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Als die Glocke der Kirche in Santa Fe zwölf schlug, waren die Sidewalks der Stadt nahezu leer. Die Mittagshitze zwang die Leute in ihre Häuser, und auch den Straßenkötern wurde es nun zu heiß.
Doch den vier Männern vor der Town-Hall schien das nichts auszumachen. Im Gegensatz zu den Bewohnern von Santa Fe, die jetzt ihre Mittagsruhe einlegten, wurden sie erst richtig munter. Sie schoben sich die Hüte aus dem Gesicht, zogen ihre Ponchos aus und schnappten sich dann die Gitarrenkoffer. Mit diesen marschierten sie auf die Bank zu. Um diese Zeit war nur noch ein Bediensteter am Schalter, und dieser war gerade dabei, die Zeitung zu lesen.
Er bemerkte die Männer nicht, und er sah auch nicht, wie sie sich kurz vor dem Eingang die Tücher, die sie bislang um den Hals getragen hatten, über die Nasen zogen. Erst das Läuten der Türglocke schreckte ihn von seiner Lektüre auf, und seine Augen wurden groß wie Teetassen, als er die Maskierten sah.
Was das bedeutete, wusste er nur allzu gut!
Er wollte schon den Mund aufreißen und nach Hilfe schreien, doch da rissen die vier ihre Waffen hoch.
»Ruhig, Amigo!«, sagte der Anführer mit gefährlich leiser Stimme zu ihm. »Wenn du schreist, pumpen wir dich so voll Blei, dass du durch den Boden brichst. – Also, Pfoten hoch und keinen Laut!«
Dem Kassierer stand weiterhin der Mund offen, doch er reckte brav die Hände in die Höhe und brachte, wie befohlen, keinen einzigen Ton heraus. Jedenfalls in diesem Augenblick.
Die vier Männer kamen inzwischen näher und umstellten den Schalter, hinter dem der Mann stand.
Dieser schaute nach allen Seiten, den Kopf zu drehen, wagte er aber nicht. Er wusste, dass sich noch zwei seiner Kollegen in der Bank befanden. Sie konnten vielleicht ungesehen aus der Bank verschwinden und den Marshal benachrichtigen. Aber wahrscheinlich hatten sie noch gar nichts von dem Überfall mitbekommen, denn er hatte nicht geschrien und die Banditen nicht geschossen.
»So, Freundchen, und da du so brav die Klappe hältst, wirst du uns jetzt das Geld aus dem Safe holen. Alles Geld!«
Mario nickte den beiden Männern zu, die das Geld einsammeln sollten. Sie sprangen mit einem Satz über den Tresen und hielten dem Kassierer ihre Kanonen direkt vor die Nase.
»Vorwärts!«, herrschten sie ihn an, und ihm blieb nicht anderes übrig, als ihrem Befehl zu folgen. Mit erhobenen Händen wandte er sich um und ging in den Tresorraum. Noch immer war niemand da, der ihm vielleicht hätte helfen können. Seine Kollegen hörten nichts, und wenn, würde es für ihn sicher zu spät sein, denn die Burschen hinter ihm machten sicher keine Witze.
Ihm blieb also nichts anderes übrig, als die Banditen in den Tresorraum zu führen, zu dem großen Stahlschrank, in dem das Geld und die Wertpapiere der gesamten Stadt eingelagert waren.
»Los, mach schon die Tür auf, wir haben nicht ewig Zeit!«, fuhr ihn einer der Banditen an und drückte ihm den Lauf in den Rücken.
Der Kassierer griff mit zitternden Händen nach den Rädchen, mit denen die Zahlenkombinationen eingestellt wurden. Aus dem Augenwinkel heraus schaute er zu dem vergitterten Fenster, das zu der Straße gewandt war, die parallel zur Main Street verlief. Vielleicht kam ja jemand vorbei, schaute hinein und sah, was da vor sich ging ...
Doch es war Mittagszeit, und so wurden sie nicht gestört.
»He, hast du keine Ohren am Kopf?«, fuhr ihn der Bandit, dem die ganze Sache schon entschieden zu lange dauerte, wieder an und bohrte ihm die Gewehrmündung fast schon schmerzhaft in die Seite. »Beeil dich gefälligst, sonst mache ich dich kalt, und wir nehmen den ganzen Tresor mit!«
Dass sie den Safe sicher nicht ohne Kombination aufbekommen würden, fiel dem Kassierer in seiner Angst gar nicht erst ein. Er drehte die Rädchen hastig, bis ein leises Klicken ertönte, dann öffnete er die schwere Stahltür.
Den beiden Banditen gingen die Augen über. Ihr Anführer hatte tatsächlich nicht zu viel versprochen. So viel Geld hatte noch keiner von ihnen jemals auf einem Haufen gesehen. Sie stellten ihre Gitarrenkoffer ab, ohne ihre Schießeisen auch nur einen Moment lang von dem Kassierer abzuwenden.
»Los, mach den Koffer auf!«, herrschte der eine Bandit den Mann wieder an. »Und dann wirst du alles Geld, was in dem Safe ist, dort hineinräumen! Und lass dir ja keine Dummheiten einfallen, Amigo, ist das klar?«
Der Kassierer beeilte sich zu nicken, dann bückte er sich und machte sich an die Arbeit.
Er klappte die Koffer auf und räumte dann den Inhalt des Tresors hinein: Geld, Wertpapiere und Pfandbriefe. Und er wollte sich gar nicht ausmalen, was der Bankpräsident mit ihm anstellte, wenn herauskam, dass er den Banditen die Wertsachen ausgehändigt hatte. Er würde wohl seines Lebens nicht mehr froh werden, wenn er den Schaden ersetzen musste.
Nach einer Weile waren beide Koffer so prall gefüllt, dass der Kassierer fast schon fürchtete, dass die Deckel gar nicht mehr zugehen würden. Vielleicht musste er dann doch wieder etwas rausräumen.
Doch die Männer sahen nicht so aus, als würden sie etwas zurücklassen wollen. Und so war es dann besser, dass er die Deckel doch verschließen konnte. Als er dies getan hatte, richtete er sich wieder auf und schaute die beiden Männer an. Was würden sie nun mit ihm machen, wo sie die Beute hatten und er somit Ballast für sie geworden war?
»Los, vorwärts!«, sagte der Bandit nun wieder, während er und sein Kumpan die Koffer wieder aufnahmen. »Geh nach vorn, und wehe, du reißt deine Klappe auf!«
Der Kassierer gehorchte, und obwohl ihn die Kerle nicht dazu aufgefordert hatten, nahm er auch wieder die Hände hoch.
Als Mario sie mit den prall gefüllten Koffern kommen sah, setzte er ein breites Grinsen auf, was man wegen des Tuches höchstens von seinen Augen ablesen konnte.
»Habt ihr alles?«, fragte er, und sah seine Kumpane nickten.
»Si, Comandante, der Amigo hat uns die Taschen schön voll gepackt.«
Mit diesen Worten schlug der Bandit dem Kassierer fast schon freundschaftlich auf die Schulter. Dieser zuckte zusammen, als hätte man ihm soeben ein Messer zwischen die Schulterblätter gerammt, und als die Banditen das sahen, lachten sie auf.
»Mach dir nicht in die Hose, Amigo, von dir wollen wir nichts!«, sagte Mario, doch in dem Augenblick geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte.
Plötzlich ging hinter ihnen die Türglocke!
Alle vier wirbelten gleichzeitig herum und sahen, wie ein Mann gerade die Bank betrat. Oder vielmehr betreten wollte, denn angesichts der Szene, die sich ihm bot, blieb er wie gelähmt im Türrahmen stehen. Fassungslos starrte er die Maskierten an, und auch diese waren für Sekundenbruchteile nicht in der Lage, zu reagieren.
Die Männer musterten sich gegenseitig, und es war der Kunde, bei dem die Starre zuerst wich.
Plötzlich fing er an, wie am Spieß zu brüllen. »Ein Überfall, hier passiert gerade ein Überfall!«
In dem Augenblick rissen die Banditen ihre Waffen hoch. Doch da war es schon zu spät. Gleichzeitig mit seinem Schrei gab der Kunde Fersengeld. Weiterhin laut brüllend stürmte er aus der Tür.
Cortez feuerte ihm hinterher, doch der Mann bog sogleich um die Ecke, und so durchschlug das Geschoss nur die Scheibe der Tür.
»Scheiße!«, fluchte der Anführer daraufhin los. Er wusste, dass der Kerl innerhalb weniger Minuten die gesamte Stadt in Aufruhr versetzen konnte. Und dann würde genau das passieren, was er eigentlich vermeiden wollte.
»Los, raus hier!«, rief er seinen Kumpanen zu und rannte los. Die Männer folgten ihm mit den Koffern.
Den Kassierer beachteten sie dabei gar nicht mehr, und das nutzte dieser, um hinter dem Schalter abzutauchen, bevor auch er noch eine Ladung Blei abbekam.
Doch die Banditen hatten nicht ihn im Visier. Sie stürmten aus der Tür und rannten die Main Street entlang, in der Hoffnung, den Störenfried zu erwischen, bevor dieser den Marshal alarmierte.
Allerdings mussten sie im nächsten Augenblick einsehen, dass der Mann ein unglaubliches Tempo drauf gehabt hatte. Der Sternträger bog bereits um die Ecke, zusammen mit ein paar von seinen Gehilfen.
Kaum hatte er die Maskierten ausgemacht, eröffneten er und seine Männer auch schon das Feuer auf sie.
Mario und seine Männer wichen zur Seite aus, wirbelten dann herum und feuerten ebenfalls. Die Schüsse krachten und belferten und vertrieben die Schaulustigen, die sich wegen des Geschreis an Türen und Fenstern eingefunden hatten.
Die Leute flüchteten in ihre Häuser, und bald schon gab es nur noch die Banditen und ihre Häscher.
Doch Mario Cortez hatte nicht vor, sich erwischen zu lassen. Nicht, nachdem er so weit gekommen war!
Er bedeutete seinen Männern, in die nächste Seitenstraße einzubiegen, und nachdem sie den Ordnungshütern noch eine Salve entgegengeschickt hatten, rannten sie los.
Wieder krachte es hinter ihnen, denn der Marshal und auch seine Leute waren noch immer auf den Beinen, doch da die Verfolger nicht mit dieser Aktion gerechnet hatten, verfehlten die Bleistücke natürlich ihr Ziel.
Cortez und seine Gehilfen bogen an der nächsten Ecke wiederum ab und rannten eine Weile die Parallelstraße zur Main Street hinauf, bis sie sicher waren, dass der Sternträger ebenfalls in die Seitenstraße abgebogen war. Dann schlugen sie erneut einen Haken und hetzten in die Main Street zurück.
Wenn überhaupt, dann würde der Marshal diese Aktion erst später mitbekommen, also war der Weg jetzt frei.
Nur noch wenige Yards, dann würden sie bei ihren Pferden sein. Und dann hieß es: Adios Santa Fe!