Sechs

Als Mario wenige Minuten später für Jane die Tür zu dem großen Schlafzimmer öffnete, stand Bartlett am Fenster. »Ich wollte nur kurz ein bisschen lüften«, sagte er, während er die schweren Samtvorhänge zurückzog und das Fenster öffnete. »Machen Sie wieder zu, wenn Sie schlafen gehen, hier kann es ziemlich zugig werden. Ich hoffe, es ist Ihnen nicht zu feucht und kalt.«

»Nicht schlecht.« Jane schaute sich in dem Zimmer um. Es war recht gemütlich eingerichtet, mit Perserteppichen auf dem Boden, einem Schreibtisch und einem Sessel. An der Wand gegenüber dem Bett hing einer der anscheinend obligatorischen Gobelins. Doch beherrscht wurde der Raum auf geradezu furchterregend majestätische Weise von einem riesigen Himmelbett mit Samtvorhängen, die zu denen am Fenster passten. »Darin soll ich schlafen?«

»Man schläft gar nicht schlecht darin«, sagte Mario und kicherte. »Ich hab auch so eins in meinem Zimmer und zuerst hab ich genauso darauf reagiert. Aber die Matratze ist ausgesprochen bequem, sie stammt auf keinen Fall aus dem vierzehnten Jahrhundert.«

Jane verzog das Gesicht. »Na, wenn Sie das sagen. Ich bin in einem Slum aufgewachsen, da bin ich nicht an Betten gewöhnt, die fast so groß sind wie die Wohnungen meiner Pflegefamilien.«

»Sie haben ein eigenes Bad«, verkündete Bartlett stolz und deutete mit einer Kinnbewegung auf eine Tür. »MacDuffs Vater hat ein paar von den Schlafzimmern in sehr praktische Arbeitszimmer umgewandelt.«

Sie lächelte. »Sie haben ja einen regelrechten Tick mit modernen Sanitäranlagen. Nicht, dass ich was gegen ein schönes Bad hätte. Nach der langen Reise sehne ich mich nach einer Dusche.«

»Dann lassen wir Sie jetzt am besten allein.« Mario ging zur Tür. »Soll ich Sie abholen, wenn das Abendessen aufgetragen ist?«

»Ich finde den Weg schon –« Er wirkte so enttäuscht, dass sie sich korrigierte: »Das wäre sehr nett.«

»In Ordnung.« Er strahlte sie an. »Ich fühle mich geehrt«, sagte er und verließ das Zimmer.

»Der ist ja hin und weg«, bemerkte Bartlett. »Was mich keineswegs wundert.«

»Er ist nicht der Typ, von dem ich erwarten würde, dass er für Trevor arbeitet«, sagte Jane. »Wie ist Trevor an ihn geraten?«

»Über die Universität von Neapel. Eigentlich wollte er akademische Kreise meiden, doch nachdem Dupoi versucht hatte, ihn übers Ohr zu hauen, entschloss er sich, das Risiko einzugehen. Da Grozak sich eingeschaltet hatte, konnte er es sich nicht leisten, nach einem freiberuflichen Übersetzer zu suchen. Also holte er von mehreren Geschichtsstudenten Bewerbungen ein. Schließlich heuerte er Mario an und brachte ihn mit hierher, wo er ihn unter Kontrolle hat.«

»Er hat was davon gesagt, dass er ihn im Auge behalten muss.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber es kommt mir sehr unwahrscheinlich vor, dass Mario eine ernste Gefahr darstellen könnte.«

»Nein, es verhält sich eher so, dass Mario in Gefahr wäre, wenn wir ihn nicht beschützen würden. Trevor wollte nicht riskieren, dass jemand dem Jungen die Kehle durchschneidet.«

»Aber er hat keine Skrupel, ihn zu benutzen.«

»Mario hat von Anfang an gewusst, dass er ein Risiko eingeht. Trevor hat ihm reinen Wein eingeschenkt.« Bartlett ging zur Tür. »Im Badezimmerschrank finden Sie was zum Anziehen. Wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann, rufen Sie mich. Auf dem Schreibtisch liegt eine Karte mit meiner Handynummer. Ich hoffe, Sie werden sich hier wohl fühlen. Ich habe mein Bestes getan.«

»Danke. Ich werde mich bestimmt wohl fühlen.«

Er lächelte, als er die Tür öffnete. »Würde mich freuen. Vielleicht bin ich auch ein bisschen hin und weg.« Er lachte in sich hinein, als sich ihre Augen weiteten. »Auf rein platonischer Ebene. Als ich Sie im zarten Alter von siebzehn Jahren kennen lernte, haben Sie meinen brüderlichen Beschützerinstinkt geweckt. Ich fürchte, daran hat sich nichts geändert. Und das ist auch gut so. Mein Leben ist in letzter Zeit viel zu interessant, als dass ich mich in ein unwägbares Abenteuer stürzen wollte. Wir sehen uns beim Abendessen.«

Nachdem die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, trat sie ans Fenster und schaute hinunter in den Burghof. Im gegenüberliegenden Gebäude waren einige Fenster erleuchtet. Die Wohnung über den Stallungen, die MacDuff bezogen hatte? Der Mann war so seltsam wie alles in dieser Burg, und es gefiel ihr nicht, wie Trevor sich über ihn ausschwieg. Sie war müde und verwirrt und empfand alles um sich herum als unwirklich. Was zum Teufel hatte sie überhaupt hier zu suchen?

Was war nur los mit ihr? Sie wusste genau, warum sie hier war und was sie hier wollte. Es war einfach alles so schnell gegangen, dass sie keine Zeit gehabt hatte, es zu verarbeiten. Donnells Tod, Trevors Auftauchen und die unerwartete Reise in eine mittelalterliche schottische Burg, weit weg von allem, was ihr vertraut war, all das hatte sie aus dem Gleichgewicht geworfen.

Aber sie konnte eine Verbindung zu etwas Vertrautem herstellen, und das würde sie tun. Sie trat an den Nachttisch, auf dem das Telefon stand. Wenige Minuten später ging Eve an den Apparat. Gott, wie gut es tat, ihre Stimme zu hören.

»Hier ist Jane. Tut mir Leid, dass ich dich nicht sofort angerufen habe. Wir mussten vom Flughafen aus ziemlich weit fahren.«

»Geht es dir gut?«

»Ja.«

»Von welchem Flughafen redest du? Und wo zum Teufel steckst du?«

Wie viel durfte sie Eve erzählen? Beim letzten Mal hatte sie sich auf Ausflüchte verlegt, aber das würde sie nicht noch einmal tun. Eve und Joe bedeuteten ihr eine ganze Menge, sie würde die beiden nicht belügen. »Ich bin in Schottland, in einer Burg in Aberdeen, die sich Macduff’s Run nennt.«

»Schottland?«, wiederholte Eve. »Joe hat dich in Italien vermutet.«

»Ich dachte auch erst, wir würden nach Italien fliegen. Aber zurzeit scheint Trevor seine Angelegenheiten lieber aus der Ferne zu regeln. In Italien ist das Pflaster offenbar zu heiß für ihn.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Eve überlegte. »Womöglich ist das Pflaster in anderen Ländern ebenfalls zu heiß für ihn. Joe hat sich bei Scotland Yard erkundigt, was Trevor in letzter Zeit so getrieben hat.«

»Und?«

»Nichts. Es hieß, die Informationen seien streng geheim.«

Jane runzelte die Stirn. »Was zum Teufel hat das denn zu bedeuten?«

»Das weiß Joe auch nicht. Vielleicht hält Scotland Yard den Daumen drauf. Oder Interpol. Womöglich ist er in eine extrem üble Sache verwickelt oder hat jemandem auf die Füße getreten, der die Macht besitzt, alle öffentlichen Informationskanäle zu blockieren. So oder so macht es mich äußerst nervös.«

Jane machte es ebenfalls nervös. »Aber das ergibt doch keinen Sinn.«

»Es ergibt genug Sinn, um Joe dazu zu bringen, dass er wie ein Verrückter versucht, Zugang zu diesen geheimen Unterlagen zu erlangen. Und es ergibt ebenfalls genug Sinn, um dich dazu zu bringen, auf schnellstem Weg nach Hause zu kommen.«

»Noch nicht.«

»Jane –«

»Ich fühle mich nicht bedroht. Trevor lässt die Burg von Sicherheitsleuten bewachen.«

»Und wer schützt dich vor Trevor?«

»Ich.« Sie holte tief Luft. »Und ich muss hier bleiben. Hier kann ich rausfinden, was ich wissen muss. Sag Joe, er soll einen Typen namens Rand Grozak überprüfen. Trevor sagt, das ist der Mann, von dem Leonard den Auftrag hatte, mich in dieser Gasse zu kidnappen.«

»Und warum sollte er dich kidnappen?«

»Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Vielleicht wegen Ciras Gold. Ach, ich weiß es nicht. Deswegen muss ich noch ein paar Tage hier bleiben.«

»Das gefällt mir nicht.«

»Es wird schon alles gut gehen. Ich rufe euch jeden Tag an.«

»Das will ich hoffen.« Eve seufzte. »MacDuff’s Run?«

»Es ist eine Burg an der Küste. Aber kommt ja nicht auf die Idee, hier aufzukreuzen. Wie gesagt, ich bin hier in Sicherheit.«

»Blödsinn. Trotzdem werden wir erst aktiv, wenn du dich nicht jeden Tag meldest.«

»Das wird nicht passieren. Gute Nacht, Eve.«

»Gib auf dich Acht.« Eve legte auf.

Gib auf dich Acht. Gut gemeinte Worte. Jane fühlte sich allein und weit weg von den beiden Menschen, die sie mehr liebte als alles andere auf der Welt. Eves Stimme zu hören hatte ihr gut getan, aber es hatte ihr auch bewusst gemacht, wie fern die beiden waren.

Sie durfte sich nicht gehen lassen. Sie hatte eine Aufgabe zu bewältigen. Schließlich war sie nicht von Vampiren umgeben. Bartlett war da, Brenner wirkte auch nicht besonders gefährlich, und Mario war ein richtig netter Kerl. MacDuff war ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse, aber der hatte offenbar beschlossen, sie zu ignorieren, solange sie ihm keinen Ärger machte. Wenn es hier einen Vampir gab, dann war es Trevor. Ja, der Vergleich passte. Schon seit Jahren beschäftigte er ihre Fantasie.

Und das war schon viel zu lange.

 

»Trevor ist zurück auf MacDuff’s Run«, sagte Pinker, als Grozak das Gespräch entgegennahm. »Er ist heute am späten Nachmittag zusammen mit Bartlett, Brenner und einer Frau dort eingetroffen.«

Scheiße. »Mit einer jungen Frau?«

»Anfang zwanzig. Hübsch, rotbraunes Haar. Sie kennen sie?«

Grozak fluchte vor sich hin. »Jane MacGuire. Ich hab dem Idioten von Leonard gleich gesagt, dass er zu weit gegangen ist. Seit er diesen Fitzgerald getötet hat, versucht er, seinen Arsch zu retten. Gestern Abend ist er völlig durchgedreht und hat Paul Donnell auch noch umgelegt. Darauf musste Trevor natürlich reagieren.«

»Was soll ich also tun?«

Grozak überlegte. »Ich kann nicht riskieren, dass Leonard der Polizei in die Fänge gerät, und er hat einen Fehler zu viel gemacht. Liquidieren Sie ihn.«

»Ich soll die Burg also nicht weiter beobachten?«

»Wenn Sie nicht genau so ein Idiot sind wie Leonard, wird der Auftrag Sie nicht lange aufhalten.«

»Was ist mit Wharton?«

»Das überlasse ich Ihnen. Er ist Leonards Partner, aber er wird sich schon einen neuen suchen. Falls er Ihnen in die Quere kommt, werde ich mich nicht mit Ihnen anlegen, wenn Sie ihn ebenfalls aus dem Weg schaffen. Anschließend kommen Sie sofort zurück, beobachten weiter die Burg und warten ab. Mehr tun Sie doch sowieso nicht.« Grozak legte auf und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Vielleicht war das alles gar nicht so schlecht. Trevor hatte Jane MacGuire unter seine Fittiche genommen, doch zumindest war Joe Quinn nicht in der Nähe, um sie zu beschützen. Grozak hatte seine eigenen Leute um MacDuff’s Run herum in Stellung gebracht, vielleicht würde sich ja zufällig eine Gelegenheit ergeben, sich das Mädchen zu schnappen.

Nein, was sollte das? Nur Narren und Schwächlinge verließen sich auf den Zufall. Er würde seine grauen Zellen aktivieren und einen Plan entwerfen, wie man dem Zufall auf die Sprünge helfen konnte. Wenn er Jane MacGuire nicht zu fassen bekam, dann würde er Trevor eben von einer anderen Seite angreifen.

Aber Reilly würde natürlich anderer Meinung sein. Der war nur an dem Gold und an dem Mädchen interessiert. Bekloppter Scheißkerl. Hockte breit und arrogant wie ein Siamkater auf seinem Anwesen, gab Befehle und kommandierte ihn herum.

Und Grozak blieb nichts anderes übrig, als seine Befehle zu befolgen, verdammt.

Er warf einen Blick auf den Kalender auf seinem Schreibtisch. Achter Dezember. Noch vierzehn Tag bis zum zweiundzwanzigsten, dem Ultimatum, das Reilly ihm gesetzt hatte. Würde es ihm gelingen, die Operation zu verzögern, wenn Reilly seine Pläne nicht rechtzeitig verwirklichen konnte?

Nein, der Gang der Dinge war nicht mehr aufzuhalten. Die richtigen Leute waren bestochen, der Sprengstoff aus dem Nahen Osten war unterwegs. Es war seine große Chance und er wollte verdammt sein, wenn er sich diese Chance durch die Lappen gehen ließ. Reilly hatte ihm von Anfang an klar gemacht, dass er sich Trevor persönlich vorknöpfen und ihn, Grozak, im Regen stehen lassen würde, falls er versagte.

Aber dazu würde es nicht kommen. Jeder hatte irgendeinen Schwachpunkt und Reillys Schwachpunkte waren seine Machtgier und seine Besessenheit von Ciras Gold. Wenn es Grozak gelang, diese Schwäche auszunutzen, würde er am Ende derjenige sein, der Macht über Reilly hatte.

Doch dafür musste er Jane MacGuire in seine Gewalt bringen.

Zum Glück hatte er noch eine andere Möglichkeit, Trevor den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. Aber mit Versagern wie Leonard würde er sich nicht länger herumplagen. Er brauchte jemanden mit starken Nerven, einen Mann, der Grips genug besaß, um sich an Anweisungen zu halten.

Wickman. Einem kaltblütigeren Menschen war er noch nie begegnet, und Wickman würde alles tun, wenn die Bezahlung stimmte. Für die würde Grozak schon sorgen. Solange Reilly ihm im Nacken saß, hatte er keine Chance.

Die Zeit lief ihm davon.

 

»Hat es Ihnen geschmeckt?«

Jane hatte gerade über etwas gelacht, das Mario gesagt hatte, und begegnete Trevors Blick, als sie sich umdrehte. Er hatte sie während des ganzen Abendessens beobachtet, dachte sie entnervt. Die ganze Zeit hatte sie es gespürt. Sie kam sich schon vor wie unter einem Mikroskop.

»Warum hätte es mir nicht schmecken sollen? Es war sehr lecker«, sagte sie und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Wer hat denn heute gekocht?«

»Ich.« Brenner grinste. »Seit ich diesen Job übernommen habe, habe ich ein außerordentliches Talent in Sachen Kochkunst entwickelt. Dabei stand nichts davon in meiner Stellenbeschreibung, als Trevor mich angeheuert hat.« Er warf Trevor einen verschlagenen Blick zu. »Vielleicht bin ich zu gut geworden. Ich ziehe in Erwägung, ein kleines Schlangengulasch zuzubereiten, wenn ich das nächste Mal mit Küchendienst an der Reihe bin.«

»Meinetwegen«, sagte Trevor. »Solange du selbst davon isst. Aber das wage ich zu bezweifeln. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich, als wir in Kolumbien halb am Verhungern und darauf angewiesen waren, uns von dem zu ernähren, was wir jagen und sammeln konnten, das exotische Zeug wesentlich besser vertragen als du.« Er lächelte. »Weißt du noch, wie Garcia mit dieser Python ankam?«

Brenner verzog das Gesicht. »Von der Python hätte ich ja noch essen können, aber nachdem ich gesehen hab, was sich in ihrem Magen befand, ist mir der Appetit vergangen.«

Die beiden Männer verband offenbar eine tiefe Freundschaft. Diese Seite an Trevor hatte Jane bisher nicht gekannt. In Brenners Gegenwart wirkte er wesentlich entspannter. Jünger …

»Ich finde das Thema bei Tisch ziemlich unpassend«, bemerkte Mario stirnrunzelnd. »Am Ende hält Jane uns noch für Barbaren.«

»Sind wir das denn nicht?« Trevor hob die Brauen. »Sie und Bartlett mögen vielleicht zivilisiert sein, aber Brenner und ich benehmen uns gelegentlich wie Dschungelbewohner.« Dann sagte er zu Jane: »Aber er hat Recht. Tut mir Leid, wenn ich Ihnen mit meiner Grobheit den Appetit verdorben habe.«

»Sie haben mir nicht den Appetit verdorben.«

Trevor wandte sich lächelnd an Mario. »Sehen Sie? Sie brauchten ihr nicht zu Hilfe zu eilen. Sie ist kein zartes Pflänzchen.«

»Aber sie ist eine Dame«, entgegnete Mario. »Und wir sollten sie mit Respekt behandeln.«

Trevors Lächeln verschwand. »Wollen Sie mir vorschreiben, wie ich mit unserem Gast umzugehen habe, Mario?«

Brenner sprang auf. »Ich hole den Kaffee. Es gibt keinen Nachtisch, aber eine Käseplatte. Kommen Sie, Bartlett, helfen Sie mir, alles auf den Tisch zu bringen.«

Bartlett schaute zuerst Trevor, dann Mario an. »Vielleicht sollte ich lieber bleiben und –« Dann stand er achselzuckend auf und folgte Brenner in die Küche.

»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, sagte Trevor zu Mario.

Mario zuckte zusammen, als er die Kühle hinter Trevors freundlichem Ton wahrnahm. Er errötete und reckte das Kinn vor. »Es war nicht in Ordnung.«

Jane spürte, dass er Angst vor Trevor hatte. Verständlich. Im Augenblick wirkte Trevor verdammt einschüchternd. Aber ob Mario sich vor ihm fürchtete oder nicht, der Junge ließ sich nicht von seiner Meinung abbringen, und Trevor war offenbar nicht in der Stimmung, sich tolerant zu geben. »Ich möchte keinen Kaffee.« Sie schob ihren Stuhl zurück. »Sie hatten mir versprochen, mir Ihr Arbeitszimmer zu zeigen, Mario.«

Erleichtert ergriff Mario den Rettungsring, den sie ihm zugeworfen hatte. »Selbstverständlich«, sagte er und sprang auf. »Ich muss ohnehin wieder an die Arbeit.«

»Ja, tun Sie das«, sagte Trevor. »Sie können Jane Ihr Arbeitszimmer später noch zeigen. Vielleicht überlegt sie es sich ja noch einmal und bleibt zum Kaffee bei uns. Wir wollen doch nicht, dass Sie von der Arbeit abgelenkt werden.« Er schaute Jane an. »Und von Jane lässt sich jeder Mann leicht ablenken.«

Mario wirkte verunsichert. »Aber sie wollte –«

»Sie wollte Sie bestimmt nicht bei der Arbeit stören.« Trevor schaute sie an. »Nicht wahr, Jane?«

Offenbar wollte er nicht, dass sie Mario begleitete, und er nutzte die Verunsicherung des jungen Mannes aus, um sie davon abzuhalten. Es funktionierte sogar, verdammt. Sie wollte Mario nicht in Schwierigkeiten bringen, bloß weil sie sich über Trevor ärgerte und ihm lieber die Stirn bieten würde. »Nein, natürlich nicht. Ich werde zum Kaffee bleiben.« Sie lächelte Mario freundlich an. »Gehen Sie nur. Wir sehen uns später.«

»Wie Sie möchten.« Mario schien hin und her gerissen zwischen Enttäuschung und Erleichterung. »Es würde mir große Freude bereiten, Ihnen meine Arbeit zu zeigen, wann immer Sie wollen. Vielleicht morgen?«

Sie nickte. »Morgen. Nicht vielleicht.«

Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und ging.

Kaum hatte er den Speisesaal verlassen, sprang sie auf. »Ich gehe.«

»Kein Kaffee?«

»Diese Genugtuung verschaffe ich Ihnen nicht.« Sie funkelte Trevor wütend an. »Sind Sie stolz auf sich?«

»Nicht besonders. Es war zu leicht.«

»Weil Sie ein Tyrann sind.«

»Im Allgemeinen nicht. Aber ich war genervt. Während des ganzen Essens habe ich Sie beide beobachtet, wie Sie miteinander geredet und herumgekichert haben, das hat sich auf meine Stimmung ausgewirkt. Ich hatte mich einigermaßen unter Kontrolle, bis er angefangen hat, mich zu belehren.«

»Mario ist doch noch ein halbes Kind. Der hat gegen Sie keine Chance.«

»Er ist älter als Sie.«

»Sie wissen genau, was ich meine.«

»Dass er ein Sensibelchen ist und ein Träumer.« Ihre Blicke begegneten sich. »Und einige seiner Träume handeln von Cira. Wenn Sie hier auf MacDuff’s Run jemanden finden wollen, der Sie nicht mit Cira vergleicht, dann kommen Sie zu mir.«

»Blödsinn. Für Sie sind wir doch ein und dieselbe Person.«

Er schüttelte den Kopf. »Das habe ich nie behauptet. Diesen Schluss haben Sie selbst gezogen. In dem Augenblick, als ich Sie zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich sofort, wer und was Sie für mich sind.« Er ließ einen Moment verstreichen. »Und das war nicht Cira.«

Plötzlich wurde ihr wieder ganz heiß. Verdammt, es ärgerte sie, dass sie so auf ihn reagierte. Es führte nur dazu, dass sie sich verwirrt fühlte und schwach. Eben war sie noch wütend auf ihn gewesen und jetzt – Sie war immer noch wütend, verflixt. »Es war unfair, wie Sie mit ihm umgegangen sind. Mario ist ein netter Kerl.«

»Das weiß ich. Und Sie mögen nette Kerle.« Seine Mundwinkel zuckten. »Vielleicht ist genau das mein Problem. Ich war noch nie ein netter Kerl.« Er stand auf. »Keine Sorge, ich werde mich schon wieder mit Mario versöhnen. Es war nur ein Gefühlsausbruch. Ich mag den Jungen.«

»So haben Sie sich aber nicht benommen.«

»Eigentlich schon. Im Vergleich zu dem, wie mir zumute war, habe ich mich sehr zurückgehalten. Aber wenn ich Sie verletzt habe, sollte ich mich vielleicht entschuldigen. Wenn Sie hinter Mario herlaufen und sein Seelchen trösten wollen, werde ich Sie nicht aufhalten.«

»Welch ein Opfer.«

»Sie haben ja keine Ahnung.« Er schaute sie lange an. »Ich schätze, dies ist der falsche Augenblick, Sie zu bitten, mit mir ins Bett zu gehen.«

Sie erstarrte. »Wie bitte?«

»Dachte ich’s mir.« Er drehte sich um und ging zur Tür. »Es ist noch zu früh, außerdem sind Sie fuchsteufelswild auf mich. Aber ich dachte, ich erwähne es einfach schon mal, damit Sie sich an den Gedanken gewöhnen, dass es unvermeidlich ist. Ich habe noch einiges zu tun. Ich empfehle mich und begebe mich an die Arbeit.« Er lächelte ihr über die Schulter hinweg zu. »Da ich Sie von meiner Anwesenheit erlöse, können Sie also bleiben und Ihren Kaffee genießen. Wir sehen uns morgen früh.«

Seine Worte hatten ihr die Sprache verschlagen. Sie konnte ihm nur stumm nachschauen, gefangen in einem emotionalen und gedanklichen Chaos.

»Aha, anscheinend haben wir Ihnen genug Zeit gelassen, die Situation zu klären«, sagte Bartlett, als er mit der Käseplatte hereinkam. »Ich hoffe, es hat keine Gewaltanwendung gegeben?«

»Nein«, erwiderte sie abwesend. »Mario ist wieder an seine Arbeit gegangen.«

»Sehr weise. Junge Männer neigen dazu, jeden Konkurrenten herauszufordern, aber ich dachte eigentlich, Mario wäre klug genug, sich nicht mit Trevor anzulegen.«

»Mario ist ein netter Junge.«

»Wenn er ein Junge wäre, hätte Trevor weniger Probleme mit ihm.« Er stellte die Käseplatte auf dem Tisch ab. »Ich sehe mal nach, wo Brenner mit dem Kaffee bleibt. Ich dachte, er wäre gleich hinter mir.«

»Nicht für mich. Ich möchte keinen Kaffee.« Jane ging zur Tür. »Ich glaube, ich gehe auf mein Zimmer. Es war ein langer Tag.«

»Ja, das stimmt allerdings. Vielleicht ist es das Beste. Schlaf hilft immer, wenn man einen klaren Kopf bekommen will.«

»Ich habe einen klaren Kopf, Bartlett.« Das war gelogen. In ihrem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander und es gelang ihr nicht, die Erinnerung an Trevors Worte zu verscheuchen. Nein, sie sollte sich eingestehen, dass sie ihn nicht aus ihren Gedanken verscheuchen konnte. Seit dem Augenblick, als er vor ihrem Studentenheim aufgetaucht war, wurde die sexuelle Spannung zwischen ihnen immer intensiver, auch wenn sie die ganze Zeit versucht hatte, sie zu ignorieren. Sie war da, also musste sie sich damit auseinander setzen.

»Das freut mich«, sagte Bartlett freundlich. »Sie wirken ein bisschen durcheinander. Kann ich irgendetwas für Sie tun?«

»Nein, danke.« Sie rang sich ein Lächeln ab und wandte sich zum Gehen. »Gute Nacht, Bartlett.«

»Träumen Sie schön.«

Am liebsten wollte sie überhaupt nicht träumen. Nicht von Cira und ihrer verdammten Flucht durch den Tunnel, und nicht von Trevor, der ihre Gedanken viel zu sehr beherrschte, seit er vor vier Jahren in ihr Leben getreten war.

Gott, sie hatte sich solche Mühe gegeben, ihn aus ihrer Erinnerung zu verbannen. Und als ihr das nicht gelungen war, hatte sie versucht, mit der Erinnerung zu leben und ihr die Macht über sie zu nehmen. Sie hatte sich schon eingebildet, es hätte funktioniert.

Von wegen. Er hatte sie noch nicht einmal berührt, dennoch verzehrte sich ihr Körper nach ihm …

Nein, sie brauchte ihn nicht. Sie würde es nicht so weit kommen lassen, dass sie ihn brauchte. Das Wort allein ließ auf Schwäche schließen, und sie war nicht schwach. Sie brauchte überhaupt niemanden.

Sie ging die Treppe hinauf. Sie würde in ihr Zimmer gehen und erst mal heiß duschen. Dann würde sie Eve anrufen und mit ihr reden, danach würde sich das Durcheinander schon auflösen.

Sie machte sich etwas vor. Um sich zu beruhigen, brauchte sie mehr als ein Gespräch mit einem geliebten Menschen. Sie musste damit umgehen wie mit jedem Problem, dem sie begegnete. Sie musste sich ihm stellen, es sich zu Eigen machen und sich so davon befreien.

 

»Ich bringe dir deinen Kaffee, Trevor«, sagte Bartlett, als er die Bibliothek betrat. »Wo Brenner sich schon die Mühe gemacht hat, welchen aufzubrühen, muss ihn jemand trinken, sonst ist er am Ende noch eingeschnappt.«

»Na, das wollen wir doch nicht.« Trevor sah zu, wie Bartlett das Tablett auf dem Schreibtisch abstellte. »Zwei Tassen?«

»Ich hab meinen auch noch nicht getrunken. Wir waren alle zu sehr damit beschäftigt, auf Zehenspitzen herumzuschleichen, um deiner schlechten Laune zu entgehen.« Er füllte die Tassen. »Dieser Auftritt war unter deiner Würde.«

»Ich bin heute schon genug belehrt worden, Bartlett.«

»Er wollte Jane nur beeindrucken. In jeder anderen Situation hättest du seine Worte einfach ignoriert. Der Junge ist dir nicht gewachsen.«

»Das weiß ich.« Er trank einen Schluck Kaffee. »Sonst hätte ich ihn noch ganz anders zusammengestaucht. Ich war schlicht sauer.«

Bartlett nickte. »Das grünäugige Monster. Es war erfrischend zu erleben, wie dir mal jemand die Leviten liest. Es hat mich sehr amüsiert.«

»Das glaube ich dir aufs Wort. Und jetzt mach, dass du hier rauskommst. Venable hat angerufen, während wir beim Abendessen saßen, ich muss ihn zurückrufen.«

»Sobald ich meinen Kaffee ausgetrunken habe.« Bartlett lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Du hast dich ziemlich ungeschickt angestellt. Es war doch abzusehen, dass Jane Mario in Schutz nehmen würde. So ist sie nun mal.«

»Soll ich mir jetzt schon von einem Mann Ratschläge geben lassen, der dreimal geschieden wurde? Ich halte dich in diesem Bereich für absolut unqualifiziert, Bartlett.«

»Ich konnte vielleicht keine Frau auf Dauer halten, aber ich hatte nie Probleme, mir eine anzulachen.«

»Ich habe nicht vor, mir Jane ›anzulachen‹. Hast du je erlebt, dass ich Lust gehabt hätte, mich mit einer Beziehung zu belasten?«

»Also, dass Lust in dieser Geschichte eine große Rolle spielt, ist mir vollkommen klar. Nachdem du vier Jahre darauf gewartet hast, sie wiederzusehen, ist das durchaus verständlich.«

»Du spinnst, Bartlett.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß, dass du seit Herkulaneum andere Frauen gehabt hast. Diese Laura hat mir besonders gefallen. Sie hat mich an meine –«

»Raus!«

Bartlett lächelte und trank seinen Kaffee aus. »Bin schon weg. Ich wollte dir nur meine durch große Lebenserfahrung gewonnene Weisheit nicht vorenthalten. Du scheinst es heute Abend nötig zu haben. Andererseits hat es mich eigentlich gewundert, wo du doch sonst mit allen Wassern gewaschen bist. Ich kam mir ausnahmsweise richtig überlegen vor, bis ich anfing, Mitleid mit Jane zu haben.«

»Die kann auf sich selbst aufpassen.« Trevors Mundwinkel zuckten. »Oder glaubst du etwa, sie ist zu jung, um zu wissen, was sie will? Dass sie besser bedient wäre mit einem idealistischen Grünschnabel wie Mario?«

»Das habe ich nicht gesagt.« Bartlett stand auf. »Aber ich habe dich schon oft genug erlebt, wenn du zum Angriff übergehst. Wenn du dich einmal entschieden hast, bist du nicht mehr aufzuhalten. Du hast Jane Jahre an Erfahrung voraus, und das könnte –«

»Ich bin vierunddreißig«, sagte Trevor mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich bin kein Methusalem.«

Bartlett lachte in sich hinein. »Dachte ich’s mir, dass dich das piesacken würde. Dann gehe ich jetzt.«

»Mistkerl.«

»Das war die Strafe dafür, dass du dich beim Abendessen zum Idioten gemacht hast. Ich genieße meine Mahlzeiten, und alles, was meine Verdauung stört, läuft Gefahr, ausgemerzt zu werden.« Er ging zur Tür. »Denk daran, wenn du das nächste Mal auf die Idee kommst, einen jüngeren Mann mit deiner schlechten Laune zu traktieren.«

Bevor Trevor antworten konnte, hatte Bartlett die Tür hinter sich zugezogen.

Hurensohn, verdammter. Würde er ihn nicht so sehr mögen, würde er ihn von einem der Burgtürme werfen. Was immer noch passieren konnte, wenn Bartlett nicht aufhörte mit seinen Sticheleien. Aber ganz offensichtlich war seine Gemütslage zurzeit ziemlich labil, sonst hätte er sich den idiotischen Auftritt mit Mario verkniffen. Bartlett hatte Recht, er hatte sich äußerst ungeschickt verhalten. Dabei rühmte er sich gern seiner Geschicklichkeit im Umgang mit Menschen.

Und in dem Gespräch mit Jane hatte er sich ebenso dumm angestellt. Er hätte seine Distanz wahren sollen, ihr Zeit lassen, sich wieder an ihn zu gewöhnen.

Nein, verdammt. Sie brauchte sich nicht an ihn zu gewöhnen. Es war, als wären sie nie getrennt gewesen. Und in ihrer Gegenwart konnte er das nicht verleugnen. Er war nicht Bartlett, und er konnte nicht – Sein Telefon klingelte. Venable.

»Es ist noch nicht in meinem Besitz«, erklärte Trevor, bevor Venable etwas sagen konnte. »Vielleicht in ein paar Tagen. Mario arbeitet gerade wieder an einer Rolle, die Cira verfasst hat.«

»Und was ist, wenn dabei auch nichts rauskommt?«, fragte Venable ungehalten. »Wir müssen allmählich in die Gänge kommen.«

»Das werden wir. Aber wenn wir auf eine bessere Fährte stoßen, werden wir entsprechend handeln. Wir haben noch etwas Zeit.«

»Nicht mehr viel. Am liebsten würde ich nach Aberdeen kommen, mir die Rollen holen und –«

»Wenn Sie das versuchen, werden Sie nur noch Asche vorfinden.«

»Das würden Sie nicht riskieren. Diese Schriftrollen sind unbezahlbar.«

»Für Sie. Wenn ich sie erst einmal gelesen habe, bedeuten sie mir nichts mehr. In der Hinsicht bin ich ein echter Banause.«

Venable fluchte vor sich hin.

»Ich glaube, ich lege jetzt auf. Ich musste mir heute Abend schon genug Vorwürfe anhören. Sobald ich etwas Konkretes habe, melde ich mich wieder.«

»Nein, warten Sie. Wir haben heute einen Anruf von dieser Jane MacGuire abgefangen. Sie hat mit Eve Duncan telefoniert.«

»Und?«

»Sie hat ihr von Grozak berichtet, vom MacDuff’s Run, alles.«

»Das war nicht anders zu erwarten. Die beiden stehen sich sehr nahe.«

»Sie hätten sie nicht auf die Burg mitnehmen sollen.«

»Sagen Sie mir nicht, was ich zu tun habe, Venable.«

Er legte auf. In zwei Minuten würde Venable zurückrufen, sich entschuldigen und ihm erklären, es wäre der Zeitdruck, der ihn so reizbar machte.

Venable konnte ihn mal. Er war kein schlechter Kerl, aber allmählich ging er Trevor reichlich auf die Nerven. Er hatte Angst, und er fürchtete, Trevor könnte die ganze Sache vermasseln.

Er hatte im Verlauf des Abends schon einiges vermasselt, dachte Trevor reumütig. Doch er hatte es satt, alles, was er tat und sagte, zu analysieren. Er hatte sich sein Leben lang auf seine Instinkte verlassen und genau so würde er auch mit dieser Situation umgehen.

Er trat ans Fenster. Der Mond stand hell am Himmel und tauchte Klippen und Meer in ein silbriges Licht. Wie oft mochte Angus MacDuff hier gestanden, aufs Meer hinausgeblickt und an die nächste Reise, den nächsten Überfall, das nächste Spiel gedacht haben?

Das Spiel.

Er drehte sich um und ging zur Tür. Er musste für einen klaren Kopf sorgen, seine Prioritäten sortieren, und er wusste, wo.

Auf dem Turnierplatz.

 

Jane duschte ausgiebig, bevor sie sich eins von Bartletts übergroßen Flanellhemden überzog und sich in das überdimensionale Bett legte.

Sie musste schlafen. Sie musste Trevor und die Szene beim Abendessen vergessen. Er war ein Meister der Manipulation, und wer konnte schon sagen, was er mit der Ankündigung bezweckt hatte, er wolle mit ihr ins Bett. Vielleicht begehrte er sie tatsächlich, vielleicht nutzte er aber auch sein Wissen über ihr Begehren aus, damit sie tat, was er wollte.

Am besten benahm sie sich, als wäre das alles nie passiert, dann konnte sie sich auf ihre eigenen Ziele konzentrieren.

Aber das lag nicht in ihrer Natur. Es widerstrebte ihr, klein beizugeben und das Dynamit zu ignorieren, das er ihr vor die Füße geworfen hatte. Sie würde sich mit ihm auseinander setzen müssen, auch wenn sie sich keineswegs darauf freute.

Gott, war ihr heiß. Die schweren Samtvorhänge in ihrem Zimmer waren regelrecht erdrückend. Vielleicht war sie auch nur so erregt, dass es ihr zu warm vorkam. Es spielte keine Rolle. Sie brauchte frische Luft …

Nacht ohne Luft.

Nein, das war der Traum. Ciras Traum.

Sie stand auf, zog die Vorhänge zurück und öffnete das Fenster.

Das Mondlicht erhellte den uralten Burghof unter ihr.

Uralt? Verglichen mit den Ruinen von Herkulaneum war diese Burg überhaupt nicht alt. Dennoch kam sie ihr alt vor, wenn sie an die vergleichsweise jungen Vereinigten Staaten dachte und an Atlanta, die Stadt, in der sie aufgewachsen war. MacDuff’s Run hatte etwas Gespenstisches, das sie in den Ruinen von Herkulaneum nicht empfunden hatte. In Herkulaneum zwang einen das Gewicht der Jahrtausende, den Untergang der Stadt und den Tod ihrer Einwohner zu akzeptieren. Hier jedoch konnte man sich immer noch vorstellen, dass die Schotten, die einst hier gelebt hatten, über die Straße, die zur Burg führte, marschiert kämen oder durch das Tor stürmten, um – Jemand stand vor der Tür zu den Stallungen und schaute zu ihrem Fenster herauf.

MacDuff?

Nein, dieser Mann war schlank, beinahe hager, und soweit sie es erkennen konnte, war er nicht dunkelhaarig, sondern blond. Das konnte nicht MacDuff sein. Doch die Körpersprache des Mannes ließ eindeutig auf Kraft und Tatendrang schließen.

Der Mann erstarrte. Offenbar hatte er irgendetwas oder irgendjemanden auf den Stufen zum Haupteingang entdeckt. Im nächsten Moment zog er sich in den Stall zurück. Wen mochte er gesehen haben?

Trevor.

Jane sah ihn auf das Tor zugehen. Selbst nach all den Jahren würde sie ihn jederzeit an seinem Gang erkennen. Die Autos standen alle im Burghof, doch er ging an ihnen vorbei.

Wo zum Teufel wollte er hin?

Offenbar war sie nicht die Einzige, die sich das fragte. Ein Mann in einer Windjacke trat aus dem Schatten, als Trevor näher kam. Vielleicht einer der Wachmänner, von denen Trevor gesprochen hatte? Die beiden wechselten ein paar Worte, dann ging Trevor durch das Tor, während der Wachmann sich wieder in den Schatten zurückzog.

Das Gelände außerhalb des Schlosses war zerklüftet und unwegsam, nicht gerade einladend für einen Spaziergang. Wollte Trevor sich womöglich mit jemandem treffen? Wenn ja, dann musste dieser Jemand bereits eingetroffen sein, denn es waren keine Lichtkegel von Autoscheinwerfern zu sehen.

Und wieso ging er ohne Begleitschutz nach draußen, wo er ihr doch erklärt hatte, das wäre zu gefährlich? Wenn Grozak es wirklich auf ihn abgesehen hatte, wäre ein nächtlicher Spaziergang ohne Bodyguard ein selbstmörderisches Unterfangen.

Angst packte sie. Doch sie schob sie sofort beiseite. Trevor ging sie nichts an, um ihn brauchte sie sich weiß Gott keine Sorgen zu machen. Wenn er blöd genug war, allein im Dunkeln da draußen herumzukraxeln, dann war das seine Sache. Er konnte auf sich selbst aufpassen.

Und sie würde nicht am Fenster stehen bleiben, um sich zu vergewissern, ob er wohlbehalten zurückkehrte. Sie schloss das Fenster, zog die Vorhänge zu, legte sich ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf.

Schlafen. Sich keine Sorgen um den arroganten Scheißkerl machen. Nicht an ihn denken.

Aber wo zum Teufel war er hingegangen?