Vier
Aus der Küche kam Stimmengemurmel.
Hansjörg Möller brauchte gar nicht nachzuschauen, wer der Besucher war, er konnte ihn riechen: Walterfang. Blieb ihm denn nichts erspart? Er hängte die Hundeleine auf und tätschelte Cora die Flanke. Dann ging er ins Bad, wusch sich die Hände und spritzte sich Wasser ins Gesicht.
«Jörg, bist du das?», rief Maria.
«Wer soll es wohl sonst sein?», murmelte er ins Handtuch. «Komme gleich», rief er zurück.
Heinrich Walterfang – seit dreißig Jahren ging einem der Kerl schon auf die Nerven, klebte wie Kaugummi unter der Schuhsohle. Er war überzeugt davon, der eigentliche Manager der ‹13› zu sein. Merkwürdig eigentlich, dass Frieder dem nie beherzt einen Riegel vorgeschoben hatte. Jeder hielt sich den Typen möglichst vom Leib, nur Maria meinte, sie müsste ihn unter ihre Fittiche nehmen.
Walterfang war ein Schmarotzer erster Güte. Das Studium hatte er schon im zweiten Semester an den Nagel gehängt – «Du, ehrlich, das gibt mir irgendwie nichts». Seitdem hatte er zahllose Jobs gehabt, die er allesamt schon nach kürzester Zeit wieder hingeschmissen hatte, weil es einfach nicht «das Richtige» war, weil man doch tatsächlich Überstunden von ihm erwartete, weil er «Rückenprobleme» hatte. Er wohnte immer noch bei seiner alten Mutter und schwatzte ihr die Rente ab.
Möller stieß die Küchentür auf. Da saß die Zecke breitbeinig am Tisch, speckige Jeans, Schweißränder auf dem fadenscheinigen T-Shirt, das blonde Haar fiel ihm in fettigen Zotteln bis auf die Schultern.
«Grüß dich, Heinrich!»
«Hallo …», kam es mürrisch zurück.
Maria war dabei, den Tisch zu decken. «Es gibt Chili. Gut, dass ich so viel gekocht habe. Als hätt ich’s gerochen.»
Möller grinste in sich hinein, öffnete das Fenster und setzte sich Walterfang gegenüber an den Tisch. «Und? Was verschafft uns die Ehre?»
Walterfang runzelte finster die Brauen. «Ich dachte, ich schnei mal bei dem ein oder anderen rein. Vielleicht gibt’s ja noch was zu besprechen, bevor die Proben losgehen.»
«Also bist du quasi auf Rundreise. Hast du neuerdings ein Auto?»
«Ich? Wovon denn? Nee, ich bin getrampt.»
«Das macht man heute noch?» Möller griente.
«Es wird immer schwieriger», nörgelte Walterfang, «aber ich habe ja keine Wahl.»
Möller schnaubte verächtlich, und Maria knallte drei Flaschen Bier vor ihm auf den Tisch. «Mach mal auf und gieß ein!»
Dann stellte sie die Pfanne mit dem Fleischgericht in die Mitte. Walterfang griff sofort zur Kelle und schaufelte sich mehr als die Hälfte davon auf seinen Teller. «Sieht lecker aus.» Mit der anderen Hand plünderte er den Brotkorb.
«Na, Hauptsache, du wirst …», setzte Möller an, aber Maria brachte ihn mit einem kräftigen Tritt gegen das Schienbein zum Schweigen.
Walterfang verputzte schweigend seine Portion, dann überzog eine Art Lächeln sein Gesicht, und er verlegte sich aufs Plaudern. «Hört mal, die Luise will noch einen zweiten Abend mit uns machen.»
«Welche Luise?», fragte Möller verständnislos.
«Na, die Chefin vom ‹Schwarzen Adler›.»
«Ach die», sagte Möller gedehnt, «nein, klar, hätte ich drauf kommen müssen. Und wieso sagt sie dir das? Für den Tourplan ist doch Frieder zuständig.»
«Ach, mit der Luise bin ich schon seit Jahren eng befreundet. Ist doch klar, dass die sich an mich wendet.»
Möller ließ ihn reden und beeilte sich mit dem Essen. Schließlich schnappte er sich das letzte Stück Brot und stand auf. «Ich muss noch arbeiten.» Er tippte sich an die Stirn. «Man sieht sich.»
Erst zwei Stunden später hörte er die Haustür ins Schloss fallen, und keine zehn Sekunden danach stand Maria bei ihm im Zimmer. «Du warst mal wieder absolut unmöglich! Dabei geht’s dem Heinrich echt beschissen. Er steckt in einer dicken Depression.»
Möller lachte schallend.
«Hör auf, Jörg, ich mein das ganz ernst. Wieso merkt das keiner von euch? Wenn Heinrich die ‹13› nicht hätte, ich weiß nicht, aber ich glaube, der hätte sich längst weggehängt.»
«Wäre sicherlich ein Gewinn, aber selbst das bringt der nicht.»
Es war ein Fehler gewesen, sich hinzulegen, um ein wenig Schlaf nachzuholen.
Haferkamp hatte schon einen doppelten Espresso getrunken, aber er fühlte sich immer noch benommen. Dabei wollte er unbedingt die Fotografien weitersichten, denn in den nächsten beiden Tagen würde er kaum dazu kommen. Morgen Abend fand im Laden eine Lesung statt, ein junger Lyriker, Türke der zweiten Generation, ein außergewöhnliches Talent. Üblicherweise lud man den Autor hinterher noch zum Essen oder wenigstens auf ein Getränk ein, und so würde er kaum vor Mitternacht wieder zu Hause sein. Am Dienstagabend war er mit Freunden zum Doppelkopfspielen verabredet, das wollte er auf gar keinen Fall ausfallen lassen. Den ganzen Sommer über hatte ihm der Sinn nicht nach Vergnügen gestanden, und er hatte ein ums andere Mal abgesagt.
Er ging auf die Dachterrasse hinaus und ließ sich so lange vom Wind durchpusten, bis er fror, dann setzte er sich an den Schreibtisch.
Der Fotostapel von 1979 war besonders dick, kein Wunder, es waren auch die Bilder von ihrem Urlaub in der Bretagne dabei. Sie hatten eine alte Villa in der Nähe von Concarneau gemietet, für sechs lange Wochen. Auf drei Autos hatten sie sich verteilt und waren im Treck gefahren. Er hatte sich für die Tour den VW Variant seines Vetters geliehen, denn seinem altersschwachen Käfer hatte er eine so weite Strecke nicht mehr zugetraut.
Drei Autos, voll gepackt bis unters Dach, zehn Leute von der ‹13› und Hansjörgs damalige Flamme, eine verhuschte Siebzehnjährige, deren Namen er vergessen hatte. Maria und Hartmut waren schon Mitte Juli nach Israel geflogen, um dort bis zum Herbst in einem Kibbuz zu arbeiten, und Frieder hatte unverhofft einen Praktikumsplatz in einer Werbeagentur bekommen und war erst nach vier Wochen zu ihnen gestoßen.
Gott, was war die Anreise für eine Himmelfahrt gewesen! Sie hatten sich die Route vorher nur flüchtig auf der Karte angeschaut und waren einfach losgegondelt. Um zehn Uhr am Sonntagmorgen waren sie mit dem Vermieter zur Schlüsselübergabe verabredet gewesen und irgendwann spät am Samstagabend in Duisburg abgefahren. Kurz hinter Paris hatten sie, als Belohnung dafür, dass sie die Périphérique überlebt hatten, ausgiebig Rast gemacht und das Picknick verzehrt, das Dagmar und Johanna vorbereitet hatten. Als sie endlich wieder in die Gänge gekommen waren, bis auf die Fahrer alle einigermaßen benebelt vom guten Aldiwein, hatte Kai feststellen müssen, dass die Batterie in seinem Kadett leer war – er hatte das Licht brennen und das Autoradio dudeln lassen. Selbstverständlich hatte niemand ein Überbrückungskabel dabeigehabt, und so hatte Hansjörg Kai in den Schlepp genommen, und er selbst war dicht hinter den beiden geblieben und hatte stumm gebetet, dass sie keiner Polizeistreife begegneten. Mit einem unbeleuchteten Fahrzeug in tiefster Nacht auf der Autobahn erwischt zu werden, das wäre verdammt teuer geworden.
Als sie endlich bei der Villa angekommen waren, war es weit nach Mittag gewesen, und der Vermieter hatte sie mit einem Schwall unmissverständlicher Sätze empfangen. Sie hatten Johanna vorgeschickt, die als Einzige einigermaßen Französisch sprach, und so hatten sich die Wogen schnell geglättet.
Das Haus war alt, verwinkelt und ein bisschen muffig, aber es lag gleich hinter den Dünen, keine hundert Meter vom Strand entfernt, und es hatte einen riesengroßen Garten mit knorrigen, Schatten spendenden Bäumen. Die Betten waren schmal, die Matratzen klumpig, aber nach dem allabendlichen ausgiebigen Weingenuss hatte ihnen das wenig ausgemacht. In den Dünen wuchsen jede Menge Brombeersträucher, die dicke, reife Beeren trugen. Er hatte einen neuen Crêpe erfunden, nun ja, zumindest die dünnsten Pfannkuchen gebacken, die man in der Alupfanne mit verbeultem Boden hinkriegen konnte: bestrichen mit einem Hauch Crème fraîche, belegt mit Pfirsichschnitzen – auf dem Markt in Concarneau gab es für wenig Geld herrliches Obst – und den frisch gepflückten, in Butter und Zucker sautierten Brombeeren, darüber geraspelte Schokolade. Mindestens zweimal in der Woche hatte er seine Kreation auftischen müssen.
Und abends ‹Sangria blanc›. Keiner von ihnen hatte viel Geld gehabt, und guter Rotwein war teuer, aber sie hatten im Supermarkt einen ganz ordentlichen Weißwein entdeckt, und Johanna hatte daraus mit Apfelsinen, Zitronen, viel Zucker und einem großzügigen Schuss Rum eine Sangria gemixt, ein Gebräu, das er heute sicher nicht mehr anrühren würde, das aber damals zu ihrer Sommerlaune gepasst hatte.
Johanna … er war ziemlich verknallt in sie gewesen, aber zu mehr als trunkenen Knutschereien auf der Wiese unterm Sternenhimmel war es nicht gekommen.
Es war ein phantastischer Sommer gewesen, den ganzen August hindurch nur Sonnentage, die sie träge am Strand verbrachten. In den Dünen hatten sie eine geschützte Mulde entdeckt, wo die Mädels ihre Bikinioberteile ablegen und sich brutzeln lassen konnten. Nur Dagmar hatte die Sonne gemieden, war blass und zerbrechlich und sehr still gewesen, und oft sah sie so aus, als hätte sie geweint. Außer ihm war das niemandem aufgefallen, nicht einmal Rüdiger. Der war total aus dem Häuschen gewesen, weil Dagmar und er endlich den Heiratstermin festgelegt hatten.
Wenn sie alle beim Abendbrot saßen, sonnentrunken, aber noch nicht im Sangrianebel, und gerade nicht über die Probleme in ihren jeweiligen WGs oder den Weltfrieden diskutierten, hatten sie die Hochzeitsfeier geplant: alternativ, ohne Kirche, ein rauschendes Fest mit Folkmusik und Kabarett und, bitte, keine krummbucklige Verwandtschaft, höchstens die Eltern. Mit steigendem Alkoholpegel waren die Pläne immer kühner geworden. Und Dagmar hatte dazu gelächelt und gelächelt.
Er ertappte sie schließlich auf dem Klo, wo sie sich die Seele aus dem Leib kotzte.
«Was ist los mit dir?»
«Nix, lass mich in Ruhe!»
«Komm hoch, hier, wisch dir den Mund ab.»
«Lass mich!» Ihr Gesicht war schweißnass.
Er nahm sie in die Arme, drückte ihren Kopf an seine Schulter. «Komm, wir gehen runter zum Strand. Die sind alle so besoffen, die kriegen eh nichts mehr mit.»
Da hielt sie sich nicht länger zurück. Ihre Schluchzer waren wie Würgen, und als sie endlich ein bisschen ruhiger wurde, war sein T-Shirt nass, und sie konnte kaum noch aus den Augen schauen.
«Komm!» Es war Vollmond, aber der Weg war uneben, sie stolperten, und sie riss sich die Hand am Brombeergestrüpp auf. Er lutschte das Blut weg, und sie fing wieder an zu weinen. Aber dann hatten sie es geschafft und ließen sich in den Sand fallen.
«Was ist los mit dir?»
Sie zuckte die Achseln und blickte ins Leere.
«Du willst gar nicht heiraten, oder?»
«Was?» Dann lachte sie zitternd auf.
Er zog sie zwischen seine Beine, ihr Rücken an seinem Bauch, und knetete ihre Hände. Sie ließ die Schultern fallen und senkte den Kopf.
«Ich hatte eine Abtreibung.»
Er war völlig vor den Kopf gestoßen, bekam kein Wort heraus, fand den Sinn nicht.
«Es war Frieders Kind.»
Die Brandung war auf einmal unerträglich laut. «Dagmar …»
Sie riss sich los und fuhr zu ihm herum, Tränen und Rotz im Gesicht.
«Ja!», brüllte sie. «Ja, stell dir vor, ich war mit Frieder zusammen! Und nicht nur einmal!»
Er gab nur Blödsinn von sich: «Aber … Rüdiger … die Hochzeit … abgetrieben … Frieder? Das ist doch alles nicht wahr!»
Sie rückte von ihm weg und wischte sich mit den Händen das Gesicht ab.
«Doch, schon seit über einem halben Jahr. Und Rüdiger … es wär mir egal gewesen, wenn … Oh, Scheiße!» Sie schaute ihn an und seufzte, dann legte sie den Kopf in seinen Schoß.
Ihm war immer noch ein wenig schwindelig, aber er fing an, ihre Stirn zu streicheln. «Erzähl.»
«Es war … Frieder … es ist halt einfach passiert, mein Gott! Es war toll, es war aufregend, es war … Ich weiß auch nicht, Martin.»
«Aber …» Er musste sich räuspern. «Aber was ist mit Rüdiger, mit eurer Hochzeit?»
«Ach, Rüdiger!»
«Tut mir Leid, dass ich so langsam bin, aber ich muss das erst mal auf die Reihe kriegen.»
Sie setzte sich wieder auf. «Was ist daran so schwierig? Ich bin schwanger geworden. Und ich hab’s ihm sofort gesagt, und Frieder ist … Er ist total ausgeflippt.»
Er schaffte immer noch nicht mehr als belämmerte Halbsätze: «Frieders Kind …» Aber schließlich bekam er sich in den Griff. «Du hast Frieder gesagt, dass du von ihm schwanger bist. Und dann?»
«Und dann?» Ihre Stimme war voller Hohn. «Dann hat er mir gesagt, ganz ruhig, ganz klar: Was für ein dummes Malheur, aber das kriegen wir schon ausgebügelt, keine Sorge. Ich habe eine Adresse in Holland, eine anständige, kein Pfusch. Wir schmeißen zusammen, und wenn du willst, fahre ich auch mit, war ja schließlich auch mein Fehler.»
Sie schluckte trocken, und ihm wurde plötzlich kalt.
«Und ich hab … Martin, ich hab wirklich geglaubt … Wie dämlich kann man eigentlich sein? Ich hab’s ihm sogar gesagt. Und weißt du, was dann von ihm kam? Jetzt werd bloß nicht sentimental! Ich mache den Termin in Holland, und du siehst zu, dass du eine Ausrede für Rüdiger findest, warum du für zwei Tage wegmusst.»
«Dieses Schwein!»
«Ach was!» Jetzt klang sie wieder nur müde, blass und zerbrechlich. «Ganz so war’s ja nicht. Er hat mir schon erklärt, warum er niemals Kinder in die Welt setzen will. Seine Familie war wohl nicht das Gelbe vom Ei, und er ist nicht in der Lage, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, kann ihm nicht gerecht werden, und das weiß er, und deshalb hat er sein Leben anders geplant.»
Ihm war speiübel, aber er wollte es hören. «Dagmar? Wenn Frieder das Kind gewollt hätte, wärst du dann mit ihm zusammengeblieben?»
Sie seufzte. «Glaub schon, ja, doch, sicher.»
«Geht es dir denn gut? Körperlich, meine ich. Ist alles in Ordnung?»
«Ich denke schon. Ich blute nicht mehr.»
Als sie zur Villa zurückkamen, waren schon alle ziemlich betrunken und begrüßten sie mit lautem Gejohle. Keiner fragte, woher sie kamen, wo sie gewesen waren.
«Gebt mir endlich was zu trinken!», hatte Dagmar gerufen, und in den letzten drei Ferienwochen, selbst nachdem Frieder angekommen war, hatte sie bei einer Menge Alkohol auf Partygirl gemacht.
Er schob die Fotos zusammen und legte sie zur Seite – das Fernsehen interessierte sich vermutlich nicht für ihre gemeinsamen Ferienreisen.
Er hatte plötzlich Lust auf eine Zigarette, dabei rauchte er schon seit Jahren nicht mehr, allenfalls mal eine Zigarre nach einem guten Essen.
Hier waren die Bilder von ihrem ersten Auftritt in dem Jahr: Kai, Dagmar und er selbst in einem Sketch über das erste Retortenbaby. Frieder als neuer Papst, er hatte einen sagenhaften Woytila hingelegt. Ein Massenauftrieb, fast die ganze Truppe auf der Bühne – die Russen besetzen Afghanistan. Das Bild kam sicher gut an, aber auch das Foto von Hansjörg als vertriebenem Schah von Persien war nicht schlecht.
Es klingelte.
Haferkamp erhob sich nur widerwillig. Er mochte es überhaupt nicht, wenn ihn jemand unangemeldet besuchte. Als er die Tür öffnete, stöhnte er innerlich laut auf, vor ihm stand Heinrich Walterfang.
«Grüß dich, Martin. Ich dachte, ich schau mal rein.» Dabei versuchte er zu lächeln und entblößte seine pelzigen Zähne.
Haferkamp wich einen Schritt zurück, der Gestank nach altem Schweiß und etwas Bittersüßlichem umwaberte ihn wie eine Wolke. «Woher hast du denn meine neue Adresse?»
«Von Maria.» Walterfang spähte ihm über die Schulter. «Sieht nach ’ner schicken Bude aus.»
Martin Haferkamp fügte sich in sein Schicksal und trat zur Seite. «Komm rein! Ist dir nicht kalt nur so im T-Shirt?»
Walterfang schob sich an ihm vorbei. «Hab kein Geld für einen Mantel», nölte er und spazierte ungeniert durch die Wohnung, öffnete alle Türen, sah sich sogar gründlich im Bad um. «Doch, doch, wirklich schick. Na ja, den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.»
Haferkamp biss sich auf die Lippen, er wusste, dass jeglicher Kommentar ihm nur endlose Tiraden einbringen würde. «Jetzt setz dich endlich hin und sag, was du von mir willst.»
Aber Walterfang hatte die Fotos auf dem Schreibtisch entdeckt. «Ach, guck mal …»
Willkürlich zog er ein paar Bilder aus den Stapeln. Seine langen, eckigen Fingernägel trugen Trauer.
Jetzt platzte Haferkamp der Kragen. «Finger weg!», schimpfte er. «Du bringst mir ja alles durcheinander.»
Walterfang hob abwehrend die Hände. «Okay, okay, ist ja schon gut.» Dann schaute er Haferkamp aufgeräumt an. «Wurde langsam Zeit mit dem TV-Auftritt, ne? Ich meine, ich hatte ja schon lange den Fuß bei denen in der Tür, hab eben nur meine Connections ein bisschen auffrischen müssen.»
Haferkamp hüstelte. «Du?»
«Klar, ich, und Frieder natürlich. Man muss einfach bloß immer am Ball bleiben.» Er ließ sich aufs Sofa plumpsen. «Wie wär’s mit ’nem Kaffee?»
Haferkamp schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr. «Na gut, einen auf die Schnelle. Viel Zeit habe ich nicht. Ich muss noch in den Laden.»
Damit ging er in die Küche, Walterfang folgte ihm auf dem Fuß. Als er Haferkamp mit der Espressomaschine hantieren sah, schnalzte er missbilligend. «Ich sag’s ja, der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.»
Haferkamp knallte den Kaffeebecher auf die Arbeitsplatte. «Da, bitte!»
«Wo ist der Zucker?»
«Steht genau vor deiner Nase.»
Walterfang gab sechs Stücke in seine Tasse, rührte mit der Zuckerzange um und leckte sie ab, dann hockte er sich auf die Tischkante. «Ich hab mich neulich ein bisschen ausführlicher mit dem Volker unterhalten», meinte er versonnen. «Ganz netter Typ eigentlich.»
Ach, dieses Spielchen schon wieder! Aber Haferkamp tat ihm den Gefallen: «Welcher Volker?»
«Na, Volker Pispers. Wie gesagt, ganz netter Typ, lässt sich auch mal was sagen. Ich meine, wir sind schließlich schon ’ne Stange länger im Geschäft als der.»
Haferkamp verschluckte sich so gründlich, dass ihm die Tränen übers Gesicht liefen.
«Komm», krächzte er, als er endlich wieder Luft bekam, «wir gehen wieder ins Wohnzimmer.»
Er setzte sich in den Sessel, der am weitesten entfernt vom Sofa stand.
«Also, was kann ich für dich tun?»
Walterfang machte große Augen. «Du für mich? Nee, nee, andersrum wird ein Schuh draus. Ich wollte wissen, ob ich noch was für dich regeln soll. Wenn du wegen der Aufzeichnung noch besondere Wünsche hast, dann könnte ich den Udo anrufen.»
Diesmal spielte Haferkamp nicht mit. «Ich bin wunschlos glücklich.»
«Ach so, na prima. Und mit den Texten, alles im grünen Bereich?»
«Alles bestens, Heinrich.»
«Sicher, hab auch gar nichts anderes erwartet, wenn ich ehrlich bin. Auf dich konnte man sich immer schon verlassen. Sag mal, kannst du mir fünfzig Euro leihen für den Zug?»
Na endlich, dachte Haferkamp und ließ ihn zappeln. «Du bist mit dem Zug gekommen?»
«Nein, natürlich nicht! Heiß ich Krösus? Ich bin getrampt.»
«Und was spricht dagegen, wieder zurückzutrampen?»
Walterfang simulierte Entspannung und breitete beide Arme auf der Sofalehne aus. «Ach, ich dachte, ich besuch mal die Bylle, und von hier kommt man direkt mit dem Zug nach Düsseldorf, wäre doch praktisch.»
Haferkamp schwenkte den Kaffeebecher unter der Nase hin und her. «Tut mir Leid, Heinrich», sagte er schließlich. «Ich verleihe grundsätzlich kein Geld. Aber ich mache dir einen anderen Vorschlag: Du kannst bei mir im Laden Bücher schleppen und Kartons zerreißen. Acht Euro die Stunde. Wie wäre das?»
«Bar auf die Kralle?»
«Klar.»
Walterfang schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. «Schwarzarbeit also. Wie kannst du nur? Gerade von dir hätte ich das nicht gedacht. Für mich kommt das nicht in Frage, da habe ich meine Prinzipien.»
«Ich senke schamvoll mein Haupt», murmelte Haferkamp.
Walterfang schaute ihn einen Moment irritiert an. «Aber was anderes», sagte er dann. «Ich habe vorgestern mit Frieder telefoniert. Er bleibt noch eine Woche länger in Hawaii.»
«Frieder ist auf Hawaii?» Haferkamp war verblüfft. «Und du hast mit ihm telefoniert? Ich dachte, er ist für niemanden zu erreichen.»
Walterfang machte eine wegwerfende Handbewegung. «Für mich schon. Ich war ein paar Mal in der Agentur und habe seine Sekretärin belagert.»
Olfaktorisch, vermutlich, dachte Haferkamp. Ihr einfach so dicht auf den Leib rücken, bis sie keine Luft mehr bekommt und aufgibt. Auch eine Waffe.
«Ich hatte nämlich einen Job bei einem Kurierdienst», fuhr Walterfang fort, «und da musste ich sowieso nach Düsseldorf.»
«Und was ist aus dem Job geworden?»
Walterfang zuckte die Achseln. «Der Boss war ein reaktionäres Arschloch.»
Haferkamp lachte. «Ach so, ist klar. Frieder macht also Urlaub auf Hawaii.»
«Nicht nur Urlaub, Flitterwochen.»
Haferkamp verschlug es für einen Augenblick die Sprache. «Flitterwochen?», stammelte er. «Frieder? Du machst Witze.»
«Das ist kein Witz. Er hat vor drei Wochen geheiratet, in Las Vegas.»
«Patricia?»
«Wen sonst?»
Haferkamp verkniff sich die Antwort.
«Na, jedenfalls hat mir seine Sekretärin die Telefonnummer von seinem Hotel gegeben, und vorgestern hab ich ihn erreicht. Der ist auf Wolke Sieben, sag ich dir, total happy, und er lässt alle schön grüßen.»