9

Wir sind weit davon entfernt, der große Satan zu sein. Ich würde eher sagen, wir sind der große Beschützer. Im vergangenen Jahrhundert haben wir Männer und Frauen der bewaffneten Streitkräfte der Vereinigten Staaten in andere Teile der Welt geschickt, um Unterdrückung niederzuschlagen. Wir haben den Faschismus besiegt. Wir haben den Kommunismus besiegt. Wir haben Europa im Ersten Weltkrieg und im Zweiten Weltkrieg gerettet. Wir waren dazu bereit und haben es gern getan. Wir sind nach Korea gegangen. Wir sind nach Vietnam gegangen. Wir haben all das getan, um die Rechte der Menschen zu wahren.

Was aber haben wir getan, nachdem diese Konflikte beendet waren? Sind wir in diesen Gebieten geblieben und haben sie erobert? Haben wir gesagt: »Okay, wir haben Deutschland besiegt. Jetzt gehört Deutschland zu uns. Wir haben Japan besiegt, also gehört Japan zu uns?« Nein. Was haben wir getan? Wir haben sie aufgebaut. Wir schenkten ihnen demokratische Systeme, die sie tief in ihren Seelen verinnerlicht haben. Haben wir Land von ihnen gefordert? Nein. Das einzige Land, um das wir gebeten haben, waren Friedhöfe, um unsere Toten zu begraben.

General Colin Powell

»Erteilen Sie die Erlaubnis, dass wir uns nach einem Fahrzeug umsehen, Ma’am?«, erkundigte sich Staff Sergeant Januscheitis.

»Oh, natürlich.« Faith bemühte sich, gerade auf den Beinen zu stehen. »Diesen Ort kann man unmöglich zu Fuß räumen.«

Der Lieutenant befehligte mehr oder weniger eine Kernmannschaft aus Marines. Das passte Faith ganz gut. Sie trugen keine vollständige Zombie-Räumausrüstung, nur normale Kampfkleidung und zusätzlich Tyvek-Anzüge, Gasmasken und Kapuzen, um die Wahrscheinlichkeit zu minimieren, in exponierte Hautpartien gebissen zu werden. Sie hatten militärische Kopfhörer und Mikrofone für den Funkverkehr aufgesetzt und zwei von ihnen führten Halligan-Tools und andere Einbruchswerkzeuge mit sich.

Sie wankten ein wenig hin und her, da sich der Boden unter ihren Füßen zu bewegen schien. Seit beinahe sechs Monaten hatte keiner von ihnen mehr Land betreten.

»Seht mal nach, ob ihr was mit einem offenen Verdeck findet. Da kann einer oben das Megafon raushalten. Sofern mein Schädel das aushält.«

»Aye, aye, Ma’am«, nahm Januscheitis den Befehl entgegen. »Zwei-Mann-Teams. Eins sucht nach Schlüsseln und funktionierenden Fahrzeugen. Das andere schiebt Wache.«

Auf der Mole gab es einen großen Parkplatz, allerdings fast leer. Keines der wenigen Fahrzeuge sprang an. Auf dem Platz vor dem Pier standen weitere Wagen, aber auch die waren nicht fahrtüchtig.

»Jedes der Boote hat eine Ersatzbatterie an Bord«, meinte Faith. »Staff Sergeant, schicken Sie ein Team zurück. Es soll eine der Batterien holen. Der Rest von uns räumt die Gebäude. Ich schätze, daran hätte ich gleich denken sollen.«

»Aye, aye, Ma’am«, sagte Januscheitis. »Derek, Kirby, holt sie.«

»Aye, aye, Staff Sergeant«, bestätigte Derek. »Komm schon, Kirby.«

»Wollen wir das hier zuerst räumen?« Faith deutete auf ein Café. »Meine NCOs sollten mich ein wenig unterstützen, Staff Sergeant.«

»Ich würde vorschlagen, dass wir die Mole sichern, Ma’am.« Januscheitis wies auf ein Gebäude, wahrscheinlich die Hafenmeisterei. »Dadurch wissen wir, dass wir den Rücken frei haben.«

»Tun Sie das, Staff Sergeant.«

»Pagliaro, Bearson, brecht die Türen auf.«

»Aye, aye, Staff Sergeant.« Lance Corporal Pagliaro griff nach dem Hammer. »Los, Bear.«

»Klopft erst mal an«, riet Faith. »Zombies mögen keine unhöflichen Menschen.«

»Keine Chance.« Pagliaro hatte bereits einige Male mit dem Hammer gegen das massive Holz geschlagen. »Kein Kratzer, nichts zu machen.«

»Aufmachen«, ordnete Faith an.

»Aufmachen, aye, Ma’am.«

Mit den Brechwerkzeugen aus Feuerwehr-Beständen machten Pagliaro und Bearson mit den Türflügeln kurzen Prozess. Zuerst pulverisierten sie die Schlösser, dann trat Bearson die Tür ein und beide zogen sich mit der M4 im Anschlag zurück. Nichts kam heraus.

»Ich schätze, da ist keiner zu Hause.« Faith spähte in das Gebäude. »Schaut trotzdem mal nach.«

»Pag, Bearson, überprüft alle Stockwerke«, befahl Januscheitis.

»Räumoperation, aye, Staff Sergeant«, nickte Pagliaro. »Ich geh voran.«

»Ein toter Infizierter.« Pagliaro verließ das Haus. »Das gewohnte Chaos. Alt. Das meiste eingetrocknet. Sieht aus wie die Hafenmeisterei. Ein paar Bootsteile, aber wahrscheinlich für die zusammengeschusterten Boote im Hafen.«

»Staff Sergeant«, funkte Derek. »Wir haben die Batterie und die Überbrückungskabel. Macht es Ihnen was aus, wenn wir hier ein Fahrzeug starten, statt alles zurück bis zur Mole zu schleppen?«

Die kleinere Mole war beinahe so lang wie zwei Footballfelder.

Januscheitis sah rüber zum Lieutenant. Faith nickte.

»Ist mir recht.«

»Shewolf gibt grünes Licht«, funkte Januscheitis zurück. »Sollen wir mit der Räumung weitermachen, Ma’am?«

»Wenn Ihnen danach ist. Wir können nicht jedes Haus in der Stadt aufbrechen und räumen. Wir müssen durch die Straßen flitzen und nach Überlebenden Ausschau halten. Ich wollte nur ausprobieren, ob die grundlegenden Verfahren funktionieren. Logistisch halte ich es für das Geschickteste, wir räumen das Wirtshaus, solange wir auf Derek und die Fahrgelegenheit warten, und verschaffen uns einen Überblick über die Vorräte, die dort lagern.«

»Roger, Ma’am. Pag, Bear, brecht in die Bar ein.«

»Oh, aye, aye, Staff Sergeant.« Freude schwang in Bearsons Stimme mit. »Damit sind wir vollkommen einverstanden.«

»Hola!« Pagliaros Stimme schallte durch das Megafon. »Jemand zu Hause? Hallo? Keiner da?«

Die Einheit hatte sich in zwei Drei-Mann-Teams aufgeteilt. Januscheitis führte das eine an, Faith mit Corporal Douglas das andere. Douglas steuerte den Wagen und Pagliaro streckte den Kopf aus dem Dach des Cabrios, um nach Überlebenden zu suchen.

Die Straßen der Stadt waren verlassen. Bisher hatten sie noch keinen einzigen Infizierten gefunden. Selbst die typischen Spuren, die vertraute Mischung aus verrotteten und abgenagten Leichen und Fäkalien, machten sich rar. Bisher gab es keinerlei Hinweise auf Überlebende.

»Bild ich mir das ein oder ist es hier ziemlich gruselig?« Faith schauderte.

»Ein bisschen gruselig, Ma’am.« Januscheitis umrundete einen winzigen Körper, der auf der Straße lag.

»Herrgott, hoffentlich gibt es in einigen dieser Städte Überlebende.«

»Auf der Karte sind die Straße entlang noch weitere Städte eingezeichnet«, sagte Faith. »Ich schätze, wir könnten ins Landesinnere vordringen.«

»Bei allem Respekt, Ma’am«, widersprach Januscheitis. »Ich glaube nicht, dass das zum Plan gehört.«

»Pläne ändern sich, Staff Sergeant. Doch Sie haben recht, wir müssen erst eine Erlaubnis anfordern.«

»Hey, ich glaube, wir haben Kundschaft«, brüllte Pagliaro. »Einen halben Block weiter, auf dem Dach.«

»Wirklich?« Faith spähte durch die Risse in der Windschutzscheibe hinauf. »Heilige Scheiße.«

Eine Gruppe Menschen winkte vom Dach eines Hauses. Sie waren gerade damit beschäftigt, ein Laken über die Kante zu bugsieren, um die Aufmerksamkeit der Marines auf sich zu lenken.

»Hallo.« Faith stieg aus dem Wagen. »Spricht jemand von euch Englisch?«

Sie nahm die Gasmaske ab. Der Geruch war nicht allzu übel und sie hatte keinen einzigen Infizierten bemerkt.

»¡Sí!«, kreischte einer der Männer. »Hallo! Vielen Dank! Sind alle infectados weg? Wer sind Sie?«

»Lieutenant Faith Smith, United States Marine Corps, zu Ihren Diensten, Sir«, schrie ihm Faith entgegen. »Wir haben keine gesehen. Kommen Sie runter. Eckstein, Eckstein, wie wir zu sagen pflegen ...«

»Das Gebäude war ein Lebensmittelladen, sí?« Der Mann trank einen Schluck Wasser. »Ah, das schmeckt gut. Sehr gut.«

Valerio Villa war einst einer von fünf Polizisten im Distrikt San Sebastián de la Gomera gewesen. Beim Ausbruch der Seuche hatte er sein Menschenmöglichstes gegeben und sich dann zusammen mit einer kleinen Gruppe Überlebender aus La Puntilla in das Warenlager zurückgezogen. La Puntilla war die Kleinstadt, die Faiths Team gerade geräumt hatte.

»Wir hatten gewaltige Engpässe beim Wasser«, erklärte Conchita Casales. »Es regnet nur selten.«

Die fünf Überlebenden – zwei Frauen, drei Männer – hatten Samen gefunden und aus Kot und Urin sowie Sand als Feststoff eine Art Erde zusammengemischt. Sie hatten sogar Wannen aufs Dach geschleppt, die Toten darin begraben und darauf Anpflanzungen vorgenommen. Ihr Vorrat von Wasserflaschen aus dem Lager war schnell zur Neige gegangen. Danach hatten sie das spärliche Regenwasser gesammelt. Verschanzen und durchboxen – ihre Strategie war aufgegangen.

»Haben Sie Anzeichen weiterer Überlebender bemerkt?«

»Es gab ein paar.« Villa sah traurig drein. »Auf der anderen Seite der Stadt. Wir konnten sie sehen. Sie hatten keine Vorräte so wie wir. Die Samen ...« Er schluchzte.

»Ich glaube, so geht es uns allen.« Conchita nahm seine Hand und schluchzte ebenfalls. Dann tätschelte sie ihren Bauch. »Da werden bald noch mehr sein, sí?«

»Was machen wir jetzt?«, fragte Villa. »Sind die Vereinigten Staaten ...? Werden wir ...?«

»Die Vereinigten Staaten haben in ihrer Geschichte auf jedem bewohnten Flecken Erde gekämpft«, sagte Januscheitis. Das einzige Land, um das wir jemals gebeten haben, war ausreichend Platz, um unsere Toten zu begraben. Also nein, wir werden uns dieses Land nicht nehmen. Es bleibt Eigentum von Spanien. Schätze ich. Inzwischen mehr oder weniger unabhängig, da es im Prinzip kein Spanien mehr gibt. Sie können tun und lassen, was Sie wollen. Wir können Sie zurück zur Squadron transportieren oder Sie können hierbleiben. Gestatten Sie uns bitte, dass wir hier einige Menschen abladen, wenn es nötig wird. Wir besitzen keine Stützpunkte an Land, sondern haben uns mehr oder weniger vollständig darauf eingestellt, auf dem Meer zu leben. Aber wir planen, in naher Zukunft einige amerikanische Landstützpunkte zu erobern.«

»Falls es noch infectados gibt ... Ich kann diese Stadt nicht allein räumen.« Villa seufzte. »Mir sind die Kugeln ausgegangen.«

»Wir haben reichlich überschüssige M4- und 5,56er-Munition«, beruhigte ihn Faith. »Es sollte uns möglich sein, die Genehmigung einzuholen, Ihnen einiges davon zu überlassen. Wir haben auch schon Schiffe auf dem Meer geräumt und verfügen über relativ üppige Vorräte. Oder aber wir holen Sie ab und bringen Sie zur Squadron, wie der Staff Sergeant schon vorgeschlagen hat.«

»Können Sie mir helfen, alle Gebäude zu räumen? Es gibt keine Anzeichen, dass darin infectados überlebt haben, aber ... Das ist kein Ort, an dem man langfristig bleiben kann.«

»Ma’am«, meldete sich Januscheitis.

»Ich werde es mit der Division abklären. Ich glaube nicht, dass es ein Problem darstellt.«

»Das wissen Sie am besten«, sagte Januscheitis. »Ich schlage allerdings vor, dass wir uns auf die zentralen Bauten und den Strand konzentrieren. Wir können nicht die ganze Insel für Sie räumen, das erlaubt unser Zeitplan nicht. Das USMC besteht aus etwa 20 Leuten. Wir verfügen nicht über genug Personal, um in der Stadt alles in Ordnung zu bringen. Sie sollten sich besser darauf einstellen, auf eigene Faust zu überleben. Nahrung, Strom, Wasser und Sicherheit.«

»Ich glaube, das schaffen wir«, entgegnete Conchita. »Wir möchten gern auf der Insel bleiben.«

»Ja, das werden wir.« Villa ließ seinen Blick über die mitgenommene Stadt schweifen. »Wenn wir uns ein paar Waffen ausleihen dürfen.«

»Kein Problem«, versprach Faith. »Aber ... macht es Ihnen etwas aus, wenn wir ein paar unserer Leute zu einem kleinen Landurlaub herschicken?«

»Ich behaupte mal, dass wir diese Mission erfolgreich abgeschlossen haben.« Lieutenant Chen nippte an seinem Wein. Er lehnte sich vor dem Restaurante del marinero im Stuhl zurück. Über dem Lokal befanden sich einige Wohnungen, die die Überlebenden bereits bezogen hatten. Abgesehen vom fehlenden Generator und einer gewissen Lebensmittelknappheit herrschte hier fast normaler Betrieb. »Unser nächstes Ziel ist Playa De Santiago, danach kommt San Sebastián de la Gomera an die Reihe. Ich finde, wenn wir in den beiden Städten genügend Überlebende finden, sollten wir ihnen ans Herz legen, nach La Puntilla zu kommen, anstatt sich über die Insel zu verstreuen.«

Obwohl sie die späte Nachmittagssonne in einer Taverne am Strand genossen, hatten sie alle ihre Waffen griffbereit.

»San Sebastián ist die mit Abstand größere Stadt«, betonte Villa. »Vielleicht sollten wir dorthin ziehen und nicht sie hierher. La Playa hat einen Flughafen und die Werft.«

An seinem Stuhl lehnte mit dem Lauf nach unten ein H&K-G36-Sturmgewehr. In der Kammer steckte keine Kugel, aber sie war mit einem komplett bestückten Magazin geladen.

»Wo Sie sich niederlassen, ist letztlich Ihre Entscheidung, Officer Villa«, sagte Chen. »Ich rate Ihnen jedoch nachdrücklich, sich in einem Gebiet zu sammeln.«

»Am besten in einem, das sich gut verteidigen lässt«, fügte Januscheitis hinzu. »In den umliegenden Städten gibt es sicher zahlreiche Infizierte.«

»Playa liegt überwiegend in einer Senke«, merkte Villa an. »Es ist jedoch vollkommen von Bergen umgeben. Hier in La Puntilla sind wir im Valle, sí? Im ganzen Valle befinden sich Städte. Ich habe beobachtet, wie sich die infectados langsam dorthin verzogen haben. Wenige davon nach La Playa.«

»Du willst nach La Playa umziehen?« Conchita brachte eine Platte mit gebratenem Albacore-Thunfisch und Tomaten.

»Es ist leichter zu halten«, antwortete Villa. »Der Hafen ist nicht so gut in Schuss, aber wenn die infectados erst mal beseitigt sind, werden keine mehr nachkommen, sí? Ich sorge mich wegen der infectados, die von La Calera runterkommen.«

»Dann fahren wir hoch und räumen La Playa«, sagte Chen. »Danach können Ihre Leute umziehen.«

»Sí, das wäre meiner Meinung nach das Beste, Lieutenant. Conchita?«

»Ja?«, antwortete die Frau, die gerade aus dem Restaurant trat. »Ich habe mehr Essen dabei. Vielen Dank für den Fisch. Es ist schon so lange her, dass wir welchen hatten. Und für die Verpflegung. Das ist wunderbar. Gracias.«

»De nada.« Chen deutete eine Verbeugung an. »Das ist das Gute an dieser Arbeit. Und nach meiner monatelangen Fastenzeit auf einem Rettungsboot bin ich auch froh darüber.«

Villa und Conchita plauderten eine Weile auf Spanisch, dann mischte sich einer der anderen Männer ein und es eskalierte rasch zu einem Streit.

»Hier sind Waffen und Wein im Spiel.« Chen hob beschwichtigend die Hände. »Kann mir jemand erklären, worum es in etwa geht?«

»Einige wollen nicht nach La Playa«, dolmetschte Villa. »Andere wollen nicht hierbleiben, wegen der infectados. Nicht mal heute Nacht.«

»Wir haben Platz auf den Booten ...«, bot Chen an.

»Darf ich was dazu sagen, Sir?«, meldete sich Sophia.

»Sprechen Sie, Ensign.« Chen zeigte sich wegen der Formalität ein wenig amüsiert.

»Ich habe die Jacht überprüft, die an der Mole festgemacht ist. Sie ist in einem guten Zustand. Ich will damit sagen, dass wir erst rausfinden müssen, ob sie anspringt, doch wenn das klappt, können wir die Leute einfach dort unterbringen und sie die Nacht über in den Hafen schleppen.«

»Einverstanden«, erwiderte Chen. »Ich halte schon die ganze Zeit nach allem Ausschau, was nicht niet- und nagelfest ist – Boote, Bauteile und was sich sonst so findet.«

»Zombieapokalypse-Moment, Sir«, erkannte Faith. »Wir sitzen in einem echt gemütlichen Restaurant in einem kleinen Hafen mit jeder Menge Waffen für den Fall, dass ein Zombie auftaucht. Bergen ist so ziemlich das Einzige, was wir tun können. Da wäre zum Beispiel dieser Assault Carrier, Sir ...«

»Gute Idee.« Chen kicherte.

»Ich wollte eh schon fragen, ob ich den bekomme, Sir«, sagte Sophia. »Die No Tan Lines ist schon ziemlich ramponiert und wir könnten mehr Platz gebrauchen. Oder vielleicht ein ähnliches Boot, je nachdem, worauf wir in La Playa oder Gomera stoßen.«

»Officer Villa, das wirft eine interessante Frage auf.« Chen sah ihn direkt an. »Nach rechtlichen Gesichtspunkten ist ein Boot, das in einem Hafen festgemacht hat oder dort vor Anker gegangen ist und verlassen wurde, Eigentum der Kommunalverwaltung oder des Hafeneigentümers, wenn die Liegegebühren nicht bezahlt wurden ...«

»Wenn Sie Boote haben wollen, können Sie Boote haben.« Villa war sofort einverstanden. »Ich schätze, ich bin der einzige Regierungsbeamte, den Sie gefunden haben, sí? Nehmen Sie die Boote ruhig mit. Außer einem vielleicht. Eins sollten wir für uns behalten. Auf einem funktionierenden Boot gibt es Energie und dergleichen und wir können den Hafen verlassen, wenn infectados kommen sollten. In San Sebastián de la Gomera liegen reichlich Schiffe vor Anker. Vielleicht finden Sie auch einige in La Playa. Da gibt es einen kleinen Hafen, aber auch die beste Werft der Insel. Einen Augenblick ...«

Er drehte sich um und sprach in Spanisch zu der Gruppe. Es wurde wild gestikuliert und ein wenig geschrien, doch letztlich entspannte sich die Lage.

»Sie stimmen mehr oder weniger zu. Wir werden Sie nach La Playa und San Sebastián de la Gomera begleiten, um uns einen Eindruck von den Zuständen vor Ort zu verschaffen. Möglicherweise stoßen wir dort auf weitere Überlebende, die sich mit Waffen auskennen. Diego wurde hier in Puntilla geboren und ist hier aufgewachsen. Er war noch nicht oft in San Sebastián de la Gomera und weigert sich strikt, seine Heimat zu verlassen. Ich dagegen vertrete die Auffassung, dass wir erst nachsehen sollten, ob es in den anderen Städten weitere überlebende infectados gibt, bevor wir eine endgültige Entscheidung treffen. Ich gehe mit Ihnen, und ich bin die einzige Person, die sich mit Feuerwaffen auskennt, sí? Daher kommen Sie mit uns, und dann sehen wir weiter.«

»Das geht klar.« Chen nickte. »Kann jemand von euch dieses Teil steuern? Angenommen, es funktioniert?«

»Darum brauche ich Diego.« Villa lächelte. »Er ist Kapitän. Aber jetzt essen wir erst einmal, okay?«

»Eine schöne kleine Stadt«, kommentierte Sophia anerkennend, während die Geschütze die ›infectados‹ zerfetzten. »Der Hafen ist allerdings scheiße. Warum baut jemand in so einer Stadt eine Werft?«

In der Werft waren etwa 20 Jachten und kleinere Boote aufgebockt. Das Grundstück drängte sich so eng an eine Klippe, dass sich die vorbeiführende Straße durch einen Tunnel schlängeln musste. Der Hafen war gerade groß genug, damit die drei Boote in normaler Formation Aufstellung nehmen konnten. Sie feuerten über die Mole hinweg, statt auf sie zu zielen, da die Spitze direkt ins Meer ragte.

»Das fragst du mich?«, erwiderte Faith. »Das weiß ich doch nicht. Frag Villa oder einen anderen Einheimischen ...«

»Wir haben Kundschaft!«, rief Pagliaro.

»Überlebende?« Faith zielte mit ihrer Waffe auf drei Infizierte, die die Straße entlangwankten. »Beschuss einstellen, Staff Sergeant.«

»Wird gemacht, Ma’am«, sagte Derek. »Darf ich anmerken, dass Pag die Sache unter Kontrolle hat, LT?«

»Darf ich schießen, Corporal?«, fragte Pagliaro.

»Logisch.« Faith seufzte. Der Gunny und Lieutenant Volpe hatten ihr erklärt, dass es die Aufgabe eines Officers war, die nächsten Schritte der Einheit vorauszuplanen. Doch er tötete keine Zombies, außer es gab dafür einen triftigen Grund. Dafür waren die Privates und Lance Corporals da. Sie liebäugelte mit dem Gedanken, sich zu einem Private zurückstufen zu lassen.

»Schießen Sie, PFC!«

»Ich schieße, zu Befehl.«

»Barbie-Knarren«, murmelte Faith und ließ ihre Finger missmutig über die verschränkten Arme tanzen, als Pag und Derek eine weitere Gruppe Infizierter aufs Korn nahmen.

Die kleine, idyllische Küstenstadt erwies sich als überaus kompliziertes Pflaster. Bis zum Morgen waren immer noch nicht alle Infizierten am Hafen versammelt. Zwei Teams stießen in der Umgebung auf verstreute Gruppen von Untoten und verloren dabei vollkommen die Orientierung.

Sie spähte zur Seite und sah einen Zombie, der die Gasse entlangschlurfte, in der sie stehen geblieben waren. Pag und Derek standen an der Spitze und mähten die Horde nieder, während sie, der diensthabende Officer, im Auto wartete, bis der Job erledigt war. Sie überlegte, ob es zu ihren Aufgaben gehörte, Pag mitzuteilen, dass von hinten ein Zombie auf ihn zukam. Schließlich zog sie einfach ihre H&K und schoss auf ihn. Sie traf den Zombie in die Brust. Die Frau knallte wie ein Stein zu Boden. Es war eine Blondine, also wahrscheinlich eine Touristin, die hier festgesessen hatte, nachdem aufgrund der Seuche eine Ausreisesperre verhängt worden war.

Faith entspannte den Schlaghebel, steckte die Waffe ins Holster und schaute in den Spiegel, da sie sicherstellen wollte, dass sich keine Infizierten in ihrem Rücken näherten. Sie checkte ihr – zugegebenermaßen leichtes – Make-up und frischte den Lipgloss auf.

»Hey Jungs, seid ihr fertig?« Sie lehnte sich beim Schreien aus dem Fenster.

»Ja, Ma’am«, antwortete Derek.

»Habt ihr noch ausreichend Kugeln?«

»Ausreichend, Ma’am.« Derek kam auf den Fiat zu. »Wie üblich sind eine Menge Kugeln nötig, aber das ist ja kein Sturmangriff.«

»Barbie-Knarren«, seufzte Faith. »Los, Derek.« Sie zeigte durch die Windschutzscheibe nach vorn.

»Haben Sie eine neue Frisur, Ma’am?«

»Ich erkläre La Playa zur gelben Zone.« Lieutenant Chen stand in der geräumten Stadt und die untergehende Sonne leuchtete auf ihn herab. Sie hatten zehn Überlebende gefunden. Keiner von ihnen befand sich in sonderlich guter Verfassung, aber sie sahen immerhin nicht aus wie die Überlebenden eines Konzentrationslagers. Sie hatten sie auf einer örtlichen Jacht, der Estrella del Mar, untergebracht. »Wir können sofort nach Gomera weiter, die abendlichen Feierlichkeiten einläuten und dort morgen räumen. Die Stadt ist größer, und es dürfte länger als einen Tag dauern.«

»Ich glaube nicht, dass ich heute Abend an den Festivitäten teilnehme.« Faith gähnte. »Ich wurde zwar die meiste Zeit in einem Taxi durch die Gegend kutschiert, aber es war trotzdem anstrengend.«

»Ach du meine Güte«, wunderte sich Faith. »Nicht noch so eins.«

Am Kai von San Sebastián de la Gomera hatte ein Kreuzfahrtschiff festgemacht.

»Das ist gar nicht so groß, Ma’am«, beschwichtigte Januscheitis.

»Es geht nicht um die Größe. Wegen Kreuzfahrtschiffen habe ich wirklich einen schweren Fall von PTBS. Die Iwo ... ihr hattet eine Chance, ihr hattet Waffen. Ihr konntet kämpfen. Ihr habt gekämpft. Ihr wart nicht in einer verschissenen Kabine eingeschlossen, habt nicht auf Hilfe gewartet, die niemals kam, seid nicht langsam verhungert. Außerdem wart ihr Marines. Ihr verpflichtet euch, um irgendwohin zu gehen, wo Uncle Sam ein paar Leute tot sehen will. Ihr wart nicht auf euren Flitterwochen oder auf Familienurlaub. Da geht es drum, Kabinentüren aufzumachen und Kinder zu finden, die Arme so dünn wie Zahnstocher haben ... nicht mal richtig aufgebläht, weil da schlicht nichts mehr ist, was sich aufblähen kann, und das geht mir durch Mark und Bein, okay, Staff Sergeant?«

»Ja, Ma’am«, antwortete Januscheitis betroffen.

»Na gut, sie ist tatsächlich deutlich kleiner als die Voyage. Kein ernsthaftes Problem. Wird nur viele Lampen erfordern.«

»No Tan Lines, Division«, quäkte Chens Stimme aus dem Funkgerät. »Ich muss den Officer der Landräumungseinheit sprechen.«

»Ist für dich, Schwesterherz.« Sophia hielt ihr das Funkgerät vor die Nase.

»Division, Shewolf. Um die Frage zu beantworten, die Sie mir wahrscheinlich stellen wollen: zwei oder drei Tage. Das hängt ganz von der Anzahl der Infizierten ab. Vermutlich gibt es nicht mehr viele Überlebende. Over.«

»Roger, wir räumen die Infizierten an Land, dann können Sie sich um das Kreuzfahrtschiff kümmern. Danach die Stadt.«

»Roger, Division. Bin froh, dass wir die schweren Geschütze dabeihaben.«

»Scheiße«, fluchte Chen. »Das ist kein optimales Ergebnis.«

Bei ihrem Check für eine optimale Position, um mit Maschinengewehren auf Infizierte zu ballern, hatte sich ein alter Anlegesteg durchgesetzt, vermutlich Teil des ursprünglichen Hafens. Dort gab es eine Untiefe, bei der es sich eindeutig um einen alten Wellenbrecher handelte, der über einen Knick in südlicher Richtung verlief. Ein kleiner Teil davon ragte selbst bei Flut noch aus dem Wasser und war mit dem Land verbunden.

Die gewohnten Faxen hatten eine große Anzahl Infizierter auf das Gelände gelockt, wo sie bei der ersten Morgenröte zermetzelt wurden. Die große, seewärts gelegene Mole war ganz in der Nähe. Dort hatten sich weitere Infizierte zusammengerottet. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, die Division als Nächstes dorthin zu schicken. Doch als sich die Seevögel auf das Massaker stürzten, das Ma Deuce hinterlassen hatte, kam Bewegung in die Meute und sie löste sich schrittweise auf. Bis sie die Anker eingeholt und zum Angriff gewendet hätten, wäre die Horde Infizierter bereits so weit versprengt gewesen, dass es ewig gedauert hätte, sie mit den 50ern zur Strecke zu bringen.

»Division, Shewolf, over.«

Genau das hatte ihm noch gefehlt. Ein 13 Jahre altes Gör mit einer Frage. Wahrscheinlich brauchte sie Ratschläge, wie sie mit ihren Puppen spielen sollte.

»Schießen Sie los, Ground Clearance Officer.«

»Die Infizierten auf der südlichen Mole strömen auseinander. Erbitte die Erlaubnis, ein paar davon mit dem Gewehr erlegen zu dürfen. Die Snacks sollten sie eine Weile vor Ort halten, bis Sie sich darauf eingerichtet haben, mit der Mas anzugreifen. Over.«

Natürlich könnte er auch die Marines ein paar davon abknallen lassen ...

»Bestätigt, Shewolf. Gute Option.«

»Staff Sergeant Januscheitis hatte die Idee, over. Wir greifen an. Shewolf out.«

Sie sorgte sogar dafür, dass andere Leute ihre verdienten Lorbeeren ernteten. Chen schüttelte den Kopf und machte sich eine Notiz in seinem persönlichen Logbuch.

»Links sind noch ein paar übrig«, rief er durch das Megafon. »Knausert nicht mit der Munition ...«

Von der No Tan Lines hörte man das Knattern von Gewehrfeuer. Es war schön, intelligente Untergebene zu haben, die selbst die Initiative ergriffen ...

»Warum machen eigentlich alle Löcher in die Bootsseiten?«, wunderte sich Faith.

Die derzeitige Beleidigung für das Zartgefühl des Lieutenants war der Einschiffungshafen auf der Backbordseite des Kreuzfahrtschiffs. Der große Hafen verfügte über eine Gangway, die vom Hafendamm, der mittlerweile von den Infizierten gesäubert war, in das dunkle Innere des Kreuzfahrtschiffes hineinführte.

»Hm ... Boadicea?«, sagte PFC Kirby. »Ist das Spanisch? Für mich klingt das wie ›BOHICA‹.«

»Fragen Sie mich das, PFC?«, gab Januscheitis zurück. »Erleichtert zumindest den Einstieg, Ma’am.«

»Und ich schätze, der ist jetzt an der Reihe.« Faith seufzte. »Lampen.«

»Okay, das ist nicht gerade das wüste Schlachtfeld, mit dem ich gerechnet habe, Ma’am.« Januscheitis betrachtete die wasserdichten Luken, die allesamt geschlossen waren. Sie stießen zwar auf Infizierte, doch die meisten von ihnen waren längst tot. Einige von ihnen entpuppten sich sogar als Kinder. Außerdem stießen sie auf einige säuberlich abgenagte Leichen. Doch auch davon gab es nur wenige. Das Schiff sah aus, als sei es vor dem Ausbruch der Seuche von den meisten Passagieren und Besatzungsmitgliedern verlassen worden.

»Geht mir genauso, Staff Sergeant.« Faith überprüfte sogar einige der Kabinen. In den meisten gab es keine Anzeichen von Menschen oder toten Infizierten. In einigen der unteren und billigen Räume in der Nähe des Maschinenraums waren Infizierte an die Betten geschnallt worden. Ein paar davon hatten sich losgerissen und die anderen gefressen, doch der überwiegende Teil von ihnen war eindeutig dort umgekommen. Darunter wiederum einige Kinder, was immer besonders an die Nieren ging, aber es waren nicht allzu viele. Mit toten Erwachsenen kam sie eindeutig besser klar. Außerdem besaß keiner von ihnen den ausgemergelten Look wie die auf der Voyage. Aber das bedeutete nur, dass sie verdurstet und nicht verhungert waren.

»Und ich beschwere mich nicht«, schob sie hinterher.

»Okay.« Faith lief es kalt über den Rücken. »Das ist total gruselig. Wohin sind all die Menschen verschwunden?«

Das Team ging nun schon den zweiten Tag der mühseligen Räumung des Schiffs nach. Es war nicht gerade gewaltig, aber verflucht verwinkelt. Zudem musste jede Kabine überprüft und markiert werden. Das Einzige, was sie bisher nicht gefunden hatten, waren Überlebende oder Infizierte.

»Laut der Werbebroschüre, die uns in die Finger gefallen ist, gibt es an Bord Platz für 880 Passagiere, Ma’am.« PFC Kirby blätterte durch den Prospekt. »Dazu kommt eine 330 Mann starke Besatzung. Ich schätze, dass wir bisher über etwa 100 Tote gestolpert sind, Ma’am. Ich habe keine Ahnung, wo der Rest von ihnen ist.«

Sie hatten sich in Zwei-Mann-Teams aufgeteilt. Kirby und Rodas hatten gelost, wer Faith begleiten durfte. Staff Sergeant Januscheitis schlug vor, dass Corporal Douglas den LT begleiten sollte. Faith konterte, dass der Corporal zum Führungspersonal gehörte, genau wie sie selbst, und dass er daher einen Lance Corporal oder einen PFC mitnehmen sollte. Gegen dieses Argument war eigentlich kein Kraut gewachsen. Vor allem nicht, als sie »Und so wird das jetzt auch gemacht, Staff Sergeant« hinzufügte.

Nebenbei bemerkt hätte sie das auch im Schlaf erledigen können. Sie hatte es schon im Schlaf erledigt.

»Ich glaube, dass der Kahn sogar noch zu gebrauchen ist.« Faith inspizierte die Umgebung. Sie befand sich in einem überraschend guten Zustand. Die Infizierten waren in keinen der Maschinenräume vorgedrungen, auf die sie bisher gestoßen waren, und außer einigen kleinen Makeln war alles tipptopp. Die Brücke war prima in Schuss, so viel stand fest. Sie war verriegelt worden, aber sie hatten eine Schlüsselkarte aufgetrieben, die ihnen den Zugang ermöglichte. Auch dort fand sich kein einziger Infizierter. »Das wäre klasse, weil uns auf den großen Booten der Platz ausgeht.«

Als Kirby zu einer der wasserdichten Türen schlenderte, legte ihm Faith eine Hand auf den Arm.

»PFC? Zombies mögen keine ...?«

»... unhöflichen Menschen, Skipper«, beendete Kirby die Floskel und hämmerte mit dem Gewehrkolben seines M4 gegen die Luke.

Sie hatte ihn gefühlt schon mehrere Hundert Male daran erinnert.

Als Antwort erklang aus einiger Entfernung ein leises Scheppern.

»Ich glaube, wir haben Kundschaft«, freute sich Faith. »Öffnen, PFC.«

Der nächste Korridor wäre außerordentlich eklig gewesen, wenn sie nicht längst alles gesehen hätte. Inzwischen werteten sie es sogar als gutes Omen. Fünf-Gallonen-Eimer, einst gefüllt mit Nahrungsmitteln, waren bis zum Rand voll mit Scheiße und Pisse. Tote Körper reihten sich an der Schottwand aneinander. Ein sicheres Anzeichen für Überlebende. Es waren vier Tote, noch immer angezogen. Sie wusste, was das bedeutete. Es war einer von Millionen von Gründen, warum sie hoffte, niemals in einer Kabine eingeschlossen zu werden.

»Ich werde die Luke jetzt öffnen«, warnte sie die Insassen. »Ich werfe ein Knicklicht hinein, damit sich Ihre Augen langsam an die Helligkeit anpassen können!«