Acht

Nachdem sie sich durch vier von Julius’ Texten gearbeitet hatte, erhob sie sich und legte Jane den Rest zurück auf Marios Schreibtisch. »Gott, war der Typ ein geiler Bock.«

Mario lachte in sich hinein. »Reicht’s Ihnen?«

»Vorerst. Er lässt sich eigentlich nur über ihre bemerkenswerten körperlichen Vorzüge aus. Ich versuch’s später noch mal. Aber jetzt brauche ich erst mal eine Pause. Ich gehe in den Hof runter, um ein bisschen zu zeichnen.« Sie lächelte. »Dann komme ich zurück und gehe Ihnen noch ein bisschen auf die Nerven.«

»Ich freue mich schon darauf«, erwiderte er. Seine Stimme klang geistesabwesend. Offenbar war er wieder in seine Übersetzung vertieft.

Sie wünschte, sie könnte sich genauso begeistern wie Mario, dachte sie, als sie das Zimmer verließ. Nachdem sie jahrelang dem Tag entgegengefiebert hatte, an dem sie Julius’ Schriftrollen zu lesen bekommen würde, war die Lektüre eine herbe Enttäuschung gewesen. Die Einzelheiten über Ciras Leben kannte sie bereits aus Trevors Erzählungen, und Julius’ sexuelle Fantasien fand sie abstoßend und für Cira demütigend. Jane konnte es kaum erwarten, Ciras zweiten Text zu lesen.

Nun, sie würde sich noch ein bisschen gedulden müssen. Also sollte sie Cira am besten für eine Weile vergessen und sich um ihre eigene Arbeit kümmern. Auf diese Weise würde die Zeit schneller vergehen, bis sie sich wieder genug erholt hatte, um sich erneut mit Julius’ Pornografie herumzuplagen.

Eine Stunde später saß sie auf dem Brunnenrand und machte gerade die letzten Striche einer Zeichnung von den Mauerzinnen. Langweilig. Die Burg war ja ganz interessant und konnte sich zweifellos einer ereignisreichen Geschichte rühmen, aber sie fand einfach nichts, woran sie sich festbeißen konnte. Das Gemäuer bestand aus Stein und Mörtel und – Die Stalltür öffnete sich. »Du bist schon wieder sauer, stimmt’s?«

Sie schaute den Mann an, der in der Stalltür stand. Nein, kein Mann. Er war ein Junge von vielleicht neunzehn, zwanzig Jahren.

Gott, und dieses Gesicht.

Schön. Man konnte ihn ebenso wenig als »gut aussehend« bezeichnen wie man diesen Ausdruck für eine klassische griechische Statue verwendete. Seine zerzausten blonden Haare umrahmten perfekte Gesichtszüge und graue Augen, die sie mit einer Art verwirrter Naivität betrachteten. Genau, Bartlett hatte ihr gesagt, Jock Gavin sei ein bisschen unterbelichtet, er sei wie ein Kind.

»Bist du immer noch sauer auf den Burgherrn?«, fragte er stirnrunzelnd.

»Nein.« Selbst die in Falten gelegte Stirn konnte seiner Schönheit keinen Abbruch tun. Sie verlieh dem Gesicht höchstens mehr Charakter. »Ich bin auf niemanden sauer. Und MacDuff kenne ich eigentlich gar nicht.«

»Du warst sauer, als du gekommen bist. Das habe ich genau gesehen. Du hast ihn nervös gemacht.«

»Er hat mich auch nicht gerade beglückt.« Er blickte sie immer noch stirnrunzelnd an, und sie begriff, dass sie nicht zu ihm durchkam. »Es war ein Missverständnis. Verstehst du, was ich damit meine?«

»Natürlich. Aber manchmal sagen Leute nicht die Wahrheit.« Sein Blick fiel auf ihren Zeichenblock. »Du hast was gezeichnet. Ich hab dich gesehen. Was ist es?«

»Die Mauerzinnen.« Sie drehte den Block so, dass er die Zeichnung sehen konnte. »Aber das Bild ist mir nicht gut gelungen. Eigentlich macht es mir keinen Spaß, leblose Dinge abzubilden. Ich zeichne lieber Menschen.«

»Warum?«

Sie zuckte die Achseln. »Weil sie Leben verkörpern. Gesichter verändern sich, sie altern und sehen von Jahr zu Jahr anders aus.«

Er nickte. »Wie Blumen.«

Sie lächelte. »Manche Gesichter, die ich gezeichnet habe, hatten keinerlei Ähnlichkeit mit einer Blume. Aber du hast Recht, es ist dasselbe Prinzip. Magst du Blumen?«

»Ja.« Er schwieg einen Moment. »Ich habe eine neue Pflanze, eine Gardenie. Ich wollte sie im Frühling meiner Mutter schenken, aber jetzt könnte ich ihr auch ein Bild davon schenken, nicht wahr?«

»Wahrscheinlich würde sie sich mehr über die Blume freuen.«

»Aber die Blume könnte sterben.« Ein Schatten legte sich über sein Gesicht. »Ich könnte sterben. Manchmal sterben Dinge.«

»Du bist noch jung«, sagte Jane sanft. »Normalerweise sterben junge Menschen nicht, Jock.« Aber Mike war gestorben und er war ebenso jung gewesen wie dieser schöne Knabe. Einer spontanen Eingebung folgend, sagte sie: »Ich könnte deine Blume für dich zeichnen, dann könntest du deiner Mutter trotzdem die echte Pflanze schenken.«

Seine Miene hellte sich wieder auf. »Würdest du das tun? Wann könntest du es machen?«

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Jetzt gleich. Ich habe noch etwas Zeit. Es wird nicht lange dauern. Wo ist die Pflanze?«

»In meinem Garten.« Er trat zur Seite und machte eine einladende Geste in Richtung Stall. »Komm mit, ich zeig sie dir –« Plötzlich verschwand sein Lächeln. »Aber es geht nicht.«

»Warum nicht.«

»Ich habe dem Burgherrn versprochen, mich von dir fern zu halten.«

»Ach, du lieber Himmel.« Sie musste daran denken, wie Bartlett und Trevor sich darüber verständigt hatten, dass dafür gesorgt werden müsse, dass der Junge sie nicht belästigte. Offenbar hatten sie MacDuff darauf angesprochen, obwohl sie ihnen erklärt hatte, es störe sie nicht, wenn der Junge sie ansprach. Jetzt, wo sie ihn kennen gelernt hatte, kam sie sich regelrecht abwehrend vor. »Das ist schon in Ordnung, Jock.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich hab’s ihm versprochen.« Er überlegte. »Aber wenn ich vorausgehe und du mir folgst, dann bin ich ja nicht wirklich in deiner Nähe, oder?«

Sie lächelte. Er mochte vielleicht ein kindliches Gemüt besitzen, aber er war keinesfalls so unterbelichtet, wie Bartlett glaubte. »Also gut, dann achte darauf, dass du dich von mir fern hältst.« Sie ging auf den Stall zu. »Ich gehe einfach hinter dir her.«

 

»Warum sind die Boxen denn alle leer?«, rief Jane, als sie Jock durch den Stall folgte. »Hat MacDuff denn keine Pferde?«

Jock schüttelte den Kopf. »Er hat sie verkauft. Er kommt nicht mehr oft hierher.« Inzwischen hatte er die Tür am Ende des Stalls erreicht. »Das ist mein Garten«, sagte er und öffnete die Tür. »Die Pflanzen stehen alle in Töpfen, aber der Burgherr sagt, ich kann sie später draußen in die Erde setzen.«

Sie folgte ihm hinaus ins Sonnenlicht. Blumen. Der kleine, mit Kopfsteinen gepflasterte Innenhof war so voll gestellt mit Töpfen und Vasen, in denen Blumen aller Arten und Farben blühten, dass man kaum einen Fuß dazwischen setzen konnte. Ein Glasdach machte den kleinen Hof zu einem perfekten Gewächshaus. »Warum nicht jetzt?«

»Er weiß noch nicht, wo wir wohnen werden. Er sagt, es ist wichtig, Pflanzen zu pflegen.« Er zeigte auf einen Blumentopf. »Das da ist meine Gardenie.«

»Sie ist wunderschön.«

Er nickte. »Und sie kann den kalten Winterwind überstehen.«

»Was für ein Glück.« Sie schlug ihren Zeichenblock auf. »Ist die Gardenie deine Lieblingsblume?«

»Nein, ich mag sie alle.« Er runzelte die Stirn. »Außer Flieder. Flieder mag ich nicht.«

»Warum nicht? Flieder hat doch prächtige Blüten, und ich glaube, der gedeiht hier in der Gegend ganz gut.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich mag Flieder nicht.«

»Ich schon. Wir haben eine Menge Flieder bei uns zu Hause.« Sie begann zu zeichnen. »Die Blüten an deiner Gardenie hängen ein bisschen. Könntest du sie hochbinden, bis ich fertig bin?«

Er nickte, langte in seine Hosentasche und zog eine lederne Schnur heraus. Einen Augenblick später stand die Gardenie aufrecht in ihrem Topf. »Ist es so recht?«

Sie nickte abwesend, während ihr Bleistift über das Papier flog. »So ist es besser … Du kannst dich solange auf den Hocker an deiner Töpferbank setzen, wenn du willst. Es wird noch ein bisschen dauern, bis ich fertig bin.«

Kopfschüttelnd zog Jock sich ans hintere Ende des Innenhofs zurück. »Nein, das ist zu nah. Ich hab’s dem Burgherrn versprochen.« Er betrachtete die Schnur, die die Gardenie hielt. »Aber er weiß, dass ich eigentlich gar nicht in deine Nähe zu kommen brauche. Es gibt so viele Möglichkeiten …«

 

»Was zum Teufel tun Sie hier?«

Als Jane sich umdrehte, stand MacDuff in der Tür. »Wonach sieht es denn aus?« Sie wandte sich wieder ihrer Zeichnung zu und stellte sie mit einigen wenigen Strichen fertig. Dann riss sie das Blatt ab und reichte es Jock. »Hier. Besser kriege ich es nicht hin. Ich hab dir ja gesagt, dass ich lieber Menschen zeichne.«

Jock stand stocksteif da, den Blick auf MacDuff fixiert. »Ich halte mich von ihr fern. Ich habe mein Versprechen nicht gebrochen.«

»Doch, das hast du. Du weißt genau, was ich mit fern halten gemeint habe.« Er riss Jane die Zeichnung aus der Hand und warf sie dem Jungen zu. »Ich bin sehr enttäuscht von dir, Jock.«

Der Junge war am Boden zerstört und Jane spürte, wie sie wütend wurde. »Himmelherrgott, ich könnte Sie glatt ohrfeigen! Kommen Sie auf den Teppich. Ich habe ihm angeboten, seine Blume zu zeichnen. Er hat überhaupt nichts getan.«

»Verdammter Mist.« MacDuff schaute Jock unverwandt an. »Halten Sie die Klappe und machen Sie, dass Sie hier rauskommen!«

»Nein.« Sie ging zu der Gardenie und band sie vorsichtig los. »Ich gehe erst, wenn Sie sich bei ihm für Ihre Grobheit entschuldigen.« Sie reichte Jock die lederne Schnur. »Die ist jetzt nicht mehr nötig. Ich hoffe, deiner Mutter gefällt das Bild.«

Schweigend starrte Jock die Schnur in seiner Hand an. »Wirst du ihm wehtun?«

»MacDuff? Am liebsten würde ich ihm den Hals umdrehen.« Sie hörte MacDuff etwas vor sich hin murmeln. »Er hat kein Recht, dich so zu behandeln, und du solltest ihm eine runterhauen, wenn er es tut.«

»Nein, das könnte ich nicht.« Eine ganze Weile betrachtete er die Zeichnung, dann steckte er langsam die Schnur ein. »Und du darfst das auch nicht tun. Ich muss aufpassen, dass ihm niemand wehtut.« Er warf noch einen Blick auf das Bild, dann erhellte ein Lächeln sein Gesicht. »Danke.«

»Gern geschehen.« Sie erwiderte sein Lächeln. »Wenn du mir danken willst, kannst du mir einen Gefallen tun. Ich würde dich gern zeichnen. Und ich verspreche dir, dass das Bild viel besser wird als das von der Gardenie.«

Jock schaute unsicher zu MacDuff hinüber.

Nach kurzem Zögern nickte MacDuff langsam. »In Ordnung, Jock. Aber nur, solange ich anwesend bin.«

»Ich will Sie nicht dabei haben, MacDuff.« Als sie sah, dass Jock wieder die Stirn in Falten legte, seufzte sie resigniert. Es hatte keinen Sinn, den Jungen zu verunsichern. MacDuff schien ihn ziemlich gut unter der Fuchtel zu haben. »Also gut.« Sie drehte sich um und ging zur Tür. Zeit, dass sie zu Cira und Julius zurückkam und weg von diesem schönen Jungen und dem Mann, der ihn vollkommen unter Kontrolle zu haben schien. »Wir sehen uns morgen, Jock.«

»Moment.« MacDuff folgte ihr an den Boxen vorbei zum Ausgang. »Ich möchte mit Ihnen reden.«

»Aber ich nicht mit Ihnen. Es gefällt mir nicht, wie Sie den Jungen behandeln. Wenn er ein Problem hat, dann besorgen Sie ihm Hilfe, anstatt ihn zu maßregeln.«

»Er bekommt Hilfe von mir.« Er ließ einen Augenblick verstreichen. »Aber vielleicht können Sie ihm auch helfen. Er hat eben anders reagiert, als ich erwartet hatte. Es könnte … hilfreich für ihn sein.«

»Wie ein Mensch behandelt zu werden anstatt wie ein Roboter? Ja, das würde ich allerdings als hilfreich bezeichnen.«

MacDuff überhörte ihren Sarkasmus. »Für Sie gelten dieselben Regeln wie für ihn. Wenn Sie ihn zeichnen, bin ich dabei. Keine Ausnahme.«

»Sonst noch was?«

»Wenn Sie Trevor davon erzählen, wird er es nicht zulassen. Er wird annehmen, dass Jock Ihnen etwas zuleide tut. Er weiß, dass der Junge labil ist.« Ihre Blicke begegneten sich. »Es stimmt. Er könnte Ihnen etwas zuleide tun.«

»Er hat sich mir gegenüber äußerst höflich und freundlich verhalten.«

»Glauben Sie mir, es bedarf nur eines Auslösers.«

Sie dachte über das nach, was sich eben in dem kleinen Innenhof abgespielt hatte. »Und der Auslöser sind Sie. Jock hat sich in den Kopf gesetzt, Sie um jeden Preis zu beschützen. Sie sollten sich bemühen, ihm das auszureden, dann –«

»Glauben Sie etwa, das hätte ich nicht längst versucht?«, entgegnete MacDuff barsch. »Aber er hört einfach nicht auf mich.«

»Und warum nicht? Sie machen auf mich nicht den Eindruck, als hätten Sie den Schutz nötig.«

»Ich habe ihm einen Gefallen getan, deshalb fühlt er sich zu Dank verpflichtet. Ich hoffe, dass sich das mit der Zeit geben wird.«

Kopfschüttelnd erinnerte sie sich daran, was Jock für ein Gesicht gemacht hatte, als MacDuff ihm gesagt hatte, er sei von ihm enttäuscht. Der Junge war MacDuff vollkommen ergeben. Er war total abhängig von ihm. »Darauf können Sie womöglich lange warten.«

»Ich habe Zeit«, sagte MacDuff heiser. »Jedenfalls werde ich nicht zulassen, dass man ihn in eine Anstalt steckt, wo eine Bande von Ärzten alles Mögliche mit ihm anstellt, wo er Leuten ausgeliefert ist, die sich einen Scheißdreck darum scheren, was in ihm vorgeht. Ich werde ihn nicht im Stich lassen.«

»Bartlett meinte, er wäre ein Junge aus dem Dorf, und Jock hat von seiner Mutter gesprochen. Hat er noch mehr Angehörige?«

»Zwei jüngere Brüder.«

»Und seine Familie ist nicht bereit, ihm zu helfen?«

»Er lässt es nicht zu.« Dann fügte er ungehalten hinzu: »Ich verlange nicht viel von Ihnen. Ich sorge für Ihre Sicherheit. Besuchen Sie ihn einfach ab und zu, reden Sie mit ihm. Sie haben eben selbst gesagt, Sie würden ihn gern zeichnen. Haben Sie es sich schon wieder anders überlegt, weil es gefährlich werden könnte? Ja oder nein?«

Sie hatte schon genug um die Ohren, auch ohne dass sie sich bereit erklärte, dem armen Jungen zu helfen. Ja, sie wollte ihn zeichnen, aber weitere Komplikationen konnte sie im Moment nicht gebrauchen. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass Jock tatsächlich so labil und gefährlich war, wie MacDuff behauptete, aber wenn der Alte es für nötig hielt, sie zu warnen, musste irgendetwas an der Sache dran sein. »Warum ich?«

MacDuff hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Er hat Trevors Statue von Cira gesehen und angefangen, mich mit Fragen zu löchern, was Trevor hier macht. Er ist sehr neugierig. Also habe ich im Internet ein paar Nachforschungen über Cira angestellt, und da bin ich auf Ihre Geschichte gestoßen.«

Schon wieder Cira. »Und Jock glaubt, ich wäre Cira?«

»Nein, er ist nicht dumm. Er hat nur ein paar Probleme – Na ja, hin und wieder wirft er Sie und Cira schon durcheinander.«

Und MacDuff war offenbar ebenso entschlossen, den Jungen zu beschützen und zu verteidigen wie umgekehrt. Zum ersten Mal empfand sie einen Anflug von Sympathie und Verständnis für den Alten. MacDuff kümmerte sich nicht nur aus reinem Pflichtgefühl um den Jungen. »Sie mögen ihn.«

»Ich habe ihn aufwachsen sehen. Seine Mutter war meine Haushälterin und er ist von klein auf hier in der Burg ein und aus gegangen. Er ist nicht immer so gewesen. Als Kind war er fröhlich und glücklich und –« Er unterbrach sich. »Ja, ich mag Jock. Werden Sie es tun oder nicht?«

Sie nickte langsam. »Ich tue es. Aber ich weiß nicht, wie lange ich hier sein werde.« Sie verzog das Gesicht. »Und offenbar ist Ihnen meine Anwesenheit hier nicht recht.«

»Die Situation ist auch ohne Sie schon kompliziert genug.« Dann fügte er ernst hinzu: »Aber es ist gut, dass Sie mir von Nutzen sein werden.«

Sie sah ihn entgeistert an. »Ich gehöre nicht zu Ihnen und ich lasse mich nicht benutzen von –« Er lächelte, und plötzlich merkte sie, dass er gescherzt hatte. »Ich werd verrückt, kann es sein, dass ich da ein Anzeichen für Humor entdecke?«

»Sagen Sie Trevor nichts davon. Man muss immer auf der Hut sein. Werden Sie ihm sagen, dass Sie Jock zeichnen wollen?«

»Mal sehen. Wenn mir danach ist.« Aber sie wusste, was er meinte. Sie war vor Trevor auf der Hut, seit er wieder in ihr Leben getreten war. »Aber es geht ihn eigentlich nichts an.«

»Da wird er anderer Meinung sein. Er hätte Sie nicht hergebracht, wenn Sie ihn nichts angingen.« Er hielt ihr die Stalltür auf. »Wenn Sie morgen nicht herkommen, werde ich Bescheid wissen.«

Der Mistkerl hatte genau das gesagt, was sie auf jeden Fall dazu bringen würde, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Er war fast genauso gut im Manipulieren wie Trevor, dachte sie beinahe amüsiert. Warum irritierte sie das nicht so wie bei Trevor? »Ich werde morgen früh um neun hier sein.«

»Ich … danke Ihnen.« Ihre Blicke begegneten sich. »Und ich zahle meine Schulden immer zurück.«

»Gut.« Sie wandte sich zum Gehen. »Gut, dass Sie mir von Nutzen sein werden, MacDuff.«

Sie hörte ein überraschtes Lachen hinter sich, drehte sich jedoch nicht um. Wahrscheinlich war es ein Fehler, sich mit Jock Gavin einzulassen. Er ging sie nichts an. Keine Zeichnung war das Risiko wert, von dem MacDuff gesprochen hatte.

Scheiß drauf. Waisenkinder und schwerfällige Typen waren offenbar ihr Untergang. Es war noch nie ihre Art gewesen, eine Situation zu meiden, bloß weil sie schwierig wurde. Das lag ihr nicht. Wenn es ein Fehler war, dann war es ihr Fehler, und sie würde damit leben.

War das auch Ciras Haltung gewesen, als sie diesen kleinen Jungen namens Leo bei sich aufgenommen hatte?

Jock Gavin war nicht Leo und sie war nicht Cira. Es brachte nichts, solche Vergleiche anzustellen. Sie sollte lieber wieder zu Mario gehen, vielleicht konnte sie ihn dazu bringen, dass er ein bisschen schneller an Ciras Text arbeitete.

Als sie die Eingangshalle betrat, wurde sie von Bartlett erwartet, der sie besorgt ansah. »Ich habe Sie zusammen mit dem Jungen in den Stall gehen sehen. Sie waren ziemlich lange da drin. Alles in Ordnung?«

»Kein Problem. Er war sehr nett zu mir.« Sie zeigte ihm den Zeichenblock, den sie unter dem Arm trug. »Ich habe nur eine kleine Zeichnung angefertigt.«

Bartlett schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Sie hätten nicht in den Stall gehen dürfen. Trevor hat uns allen verboten, den Stall zu betreten. Das ist MacDuffs Territorium.«

»Da MacDuff mich nicht rausgeworfen hat, nehme ich an, dass er nichts gegen meine Anwesenheit einzuwenden hatte.« Sie ging die Treppe hinauf. »Ich muss wieder zu Mario. Wir sehen uns später.« Auf dem Treppenabsatz drehte sie sich noch einmal um. Bartlett stand noch immer da und schaute ihr betrübt nach. »Es ist alles in Ordnung, Bartlett«, sagte sie. »Machen Sie sich nicht solche Sorgen.«

Er rang sich ein Lächeln ab und nickte. »Ich werde mir Mühe geben.« Er wandte sich ab. »Aber es ist mir schon leichter gefallen. Je älter ich werde, umso mehr wird mir bewusst, um wie vieles auf der Welt man sich Sorgen machen muss. Aber davon verstehen Sie nichts. Wenn man so jung ist wie Sie, hält man sich noch für unsterblich.«

»Da irren Sie sich. Ich habe mich noch nie für unsterblich gehalten, nicht mal als Kind. Ich habe schon immer gewusst, dass man kämpfen muss, um zu überleben.« Sie ging weiter die Treppe hoch. »Aber ich bin nicht bereit, auch nur eine Minute meines Lebens damit zu vergeuden, dass ich mir Sorgen mache, es sei denn, ich habe gute Gründe.«

 

»Darf ich eintreten, Trevor?«, fragte MacDuff, nachdem er die Tür zur Bibliothek geöffnet hatte. Er nickte Bartlett zu, der neben dem Schreibtisch stand. »Nachdem Sie unten im Hof gestanden und das Stallgebäude angestarrt haben wie Don Quichotte eine Windmühle, dachte ich, Sie würden als Nächstes zu mir gerannt kommen.« Er ließ sich in den Besuchersessel fallen und lächelte Trevor an. »Aber ich will Ihnen die Mühe ersparen, nach mir zu suchen. Schließlich sind Sie ein viel beschäftigter Mann.«

»Sie hatten versprochen, den Jungen von Jane fern zu halten«, erwiderte Trevor kalt. »Schaffen Sie ihn gefälligst von hier fort.«

MacDuffs Lächeln verschwand. »Jocks Zuhause ist bei mir. Wenn man das noch ein Zuhause nennen kann.«

»Ich denke, ich lasse Sie beide lieber allein«, sagte Bartlett und ging zur Tür. »Ich lege mich nie mit Windmühlen an, MacDuff. Allerdings bin ich der Meinung, dass Don Quichottes Edelmut seine Narretei bei weitem in den Schatten stellt.«

Nachdem Bartlett die Tür hinter sich zugezogen hatte, wiederholte Trevor: »Schaffen Sie Jock von hier fort. Sonst tue ich es.«

MacDuff schüttelte den Kopf. »Nein, das werden Sie nicht tun. Sie brauchen mich. Wenn er geht, gehe ich ebenfalls.«

»Versuchen Sie nicht, mich zu bluffen.« Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Womöglich sind Sie nicht mal in der Lage, mir zu helfen. Wenn es Mario gelingt, alle Texte zu übersetzen, finde ich das Gold vielleicht auch ohne Sie. Woher zum Teufel soll ich wissen, ob Sie überhaupt einen brauchbaren Hinweis haben? Das kann genauso gut ein Schwindel sein.«

»Geben Sie mir, was ich haben will, dann werden Sie es rausfinden.«

»Blutrünstiger Bastard.«

»Ach ja, das bin ich tatsächlich. Aber das hätte Ihnen doch klar sein müssen, als Sie gesehen haben, was ich aufzugeben bereit bin, um meine Chance zu bekommen.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und schaute sich in der Bibliothek um. »Es ist schon komisch, hier im Besuchersessel zu sitzen, anstatt auf dem Platz, den Sie jetzt eingenommen haben. Das Leben geht manchmal seltsame Wege, meinen Sie nicht?«

»Sie weichen vom Thema ah.«

»Nur ein kleiner Umweg.« Er sah Trevor an. »Ich habe ihm gesagt, er soll sich von ihr fern halten, aber es hat nicht funktioniert. Es wird nicht wieder vorkommen.«

»Er wird sich von nun an von ihr fern halten?«

»Nein, aber ich werde stets zugegen sein.« Er hob eine Hand, als Trevor ihn unterbrechen wollte. »Sie will ihn zeichnen. Ich habe sie vor ihm gewarnt. Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob sie mir geglaubt hat, doch das spielt keine Rolle, solange ich dabei bin, um notfalls einzugreifen.«

»Das werde ich nicht zulassen.«

»Dann reden Sie mit ihr und fordern Sie auf, es bleiben zu lassen.« Er legte den Kopf schief. »Wenn Sie glauben, dass es etwas nützt.«

»Verdammter Hurensohn.«

»Meine Mutter war tatsächlich eine Hure, ich fasse die Bemerkung also nicht als Beleidigung auf.« Er erhob sich. »Ich werde dafür sorgen, dass Jane ihn im Burghof zeichnet, dann können Sie noch jemanden Ihres Vertrauens abstellen, um die beiden im Auge zu behalten. Natürlich ist mir klar, dass ich das nicht sein werde.« Kopfschüttelnd ließ er seinen Blick noch einmal durch die Bibliothek schweifen. »Seltsam …«

»Ich hoffe, es dreht Ihnen den Magen um, mich hier sitzen zu sehen«, sagte Trevor mit zusammengebissenen Zähnen.

MacDuff hob die Brauen. »Aber nein, ich definiere mich nicht über dieses Gebäude. Ob ich es liebe? Von ganzem Herzen. Allerdings muss ich mich nicht hier aufhalten. Ich trage es in mir.« Er lächelte. »Sie machen eine gute Figur in diesem Sessel, Trevor. Ein echter Burgherr. Genießen Sie’s.« Sein Lächeln verschwand, als er sich umdrehte und zur Tür ging. »Falls Sie sich entschließen sollten, sich aus der Sache herauszuhalten, wäre ich Ihnen dankbar. Zum ersten Mal, seit ich Jock gefunden habe, hat er positiv auf einen Menschen reagiert, abgesehen von mir. Ich glaube, sie tut ihm gut. Und das reicht mir.«

»Ich bin nicht bereit –«

Aber MacDuff war bereits verschwunden.

Trevor atmete tief durch und versuchte, seine Wut zu unterdrücken. Er brauchte MacDuff, verdammt. Noch bis vor kurzem hatte er ihn nur halbwegs ernst genommen, aber je mehr er über MacDuffs Aufenthalte in Herkulaneum erfuhr, umso mehr gelangte er zu der Überzeugung, dass der alte Schotte die Lösung sein könnte.

Oder bluffte MacDuff? Möglich, aber das Risiko konnte Trevor nicht eingehen. Er musste sämtliche Aspekte noch einmal in aller Ruhe abwägen. MacDuff würde nicht wollen, dass Jane etwas zustieß. Das lag nicht in seinem Interesse. Er hatte versprochen, jedes Mal zugegen zu sein, wenn Jane sich mit Jock traf, und Trevor war davon überzeugt, dass er sein Wort halten würde. Allerdings würde er Brenner bitten, Jock im Auge zu behalten.

Verflucht, das Problem wäre leicht zu lösen, wenn er zu Jane gehen und ihr erklärten könnte, dass diese Porträtsitzungen inakzeptabel waren. Aber diese Möglichkeit kam nicht in Frage.

Wenn sie, obwohl MacDuff sie vor Jock gewarnt hatte, entschlossen war, sich mit dem Jungen zu treffen, dann würde es nichts nützen, wenn Trevor sich einschaltete. Sie würde tun, was sie für richtig hielt, und jeden Einwand, den er vorbrachte, in den Wind schlagen.

Andererseits war sie meist nicht sturer, als die Vernunft es gebot. Also musste er Munition sammeln. Er musste Argumente finden, die sie davon überzeugen würden, dass es vernünftig war, sich von dem Jungen fern zu halten. Bis dahin würde er Maßnahmen zu ihrem Schutz ergreifen und versuchen, sich nicht allzu offensichtlich einzumischen.

Munition sammeln. Er nahm sein Telefon und wählte Venables Nummer. »Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten. Ich brauche Informationen.«

 

Jane war immer noch bei Mario, als Trevor um Viertel nach acht an die Tür von dessen Arbeitszimmer klopfte. Ohne auf eine Reaktion zu warten, trat er ein. »Es widerstrebt mir, Sie zu unterbrechen, Jane«, sagte er sarkastisch. »Aber ich kann nicht zulassen, dass Sie Mario noch länger von seiner Arbeit ablenken.«

»Sie hat mich nicht abgelenkt«, sagte Mario hastig. »Ihre Gegenwart beruhigt mich.«

»Ach ja? Erstaunlich. Bartlett hat mir erzählt, dass sie heute Nachmittag in die Küche gegangen ist und für Sie beide eine Kleinigkeit zu essen geholt hat. Sie müssen eine Seite an ihr entdeckt haben, die Sie mir bisher noch nicht gezeigt hat.«

»Jeder reagiert auf jeden anders«, sagte Jane. »Ich wollte Mario nicht von der Arbeit abhalten.«

Mario grinste. »Weil sie unbedingt will, dass ich den Text, an dem ich im Moment arbeite, möglichst schnell fertig stelle.«

Jane nickte wehmütig lächelnd. »Ich hatte gehofft, Sie würden sich beeilen, damit Sie mir morgen etwas zu lesen geben können.«

»Wie gesagt, ich habe Probleme mit diesem Text. Es fehlen ganze Worte, da muss ich manchmal raten. Aber vielleicht lasse ich mir auch extra viel Zeit, damit ich ab und zu aufschauen und Ihnen beim Lesen zusehen kann.«

»Das möchte ich Ihnen nicht geraten haben«, bemerkte Trevor.

»War nur ein Scherz«, sagte Mario. »Es läuft ganz gut, Trevor.«

»Irgendwelche Hinweise?«

»Noch nicht.«

»Hinweise worauf?«, wollte Jane wissen.

»Auf das Gold. Worauf sonst?«, sagte Trevor. »Wenn Sie Ciras ersten Brief gelesen haben, sollten Sie wissen, dass Zweifel daran bestehen, dass sich das Gold tatsächlich in dem Tunnel befand. Möglicherweise ist es ihr gelungen, es irgendwo anders zu verstecken.«

»Und wenn, dann haben Sie Pech.«

»Es sei denn, ich finde einen Hinweis darauf, wo sie es versteckt hat.«

»Sie meinen, wo Pia es versteckt hat.«

»Wer ist Pia?«

Er zuckte die Achseln. »Wenn Sie den Brief gelesen haben, wissen Sie so viel wie ich.« Ihre Blicke begegneten sich. »Sie wollten doch mit mir zum Turnierplatz gehen. Haben Sie es sich anders überlegt?«

»Nein. Warum sollte ich?«

»Sie scheinen so fasziniert zu sein von Mario und seinen Übersetzerkünsten.« Er wandte sich zum Gehen. »Los, kommen Sie.«

»Moment.«

Er wartete nicht, sondern war schon auf halbem Weg den Flur entlang. »Ciao, Mario. Wir sehen uns morgen früh.«

Als sie Trevor einholte, war er bereits auf der Treppe. »Sie sind extrem unhöflich.«

»Ich weiß. Ich habe Lust, unhöflich zu sein. Das ist ein Vergnügen, das ich mir hin und wieder gönne.«

»Manchmal frage ich mich, wie irgendjemand Sie ertragen kann.«

»Niemand muss mich ertragen. Es ist jedermanns Recht, mich zum Teufel zu schicken.«

»Da haben Sie allerdings Recht.« Sie blieb auf der Treppe stehen. »Scheren Sie sich zum Teufel.«

Er schaute sie über die Schulter hinweg an. »Damit habe ich gerechnet. Sie dürfen mich nicht allzu sehr behandeln wie –« Er brach ab. Dann lächelte er. »Ich bin ein ungehobelter Mistkerl, stimmt’s?«

»Ja.«

»Und Sie haben heute Ihr Bestes getan, um mich zu provozieren.« Er verzog das Gesicht. »Ich habe es Ihnen leicht gemacht. Sie wussten genau, wo Sie mich treffen konnten. Ich bin immer stolz auf mein Selbstbewusstsein gewesen, aber Ihnen ist es gelungen, es zu unterminieren. Ich war tatsächlich eifersüchtig auf Mario.« Er hob abwehrend eine Hand, als sie etwas sagen wollte. »Und erzählen Sie mir nicht, es war nicht Ihre Absicht, es mir heimzuzahlen. Sie sind frustriert über die ganze Situation hier und Sie wollten dafür sorgen, dass ich ebenfalls frustriert bin. Nun, Sie haben Ihr Ziel erreicht. Wir sind quitt. Friede?«

Nein, sie waren nicht quitt, aber sie war froh, für eine Weile die Spannungen zwischen ihnen ignorieren zu können. Die vergangenen vierundzwanzig Stunden waren unerträglich gewesen. »Ich würde Mario nie benutzen, um Ihnen irgendwas heimzuzahlen. Ich spiele nicht mit den Gefühlen anderer Menschen. Ich mag Mario.«

»Oh, das glaube ich Ihnen. Aber Sie haben offenbar nichts dagegen, mich ein bisschen zu verunsichern. Ich habe Ihnen eine Schwäche gezeigt und Sie haben sich sofort darauf gestürzt. Vielleicht wollten Sie mich unbewusst dafür bestrafen, dass ich dumm genug war, Sie vor vier Jahren abzuweisen.«

Sie befeuchtete ihre Lippen. »Darüber möchte ich jetzt nicht reden. Nehmen Sie mich jetzt mit zum Turnierplatz oder nicht?«

Er nickte und wandte sich zur Tür um. »Gehen wir.«

Am Tor wurden Sie von einem Wachmann angehalten, genauso, wie Jane es am Abend zuvor beobachtet hatte, als Trevor die Burg verlassen hatte. »Jane, das ist Patrick Campbell. Wir gehen nur kurz zum Turnierplatz, Pat. Alles ruhig heute Abend?«

Campbell nickte. »Douglas hat vor drei Stunden irgendetwas beobachtet, das seinen Verdacht erregt hat, allerdings ziemlich weit von der Burg entfernt.« Er nahm sein Handy aus der Jackentasche. »Ich gebe Ihren Sicherheitsleuten in der Umgebung Bescheid, die sollen die Augen offen halten.«

»Tun Sie das.« Trevor fasste Jane am Ellbogen und bugsierte sie durch das Tor. »Wir gehen um die Burg herum zu den Klippen. Es ist ein etwa zehnminütiger Spaziergang.« Er blickte zum Himmel hinauf. »Wir haben Vollmond. Der müsste eigentlich für genug Licht sorgen …«

 

Nachdem sie um die Ecke gebogen waren und auf den Klippenrand zugingen, sah Jane zunächst nichts als das Meer, das sich bis zum Horizont erstreckte. »Was soll das? Wo bringen Sie mich –«

Sie waren auf dem Hügel angekommen und unter ihnen lag eine ebene, grasbewachsene Fläche, die bis an die Klippe reichte und sich entlang der gesamten hinteren Burgmauer erstreckte. Der Rasen war perfekt gepflegt und an jedem Ende der lang gestreckten Grasfläche lagen mehrere Reihen dicker Felsbrocken.

»MacDuff’s Run«, sagte Trevor. »Der Turnierplatz.«

»Was zum Teufel ist das? Es sieht aus wie ein Platz, auf dem sich früher die Druiden versammelt haben.«

»Ja, es war ein Versammlungsplatz. Angus MacDuff hatte eine Leidenschaft für sportliche Wettkämpfe. Er war eine Art Räuberbaron und ein Verehrer von jeder Demonstration von Macht. Seine Burg wurde im Jahre 1350 fertig gestellt, gleich im darauf folgenden Frühjahr hat er die ersten Scottish Games in dieser Gegend veranstaltet.«

»Vor so langer Zeit?«

Trevor schüttelte den Kopf. »Im Jahr 844 hat Kenneth MacAlpine, der König der Schotten, ein dreitägiges Turnier veranstaltet, um seine Soldaten zu beschäftigen, während er vor der Schlacht gegen die Pikten auf ein gutes Omen wartete. Malcolm Canmore, der 1058 den Thron bestieg, hielt regelmäßig Turniere ab, um die besten und stärksten Schotten für seine Elitetruppe auszusuchen.«

»Ich dachte immer, die Spiele hießen Highland Games.«

»Die MacDuffs stammen aus den Highlands, ich nehme also an, sie haben die Turniertradition mit hierher gebracht. Nach den Berichten in ihrer Chronik waren die Spiele der Höhepunkt des Jahres. Es gab Wettkämpfe in allen möglichen Disziplinen – Curling, Ringen, Wettlauf und irgendwelche merkwürdigen einheimischen Sportarten. Alle jungen Männer, die im Dienst der MacDuffs standen, nahmen daran teil.« Er lächelte Jane an. »Hin und wieder waren sogar Frauen unter den Wettkämpfern. Zum Beispiel wird von einer Fiona MacDuff berichtet, die an den Wettrennen teilnehmen durfte. Sie hat zwei Jahre hintereinander den ersten Platz gewonnen.«

»Und daraufhin wurden natürlich Frauen von den Spielen ausgeschlossen, wie?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, sie wurde schwanger und hat aus eigenem Entschluss aufgehört.« Er blieb neben einem der Felsbrocken am Ende der Rasenfläche stehen. »Setzen Sie sich. Ich nehme an, später haben die Leute sich Stühle mitgebracht, um bei den Wettkämpfen zuzusehen, aber das hier sind die ursprünglichen Sitzgelegenheiten.«

Sie setzte sich auf den Stein neben ihm. »Warum kommen Sie hier raus?«

»Es gefällt mir hier.« Er schaute über den Platz hinweg zu den Felsbrocken am anderen Ende hinüber. »Ein guter Ort, um einen klaren Kopf zu bekommen. Hier fühle ich mich zu Hause. Ich glaube, es hätte mir gefallen, Angus MacDuff kennen zu lernen.«

Als sie sein Profil betrachtete, konnte sie sich das gut vorstellen. Der Wind, der vom Meer her wehte, blies ihm die Haare aus der Stirn, und seinen Mund umspielte wieder dieser Hauch von Verwegenheit. Er kniff die Augen zusammen, als versuchte er, den Schwierigkeitsgrad des nächsten Wettbewerbs abzuschätzen. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie er hier saß, mit dem Burgherrn scherzte und sich auf seinen Einsatz bei den Wettkämpfen vorbereitete. Gott, sie wünschte, sie hätte ihren Zeichenblock dabei. »In welcher Disziplin wären Sie denn gern angetreten?«

»Ich weiß nicht. Laufen, vielleicht Curling …« Er wandte sich ihr zu und sah sie mit spitzbübisch funkelnden Augen an. »Vielleicht wäre ich auch besser dazu geeignet gewesen, auf alle Wettkampfergebnisse Wetten anzunehmen. Ich bin ganz sicher, dass bei diesen Spielen immer viel gewettet wurde.«

Sie erwiderte sein Lächeln. »Das wäre bestimmt das richtige Betätigungsfeld für Sie gewesen.«

»Vielleicht hätte ich auch beides machen können. Ich hätte mich sicherlich zu Tode gelangweilt, wenn ich nur einmal im Jahr hätte Wetten abschließen können.«

»Gott, was für eine schreckliche Vorstellung.« Sie wandte sich ab. »Mit so etwas hatte ich nicht gerechnet, als Sie mich mit hierher genommen haben.«

»Das weiß ich. Wahrscheinlich haben Sie erwartet, mit einem weiteren meiner vielen kriminellen Unternehmen konfrontiert zu werden.«

»Oder mit irgendwas, das mit Grozak zu tun hat. Warum haben Sie mir nichts gesagt?«

»Weil ich Sie hierher führen wollte«, antwortete er. »Ich mag diesen Ort und ich wollte, dass es auch Ihnen hier gefällt.«

Er sagte die Wahrheit und es gefiel ihr hier, verflixt. Es war, als würde dieser Ort alle Dinge auf ihre wesentliche Bedeutung zurückführen. Sie konnte beinahe die Dudelsäcke hören und spüren, wie die Erde unter den Füßen der Läufer vibrierte. »Wäre es so schwer gewesen, mir das einfach so zu sagen?«

»Ja, verdammt. Sie können mich doch in letzter Zeit kaum ansehen, ohne gleich alle Schotten dichtzumachen. Und dann habe ich alles noch schlimmer gemacht, indem ich von Sex – Da, Sie verkrampfen sich schon wieder. Sehen Sie mich an, verdammt. Das passt nicht zu Ihnen, Jane.«

»Woher wollen Sie das denn wissen? Sie haben mich vier Jahre lang nicht gesehen.« Aber sie zwang sich, sich umzudrehen und ihn anzuschauen. O Gott, sie wünschte sofort, sie hätte es nicht getan. Wie sollte sie jetzt wieder den Blick von ihm abwenden?

»Fällt schwer, nicht wahr? Mir auch.« Er betrachtete ihre Hand, die auf dem Stein lag. »Himmel, ich würde Sie so gern anfassen.«

Er fasste sie nicht an, aber es war, als täte er es. Ihre Handfläche kribbelte und erneut empfand sie diese seltsame Atemlosigkeit.

Sein Blick ruhte weiterhin auf ihrer Hand. »Sie haben mich einmal berührt. Sie haben Ihre Hand auf meine Brust gelegt und ich musste mich beherrschen, um Sie nicht in die Arme zu nehmen und an mich zu drücken. Es hätte mich beinahe umgebracht.«

»Das geschah Ihnen recht. Es war dumm, wie Sie sich verhalten haben.«

»Sie waren erst siebzehn.«

»Ich war alt genug, um zu wissen, was ich wollte.« Dann fügte sie hastig hinzu: »Nicht, dass Sie so etwas Außergewöhnliches gewesen wären. Sie waren nur einfach der erste Mann, für den ich so etwas empfunden habe. Was das Thema Sex angeht, war ich damals noch ein bisschen hinterm Mond.«

»So haben Sie sich aber nicht aufgeführt. Ich dachte damals, Sie würden mir jeden Augenblick eine Ohrfeige geben.«

»Sie haben mich ein Schulmädchen genannt.«

»Um mich vor mir selbst zu schützen, habe ich versucht, Sie wütend zu machen.«

Sie war immer noch wütend – und erfüllt von Reue. »Armer Trevor.«

»Ich habe Ihnen wehgetan.«

»Unsinn. Ich lasse mich nicht verletzen. Glauben Sie etwa, Sie hätten mich so verletzt, dass ich keine anderen Beziehungen mehr eingehen konnte? Das können Sie sich abschminken.«

Er schüttelte den Kopf. »Sie haben mir beim Abschied gesagt, Sie würden so lange suchen, bis Sie einen besseren Mann finden als mich. Sie haben Ihr Wort gehalten.« Er schaute aufs Meer hinaus. »Clark Peters. Netter Junge, aber nach zwei Monaten wurde er allzu besitzergreifend. Tad Kipp, sehr klug und ehrgeizig, aber er mochte Ihren Hund nicht, als Sie ihn einmal mit zu Eve und Joe genommen haben. Jack Ledborne, Archäologieprofessor, der die zweite Grabung leitete, an der Sie teilgenommen haben. Er hat Ihnen nicht erzählt, dass er verheiratet war, und Sie haben ihn fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel, nachdem Sie es rausgefunden hatten. Peter Brack, ein Cop und Hundeführer aus Quinns Bezirk. Der perfekte Partner. Ein Polizist und Hundenarr. Aber er muss irgendwas falsch gemacht haben, denn –«

»Was zum Teufel hat das alles zu bedeuten?« Sie konnte es einfach nicht fassen. »Haben Sie mich etwa beobachten lassen?«

»Nur wenn ich es nicht selbst tun konnte.« Er schaute ihr in die Augen. »Und meistens konnte ich es selbst übernehmen. Soll ich fortfahren mit Ihrer kleinen schwarzen Liste? Oder soll ich Ihnen lieber erzählen, wie stolz ich war, als Sie den Mondale-International-Kunstpreis gewonnen haben? Ich habe versucht, das Bild zu kaufen, aber die Gemälde gehen fünf Jahre lang auf Tournee rund um die Welt.« Er lächelte. »Natürlich habe ich erwogen, es zu stehlen, doch dann habe ich mir gesagt, dass Sie das bestimmt nicht gutgeheißen hätten. Allerdings habe ich etwas anderes gestohlen, das Ihnen gehört.«

»Was denn?«

»Einen Zeichenblock. Sie haben ihn vor zwei Jahren im Metropolitan Museum auf einer Bank liegen lassen, als Sie zusammen mit Ihren Freunden in die Cafeteria gegangen sind. Ich habe darin geblättert und konnte einfach nicht widerstehen. Eigentlich wollte ich Ihnen den Block wieder zurückgeben, aber irgendwie hab ich’s nie fertig gebracht.«

»Ja, ich erinnere mich daran, wie mir der Block abhanden gekommen ist. Ich war stinksauer.«

»Die Zeichnungen sahen gar nicht aus wie Skizzen für zukünftige Gemälde. Auf mich wirkten sie eher … persönlich.«

Persönlich. Sie versuchte sich zu erinnern, ob irgendwelche Porträts von Trevor unter den Zeichnungen gewesen waren. Wahrscheinlich. »Warum?«, flüsterte sie. »Warum haben Sie das alles getan?«

»Als Sie aus Neapel weggefahren sind, haben Sie mir gesagt, es wäre nicht vorbei. Für mich war es auch nicht vorbei.« Seine Mundwinkel zuckten. »Gott, manchmal habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als dass es vorbei wäre. Sie sind ein harter Brocken, Jane.«

»Warum haben Sie dann nicht –«

»Sie haben mir erklärt, ich hätte für die nächsten vier Jahre keinen Platz in Ihrem Leben. Ich wollte Ihnen die Chance geben, herauszufinden, ob das stimmte.«

»Und wenn ich es rausgefunden hätte?«

»Die Wahrheit? Ich bin kein Märtyrer. Dann wäre ich gekommen und hätte das kleine gemütliche Leben zerstört, das Sie sich eingerichtet hatten.«

»Was versuchen Sie mir zu sagen? Worauf wollen Sie hinaus?«

»Worauf ich hinauswill?« Seine Hand näherte sich ihrer bis auf zwei Zentimeter. Sie spürte, wie warm sie war. »Ich möchte so gern mit dir schlafen, dass es fast wie ein permanenter Schmerz ist. Ich respektiere dich. Ich bewundere dich. Du hast mir einmal vorgeworfen, ich wäre besessen von Cira, aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was ich für dich empfinde. Es quält mich. Ich weiß nicht, ob es anhalten wird. Manchmal hoffe ich, dass es aufhört. Verstehst du jetzt, was ich meine?«

»Ja.« Sie hatte einen Kloß im Hals und räusperte sich. »Wenn es stimmt.«

»Es gibt eine Möglichkeit, zumindest den offenkundigsten Teil davon zu testen.«

Er berührte ihre Hand.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken, aber kein kalter, sondern ein heißer.

Zu viel. Zu heftig.

Sie riss ihre Hand weg. »Nein.«

»Du möchtest es doch auch.«

Sie konnte ihn nicht belügen. Sie kam sich vor wie eine läufige Hündin. »Es geht zu schnell.«

»Nein, verdammt.«

»Und Sex ist – nicht alles. Ich weiß nicht mal, ob ich dir vertraue.«

»Du bist immer noch vor mir auf der Hut.«

»Aus gutem Grund.«

»Wirklich? Dein Freund ist tot. Machst du mich für seinen Tod verantwortlich?«

»Ich weiß nicht.«

»Doch, du weißt es. Ich möchte, dass zwischen uns alles klar und offen ist. Aus diesem Grund habe ich dich mit hierher genommen. Denk nach. Ich möchte, dass du eine Entscheidung triffst.«

»Mike könnte noch leben, wenn du nicht dermaßen hinter dem Gold her wärst und dich mit diesem Grozak eingelassen hättest.«

»Du machst mich also für den Dominoeffekt verantwortlich?«

»Nein, das nicht«, sagte sie erschöpft. »Oder vielleicht doch. Ich weiß es selbst nicht mehr. Ich weiß überhaupt nicht, was zum Teufel gespielt wird.«

»Ich hätte ihn gerettet, wenn ich gekonnt hätte. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen.«

»Aber du würdest immer noch versuchen, an das Gold zu kommen, nicht wahr?«

Er schwieg eine Weile. »Ja. Ich will dich nicht belügen. Ich muss das Gold haben.«

»Warum? Du bist hochintelligent. Du hast das alles nicht nötig. Ich glaube noch nicht mal, dass dir das Gold irgendwas bedeutet. Wahrscheinlich ist es nur der Kitzel, nur das Spiel.«

»Da irrst du dich. Diesmal bedeutet es mir etwas. Wenn ich es bekomme, wird Grozak es nicht kriegen.«

»Rache?«

»Zum Teil. Rachegelüste sind dir auch nicht fremd, Jane.«

»Ja, das stimmt.« Sie stand auf. »Aber ich würde mich nicht rächen, indem ich einem Killer eine Kiste voller Gold abjage. Wir denken verschieden.«

»Manchmal ist es nicht nötig, zu denken.«

Schon wieder diese Hitze. »Für mich schon.«

»Wir werden sehen.« Er stand ebenfalls auf. »Aber ich warne dich. Falls du mich je wieder anfassen solltest wie damals, werde ich anders reagieren.« Er schaute zum Weg hinüber. »Und der gute Angus MacDuff würde mich sehr gut verstehen.«