Drei
Sie hasste Beerdigungen, dachte Jane benommen, als sie auf den Sarg hinunterblickte. Wer glaubte, eine solche Veranstaltung wäre eine Art Katharsis, musste verrückt sein. Sie empfand nichts als Schmerz und Trauer und das Ritual verschaffte ihr nicht die geringste Linderung. Während der drei Tage seit dem sinnlosen Mord hatte sie sich innerlich von Mike verabschiedet. Hier war sie nur Sandra zuliebe.
Und Sandra wirkte, als würde sie jeden Augenblick zusammenbrechen, als würde sie nichts und niemanden um sich herum wahrnehmen. Eve stand neben ihr, doch selbst das war Sandra wahrscheinlich nicht bewusst. Mehrere von Mikes Freunden standen um das Grab herum. Jane kannte einige von ihnen: Jimmy Carver, Denise Roberts und Paul Donnell. Auch ihre Zimmergenossin Pat war für das Begräbnis nach Atlanta gekommen und sie wirkte so ernst, wie Jane sie noch nie erlebt hatte. Trotzdem schön, dass sie da war. Schön, dass sie alle da waren.
In wenigen Minuten würden sie den Friedhof verlassen. Aber die Minuten schienen eine Ewigkeit zu dauern.
Schließlich war es doch vorbei.
Jane trat vor und warf eine Rose auf den Sarg.
»Kann ich irgendwas tun?«, fragte Pat, als Jane sich vom Grab abwandte. »Ich muss eigentlich zurück an die Uni, aber wenn du mich brauchst, mach ich einfach blau.«
Jane schüttelte den Kopf. »Fahr nur. Ich komm schon klar. Wir sehen uns morgen oder übermorgen.«
Pat zog ein Gesicht. »Ich hätt’s mir denken können. Du brauchst doch nie jemanden. Wenn ich mal in der Klemme sitze, bist du immer sofort zur Stelle, aber Gott bewahre, dass du dir helfen lässt, wenn ich mal versuche, dir einen Gefallen zu tun. Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass es mich freuen würde, auch mal auf der Geberseite zu sein?«
»Du ahnst gar nicht, wie viel du mir schon gegeben hast.« Jane schluckte. »Ich hätte es dir längst sagen sollen. Manchmal fällt es mir schwer … Als ich dich kennen gelernt hab, war ich so ernst und pflichtbewusst, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, wie es wäre, sich einfach mal zu entspannen und zu amüsieren. Du hast mir beigebracht, dass es kein Verbrechen ist, das Leben zu genießen, und dass man selbst in den absurdesten Situationen seinen Spaß haben darf.«
Pat lächelte. »Du meinst wie damals, als wir mit dem Auto im Schnee stecken geblieben sind, nachdem du mich aus einer Kneipe rausholen musstest, weil ich zu viel getrunken hatte? Da war es mit dem Spaß nicht weit her, du hast mir die Hölle heiß gemacht.«
»Das hattest du verdient. Aber selbst an dieses Fiasko denke ich irgendwie gern zurück. Wir haben bescheuerte Lieder gesungen und stundenlang geredet, während wir darauf warteten, dass endlich jemand kommt, um uns aus der Bredouille zu retten. Es … hat mein Leben bereichert. Du hast mein Leben bereichert.«
Pat antwortete nicht gleich. »Ich fürchte, dazu fällt mir nichts mehr ein. Ich mache besser, dass ich hier wegkomme, bevor ich noch in Tränen ausbreche.« Sie umarmte Jane flüchtig. »Wir sehen uns morgen.«
Jane schaute ihr nach. Im persönlichen Umgang war Pat fast so unbeholfen wie sie. Seltsam, dass sie in dieser Hinsicht beide die gleiche Schüchternheit an den Tag legten, wo sie sonst so verschieden waren. Jane hatte Pat überrascht mit dem, was sie gesagt hatte, aber die Worte waren ihr in dieser traurigen Situation einfach herausgerutscht. Sie hatte einen guten Freund verloren und wünschte, sie hätte ihm gesagt, wie viel er ihr bedeutete, als sie noch Gelegenheit dazu gehabt hatte. Diesen Fehler würde sie nicht noch einmal begehen.
»Jane.« Paul Donnell trat mit blassem Gesicht auf sie zu. »Es tut mir Leid. Ich bin noch nicht dazu gekommen, mit dir zu sprechen, aber ich wollte dir bloß – Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich es bedaure, dass ich euch an dem Abend nicht zum Auto begleitet habe. Ich habe nur nicht damit gerechnet – Ich hoffe, du gibst mir nicht die Schuld an dem, was –«
»Ich gebe niemandem die Schuld außer dem Dreckskerl, der Mike erschossen hat. Wie hättest du denn ahnen sollen, dass so was passieren würde?«
Er nickte. »Stimmt. Trotzdem bedaure ich es – Ich habe Mike gemocht. Ich habe nie gewollt, dass ihm etwas zustößt, und ich wollte dir nur sagen, dass ich –« Er wandte sich ab. »Ich wollte dir einfach sagen, dass es mir Leid tut.«
Jane blickte ihm hinterher. Er war wirklich tief betroffen, so betroffen, dass er die aalglatte Fassade fallen ließ, mit der er sich sonst schützte. Vielleicht waren Paul und Mike enger befreundet gewesen, als sie bemerkt hatte. Oder vielleicht hatte Paul Schuldgefühle, weil er nicht da gewesen war, als Mike ihn gebraucht hatte. Dann kam ihr ein Gedanke. Vielleicht war es auch –.
»Komm, Jane.« Joe nahm ihren Arm. »Ich bringe dich nach Hause.«
»Okay.« Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich muss zum Flughafen. Ich werde mich von Sandra verabschieden, danach will ich zurück nach Harvard. Ich muss dort unbedingt noch was erledigen.«
»Jane, nimm dir ein paar Tage frei. Du brauchst –«
»Nein, es ist wichtig.« Sie wandte sich ab. »Ich komme schon zurecht, Joe.«
»Von wegen. Ich sehe dir doch an, dass es dir nicht gut geht. Hör zu, Sandra ist völlig verzweifelt. Aber sie gibt dir nicht wirklich die Schuld. Das wäre doch vollkommen absurd.«
»Doch, sie gibt mir die Schuld«, sagte Jane traurig. »Im Moment gibt sie jedem und allem die Schuld. Sie kann es nicht mal ertragen, mich anzusehen. Ich weiß, dass sie mir nicht wehtun will. Sie kann nichts dafür. Ihre Welt steht auf dem Kopf. Du und Eve, ihr müsst sie trösten, und es ist besser, wenn ich nicht dabei bin.«
»Sandra ist nicht die Einzige, die Trost braucht«, murmelte Joe. »Du brauchst uns, verdammt.«
»Ich habe euch doch. Ihr seid immer bei mir.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Dazu braucht ihr nicht im selben Zimmer zu sein oder mir die Hand zu halten. Aber ich glaube, Sandra braucht im Moment genau das. Ich rufe euch an, sobald ich im Studentenheim angekommen bin. Okay?«
»Nein. Aber ich schätze, ich werde mich damit zufrieden geben müssen. Wie ich dich kenne, gibst du sowieso nicht nach.« Seine Kiefermuskeln spannten sich. »Aber ich lasse dich nicht ohne Begleitung zurückfahren. Ich habe jemanden zu deinem Schutz angeheuert, der dich im Auge behalten wird, bis Manning rausfindet, aus welchem Grund ihr angegriffen wurdet. Der Mann erwartet dich im Studentenheim.«
»Meinetwegen. Wenn es dich beruhigt.«
»Ja, das beruhigt mich allerdings.« Er hielt ihr die Wagentür auf. »Ich werde nicht zulassen, dass jemand dir etwas antut.«
Es war zu spät. Jemand hatte ihr bereits etwas angetan. Sie konnte nicht vergessen, wie Mike blutend im Auto neben ihr gelegen und sie angefleht hatte, ihm zu helfen.
Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten. Nicht jetzt. Bloß nicht anfangen zu heulen.
Die Zeit für Tränen war vorbei.
»Paul.«
Paul Donnell, der gerade in das Studentenheim gehen wollte, in dem er wohnte, zuckte zusammen und drehte sich um. »Jane?« Er lächelte. »Was machst du denn hier? Ich dachte, du wolltest noch in Atlanta bleiben. Kann ich was für dich tun?«
»Ja, ich glaube schon.« Sie hielt ihm die Beifahrertür auf. »Steig ein.«
Sein Lächeln verschwand. »Ich fürchte, du erwischst mich in einem ungünstigen Augenblick. Ich hab noch viel zu tun, weil ich den ganzen Tag in Atlanta war und mich nicht auf meine Seminare vorbereiten konnte. Vielleicht können wir uns morgen treffen.«
»Los, steig schon ein«, wiederholte sie. »Versuch nicht, irgendwelche Spielchen mit mir zu spielen, Paul. Du kannst entweder mit mir reden oder mit der Polizei. Was ist dir lieber?«
»Das klingt ja wie eine Drohung. Es reicht mir, dass ich einen Freund verloren habe, ich brauch jetzt nicht auch noch deine –«
»War er dein Freund? Kommt es öfter vor, dass du deine Freunde verrätst, Paul?«
Er leckte sich die Lippen. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Soll ich es dir erklären? Soll ich aussteigen und es dir ins Gesicht schreien, damit jeder auf dem Campus es hören kann? Glaub ja nicht, dass ich bluffe. Mike hat dir bestimmt erzählt, dass ich nicht gerade schüchtern bin.«
Paul schwieg einen Moment lang. »Ja, allerdings.«
»Er hat dir eine Menge Dinge erzählt, weil er dir vertraut hat. Jeder, den er für einen Freund hielt, konnte ihn ausnutzen.«
»Ich war sein Freund. Ich lasse mir von dir nicht –«
Jane öffnete die Fahrertür und war drauf und dran auszusteigen.
»Nein!« Paul kam um das Auto herum. »Wenn du nicht vernünftig sein willst, muss ich halt –«
»Ich bin nicht vernünftig.« Kaum war er eingestiegen, verriegelte sie die Türen. »Ich bin wütend auf dich und will ein paar Antworten von dir«, blaffte sie ihn an und fuhr los.
»Du hast keinen Grund, wütend auf mich zu sein.« Er schluckte. »Was wirfst du mir eigentlich vor?«
»Ich glaube, dass du Mike reingelegt hast.« Ihre Hände umklammerten das Steuerrad. »Ich glaube, du hast ihn so lange bearbeitet, bis er vollkommen depressiv war und du mit ihm machen konntest, was du wolltest. Ich glaube, du hast ihn erst betrunken gemacht und mich dann angerufen. Ich glaube, du wusstest, dass in dieser Gasse jemand auf uns wartete.«
»Schwachsinn. Hör zu, ich weiß, dass Mike an dem Abend viel dummes Zeug geredet hat, aber er war sturzbetrunken.«
»Genau das habe ich auch gedacht, bis ich mich nach der Beerdigung gefragt habe, warum du so nervös warst. Und da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. In der Straße vor der Kneipe gibt es jede Menge Parkuhren. Wieso habt ihr in der Seitenstraße geparkt, wo ihr damit rechnen musstet, abgeschleppt zu werden?«
»Als wir ankamen, war kein Parkplatz mehr frei.«
»Als ich heute vom Flughafen kam, bin ich auf direktem Weg zum Red Rooster gefahren und hab den Barmann gefragt. Der hat mir gesagt, dass die Kneipe anfangs ziemlich leer war und es in der Straße davor jede Menge freie Parkplätze gab, als er um sieben Uhr seine Schicht angetreten hat. Ihr beide seid um Viertel nach sieben im Red Rooster angekommen, stimmt’s?«
»Weiß ich nicht mehr so genau.«
»Aber der Barmann konnte sich erinnern.«
»Halt an. Ich muss mir das nicht anhören.«
»Doch, das musst du.« Sie hielt trotzdem am Straßenrand und schaltete den Motor ab. »Sprich mit mir. Wer hat dich dafür bezahlt, dass du Mike reingelegt hast?«
»Niemand.«
»Hast du es getan, weil du sauer auf ihn warst?«
»Natürlich nicht.«
»Dann fangen wir noch mal von vorne an.«
»Ich hatte nichts mit dem Überfall zu tun.«
»Von wegen.« Sie sah ihm direkt in die Augen. »Du machst dir vor Angst in die Hose. Heute Morgen auf dem Flughafen konnte ich es regelrecht riechen. Du hast nicht getrauert. Du hast mir was vorgespielt, aus Angst, jemand könnte die Wahrheit rauskriegen.«
Er wich ihrem Blick aus. »Die Polizei war aber anderer Meinung.«
»Die werden sie revidieren, sobald ich mit denen rede. Ich bin die Tochter eines Polizisten. Mir werden sie glauben. Die werden auf mich hören, wenn ich ihnen sage, sie sollen dich noch mal genau unter die Lupe nehmen.«
»Die werden nichts finden. Ich bin schließlich kein jugendlicher Straftäter. Ich komme aus einer angesehenen Familie.«
»Und ich komme aus einem der schlimmsten Viertel in Atlanta, wo sich Huren und Zuhälter und Kleinkriminelle rumtreiben. Deswegen weiß ich ganz genau, wann ich Abschaum vor mir habe.«
»Lass mich aussteigen.«
»Sobald du mir sagst, wer dich bezahlt hat und warum.«
Er presste die Lippen zusammen. »Du bist doch bloß eine Frau. Ich könnte dich jederzeit zwingen, diese Tür aufzumachen. Ich verzichte darauf. Ich versuche nur, dich zu besänftigen.«
»Ich bin eine Frau, die von einem Polizisten und ehemaligen SEAL großgezogen wurde, einem Mann, der großen Wert darauf gelegt hat, dass ich mich selbst verteidigen kann. Joe hat mir immer gesagt, vergeude keine Zeit, wenn du angegriffen wirst. Geh davon aus, dass der andere dich töten will, und verhalte dich entsprechend, indem du ihn zuerst tötest.«
»Du bluffst.«
»Ich sag dir nur, wie’s aussieht. Du bist derjenige, der eine Drohung ausgesprochen hat. Ich will nur Antworten auf meine Fragen.«
»Vergiss es. Glaubst du etwa, ich wüsste nicht, dass du sofort damit zur Polizei rennen würdest?«, schrie er. »Außerdem war es nicht meine Schuld. Nichts war meine Schuld.«
Der erste Riss in seinem Panzer. »Das wird dir keiner glauben, wenn du nicht zur Polizei gehst und ein Geständnis ablegst.«
»Ein Geständnis? Verbrecher legen ein Geständnis ab. Ich habe nichts verbrochen. Ich konnte doch nicht wissen –« Plötzlich lag Panik in seinem Blick. »Und ich werde der Polizei sagen, dass du lügst, falls du denen sagst, ich hätte –«
»Was konntest du nicht wissen?«
Er schwieg. Aber sie spürte seine Angst. Sie hatte ihn fast so weit. Jetzt nicht locker lassen. »Was du getan hast, nennt sich Beihilfe zum Mord. Die werden dich in eine Zelle sperren und den Schlüssel wegwerfen. Oder gibt es in diesem Staat die Todesstrafe?«
»Elende Schlampe!«
Aha. Viel fehlte nicht mehr. »Ich fahre auf direktem Weg zur Polizei. Sie werden dich wahrscheinlich in wenigen Stunden verhaften. Wenn du mir sagst, was ich wissen will, halte ich mich zurück, bis du dich selber stellst, dann kannst du noch versuchen, dich rauszureden.«
»Es war nicht meine Schuld. Es sollte überhaupt nichts passieren. Die haben gesagt, sie wollten bloß mit dir reden, aber du würdest dich stur stellen.«
»Wer wollte mit mir reden?«
Er antwortete nicht.
»Wer?«
»Weiß ich nicht. Irgendein Leonard … keine Ahnung.«
»War Leonard sein Vorname oder sein Nachname?«
»Ich hab dir doch gesagt – Ich habe keine – Sein Nachname. Wenn es sein richtiger Name war.«
»Warum zweifelst du daran?«
»Anfangs hab ich nicht daran gezweifelt – Ich wollte nicht, dass Mike stirbt – Ich wollte nicht, dass irgendjemand was zustößt.«
»Weißt du, wie dieser Leonard mit Vornamen heißt?«
Er schwieg eine Weile. »Ryan.«
»Wie hieß der andere?«
»Keine Ahnung. Der hat sich mir nicht vorgestellt. Nur Leonard hat mit mir geredet.«
»Wo hast du dich mit ihnen getroffen?«
»Ich hab mich nicht mit denen getroffen. Vor ein paar Wochen saß ich in einer Kneipe, da haben sie sich neben mich gesetzt und mich angesprochen. Ich brauchte das Geld, und sie haben mir versichert, dass nichts Schlimmes passieren würde. Ich sollte nur dafür sorgen, dass du in diese Gasse kommst, damit sie mit dir reden können.«
»Und das war ganz einfach, nicht wahr? Weil Mike sich so leicht manipulieren ließ. Du konntest ihn jederzeit nach deiner Pfeife tanzen lassen.«
»Ich mochte Mike. Ich wollte ihm nicht wehtun.«
»Du hast ihm aber wehgetan. Erst hast du es geschafft, dass er sich wie ein Versager fühlt, und dann hast du ihn in die Falle laufen lassen.«
»Ich brauche das Geld. Harvard ist verdammt teuer und meine Eltern können die Studiengebühr kaum aufbringen. Ich führe ein Leben wie ein Almosenempfänger.«
»Hast du schon mal versucht, dir einen Job zu besorgen?«
»So wie du?«, fragte er säuerlich. »Du bist ja immer so perfekt. Genau das konnte Mike an dir nicht ausstehen.«
Sie durfte sich nicht anmerken lassen, wie sehr sie das traf. »Wie finden wir diesen Ryan Leonard?«
Paul zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Sie haben mir die Hälfte von dem Geld gegeben, als ich zugesagt habe, dass ich es machen würde, und nachdem ich sie angerufen hatte, um ihnen zu sagen, dass ich dich an dem Abend ins Red Rooster locken würde, haben sie die andere Hälfte in einem Umschlag in mein Postfach gelegt. Seitdem hab ich nichts mehr von ihnen gehört.«
»Hast du den Umschlag noch?«
Er nickte. »Ich hab das Geld noch nicht ausgegeben. Es ist immer noch in dem Umschlag. Nachdem Mike – ich hab mich noch nicht mal getraut, es zur Bank zu bringen. Ich hatte Angst, es könnte verdächtig wirken, falls die Polizei mich vernehmen würde. Aber da steht keine Adresse drauf. Es ist nur ein weißer Umschlag ohne Anschrift.«
»Wo hast du ihn?«
»In meinem Zimmer.«
»Wo?«
»In meinem Lehrbuch für englische Literatur.«
»Und hast du an dem Abend den anderen Mann gesehen?«
»Ja, das hab ich dir doch gesagt. Warum?«
»Weil ich nur einen gesehen hab. Ich brauche die Beschreibung von dem anderen.«
»Jetzt?«
»Nein, nicht jetzt.« Mehr konnte sie im Moment nicht verkraften. Sie entriegelte die Tür. »Los, steig aus. Ich gebe dir zwei Stunden, um zur Polizei zu gehen und zu versuchen, sie von deiner Unschuld zu überzeugen. Wenn du abhaust, hetze ich sie dir auf den Hals.« Ihre Lippen spannten sich. »Und ich selbst werde mich ebenfalls an deine Fersen heften.«
»Ich bin doch kein Idiot. Ich werde mich stellen. Nicht, dass ich Angst vor dir hätte. Es ist einfach das Vernünftigste.« Er stieg aus. Seine Angst war ein wenig verebbt, er brachte sogar ein halbwegs verwegenes Lächeln zustande. »Mir wird schon nichts passieren. Vielleicht brauche ich mich nur als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Alles spricht für mich. Ich bin jung und intelligent, und die werden sich einfach sagen, dass ich ein ganz normaler junger Mann bin, der eine Situation falsch eingeschätzt hat.«
Ihr wurde übel. Womöglich würde er sogar Recht behalten. »Sag mir eins, Paul. Wie viel haben Sie dir bezahlt?«
»Zehntausend, als ich zugesagt hab, dass ich es mache. Und noch mal zehn, nachdem ich die ganze Sache eingefädelt hatte.«
»Und du hast dich gar nicht gefragt, warum es denen so viel Geld wert war, mit mir zu reden?«
»Das ging mich nichts an. Wenn die so viel Kohle locker machen konnten –« Er brach ab, als er ihrem Blick begegnete. »Du kannst mich mal.« Er drehte sich auf dem Absatz um und ging.
Gott, was für ein großspuriger Scheißer. Am liebsten hätte sie Gas gegeben und diesen Widerling über den Haufen gefahren. Er hatte seinen Freund verraten, und jetzt dachte er an nichts anderes als daran, seinen eigenen Hals zu retten. Sie legte den Kopf aufs Lenkrad und versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen.
Dann ließ sie den Motor an und nahm ihr Handy aus der Tasche. Joe ging nach dem zweiten Läuten an den Apparat.
»Du musst etwas für mich tun.« Sie schaute Paul nach, der gerade um die Ecke bog. »Paul Donnell wird sich in den nächsten Stunden der Polizei stellen.«
»Wie bitte?«
»Er hat Mike in eine Falle gelockt. Für zwanzigtausend Dollar hat er sich bereit erklärt, dafür zu sorgen, dass Mike mit mir in diese Gasse neben der Kneipe geht.« Sie unterbrach ihn, als er anfing zu fluchen. »Angeblich haben die ihm gesagt, sie wollten nur mit mir reden. Das hat er akzeptiert und keine Fragen gestellt. Es war ihm einfach scheißegal.«
»Dieser Hurensohn.«
»Er sagt, der Mann, der ihm das Geld gegeben hat, hieß Ryan Leonard, mehr weiß er angeblich nicht über den Typen. Von dem anderen Mann wüsste er nicht mal den Namen, aber er hat ihn gesehen und kann ihn mir beschreiben. Ich möchte, dass du Manning anrufst und ihm sagst, er soll sich den Mann beschreiben lassen, bevor Paul auf die Idee kommt, das als Druckmittel zu benutzen. Das traue ich dem nämlich glatt zu.«
»Alles klar. Sonst noch was?«
»Sag ihm, er soll Paul nicht mit Samthandschuhen anfassen.« Ihre Stimme zitterte. »Er hat vielleicht nicht abgedrückt, aber er ist mitschuldig an Mikes Tod. Ich will nicht, dass er ungeschoren davonkommt.«
»Ich kann mich nur wundern, dass du ihn zum Reden gebracht hast.«
»Ich auch. Aber er hatte Angst und das hab ich ausgenutzt. Ich fahre jetzt zu ihm ins Studentenheim und lass mir den Umschlag mit dem zweiten Geldbetrag geben, den er von diesem Leonard erhalten hat. Mir ist gerade der Gedanke gekommen, dass er versuchen könnte, ein doppeltes Spiel zu spielen und das Geld für seine Verteidigung zu benutzen.«
»Überlass das der Polizei. Vielleicht finden die Fingerabdrücke auf dem Umschlag.«
»Ich werde vorsichtig damit umgehen. Aber die Polizei ist zu sehr an Gesetze gebunden. Es könnte viel zu lange dauern, bis die einen Durchsuchungsbefehl für sein Zimmer kriegen, und ich will um jeden Preis verhindern, dass er das Geld behält. Ich muss jetzt Schluss machen, Joe. Ich melde mich wieder bei dir.« Bevor er etwas entgegnen konnte, legte sie auf.
Sie fuhr los, wendete und fuhr in Richtung Studentenwohnheim.
Schlampe. Flittchen.
Paul Donnell kochte vor Wut, als er die Straße hinuntereilte.
Selbstbewusste Frauen hatte er noch nie ausstehen können und Jane MacGuire war ein Musterbeispiel für die Sorte Frauen, die er verabscheute. Wirklich Pech, dass Leonard sie in dieser Gasse nicht erwischt hatte.
Er musste seine Wut irgendwie loswerden. Wenn er mit der Polizei redete, musste er den Anschein erwecken, als wäre er zutiefst betrübt. Er musste einen ehrlichen Eindruck machen und so tun, als würde er sich vor lauter Schuldgefühlen am liebsten zerfleischen. Wenn er wollte, konnte er äußerst überzeugend sein, und jetzt war sein schauspielerisches Talent gefragt. Zu oft hatte er gelesen, wie sehr ein Gerichtsurteil vom ersten Eindruck abhing, den jemand bei der Polizei machte. Er würde sich sehr respektvoll geben, aber von vornherein klarstellen, dass man ihm geraten hatte, einen Anwalt zu konsultieren.
Genau, das war die richtige Strategie. Aber Anwälte waren teuer, und er hatte nicht vor, sich auf einen Pflichtverteidiger zu verlassen. Er würde sich den besten Anwalt leisten, und dafür konnte er – Scheinwerfer.
Er drehte sich um. Nein, das Miststück war ihm nicht gefolgt. Das Auto, dessen Scheinwerfer die ruhige Wohnstraße erhellten, war viel größer als ihres. Er beschleunigte seine Schritte. Er musste sich beeilen und auf schnellstem Weg zum Polizeirevier gehen, damit diese Schlampe ihm nicht zuvorkam. Dieser Frau würde er zutrauen, dass sie – Licht. Er war völlig in Licht getaucht. Ein Motor heulte auf.
Was zum Teufel …
Jane parkte vor dem Studentenwohnheim und sprang aus dem Wagen.
Es dürfte nicht allzu schwierig sein, in Pauls Zimmer zu gelangen, dachte sie, während sie auf die Treppe zueilte. Sie hatte Mike häufig besucht, und falls einer der Sicherheitsleute sie ansprechen sollte, konnte sie behaupten, sie hätte etwas in seinem Zimmer vergessen. Wenn das nicht klappte, konnte sie immer noch – »Jane.«
Sie erstarrte. Nein. Ihre Fantasie ging schon mit ihr durch – das konnte er nicht sein.
Langsam drehte sie sich um.
Trevor.
Er trug Jeans und einen dunkelgrünen Pullover und sah noch genauso aus wie vor vier Jahren, als sie sich am Flughafen von ihm verabschiedet hatte.
Er lächelte. »Hallo. Lange nicht gesehen. Haben Sie mich vermisst?«
Ihre Erstarrung löste sich auf der Stelle. Arrogantes Arschloch. »Kein bisschen. Was tun Sie hier?«
Sein Lächeln verschwand. »Glauben Sie mir, ich hätte es vorgezogen, mich von Ihnen fern zu halten. Aber das war unmöglich.«
»Die letzten vier Jahre ist es Ihnen aber ganz gut gelungen.« Das hätte sie nicht sagen sollen. Es klang vorwurfsvoll, und dass er denken könnte, es würde sie auch nur im Geringsten interessieren, ob er sie vergaß oder nicht, war das Letzte, was sie wollte. »Genau wie mir. Schnee von gestern.«
»Ich wünschte, das könnte ich ebenfalls behaupten.« Seine Lippen spannten sich. »Wir müssen miteinander reden. Mein Wagen steht gleich um die Ecke. Kommen Sie mit.«
Sie rührte sich nicht von der Stelle. »Später. Ich muss erst noch was erledigen.«
Er schüttelte den Kopf. »Jetzt sofort.«
Sie nahm die ersten Stufen nach oben. »Scheren Sie sich zum Teufel.«
»Wenn Sie mich begleiten, werden Sie mehr erfahren als aus dem Umschlag in Donnells Zimmer.«
Sie zuckte zusammen und drehte sich langsam zu ihm um. »Woher wissen Sie, dass ich vorhatte –«
»Kommen Sie schon.« Er ging zur Ausgangstür. »Ich werde Bartlett sagen, er soll das Wohnheim im Auge behalten und dafür sorgen, dass Donnell nicht zurückkommt, um das Geld zu holen.«
»Bartlett ist hier?«
»Er wartet im Wagen.« Er warf einen Blick über die Schulter. »Ich weiß ja, dass Sie Bartlett vertrauen, auch wenn Sie mir nicht vertrauen.«
Sie versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. »Sie wissen, dass mein Freund Mike getötet wurde?«
»Ja, das tut mir Leid. Sie haben sich wohl sehr nahe gestanden.«
»Und woher wissen Sie, was heute Abend mit Donnell passiert ist?«
»Ich hatte Bartlett beauftragt, Ihren Wagen mit einer Wanze auszustatten.«
»Wie bitte?«
»Und ebenso Ihr Zimmer.« Er lächelte. »Macht Sie das wütend genug, jetzt mit mir zu kommen und mich zurechtzustauchen?«
»Allerdings.« Sie kam die Treppe wieder herunter. »Darauf können Sie Gift nehmen.«
»Gut.« Er trat auf die Straße hinaus. »Dann kommen Sie endlich, Sie haben fünf Minuten Zeit, um mir Ihre Meinung zu sagen.«
Die Meinung sagen? Sie hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht. Er hatte sich kein bisschen geändert. Total von sich eingenommen, ganz der Coole und jederzeit bereit, notfalls über Leichen zu gehen.
»Sie verfluchen mich innerlich«, murmelte er. »Ich kann es regelrecht spüren. Sie sollten mir Zeit geben, mich zu erklären, bevor Sie einen Wutanfall kriegen.«
»Sie haben mir gerade gesagt, dass Sie mein Auto verwanzt haben.«
»Ich hatte nur die besten Absichten.« Er blieb vor einem blauen Lexus stehen. »Bartlett, ich muss mit ihr reden. Behalt das Wohnheim im Auge und gib mir Bescheid, falls Donnell auftaucht.«
»Selbstverständlich«, erwiderte Bartlett, während er ausstieg. »Freut mich, Sie wiederzusehen. Nur schade, dass es unter solch unglücklichen Umständen geschieht.«
»Da haben Sie allerdings Recht. Ich habe soeben erfahren, dass Sie meinen Wagen und mein Zimmer verwanzt haben.«
Bartlett warf Trevor einen vorwurfsvollen Blick zu. »Musstest du ihr das unbedingt verraten?«
»Ja. Geben Sie ihm Ihre Wagenschlüssel, Jane. Dann hat er es ein bisschen bequemer auf seinem Spähposten.«
Sie wollte schon protestieren, als sie Bartletts warmherzige, dunkle Augen gewahrte, die sie stets an Pu den Bären erinnert hatten. Es war zwecklos, sich über Bartlett aufzuregen, der hatte schließlich nur auf Trevors Befehl hin gehandelt. Sie warf ihm die Autoschlüssel zu. »Das hätten Sie nicht tun dürfen, Bartlett.«
»Ich hielt es für das Beste. Aber vielleicht habe ich mich geirrt.«
»Sie haben sich geirrt.« Sie stieg auf den Beifahrersitz. »Und lassen Sie Donnell auf keinen Fall ins Haus, falls er zurückkommt.«
»Sie wissen, dass es mir nicht liegt, Gewalt anzuwenden, Jane.« Und mit ernster Miene fügte er hinzu: »Aber ich werde Sie sofort benachrichtigen.«
Sie sah ihm nach, während Trevor hinter dem Steuer seines Wagens Platz nahm. »Sie hätten ihn da nicht mit reinziehen dürfen. Er ist kein Verbrecher.«
»Woher wollen Sie das wissen? Er ist jetzt schon seit vier Jahren bei mir. Vielleicht habe ich ihn ja längst korrumpiert.«
»Nicht jeder ist korrumpierbar.« Doch Trevors mit Intelligenz gepaarte Anziehungskraft, der sie selbst damals erlegen war, konnte kaum jemand widerstehen. Er war ein Rattenfänger, der jedem einreden konnte, Schwarz wäre Weiß. Während der Wochen, die sie gemeinsam verbracht hatten, hatte sie hautnah mitbekommen, wie er die widrigsten Umstände zu seinem Vorteil hinbog, und seine Fähigkeit, andere um den Finger zu wickeln, kannte sie nur allzu gut. »Und Sie mögen Bartlett. Sie würden ihn überhaupt nicht mehr respektieren, wenn Sie es geschafft hatten, einen Jasager aus ihm zu machen.«
Trevor lachte in sich hinein. »Da haben Sie Recht. Aber die Gefahr besteht nicht, dass er zum Jasager werden könnte. Dazu hat er zu viel Charakter.«
»Wie haben Sie ihn dazu gebracht, mein Auto zu verwanzen?«
»Ich habe ihm erklärt, dass es Ihrer Sicherheit dient.« Sein Lächeln verschwand. »Ich habe allerdings nicht damit gerechnet, dass Sie Donnell auflauern würden. Das hätte gefährlich werden können. Ein verzweifelter Mann ist unberechenbar.«
»Er hatte Angst. Ich habe es ihm ganz deutlich angesehen.«
»Verängstigte Männer neigen dazu, blind um sich zu schlagen.«
»Das hat er nicht getan, und es ist vorbei. Die Sache geht Sie nichts an.« Sie schaute ihn an. »Oder etwa doch? Sie haben behauptet, Sie könnten mir mehr sagen, als ich in dem Briefumschlag finden würde. Also, schießen Sie los.«
»Der andere Mann heißt wahrscheinlich Dennis Wharton. Jedenfalls arbeitet der normalerweise mit Leonard zusammen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Er ist mir früher schon mal über den Weg gelaufen.«
»Und warum haben Sie der Polizei nicht gesagt, dass Sie wissen, wer Mike getötet hat?«
»Ich wollte nicht, dass die Typen die Flucht ergreifen.«
»Warum nicht?«
»Ich will sie mir selbst schnappen«, erwiderte er ruhig. »Die Polizei arbeitet nicht immer besonders effizient. Ich wollte nicht das Risiko eingehen, dass Leonard und Wharton noch eine Chance kriegen, Ihnen etwas anzutun.«
»Sie glauben also, sie werden es versuchen?«
»Wenn die Situation es erlaubt, ja. Die Polizei kommt nicht vom Fleck. Ich möchte wetten, dass die beiden mindestens noch einen Versuch unternehmen, bevor jemand anders geschickt wird, um Sie zu erledigen.«
»Geschickt von wem?«
Er schüttelte den Kopf. »Wirklich, Jane, ich kann Ihnen nicht alles sagen. Dann hätte ich nichts mehr, was ich als Faustpfand verwenden könnte.«
»Warum waren die hinter mir her?«
»Sie betrachten Sie als einen nützlichen Aktivposten in dem Spiel.«
»Spiel?« Sie ballte die Hände zu Fäusten. »Das war kein Spiel. Mike ist dabei ums Leben gekommen.«
»Das tut mir Leid«, sagte Trevor leise. »Ich glaube nicht, dass das geplant war. Das war ein Unfall.«
»Das ist auch kein Trost. Und woher wissen Sie, was die vorhatten? Was haben Sie damit zu tun?«
»Alles. Wahrscheinlich bin ich an allem schuld.«
»Wie bitte?«
»Ich hätte eher kommen sollen. Ich hatte gehofft, ich hätte mich geirrt und die Sache würde nicht außer Kontrolle geraten, also habe ich Bartlett geschickt. Aber ich hätte herkommen, Sie am Kragen packen und mitnehmen sollen.«
»Das ergibt für mich alles keinen Sinn. Worum geht es überhaupt?«
»Um Cira.«
Jane erstarrte. »Wie bitte?«
»Oder, genauer gesagt, um Ciras Gold.«
Sie sah ihn verblüfft an.
»Eine zweitausend Jahre alte mit Gold gefüllte Büste. Die Antiquität wäre für sich genommen schon außergewöhnlich wertvoll. Die Tatsache, dass Julius Precebio sie seiner Mätresse Cira vermacht hat, würde den Reiz des Geheimnisvollen noch erhöhen.«
»Haben Sie sie gefunden?«
»Nein, aber ich bin ihr auf der Spur. Unglücklicherweise gibt es Leute, denen das zu Ohren gekommen ist und die jetzt nach einer Schwachstelle bei mir suchen.« Er neigte ihr den Kopf zu. »Und nun glauben sie, sie gefunden zu haben.«
»Mich?«
»Wen sonst?«
»Wie sollten die auf die Idee kommen –«
Er wandte sich ab. »Ich wette, die gehen davon, dass Sie meine Achillesferse sind.«
»Warum?«
»Vielleicht wegen unserer gemeinsamen Vergangenheit? Was wir damals in Herkulaneum erlebt haben, wurde schließlich ausgiebig in den Medien breitgetreten.«
»Das ist doch absolut lächerlich. Sie haben keine Achillesferse.«
Er zuckte mit den Schultern. »Wie gesagt, sie suchen eine Schwachstelle. Ich habe nie behauptet, sie hätten sie gefunden. Aber ich wollte ihre Vermutung auch nicht bestätigen, indem ich herkam, deshalb habe ich Bartlett an meiner Stelle geschickt.«
»Und die haben Mike benutzt, um mich zu kriegen«, folgerte Jane ausdruckslos. »Und dieses verdammte Gold.«
»Ja.«
»Zur Hölle mit ihnen.« Sie schwieg einen Moment. »Und mit Ihnen auch.«
»Tja, ich dachte mir schon, dass Sie das so sehen würden. Aber ich kann mich jetzt nur noch um Schadensbegrenzung bemühen.«
»Der Schaden ist längst angerichtet.«
»Oder es geht gerade erst los. Diese Leute haben Mike Fitzgerald benutzt, um an Sie heranzukommen. Womöglich versuchen sie jetzt, jemand anderen zu benutzen, der Ihnen nahe steht.«
Sie sah ihn entsetzt an. »Eve? Joe?«
»Zum Beispiel. Für die beiden würden Sie alles tun, nicht wahr?«
»Niemand wird den beiden etwas antun«, erwiderte sie trotzig.
»Dann sollten Sie sie nach Möglichkeit ganz aus dieser Geschichte raushalten. Verschwinden Sie von hier und gehen irgendwohin, wo Sie in Sicherheit sind.«
»Und wo sollte das sein?«, fragte sie sarkastisch.
»Bei mir. Ich biete Ihnen Sicherheit und bin die Sorge los, dass Sie tausend Meilen weit weg sind.«
»Ihre verdammten Sorgen interessieren mich einen Scheißdreck. Und für meine Sicherheit kann ich selbst sorgen. Sie hätten niemals –« Sie unterbrach sich, weil ihr Handy klingelte. Sie warf einen Blick auf das Display. »Das ist Joe.«
»Donnell ist tot«, sagte Joe. »Und die Polizei will mit dir reden.«
»Tot?« Sie erstarrte. »Wovon redest du? Er kann nicht tot sein.« Sie bemerkte, wie Trevor sich neben ihr anspannte. »Ich hab ihn vor einer knappen Stunde noch gesehen.«
»Wo?«
»Er ist ungefähr sechs Kilometer von hier entfernt in einer Seitenstraße aus meinem Auto ausgestiegen.« Sie versuchte, sich an den Namen der Straße zu erinnern. »Ich weiß nicht mehr, welche es war. Ich habe nicht darauf geachtet.«
»Donnell wurde in der Justine Street überfahren. Der Fahrer hat sich aus dem Staub gemacht. Ein Zeuge hat vom Fenster seiner Wohnung aus beobachtet, wie ein heller Wagen auf den Gehweg gefahren ist und Donnell überrollt hat.«
»Also kein Unfall?«
»Unwahrscheinlich. Nachdem Donnell bereits am Boden lag, hat der Fahrer zurückgesetzt und ihn nochmals überfahren.«
»Hat der Zeuge sich das Kennzeichen gemerkt?«
»Nein. Der junge Mann war angetrunken und reichlich neben der Spur. Wir können von Glück reden, dass er noch in der Lage war, die Polizei anzurufen und zu berichten, was er gesehen hat. Wo bist du? Ich werde dich von Manning abholen lassen, damit du eine Aussage machen kannst.«
Jane war immer noch fassungslos. »Sie haben ihn umgebracht.«
»Genau davon wirst du Manning überzeugen müssen.«
»Er wurde von einem hellen Wagen überfahren. Du fährst einen hellen Toyota Corolla. Donnell hatte dir gegenüber zugegeben, dass er mitschuldig an Mikes Tod war. Du bist gerade von der Beerdigung deines Freundes gekommen und warst verständlicherweise wütend.«
»Aber du hast doch Manning angerufen und ihm gesagt, dass Donnell sich stellen wollte.«
»Und dass du befürchtet hast, er würde ungeschoren davonkommen. Rechne doch mal eins und eins zusammen, Jane. Wäre es nicht nachvollziehbar, dass du deine Meinung geändert hast und noch mal zurückgefahren bist, um Selbstjustiz zu üben?«
»Nein.« Plötzlich fiel ihr ein, wie sie dieses blasierte Arschloch vor lauter Wut am liebsten überfahren hätte. »Ich mag ja in Versuchung gewesen sein, aber ich bin keine Idiotin.«
»Und wir werden die Zuständigen davon überzeugen müssen, dass du es nicht warst. Es wird vielleicht ein wenig dauern, aber das kriegen wir schon hin. Ich schicke einen Anwalt zur Dienststelle und komme in ein paar Stunden nach.«
»Mein Gott, glaubst du tatsächlich, dass die mir einen Mord anhängen werden?«
»Jedenfalls will ich es auf keinen Fall darauf ankommen lassen, also will ich lieber vorbereitet sein. Wo bist du jetzt?«
»Vor Donnells Studentenwohnheim.«
»Bleib da.« Joe legte auf.
Wie gelähmt schaltete sie das Handy ab.
»Donnell ist tot?«, fragte Trevor.
»Der Täter hat Fahrerflucht begangen. Ein heller Wagen.« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist verrückt. Joe glaubt, die könnten mich für die Täterin halten.«
»Nein.« Trevor ließ den Motor an und fuhr los. »Das wird nicht passieren.«
»Wo wollen Sie hin? Joe hat gesagt, ich soll hier warten, bis Manning –«
»Und ganz sicher hat er auch die besten Absichten, aber ich werde nicht zulassen, dass man Sie einsperrt, und sei es nur für kurze Zeit. Es gibt zu viele Möglichkeiten, an einen Häftling heranzukommen.« Er hielt neben Janes Wagen an, in dem Bartlett saß. »Steig aus. Wir fahren zum Flughafen.«
»Den Teufel werden wir tun«, blaffte Jane ihn an. »ich fahre nirgendwo mit Ihnen hin.«
»Sie fahren zum Flughafen«, sagte Trevor, als Bartlett auf die Rückbank sprang. »Danach können Sie machen, was Sie wollen. Aber ziehen Sie mal die Möglichkeit in Betracht, dass die Donnell umgebracht haben, um einen potenziellen Zeugen zu eliminieren. Dann dämmert Ihnen vielleicht, was hier gespielt wird. Mike Fitzgerald und Paul Donnell sind tot, dabei waren sie nur Randfiguren. Eigentlich sind die hinter Ihnen her. Und wenn Sie sich in die Nähe von Eve und Joe begeben, landen die ebenfalls auf der Abschussliste. Wie wollen Sie die beiden beschützen, wenn Sie eingesperrt sind?«
»Es ist doch überhaupt noch nicht gesagt, dass ich eingesperrt werde. Die brauchen doch nur meinen Wagen zu untersuchen, um festzustellen, dass er nicht beschädigt ist.«
»Aber sie werden ihn vielleicht erst mal für eine gründliche Untersuchung dabehalten. Und bis alles geklärt ist, wird man auch Sie festhalten. Wollen Sie das Risiko eingehen? Denken Sie darüber nach.« Er trat das Gaspedal durch. »Wenn wir am Flughafen ankommen, möchte ich wissen, wie Sie sich entschieden haben.«