetzt deutlich mehr Sinn. Gebissen worden?«
»Zwei Paar Handschuhe.« Randall hielt die Hand hoch. »Gummi-MOPP-Handschuhe und Einsatzhandschuhe. Das Viech ist nicht mal durch den Gummi gekommen.«
»Du hast das geplant, nicht wahr?«, fragte Copley.
»Seit Einsatzbeginn.«
»Sergeant«, flüsterte Tom ruhig. »Unterstützung?«
»Mehrere Teams in Kontakt«, antwortete Copley. »Ich stehe mit dem Soforteinsatzteam in Verbindung. Die Basen, die sich nicht tief in die Gebäude zurückgezogen haben, werden allesamt angegriffen.«
»Wenn möglich, geben Sie weiter, dass sich die Zombies von Licht und Geräuschen angezogen fühlen«, sagte Tom. »Wechselt zu den Nachtsichtgeräten.«
»Ich wünschte, wir hätten welche«, meinte Randall.
Schließlich verließen sie den Park. Im Süden des Washington Square gab es etwas mehr Licht, wenn auch nicht viel.
»Wir brauchen einen fahrbaren Untersatz.« Tom sah sich um. »Wo ist das nächste Hauptquartier, das nicht angegriffen wird?«
»Aus der 14th Street wird keine Bewegung berichtet«, sagte Copley.
»Die Bank ist näher.« Tom fuchtelte mit der Pistole nach Westen. »Wir ziehen uns dorthin zurück. Wir haben ein schweres Rettungsfahrzeug. Wenn ihr wollt, bringen wir euch zu euren Leuten.«
»Das Angebot lehnen wir bestimmt nicht ab. Wartet mal kurz ...« Er hielt sich das Sprechfunkgerät ans Ohr. »Roger ... Ist das bestätigt? Roger ... Wir haben zehn Personen, ich wiederhole, zehn. Team 83, ein Zivilist, sechs private Sicherheitsleute ... okay ... Roger ... Schaltet kein, ich wiederhole, schaltet kein Licht ein ... Roger ...«
»Was?«, erkundigte sich Tom.
»Ein MRAP fährt vom Universitätscampus zur NYU, um ein weiteres Team aufzunehmen, das angegriffen wird. Sie können uns auch mitnehmen.«
»Uns alle?«, wunderte sich Tom. »Oder nur euer Team?«
»Uns alle«, versicherte Copley. »Es wird eng, aber wir kriegen alle unter.«
»Dann nach Osten«, beschloss Tom. »Löst euch mit Durante auf der Parkseite ab. Faith, du behältst die Straße im Auge.«
»Oh, prima«, freute sich Faith. »Welche Richtung?«
»Dort.« Tom packte sie an der Schulter und drehte sie. »Specialist, halten Sie uns den Rücken frei. Private, Sie decken die Straßenseite. Sergeant, unterstützen Sie Faith beim Räumen der Straße.«
»Roger, Sir«, quittierte Randall.
»Geht klar«, bestätigte auch Copley. »Aber wir sollten uns besser beeilen. Ich weiß nicht, wie lange sie auf uns warten. Oder ob sie uns später aufsammeln, wenn wir die Ankunftszeit nicht einhalten.«
Plötzlich gab es einen grellen Blitz und ein Taxi bog von der Universität kommend auf die Straße ein. Es fuhr auf der falschen Spur, aber es gab keinen Gegenverkehr. Das Fahrzeug schlingerte nach links und rechts und wich den meisten Zombies aus. Als Faith darauf aufmerksam wurde, traf es einen, wobei er über die halbe Fahrbahn geschleudert wurde. Als sich das Taxi der Gruppe näherte, ertönte die Hupe. Ein leises Big-Band-Swing-Medley verhallte in der Ferne.
Bedauerlicherweise hatte das wilde Manöver die Zombies aus dem Park angelockt. Rasch näherten sie sich der Gruppe. Einige wurden von dem niedrigen Metallzaun um den Park aufgehalten, aber die meisten kletterten einfach darüber.
»Kontakt.« Durante drückte den Abzug. »Tango down. Mehrere Kontakte auf meiner Seite.« Er feuerte erneut. »Tango down. Nicht geräumt ...«
»Neuer Plan.« Tom disponierte um. »Mitten auf die Straße. Die Straße runter – und reißt ihnen den Arsch auf.«
»Wir haben schweren Kontakt und bewegen uns zu eurer Position«, schrie Copley in das Funkgerät. »Fordere baldmöglichst Unterstützung an.« Er schoss die M4 beim Laufen mit einer Hand ab.
»Hier, Zombies, Zombies, Zombies«, lockte Faith die Infizierten. Sie schwenkte die Saiga in Schulterhöhe hin und her. Sobald der rote Laserpunkt auftauchte, was ein Hindernis signalisierte, betätigte sie den Abzug.
»Oh, da ist eine ganze Horde hinter uns!«, brüllte Randall. »Gebt mir Deckung, während ich nachlade!«
»Ich wünsche mir wirklich, ich hätte mehr Saigas eingepackt.« Steve atmete hörbar ein. »Aber was kann bei einem Konzert mitten in der Nacht während einer Zombieapokalypse schon schiefgehen?«
»Du hörst wohl nie damit auf, was?« Faith ging das Gerede auf die Nerven. »Keine Munition mehr!«, schrie sie. Die Zombies waren zu dicht herangekommen, um das Einschieben eines frischen Magazins zu erlauben, also zog sie eine Pistole und eröffnete das Feuer.
»Wir sind umzingelt.« Tom wurde nervös. »Wir müssen in Bewegung bleiben!«
»Geht in Deckung!«, schrie Copley. Plötzlich wurde eine Gruppe von Zombies in der Nähe des Parks von einer Salve Maschinengewehrfeuer umgemäht.
»Nach Süden!«, schrie Tom. »Zu den Gebäuden!«
»Scheiße!«, knurrte Faith. Sie hatte sich hinter einen Übertopf aus Beton fallen lassen, als ein Feuerstoß über ihrem Kopf vorbeizischte.
»Befreundete Einheiten!«, brüllte Copley. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Er knickte einen Leuchtstab und warf ihn in hohem Bogen dem MRAP entgegen.
Aus dem unbeleuchteten Anti-Minenfahrzeug wurden weiterhin Schüsse abgegeben, während es langsam auf sie zurollte. Sobald es neben der Gruppe angekommen war, stoppte es und die hinteren Türen öffneten sich.
»Wartet ihr auf eine in Stein gemeißelte Einladung?«, schrie jemand und feuerte dann nach hinten.
»Wir haben gewartet, weil wir auf Nummer sicher gehen wollten, dass ihr uns nicht abknallt«, rief Astroga. Schnell wie der Blitz erreichte sie das schwere Fahrzeug.
»Danke«, sagte Faith. »Denke ich. Ihr habt mich da hinten fast erwischt.«
»Ein knapper Fehlschuss ist genauso gut wie eine Meile daneben«, erwiderte das Mannschaftsmitglied. »Wer hat mitgezählt?«
»Ich«, meldete sich Tom. »Und wir sind vollzählig«, fügte er hinzu, als Durante einstieg.
»Aua!«, wimmerte Sophia, als sie sich den Kopf anstieß. »Wir hätten Helme tragen sollen.«
»Militärfahrzeuge sind dafür ausgelegt.« Steve beugte sich vor. »Krümm dich zusammen, dann schlägst du dir den Kopf weniger oft an.«
»Wann ist die Lage eskaliert?«, brüllte Copley. Das Innere des MRAP glich einem Steinbrecher. Gelegentlich schleuderte er auch herum, als ob er durch Schlaglöcher fuhr.
»Als die Lichter ausgingen und jeder Zombie in New York auf alles losging, was noch leuchtete«, schrie das Mannschaftsmitglied. »Jedes Team und fast jede Zentrale hatten Feindkontakt. Wir verlegen unsere Leute für eine aktive Räumung.«
»Wird auch Zeit, verdammt noch mal«, knurrte Randall.
»Es wird hier drin wirklich eng. Wir müssen noch zwei Teams abholen und sie haben ebenfalls einige Zivilisten im Schlepptau. Ich schätze, die Zombies setzen für uns die Ausgangssperre durch!«
Als Tom endlich ihre Abholung organisiert hatte und sie wieder bei der Bank ankamen, dämmerte bereits ein neuer Tag heran.
»Aktivierst du jetzt den Schleudersitz?«, wollte Steve wissen.
»Ich warte erst ab, was Vorstand und Aufsichtsrat sagen, wenn sie sich das nächste Mal treffen«, antwortete Tom. Er blickte vom Fenster seines Büros auf die verdunkelte Skyline von New Jersey. Es gab ein paar Lichter. Und auch wenn er es nicht sehen konnte, war er davon überzeugt, dass jedes davon von einer Horde Infizierter belagert wurde.
»Ich kann den roten Knopf nicht betätigen, bevor es wirklich kein Zurück mehr gibt, die US-Notenbank den Handel vorübergehend aussetzt oder unser Aufsichtsrat den Stecker zieht.«
»Ich würde sagen, vergangene Nacht war ein Wendepunkt«, sagte Steve.
»Für uns vielleicht«, gab Tom zurück. »Aber ich muss bleiben, bis eine offizielle Entscheidung getroffen wurde. Ihr könnt jederzeit gehen. Es gibt einen konkreten Evakuierungsplan. Jeder Entscheidungsträger und sämtliche Angehörige, die auf der Liste stehen, wurden geimpft und geboostet.« Sein Telefon klingelte und er ging ran.
»Smith ... Roger, Sir ... verstanden ... Ich schicke ein Team, um Sie abholen zu lassen ... Roger, das haben wir unter Kontrolle ...«
»Der rote Knopf?«
»Hört sich danach an. Der Vorstandsvorsitzende und seine Familie haben sich in ihrem Apartment in der Park Avenue verschanzt und können es offenbar nicht verlassen. Zombies, das hättest du nicht gedacht, was? Tut ihr mir einen letzten Gefallen?«
»Zu wenig Teams?« Steve sah ihn an.
»Zu wenig«, sagte Tom. »Nehmt den BERT-Truck und holt sie ab. Es sind noch ein paar engste Angehörige bei ihnen. Fahrt sie rüber zum Dock und tauscht die Plätze mit Kaplan. Ich schicke Durante mit, aber er braucht sicher ein wenig Schützenhilfe.«
»Ich melde mich auf Kanal 47.« Steve stand lustlos auf. »Ich werde zu alt für diesen Mist.«
»Das geht uns beiden so«, versicherte Tom. »Bruder ...«
»Wir sehen uns, wenn wir uns sehen, Tom«, zitierte Steve einen ihrer Standardsprüche. »Verabschiedest du dich von den Mädels?«
»Klar, Faith pustet mich sonst wie einen Zombie weg.«
»Als letzter Job für Onkel Tom war das echt beschissen.« Faith ließ sich im Salon auf eine Couch plumpsen. »Ich bin fertig. Ich bin so was von fertig.«
Die Sonne ging schon fast unter. Sie waren die ganze Zeit wach gewesen und so wie sich alles entwickelte, bekamen sie wohl auch in der nächsten Nacht keinen Schlaf.
Die 13-Jährige war gerade aus dem Krankenhaus entlassen worden. Sie fühlte sich wie gerädert.
Die einfache Aufgabe, den Vorstandsvorsitzenden der Bank of the Americas abzuholen, hatte sich als Albtraum entpuppt – seine ›engsten Angehörigen‹ hatten nicht nur Kinder und Enkelkinder umfasst, sondern auch einige Cousinen, andere Vorstandsmitglieder, deren ›engste Angehörige‹ und einige Trittbrettfahrer, von denen Steve der Meinung war, dass sie wahrscheinlich in die Kategorie Mätressen oder Liebhaber einzustufen waren.
Die einzigen Personen, die Worte und Aufforderungen wie ›Eile‹, ›Notfallevakuierung‹ oder ›Bewegen Sie sich in den verdammten Truck, Lady!‹ zu begreifen schienen, waren offensichtlich der Vorstandsvorsitzende und seine Frau Nancy. Der Vorstandsvorsitzende hatte bei der ersten Fuhre mitfahren müssen, damit er an einer anberaumten Besprechung in der Bank teilnehmen konnte. Es gab praktisch keine funktionierenden Kommunikationsverbindungen mehr. Seine Gattin bemühte sich unterdessen, einem Pulk wohlhabender, leistungsberechtigter Giftspritzen beizubringen, dass sie gefälligst die fetten Hintern bewegen sollten. Das geschah ohnehin nicht besonders zügig und wurde zusätzlich durch den Umstand ausgebremst, dass sie mit einem BERT-Lieferwagen fahren mussten.
Bei einer der letzten Fahrten tickte Faith aus, als sie folgende Worte hörte: »Ich setze mich doch nicht auf den Rücksitz eines schäbigen Fahrzeugs wie diesem hier!«
Bei der Frau handelte es sich um die Gattin irgendeines Abteilungsleiters der Bank. Ein Mitglied des Vorstands, wie sie wiederholt betonte. Ihr werter Herr Gatte hatte sich schon längst verkrümelt, um Besprechungen beizuwohnen.
Faith, die am Ladepunkt arbeitete, zog ihre 45er und hielt sie der Frau an den Kopf.
»Sie können in den Van steigen oder ich kann Sie in Impfstoff verwandeln.« Ihre Stimme war kalt. »Ihre Entscheidung.«
»Das wagst du nicht!«, kreischte die Frau empört.
»Sehen Sie mir in die Augen, Lady«, drohte Faith. »Und jetzt steigen Sie in den verschissenen Van. Zack, zack!«
Die Lady stieg in den Van.
»Nun, ich glaube nicht, dass man uns nach der abschließenden Kundenumfrage noch mal um unsere Dienstleistungen bittet«, sagte Steve gerade. »Ich hab gehört, es gab Beschwerden.«
»Das hoffe ich doch. Ich wollte ...« Faith fielen die Augen zu und sie schnarchte.
»Das erinnert mich an die Zeit, als sie vier gewesen und auf ihrem Teller eingeschlafen ist«, flüsterte Stacey.
»Der Unterschied ist, sie ist nicht länger vier, sie ist kein kleines Kind mehr und trägt immer noch ihre komplette Ausrüstung am Körper«, entgegnete Sophia müde. »Faith!« Sie schrie und trat ihrer Schwester gegen die Stiefel.
»Wasistdennlos?« Faith setzte sich auf und griff nach ihrer Pistole.
»Hoppla.« Steve packte ihre Hand. »Du sollst dich nur ausziehen und ins Bett legen.«
»Ogazada«, murmelte Faith und erneut schlossen sich ihre Augen.
»Mile Seven, hier spricht Thunderblast«, plärrte es aus dem Sprechfunkgerät.
»Das ist Tom.« Steve ging in die Plicht und schaltete das Funkgerät ein. »Thunder, hier Mile Seven.«
»Der Code lautet ›Goose‹. Ich wiederhole: Goose.«
»Bestätige, Goose.« Bei Steves Antwort ertönte hinter ihm das entfernte Geräusch einer Explosion. Als er nach Norden blickte, konnte er sehen, wie der Mittelteil der George Washington Bridge in den Hudson River stürzte. »Verdammte Scheiße ... Roger, Goose. Viel Glück.«
»Ebenfalls, ebenfalls«, funkte Tom. »Ich bin weg.«
»Und wir sind auf dem Weg in ein angenehmeres Klima«, rief Tom. Er betätigte den Schalter der Ankerwinde und ließ den Blick über die finstere Silhouette der Stadt schweifen. In Harlem wüteten außer Kontrolle geratene Feuer und in Richtung Brooklyn schienen die Brände noch schlimmer zu sein. In New Jersey war es offensichtlich nicht besser. Wohin er auch schaute, breiteten sich großflächige Flammenwände aus.
Er setzte das Großsegel und die Fock, nutzte den starken Nordostwind und segelte direkt nach Süden.
Unterwegs holte er den iPod aus der Tasche und klickte sich durch die Menüs zu der selbst erstellten Playlist. Auf der Konsole befand sich eine Dockingstation für das Gerät. Er ließ es einrasten und startete die Wiedergabe.
»Speed bonnie boat like a bird on the wind ...«, summte er. »Onward the sailors cry. Carry the lad that’s born to be king, over the sea to Skye ...«