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Im Gerichtssaal war es auch nicht wesentlich kühler als in der Gemeinschaftszelle, aus der sie Michael gerade gezerrt hatten. Die Luft stand regelrecht, und die Zuschauer, die sich eingefunden hatten, um den Prozessen beizuwohnen, fächelten sich mit Zeitungen und Hüten Luft zu, was aber auch nicht viel brachte.

Michael war allerdings nicht mal das möglich. Man hatte seine Hände auf den Rücken gefesselt, um zu verhindern, dass er jemanden niederschlug. Da interessierte es die Wächter auch nicht, dass er dies eigentlich gar nicht vorhatte.

Nach seiner Verhaftung war er sich nicht sicher, ob er einen fairen Prozess bekommen würde. Wenn schon der Marshal nicht auf ihn hören wollte, warum sollte es denn der Richter tun?

Aber vielleicht bestand für ihn doch noch eine Chance. Immerhin war seine Schwester noch dort draußen, und diese würde es sicher nicht zulassen, dass man ihn ins Zuchthaus oder vielleicht sogar an den Galgen brachte.

Als er den Gerichtssaal betrat, hielt er Ausschau nach ihr, doch er konnte sie in der Menschenmenge nicht entdecken. Viel Zeit, weiterzusuchen hatte er auch nicht, denn die Wärter lotsten ihn und die anderen Häftlinge dieses Durchganges zu einer Bank, auf der noch andere Delinquenten saßen.

Michael landete neben einem finster dreinblickenden Typen, der so aussah, als hätte er seine breiten Hände schon öfter dazu benutzt, um jemandem den Hals umzudrehen.

»Na, was hast du ausgefressen, Kleiner?«, sprach ihn dieser auch sogleich an.

»Gar nichts«, entgegnete Michael wahrheitsgemäß und hörte, wie der Kerl rau auflachte.

»Ha, ich habe auch nichts getan, und trotzdem sitzen wir beide hier. Das ist doch komisch, oder?«

»Ruhe!«, donnerte da die Stimme des Richters, und Angeklagte wie Zuschauer verstummten plötzlich.

»Kommen wir nun zur Sache, Michael Garner! – Marshal, bringen Sie den Angeklagten nach vorn!«

Michael hätte nicht damit gerechnet, dass er so früh an der Reihe war, doch bevor er darüber nachdenken konnte, wurde er vom Sternträger, der sie in den Gerichtssaal gebracht hatte, von der Kette, die sie alle zusammenhielt, losgemacht und nach vorn gebracht.

»Sie sind Michael Garner aus Amarillo?«, fragte der Richter, als der Junge vor ihm stand, und bedachte den Angeklagten mit einem strengen Blick.

»Ja, der bin ich, Sir!«, antwortete er und versuchte dabei, so ruhig wie möglich zu bleiben. Sicher würde sich alles aufklären, wenn er nur dazu kommen würde, seine Geschichte zu erzählen.

»Gut. Das da ist Mr Blakewood, er wird Sie, wie alle anderen, verteidigen.« Der Richter deutete auf den Mami, der hinter der Verteidigerbank saß, und wandte sich dann wieder dem jungen Mann zu. »Ich bin kein Mann, der sich gern lange mit irgendwelchen Lügen aufhalten lässt, also überlegen Sie es sich gut, ob Sie ein Geständnis ablegen oder sich lieber auf die Meinung der Geschworenen verlassen wollen.«

»Aber was sollte ich gestehen?«, entgegnete Michael daraufhin. »Ich habe nichts getan!«

»Das sieht Town-Marshal Carmichael anscheinend anders, sonst hätte er Sie nicht verhaftet. Sie sollen Komplize bei dem gestrigen Überfall der National Bank gewesen sein.«

»Aber ich habe die Bank nicht überfallen, und ich kenne die Kerle nicht, die das getan haben. Ich bin nur mit ihnen zusammengestoßen und dabei wurden unsere Gitarrenkoffer vertauscht.«

Der Richter betrachtete den jungen Mann einen Augenblick lang, dann winkte er seinen Gerichtsdiener heran. »Fenton, nehmen Sie diesen Mann unter Eid. – Mr Blakewood, haben Sie schon irgendwelche Zeugen, die Sie aufrufen können?«

Bevor der Verteidiger antworten konnte, wurde die Tür des Gerichtssaales aufgerissen, und eine schrille Frauenstimme rief: »Halt! Warten Sie!«

Im nächsten Augenblick sahen das Gericht und die Zuschauer eine junge Frau durch die Sitzreihen stürzen. Ihr langes, schwarzes Haar hing wirr über ihre Schultern, und ihre Kleider waren über und über mit rotem Staub bedeckt, dennoch war sie eine echte Schönheit.

Das war vielleicht auch der Grund, warum der Richter innehielt, den Hammer senkte und dann fragte: »Wer sind Sie, und was wollen Sie?«

»Der Mann da ist unschuldig!«, rief die Frau und deutete auf den Mann, der gefesselt neben dem Marshal stand. »Sie dürfen ihn nicht verurteilen!«

Auf diese Worte ging ein Raunen durch die Zuschauer.

»Haben Sie denn irgendwelche Beweise für seine Unschuld?«, fragte der Richter und bedachte die Frau mit einem strengen Blick.

»Ja, ich bin der Beweis!«, entgegnete sie furchtlos, worauf die Leute erneut aufraunten. »Mein Bruder und ich sind heute gerade in Santa Fe angekommen! Vor ein paar Tagen waren wir noch in Socorro! Alles, was mein Bruder hier tun wollte, war, Arbeit zu finden, keine Bank auszurauben!«

»Und was war mit dem Koffer, den er bei sich trug?« Die Stimme des Richters klang unerbittlich. Für ihn stand die Schuld des jungen Mannes anscheinend schon fest.

»Er hat dem Marshal doch gesagt, dass er auf der Straße mit ein paar Kerlen zusammengestoßen ist. Sie haben die Koffer verwechselt.«

»Haben Sie das selbst auch gesehen?«

»Nein, ich habe mich im Wagen versteckt, als ich die Schüsse gehört habe. Ich habe sie nur davonlaufen sehen. Aber ich bin mir ganz sicher, dass mein Bruder nicht zu der Bande gehört. Wir haben nie etwas mit irgendwelchen Banditen zu tun gehabt!«

Auch das schien den Richter immer noch nicht zu überzeugen. Und an seiner ärgerlichen Miene konnte jedermann im Gerichtssaal ablesen, dass er nicht vorhatte, sich länger als nötig mit diesem Fall herumzuschlagen.

»Woher wollen Sie wissen, dass Ihr Bruder nicht doch mit der Bande zusammenarbeitet? Immerhin sind Sie zum Zeitpunkt des Überfalls in der Stadt gewesen und die Kerle haben ihm den Koffer mit dem Geld gegeben. Wahrscheinlich, damit er es in Sicherheit bringt.«

»Das ist eine Lüge!«, brüllte Michael nun wieder. »Ich kenne diese Kerle überhaupt nicht!«

»Ruhig, Angeklagter, Sie reden, wenn ich Ihnen das Wort erteile.«

»Nun, Miss?«

Jennifer wusste nicht, was sie tun sollte. Wie es aussah, ritt sie ihren Bruder mit jedem Wort, das sie sagte, tiefer hinein.

»Ich weiß nur, dass mein Bruder nichts mit diesen Kerlen zu tun hat. Er hat für sie weder irgendwelche Botendienste übernommen, noch kennt er sie. Und wenn es sein muss, werde ich mich selbst auf die Suche nach den Banditen machen.«

»Aber Jennifer, das kannst du doch nicht ...«, wandte Michael ein, doch der Richter unterbrach ihn erneut.

»Ruhe, habe ich gesagt!«, brüllte er und wandte sich dann wieder an die junge Frau.

»Sie wollen mir die Banditen bringen?« Nur schwerlich konnte sich der Richter ein Lachen verkneifen. Es war Wahnsinn, was die junge Frau da vorhatte, und sicher glaubte niemand im Gerichtssaal, dass sie es schaffen konnte.

»Ich werde es tun, wenn es sein muss!«, antwortete Jennifer kühn und schaute dem Richter fest in die Augen, um ja keine Zweifel an ihrer Absicht aufkommen zu lassen.

»Nun gut, wie Sie wollen«, lenkte der Richter daraufhin ein. »Wenn Sie es schaffen, bis spätestens in einer Woche einen der Banditen herbeizuschaffen, der Ihren Bruder entlasten kann, wird das Verfahren gegen ihn fallen gelassen. Wenn nicht, machen wir mit dem Prozess weiter, und zwar mit dem, was der Verteidiger in der Zwischenzeit für Ihren Bruder auftreiben kann. Marshal!«

Der Sternträger trat vor und nickte.

»Bringen Sie diesen Mann wieder zurück, das Verfahren gegen ihn wird vertagt. Und dann schaffen Sie mir Mr Cooper her. – Und Sie, Miss, machen sich besser an die Arbeit und lassen mich meine machen, ohne noch einmal zu stören. Sonst überlege ich es mir noch, und dann setzt es nicht nur eine Geldstrafe, sondern der Prozess gegen ihren Bruder wird sofort fortgesetzt!«

Der Richter bedachte die junge Frau noch einmal mit einem strengen Blick, dann wandte er sich dem nächsten Angeklagten zu.

Jennifer stand noch einen Augenblick vor ihm und wusste nicht so recht, was sie tun sollte, dann wandte sie sich um. Während sie der Tür zustrebte, beobachtete sie, wie Michael wieder an die Kette mit den anderen Verbrechern angeschlossen wurde.

Nie und nimmer hätte sie damit gerechnet, dass sie jetzt auf Kopfgeldjagd gehen musste! Und wie ihr Bruder sie anschaute, schien es ihm genauso zu ergehen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, worauf sie sich da eingelassen hatte. Und sie fragte sich, wie sie ihr Versprechen einlösen sollte.

Aber irgendwas würde ihr schon einfallen ...

Während sie zur Tür ging, pfiffen ihr die Angeklagten hinterher, doch Jennifer kümmerte sich nicht darum. Sie warf ihrem Bruder noch einen kurzen Blick zu, dann verließ sie den Gerichtssaal wieder.

Am liebsten wäre sie zu ihm gegangen und hätte ihm gesagt, dass alles gut werden würde, doch das traute sie sich nicht. Immerhin konnte der Richter seine Meinung noch ändern, und das wollte sie auf gar keinen Fall.

Draußen vor dem Gericht setzte sie sich auf die Treppe und stützte das Gesicht auf ihre Hände.

Wie zum Teufel sollte sie an die Banditen kommen?

»Na, wie ist es gelaufen?«, fragte plötzlich eine Männerstimme, und als Jennifer aufschaute, sah sie Marshal Davis vor sich stehen.

»Nicht besonders«, antwortete sie und erhob sich dann, »Der Richter hat den Prozess gegen meinen Bruder für eine Woche vertagt, und so lange habe ich Zeit, um die richtigen Bankräuber zu finden.«

»Was?« Jonathan Davis fiel aus allen Wolken. Was hatte sich Richter Adams denn dabei gedacht?«

»Ja, Sie haben schon richtig gehört«, sagte das Mädchen daraufhin. »Der Richter hat sich nicht lange mit mir aufgehalten, und im Nachhinein wundert es mich, dass er mich nicht gleich hinausgeworfen hat. Genauso wie der Marshal wollte er auch nicht auf mich hören, als ich sagte, dass Michael unschuldig sei. Und als ich ihm vorgeschlagen habe, die Banditen zu finden, hat er gemeint, dass ich eine Woche Zeit hätte, um wenigstens einen von ihnen zu ihm zu bringen.«

Jonathan Davis schüttelte den Kopf. So etwas konnte es doch nicht geben. Stand der Richter so arg unter Druck, dass er den Zeugen nicht mehr zuhörte und sie stattdessen in ihr Verderben schickte?

»Tja, dann wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als mein Versprechen einzulösen«, sagte Jennifer, nachdem sie den Marshal einen Augenblick lang Hilfe suchend angeschaut hatte. »Wissen Sie vielleicht, wo ich hier in der Stadt Munition herbekommen kann?«

»Sie wollen sich doch nicht wirklich allein auf die Suche nach den Banditen machen«, entgegnete Jonathan und sah das Mädchen nicken.

»Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben, wenn ich meinen Bruder aus dem Jail holen will. Wer sollte mir denn helfen?«

»Ich beispielsweise!«, entgegnete der Marshal. »Ich kann Sie nicht einfach ins Verderben rennen lassen! Bestenfalls werden die Kerle Sie erschießen, und wenn Sie Pech haben, werden Sie sich wünschen, dass sie gleich geschossen hätten. Mit solchem Pack sollte sich eine Frau besser nicht anlegen,«

»Aber mir bleibt ja gar nichts anderes übrig!«, sagte Jennifer fast schon verzweifelt. »Der Richter wird seinen Beschluss nicht rückgängig machen. Und ich wüsste nicht, wie ich Michael anders entlasten sollte!«

Da hatte sie Recht, das musste Marshal Davis zugeben.

»Okay, bleiben Sie ganz ruhig, Miss Garner. Wenn Sie sich schon auf die Suche nach den Banditen machen müssen, dann mit mir gemeinsam! Packen Sie in der Zwischenzeit alles zusammen, was Sie auf der Reise mitnehmen wollen, aber achten Sie darauf, dass es nicht zu viel ist. Wir können nicht mit einem Wagen reisen, sondern müssen reiten, und die Pferde haben es nicht gern, wenn sie neben dem Reiter noch anderen Kram tragen müssen. Sobald ich den Richter gesprochen habe, komme ich zu Ihnen in den Saloon und bringe Munition und ein paar Sachen für Sie mit. Okay?«

Das Mädchen nickte.

»Gut, dann gehen Sie jetzt, ich werde sehen, was sich machen lässt.« Mit diesen Worten wandte sich Jonathan um und lief dann die Treppe zum Gerichtsgebäude hinauf.

Jennifer schaute ihm kurz nach, dann setzte sie sich ebenfalls in Bewegung und ging zurück zum Saloon. Dabei merkte sie allerdings nicht, dass sie beobachtet wurde ...