10n
Es musste inzwischen Freitag sein, wenn Xia sich nicht irrte. Er kümmerte sich nicht sonderlich um menschliche Zeiteinteilungen, es sei denn, er war dazu gezwungen, und so wusste er meist nicht, welcher Wochentag gerade war.
Er lag auf der Couch, den Blick gegen die Decke gerichtet. Seine Füße hingen über die Lehne, und er versuchte vergeblich, eine bequemere Position zu finden. Alexandrines Möbel waren nun mal nicht für jemanden von seiner Größe gemacht.
Was für eine elende Woche dies bis jetzt gewesen war. Seit sie sich nicht mehr gegenseitig an die Gurgel gingen – zumindest für den Moment galt das noch –, konnte er an nichts anderes denken als daran, wie er Alexandrine ins Bett bekam, während er ihren Geist beherrschte und ihre Magie ihm weit offen stand. Wie er es ihr richtig besorgte und sie ihn anbettelte, nicht aufzuhören. Nun ja, ein Tagtraum, der wohl kaum Wirklichkeit werden würde.
Gegen acht an diesem Morgen hatte er sie telefonieren hören, als sie sich auf der Arbeit krankmeldete. Danach hatte sie einen weiteren Anruf getätigt. Da war er gerade in der Küche gewesen, auf der Suche nach Essen und bemüht, nicht zu lauschen.
Allerdings hatte er nichts Essbares finden können. Nichts Vernünftiges jedenfalls. In dieser Wohnung herrschte totaler Lebensmittelmangel. Es gab nichts außer einer Dose weißer Bohnen, einer verstaubten Packung Reis und zwei verschrumpelten Möhren. Das war alles, und in seiner menschlichen Form brauchte er ab und zu etwas zu essen.
Gegen eins stand Xia kurz vorm Verhungern, und es gelang ihm immer seltener, seine Gedanken von dem Desaster mit der Hexe in der vergangenen Nacht abzulenken. Hunger ließ seine eh schon schlechte Laune auf den absoluten Tiefpunkt sinken. Da Alexandrine nicht zur Arbeit gegangen war, konnte er nicht mal eben verschwinden, um schnell irgendwo etwas zu essen, und er konnte sie auch nicht allein lassen, um Lebensmittel einzukaufen.
Erst gegen halb eins hatte er sie duschen hören, und als sie fertig war, war sie sofort in ihr Schlafzimmer zurückgekehrt. Gegen zwei war er dermaßen hungrig, dass er sogar den Tapetenkleister von der Wand geleckt hätte. Er überlegte, ob er Iskander oder gar Kynan anrufen sollte; er war in einer üblen Laune, zu übel, um mit Harshs Schwester fertigzuwerden, und er brauchte dringend die geistige Verbindung mit Wesen seiner Art.
Auch eine Stunde Dropkick Murphy bei voller Lautstärke half nicht viel. Er dachte trotzdem ständig daran, wie er Alexandrine ausziehen und in ihren Geist schlüpfen und sie beide noch mehr erregen würde, bevor er mit ihr schlief.
Sein Magen knurrte.
Xia stellte den Fernseher an und suchte einen Sender, auf dem gerade Cops lief, die Kultserie, die reale Polizisten bei ihren Einsätzen zeigte. Seine Lieblingssendung.
Verdammt, er brauchte einen Drink, doch ein Blick in ihren Kühlschrank hatte ihm gezeigt, dass es auch kein Bier gab. Es gab auch nirgendwo Wein. Verdammt, wie konnte jemand nur zwei Stunden von einem Weinanbaugebiet entfernt leben, ohne auch nur eine einzige Flasche Wein im Haus zu haben?
Irgendwie musste er sich entspannen und sich wieder auf das Wichtige konzentrieren. Er musste aufhören, sich vorzustellen, wie es wäre, mit einer Hexe Sex zu haben, und sich stattdessen überlegen, wie er diese eine besondere Hexe am Leben erhalten konnte, wenn niemand von der Sippe in der Nähe war, um ihm zu helfen, seine Batterien wieder aufzuladen oder ihn zu beruhigen.
Xia griff nach seiner Tasche und kramte darin herum, bis er ein kompliziert zu einem Umschlag zusammengefaltetes Blatt aus glänzendem weißem Papier fand, das so klein war, dass es in seine Handfläche passte.
Er war gerade dabei, es zu entfalten, als Alexandrine das Wohnzimmer betrat.
»Ist das Cops?«, fragte sie unbekümmert.
»Hm.«
Sie trug Jeans, ein schäbiges blaues Shirt und keine Schuhe. Ihr Haar hatte sie zurückgestrichen, doch ein paar helle Strähnen fielen ihr in die Stirn. Trotz der schlabberigen Kleidung und der schlecht sitzenden Frisur wirkte sie absolut heiß.
Allerdings würde sie nicht zulassen, dass er sie jemals wieder berührte, und selbst wenn er das Glück hätte, dass sie den Verstand verlor oder eine vorübergehende Amnesie erlitt, die sie gleichzeitig zur Nymphomanin werden ließ, würde sie sich wieder erholen, und Harsh würde ihm die Eier abschneiden. Dass er in nächster Zeit Sex bekam, konnte er sich abschminken.
»Ich liebe Cops.« Alexandrine kam näher, blieb dann jedoch abrupt stehen und starrte auf seine Hand. Genauer gesagt, auf das gefaltete Papier in seiner Hand. Er hätte wissen sollen, dass eine Hexe genau so und nicht anders reagieren würde.
Ihr Gesicht wurde ausdruckslos. »Drogen sind absolut tabu in meiner Wohnung, verstanden?«
»Ist mir schon aufgefallen. Du hast nicht mal Alkohol hier.« Er faltete den Umschlag weiter auf. Er war immer noch mies gelaunt, und seine Laune wurde nicht besser, nun, da ihm die Hexe gegenüberstand, die ihn so nervte.
Er spürte ihre Magie aufflackern, so heftig, dass sein Herz zu rasen begann. Doch genauso plötzlich erlosch sie wieder. So schnell, dass er seine Magie gar nicht erst zu ziehen brauchte, um sich gegen ihre abzuschirmen. Und dennoch richteten sich die Härchen in seinem Nacken auf.
»Unter keinen Umständen, Xia. Nicht hier«, erwiderte sie. Ihre Stimme war leise, aber eindringlich. »Nicht in meiner Nähe und nicht in meiner Wohnung.«
So wie sie ihn anschaute, hätte man denken können, er hätte ihr gerade erklärt, dass er am liebsten Babys zum Frühstück verspeiste. Gebuttert und auf einer Scheibe Toast.
»Das ist kein Kokain, falls du das befürchtest«, sagte er.
Sie legte die Arme auf ihren Bauch, als ob sie Schmerzen hätte. »Was dann?«
»Nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest.« Falls sie nur so tat, als hätte sie keine Ahnung, was das war, würde er das schon herausfinden.
»Aber ich mache mir Gedanken. Weil das hier meine Wohnung ist«, sagte Alexandrine. »Hier kommen keine Drogen rein. Nie.«
Sie machte ihn wahnsinnig mit diesem so verdammt leisen, beherrschten Tonfall – genau wie ihr Bruder. Mrs. Oh-wie-sind-wir-ruhig-und-vernünftig.
»Es ist keine Droge.« Er schüttete drei gelbe Dreiecke, nicht größer als Zehn-Cent-Stücke, auf seine Handfläche. »Jedenfalls nicht so eine Droge.«
Sie hockte sich ans äußerste Ende ihrer so verspielt wirkenden Couch, ein Bein unter sich gezogen.
Doch immer noch schien er ihr für ihren Geschmack viel zu nahe zu sein. Xia wusste, dass sie das nicht mochte. Hexen fühlten sich immer unwohl, wenn ihnen jemand wie er zu nahe kam, solange sie sich nicht sicher waren, ob es ihnen gelingen würde, ihn unter Kontrolle zu bringen. Damit kannte er sich aus. In der Beziehung war er ein Experte.
»Hör auf, mich anzustarren«, sagte er.
»Ist das Hasch?«
Es war schon merkwürdig, wie ernst Alexandrine das aussprach. Doch dann sagte er sich: Na und? War das sein Problem? Nein. Ihn brauchte nicht zu interessieren, was eine Hexe wollte. Nicht mehr. Nie wieder.
»Es sieht aber wie Hasch aus«, fügte sie hinzu.
»Ich hab dir doch gesagt, dass das keine Droge ist.« Was allerdings nicht ganz stimmte.
Als er die erste Pille nehmen wollte, packte Alexandrine ihn am Handgelenk. Die Berührung brannte. Falls sie es auch spürte, ließ sie es sich nicht anmerken. Er zog Magie, setzte sie aber nicht ein.
»Was zum Teufel tust du da?«, fragte Xia. Über seinen Rücken lief ein Schauder. Ihre Berührung erregte ihn. »Mach ruhig weiter so, pack mich an – und du wirst schon sehen, wo das endet. Im Bett nämlich.«
Alexandrine ließ ihn nicht los, und nun prickelte auch sein Arm. Seine ganze Haut prickelte unter ihrem intensiven Blick, vom Rücken bis hinauf zum Kopf. Ihre Magie machte ihm zu schaffen, instabil, wie sie war. Das Dumme war nur, dass auch er sich ziemlich schnell dem Punkt näherte, an dem er die Kontrolle verlor.
»Baby«, flüsterte er, und er war sicher, dass er sich nicht besonders nett anhörte. »Ich will es so sehr. Bist du bereit, mit mir zu schlafen?«
Sie ließ ihn los, doch das änderte nicht viel daran, dass er sie wie verrückt begehrte.
»Falls ich es heute Nacht nicht erwähnt haben sollte«, sagte sie. »Ich war für eine Weile ziemlich fertig.«
»Ich kann mich daran erinnern.« Xia nahm eine der Pillen zwischen die Fingerspitzen und hielt sie hoch. Achtete dabei sorgsam darauf, ob Alexandrine erkennen ließ, dass sie wusste, was es war.
»Das ist Copa«, erklärte er.
»Copa.« Sie sprach das Wort aus, als sei es ihr vollkommen unbekannt. Was sie im Übrigen zu erleichtern schien. »Nie davon gehört.«
»Ganz sicher nicht?« Wenn es ihm nicht bald gelang, sich zu entspannen, dann würde der Druck zu groß, um sich von selbst wieder zu lösen. Und er war nicht gerade dafür bekannt, dass er kluge Entscheidungen traf, wenn er unter zu viel Druck stand.
»Damals, in meinem früheren Leben, bin ich jeden Tag mit Drogen in Berührung gekommen.« Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Kokain. Crystal Meth. Dope. Alles, was du dir vorstellen kannst. Ich habe genug Leute gesehen, die sich damit umgebracht haben.«
Er steckte die Pille wieder zurück ins Papier und blickte Alexandrine an. »Nimmst du so ein Zeug etwa auch?« Er nahm ihren Arm und drehte die Handfläche nach außen.
Alexandrine ließ zu, dass er ihren Ärmel hochschob.
»Keine Narben«, stellte er fest.
Sie sah ihn an. »Willst du auch noch zwischen den Zehen nachschauen?«
»Du warst kein Junkie. Garantiert nicht.«
Alexandrine setzte sich in den Schneidersitz und senkte den Blick. »Nein, war ich auch nicht. Jedenfalls nicht das, was du unter einem Junkie verstehst.«
Wieder stieg unkontrolliert Magie in ihr auf. Xia war sicher, dass sie nicht wusste, dass sie zog, dennoch gab es ihm einen Kick. Und falls sie es doch wusste, dann hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie sie damit umgehen sollte.
Gut für sie beide, dass er es wusste.
»Aber ich war auf dem besten Weg, so richtig in Schwierigkeiten zu geraten«, erzählte Alexandrine weiter. Sie zuckte mit den Schultern. »Lässt sich wohl kaum vermeiden, wenn man so ein Leben führt. Dann fand mich meine Freundin Maggie und machte mich mit anderen Magiern bekannt. Magier wie ich, meine ich, und ich bekam mein Leben wieder auf die Reihe.«
Xia sah sie an. Versuchte sich vorzustellen, wie sie auf der Straße gelebt hatte, einer von diesen Magier-Abkömmlingen, die man sich selbst überlassen hatte. Die ohne Unterweisung blieben, wenn ihre Kraft erwachte, und nur zu leicht zur Beute wurden. Für Dämonen, die sich nicht zu kontrollieren wussten. Für Magier, die ihnen auch noch das letzte bisschen ihrer Magie rauben wollten.
Er hatte selbst einige von ihnen gejagt. Jagen müssen. Schmutzige, zugedröhnte Kids, die von ihrer eigenen Rasse verstoßen worden waren, nur weil sie deren Maßstäben nicht entsprachen. Oder Straßenmagier, die Macht besaßen, aber unfähig waren, sie zu beherrschen.
Wenn Alexandrine ihn geschlagen hätte, hätte sie ihn nicht mehr schockieren können. »Wirklich?«, fragte er.
»Jeder entscheidet selbst, was er seinem Körper antut.« Sie zog den Ärmel nicht wieder herunter, als Xia sie losließ. »Aber ich würde es wirklich sehr zu schätzen wissen, wenn du nichts nimmst, solange du bei mir in der Wohnung bist. Bitte, Xia.«
Wieder leckte sie ihre Lippen, und in Xias Gedanken blitzten wilde Bilder auf von dem, was sie mit ihrem Mund tun könnte.
»Ich kann das nicht ertragen«, fuhr sie fort und hielt seinem Blick stand. »Ich will das auch nicht ertragen. Nie mehr.«
»Weiß Harsh davon, wie du damals gelebt hast?«
»Er war nicht da.« Sie wickelte eine der kurzen Strähnen ihres Haars um ihren Finger. »Ich dachte, er wäre tot. – Also, Xia, wenn du dieses Zeug nehmen willst, dann musst du gehen. Ich denke, dass auch Harsh das verstehen würde.«
Xia klappte das Blatt wieder auseinander und betrachtete die Pillen. Natürlich konnte er sich wieder einmal danebenbenehmen. Verdammt, oft genug stieß er selbst seine eigenen Leute vor den Kopf.
Doch nun war in der Mauer aus Hass, den er für Alexandrine empfand, eine weitere Lücke entstanden. Eine Lücke, die sich noch vor zwei Minuten nicht dort befunden hatte.
Dass man an einem solchen Leben nicht zerbrach. Fast schon bewunderte er Alexandrine dafür. Und ihn schauderte, als er sich vorstellte, dass er genauso gut sie hätte erwischen können, jedes Mal, wenn Rasmus ihn losgeschickt hatte, um einen von diesen verstörten, unreifen Magiern zu fangen.
»Lass mich noch etwas dazu sagen, ja?« Xia hoffte, dass er keinen Fehler beging, wenn er ihr mehr verriet. Aber, verdammt, er brauchte dieses Zeug wirklich, um sich von all dem abzulenken, was er zu gern mit Alexandrine tun würde.
»Ja.«
»Die Sippe …«
Sie sah ihn verständnislos an.
»Meine Leute. Wir Dämonen«, erklärte er. »Wir brauchen Verbindung zueinander.« Xia legte seine Finger an die Schläfen. »Auf geistiger Ebene. Wenn wir uns nicht miteinander verbinden können, dann geht es uns ziemlich schlecht. Es ist dann schwieriger, sich zu konzentrieren oder sich zu beherrschen. Alles wird schwieriger und über kurz oder lang sogar … schmerzhaft.«
Ihre Blicke trafen sich. Er musste ihr begreiflich machen, was mit ihm los war. »Es zehrt an mir, diese menschliche Gestalt beizubehalten. Und, verdammt, noch mehr macht mir deine Magie zu schaffen. Aber von meinen Leuten ist niemand in der Nähe. Keiner, der mir helfen kann, die ständige Anspannung zu lösen, die mich quält. Daher brauche ich eine andere Möglichkeit, um wieder auf den Boden zu kommen. Wenn ich uns beide am Leben erhalten soll, dann muss ich etwas haben, was mich ruhiger macht.«
Ihr Blick war so durchdringend, als versuche sie, in seine Gedanken zu schauen. »Davon hatte ich keine Ahnung«, meinte sie schließlich.
»Ich weiß.« Xia lehnte den Kopf zurück und atmete tief durch. »Deswegen habe ich es dir ja auch erzählt.«
»Und jetzt geht es dir schlecht?«
Er wandte den Kopf und sah sie an. »Ich kann mich in deiner Nähe einfach nicht entspannen, Alexandrine.«
»Dafür kann ich nichts. Ganz bestimmt ist das nicht meine Schuld.«
»Behaupte ich ja auch gar nicht.« Er setzte sich wieder aufrecht hin und hätte sie dabei beinahe berührt. Er durfte die Hexe nicht berühren. Das wäre schlecht. Sehr schlecht. »Es ist nicht deine Schuld, dass ich so verdammt gern mit dir schlafen möchte und so gereizt bin, weil ich nicht bekomme, was ich haben will.«
»Ich weiß es zu schätzen, dass du mir davon erzählt hast.« Alexandrine kreuzte die Arme vor der Brust. Xia sah sie an, und sie wurde rot. »Ich meine von dem Copa, nicht von deinem sexuellen Frust! Ich dachte wirklich, du wolltest einfach nur high sein.« Sie machte eine Handbewegung, verschränkte die Arme dann aber schnell wieder. »Wie schlecht geht es dir wirklich?«
»So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Ich komme klar damit.« Was für eine Lüge! Eine Riesenlüge. Aber was würde es schon ändern, wenn er ihr das eingestand? Er würde es schaffen, weil er es schaffen musste.
Alexandrine schüttelte den Kopf. »Wenn du es nehmen musst, dann tu es, Xia.«
»Bist du sicher?«
»Ich habe schließlich nicht vor zu sterben. Du vielleicht?«
»Nun ja. Wo du recht hast, hast du recht. Danke.« Xia schlug das Blatt auf und nahm hastig zwei der Pillen, dann faltete er es wieder zusammen und steckte es zurück in seine Tasche. Bitte, lass das Zeug schnell wirken, dachte er. Sehr schnell!
»Wirkt das Zeug auch bei Menschen?«
Xia überlegte gut, bevor er antwortete. »Nicht bei Leuten ohne Magie.«
Sie blickte ihn aus schmalen Augen an. »Und bei denen mit Magie?«
Jetzt hatte er wohl keine Möglichkeit mehr, der Kugel auszuweichen, die genau auf seinen Kopf zuflog. Xia beschloss, keine Ausflüchte mehr zu suchen.
»Magier nehmen Copa ebenfalls«, erwiderte er, während er bereits die Wirkung der Pillen zu spüren begann – ein leichtes und angenehmes Gefühl des Wohlbehagens. Doch längst nicht stark genug, um sein Verlangen nach Alexandrine zu dämpfen.
»Aber Magier verbinden sich nicht auf die gleiche Weise wie ihr«, wandte sie ein. »Warum nehmen sie es dann?«
»Es wirkt bei euch anders als bei uns. Eine Zeit lang hilft es einem Magier dabei, mehr Macht zu ziehen, als es ihm sonst möglich wäre.«
Ihre volle Aufmerksamkeit war auf ihn gerichtet. Und nun saßen sie da, auf der Couch, ach, so gemütlich, und Xia empfand plötzlich einen ganz neuen Respekt für Alexandrine. Es war ihr gelungen, ihr Leben gänzlich umzukrempeln, und selbst ein Monster musste dem Achtung zollen.
Xia strich ihr mit dem Daumen über eine Augenbraue, und prompt verspürte er wieder Verlangen. Alexandrine wich zurück, doch nicht weit. Er wusste, sie begehrte ihn. Sie beide wollten, auf einer rein körperlichen Basis, das Verbotene. Das war krank, oder?
»Manchmal können Menschen ihre Magie nicht regulieren«, fuhr Xia fort. »Selbst wir müssen erst lernen, wie man richtig zieht, damit man genau das richtige Maß an Kraft einsetzt. Magiern, die das nicht beherrschen, hilft Copa, ihre Macht unter Kontrolle zu bekommen. Doch die meisten von euch benutzen es, um über mehr Magie zu verfügen.«
»Aber eine negative Seite gibt es immer, oder?«, sagte Alexandrine.
Er schob ihr das Haar hinter die Ohren und ließ die linke Hand in ihrem Nacken liegen. Und spürte augenblicklich, wie sein Verlangen wuchs.
»Viele der mächtigeren Magier missbrauchen es«, fuhr Xia fort. »Sie wollen diesen plötzlichen Anstieg ihrer Magie. Manche von ihnen nehmen es, bis es sie umbringt. Rasmus raucht es. Ich habe immer gehofft, dass er einmal eine Überdosis erwischen würde, aber er achtet sehr sorgfältig darauf, wann und wie viel er wie oft nimmt.«
»Was meine Vermutung bestätigt.«
»Nun ja. Ich hätte dir gleich alles über Copa erzählen sollen.«
»Richtig.« Erneut packte sie ihn am Handgelenk, und wieder spürte Xia seine Haut prickeln. Dann beugte sie sich zu ihm.
Xia war nicht dumm. Er erkannte eine Einladung, auch wenn sie nicht laut ausgesprochen wurde. Eine Einladung, hübsch unartig zu sein. Und ja, er war bereit, sie anzunehmen. Unter einer Bedingung.
»Du weißt, wie es ablaufen muss, Alexandrine.«
»Aber wieso? Ich verstehe das nicht. Ich dachte, du bist jetzt entspannt?«
Er stand auf, bevor er womöglich etwas Unüberlegtes tat. Etwas sehr, sehr Unüberlegtes. Er ging in die Küche. Hastig. Damit er nicht länger auf ihre schönen langen Beine zu schauen und sich vorzustellen brauchte, wie sie sie um ihn schlang, heftig atmend, und ihn anbettelte, bloß nicht mit dem aufzuhören, was sie beinahe in der vergangenen Nacht getan hätten. Und er wollte schon gar nicht daran denken, dass er all das nicht bekommen würde.
Sie folgte ihm. Wie Marys kleines Lamm aus dem alten Kinderlied, das ihr auf Schritt und Tritt hinterherlief.
Xia traute sich selbst kein bisschen. Himmel, wenn sie ihr Angebot aufrechterhielt, dann würde er es annehmen. Als er an den Tisch trat, war sie dicht hinter ihm. Und als er sich umdrehte, schoss ihm als Erstes der Gedanke durch den Kopf, wie schön es wäre, wenn sie nackt wäre. Wenn er nackt wäre und ihr Verlangen stillen könnte.
»Was ist das Problem, Xia?«
»Nichts«, behauptete er und öffnete einen Schrank, von dem er wusste, dass er leer sein würde. »Ich bin hungrig, und hier gibt’s nichts zu essen.« Er bemühte sich, bemühte sich wirklich, nicht über sie herzufallen, doch er merkte, wie seine Willenskraft bröckelte. Und das, obwohl er Copa genommen hatte. Ohne läge sie schon längst flach auf dem Rücken, und er wäre in ihr.
»Verdammt«, sagte er zum nächsten Schrank. »Das ist alles ein verdammter, elender Mist.«
»Hat dir zufällig schon mal irgendjemand gesagt, dass dein Benehmen gewöhnungsbedürftig ist?«
Er schaute zur Decke hinauf, als flehte er gerade den Himmel an, ihm Geduld zu schenken. Wäre es schlimm, wenn er hoffte, dass die Decke über ihr zusammenbrach?
»Das höre ich ununterbrochen, Baby.«
Himmel, er musste hier raus. Fort von ihrer Magie und ihren schönen langen Beinen. Entweder verschwand er, oder er landete mit ihr im Bett. Es gab nur diese Wahl. Und das Ergebnis stand bereits fest: weil sie nicht Ja sagen würde. In diesem einen, einzigen Fall, in dem er ihre Zustimmung brauchte.
»Wieso bist du plötzlich so gar nicht mehr nett?«, wollte Alexandrine wissen.
»Weil meine Nettigkeit zusammen mit mir vor einer Stunde an Hunger gestorben ist«, erwiderte er, ohne darüber nachzudenken, ob diese Antwort eine gute Idee war.
»Hey, was für ein Problem hast du? Ich dachte, dieses Zeug würde dich milder stimmen. Wenn du meine Meinung hören willst: Du führst dich jetzt schlimmer auf als vorhin.«
Xia schaute auf den Boden, dann sah er Alexandrine an. »Was mein Problem ist? Erstens habe ich Hunger.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Und zweitens?«
»Ich will dich so sehr, dass es schmerzt. Deine Magie macht mich verrückt.«
Alexandrine wurde ganz still, und verdammt, dieses Schweigen tat weh. Sein Rücken prickelte. Eine Hexe zu verärgern war nicht besonders klug. Sie machte einen Schritt auf ihn zu, und Xia spürte, wie Magie in ihr hochbrodelte. Aus langer Gewohnheit heraus schützte er sich gegen ihre Strafe. Doch nichts geschah.
»Tut mir leid«, sagte sie und zuckte mit den Schultern. »Ich wünschte, es wäre anders. Echt.«
Sein Tag wurde aber auch wirklich immer besser. Jetzt tat er einer Hexe schon leid. »Könnten wir einfach das Thema beenden?«, sagte er.
»Ich weiß, dass nichts zu essen hier ist«, meinte Alexandrine. Sie trat an einen Schrank und holte eine große Tüte Popcorn-Mais heraus.
Was ihm einen großartigen Blick auf ihren Hintern verschaffte. Hübsch. Und prompt trat ihm ein anderes Bild vor Augen. Wie sie ihren nackten Po gegen seinen nackten Körper drückte. Wie sein Penis in … nun ja, vielleicht sollte er doch lieber an etwas anderes denken.
Alexandrine nahm eine schwere Eisenpfanne und eine Flasche Rapsöl. »Ich hatte einfach keine Gelegenheit einzukaufen.« Sie stellte den Herd an und goss Öl in die Pfanne. »Ich hasse es zu kochen.«
Xia wusste, dass er sich schäbig benommen hatte, also riss er sich zusammen. »Tut mir leid, wenn ich gemein war. War nicht deine Schuld.«
»Okay.«
»Hast du nicht gerade gesagt, du magst nicht kochen?«
Sie hielt den Blick auf die vier Maiskörner gerichtet, die sie in die Pfanne geworfen hatte. »Popcorn zu machen ist doch kein Kochen.«
Richtig, jetzt, da er darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass er sie bisher nicht ein einziges Mal hatte kochen sehen. An jenem Tag, als er sich bei ihr auf der Arbeit herumgetrieben hatte, hatte sie auf dem Rückweg kurz angehalten und etwas zu essen mitgenommen. Mist. Irgendwas hatte er da durcheinandergebracht.
»Tut mir leid«, sagte er.
Alexandrine machte eine abwehrende Handbewegung. »Ist schon okay.«
»Hör zu. Ich bin daran gewöhnt, dass man mir sagt, was ich tun soll und wann.« Ihre Augen wurden groß, während er das sagte. Er wusste es nicht zu deuten. War sie jetzt wieder böse, oder was? »Dieser ganze Freiheitskram ist noch zu ungewohnt für mich. Ich baue ständig irgendwelchen Mist.«
Eines der Körner sprang hoch, und Alexandrine wandte sich wieder der Pfanne mit dem heißen Öl zu. Einen ihrer bloßen Füße hatte sie auf den anderen gestellt. Und so lange, lange Beine.
Er wusste nicht, was er von ihrem Schweigen halten sollte. Sein Rückgrat prickelte. Nicht, weil sie Magie gezogen hätte, sondern weil er damit rechnete, dass sie es tun würde. So wie alle Magier es taten. Sie machten Dämonen fertig, wo immer und wann immer sie konnten.
Doch Alexandrine schüttete lediglich den Mais in die Pfanne und setzte einen Deckel darauf.
Sie sagten beide nichts, während die Körner aufpoppten. Alexandrine holte eine alberne hellrote Schüssel aus dem Schrank, auf der auf einer Seite »Popcorn« stand und auf deren Rand aufgemaltes weißes Popcorn tanzte.
»Das glaub ich nicht«, murmelte Xia vor sich hin.
»Doch. Ich bin wirklich eine ausgesprochen liebenswerte Person, das wirst du schon noch merken.« Sie überprüfte das Popcorn und schloss dann erneut den Deckel. »Wir alle sind manchmal nicht so gut drauf, aber wie du es drehst und wendest, ich bin keinesfalls die böse Hexe, für die du mich hältst.«
O Mann, da versuchte er, fünf Minuten lang nett zu sein, und was passierte? Er steckte bis zum Hals in Stress. »Hexen verursachen mir eine Gänsehaut.« Er zeigte mit dem Finger auf sie. »Und jetzt habe ich eine Gänsehaut. Auch wenn es vielleicht nicht deine Schuld ist.«
Alexandrine lehnte sich zurück, verschränkte erneut die Arme vor der Brust. »Super. Ich bin die böse Hexe, die nur einmal zu schielen braucht, um dich in die Knie zu zwingen.« Sie begann zu schielen. »Oh, du liegst ja gar nicht auf dem Boden und windest dich vor Pein.« Ihre Augen blickten wieder normal. »Mist aber auch. Was ist da bloß schiefgelaufen? Könnte es sein, dass meine Magie gar nicht funktioniert?« Ihre Stimme hob sich. »Oder könnte es sein, dass ich nichts davon halte, anderen Leuten Schmerz zuzufügen, nur weil sie eine Persönlichkeitsstörung haben?«
»Aber du bist eine Hexe.«
Ihre Augen weiteten sich erneut. Sie wirkte verletzt.
O je, das lief gar nicht gut. Ihr sollte doch inzwischen bewusst sein, in welcher Gefahr sie sich befand, seit Rasmus Kessler hinter ihr her war. Nur schien sie es immer noch nicht wirklich begriffen zu haben, und das war verdammt nervtötend. Zur Hölle, Iskander wäre ein besserer Kandidat als er für diesen Babysitter-Job gewesen, obwohl Iskander vollkommen irre war. Und er selbst begehrte sie immer noch.
»Ich sehe schon, wir beide werden ein richtig lustiges Wochenende miteinander verbringen.« Alexandrine nahm die Pfanne vom Herd, füllte das Popcorn in die Schüssel und streute Salz darauf.
»Was, keine Butter?«
»Kommt doch gerade frisch aus dem Fett.« Sie probierte. »Außerdem ist Butter schlecht für dich.«
Xia griff sich eine Handvoll Popcorn aus der Schüssel. Auch ohne Butter war es das beste Popcorn, das er je gegessen hatte. Tausendmal besser als das Zeug, das in der Mikrowelle gemacht wurde. O verdammt, er wollte Alexandrine haben. Jetzt. Hier auf dem Tisch.
»Weißt du, du bist nicht der Einzige hier mit Problemen«, meinte sie. Sie schien nicht zu ahnen, was er dachte. »Ich versuche schon die ganze Zeit, mich selbst davon zu überzeugen, dass das, was heute Nacht zwischen uns passiert ist, nur deshalb geschehen konnte, weil ich so lange keinen Freund hatte.«
»Aber?«
»Aber ich habe nie jemanden gefunden, der damit umgehen konnte, was ich bin. Du schon, und du kannst dir nicht vorstellen, was das für mich bedeutet. Fast mein ganzes Leben lang musste ich mir von anderen anhören, dass ich verrückt bin. Du gehörst nicht zu denen, die mich nur deshalb fallen lassen würden, weil ich anders bin. Eine Hexe.«
Alexandrine hielt Xia die Schüssel hin, und er nahm sich mehr Popcorn. »Ja, ich weiß, du hasst Hexen, aber wenigstens brauche ich mich bei dir nicht zu verstellen. Deshalb habe ich nachgedacht. Und bin zu einem Ergebnis gekommen. Zum Teufel, ja, ich möchte mit dir schlafen.«
Xia betrachtete den Tisch. Schien stabil genug zu sein. »Einverstanden«, sagte er.
»Ich habe mich auch gefragt, ob ich mit deiner Bedingung klarkomme. Vielleicht. Wahrscheinlich nicht. Vielleicht. Woher soll ich das wissen?«
Er aß sein Popcorn. »Und?«
Sie sah ihn zögernd an. »Und ich hätte gern, dass du meine Freundin Maddy kennenlernst.«
Xia verschluckte sich fast. »Was?«
»Ich hab sie für heute Abend zum Essen eingeladen.« Alexandrine setzte ein strahlendes, falsches Lächeln auf. »Ich hoffe, du isst gern thailändisch.«
»Vergiss es.«
»Sie ist kein normaler Mensch, Xia. Sie ist die stärkste und cleverste von uns, und ich muss unbedingt mit ihr reden. Darüber, was hier abgeht. Weil ich sonst durchdrehe.«
»Sie ist eine Hexe.« Xia ging zum Kühlschrank und öffnete ihn. Zog die beiden Gemüsebehälter auf. Die verschrumpelten Möhren waren immer noch da.
»Sie ist nicht so wie Rasmus. Kein bisschen. Keiner von uns ist so.«
Er starrte noch einen Moment in den Kühlschrank, dann schlug er die Tür so heftig zu, dass alles klapperte. »Ich will sie nicht hier haben.«
»Ich finde, sie sollte dich kennenlernen«, widersprach Alexandrine.
So würde er sich nie entspannen! »Ich bin kein Schoßhündchen, das man überall herumzeigt.«
»Natürlich nicht. Aber …«
Er öffnete einen Schrank nach dem anderen und entdeckte entweder Staub oder ihr Geschirr. Im letzten Schrank stand die Dose mit den weißen Bohnen.
»Sind die noch gut?«, wollte er wissen.
Alexandrine zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, wo mein Dosenöffner steckt.«
»Es gehört nicht zu meiner Aufgabe, auch noch andere Hexen zu schützen.«
»Weiß ich doch.« Sie senkte den Blick, versuchte, sich nicht einschüchtern zu lassen. »Trotzdem kommt sie. Wenn du nicht willst, kannst du ihr aus dem Weg gehen. Du kannst im Schlafzimmer bleiben.«
»Schämst du dich für mich?«
»Wieso benimmst du dich schon wieder so unmöglich?«
Xia stand mitten in der Küche und sah Alexandrine an. »Falls es Ärger gibt, muss sie selbst sehen, wie sie damit fertigwird.«
»Klingt fair«, meinte sie.
Er begab sich erneut auf die Suche nach etwas Essbarem. Vielleicht hatte er ja etwas übersehen.
»Du hast überhaupt keine Lebensmittel hier. Wie kann man so leben? Warum zum Teufel hast du nichts zu essen da?«
»Warum zum Teufel kriegst du schon wieder einen Rappel? Ich hatte eben eine Zeit lang keine Gelegenheit zum Einkaufen, klar? Was sich auch nicht ändern wird, solange ich unter Hausarrest stehe.«
Xia stemmte die Hände in die Hüften. »Du bist doch arbeiten gegangen. Warum glaubst du, du könntest nicht auch einkaufen gehen?«
»Ach, keine Ahnung.« Alexandrine setzte sich und streckte die Beine aus. »Vielleicht, weil mir ein paar Dämonen die Tür eingetreten und versucht haben, mich umzubringen?«
»Solange wir nur bei Tageslicht die Wohnung verlassen, ist es okay«, erwiderte er. »Uns bleiben noch mindestens drei Stunden, bevor es kritisch wird. Deine Magierkollegen achten sorgsam darauf, sich Normalsterblichen nicht zu erkennen zu geben. Tagsüber halten sie sich bedeckt.« Aus diesem kleinen, engen Apartment zu verschwinden war die beste Idee, die er seit einem Jahrhundert gehabt hatte. »Also los, lass uns gehen.«
Alexandrine lehnte sich zurück. »Wir könnten uns auch etwas kommen lassen.«
»Sie können gar nicht genug liefern, um mich wieder glücklich zu machen. Ich stehe kurz vorm Verhungern. Lass uns gehen.«
»Ist ja schon gut …«
Während Alexandrine nach ihren Schuhen suchte, zog Xia sich seine schwarze Lederhose und ein weißes T-Shirt an. Schweigend verließen sie die Wohnung. Alexandrine rückte ihren leeren Rucksack zurecht, und Xia gab ihr einen Helm.
Misstrauisch beäugte sie seine Harley, als er den Motor startete. »Ich habe noch nie auf so einem Ding gesessen.« Sie musste fast schreien, um den Motorenlärm zu übertönen.
Xia ließ den Motor aufheulen. »Du brauchst nichts anderes zu tun, als dich an mir festzuhalten, Baby.«