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Once upon a night we’ll wake to the carnival of life
The beauty of this ride ahead such an incredible high
It’s hard to light a candle, easy to curse the dark instead
This moment the dawn of humanity
The last ride of the day
Last Ride of the Day, Nightwish
»Tja, ich kann mir schon denken, wie die Leute diese Division nennen werden.« Lillie Rainey von der Negocio Arriesgado nahm sich eine Sushi-Rolle vom Tablett. Die Skipperin war überdurchschnittlich groß für eine Frau, jedoch trotzdem kleiner als Sophias riesenhafte Schwester. Sie hatte anständig Holz vor der Hütte und feuerrotes Haar, das unmöglich gefärbt sein konnte. Eine auffällige Tätowierung verlief quer über ihr Dekolleté. Allerdings verschwand ein Großteil davon unter der Kleidung. Es blitzten eigentlich nur zwei Flügel hervor. Sophia war neugierig, wie das gesamte Tattoo aussah, aber nicht so sehr, dass sie die andere darum gebeten hätte, ihre Brüste, ähm, zu entblößen.
LeEllen McCartney von der Finally Friday war etwas kleiner als Rainey, trotzdem größer als ihr ›Boss‹, hatte pechschwarzes Haar und mandelbraun-graue Augen sowie eine Figur, die andeutete, dass sie vor dem Zusammenbruch zumindest athletisch gebaut und womöglich sogar Gewichtheberin gewesen war.
Beide trugen ein Kind im Leib.
»Die Pussy-Patrouille?«, schlug Olga vor. »Die Schwangerschaftsschwadron? Die Busen-Brigade?«
»Locker bleiben, SA«, lachte Sophia. »Olga ist meine Räumungsexpertin. Und absolut unverbesserlich.«
»Dann kommen wir bestimmt prima miteinander klar.« Rainey zwinkerte ihr zu. »Darf ich sie haben?«
»Im Leben nicht«, begehrte Sophia auf. »Sie ist einer der wenigen Menschen, denen ich erlaube, in meiner Anwesenheit Waffen zu tragen.«
»Ich meine es ernst, darf ich sie haben? Ich habe einen Sicherheitswachmann, aber ich habe keine Ahnung, ob er sich den Weg aus einer Papiertüte freikämpfen könnte. Selbst dieser Spaßvogel Don Knotts hätte als Soldat mehr drauf.«
»Das bringt mich zu dem Punkt, weshalb ich alle hier zusammengerufen habe. Genau genommen sind es mehrere Punkte. Der erste betrifft die Sicherheit auf den Booten. Das Sicherheitspersonal ist, technisch gesehen, für leichte Räumungen vorgesehen. ›Leicht‹ bezieht sich dabei auf Jachten bis zu einer Länge von 30 Metern. Bei einem Schiff oder einer Megajacht handelt es sich um eine schwere Räumung. Dafür sind die Marines zuständig.
Sie begleiten uns außerdem, um die Sicherheit auf unseren eigenen Booten zu garantieren. Die meisten Geretteten sind zutiefst dankbar, wenn sie von was auch immer heruntergeholt werden, und möchten einfach nur wieder festen Boden unter den Füßen haben oder auf ein größeres Schiff wechseln. Ein wenig Nahrung, eine Koje, Schutz vor den Elementen, dann sind sie zumindest für einige Tage zufrieden. Das haben Sie beide selbst erlebt, nicht wahr?«
»Ich war auf der Voyage.« Rainey tätschelte ihren Bauch. »Was in der Kajüte geschieht, bleibt in der Kajüte. Außer mein kleiner Untermieter. Sagen wir einfach mal, ich war froh, als Ihr Vater vorbeispaziert kam.«
»Ging mir genauso«, stimmte LeEllen zu. »Ich nehme an, das ist nicht immer der Fall.«
»Neben gewissen Oligarchen, die mir das Boot abnehmen wollten, hatte ich, nun ja, mit einer Menge Leute zu tun. Die meisten sind tolle Menschen. Manche nicht. Was in der Kajüte geschieht, bleibt in der Kajüte. Sollte es zumindest. Manche sind der Meinung, sie könnten sich weiterhin so benehmen wie auf dem Rettungsboot. Gelegentlich waren Sie vor der Seuche ›jemand‹ und wollen andere herumkommandieren. Manchmal kommen Sie nicht damit klar, dass Frauen Autoritätspersonen sind. Das gilt vor allem für Männer, die nicht aus dem westlichen Kulturkreis stammen, aber eigentlich gibt es in allen Gesellschaften solche Vollidioten.«
»Amen«, pflichtete ihr Rainey bei.
»Erstickt es im Keim. Mit aller Kraft. Ihr seid die Skipper. Lasst euch kein dummes Verhalten bieten. Von niemandem. Nicht mal im Ansatz. Falls ihr auch nur die vage Vermutung habt, dass es eine ernsthafte Bedrohung geben könnte, greift zur Waffe. Zum Teufel, lauft die meiste Zeit mit Waffen herum, wenn ihr Passagiere an Bord habt. Haltet die Waffen unter Verschluss oder tragt sie am Körper, an einem Umhängeband oder einem Kampfgurt. Glaubt bloß nicht, dass die Unterwürfigen kein Problem darstellen. Ich hatte es mit Charakteren zu tun, die auf dem Rettungsboot zu den ›Ruhigen‹ gehörten, dann aber plötzlich durchdrehten. Wenn jemand nicht begreift, dass er wieder in der Zivilisation angekommen ist, selbst wenn sich diese ›Zivilisation‹ auf ein Boot beschränkt, dann sperrt ihn ein, kettet ihn an, und lasst ihn abholen. Ihr dürft dabei so rücksichtslos vorgehen, wie es euch angemessen erscheint, ihr dürft sie nur nicht erschießen. Es sei denn, der- oder diejenige wird zu einer wirklichen Bedrohung oder will sich eine Waffe aneignen. Lasst jedoch niemals zu, dass jemand eure Autorität untergräbt, unterminiert oder – und das ist besonders wichtig – ablehnt. Habt ihr mich verstanden?«
»Ja, Ma’am.« LeEllen klang ein wenig konsterniert.
»Ist geritzt«, antwortete Lillie. »Das mit dem Bewaffnen gefällt mir hervorragend.«
»Skipper McCartney?«, fragte Sophia. »Noch Fragen?«
»Nein«, schoss es aus McCartney heraus. Dann hob sie die Schultern und seufzte. »Ich wollte nichts fragen; Ich wollte nur ... Sie sind ... Manche Leute sind der Meinung, dass Sie Ensign sind, weil Ihr Vater hier der Chef ist ...«
»Die meisten, schätze ich.«
»Ein paar Menschen, die mit Ihnen zusammengearbeitet haben, haben mir geraten, schon ehe ich in Ihre Division versetzt wurde, Sie nicht als normalen Teenager zu betrachten.« McCartney biss sich auf die Lippe. »Es tut mir leid. Meine Tochter war nicht viel jünger als Sie ...«
»Ich bedaure, dass Ihr Verlust niemals aufgewogen wird.« Sophia verkrampfte. »Wir hatten Glück. Es war ein wenig Planung dabei, aber ein Großteil davon war einfach nur Glück.«
»Ich wollte damit ausdrücken ...« LeEllen sah Sophia durchdringend an. »Ich konnte nicht damit aufhören, ›Ach du meine Güte, ein kleines Mädchen‹ zu denken. Es ... tut mir leid, dass ich auf einen derartigen Gedanken gekommen bin. Das haben Sie nicht verdient.«
»Manchmal schon.« Sophia kämpfte mit den passenden Worten. »Ich mache das jetzt schon eine ganze Weile. Es ist überwiegend Routine. Das Leiten einer Division wird eine neue Erfahrung sein. Damit kommen wir zu ein paar weiteren Aspekten. Sicherheit ...« Sie überflog ihre Notizen. »Wir haben eine einmonatige Überfahrt vor uns und werden am Arsch der Welt sein. Die Satellitenbilder zeigen, dass da draußen einige Boote rumschwimmen, aber wir wissen nie genau, was uns darauf erwartet. Achtet auf eure Verbrauchsgüter. Behaltet vor allem den Treibstoff im Auge. Die Pit Stop wird für den Notfall als hochseetüchtiger Boxenstopp fungieren. Es wird äußerst peinlich, wenn der Notfall ›Ähm, ich hab kein Benzin mehr!‹ lautet. Ich mag Sie beide und Sie scheinen großartige Menschen zu sein. Wenn Ihnen allerdings zweimal ohne triftigen Grund der Treibstoff ausgeht, werde ich Sie mit einem Fingerschnippen ersetzen lassen. Klar?«
»Ja, Ma’am«, antwortete McCartney.
»Ich bin voll und ganz Ihrer Meinung.« Rainey nickte bekräftigend.
»Nahrung, Wasser, Treibstoff und ein funktionierender Motor«, zählte Sophia auf. »Die Heilige Vierfaltigkeit beim Bootfahren. An erster und zweiter Stelle stehen aber Treibstoff und ein funktionierender Motor. Um den Rest kann man sich ganz leicht kümmern, solange man von Punkt A zu Punkt B fahren kann. Mit dem funktionierenden Motor ... müssen wir einfach auf das Beste hoffen. Wir haben hier keine Genies als Techniker und keine richtige Versorgungslinie für Ersatzteile. Wenn Sie auf ein Boot stoßen, auf dem sich funktionierende Maschinenteile befinden, bauen Sie sie aus. Ferner sollten Sie jedes Boot ausräumen, auf dem Sie Vorräte finden. Nahrung, Kleidung, Alkohol, Toilettenpapier ...«
»In dieser Hinsicht bin ich sowieso ein wenig sammelwütig«, gab Rainey zögerlich zu. »Normalerweise schnappe ich mir als Erstes die Laken und Handtücher.«
»Hervorragend«, lobte Sophia. »Behalten Sie das bei. Räumen Sie das Boot leer, selbst wenn wir es weiterverwenden. Wenn wir ein Boot für unsere Zwecke einsetzen, muss es normalerweise neu aufgetankt werden. Das ist eine der Möglichkeiten, wie Ihnen der Kraftstoff ausgehen kann. Wenn das Boot noch funktioniert und der Tank leer ist und Ihrer nicht mal mehr halb voll, setzen Sie einen Funksender drauf und verschwinden. Wenn es ein wenig Sprit hat, Ihr eigener Tank sich aber durch das Befüllen bis zur Betriebsbereitschaft unter die Hälfte leeren würde, gilt das Gleiche. Wir finden hoffentlich einen Frachter mit Diesel oder so.
Wenn, oder falls, wir zurück zu den Unterstützungsschiffen des Hauptflügels wechseln sollten, damit die Crews sich ausruhen können, müssen wir entladen, und ich möchte betonen, dass wir alle unsere Vorräte abgeben müssen. Das hat uns Lieutenant Commander Isham unmissverständlich eingebläut.«
»Alle?« fragte Rainey. »Auch meine Cabernet-Sammlung?«
»Darum geht es. Sie und jedes Crewmitglied dürfen, laut meinen Anordnungen, eine Truhe mit Wertsachen bunkern. Aber das war’s dann auch. Die Schiffe brauchen den Nachschub, daher müssen wir mehr abliefern als vorher. Darum räumen wir jedes Boot leer, jeden Frachter, was immer wir finden. Aus diesem Grund kann es auch passieren, dass wir die Boote überladen. Wenn Sie im Begriff stehen, zu viele Vorräte an Bord zu bunkern, was unwahrscheinlich ist, schicke ich Sie zum Entladen zurück zur Grace oder zur Shivak. Es stimmt tatsächlich, Lillie, Sie müssen sich von Ihren privaten Vorräten verabschieden.«
»Verflucht«, entfuhr es Rainey.
»Betrachten Sie es als Almosen«, riet ihr LeEllen.
»Oder als Ihre Pflicht«, schob Sophia hinterher. »Ein Teil unserer Aufgabe besteht darin, als Kollektensammler für diese kleine Gemeinde tätig zu sein.«
»Wow«, sagte Rainey. »Jetzt gelten wieder die altmodischsten Geschlechterrollen, die man sich nur vorstellen kann.«
»Wie meinen Sie das?«, hakte LeEllen nach.
»Die Jäger-und-Sammler-Gesellschaft?«, erläuterte Rainey mit fragendem Unterton. »Die Männer haben gejagt, die Frauen gesammelt?«
»Die Männer haben getötet, die Frauen gesammelt«, korrigierte Sophia. »In den echten Jäger-und-Sammler-Gesellschaften haben die Männer weniger als zehn Prozent der Güter für den Stamm beschafft. Mit Ausnahme von Extrembedingungen wie in den subarktischen Zonen, in denen groß angelegte Huftierjagden als wichtigste Nahrungsquelle dienten, haben die Männer keine sonderlich großen Beiträge geleistet, was das Jagdwild angeht. Vielmehr haben sie Frauen und Männer anderer Stämme gejagt. Männer, um sie zu töten, und Frauen, um sie zu entführen. Tut mir leid, das war eine Hausarbeit, die ich in der Schule verfasst habe. Mein Lehrer hat sie abgrundtief gehasst, aber ich bekam trotzdem eine Eins, weil ich so gut recherchiert hatte.«
»Aha«, kommentierte Lillie.
»Ja, ich hab nicht nur ein hübsches Gesicht zu bieten. Ich habe mir selbst die Infinitesimalrechnung beigebracht, sobald ich eine freie Minute dafür erübrigen konnte. Mathematik kann ziemlich beruhigend wirken. Egal. Zu den letzten Punkten, quasi den Standards. Feuer in einem Boot: schlecht. Wenn ihr Boote leer räumt, auch wenn ihr sonst nicht viel mitnehmt, krallt euch die Feuerlöscher. Ich werde notfalls rumbrüllen und einen Aufstand veranstalten, nur um möglichst viele davon in die Finger zu bekommen. Die großen industriellen Teile sind der Wahnsinn. An und für sich sollten wir sie echt für die Schiffe abgeben, aber ich will mindestens zwei davon auf jedem Boot haben, wenn wir das irgendwie hinkriegen.
Genauso wichtig: Das Salzwasser muss aus den Booten entfernt werden. Behaltet eure Schiffspumpen im Auge. Wenn die Pumpen viel zu tun haben, habt ihr ein Problem. Es gibt einige Möglichkeiten, wie man sie reparieren kann, aber das erfordert eine gute Seemannschaft. Wenn ihr ein Leck oder ein ähnliches Problem habt, meldet es eurem Division Commander. Gleiches gilt, wenn an Bord ein Feuer ausbricht, selbst wenn ihr es selbst löschen könnt. Wenn irgendein Notfall auftritt, tagsüber oder in der Nacht, funkt mich an. Manchmal weiß ich, was zu tun ist, manchmal nicht. So oder so will ich aber darüber informiert werden. Auch wenn ihr euch deswegen schämt. Verstanden?«
»Verstanden«, sagte LeEllen.
»Roger.« Lillie streckte den Daumen nach oben.
»Morgen Vormittag steht dieses dämliche Gruppenfoto auf der Agenda. Wir haben früher schon mal welche gemacht, aber nicht mehr, seit wir zu einem wirklichen ›Squadron‹ geworden sind. Ich kann jetzt schon versichern, dass es ein Affenzirkus wird. Rammt keine anderen Boote und vermeidet es, von jemand anderem gerammt zu werden. Danach verziehen wir uns. Wenn ihr eure Boote morgen früh nicht starten könnt ... noch mal, ich mag euch und ihr scheint großartige Menschen zu sein, aber ... sorgt bitte dafür, dass eure Boote anspringen.«
»Alles klar.« Lillie blies die Backen auf.
»Weitere Fragen?« Sophia sah die beiden nacheinander an.
»Nö«, verneinte Lillie.
LeEllen schüttelte einfach den Kopf.
»Steigen Sie früh aus den Federn. Wir werden den ganzen Vormittag über auf Achse sein. Machen Sie sich darauf gefasst, dass es manchmal ganz schnell gehen muss und man sich hinterher stundenlang untätig die Beine in den Bauch steht ...«
»Skipper McCartney«, rief Sophia LeEllen hinterher, als sich die Teilnehmer der Besprechung zerstreuten. »Darf ich Sie kurz sprechen?«
»Natürlich, Ensign.«
Sophia wartete, bis sich der Aufenthaltsraum geleert hatte. Dann warf sie Olga einen eindeutigen ›Verzieh dich‹-Blick zu.
»Oder sollte ich Sie mit ›Colonel McCartney‹ ansprechen?«, fragte Sophia.
»Bitte nicht.« LeEllen verzog angewidert das Gesicht.
»Die meisten Menschen werden automatisch reaktiviert.« Sophia setzte sich. »Ich brauche gewissermaßen ... eine Erklärung.«
»Ich gehöre zu Ihren Skippern, Ensign«, erwiderte McCartney. »Nicht mehr, nicht weniger.«
»Aber Sie waren ein Colonel?«
»U. S. Air Force Academy, 24 Jahre als Air Force Officer«, antwortete LeEllen. »Als Colonel in den Ruhestand gegangen. Der gleiche Rang, den Ihr Vater derzeit bekleidet.«
»Alsooo ...«, begann Sophia. »Wir brauchen Skipper, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber meiner Meinung nach braucht mein Vater dringend mehr Staff Officers.«
»Da gibt es ein Problem«, wies McCartney das Argument zurück.
»Wurden Sie vor ein Militärgericht gestellt?«
»Nein.« LeEllen schnaubte. »Ich habe ein paar Leute erfolgreich dagegen verteidigt.« Sie sah Sophia abwartend an, dann setzte sie erneut an. »Ich denke, Sie brauchen wirklich ein paar Hintergrundinformationen. Ich war SJA Colonel. Ich bin als OIC des MDW-SJA-Büros in den Ruhestand getreten. Nicht das nationale SJA, nur das SJA des MDW.«
»Allein die Tatsache, dass Sie die Bedeutung all dieser Akronyme kennen, ist ein Beweis dafür, dass Sie unserer Mission auf andere Weise nützen können, als ein Boot zu lenken. Damit will ich ausdrücken, dass ich keinen blassen Schimmer habe, was Sie da gerade gesagt haben.«
»Ich war Verteidigerin beim Militär«, verdeutlichte LeEllen und lächelte. »Wie ein Pflichtverteidiger, aber für Fälle, in denen militärischem Personal der Prozess gemacht wurde.«
»Okay. Und der Rest?«
»Ich leitete das Büro in Washington, D. C. Von dort bin ich aus dem Dienst ausgeschieden. Dann habe ich mit dem Bootspatent angefangen und ...«
»Die Zombieapokalypse«, führte Sophia den Satz zu Ende. »Besser als in D. C. festzusitzen. Warum wollen Sie kein Colonel mehr werden?«
»Ich möchte nicht, dass Sie meine Motive missverstehen. Ich unterstütze, was wir hier machen. Ich befürworte sogar die Art und Weise, wie wir es machen. Unter dem Strich bleibt, dass nichts davon wirklich legal ist.«
»Nicht?« Sophia nagte zweifelnd an der Innenseite ihrer Wange. »Ich dachte, wir hätten ... Wie war der Begriff?«
»Regelnde rechtliche Befugnisse?«, half ihr LeEllen aus. »Das stimmt nicht. Nicht wirklich. Nicht vollständig und nicht streng nach dem Gesetz. Das ist der Grund. Ich kenne die Bedeutung von ›regelnden rechtlichen Befugnissen‹ und den Unterschied zum ›Kriegsvölkerrecht‹ und weiß, welche Vorschriften dann in Kraft treten. Außerdem weiß ich darüber Bescheid, wozu das US-Militär rechtlich befugt ist und wozu nicht.«
»Wie ... was?«
»Es könnte, unter gewissen Rahmenbedingungen, den Gesetzen entsprechen, ohne ein angemessenes Gerichtsverfahren Zivilpersonen zu töten, von denen einige amerikanische Staatsbürger sind und andere wiederum nicht«, verdeutlichte LeEllen. »Wenn wir ein eindeutiges Mandat des US-Kongresses dafür hätten. Dann vielleicht. Doch jedes Mal, wenn wir ohne besonderen Anlass einen Infizierten töten, begehen wir im Grunde Völkermord.«
»Verdammte Scheiße, was sollten wir sonst tun?« In Sophias Stimme schlich sich ein wütender Unterton ein.
»Genau das, was wir gerade tun. Ich bin für den Plan, ich stimme dem Programm zu. Aber eigentlich ist er nicht gesetzeskonform. Es spielt keine Rolle, ob der NCCC behauptet, dass es ›okay‹ ist. Darum habe ich mit den Worten ›Oh, zum Teufel, nein, ich werde keinesfalls wieder in den Militärdienst eintreten‹ abgelehnt. Es spielt wahrscheinlich keine Rolle, aber mein juristisches Empfinden brüllt jedes Mal auf, wenn ich auch nur die Hälfte von dem mitbekomme, was wir so anstellen. Wir beschlagnahmen nach Belieben Wasserfahrzeuge. Wir räumen ausländische Städte ohne Freigabe durch eine ordnungsgemäß eingesetzte Exekutive. Es gibt keinerlei feste Einsatzregeln.
Noch einmal, wir haben es hier mit einer Zombieapokalypse zu tun. Wir erledigen, was erledigt werden muss. Aber ich werde das ums Verrecken nicht als bevollmächtigter Officer durchziehen. Nicht mit meinem Wissen über die rechtliche Problematik. Für Sie ist das möglicherweise egal. Darum sollen sich diejenigen über Ihrer Besoldungsklasse kümmern. Wenn ich aber wieder als Colonel in den Dienst trete, mit meinem Hintergrundwissen und meinem fachlichen Know-how, wäre ich dazu verpflichtet, dem zu widersprechen. Sozusagen als lästiges Furunkel an Ihrem Hintern. Es wäre meine Pflicht. Das Gesetz würde es von mir verlangen. Und das können wir eindeutig nicht gebrauchen. Daher sagte ich: ›Lasst mich als Zivilist mitmachen, und ich kann darüber hinwegsehen‹.«
»Das ... ist verdammt seltsam.«
»So ist das Rechtswesen nun mal.« LeEllen grinste schief und stand auf. Sie salutierte. »Mit Ihrer Erlaubnis, Ensign?«
»Wegtreten.« Sophia salutierte ebenfalls. »Skipper.«
»LOBO DE MAR, LOBO DE MAR!«, donnerte Sophias Stimme durch das Megafon. »ABSTAND HALTEN! ABSTAND HALTEN! ICH WEISS NICHT, WO SIE HINWOLLEN, ABER SIE FAHREN NICHT MAL IN DEN RICHTIGEN TEIL DES HAFENS!«
»WIR SIND HIER AM NÖRDLICHEN ENDE, SIE IDIOTIN!«, brüllte der Skipper zurück. »DAS IST UNSER BEREICH!«
»DAS HIER IST DAS SÜDLICHE ENDE! SCHAUEN SIE AUF IHREN VERDAMMTEN KOMPASS, WENN SIE MIR NICHT GLAUBEN! DIE NADEL ZEIGT NACH NORDEN! DIE NADEL! NORDEN! IN WELCHE RICHTUNG ZEIGT DIE NADEL ...?«
»Wir müssen das als Parade ablaufen lassen«, entschied Lieutenant Commander Kuzma. »Die formieren sich ansonsten niemals ordentlich.«
»Die Fotografen sollen am anderen Ende des Anlegers für die Kreuzfahrtschiffe Position beziehen«, ordnete Steve an. »Die Boote sollen sich nach Plan bewegen, die Boadicea zuerst ...«
»Flottille Vier an alle Divisionen, over.«
»Division Sieben, over«, meldete sich Sophia, als sie an die Reihe kam. Sie versuchte, angesichts des chaotischen Gewusels, in das sich der Hafenbereich verwandelt hatte, nicht in hysterisches Gelächter auszubrechen. Zodiacs mit fluchenden Officers kreuzten in einem zum Scheitern verurteilten Versuch hin und her, Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Bisher hatten sich keine schwerwiegenden Kollisionen ereignet, was an ein Wunder grenzte. Ihre eigene Division befand sich, davon war sie überzeugt, an der richtigen Stelle und war mit dem Bug ordnungsgemäß nach vorn ausgerichtet, die Stromanker ausgeworfen. Auf den Rest der Squadron traf das eher weniger zu.
»Bereiten Sie sich darauf vor, den Anker zu lichten und eine Parade einzuläuten. Die Besatzung soll an die Reling kommen, wenn Sie an der Mole vorbeischippern. Bitte um Rückmeldung.«
»Anker lichten, aye«, wiederholte Sophia. »Parade, aye. An der Mole, alle Mann an die Reling, aye.«
»Bleiben Sie am Funkgerät, bis wir den Befehl zur Abfahrt erteilen.«
»Wie sieht das aus?«, fragte Olga. Sie trug ein Navy-Tank-Top mit Bikini-Unterteil, in der Hand das M4. Sie posierte und hielt sich dabei am eingeklappten Bimini-Sonnendach der Flybridge fest. Der Lauf ihrer Waffe zeigte zum Himmel.
»Laut Protokoll sollte es NavyCam sein«, kommentierte Sophia. »Egal, sollen sie mir ruhig einen Strafvermerk schicken ...«
»Divisionen der Flottille Vier, alle an die Reling! Und passt auf, dass niemand über Bord geht!«
»Auf das Sonnendeck, die Parade steht an«, gab Sophia über die Wechselsprechanlage und die lokale Frequenz der Division bekannt. »Ich will alle Mann an Deck haben.«
Am Ende der Kreuzfahrtschiffmole prangte eine gut 400 Meter lange Lücke zwischen dem letzten Liner und der Spitze der Hafenmauer. Ganz am Ende standen vier Fotografen und Leute mit zwei Videokameras, die das vorbeifahrende Squadron ablichteten. Das war jedoch nicht das, was ihr ins Auge fiel.
Da stand ihr Vater in weißer Navy-Kleidung vor einer Marine Flag Party und salutierte. Es war keine einfache Aufgabe gewesen, alle Boote aus dem Hafen zu bekommen. Manche waren, wie sie erwartet hatte, bereits funktionsunfähig gewesen. Es hatten sich einige Beinahe-Unfälle ereignet. Vor etwa einer Stunde war der Befehl für die Parade eingetroffen. Ihr Vater stand, da war sie sich so gut wie sicher, seitdem in Habachtstellung in der prallen Sonne und salutierte ununterbrochen. Und er würde weitersalutieren, bis das letzte Boot den Hafen verlassen hatte. Wahrscheinlich hatte er sogar persönlich die Fahne getragen. Das erinnerte sie an eine gewisse Wanderung während eines Gewitters. So war ihr Vater manchmal.
»Das gesamte Militärpersonal, mit Hand oder Waffe salutieren ...«, befahl die Flottille über Megafon. »SALUTIEREN!«
Sophia salutierte mit einer Hand, ließ die andere aber am Steuerrad und hielt die Augen starr geradeaus gerichtet. Auf diese Weise konnte sie auch ihre Crew im Auge behalten. Sie hatte das vage Gefühl, dass Olga die Wahl ihres Outfits inzwischen bereute. Der weibliche Security Specialist stand in Habachtstellung und sie hielt ihr Gewehr senkrecht. Es fiel ihr schwer, die Habachtstellung aufrechtzuerhalten, sie schwankte ein wenig und musste gelegentlich ihre Haltung korrigieren. Doch sie war ein Teil des Ganzen. Und sie schien zu weinen.
Walker zog Sophias Aufmerksamkeit auf sich. Er trug sein Hawaiihemd zu einer Lakers-Mütze, die er sich irgendwo organisiert hatte, und eine Sonnenbrille. Den Rücken hielt er allerdings kerzengerade und salutierte perfekt. Der Wellengang machte ihm offenbar keinerlei Probleme. Das war Muskelgedächtnis. Eine Art Muskelgedächtnis, wie man es nicht bei jemandem erwartet, der vor 20 Jahren beim Militär Lkws gefahren hatte. Das war das Muskelgedächtnis eines Gunny Sergeants oder Chief. Wenn er so starr dastand, strahlte er etwas ganz Besonderes aus. Mit einem Mal fragte sie sich, warum zum Teufel sie hier das Kommando führte und nicht er.
»Gewehr ab«, befahl Sophia, als sie am Ende des Kais die Paradezone verließen. Die Wellen brandeten gegen das Schiff, und sie wollte vermeiden, dass ein Crewmitglied ins Meer stürzte. »Das bedeutet, mit dem Salutieren aufzuhören, Olga. Rührt euch und sichert alle Waffen.«
»Ich hätte meine Uniform anziehen sollen«, zeterte Olga, als sie auf die Flybridge kam. Ihr Mascara war verlaufen. Sie hatte also tatsächlich geweint.
»Ja, vermutlich«, antwortete Sophia. »Das war allerdings gerade ein klassischer Olga-Moment. Und es ging darum, dass man gesehen hat, wer wir wirklich sind, und nicht, was andere von uns zu sehen erwarten.«
Sie blickte Walker hinterher, der gerade unter Deck verschwand.
»Die Frage ist nur, wer sind wir wirklich?«