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In der Nähe von Willits, North Carolina, Sol III

0318 EDT, 28. September 2014

They do not preach that their God will ronse them a little before the nuts work loose.

They do not teach that His Pity allows them to drop their job when they dam'-well choose.

As in the thronged and the lighted ivays, so in the dark and the desert they stand,

Wary and watchful all their days that their brethren's day may long be in the land.

»The Sons of Martha«

– Rudyard Kipling

Sie predigen nicht, dass ihr Gott sie schon wecken wird, kurz ehe die Nieten sich lockern.

Sie lehren nicht, dass sein Mitleid es ihnen erlaubt, die Arbeit fallen zu lassen, wenn ihnen grad danach ist.

Wie auf den vollen beleuchteten Wegen stehen sie auch in Dunkel und Wüste

ihr Leben lang achtsam und wachsam, dass ihrer Brüder Leben lang sein möge im Land.

»Marthas Söhne«

Der Blimp war fast zweihundert Meter lang; unten hing ein riesiger Behälter. Kaum dass die Kufen des Containers den Boden berührt hatten, klinkte der Blimp ihn aus und schoss mit einem Satz in die Luft, einem Ziel hinter den Bergen zu. Ein einziger Posleen am falschen Ort könnte das Luftschiff im Bruchteil einer Sekunde vernichten, aber das atomare Feuer des SheVa hatte offenbar das ganze Tal von Feinden befreit, und solange die Blimps nicht zu hoch stiegen, waren sie für den Feind unsichtbar.

Das Hinterteil des Containers klappte auf, und im grellen Scheinwerferlicht strömten schweres Gerät und Soldaten in schwarzen Overalls heraus. Etwa die Hälfte der Gruppe strebte auf das SheVa zu, während die Übrigen sofort damit anfingen, die Landezone auszuweiten.

Ganz vorne war eine Gestalt auf einem Quad zu sehen. Sie rollte schnell zu der SheVa-Crew hinüber und brachte ihr Fahrzeug ruckartig zum Stillstand.

»Maj… Lieutenant Colonel Robert Mitchell«, stellte Mitchell sich vor und salutierte.

»Colonel William Garcia«, erwiderte der Colonel die Ehrenbezeigung. Er trug einen schwarzen Overall wie der Rest seiner Einheit und hatte ein großes Stoffabzeichen auf der Schulter, auf dem HC4 stand, was bedeutete, dass er der »Heavy Construction Brigade Four« angehörte. Er griff in eine der aufgesetzten Taschen seines Overalls und warf Mitchell ein kleines Päckchen hin. »Erlauben Sie, dass ich Ihnen als Erster zu Ihrer Beförderung gratuliere. Die Dinger kosten sechs Dollar fünfzig. Wenn Sie das hier überleben, können Sie mir ja das Geld geben.«

»Danke«, sagte Mitchell und betrachtete das Päckchen mit den silbernen Abzeichen eines Lieutenant Colonel. »Was jetzt?«

»Meine Leute werden eine Komplettinspektion vornehmen«, sagte Garcia und wandte sich dann an Indy. »Sind Sie der Ingenieur?«

»Yes, Sir«, antwortete sie. »Ich habe ein vorläufiges Ergebnis«, fuhr sie dann fort und hielt ihm ihren PDA hin.

»Danke.« Er nahm das Gerät entgegen und beamte die Daten auf das seine. »Sind das, was ich dort oben auf dem Ding sehe, MetalStorm-Packs?«

MetalStorm-Anti-Lander-Systeme gehörten zu den weniger erfolgreichen Geräten, die man im Laufe der Jahre ausprobiert hatte, ein Waffensystem, das in einer sehr kurzen Zeitspanne Tausende von Geschossen verfeuerte und im Grunde genommen einfach aus einem mit Kugeln gefüllten Rohr einer kleinkalibrigen Kanone bestand. Die einzelnen Kugeln wurden hintereinander von einer elektrischen Ladung abgefeuert, die höchste Abschussgeschwindigkeit betrug knapp über eine Million Geschosse pro Minute.

Die für den Einsatz gegen Landers gebauten MetalStorms waren zwölfrohrige 105-mm-Geschütze, die auf einem Abrams-Tanks-Chassis montiert waren. Jedes Rohr war mit hundert Geschossen desselben Typs geladen, den die Abrams-Panzer ursprünglich für die Panzerbekämpfung mit sich geführt hatten. Das MetalStorm-System war jedoch so konstruiert, dass es alle zwölfhundert Geschosse in weniger als zwanzig Sekunden abfeuern konnte. Eine solche Salve war für die Crew in hohem Maße unangenehm; man hat dabei das Gefühl, man würde in einem Fass stecken, das ein Riese hin und her schüttelt, hatte einmal jemand gesagt, der das am eigenen Leib erlebt hatte. Trotzdem war das System bisher bei der Bekämpfung von Landers nicht sonderlich erfolgreich gewesen.

»Yes, Sir«, sagte Mitchell mit einem Anflug von Verlegenheit. »Die Chassis sind… auf meine Anweisung, äh, aus dem Verkehr gezogen worden.«

»Da steckt bestimmt eine hoch interessante Geschichte dahinter«, meinte Garcia mit einem trockenen Lächeln. »Sie haben doch nicht etwa von dort oben mit diesen Dingern geschossen, oder?«

»Nein, Sir«, erklärte Pruitt. »Die sind bloß angekettet.«

»Okay, dann holen wir sie runter und schaffen sie mit einem der Blimps weg«, meinte Garcia.

»Hey, Boss, darüber sollten wir vielleicht noch mal nachdenken.« Der Mann, der jetzt um das SheVa herumkam, war offenbar Zivilist, ein hoch gewachsener, muskulös wirkender junger Mann, Typ Filmstar, mit langem blondem Haar, bekleidet mit einem schwarzen Trenchcoat und einer goldenen Sonnenbrille, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben. Er betrachtete die Oberseite des SheVa und zuckte die Achseln. »Damit kann man etwas Besseres anfangen, als sie einfach bloß ausfliegen.«

»Woran hatten Sie gedacht, Paul?«, fragte Garcia. »Oh, ich bitte um Entschuldigung, Ladies and Gentlemen, das ist Paul Kilzer. Er war einer der Konstrukteure des SheVa und war so freundlich, als Berater mitzukommen.«

Pruitt starrte den Mann mit offenem Mund an. »Riff?«, fragte er, sichtlich erstaunt.

»Nein, mein Name ist Paul«, antwortete der Zivilist und runzelte die Stirn. »Kenne ich Sie?«

»Äh… nein«, antwortete Pruitt. »Aber… an was hatten Sie denn gedacht, das man mit den Storms machen kann?«

»Haben wir die Crews?«, fragte der Zivilist.

»Die sind im SheVa und haben sich aufs Ohr gelegt«, antwortete Mitchell. »Warum?«

»Na ja, ich denke, ich weiß, wo wir ein paar Turmringe bekommen können«, sagte Paul. »Die Dinger mit Energie zu versorgen sollte eigentlich kein Problem sein. Danach braucht man sie bloß noch ans Bordnetz anzuschließen, und dann haben Sie zusätzliche Feuerkraft. Das wäre cool. Sie brauchen dazu etwas zusätzlichen Saft, aber wir haben sechs Reaktoren mitgebracht. Wir können die Kiste hier zusätzlich zu der neuen Panzerung auch mit ein paar extra Kanonen ausrüsten. Das sollte helfen. Ein wenig zumindest.«

»Mann«, flüsterte Pruitt.

»Haben Sie da einen konkreten Plan?«, wollte Garcia wissen.

»Ich glaube, ich hab da vor einer Weile einiges aufgezeichnet«, sagte Paul und zog ein Buch aus der rechten Jackentasche. »Lassen Sie mich in meinen Notizen nachsehen.«

Indy unterdrückte einen hysterischen Lacher und sah dann die Männer um sie herum verlegen an. »'tschuldigung.«

Garcia sah auf sein PDA und nickte. »Das Inspektionsteam bestätigt Ihre sämtlichen Schadensmeldungen, Warrant. Wie wär's, wenn ihr euch ein wenig ausruhen würdet und wir uns an diesem Ding an die Arbeit machen?«

»Mir soll's recht sein«, sagte Mitchell, der sich vor Müdigkeit kaum mehr auf den Beinen halten konnte. »Der Kommandeur der Wölfe ist Major Chan. Sie müssen das mit ihr besprechen. Und ihren Vorgesetzten, denke ich.«

»Die sind jetzt alle Ihnen unterstellt«, erklärte Garcia. »Ich kümmere mich um die Einzelheiten. Ruhen Sie sich aus, Colonel.«

Pruitt schaffte es trotz seiner Erschöpfung nicht, sich schlafen zu legen. Er hatte keine zwei Stunden vor Landung der Instandsetzungsbrigade ein halbes Provigil genommen, und bis dessen Wirkung nachließ, war er hellwach, wenn auch in seinen Denkprozessen etwas beeinträchtigt. Also kletterte er mühsam auf das »Dach« des SheVa, um besser sehen zu können, was dort oben vor sich ging.

Die Infanteriedivision, die auf der anderen Seite des Balsam-Passes festgesteckt war, hatte sich schließlich wieder in Bewegung setzen können und strömte jetzt langsam durch den Pass. Ihre Transporter, Trucks und Panzer rasten jetzt auf der Suche nach Posleen im Tal und noch stehen gebliebenen Brücken den Highway 23 hinunter in Richtung auf Dillsboro. Es begann ziemlich eng zu werden, als fast eine Million Posleen dem festsitzenden SheVa immer näher gerückt war, bis die Präsidentin schließlich Bun-Bun die Freigabe für atomaren Beschuss erteilt hatte. Drei Schuss »Flächenfeuer« hatten der feindlichen Truppenkonzentration ein Ende gemacht. Jetzt suchte die Division nach Überlebenden und Hinweisen darauf, wo die Aliens sich sammelten. Und darüber hinaus waren sie natürlich bemüht, taktisch nützliches Terrain in Besitz zu nehmen.

Unterdessen hatten die Bulldozer und Erdbewegungsmaschinen der SheVa-Brigade eine größere Landefläche geräumt, sodass die Blimps jetzt in stetigem Fluss ihre Ladung absetzen, die leeren Container wieder aufnehmen und damit den Platz frei machen konnten.

Außer dem Erdbewegungsgerät war in hohem Tempo schweres Gerät abgesetzt worden. Eines davon, das allem Anschein nach in einem früheren Leben einmal ein Löffelbagger gewesen war, diente jetzt als automatisierter Plasmaschneider. Das gewaltige Kettenfahrzeug war direkt aus dem Container zu dem SheVa gefahren und hatte angefangen, riesige Löcher in die Wand des Antriebssystems zu schneiden. Dann waren da noch drei spezielle Kettenbrecher, die von einer beschädigten Kette zur nächsten fuhren und die mannsgroßen Bolzen herauszogen, mit denen diese miteinander verbunden waren, und sie gegen neue ersetzten. Ein paar beschädigte Kettenglieder lagen auf dem Boden herum; es würde interessant sein, wie die Reparaturtechniker denen zu Leibe gingen.

Jetzt sah Pruitt zu, wie aus einem der Container ein riesiger Gabelstapler rollte, der ein komplettes Reaktorpack trug, von dem Container zu einem der gerade aufgeschnittenen Löcher und dort ins Innere des SheVa hineinfuhr. Pruitt hoffte, dass man vorher etwa dort schlafende Angehörige des Wolfsrudels herausgeholt hatte.

Eine ganze Ladung war unmittelbar vor dem SheVa abgesetzt worden. Sie war noch in Plastik eingeschweißt, aber man konnte erkennen, dass es sich um irgendwelche großen Platten handelte. Er sah den Zivilberater aus einer der Luken klettern, stemmte sich mühsam in die Höhe und ging zu dem Zivilisten hinüber.

»Was ist das denn?«, fragte er und deutete über die niedrige Reling an der Oberseite des SheVa. Sie befanden sich auf annähernd sechzig Meter Höhe, und der Anblick war daher etwas beunruhigend.

Paul schien die Höhe freilich nicht zu stören. »Zusatzpanzerung. Wir bringen die als zusätzlichen Schutz vorne an.«

»Sieht aber… schwer aus«, sagte Pruitt und dachte dabei an einige der Wahnsinnsmanöver, die das SheVa in dem vorangegangenen Gefecht hatte durchführen müssen. »Das wird uns doch nicht langsamer machen, oder?«

»Nicht, nachdem wir die vier Reaktoren zusätzlich eingebaut haben«, antwortete Kilzer. »Wir bauen die beiden kaputten aus und dafür alle sechs neuen ein. Ihre Höchstgeschwindigkeit wird die gleiche bleiben, aber das Drehmoment wird höher, und das sollte in den Bergen nützlich sein.«

»Und was ist mit den Ketten?«, fragte Pruitt. Wenn die Kettenverbindungen zu stark belastet wurden, konnte das dazu führen, dass die Kette von den Antriebsrädern sprang.

»Da muss Ihr Fahrer eben aufpassen«, erwiderte Paul.

»Mhm«, machte Pruitt und dann durchlief ihn ein kleiner Schauder. »Haben Sie gehört, wieso wir zwar die Türme der Metal-Storms haben, aber nicht die Chassis?«

»Nein.«

»Eine interessante Geschichte. Haben Sie einen Augenblick Zeit?«

Major Vickie Chan sah zu, wie der MetalStorm-Turm auf den erst vor kurzem angebrachten Turmring heruntergelassen wurde. Das grelle Licht von unten, wo Reparaturtechniker damit beschäftigt waren, Stützstreben anzuschweißen, verschwand, als der Turm auf den Ring aufsetzte.

Der weibliche Major war eine große, hübsche Eurasierin, deren ruhiges Wesen überhaupt nicht zu ihrem geradezu leidenschaftlichen Einsatz im Kampf passen wollte. Sie war gestern noch Captain gewesen und hatte eine Kompanie MetalStorms befehligt, ein Wolfsrudel, wie die Soldaten sie nannten. Ihre Kompanie hatte sich während des Rückzugs an das SheVa angeschlossen und war ihm die ganze Strecke gefolgt, die letzte Hälfte sogar sozusagen huckepack. Sie hatte sich daran gewöhnt, ein unabhängiges Kommando zu führen, und da niemand so recht wusste, was er mit ihren Geschützen anfangen sollte, waren sie wie die Zigeuner von einer Kampfzone zur anderen hin und her gependelt, aber als sie dann ihre Chassis verloren hatten, war ihr ziemlich klar gewesen, dass das ein Ende haben würde. Und wenn sie in eine größere Kommando-Struktur eingebunden werden sollte, war ein SheVa da vermutlich gar keine so schlechte Wahl, zumal Colonel Mitchell ein guter Kommandeur war: intelligent, fähig und mit der notwendigen Portion Glück ausgestattet.

Woher kam deshalb dieses Gefühl, jemand würde gerade über ihr Grab gehen?

Vielleicht lag es an dem Tempo, mit dem alles ablief. Das Dutzend Turmringe war wie durch Zauberei aufgetaucht, Colonel Garcia hatte es in einem Panzerreparaturdepot in Asheville angefordert. Offenbar verfügte der Oberst über hohe und von niemand in Zweifel gezogene Priorität für Ersatzteile und -gerät, aber jede Situation, in der Kommandeure von Armeegruppen auf Prioritätsbasis Ersatzteile anforderten, bedeutete, dass die Lage völlig chaotisch war. Und SheVa Neun und dessen »Sekundärwaffenkommandanten« kam es offenbar zu, sie zu entchaotisieren.

Freude über Freude.

Sie drehte sich um, als sie Schritte auf der sechszölligen Panzerplatte des Oberdecks hörte, und lächelte, als sie den Kommandeur der Instandsetzungsbrigade herankommen sah.

»Sir, ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sehen würde«, sagte sie und deutete dabei auf den Turm, der gerade vermessen wurde.

»Im Grunde ist es eine ganz einfache Idee«, meinte Garcia. »Wie immer, wenn Paul etwas vorschlägt, muss man daran ein paar Feinheiten korrigieren, aber das sollte jedenfalls beim Gegenangriff eine große Hilfe sein. Darf ich Sie etwas fragen?«

»Nur zu.«

»Was ist aus den Chassis geworden?«

Sie lächelte. »Offiziell bin ich mir gar nicht sicher, was aus ihnen geworden ist. Wollen Sie wissen, was wirklich passiert ist?«

»Nur unter uns Pfarrerstöchtern.«

»Na schön«, nickte sie. »Unter uns Pfarrerstöchtern kann ich Ihnen sagen, dass wir sie dazu benutzt haben, um das SheVa flott zu machen.«

»Brrrrr.« Garcia blickte auf das mächtige Gebilde hinunter, auf dem sie standen. Die D-9-Bulldozer des Instandsetzungsbataillons sahen daneben wie Spielzeug aus. »Selbst ein Dutzend Abrams könnten eines dieser Dinger kaum anstupsen. Ich weiß das; ich habe drei wieder flott gemacht. Im Allgemeinen braucht man dazu etwa eine Woche.«

»Eine Woche hatten wir nicht«, sagte Chan müde, fuhr sich mit den Fingern durch das fettige Haar und musterte sie dann angewidert. »Mitchell, der verrückte Hund, ist mit uns durch den Betty-Pass gefahren, wo es nicht einmal eine Straße gibt. Jedenfalls gab es keine. Wie auch immer, auf der Fahrt nach unten fing das SheVa… zu rutschen… an. So etwas Verrücktes habe ich noch nie gesehen, mir ist dabei richtig angst geworden. Es ist einfach… wie ein Schlitten an der Bergflanke hinuntergerutscht und blieb schließlich in einer Art Klamm stecken. Ich darf vielleicht hinzufügen, dass wir zu dem Zeitpunkt unter Beschuss waren.«

»Was für Beschuss?«, fragte der Colonel fasziniert.

»Zuerst war es eine Gruppe aus ihren Tenars ausgestiegener Posleen«, sagte sie. »Die haben wir von der Flanke gepackt. Aber dann kamen zwei Lander über den Kamm. Pruitt hat sie beide unter tausend Meter weggeputzt.«

»Aber das ist…« Garcia hielt inne. »Wenn die Granaten durchgeschlagen haben oder wenn die Tanks der Lander dabei detoniert sind, dann müssen die ja mit dem Lander weggeblasen worden sein.«

»Sind sie auch«, grinste sie. »Beide Granaten detonierten außerhalb der Lander. Aber zu dem Zeitpunkt hatte Pruitt schon gelernt, die Antimaterieeindämmung des Landers nicht zu treffen, oder jedenfalls nur, wenn er das wollte. Der Mann ist spitze, jedenfalls ist einer der Lander den Berg hinuntergerollt und hätte das SheVa beinahe mitgenommen; aber Pruitt hat ihn einfach weggeblasen, indem er darunter schoss und ihn mit der Antimaterieexplosion herumdrehte. Das war unter fünfhundert Metern.«

»Scheiße.«

»Ja, kann man wohl sagen. Uns hat die Antimateriewelle beide Male erwischt. Jedenfalls steckte das SheVa am Ende total fest. Zufälligerweise war ein Major von den Pionieren in der Gegend, er befand sich in derselben Richtung auf dem Rückzug. Er hat vorgeschlagen, die Türme abzubauen und die Chassis im Grunde genommen wie Bretter unter dem SheVa zu verkeilen. Es hat funktioniert, aber… na ja, sagen wir, das zerdrückte Metall einmal zu bergen, das wir zurückgelassen haben, wird recht interessant werden.«

»Autsch.« Garcia schmunzelte und schüttelte dann den Kopf. »Tut mir Leid, dass Sie Ihre Panzer verloren haben.«

»Also ehrlich gesagt, mir hat es gar nichts ausgemacht«, sagte sie. »Waren Sie einmal in einer solchen Kiste, wenn sie schießt?«

»Nein.«

»Na ja, sagen wir einfach, dass die Mannschaft Hurra geschrien hat, als das SheVa die Dinger zerquetscht hat.«

»So schlimm?«

»Unbeschreiblich«, sagte sie und verdrehte die Augen. »Wir hatten gerade eines abgefeuert, als eines der SheVa-Geschosse losging. Zehn Kilotonnen Explosion, vielleicht neunhundert Meter entfernt. Wissen Sie, was mein Kanonier gesagt hat?«

»Nein.«

»Was war das für ein Knall?« Sie schmunzelte grimmig. »Wissen Sie, es ist schon wirklich schlimm, wenn man einen Atomschlag im Vergleich dazu als schwach empfindet.«

»Ich schätze, wir sollten ein paar zusätzliche Verstärkungen anbringen.«

»Yo. Das wäre vielleicht ganz gut. Wie läuft's denn?«

»Ich hab schon SheVas gesehen, die schlimmer zugerichtet waren«, antwortete Garcia. »Allerdings nicht viele. Aber wir werden rechtzeitig fertig werden, höchstens eine Stunde über Plan.«

»Wie werden wir die Geschütze steuern?«, fragte sie.

»Ich lasse einen Sekundärgefechtsstand einbauen«, antwortete Garcia. »Wieder eine Konstruktion von Paul. Sie werden sich dort mit dem Funker aufhalten, den Mitchell mitgenommen hat. Zwar werden Sie Verbindung mit Ihren sämtlichen Geschützen haben, aber Ihre Gefechtsinformation müssen Sie sich aus dem System des SheVa besorgen.«

»Das wird gehen«, sagte sie.

»Paul arbeitet an Plänen für eine generelle Leistungssteigerung der SheVas«, sagte Garcia. »Wenn es nach ihm geht, werden die bis über die Halskrause mit Sekundärwaffen voll gestopft. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass man, um so viel Feuerkraft richtig zu steuern, eine große Mannschaft braucht. Er möchte dafür eine Computersteuerung einbauen.« Garcia verzog das Gesicht.

»Und das Problem damit?«

»Sie müssten sich mal ansehen, was Paul sich unter künstlicher Intelligenz vorstellt«, seufzte Garcia. »Er will da einen Code aus einem Computerspiel einsetzen. Ich habe ihn davon überzeugt, dass das nicht gut wäre.«

»Ha«, machte Chan. »Mit Lenkwaffen ausgestattete Kängurus?«

»Ja, die Geschichte habe ich auch gehört«, seufzte Garcia. »So etwas Ähnliches. Ich habe da immer dieses Bild vor Augen, wie die Geschütze Himmits als feindliche Gespenster und Indowy als Protoss identifizieren. Für den Augenblick, denke ich, wird es wirklich besser sein, wenn Ihre Mannschaften in den Türmen bleiben und das Feuer leiten.«

»Dann spreche ich jetzt besser mit den Kommandanten und einige mich mit denen darüber, wie wir das anstellen. Werden die in der ganzen Kiste hier verteilt sein?«

»Mehr oder weniger. Fünf vorne, drei hinten und je zwei an den Seiten. Die Äußeren an beiden Seiten werden denen an der Seite beispringen können.«

»Eine Menge Feuerkraft, aber nicht gerade viel Panzerung«, gab Vickie zu bedenken.

»Vorne 'ne ganze Menge«, sagte der Kommandeur. »Und Paul hat da ein paar zusätzliche Ideen, an denen er noch brütet. Aber wenn der Feind zu nahe herankommt, kriegen Sie Schwierigkeiten.«

»Und was mache ich dann?«

»Na ja, Captain, das werden Sie eben verhindern müssen.«

»Weißt du, Stewie, das ist schon wirklich beschissen.«

Das Bataillon kauerte in einer Doppelreihe mit Schlamm gefüllter Löcher, von denen einige durch den Graben verbunden waren, an dem die Einheit gebaut hatte, als der Angriff der Posleen gekommen war, und feuerte jetzt aus ihren Gravkarabinern auf die gegen sie anstürmenden Wellen von Zentauren.

Der M-300-Gravkarabiner war mittels eines an eine Schlange erinnernden Verbindungskabels an der rechten Schulter des Anzugs angeschlossen. In diesen Verbindungsschlauch mündete eine Munitionsversorgung aus den Munitionslagern des Anzugs. Im Gefecht konnte der Anzugträger sich entweder in ein Loch kauern oder sein Gewehr auch um die Ecke halten und damit auf die herankommenden Ziele schießen; das Gewehr verfügte über ein eigenes Zielsystem, das in die Steuersysteme des Anzugs führte.

Es war vorgeschlagen worden, die Anzüge mit zwei Karabinern auszustatten, aber ihre Leistungsgrenze war nicht die Feuerkraft, sondern die Verfügbarkeit von Munition. Die Anzüge verfügten über sechs separate Munitionslager, jedes mit einem eigenen absprengbaren Deckel, doch trotzdem und obwohl die eigentlichen »Kugeln« nicht viel mehr als Urantropfen waren – kaum größer als das vorderste Glied des kleinen Fingers -, konnten sie ihren gesamten Vorrat in drei Stunden verschießen. Besonders in einer »zielreichen Umgebung«, wie man das nannte. Und diese Bezeichnung passte exakt auf den augenblicklichen Zustand.

Die Posleen rückten dicht gedrängt heran, wie die Sardinen, und das im Laufschritt. Bis sie in die sich kreuzenden Ströme aus abgereicherten Urangeschossen rannten, die ihnen entgegenschlugen. Und wo die Ströme aus silbernem Blitz die Wand aus Körpern trafen, herrschte eine ständige Explosion aus rotem Feuer und gelbem Blut. Jedes einzelne Tropfengeschoss der GKA hatte die Wucht einer kleinen Bombe und tötete gewöhnlich nicht nur sein eigentliches Ziel, sondern in der Regel auch die Zentauren zu beiden Seiten davon. Auf die Weise türmte sich allmählich eine Wand aus totem Fleisch auf, die die Zentauren im Vorrücken behinderte. Und trotzdem kamen sie. Und wenn sie das lange genug durchhielten, würde es vielleicht sogar die gewünschte Wirkung erzielen.

»Wir haben Versorgungsprobleme, Boss.« Duncan war jetzt in vorderster Front, etwas, das er beinahe fünf Jahre vermieden hatte. Aber solange kein Nachschub kam und ohne indirekte Feuerunterstützung, mit Ausnahme der Sensenmänner, und solange es weder die Möglichkeit noch einen Anlass gab, mit dem Bataillon zu manövrieren, hatte er sonst nicht viel zu tun. Und jeder Schuss zählte.

»Kugeln haben wir genug…«, sagte Stewart. »Saft…«

Zwei Soldaten, ein Schütze, dessen Gravkarabiner vom Schuss aus einer HV-Waffe getroffen worden war, und ein einbeiniger Mann vom Nachschub in einem aufgedunsenen Panzeranzug, in dem er wie das Michelin-Männchen aussah, krochen durch einen seichten Graben von Schützenloch zu Schützenloch und versorgten die Anzüge aus den überlebenden Antimateriepacks mit Energie. Das Problem war nicht, dass die Anzüge die Energie verbrauchten, sie waren stationär, und die wenige Energie, die ihre Umweltsysteme brauchten, spielte keine Rolle, wohl aber die, die sie zum Schießen brauchten.

Die Kugeln wurden in den Karabinern auf einen kleinen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, was ihnen eine gewaltige Durchschlagskraft verlieh und erklärte, weshalb ein Tropfen von drei Millimetern Durchmesser und vier Millimetern Länge Explosionen von den Ausmaßen einer Artilleriegranate erzeugte.

Aber das erforderte Energie, eine ganze Menge sogar. Die Kugeln wurden in einem stetigen Strom abgefeuert, viel schneller, als das konventionelle Maschinengewehre taten, und es waren ständig mehrere Geschosse im Lauf. Und Energie war Energie. Um die Wirkung von hundert Kilo TNT zu erzeugen, war es erforderlich, dass ebendiese Menge an Energie dafür aufgewendet wurde, sie durch den Lauf zu jagen.

Eigentlich sollte diese Energie von den Geschossen selbst geliefert werden. »Standard«-Geschosse hatten im Kern ein Tröpfchen Antimaterie, das ausreichte, um das Geschoss mit Energie zu versorgen und sogar ein wenig davon an die Anzüge abzugeben. Aber die Menschen verfügten nicht über die notwendige Technologie, um die dafür erforderlichen ultraminiaturisierten Eindämmungssysteme zu bauen. Seit die Blockade der Erde daher den Zufluss galaktischer Technologie zum Versiegen gebracht hatte und somit »Standard«-Geschosse immer knapper geworden waren, waren die GKA-Soldaten auf »Notschaltungen« angewiesen und mussten die Energie ihrer Anzüge dazu benutzen, ihre Waffen zu versorgen.

Und das war der Hauptenergiefresser.

Mike sah einen Augenblick lang zu, als einer der Anzüge auftankte, und folgte dann dem Techniker, der sich geduckt zum nächsten Schützenloch vorarbeitete. Aber bereits während der Techniker weiterkroch, sank das Energieniveau des gerade erst betankten Anzugs merkbar ab. Und das Antimateriepack zeigte Gelb.

»Ich nehme gern Vorschläge entgegen«, sagte Mike, bemüht, sich von seiner Müdigkeit nichts anmerken zu lassen.

»Wir haben bereits die Gottkönige unter Beschuss«, erwiderte Duncan.

Die Normalen, die das Gros der Posleen-Streitmacht bildeten, waren von untermenschlicher Intelligenz, aber die Gottkönige glichen das aus. Da das Bataillon in den Schützenlöchern beinahe unsichtbar war, hatten die Normalen große Mühe, Ziele zu finden. Aber jedes Mal, wenn ein Gottkönig die silbernen Ströme sah, nahm er dessen Ursprung aufs Korn. Und jedes Mal, wenn ein Gottkönig ein Ziel gefunden hatte, neigten alle Normalen um ihn herum, gebunden und ungebunden, dazu, auf dasselbe Ziel zu halten. Und wenn dieser Sturm von Projektilen hereinkam, starben Anzüge oder zumindest ihre Waffensysteme.

Um diesem Problem wenigstens teilweise Herr zu werden, hatten sie die Scout-Anzüge ausgeschickt – die im Gefecht kaum auszumachende Projektile niedrigerer Geschwindigkeit verschossen –, hatten sie die Hügel auf beiden Seiten hinaufgeschickt, um die Führer der Horde ausfindig zu machen.

Aber Gottkönige, die ihren Tenar verlassen hatten, waren nur schwer ausfindig zu machen. Sie hatten zwar Kämme, doch wenn sie diese Kämme nicht hoben, die ihren langen Hals bedeckten, waren sie von ihren Truppen kaum zu unterscheiden.

Andererseits neigten Gottkönige dazu, wenn sie in Stress gerieten, ihre Kämme zu heben.

»Wir sind auf der Suche nach schlauen Gottkönigen«, meinte Mike. »Seit Jahren schon.«

»Ja, ich denke schon«, erwiderte Duncan.

»Wenn das der Dank dafür ist, war es, glaube ich, eine schlechte Idee«, sagte Stewart und stieß dann einen lauten Schrei aus.

»Alles in Ordnung?« Mike sah auf seine Monitore. Stewarts Waffe wurde als zerstört angezeigt.

»Also, ich dachte immer, ich hätte schon alles erlebt«, erwiderte Stewart langsam. »Aber ich muss sagen, es ist schon ein ganz besonderer Anblick, wenn ein Posleen-Geschoss zum Lauf reinkommt, während gerade eines von unseren rausgeht.«

»Alles in Ordnung?«

»Na ja, meine Hand ist noch da.« Die Kommandoanzüge hatten keine Verlängerungen, und die Kommandeure und ihr Stab hielten deshalb ihre Karabiner einfach nur hoch über den Kopf, wenn sie feuerten.

»Wir haben noch etwa für vier Stunden Energie«, führte Duncan die Diskussion wieder auf das entscheidende Thema zurück. Die Karabiner feuerten fast von selbst; Posleen zu töten war im Augenblick für das ganze Bataillon ein Leichtes.

»In der Nähe gibt es ein Lager«, sagte Mike leise. »Dort liegt sogar eine Bataillonsladung Standardmunition. Und ein Antimateriepack.«

»Tatsächlich?«, fragte Duncan. »Das ist auf den Karten nicht verzeichnet.«

»Weil es nicht offiziell ist.«

»Oh.«

»Ja. Und OH.« Mike schnitt eine Grimasse, die für die anderen aber natürlich unsichtbar blieb. »Das Problem ist allerdings, dort hinzukommen.«

»Wo liegt es denn?«