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Rabun Gap, Georgia, Sol III

1453 EDT, 28. September 2014

Here's health to you and to our corps

Which we are proud to serve;

In many a strife we'vefoughtfor life

And neuer lost our nerve;

Ifthe army and the navy

Ever look on heaven's scenes;

They will find the streets are guarded by

UNITED STATES MARINES.

Marine Hymn

Ich wünsch dir Gesundheit, dir und unserem Korps,

dem wir dienen voll Stolz;

in so manchem Streit haben wir ums Leben gekämpft

und dabei nie den Mut verloren;

Wenn je die Amy und die Navy

Das Geschehen im Himmel betrachten,

werden sie feststellen, wer dort die Straßen bewacht:

die UNITED STATES MARINES.

Hymne der Marines

Gunny Pappas rutschte in das Schützenloch und sah sich um. Der Erdwall davor war teilweise von dem Treffer eines HV-Geschosses weggewischt worden, das dem Soldaten zum Verhängnis geworden war, der das Loch gegraben hatte. Der Panzer des Toten lag irgendwo hinten in einem Loch, aufgehäuft mit dem Rest seiner unglücklichen Kameraden, die an diesem Tag gestorben waren.

Pappas rechnete nicht damit, es auch in diese Grube zu schaffen.

»Bataillon, massierter Beschuss.«

Die Posleen strömten immer noch durch den schmalen Spalt zwischen den Bergen, aber jetzt wesentlich langsamer, und das Bataillon hatte seinen Beschuss etwas zurückgenommen, um Munition und Energie zu sparen. Aber jetzt eröffneten sie wieder aus allen Rohren das Feuer und füllten den schmalen Pass mit silbernen Blitzen.

Die Posleen hatten aus ihren Toten bereits einen Wall errichtet, der an manchen Stellen mannshoch war und über den sie sich hinwegquälten und versuchten, den schrecklichen Anzügen zuzusetzen. Sie hatten sich auch von hinten an den Wall herangemacht, noch funktionsfähige Waffen geborgen und Fleischstücke herausgerissen, um sie den weiter hinten Wartenden als Proviant zu liefern. Jetzt stellten sie diese Bemühungen ein, denn es war offenkundig, dass hier etwas im Gange war, und jeder Posleen in Reichweite fing an, über den Wall zu klettern und auf die von den Anzügen gebildete Front vorzustürmen.

Doch das ließen die GKA nicht zu. Die silbernen Strahlen pickten sich die Gottkönige heraus und wanderten dann planmäßig hin und her, jeder Soldat bestrich den ihm zugeteilten Sektor, wischte weg, was über den Wall kam, und fügte es den zerstückelten Leichen der Aliens zu, die dort zwischen ihren Brüdern lagen.

Als der Angriff wieder ins Stocken kam, hörte Pappas das zweite Kommando.

»Bewegungsfähiges Personal zurückziehen und neu formieren.«

Pappas schob ein frisches Magazin in seine Waffe und setzte den Beschuss fort, während die grünen Punkte der sich zurückziehenden Gruppe auf seiner Taktikkarte nach hinten wanderten. Sie bewegten sich schnell, sprangen aus ihren Löchern und rannten in langen Sprüngen nach hinten. Dennoch und obwohl die fünfzehn Soldaten unbeirrt weiterfeuerten, sah er, wie ein Anzug rot wurde. Dann zwei, fünf. Aber das war der Letzte, dann war der Rest des Bataillons um die Bergflanke herum verschwunden und damit auch auf seinem Bildschirm nicht mehr zu sehen.

Die Posleen waren nicht untätig geblieben. Als die ersten Rufe ertönten, dass die Anzüge im Rückzug begriffen waren, verdoppelten die hinter dem Wall aus Leichen zum Stocken gekommenen Verbände ihre Bemühungen, dem Bataillon näher zu rücken, zwängten sich über den Haufen und durch die Lücken zwischen den Gefallenen.

Sie wurden beschossen, aber nicht ausreichend. Trotz des Sperrfeuers der vorne gebliebenen Anzüge rückten immer mehr Posleen vor.

»Mhm, da dum«, murmelte Pappas, zog ein weiteres Magazin heraus und schob es in seine Waffe. »If the Army and the Navy ever look on heaven's scenes…« Die Posleen drückten jetzt massiert nach vorne; ein massiver Block hatte den Wall aus Leichen hinter sich gebracht. Die meisten hatten inzwischen die Schrotflinten und Railguns weggelegt und zogen ihre Bomasäbel, während das Feuer der verbliebenen Anzüge sie immer noch hinmähte wie ein Schnitter den Weizen. Aber jede Garbe, die fiel, kam näher. Fünfzig Meter, dreißig, zehn, fünf.

»If the Army and the Navy ever look on heaven's scenes…«, summte er, als das erste Normale sein Loch erreichte. Er zerfetzte es mit einem Schwall aus silbernem Feuer, aber schon war das Nächste da, und eines dahinter, rings um ihn waren sie jetzt, und sein Magazin fiel heraus. »… they will find the streets are guarded by United States Marines.«

Tommy hatte es geschafft, Wendy für einen Augenblick beiseite zu nehmen, während die beiden Sensenmänner auf der Hügelkuppe die Behälter hintereinander anordneten. Unter anderem hatten sie dazu über den Kamm klettern müssen. Aber jetzt waren die Vorbereitungen für den Abtransport des Materials über den Black Rock Mountain in vollem Gange, und er hatte einen Augenblick lang Zeit für Privates.

Am Ende trug er Wendy die letzten paar Meter nach oben, wo die Bergwand fast ins Senkrechte überging; mit genügender Energieversorgung konnte er sein Antigrav-System auf volle Leistung schalten und einfach um den Felsvorsprung herumfliegen.

»Das war ja aufregend«, sagte sie, als sie schließlich auf einer einigermaßen ebenen Fläche landeten. Es handelte sich um einen schmalen Sims, hauptsächlich Granitgestein mit ein wenig Moos und ein paar verkrüppelten Schösslingen, die aus den Felsritzen wuchsen. Ein zugiger, unwirtlicher Ort im Mondlicht, der irgendwie an Sylphen und Erdgeister erinnerte, ein Ort, wo spärliches Moos darum kämpfte, sich festkrallen zu können.

»Also, Supermann, was gibt es für ein großes Geheimnis?«

»Eigentlich kein Geheimnis«, sagte er und nahm den Helm ab, um sie mit seinen eigenen Augen sehen zu können. »Es ist nur… weißt du, wir haben nicht mehr viel Zeit.« Er hielt inne und blickte nach Süden. Von Norden her wehte eine kräftige, kalte Brise herunter, der sie voll ausgesetzt waren, trotzdem konnte er gelegentlich den Kampflärm vom Gap hören, wo die Horden der Posleen durchströmten. »Wenn wir dorthin zurückkehren… wir werden dann nicht sehr viel tun können. Bloß… uns eingraben und durchhalten. Und praktisch ist auch nichts, was man Verstärkung nennen könnte, nach hier unterwegs.«

»Du willst damit sagen, dass du, wenn du dort hingehst, nicht zurückkommen wirst?«, fragte Wendy und schob sich das Haar hinter das Ohr. Der Wind traf mit voller Wucht auf den Felssims und wurde nach oben abgelenkt. Er zupfte und zerrte an ihrem blonden Haar, ließ es nach oben fliegen.

»Ich… ja, das glaube ich, meine Liebe.« Tommy knipste eine weiße Leuchte an und sah ihr in die Augen. Sie waren von tiefem, magnetischem Blau. Es war so lange her, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, dass er beinahe vergessen hatte, wie blau. »Es war vorher auch schon schlimm. Und man musste immer damit rechnen, dass man sich eine Kugel einfängt. Aber diesmal…«

»Du hast mich also hierher gebracht, um mir zu sagen, dass du mich verlassen wirst«, fragte sie mit leiser Stimme und strich ihm wieder über das Gesicht. Das Gel der Anzüge, die so genannte Unterschicht, besorgte alles, was mit persönlicher Hygiene zu tun hatte, auch die Enthaarung. Normalerweise waren an seinem Kinn immer Stoppeln zu spüren; er hatte sich zweimal am Tag rasieren müssen. Aber jetzt, unter der Obhut seines Anzugs, war sein Kinn so glatt wie ein Babypopo.

»Ja, daran ist schon etwas«, antwortete er. »Und… du weißt, dass wir es eilig haben. Wir haben nicht viel Zeit. Aber…«

»Tommy?«, sagte sie, zog sich das Hemd über den Kopf und machte die Ösen ihres BHs auf. »Halt jetzt den Mund und sieh zu, dass du den verdammten Panzer runterbekommst.«

Mosovich versuchte nicht zu lächeln, als der Lieutenant und seine »Lady« zu ihm auf die Hügelkuppe kamen; wenn er die Gelegenheit gehabt hätte, hätte er sie vermutlich auch genutzt.

»Also, Lieutenant, es ist wirklich schön, dass Sie wieder da sind«, schmunzelte Mueller.

Tommy lächelte verlegen, aber Wendy grinste bloß. »Ich schätze, es wird Zeit, mit dem Packen anzufangen, wie? Ich hoffe nur, wir kriegen das so hin, dass es nicht auf meine blauen Flecken trifft.«

Mueller hustete, während Shari süffisant grinste. »Mir klingt das nach einer selbst zugefügten Wunde.«

»Oh, dazu hat es zwei gebraucht«, meinte Wendy und zwinkerte ihr zu.

»Wenn wir dann so weit sind…«, sagte Sunday, sah auf die Behälter und dann zu McEvoy hinüber. »Zeit, aufzuladen.«

Er wuchtete einen der Behälter an seinem Anzug hoch und befestigte ihn mit einer Gravitationsklammer, dann nahm er sich einen zweiten für die andere Seite. Er brauchte eine Weile, bis er schließlich eine Stelle fand, wo man einen dritten befestigen konnte, aber mehr ging wirklich nicht. Dann half er Pickersgill, sich ähnlich zu beladen, und ließ sich dann von den anderen eines der Energiepacks, eine Munitionskiste und die jetzt in ein Tuch gehüllte Waffenkiste aufladen.

Schließlich waren die drei Anzüge fertig; sie sahen allerdings eher wie Würmer aus, die sich mit Kisten und Kästen getarnt hatten.

Mit einiger Mühe waren Tommy und die Sensenmänner der ungepanzerten Gruppe behilflich, sich je einen Behälter aufzuladen. Sie waren schwer, knappe siebzig Kilo, und hatten keine Tragegriffe. Aber nachdem sie sie auf Rucksackgestelle geschnallt hatten, schafften sie es schließlich, sie auf den Rücken zu nehmen. Sie waren schrecklich klobig, aber mit einiger Fantasie konnte man behaupten, dass man sie tragen konnte.

»Gehen wir.« Elgars beugte sich vor und bemühte sich, den Behälter ins Gleichgewicht zu bringen.

»Pass gut auf die Kinder auf«, sagte Shari und schob sich die Last zurecht, um sie sich etwas bequemer zu machen. Aber genau genommen war das gar nicht möglich; sie spürte, wie ihr die Riemen ins Fleisch schnitten, und ihre Beine fühlten sich bereits jetzt so an, als würden sie jeden Augenblick den Dienst aufgeben.

»Mach ich«, sagte Cally und sah zu Wendy und Tommy hinüber. »Und ihr passt gut auf euch auf, ja?«

»Machen wir«, sagte Mosovich. »Und zieh den Kopf ein.«

»Wird gemacht.«

Sunday musterte seine kleine Gruppe und sah dann Elgars an. »Captain, wenn Sie so weit sind…«

»Cally, geh in die Höhle zurück«, befahl Elgars. »Gehen wir.«

Damit begann sie den langen Weg nach unten, setzten vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Wenn sie mit diesen verdammten Behältern auch nur ein einziges Mal ausglitten, würde das das Ende sein.

»Ich erinnere mich, dass ich das mal in einem Aufsatz als Berufswunsch geschrieben habe«, sagte Mosovich und schob sich erneut seine Last zurecht und versuchte sein AIW in eine bessere Position zu bekommen.

»Wie war das?«, fragte Mueller. Von der ganzen Gruppe war er der Einzige, dem die Plackerei nichts auszumachen schien.

»Sherpa«, lachte der Sergeant Major. »Ich wollte immer schon einem anderen das Gepäck über Berg und Tal schleppen.«

»Weißt du, es gibt wirklich bessere Methoden, einen Krieg zu führen«, sagte Mueller.

Dr. Miguel »Mickey« Castanuelo war ein Fanatiker.

Miguel A. Castanuelo hatte die Vereinigten Staaten zum ersten Mal vom Bug eines mit den Wellen kämpfenden, überladenen Boots aus gesehen. Und wenn es etwas Schöneres als die schwache Silhouette von Land am Horizont gab, dann war das der Kutter der Coast Guard, der genau in dem Augenblick auftauchte, als es so aussah, als würde das leckgeschlagene Boot endlich sinken.

Das Boot war eines der letzten »offiziellen« Flüchtlingsboote aus dem Kuba Fidel Castros; noch ein Monat, und alle Transporte würden verboten werden. Miguels Vater, Jose Castanuelo, war Arzt und eines der Opfer eines postrevolutionären Lieblingsspiels gewesen, das da hieß: Fang den Batista-Anhänger.

Dr. Jose Castanuelo hatte nichts mit der Batista-Regierung zu tun gehabt, aber als ein Kollege ihn als Batista-Anhänger denunziert hatte, war ihm sofort klar gewesen, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein würde, bis man ihn in ein »Umerziehungslager« sperren würde. Und um dem zu entgehen, hatte er seine Familie auf ein baufälliges Boot gepackt und versucht, in die Freiheit zu entkommen.

In den Vereinigten Staaten waren ein kubanisches Examen in Medizin und ein Doktortitel allerdings nicht viel mehr als ein interessantes Stück Papier, doch davon ließ Jose sich nie beeinträchtigen. Er fand eine Familie in Atlanta, Georgia, die ihn sponserte, und zog mit seiner Familie dorthin. Anschließend hatten er und seine Frau, die aus einer prominenten Familie stammte und bisher nie echte Arbeit gekannt hatte, Anstellung in einem Restaurant gefunden. Er besuchte Abendkurse an der Georgia State University und anschließend in Emory, während seine Kinder dank Stiftungen der Pfarrei zuerst die Grundschule Christ the King und dann die Pope Pius X High School besuchten.

Nach einer Weile stellten seine Professoren fest, dass sie da nicht etwa einen Studenten, sondern einen höchst erfahrenen Kollegen in ihrer Mitte hatten, der Opfer eines bürokratischen Albtraums geworden war. Der Rest seines Medizinstudiums verlief ziemlich glatt. Er habilitierte sich (ein zweites Mal als Doktor der Medizin), blieb in Emory und übernahm dort schließlich eine Professur. Seine Frau hatte unterdessen ein kubanisches Restaurant eröffnet, das sich großer Beliebtheit erfreute und demzufolge auch erfolgreich war. Gemeinsam hatte ihr Einkommen schließlich wieder die Höhe erreicht, wo sie vor beinahe zehn Jahren aufgehört hatten.

Miguel Castanuelo war unterdessen fast völlig amerikanisiert worden. Die hispanische Gemeinde in Atlanta war in den siebziger Jahren winzig klein, und sein Vater hatte nicht die Absicht, seinen Sohn als Bürger zweiten Grades zu erziehen. So wurde aus Miguel schnell Mickey, und er sprach zuhause selten und in der Öffentlichkeit nie Spanisch. Er spielte Football wie ein Amerikaner und unterschied sich durch nichts von den Chads und Tommies und Blakes seiner Umgebung, bis ein Stadionsprecher einmal versuchen musste, seinen Familiennamen auszusprechen. Aber in seinem Abschlussjahr auf St. Pius war das zu einem Spiel geworden. Jedes Mal, wenn der Stadionsprecher bei einem Auswärtsspiel stockte, tönte die gesamte Pius Fangemeinde: »Cast-a-new-Way!-lo!«

Schon vor dem Examen hatte er beschlossen, zum Militär zu gehen, sehr zum Missvergnügen seiner Eltern. Aber Mickey war mehr als nur amerikanisiert worden, er war zum glühenden Patrioten geworden. Alles, was in seinem Leben etwas bedeutete, verdankte er jenem Kutter der Coast Guard, die ihn und seine Familie aus der stürmischen See gerettet hatte, den Familien, die sie mit offenen Armen aufgenommen und gesponsert hatten, und der Gesellschaft, die seinem Vater eine nur allzu seltene zweite Chance gegeben hatte. Deshalb hatte er das Gefühl, dass er diesem Land etwas schuldete. Und wenn das eine Dienstzeit beim Militär bedeutete, ehe er aufs College ging, dann würde er die auch ableisten.

Doch dann hatte in seinem ersten Jahr auf der High School der Vater eines seiner Klassenkameraden im Physikunterricht einen Vortrag gehalten. Der Vater war hoher Offizier in der Navy und am Georgia Institute of Technology stationiert. Dieser Vater äußerte sich über die Chancen, die intelligente junge Männer (und Frauen) hatten, die bereit waren, sich auf ein paar Jahre bei der US Navy zu verpflichten. Die Navy war stets an jungen Leuten interessiert, die sich den akademischen Herausforderungen im Kernkraftbereich stellen wollten. Und Georgia Tech besaß eine der hervorragendsten Unterrichtsstätten für dieses Thema. Die Navy würde die Ausbildung geeigneter Männer und Frauen übernehmen, die bereit waren, dafür sechs Jahre ihres Lebens der Navy zu widmen.

Nichts hätte Miguel davon abhalten können, sich zu verpflichten.

Die Georgia Tech nahm ihn sofort mit offenen Armen auf, da er über hervorragende Examina verfügte (lediglich in Latein hatte er bloß eine Zwei), und er legte sein Examen bereits nach vier Jahren mit einem Diplom in Atomenergieerzeugung ab. Anschließend begab er sich auf die Atomkraftschule der Navy – »wo wir euch wirklich beibringen, wie man Energie erzeugt« – und trat dann in den aktiven Dienst der Flotte ein, wo man ihn in »Boomers« einsetzte, wie die Submariners ihre atombetriebenen Unterseeboote nannten, und wo er auch seine von Jugend an gehegte Freude an komplizierten Streichen auslebte.

Unglücklicherweise musste er bereits nach einem Jahr den aktiven Dienst quittieren, weil man bei ihm einen Herzklappenfehler festgestellt hatte. Da er nichts mit sich anzufangen wusste, kehrte er an die Georgia Tech zurück und habilitierte sich dort als Doktor der Kernphysik. Anschließend übernahm er einen Posten im Energieministerium, wobei er in seiner zweiten Studienphase sein Interesse von Energieerzeugung auf Waffentechnik verlegt hatte.

Am Ende fand er sich in Oak Ridge wieder, wo freilich schon seit geraumer Zeit nicht mehr Waffen hergestellt, sondern Grundlagenforschung betrieben wurde. Von Oak Ridge zog er weiter zur University of Tennessee, deren Football Team er aktiv förderte, als Georgia Tech einen betriebswirtschaftlichen Zweig einrichtete. Die UT befand sich praktisch nebenan und pflegte ständigen Austausch an führenden Wissenschaftlern mit der Regierungsbehörde. So wanderte er zehn Jahre zwischen den Instituten hin und her, wobei seine theoretischen Forschungen ihn in immer esoterischere Bereiche führten. Zumindest sah es so aus.

Als die Nachricht von der Posleen-Invasion gekommen war, hatte er zunächst geglaubt, jetzt wieder eine blaue Uniform anlegen zu müssen; das Leben an Bord von Weltraumschiffen ähnelte den Verhältnissen auf Unterseebooten in so hohem Maße, dass U-Bootfahrer von der Flotte außerordentlich geschätzt wurden. Aber stattdessen war er auf der Universität und in Oak Ridge geblieben, weil er zu der Erkenntnis gelangt war, dass er dort einen wichtigeren Beitrag würde leisten können. Die »theoretischen« Forschungsarbeiten, mit denen er sich in Oak Ridge beschäftigt hatte, galten nämlich der Herstellung und der Nutzbarmachung von Antimaterie.

Mickey hatte »grüne« Züge. Er war sich darüber im Klaren, dass die fossilen Brennstoffe sowohl beschränkt wie auch aus Umweltsicht ein Albtraum waren. Nicht so sehr wegen des stark übertriebenen »Treibhauseffekts«, dessen wissenschaftliche Basis zumindest fragwürdig war, sondern in Bezug auf Gewinnung und Verteilung; ganz zu schweigen vom Verkehr, der in Knoxville, Tennessee, genügend Dichte aufwies. Aber er war auch Realist und wusste, dass man die fossilen Brennstoffe nur dann ersetzen konnte, wenn man etwas Gleichwertiges oder Besseres anzubieten hatte. Petroleum war auf theoretischer Basis ein Mittel, um Energie zu transportieren. Hunderte Millionen Jahre früher hatten winzige Meeresalgen (nicht Dinosaurier) die Energie der Sonne in sich aufgespeichert und waren gestorben. Sie lagerten unter Kalkschichten und wurden komprimiert, und dabei entstand Petroleum. Und Petroleum war relativ leicht und billig abzubauen und zu transportieren, die Petroleumvorräte der Erde waren dagegen begrenzt.

Aus Mickeys Sicht war Antimaterie deshalb die einzig vernünftige Alternative. Man konnte sie an abgelegenen Orten unter Einsatz von Kernkraft produzieren und leicht und billig transportieren. Ein Stück Antimaterie von der Größe eines Daumennagels würde ein Automobil (oder sogar einen Flugwagen, womit das Verkehrsproblem gelöst werden könnte) praktisch ein Leben lang mit Energie versorgen. Wenn freilich die Eindämmung zerstört wurde, würde das Automobil sich in einen atomaren Feuerball verwandeln. Aber das war eine reine Frage der Ingenieurtechnik.

Das eigentliche Problem war, wie seine Kollegen nicht müde wurden zu erklären, zunächst einmal die Herstellung der Antimaterie. Solange es keine Methode gab, um sie in genügender Menge herzustellen und zu kontrollieren, bewegten seine Forschungen sich im Bereich der Science Fiction.

Als die Posleen, die Indowy, die Darhel und die Tchpth kamen, wurde schnell klar, dass seine »verrückten Ideen« alles andere als Science Fiction waren. Die Indowy konnten Antimaterie herstellen, als wäre das ein Kinderspiel, und sie außerdem in winzige Gebinde verkapseln, was gut für die Sicherheit war. Plötzlich waren sämtliche Probleme des Planeten – wenn man davon absah, dass ihm eine Invasion von Aliens bevorstand, die zu allem Überfluss noch Kannibalen waren – praktisch gelöst.

Bald sollte sich erweisen, dass die Indowy-Technik für die Herstellung von Antimaterie höchst trivial war; das war eines der wenigen Dinge an diesen neuen Technologien, die auch menschliche Theoretiker sofort begriffen. Und sie konnten Antimaterie auch eindämmen. Letzteres war wichtig. Antimaterie, die mit »regulärer« Materie in Verbindung kam, verwandelte ihre gesamte Masse in Energie. Genau diese Freigabe von Energie machte sie so reizvoll. Und was das Beste war: Man konnte sie in winzigen Mengen eindämmen. Auf die Weise würde es nicht zu einem riesigen atomaren Feuerball kommen, wenn die Einkapselung einmal nicht hundertprozentig funktionierte. Aber diese Mikroverkapselung oder Eindämmung erwies sich als kompliziert. Die Indowy wussten, wie man es anstellte, aber sonst wusste das niemand.

Doch Mickey war ein Fanatiker. Wenn ihn etwas interessierte, stürzte er sich mit voller Energie darauf. Die Theorie der Herstellung war leicht. Und die Indowy konnten mikroverkapseln. Es war also nur eine Frage des Nachbaus.

Unglücklicherweise stimmte das nicht. Nachdem er beinahe ein Jahr lang die Techniken der Indowy studiert hatte (soweit sie das zuließen), gab er enttäuscht auf. Die Indowy schienen nicht den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit zu gehorchen, und das war einfach nicht fair.

Jegliche Quantenmechanik, jegliche Chemie oder Metallurgie basiert auf Wahrscheinlichkeit. Wenn zwei Chemikalien gemischt werden, können sie sich auf verschiedene Weise rekombinieren. Aber »wahrscheinlich« ist nur eine davon. Deshalb kombinieren sich fast alle Moleküle auf diese Weise und nur eine Hand voll auf andere.

Häufig sind die »anderen« Kombinationen nützlicher. Aber sie sind auch in geradezu hysterischem Maße unwahrscheinlich. Und die Indowy bekamen diese anderen Kombinationen jedes einzelne Mal. Es war so, als würde man nicht einmal im Lotto gewinnen, sondern Jedes.Einzelne.Mal. Verrückt!

Es war die Antwort auf sämtliche Probleme. Nicht nur Mikroverkapselung, sondern auch ihre Panzerung, ihre Antriebe, ihre Energie- und Schwerkrafttechnologie. Sie alle basierten darauf, dass sie ständig und verlässlich Lottogewinne zogen. Er verstand nicht, wie sie das taten, und sie konnten es allem Anschein nach nicht in einer Art und Weise erklären, die für ihn Sinn machte. Sie »beteten« einfach, und dann passierte es.

Nun, er war ein guter Katholik, aber an die Art von Gebet glaubte er nicht. Es handelte sich einfach um eine fortgeschrittene Technik, eine neue Technologie, das war alles. Aber so sehr er sich auch bemühte, er konnte sie nicht replizieren. Also musste er wieder bei Punkt Null anfangen.

Der Schlüssel zu allem war die Mikroverkapselung. Wenn er mikroverkapseln konnte statt fossile Brennstoffe zu benutzen, konnte die ganze Welt (oder das, was zu dem Zeitpunkt noch davon übrig war) auf Antimaterie umsteigen. Sobald die Produktion gesichert war, war Mikroverkapselung so etwas wie der Heilige Gral.

Eine ganz bestimmte Theorie der Mikroverkapselung würde vielleicht funktionieren. Es gab ein Material, das sich »Fullerene« nannte, nach Buckminster Füller, dem Erfinder der geodäsischen Kuppel, und dieses Fullerene war ein sphärisches Kohlemolekül. Da jedes Kohlenstoffatom eine »Abstoßungszone« erzeugte, wurde jedes im Zentrum gefangene Molekül oder Atom automatisch von jedem Kontakt nicht nur mit den Kohlenstoffatomen, sondern auch mit dem Rest des Universums abgehalten.

Nachdem Mickey jede andere Theorie erschöpft hatte, stürzte er sich auf die Chemie und die Physik der Fullerene-Moleküle. Es gab Erkenntnisse, wie man sie produzierte und sogar, wie man sie um ein anderes Atom wickelte. Aber Fullerenemoleküle um Antiwasserstoff zu wickeln, ohne dass es zu einem Kontakt mit ihnen kam, war eine ganz andere Geschichte.

Es brauchte Zeit. Und die Prozedur war nicht ohne Tücken. Aber wenn es in Tennessee etwas gab, dann Bergleute (um Löcher in Berge zu graben und dort abseits gelegene Versuchsanlagen zu errichten), und es gab Berge. Und am Ende hatte er nur drei Berge gebraucht, um Mittel und Wege für sichere Mikroverkapselung zu finden. (Na ja, relativ sicher. Sie würden die Prozedur in nächster Zeit nicht aus Berg Nummer vier herausholen und das Ganze mitten in einer Stadt aufbauen.) Im Laufe seiner Arbeiten wurde ihm sogar einigermaßen klar, wie die Indowy es anstellten, die Physik für ihre eigenen Zwecke zu vergewaltigen. Unglücklicherweise waren diese Methoden freilich für seine Zwecke nicht zu gebrauchen.

Fullerene – ein harter Brocken. Um die Energie aus dem verkapselten Wasserstoff herauszubekommen, musste man das Fullerene zuerst »aufbrechen«, und das erforderte beinahe ebenso viel Energie, wie man bei der Explosion bekam. Es funktionierte besser, wenn man eine Kettenreaktion in Gang setzte, ein gewisses Quantum »Hyperfullerene« in ein Gefäß brachte und (gewöhnlich durch das Einbringen von Antiprotonen) ein kleines Quantum davon zerstörte, wodurch dann der Rest aufgebrochen wurde.

Unglücklicherweise war es recht schwierig, das richtige Quantum zu bestimmen. Nach den ersten Schwierigkeiten dieser Art und auf Wunsch des Verwaltungsrats der University of Tennessee verlegten sie das neue Labor in einen anderen Berg, bis das Gebäude wiederhergestellt war. Und irgendwie konnte er sich auch nicht vorstellen, dass Ford oder General Motors bereit sein würden, einen »Kettenreaktionsmotor« in ihre Fahrzeuge einzubauen. Im Grunde hatte er also nicht viel mehr als eine Hand voll schwarzen Staub, den zur Explosion zu bringen schier unmöglich war. Aber wenn eine solche Explosion zustande kam, dann nahm sie einem den Atem.

Was er hatte, war also ein Sprengstoff und nicht etwa ein Treibstoff. Und hatte er eigentlich das Strahlungsproblem schon erwähnt?

Wenn die ersten Kohlestoffatome zur Reaktion kamen, wurden sie nicht voll aufgezehrt und gaben einen Schwall von Alpha- und Betapartikeln und ein wenig Gammastrahlen ab (»Der Castanuelo Kettenreaktionsmotor?« Nein, Ford und General Motors würden davon wirklich nicht begeistert sein.) Außerdem hatte die Heftigkeit der Explosion auf atomarem Niveau zu allem Überfluss zur Folge, dass einige Kohlenstoffatome der Umgebung chaotisch miteinander verschmolzen. Das Ergebnis war, dass sehr »heißes« radioaktives Material versprüht wurde, Material, das tödlicher, wenn auch nicht so langlebig wie üblicher atomarer Fallout war.

Na schön, und an dem Punkt waren dann die Posleen aufgetaucht. Und sie schienen genau die Art von Leuten zu sein, die sich einen sehr heißen, radioaktiven, von Antimaterie angetriebenen Empfang verdient hatten. Unglücklicherweise war das Weiße Haus da anderer Ansicht. Und so stand er jetzt mit diesem erstaunlich stabilen Zeug da, das binnen einer Nano-sekunde die halbe Osthälfte der Vereinigten Staaten (er hielt es nicht für sinnvoll, sobald der Prozess einmal befriedigend lief, die Produktionsanlage zu schließen) in eine radioaktive Wüste verwandeln konnte. Obwohl das Zeug nur ein oder zwei Tage richtig heiß war. Theoretisch betrachtet schien das die ideale Flächenwaffe zu sein.

Und, wie schon erwähnt – Miguel war ein Fanatiker.

»Sie haben ein was?« Jack Horner pflegte seine Stimme nur selten anzuheben, und deshalb war es umso überraschender, wenn er es einmal tat.

»Wir reichen bis zum Gap.« Gerald Carson, der Präsident der University of Tennessee, war nicht davon erbaut, dieses Gespräch führen zu müssen, aber man hatte ihm eine Frage gestellt und deshalb beantwortete er sie. Ruhig, höflich, auch wenn ihm die Schweißtropfen dabei über das Gesicht rannen.

»Wir haben ein Geschützprojekt«, fuhr er fort, als der General ihm aufmunternd zunickte. Da die Posleen offenbar nicht imstande waren, ballistische Projektile zu treffen, arbeitete praktisch jede technische Lehranstalt an einem solchen Projekt. »Eines mit hoher Reichweite. Letzten Monat haben wir damit ein 25-kg-Objekt auf niedrigen temporären Orbit gebracht. Es handelt sich um ein umgebautes Superbull, 300-mm. Und dann haben wir auch diesen Professor mit seinem Nuklearprogramm, Mickey Castanuelo. Er ist… also, vor dem Erstkontakt galt er als Spinner, weil er so auf Antimaterie fixiert ist. Seit dem Erstkontakt arbeitet er wie ein Irrer an Produktion und Eindämmung, und deshalb hat ihm die Forschungsabteilung der Landstreitkräfte einen Blankoscheck ausgestellt. Er hat an Energiesystemen gearbeitet.«

»Dann haben also wir das bezahlt?«, fragte Jack.

»Ich weiß nicht genau, woran er forschen sollte«, meinte der Präsident unter heftigem Stirnrunzeln, »aber am Ende hat er eine Methode für die Mikroverkapselung entwickelt. Unglücklicherweise war sie vom Energiestandpunkt aus unbrauchbar. Aber er hat zuerst an Kernenergie, dann an Waffen und dann wieder an Kernenergie gearbeitet, und deshalb vermute ich, dass er am Ende wieder an Waffen gearbeitet hat. Und offensichtlich ist er irgendwie an die Daten für das Supergeschütz gekommen, also hat er sich darangemacht, eine Antimaterie-Streubombe zu entwickeln…«

Cally verließ die Höhle, setzte sich auf den Sims davor und blickte den langen Abhang hinunter in das ferne Tal. Sie hatte das Terrain auf dieser Seite des Berges bisher noch nie so richtig angesehen, sodass ihr dies jetzt als ein guter Zeitpunkt dafür erschien. Die Erwachsenen würden schließlich eine ganze Weile nicht zurückkehren.

Im Norden war ein weiterer Bergkamm zu sehen, der das enge Tal vor ihr flankierte. Das Tal bog nach Westen ab und dann wieder nach Süden, ehe es das Rabun-Tal ein kurzes Stück vor der Schule von Rabun-Nacoochee erreichte; der Flusslauf im Tal schlängelte sich durch das ehemalige Schulgelände, ehe er das Quellgebiet des Tennessee erreichte.

Im Westen dehnte sich eine weitere Reihe von Bergrücken, die am Ausgang des Tales, unmittelbar unter ihrem gegenwärtigen Standort, messerscharfe Kämme bildeten. Selbst dort gab es ein paar Bäume, die freilich bei den starken Winden der unmittelbaren Vergangenheit fast alle Blätter verloren hatten. Etwas unter ihr flog ein rotschwänziger Falke dicht über den Bäumen, vielleicht dreißig Meter unter ihr, und sie sah, wie er bedächtig seine Kreise zog, bis er schließlich hinter dem Kamm verschwand.

Als der Falke dicht vor dem Nordkamm war, nahm sie zwischen den Bäumen eine Bewegung wahr und zog ihren Feldstecher hoch, um genauer sehen zu können. Zuerst wirkten die Gestalten dort unten wie eine Reihe Rehe, die sich dem Kamm näherten, aber dann passten sich ihre Augen der Perspektive an. Und Rehe trugen nur in Cartoons Waffen.

»Oh Scheiße«, murmelte sie.

Es war eine Gruppe Posleen mit einem Gottkönig, der seine Untertasse verlassen hatte. Wenn sie sich in die Höhle zurückzog, würden die Posleen wahrscheinlich daran vorbeiziehen, ohne sie zu entdecken. Andererseits waren seit dem ersten Angriff keine Posleen in der Gegend gewesen, und diese Gruppe hier befand sich wirklich an einem seltsamen Ort; im Allgemeinen waren die Posleen bemüht, bergiges Gebiet zu meiden. Es musste also einen Grund dafür geben, dass sie hier waren.

Und das einzig sinnvolle Ziel in der Umgebung war das Nachschubteam.

Die Posleen kamen im Bergland nicht besonders schnell voran, aber sobald sie einmal unten im Tal waren, würden sie wesentlich schneller werden. Und so wie das Team sich mit diesen riesigen Behältern beladen hatte, hatten sie nicht die geringste Chance, ihnen zu entkommen, selbst wenn sie wussten, dass sie kamen. Was nicht der Fall war.

Sie stand auf und ging in die Höhle zurück und sah sich nach den Kindern um. Nach ein paar Augenblicken hatte sie ihre Entscheidung getroffen. Keine Entscheidung, über die sie froh war, aber die einzige, die unter den gegebenen Umständen Sinn machte. Manchmal musste man eben dem Namen O'Neal gerecht werden, selbst wenn man nur ein dreizehnjähriges Mädchen war.

»Billy, ich gehe mal kurz weg«, sagte sie, griff nach ihrem Panzer und schlüpfte hinein.

»Ich dachte, du solltest hier bleiben«, erwiderte der Junge und sah ihr zu, wie sie sich bewaffnete.

»Na ja, ich muss was erledigen«, sagte Cally mit düsterer Miene. »Mädchensachen.«

»Oh.« Jetzt verdüsterte sich Billys Gesicht, als sie sich die Gurte straff zog und ihre Waffe lud. »Mädchensachen. Okay.«

»Ich komme vor den Erwachsenen wieder zurück«, fuhr Cally fort. »Wenn jemand vorbeikommt, geht ihr sofort in das GalTech-Lager und schließt die Tür. Dort kommt nichts durch.«

»Machen wir«, versprach Billy.

»Bis später«, verabschiedete sie sich und trat auf den Felssims hinaus. Die Posleen hatten die halbe Kammstrecke bereits hinter sich gebracht. Wenn sie einen günstigen Standort erreichen wollte, würde sie sich beeilen müssen.

Leise vor sich hin pfeifend arbeitete sie sich auf dem schmalen Felsvorsprung entlang. Sie kannte den Namen des Liedes nicht, das sie pfiff, aber wenn ihr Großvater da gewesen wäre und hätte zuhören können, hätte der das sofort erkannt.

»Fight the horde«, sang sie und rutschte den Abhang hinunter, auf den nächsten Bergkamm zu, »sing and cry, Valhalla, I am Coming.«

»Das System besteht aus fünfundfünfzig Subprojektilen, jedes mit einem Indowy-Initiator«, sagte Dr. Castanuelo und deutete auf die Skizze auf dem Bildschirm.

»Nach dem Abschuss erreicht das System seinen Zielpunkt und fängt dann an, Projektile zu verbreiten. Es wirft sie nicht einfach ab, das würde zu erheblichen Überlappungen führen, sondern legt sie während des Fluges ab. Jedes Projektil ist mit Bremsflossen ausgestattet. Wir haben sie getestet und festgestellt, dass die Posleen-Verteidigungssysteme auf sie nicht ansprechen. Dieses System sorgt dafür, dass sämtliche Projektile Komplementärhöhe erreichen. Auf vorprogrammierter Höhe über dem Boden, die von Radarhöhenmessern in jedem Subprojektil festgelegt wird, gibt das Indowy-Eindämmungsfeld einen Schwall Antiprotonen in die Fullerenematrix frei, worauf in dieser eine schnelle Kettenreaktion erfolgt.«

Jack sah auf den Bildschirm, wo die Projektile aus der Hinterpartie eines imaginären Artilleriegeschosses fielen und sich über eine weite Fläche verteilten. Der Effekt erinnerte an eine Streubombe, bis einem klar wurde, dass das, was hier wie Gräben und kleine Hügel im Hintergrund aussah, in Wirklichkeit die Rocky Mountains waren.

»Wie groß ist die Ausdehnung?«, fragte Horner. Er hatte sofort, nachdem er informiert worden war, einen Shuttle angefordert und war zur Universität geflogen. Allerdings war er sich noch nicht darüber im Klaren, ob das hier bedeutete, dass seine Gebete erhört worden waren oder ob er vor dem schlimmsten Albtraum seit Beginn der Invasion stand.

Dr. Castanuelo räusperte sich nervös. »Fünfunddreißig Meilen tief und fünfzehn breit. Das ist das Äquivalent einer 10-Mt-Bombe, aber mit völlig anderer Bruttoauswirkung. Der Wärmepuls, beispielsweise, entspricht einer 2-Mt-Bombe.«

»Und Sie haben das ganz alleine gebaut?«, fragte Jack leise. »Ohne Genehmigung? Ohne es auch nur irgendwo zu erwähnen? Einhundertzehn Megatonnen?«

»Na ja, ich hatte das Hyperfullerene und die Initiatoren, die lagen bloß rum«, ereiferte sich Dr. Castanuelo. »Ich dachte, man würde das brauchen können.«

»Sie dachten, man würde das brauchen können. Sagen Sie mir, wie viel von diesem… Hyperfullerene haben Sie gemacht?«

»Na ja, als wir das Produktionsmodell fertig hatten, schien es vernünftig, die Produktion weiter zu führen«, erklärte Dr. Castanuelo verlegen. »Ich meine, wir hatten die Energieversorgung und das Material. So war das ganz einfach.«

»Wie viel?«, fragte der General mit einem angedeuteten Lächeln. Die Frage kam beinahe im Flüsterton.

»Na ja, seit gestern und mit Ausnahme des Materials in der Bombe etwa einhundertvierzig Kilo.«

»Hyperfullerene?«, fragte Jack und atmete tief durch.

»Nein, wir bezeichnen es eigentlich als Antihydrogen-Atommasse und nicht…«

»Sie haben einhundertvierzig Kilo Antimaterie, die auf meinem Planeten einfach so rumliegen???«

»Ich dachte, man würde es brauchen können«, antwortete der Physiker etwas lahm.

»Aber sicher, als Treibstoff für die Neunte Flotte!«, schrie Jack. »Sagen Sie mir, wie es mit den radioaktiven Auswirkungen dieser Bombe aussieht.«

»Sehr heiß, bedauerlicherweise«, seufzte der Wissenschaftler. »Das ist einer der Gründe dafür, weshalb man es nicht als Energiequelle einsetzen kann. Aber auch sehr kurzlebig. In ein oder zwei Tagen ist das Zielgebiet nur noch schwach verstrahlt, praktisch etwa das Niveau von Hintergrundstrahlung, und nach einem Monat würde man hoch empfindliche Sensoren brauchen, um feststellen zu können, dass hier überhaupt eine Bombe niedergegangen ist. Aber um Ihr Auto damit zu betreiben ist es völlig ungeeignet. Glücklicherweise lässt es sich auch mühelos feststellen.«

»Sicher, mit einem Geigerzähler!«, äußerte sich Präsident Carson.

»Aber nein, es gibt deutlich sichtbare chemische Hinweise«, sagte der Professor. »Das geht auf den Vorschlag eines meiner Studenten zurück und war durchaus logisch. Die wirklich ›heißen‹ Zonen sind visuell leicht erkennbar und verschwinden dann etwa gleichzeitig mit der Strahlung.«

»Aber das ganze System ist noch nicht erprobt«, gab Carson mit ähnlich ruhiger Stimme zu bedenken, wie man vielleicht während einer Gehirnoperation auf eine Panne hinweist.

»Wir haben eine Attrappe mit Sendern in doppelten Indowy-Eindämmungsfeldern abgefeuert«, sagte der Wissenschaftler. »Sie haben das alle überstanden. Und dass sie überstanden haben, deutet darauf hin, dass die Eindämmung funktioniert. Und Hyperfullerene ist gegen jede Art von Erschütterung, die man sich vorstellen kann, erprobt worden. Bedauerlicherweise ist das Problem aber nicht vorzeitige Explosion, sondern wie man bewirkt, dass es überhaupt detoniert.«

»Und es ist scharf«, sagte Carson anklagend.

»Na ja, das ergibt sich logischerweise.«

»Positive Sperren?«, fragte Jack.

»Bis jetzt noch nicht«, gab Castanuelo zu. Mit anderen Worten hieß das, dass die Bombe von jedem, der auch nur über rudimentäre technische Fähigkeiten verfügte, zur Explosion gebracht werden konnte.

»Wachen? Elektronische Sicherungsmaßnahmen? Panzertüren?«, fragte der General wütend.

»Na ja, wir haben sie in einen unserer Bergwerksschächte gebracht«, sagte der Professor und zuckte die Achseln. »Und ich habe ein paar Studenten hingeschickt, um es zu bewachen. Hören Sie, es war schließlich ein Eilprojekt!«

Jack sah auf sein Handgelenk, wo er sonst sein AID trug, und dann zu seinem Adjutanten. »Jackson, telefonieren Sie. Ich möchte unabhängige Experten hier, einen für Antimaterie, einen für Indowy-Eindämmungssysteme und einen für Submunition. Und dann möchte ich eine Kompanie reguläre Truppen überall, wo dieses Ding ist, und zwar in allerhöchstens einer Stunde, und bis heute Abend möchte ich, dass Sie von einer Special-Operations-Wache abgelöst werden.«

Dann sah er wieder den Wissenschaftler an und nickte. »Dr. Castanuelo, Sie haben Recht, wir haben das gebraucht. Ich bin ziemlich sicher, dass das ohne Ärger für Sie abgehen wird. Solange das Ding funktioniert. Wenn nicht…«

»Sir, wenn es nicht funktioniert, werde ich das nie erfahren«, sagte Castanuelo. »Wenn es beispielsweise beim Abschuss detoniert, gibt es nachher Knoxville nicht mehr.«

»Und wenn der Rest Ihres Materials dabei mit hochgeht, dann können Sie ganz Tennessee Ade sagen!«