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Kynan wartete außerhalb des North Berkeley Peet’s, einen Latte Macchiato in der Hand, und hielt die Schlange im Auge, die sich innen im Coffee Shop gebildet hatte.

Es hatte angefangen zu dämmern, aber noch war es nicht kühl geworden. Sein Sehvermögen war hervorragend, sodass er alles erkennen konnte. Es war gut, dass er nicht länger Anzüge trug, denn damit wäre er sofort aufgefallen. Alle hier waren grässlich jung und trugen lässigen Studenten-Look – Shorts, Jeans und T-Shirts. In seinem jetzigen Outfit passte er gut dazu. Er trug eingerissene Jeans mit einem schwarzen T-Shirt und schwarzen Bootschuhen, das abgetragene Jeans-Jackett, das er sich von Iskander geliehen hatte, hatte er über den Arm gelegt. Sein Haar war noch nicht lang genug, dass er es zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammenbinden konnte, also ließ er es offen. Fehlte nur der Rucksack, und er hätte hundertprozentig ins Bild gepasst.

Vom Bürgersteig aus beobachtete er die junge Frau. Endlich war sie an der Reihe. Sie trug schäbige blaue Jeans und spitze Schuhe, die ihren Look aufpeppten. Ihr Haar war von einem so dunklen Braun, dass es fast schon schwarz wirkte, und ihr Hintern war erste Klasse. Lange Beine. Ein Zentimeter honiggoldener Haut zeigte sich zwischen dem Bund ihrer Jeans und dem Saum ihres Shirts. Sie hatte ein Tattoo oberhalb des Pos; was er von den miteinander verwobenen Mustern in Grün und Blau erkennen konnte, wirkte beeindruckend. Offensichtlich hatte sie sich einem wirklichen Künstler anvertraut. Die meisten Männer schauten ihr hinterher, was Kynan ihnen nicht verdenken konnte. Sie sah noch besser aus als in Alexandrines Erinnerung.

Nachdem die Hexe ihren Kaffee gekauft hatte, kam sie nach draußen. Kynan trat einen Schritt zurück und betrachtete sie ausgiebiger. Sie war etwa durchschnittlich groß, schlank und mit einer gut ausgestatteten Figur. Augen, die fast schwarz waren. Die Nase leicht gebogen, die Lippen voll. Indianischer Abstammung, vermutete er. Hübsch war sie. Keine atemberaubende Schönheit, aber die Typen, die sie anschauten, zogen sie mit ihren Blicken aus.

Kynan senkte seine Schutzschilde und ließ sie seine Magie spüren. Nur einen Hauch davon. Würde interessant sein zu sehen, wie sie reagierte. Er trank einen Schluck von seinem Kaffee, als sie näher trat und sich einen Arm rieb. Der Blick ihrer dunklen Augen richtete sich auf ihn, und sie musterte ihn flüchtig. Dann noch einmal genauer.

Nun, da sein Haar wieder wuchs und er ausreichend Zeit fand, sich zu entspannen, wirkte er täuschend jung. Was hilfreich war, wenn er sich an eine Studentin heranmachen wollte. Mann, sie hatte keine Ahnung, was er war. Nicht die geringste. Sie blickte ihn aus schmalen Augen an, und er lächelte, während er seine Magie wieder verbarg. O ja. Sie gefiel ihm. Er machte einen Schritt auf sie zu, immer noch lächelnd, und sie blieb stehen.

»Hi«, sagte sie.

»Hey. Schmeckt der Kaffee?«

»Ja. Und deiner?«

»Auch.« Er trank einen Schluck. Er hatte keine Frau mehr angesprochen seit jenen Tagen, als »ansprechen« noch bedeutete, dass man für das Vergnügen, ihren nackten Körper zu sehen, bezahlen musste.

Kynan deutete auf die Tische, die hier draußen auf dem Bürgersteig standen. »Hast du Lust, dich einen Moment zu setzen und den schönen Abend zu genießen?«

Sie überlegte einen Moment, dann nickte sie. Sie fanden einen freien Tisch. Maddy nahm den schweren Rucksack von der Schulter und stellte ihn neben ihrem Stuhl auf den Boden. Dann hielt sie ihm die Hand hin. »Maddy Winters«, stellte sie sich vor.

»Maddy.« Wieder lächelte er sie an und nahm ihre Hand. Sie blickte ihm direkt in die Augen, und verdammt wollte er sein, wenn er nicht ein Prickeln von ihr auffing, das absolut erotisch war. Vollkommen ohne Magie. Dann nannte auch er seinen Namen: »Kynan Aijan.«

Sie nickte. »Nett, dich kennenzulernen, Kynan.«

Shit. Sie war wirklich hinreißend. Er überlegte gerade, wie er weiter bei der reizenden Maddy vorgehen sollte, der es sicherlich nicht gefallen würde, wenn er ihr zum Sex gleich noch Schmerz lieferte. Schade, denn das bedeutete, dass es ihr nicht besonders gut gefallen würde, wenn sie sich näherkamen.

In diesem Moment klingelte sein Telefon und riss ihn aus seinen Gedanken.

Gerettet vom Peanuts-Song!

Kynan zog das Handy aus seiner Hosentasche. »Entschuldigung«, sagte er zu Maddy und klappte es auf. »Ja?«

»Kynan?«

Alexandrine. »Ich hätte wissen müssen, dass du es bist.« Nun, dachte er, nachdem er sein Erstaunen überwunden hatte, wenigstens klingt sie diesmal nicht so, als bräche sie gleich in Tränen aus. Ob sie wohl ahnte, dass er gerade ihrer Freundin Maddy gegenübersaß? »Wie geht’s meinem Jungen?«

Sie antwortete nicht gleich, und als sie es tat, klang sie unaufrichtig. »Nicht besonders gut, denke ich.«

Er wandte sich leicht ab, sodass Maddy seinen Gesichtsausdruck nicht genau erkennen konnte. Sie senkte den Kopf und nippte an ihrem Kaffee. Kynan lächelte ihr flüchtig zu. Verdammt, sie war hübsch. Genau das, was er brauchte, um endlich seinen Frust loszuwerden. Vielleicht würde es heute Abend doch noch eine tote Hexe geben.

»Wo bist du?«, fragte er Alexandrine.

»Hm.« Wieder zögerte sie mit der Antwort, und Kynan starrte auf Maddys Brüste. Hübsch geformt. »Im Haus meines Vaters.«

Kynan erstarrte. »Und was zum Teufel machst du da?«

Schweigen. Als sie schließlich etwas sagte, klang ihre Stimme viel zu hoch. »Xia ist hier.«

Hitze schoss durch Kynans Körper. Nun glaubte er nicht mehr, dass ihr Anruf nur der Laune einer unfähigen Hexe entsprang, die sich mit einem Dämon eingelassen hatte, der sie hasste, sie aber unbedingt im Bett haben wollte. Er senkte seine Stimme, was Maddys Aufmerksamkeit weckte.

»Was zum Teufel macht er da?«, wollte er wissen.

»Ja … also …«, meinte sie mit falscher Fröhlichkeit. »Jemand kam und hat ihn geholt. Der gute alte Dad hat ihn geschickt.«

»Jemand hat ihn geholt …« Shit. Er verkniff sich Rasmus’ Namen. Wie viel mochte Maddy über Alexandrines Vater wissen? Kynan fuhr sich durchs Haar. Das Herz schlug ihm gegen die Rippen. »Und wer genau hat ihn dorthin gebracht?«

»Ein Typ namens Durian. Kam in sein Haus. Ich stehe ihm gerade gegenüber.«

Durian. Das verhieß nichts Gutes. Niemand legte sich mit einem Magiegebundenen von seiner Macht an. »Du kannst ihm nicht vertrauen.« Er schaute zu Maddy hin, der attraktiven und auf so exotische Weise hübschen und an ihm interessierten Maddy, und natürlich lauschte sie. Wie hätte sie auch weghören sollen? Erneut senkte er die Stimme. »Er ist nicht frei. Kapiert?«

»Ja«, erwiderte Alexandrine. »Sekunde.«

Maddys Gesichtsausdruck veränderte sich leicht, und Kynan konnte ihre Magie spüren. Sie zog nicht, noch nicht, aber ihre Kraft war erwacht. Als ob er noch mehr erregt werden müsste, als er es eh schon war.

Alexandrine redete mit gedämpfter Stimme auf jemanden ein. »Ich bin gleich so weit. Warum gehst du nicht inzwischen zu Rasmus und sagst ihm, dass ich da bin und ihn sehen möchte?« Kynan hörte jemanden zur Antwort lachen. Ein männliches Lachen.

»Was zum Teufel machst du da?«

»Er ist eine noch größere Plage als du, falls du dir das überhaupt vorstellen kannst. Hey, Durian?« Ihre Stimme wurde wieder leiser. »Stehst du gerade unter irgendwelchen Befehlen von meinem reizenden alten Herrn? Ich meine, anderen, als dich wie ein Idiot aufzuführen? Ja?«

Kynan sah sie im Geiste vor sich, wie sie Durian ihren Standpunkt klarmachte. »Er wird dich umbringen«, sagte er sanft. »Ohne auch nur einmal darüber nachzudenken. Ärgere ihn nicht. Und sieh zu, dass du so schnell wie möglich von dort verschwindest.«

»Ich bin immer noch eine Hexe, auch wenn das nicht dein Verdienst ist«, erwiderte sie. »Durian darf mir nichts tun.« Wahrscheinlich war diese arrogante Haltung, so typisch für eine Hexe, der einzige Grund, weshalb sie noch lebte. Wieder hörte er, wie sie sich an Durian wandte. »Bitte, deine Zweifel seien dir unbenommen. Trotzdem, wie lautet deine Antwort?«

Dann hörte er, wie Durian »Nein« sagte.

»Na, super.« Alexandrine sprach jetzt wieder direkt ins Telefon. »Nun ja«, meinte sie, »ich muss wohl Kontakt zu Carson Philips aufnehmen.«

»Sie ist in Paris.« Kynan sah, wie Maddy auf ihre Uhr blickte. Er zuckte mit den Schultern und lächelte entschuldigend.

»Da haben sie wohl auch Telefon, dessen bin ich mir ziemlich sicher. Oder? Durian fängt an, mich – au!«

»Was ist passiert?«

»Mich verdammt zu nerven. Hör zu, Kynan, ich muss sie fragen, wie man einen Magiegebundenen trennt.«

»Bist du verrückt?«, sagte Kynan. Doch dann begriff er, dass sie aus gutem Grund von Carson redete und davon, wie man einen Magiegebundenen trennte. Sie fragte nicht danach, weil sie es wirklich wissen wollte, sondern weil sie wollte, dass Durian das alles mit anhörte und ihr vielleicht half, Rasmus auszutricksen. Schon ein Aufschub von ein oder zwei Sekunden konnte den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Zur Hölle. Das war verdammt clever. Kein Magiegebundener ließ sich eine Chance entgehen, seinem Magier zu entkommen. »Bist du noch dran?«

»Ja. Hast du nun die Nummer oder nicht?« Sie hörte sich wie eine gottverdammte Hexe an, so, als hätte sie ihm tatsächlich etwas zu befehlen.

Er gab ihr die Nummer und meinte dann mit einem bedauernden Achselzucken, das Maddy galt: »Ich komme so schnell wie möglich.«

Alexandrine antwortete nicht gleich. »Ich denke, dass das eine sehr gute Idee ist.«

Kynan beendete das Gespräch, und während er das Handy zuklappte, überlegte er, ob er das verdammte Ding nicht einfach auf die Straße werfen sollte. »Familiärer Notfall«, schwindelte er Maddy an.

»Oh?« Sie beugte sich vor und legte die Arme auf den Tisch. Sie gab sich nicht die geringste Mühe zu verbergen, was sie war. »Du bist ein sehr interessanter Mann, Kynan.«

Sie bot ihm einen verdammt tiefen Einblick in ihren Ausschnitt, und Kynan schaute nicht weg. Während der ganzen Zeit bemühte er sich, vor ihr zu verbergen, was er war. »Honey«, sagte er, »du hast keine Ahnung, was ich bin.«

Maddy, die schöne Hexe, lächelte. »Das macht dich umso interessanter«, erwiderte sie.

Kynan nahm seinen Kaffee und ihren Rucksack. »Lass uns gehen«, forderte er sie auf.