23
Wenn sich ein Soldat auf dem Schlachtfeld umdreht, bekommt er nicht seinen First Sergeant, Sergeant Major, Company Commander oder Battalion Commander zu Gesicht ... nicht einmal seinen Platoon Sergeant! Er wird seinen Sergeant sehen ... oder den Squad Leader, Crew Chief, Team Leader, Tank Commander ... und dieser NCO wird ihn hauptsächlich anleiten, beraten, ermahnen und ihm auf diesem Schlachtfeld ein Gefühl von Sicherheit und Orientierung geben.
General Paul F. Gorman, U. S. Army
»Setzen Sie sich, Gentlemen.« Steve tippte mit dem Finger gegen seinen Monitor. »Ich bin sofort für Sie da ...«
Einen Moment später musterte er die Anwesenden und zog die Stirn in Falten.
»Früher habe ich Zombies gekillt. Inzwischen wühle ich mich die meiste Zeit durch Tabellen und lese Berichte. Wer von Ihnen ist Chief Petty Officer Kent Schmidt im Ruhestand?«
Beide Männer vor ihm gingen offenkundig schon auf die 60 zu. Sie ähnelten einander nicht, zumindest nicht optisch, doch man hatte ihm nur die Namen genannt.
»Ich, Sir.« Schmidts Stimme klang, als rieben Kieselsteine aneinander. Er hatte silbergraues Haar, dunkelbraune Augen, beinahe schwarz, und eine kompakte Statur.
»Dann sind Sie Sergeant Major Raymond Barney im Ruhestand, aus der Königlichen Armee Ihrer Majestät.« Steve betrachtete den zweiten Mann genauer. Er wirkte, als sei er vormals stämmig gewesen. Eingefallene Wangen, ein erst vor Kurzem rasierter Schädel.
»Ja, Sir«, antwortete der Sergeant Major.
»Es gibt eine Million Orte, an denen ich hier im Haupt-Squadron zwei ehemalige Senior NCOs einsetzen könnte. Bei Gott, wir haben Ihre Erfahrung nötig. So weit, so gut, wir ... können Sie bei unserer Flottille zur Küstenräumung einsetzen. Sie ist mittlerweile ein wenig zu groß geworden, um von einem Navy Lieutenant verwaltet werden zu können, und sie haben erst kürzlich den Anführer ihrer Bodentruppen verloren, der über beträchtliche Erfahrung verfügte. Ein Tank Specialist. Aktuell ihr bester Mann, denn alle Marines sind gerade mit der Räumung der Kreuzfahrtschiffe beschäftigt. Sergeant Major, haben Sie Erfahrung mit dem BMG Kaliber 50?«
»Wir haben sie auf unseren Ferrets eingesetzt, Sir«, antwortete Barney. »Ausgiebig.«
»Ich verfüge ebenfalls über Erfahrungen mit dieser Waffe, Sir«, meldete sich Schmidt. »Auf dem Meer. Ich nehme an, dass Sie sie ebenfalls auf dem Meer einsetzen.«
»Auf kleinen Booten ...«, bestätigte Steve seine Annahme. »Jachten und Fischtrawler, die wir zu Kanonenbooten umfunktioniert haben ...«
»Hört sich an, als seien wir im Krieg, Sir.« Barney zog eine Augenbraue nach oben.
»Meine Magisterarbeit beschäftigte sich mit der Verteidigung von Malta.« Steve legte die Hände auf den Schreibtisch. »Ich bin mit dem Einfallsreichtum der britischen Marine vertraut, die sie zu Anfang der Kampfhandlungen an den Tag gelegt hat, Sergeant Major. Sehr gut sogar. Die Flottille braucht erfahrene Köpfe. Wenn Sie ablehnen, gibt es kein böses Blut. Wie ich schon erwähnte, habe ich viele potenzielle Einsatzmöglichkeiten für Sie beide. An vorderster Front stehen dabei die kleinen Boote. Felsen und Untiefen, mit voller Ausrüstung über die Reling in von Haien verseuchte Gewässer fallen. Auf diese Weise haben wir Anarchy verloren.«
»Ich war mein ganzes Leben lang bei den Scouts, Sir«, erklärte Barney. »Abgesehen vom schwankenden Untergrund wird das für mich wie Urlaub sein, Sir.«
»Ich habe meine Dienstzeit auf Flugzeugträgern verbracht«, sagte Schmidt. »Es gibt allerdings kaum etwas, das ich nicht über die Navy wüsste, Sir.«
»Ich möchte, dass Sie noch einige Punkte zur Kenntnis nehmen.« Steve lehnte sich zurück. »Sie können von diesen Crews keine ›Disziplin‹ erwarten. Das ist bei kleinen Einheiten unmöglich, die häufig Kontakt mit ihren Vorgesetzten haben. Sie hatten im Krieg keine motorisierten Kanonenboote und keine PT-Schnellboote. Wir haben schnelle Bootscrews. So ist das eben. Diese Leute müssen motiviert, nicht irritiert werden. Das heißt aber nicht, dass sie keine Befehle befolgen sollten, wenn Sie welche erteilen. Aber ... es gibt keine Einsätze auf Flugzeugträgern, und wir sind hier nicht bei Her Royal Majesty’s Scouts. Wir haben hier eine Horde Jungspunde, die sich freiwillig gemeldet haben, um Zombies abzuknallen, und keiner davon hat mehr als einen Tag Grundausbildung absolviert. Sie werden neben Lieutenant Chen die einzigen Profis der Flottille sein. Das kann frustrierend sein, und sicherlich wird es das auch. Leider ändert sich daran so schnell vermutlich nichts.
Zum Zweiten geht es darum, wie Sie zur Flottille kommen. Sie operiert derzeit entlang der Küste, etwa 200 Meilen von hier entfernt. Das heißt, wir müssen Sie mit einem offenen Schlauchboot dorthin transportieren. Heute herrscht kein rauer Seegang, aber Sie werden trotzdem ordentlich durchgeschüttelt werden, Gentlemen.
Der letzte Punkt: Ich weiß nicht genau, wie es dazu gekommen ist, aber die Hälfte der Seeleute und Kommandanten der Flottille sind Frauen. Einige der Kommandanten auf den Booten sind Zivilisten, manche frühere Militärs mit niederen Dienstgraden. Die Kanonenboote werden ausschließlich von Navy Ensigns und Midshipmen kommandiert, zwei der drei sind Frauen. Sie sind einverstanden, sich eine Richtung vorgeben zu lassen, doch wenn ich Sie nicht zu einem Officer machen soll, und in Ihrem Fall könnte ich das, Chief Schmidt, wird ein Großteil Ihrer Chefs und Mitarbeiter weiblich sein. Und sie sind ein ziemlich wilder Haufen. Sie wissen, wie es in den Kajüten zugeht. Das werden Sie ebenfalls in den Griff bekommen müssen. Ich vermute, durch den Verlust von Cody hat sich die Lage noch verschlimmert. Er war ein prima Kerl und alle mochten ihn. Also, Ihre letzte Chance.« Steve sah sie erwartungsvoll an. »Ja oder nein?«
»Ich brauche Dimenhydrinat für die Überfahrt, Sir«, sagte Sergeant Major Barney.
Steve bot ihm Scopolamin-Pflaster an. »Die Wirkung setzt nach etwa 20 Minuten ein und sie sind besser verträglich.«
»Sie werden sich dennoch die Eingeweide aus dem Leib kotzen«, grummelte Schmidt. »Wenn der Brite mitmacht, wie könnte ich dann ablehnen?«
»Indem Sie Nein sagen«, klärte ihn Steve auf.
»Ich bin Ire, Chief Petty Officer«, raunte Barney. »Sie sind ein Yankee.«
»Bin dabei«, grummelte Schmidt. »Melde mich zum Dienst, Sir.«
»Sergeant Major, wir haben keinen Kontakt zur britischen Regierung. Es ist mir daher nicht möglich, Ihre Einberufung zu reaktivieren, und daher kann ich Sie als britischen Staatsbürger auch nicht zu einem Sergeant Major oder Chief der US-Streitkräfte ernennen. Sie bleiben daher Zivilist, der allerdings aufgrund der herrschenden Krisensituation im Einsatz die Befehlsgewalt über militärisches Personal erhält. Es gibt Präzedenzfälle. Ich werde Lieutenant Chen darauf hinweisen, dass Sie mit Ihrem ehemaligen Rang angesprochen werden. Das Fußvolk wird keine Ahnung davon haben, was es für einen Unterschied macht.«
»Verstanden, Sir.« Der Sergeant Major wirkte mit dieser Regelung zufrieden.
»Chief Petty Officer Schmidt. Durch die Zustimmung des Acting CNO und des National Constitutional Continuity Coordinators werden Sie hiermit wieder in die United States Navy aufgenommen, für die Dauer der Kampfhandlungen ohne Rangverlust.« Steve schob ihm ein Blatt Papier zu. »Unterschreiben Sie am Ende des Formulars.«
»Ich war 43 Jahre, vier Monate und 19 Tage lang verheiratet, Sir.« Chief Smith nahm einen Füller zur Hand. »23 davon war ich in der Navy. Doreen war eine tolle Ehefrau, aber sie war nie mit meiner Berufswahl einverstanden. Sie hat gedroht, mich zu erwürgen, wenn ich jemals wieder der Navy beitrete. Ich schätze, es ist von Vorteil, dass ich mich erst nach ihrer Verwandlung dazu bereit erkläre, Sir.«
Er unterschrieb neben dem Kreuzchen.
Puerto de Gulmar war lediglich eine weitere verfluchte Stadt mit einem weiteren verfluchten Jachthafen. Mit einem Haufen beschissener Boote und noch mehr von diesen elenden Zombies. Und natürlich Haien.
»Was machst du da?« Sophia stieg gerade auf die Flybridge. Die Schussgeräusche eines feuernden M4 machten eine Antwort überflüssig.
»Ich schieße auf Haie.« Olgas Stimme bebte. Sie hielt das M4 auf die Wasseroberfläche gerichtet. »Wenn man einen trifft, kommen die anderen und zerfetzen ihn. Dann hat man eine deutlich größere Zielfläche. Sie schwimmen nicht länger am Grund des dämlichen Jachthafens und sind nicht länger außer Reichweite.«
»Olga.« Sophia wollte ihre Freundin besänftigen. »Entlade die Waffe und gib mir das Magazin.«
»Sie haben Cody gefressen!« Olga schäumte vor Wut.
»Ich hab’s gesehen. Ich hab geholfen, ihn rauszuziehen. Weißt du noch?«
»Du warst nicht dabei! Du hast seinen Tod nicht miterlebt. Er hat versucht, rauszukommen! Er hatte es beinahe ...«
»Matrosin, legen Sie die Waffe auf das Deck.« Sophia wechselte zum Kommandoton. »Legen Sie sie ab. Auf der Stelle.«
»Scheiß drauf.« Olga schleuderte das M4 weg. »Scheiß drauf. Ich hab die Schnauze voll von diesem Navy-Dreck ...«
»Olga. Setz dich.«
»Nein.« Olga verschränkte die Arme.
»Setzen Sie sich. Das war keine Bitte.«
Olga setzte sich, die Arme weiterhin verschränkt. Es sah aus, als würde sie Spucke im Mund sammeln.
Sophia hob das M4 vom Boden auf und entlud das Gewehr. Sie bemerkte, dass die Ukrainerin die Waffe vor dem übers Deck Schleudern noch gesichert hatte. Das zeigte immerhin, dass sie nicht völlig übergeschnappt war.
»Olga ...« Sophia fand keine passenden Worte. »Okay, fangen wir mit dem ›Navy-Dreck‹ an.«
»Das ist doch lächerlich. ›Aye, aye dies‹ und dieser ganze Kram, ständig nur Backbord und Steuerbord. Außerdem gehören Laken auf ein Bett!«
»So läuft das hier nun mal. Und morgen wird, wen immer wir dazu auftreiben können, in ein Beiboot steigen, hinfahren und die Überlebenden rausholen. Das betrifft auch dich. Du wirst nicht mitfahren, weil du es willst. Sondern weil ich dir den Befehl dazu gebe. Und wenn du den Befehl missachtest, Olga, werde ich dich vor das Kriegsgericht stellen.«
»Oh, danke vielmals, Sophia! Ganz klasse!«
»Du wirst sonst den Rest deiner Zeit in der Squadron mit anderen Leuten in einer kleinen Kabine zusammengepfercht verbringen, die ebenfalls Verbrechen begangen haben. Denn du hast deine rechte Hand erhoben und geschworen, Befehle zu befolgen. Du willst nicht an Land gehen. Ich weiß das. Doch entweder du tust es oder du sitzt jahrelang in einer Zelle fest. Es werden viele Jahre sein, Olga, dafür werde ich sorgen. Du wirst alt und weiß und grau sein, bevor du wieder eine Stadt wie diese zu Gesicht bekommst.«
»Ich dachte, du bist meine Freundin.« Olga fing zu weinen an.
»Das bin ich auch. Aber außerdem bin ich dein Commander. Und du wirst in dieses Boot steigen. Und du wirst ein paar dieser Jachten ›entern‹. Und du wirst diese Stadt räumen. Denn wenn ich bei dir Nachsicht walten lasse, wird keiner mehr auf die Boote steigen. Keiner wird diese Jachten holen. Und auf einer dieser Jachten werden wir mehr Menschen finden, als wir verlieren, um sie in unseren Besitz zu bringen. So sieht es aus. Kalte, erbarmungslose Mathematik. Und nur darum geht es bei diesem Navy-Dreck, wie du es nennst. Wenn so ein Einsatz wie morgen ansteht, müssen die Leute zu Aufgaben gezwungen werden, die sie nicht erledigen wollen, weil die Alternative weitaus schlimmer ist.«
»Und du wirst satt und glücklich auf dem Boot zurückbleiben?«, spuckte ihr Olga vor die Füße.
»Nein. Zumindest nicht morgen. Ich werde das Evakuierungsteam leiten. Das ist mir ehrlich gesagt viel lieber, als meinen Leuten beim Abfahren zuzuschauen. Lieutenant Chen wollte die Teamführung übernehmen, aber ich habe ihn vom Gegenteil überzeugt, nicht nur weil ich über mehr Kampferfahrung auf dem Festland verfüge, sondern auch, weil er hier auf den Booten nötiger gebraucht wird. Ich möchte sicherstellen, dass sie noch hier sind, wenn wir zurückkommen. Willst du wissen, was ich mir wünsche? Einen Hafen zu finden, in dem es nicht von Haien wimmelt. Mich in die Sonne zu legen und etwas Rum zu schlürfen, vielleicht ein wenig zu tauchen. Aber das wird in absehbarer Zeit nicht geschehen.
Stattdessen werden wir losziehen und nach verzweifelten Menschen suchen, die jede Hoffnung aufgegeben haben. Damit in einigen Wochen einige von ihnen zurückkehren und uns hoffentlich dabei helfen, weitere zu retten. Und eventuell, aber nur ganz eventuell, finden wir genug von ihnen, um uns eines Tages auf die Suche nach jenem Strand zu machen, dessen Sand nicht aus schwarzer Vulkanasche besteht und vor dem keine Haie lauern, die unsere Freunde fressen. Dann können wir uns dort ein Gläschen Rum genehmigen und in Erinnerungen an Cody schwelgen.
Jetzt ist allerdings erst mal dieser ›Navy-Dreck‹ angesagt. Kalte, erbarmungslose Mathematik. Du wirst morgen in dieses Beiboot steigen, in einem Hafen, in dem es von Haien nur so wimmelt, und Jachten ›entern‹. Wenn du Cody wirklich die Ehre erweisen willst, reiß dich verdammt noch mal zusammen, statt blind Haie abzuknallen und sie auf diese Weise sogar noch zu füttern. Die korrekte Antwort lautet jetzt ›Aye, aye, Ensign‹.«
»Aye, aye, Ensign.«
»Noch eine letzte Frage. Wenn du ins Wasser gefallen wärst und jetzt Cody hier sitzen würde. Was glaubst du, hätte er morgen getan?«
Olga dachte einen Moment lang nach.
»Er wäre in das Beiboot gestiegen«, erwiderte sie schließlich.
»Denn Cody ging es immer um die gottverdammte Mission.« Sophia schluchzte.
»Ach, fang du nicht auch noch zu flennen an. Wenn du jetzt weinst, werden wir niemals was zu Ende bringen.«
»Es muss einfach raus. Jetzt bleibt uns nichts anderes übrig, als den Köder auszulegen.«
»Ich hätte ihn flachlegen sollen. Hatte ich sowieso vor. Ich habe die Unnahbare nur gespielt.«
»Egal, das ist Vergangenheit. Heute Abend ... Tja, ich werde morgen mit einem Kater räumen müssen. Lass uns Totenwache halten ...«
»Verfluchte Scheiße.« Sergeant Major Barney war froh, dass das schnelle Militärschlauchboot abbremste. Sie waren fast die ganze Nacht mit Vollgas über das Meer gebrettert, aber eigentlich eher von Wellenkuppe zu Wellenkuppe gesprungen. Und das beim besten Willen nicht kontrolliert. Barneys Nieren fühlten sich an, als ob sie seit einer Woche bluteten. Zumindest war die ›Flottille‹ endlich in Sicht, die einzigen elektrischen Lichter, die er seit der Abfahrt aus Teneriffa zu Gesicht bekommen hatte. »Und ich dachte bisher, der Eiertanz auf den Ferrets sei der Gipfel an Unbequemlichkeit. Ich hoffe, das muss ich nicht noch mal durchstehen.«
»Man muss das Meer lieben, Mick.« Chief Schmidt hatte die meiste Zeit der Überfahrt wie ein Baby geschlummert, zumindest hatte er diesen Anschein erweckt. »Stellen Sie sich vor, es wäre Ihre Mutter. Die Ihnen gerade den Arsch versohlt.«
»Ach, ja, nun versteh ich das Ganze etwas besser, Yankee, ich danke Ihnen vielmals. Aber wie kommen Sie damit klar? Ich hatte eine Mutter und einen Vater.«
»Flottille, hier Fast 29.«
Das Kind, das das Boot lenkte, war, na ja, eben ein Kind. Er schien höchstens zwölf Jahre alt zu sein. Aber offensichtlich wusste er, was er da tat. Zumindest hatte er die Flottille gefunden.
»Ach, kommt schon«, entrüstete sich der Kleine. »Jemand muss das Funkgerät doch hören, oder?«
Als sie sich näherten, hörten sie Musik. Laute Musik. Auf dem Deck tanzten Menschen. Es glich eher einer Party als einer militärischen Operation.
Die Zombies wollten offensichtlich ebenfalls mitfeiern. Die Flottille bestand aus zwei Gruppen, eine beim Jachthafen und die andere an der Küste weiter nördlich. Die Zombies strömten sowohl über den Jachthafen als auch über die Ufergebiete und versuchten ganz offensichtlich, die feiernden Menschen zu erreichen.
»Hey, was geht ab?«, krächzte eine lallende Stimme aus dem Lautsprecher des Funkgeräts. »Was bedeutet denn Fast 29? Klingt wie eine Band ...«
»Ein Schnellboot stößt zu Ihrer Party, over«, meldete der Kleine. »An Bord ist Verstärkung von der Squadron.«
»Echt, weiß ich gar nix von. Einen Moment ...«
»Was ’n los?«
Die neue Stimme gehörte einer Frau. Eindeutig besoffen.
»Hier ist Schnellboot 29«, meldete sich der Junge erneut. »Von der Squadron, okay? Ich bringe Nachschub.«
»Klasse. Hey, hey, Paula. Hol die Signalpistole. Fahr’n Sie zu den Kähnen beim Jachthafen. Am besten zu dem, der das Leuchtgeschoss abfeuert. Einfach daneben festmachen. Wir halten hier ’ne astreine Totenwache für Anarchy ab.«
Der Dialekt ließ sich zweifelsfrei dem tiefsten Süden zuordnen. Die schleppende Sprechweise und die undeutliche Aussprache erschwerten es, überhaupt etwas zu verstehen. Hol’ie Siegnahlpiestohle. Faahr’n Sie zuh dähn Käähnen beim Jaachthaaf’n.
»Roger«, bestätigte der Kleine. »Äh ... Fast 29, out. Ich glaube, wir sollen in Richtung Leuchtsignal fahren, Sirs.«
Der Chief senkte den Kopf, als er mit ›Sir‹ angesprochen wurde. Es war vollkommen unangebracht.
Im Hafen ankerten drei Jachten und zwei Kanonenboote, die im leichten Wellengang schaukelten. Als sie näher kamen, wurde auf einem davon ein rotes Leuchtgeschoss abgefeuert. Dann noch eins. Ein weiteres flog in Richtung der Zombies an der Küste. Es landete genau zwischen ihnen und traf einen der Infizierten. Der Rest wich vor der Flamme zurück, machte Jagd auf den Verwundeten und warf sich auf ihn, um ihn aufzufressen. Die anschließende Vernichtung erinnerte an eine Szene aus Dantes Inferno. Der rote Lichtschein diente als perfekte Kulisse.
Von den Jachten erklangen Gejohle und Applaus. Kaum zu hören zwischen den Klängen von Welcome to the Jungle, das mit ohrenbetäubendem Lärm herüberschallte.
Eine Salve von einem der Kanonenboote folgte. Anfänglich richtete sie sich auf die Infizierten. Auf einmal tauchte der Feuerstoß nach unten ins Wasser ab, schwenkte abrupt hoch auf ein imaginäres Flugzeug. Dann wieder zurück auf die Infizierten, die sich unverdrossen zum Fressen zusammendrängten. Die Leuchtspurmunition prallte von den Felsen ab und schwirrte laut zischend durch die Luft. Gott allein wusste, wo die übrigen Kugeln einschlugen. Es folgten weitere Schreie.
»Oh, verdammte Scheiße.« Barney schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Okay, ich kann mit ein wenig ungehobeltem Verhalten leben.« Chief Schmidt drehte sich zu ihm um. »Aber sind wir hier die U. S. Navy oder ein Haufen verdammter Hadschis?«
»Genau das ist mir eben auch durch den Kopf geschossen, Chief.« Der Sergeant Major biss sich auf die Unterlippe. »Die hören gar nicht mehr auf mit Schießen.«
»Äh, soll ich längsseits festmachen?«, plapperte das Kind dazwischen. »Werden Sie rüberklettern?«
»Fahren Sie zum Transom Deck«, gab der Chief Anweisung. »Dort geht man gewöhnlich an Bord.«
»Das Trans... ach, ich mach das selbst!« Chief Schmidt löste den Sicherheitsgurt und übernahm das Steuer. »Mach einfach die Leinen fertig.«
»Geht klar«, antwortete das Kind ergeben.
»Die richtige Antwort lautet ›Aye, aye, Chief Petty Officer‹«, schnauzte ihn Chief Schmidt an. »Außerdem bin ich kein ›Sir‹. Ich arbeite für meinen Lebensunterhalt.«
»Ja, S... OK ...«
»Antworten Sie mit ›Ja, Chief Petty Officer‹«, korrigierte der Sergeant Major.
»Okay.«
»Ich würd ja weinen, aber das Meer besteht bereits aus den Tränen der Menschheit«, verkündete der Sergeant Major.
Ein paar der Leute auf der Party fingen die Leinen auf und machten das Boot fest.
»Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen?«, erkundigte sich der Chief Petty Officer. An Deck schien sich kein Officer zu befinden. Eigentlich war nicht auszumachen, wer hier welchen Rang bekleidete. Jeder trug Zivilkleidung, die meisten eine kurze Hose und T-Shirt oder Hawaiihemd. Einige der jungen Mädchen hatten lediglich ein Bikinioberteil an.
»Logisch«, begrüßte sie eine Frau. »Wir haben uns schlaugemacht. Sie können reden und Sie tragen was zum Anziehen, also sind Sie kein Zombie. Kommen Sie rüber. Was wollen Sie trinken?«
»Einen Drink würde ich nicht ausschlagen«, antwortete der Chief. »Es sieht allerdings so aus, als hätte diese Crew schon genug gehabt.«
»Nicht mal annähernd«, brüllte die Frau über die Musik hinweg. »Wir halten eine Totenwache für Anarchy ab. Außerdem locken wir damit die Zombies an. Wer seid ihr Jungs eigentlich?«
»Chief Petty Officer Kent Schmidt«, stellte sich Chief Schmidt vor. »Und Sergeant Major Raymond Barney. Wir kommen als Chief of the Squadron und Sergeant Major der Räumungsstreitkräfte an Bord.«
»Das ist ja cool.« Die Frau streckte ihm die Hand hin. »Paula Handley, gerade erst zum Skipper der Linea Caliente befördert. Freut mich, Sie zu sehen, Jungs. Wir haben ein paar Leute mit Erfahrung dringend nötig. Vor allem seit ...« Sie schluchzte und suchte ihren Drink. »Hey, folgen Sie mir in den Aufenthaltsraum. Ich bring Ihnen ein Bier ...«
»Ist Lieutenant Chen an Bord?«, brüllte Chief Schmidt. »Wir sollen uns bei ihm melden.«
»Ich denke, er ist mit Soph auf dem Sonnendeck«, gab Paula Auskunft. »Gehen Sie einfach rauf. Ich denke, die haben da oben sowieso ein paar Flaschen.«
»Okay«, schrie Chief Schmidt zurück.
Sie gingen über die Decksaufbauten zum Sonnendeck. Da saßen vier Leute im Halbdunkel und ließen eine Flasche kreisen.
»Ist ein Lieutenant Chen anwesend?«
»Hier«, meldete sich einer der Männer. »Sind Sie die Neuen?«
»Chief Petty Officer Kent Schmidt, Sir«, rasselte Chief Schmidt die Namen und Ränge erneut herunter. »Und Sergeant Major Raymond Barney von den leichten Pferden Ihrer Majestät.«
»Leichte Kavallerie, Sie Fatzke«, brummte Barney.
»Setzen Sie sich zu uns, Chief, Sergeant Major.« Chen deutete auf eine freie Stelle auf dem Deck und versuchte, nicht allzu alkoholschwanger zu sprechen. »Sie wundern sich wahrscheinlich über die Party.«
»Wenn ich es recht verstanden habe, ist das eine Totenwache für Ihren Commander des Räumungstrupps.«
»So in etwa. Wir veranstalten so was ziemlich regelmäßig. Allerdings nicht mit einer derartigen Hemmungslosigkeit.«
»Mit allem gebotenen Respekt, Sir, hoffe ich, dass Sie normalerweise nicht so freizügig mit den Salven umgehen.« Sergeant Major Barney schielte zu dem Geschütz.
»Hängt davon ab. Ich gab Befehl, das Feuer einzustellen, als die Schützen nicht mal mehr eine Scheune getroffen hätten, so besoffen waren die. Wir sollten das Briefing eigentlich auf morgen verschieben, aber da haben wir einen Einsatz. Es läuft so. Wir fahren mit den Booten zu diesen kleinen Küstenstädten. Wir ankern über Nacht an Stellen, von denen wir ungehindert auf die Küste zielen können. Dann drehen wir die Musik auf, feuern Leuchtmunition ab, schalten sämtliche Scheinwerfer ein und, klar, feiern auch oft eine kleine Party. Im Morgengrauen knallen wir die Zombies ab, die wir auf diese Weise an die Küste gelockt haben. Dann fahren wir näher ran und holen uns entweder ein paar Boote oder räumen die Stadt, was sich eben ergibt. Ich weiß noch nicht recht, ob wir diese Stadt morgen räumen werden. Wir müssen allerdings den Hafen räumen und uns alle großen Jachten krallen. Wie nennt man das im Navy-Jargon, Chief?«
»Meinen Sie einen Enterfeldzug, Sir?«, hakte der Chief nach. »Ich schätze, das haben wir seit dem Krieg 1812 nicht mehr gemacht. Wenn überhaupt.«
»So lautet jedenfalls unser aktueller Auftrag.« Chen nahm einen Schluck aus der Flasche. »Den Uferbereich räumen und Jachten entern. Die Jachten werden anschließend bestmöglich anhand der Rangfolge zugeteilt. Dann geht es in die nächste Stadt, die Party steigt, einseifen, spülen, alles wieder von vorn. Hoffentlich mit möglichst wenigen Todesopfern und, darauf sind wir mindestens genauso scharf, einigen Überlebenden.«
»Ihre konkrete Aufgabe wird Ihnen morgen zugeteilt, Sergeant Major«, informierte ihn eine der Frauen. Es war die vom Funkgerät. Sie hatte einen starken Akzent. »Beim Zombiestöten sind die Leute eifrig dabei. Auch beim Haieschlachten. Sich die Boote zu schnappen, steht etwas weiter unten auf der Liste.«
»Ensign Sophia Smith«, stellte Chen die Frau vor. »Sie leitet morgen die Räumungsteams. Bei der Arbeit mit den Booten vertraue ich auf Lieutenant JG Paris, die in einer segelverrückten Familie aufgewachsen ist.«
»Hallo.« Elizabeth winkte ihnen zu. »Willkommen an Bord.«
»Bei allen anderen Angelegenheiten lasse ich mich von Seawolf beraten«, erläuterte Chen weiter. »Sie macht das schon, seit sie und ihr Vater und ihre Schwester ... Welches Boot habt ihr noch mal geentert, Sophia?«
»Die Tina’s Toy.« Sophias Worte trieften zähflüssig wie Sirup aus ihrem Mund. »Seit’em ’at Paps ’ummeln unterm ’intern.«
»Damit wäre Captain Smith gemeint«, klärte Chen die Neuen auf.
»Der Boss«, fügte Sophia hinzu. »Ich werd zu alt für diesen Scheiß.«
»Wie alt sind Sie, Ma’am?«, erkundigte sich Chief Schmidt.
»15.« Sophia trank aus der Pulle. »Ich bin eine 15 Jahre alte Braut, die schon mehr Leichen und abgenagte Kinder und so ’n Dreck gesehen hat, die niemand außer dem Sergeant Major dort sehen sollte. Garantiert, darauf könnt ihr einen lassen. Außerdem war ich in dem Einsatzteam, als Cody in die Brühe geplumpst ist.«
»Wir mussten sie davon überzeugen, dass sie keine Schuld daran trägt.« Chen schnaufte hörbar durch.
»Ich finde, ihr wolltet es euch alle selbst einreden.« Sophia nahm noch einen Schluck. »Mir ist klar, dass ich nichts damit zu tun hatte. Es war einfach ... na ja, solche Scheiße passiert halt.«
»Keine Schwimmweste, Ma’am?«, fragte Chief Schmidt.
»Nö.« Sophia vollführte eine wegwerfende Handbewegung. »Bringt nichts. Haben wir ausprobiert. Mit einer Typ 3 kann man nicht arbeiten, da kommt man nicht mehr an die Ausrüstung ran. Wir tragen ballistischen Marine-Schutz, nicht diese Navy-Splitterschutzwesten. In Verbindung mit dem Gewicht der Munition und der Montur kommt man mit einer aufblasbaren Schwimmweste nicht weit. Und wenn es einen in die Suppe zwirbelt, muss man zuerst die Ausrüstung loswerden. Bei einem schpeziellen ... schezipellen ... komplizierten Einsatz, wenn wir etwa ’ne Sturmleiter hochklettern müssen, verwenden wir Schwimmkissen und ein Sicherheitsseil. Schwimmkissen, wenn’s möglich ist. Er hat aber grad ein verschissenes Schlauchboot geentert und ist dabei ausgerutscht. Das war’s dann schon. Rusty und Olga haben gesehen, wie er auf dem Meeresgrund zu Hackfleisch zerfetzt wurde.«
»Zum Teufel.« Barney wurde mulmig.
»Dann haben wir ihn mit einem Enterhaken rausgefischt.« Sophia hob erneut die Flasche. »Was noch übrig war. Das war übrigens heute Nachmittag, Chief. Sergeant Major. Daher werden Sie uns hoffentlich nachsehen, dass wir uns mit echt leckerem Alk volllaufen lassen. Was wollen Sie sich eigentlich hinter die Binde kippen? Wenn einer von Ihnen ›Ich trinke nicht‹ antwortet, bei Gott, dann werd ich zusehen, ob Sie schneller als die verfluchten Haie schwimmen.«
»Ich frage mich gerade, ob ich nach wie vor trockener Alkoholiker bin«, sagte Chief Schmidt. »Vor 24 Jahren überzeugte mich meine Frau, dass ich ein Problem mit dem Zeug habe. Andererseits ist sie inzwischen nicht mehr unter uns. Aber lassen Sie sich von mir den Spaß nicht verderben, Ensign.«
»Ich nehm’s zurück, Chief«, entschuldigte sich Sophia. »Ich werd ihnen einen Eistee bringen, den ich normalerweise für meine Schwester aufhebe. Wir haben auch Cola.«
»Coca-Cola wär toll, Ma’am. Normalerweise würde ich antworten, dass ein Officer keinem Chief eine Cola holen sollte, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich ohne fremde Hilfe wieder auf die Beine komme.«