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Der Saloon hatte bereits von außen vielversprechend ausgesehen, und auch das Innere war vom Feinsten. Die Wände waren mit roten Stofftapeten bespannt, und an den Wänden hingen schwere Gemälde, die halbnackte oder nackte Frauen zeigten.
Michael wusste, dass er sich mächtig ins Zeug legen musste, wenn er hier engagiert werden wollte. Sicher würde der Besitzer seinen Gästen nur das Beste bieten wollen.
»Na, Junge, was kann ich für dich tun?«, sprach ihn der Mann hinter dem Tresen an. Während er ihn erwartungsvoll anschaute und sich vielleicht fragte, ob der junge Mann auch schon alt genug für einen Whiskey war.
»Na ja.« Michael räusperte sich, weil er sich nicht sicher war, ob dieser Laden wirklich jemanden wie ihn gebrauchen konnte. »Ich suche Arbeit und wollte mal fragen, ob Sie einen Sänger engagieren wollen.«
Der Mann hinter dem Tresen zog überrascht eine Augenbraue nach oben. »Du bist also Sänger, wie?«, fragte er dann und musterte ihn erneut von Kopf bis Fuß.
Michael nickte. »Ja, Sir!«, antwortete er dann und setzte ein gewinnendes Lächeln auf.
»Und wie kommst du darauf, dass wir gerade jemanden wie dich nehmen würden? Wir sind hier keine Kaschemme in einem gottverdammten Wüstennest!«
»Oh, sicher, Sir, das habe ich gleich gesehen, als ich reingekommen bin. Und falls es an meinem Aufzug liegt, kann ich Sie beruhigen, so wie ich jetzt bin, trete ich natürlich nicht auf.« Michael merkte gleich, dass seine Worte den Barmann nicht erweichen konnten, aber noch wollte er nicht locker lassen. »Ich bin nur ziemlich weit herumgereist und gerade von meinen letzten Auftritten in Socorro zurück. Vielleicht darf ich Ihnen eine Kostprobe meines Könnens geben, dann werden Sie mich zumindest nicht hinauswerfen.«
Der Barmann setzte gerade zu einer Antwort an, doch wie diese ausfallen würde, sollte der junge Mann erst mal nicht mehr erfahren.
Das plötzliche Krachen von Schüssen unterbrach den Mann hinter dem Tresen, noch bevor er anfangen konnte. Und da wurde das Ansinnen des Jungen plötzlich Nebensache.
»Das sind doch Schüsse!«, sagte er und kam dann hinter dem Tresen hervor. Ohne den jungen Mann noch eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er zum Fenster und reckte den Hals, um etwas erkennen zu können.
Michael setzte sich nach einer Weile ebenfalls in Bewegung. Wenn es dort draußen wirklich eine Schießerei gab, musste er zu Jennifer, um sie zu beschützen. Da war das Engagement zweitrangig, wo es doch ohnehin so aussah, dass man ihn hier nicht wollte.
Mit dem Gitarrenkoffer in der Hand stürmte er also aus dem Saloon.
Er kam allerdings nicht weit. In dem Augenblick, als er die Straße überqueren wollte, rannten ihm vier Männer entgegen. Alle waren maskiert, und zwei von ihnen hatten einen Gitarrenkoffer bei sich.
»Weg da!«, schrien sie dem jungen Mann zu, doch dieser hatte keine Chance mehr, auszuweichen. Er prallte mit einem der Typen zusammen, wurde nach hinten geschleudert und prallte mit dem Hinterkopf auf den Sidewalk. Während seine Sicht verschwamm, sah er, wie sich der Bandit, der ebenfalls zu Boden gegangen war, wieder aufrappelte, seinen Gitarrenkoffer schnappte und zusammen mit den andern weiterrannte.
Er versuchte nun ebenfalls, sich aufzurichten. Sein Schädel brummte, und noch immer sah er alles doppelt. Auch den Marshal, der zusammen mit seinen Gehilfen ebenfalls die Straße entlanggerannt kam.
»Da ist einer von denen!«, rief einer der Männer, und ehe Michael wusste, wie ihm geschah, wurde er von den Ordnungshütern umstellt.
»So, Freundchen, Hände hoch und keine Mätzchen, sonst schicken wir dich gleich zur Hölle!«, fuhr ihn der Town-Marshal an und richtete den Lauf seiner Winchester auf ihn.
»Aber ich habe doch gar nichts getan!«, verteidigte sich der junge Mann, während er sich langsam erhob. »Ich bin Musiker und hab im Saloon gerade nachgefragt, ob eine Stelle frei ist.«
»Das kann ich auch behaupten«, gab der Marshal zurück und wies dann einen seiner Gehilfen an, den Gitarrenkoffer zu öffnen, der unweit von Michael im Staub lag.
»Da ist nur eine Gitarre drin, sonst nichts!«, rief der Junge, doch als der Assistante den Koffer öffnete, verzog er das Gesicht.
»Und was ist das hier? Das ist höchstens die Anzahlung für eine Gitarre. Und für das Geld kannst du eine aus Gold kriegen, Freundchen.« Der Gehilfe drehte den aufgeklappten Koffer dem Marshal zu, und der setzte ein schiefes Grinsen auf.
»Wie es aussieht, haben wir voll ins Schwarze getroffen! Los, schafft ihn weg!«
»Aber ich war es nicht, und das da ist auch nicht mein Koffer! Ein paar Kerle mit Tüchern vor dem Gesicht sind mit mir zusammengestoßen und haben meinen Koffer vertauscht.« Michael schaute den Sternträger fast schon flehend an, doch das half ihm auch nichts.
»Das kannst du alles dem Richter erzählen, der glaubt es dir vielleicht«, sagte dieser barsch, während er ihm die Handschellen anlegte. »Und jetzt vorwärts!«
»Halt, warten Sie«, schaltete sich da plötzlich eine Frauenstimme ein. Es war Jennifer, die aus dem Wagen kletterte und auf die Männer zugestürmt kam. »Mein Bruder hat nichts getan!«
»Ah, sind Sie etwa auch eine Komplizin der Bande?«
»Um Himmels willen, nein!«, rief Jennifer fast schon hysterisch aus, doch das rührte den Sternträger nicht. Bevor sie noch etwas sagen konnte, wandte er sich erneut an seine Gehilfen. »Schafft ihn ins Jail! – Und Sie, Miss, können dem Richter meinetwegen ihre Geschichte erzählen. Die Verhandlung ist morgen Früh!«
Mit diesen Worten wandte er sich um und folgte seinen Leuten, die den jungen Mann wegschafften.
»Michael!«, rief Jennifer ihrem Bruder hinterher, doch der durfte sich nicht mal nach ihr umschauen. Als er es tun wollte, bekam er einen Knuff mit dem Gewehrkolben zwischen die Rippen, dann wurde er voran gestoßen.
Doch Jennifer wollte sich immer noch nicht damit abfinden, dass sie ihn sie ihn so einfach wegschafften. Sie rannte den Männern hinterher, bis sie auf gleicher Höhe mit dem Marshal war, der deswegen allerdings nicht anhielt.
»Ich sage es Ihnen noch einmal, Marshal, mein Bruder hat nichts Unrechtes getan! Sie verhaften den Falschen! Es sind ein paar Männer die Straße hochgekommen, ich hab gesehen, wie sie weggerannt sind!«
»Ja, und anscheinend haben sie den da im Stich gelassen. Pech für ihn!«
»Aber mein Bruder ist kein Bandit!«, schrie Jennifer erneut und so schrill, dass sich ein paar Leute auf der Straße versammelten, um sich das Schauspiel anzuschauen.
Da blieb der Marshal doch stehen und streckte ihr drohend den Zeigefinger entgegen. »Hören Sie, Miss, wenn Sie mir nicht gleich von der Pelle gehen, dann verhafte ich Sie ebenfalls. Also lassen Sie mich meine Arbeit machen, und wenn Sie etwas vorzubringen haben, wenden Sie sich an den Richter. Der Kerl hier wandert ins Jail, ob es Ihnen passt oder nicht, und alles andere wird sich in seiner Verhandlung zeigen.«
Auf diese Worte hin bedachte Jennifer den Sternträger mit einem hasserfüllten Blick. Doch ändern konnte sie nichts damit. Es konnte höchstens nur noch schlimmer für ihren Bruder kommen.
Aufgeben wollte und konnte sie allerdings nicht. Der Marshal und seine Leute gingen weiter, ohne sich noch einmal nach ihr umzuschauen, und nachdem sie ihnen ein kleines Stück Vorsprung gelassen hatte, folgte sie ihnen. Vielleicht würde sie im Jail wenigstens kurz mit ihrem Bruder reden können. Und vielleicht würde sie erfahren, wo sie diesen Richter finden konnte.