14. KAPITEL
Lauschen wir dem Schmerzenschor
Wie versprochen, wartete Cole nach der Schule auf mich. Mit verschränkten Armen lehnte er an der Hinterfront seines Jeeps. Eine schwarze Kappe beschattete sein Gesicht, und eine Sonnenbrille verdeckte seine Augen. Er trug ein Muskelshirt, das seine prächtigen Bizepse und diese fürchterlichen Sensenmann-Tattoos zur Schau stellte.
Als ich bei ihm ankam, stemmte ich die Hände in die Hüften und sah ihn wütend an. „Prügel dich nie wieder meinetwegen!“ Ich wollte nicht, dass er vom Unterricht suspendiert wurde - oder noch schlimmer. „Jetzt gib mir die Schlüssel.“
Er tippte mir leicht auf die Nase. „Hast du mir nicht zugehört? Ich tu, was ich für richtig halte, und niemand kann mich daran hindern.“
Ich hätte ihm ein Knie zwischen die Beine stoßen und ihm die Autoschlüssel abnehmen können, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen, aber ich sagte nur: „Das habe ich aus erster Quelle erfahren, glaub mir.“ Dann streckte ich die Hand aus. „Und jetzt sei ein braver Junge, und tu, was ich dir sage.“
Er hob die Sonnenbrille, und ich bemerkte das Aufleuchten in seinen violetten Augen.
„Und was genau möchte Klein Ali?“
Klein Ali. Pah!„Ich sagte, gib mir die Autoschlüssel.“ Es gab keinen Grund, nett zu sein. Er war es ja auch nicht. „Und wenn du mich noch einmal Klein Ali nennst, zertrümmere ich dir die Luftröhre, so wie du‘s angeblich gern bei anderen machst.“
„Warum?“, schnappte er und klang plötzlich misstrauisch.
„Weil ich das überhaupt nicht leiden kann.“
„Nicht dein Kosename, warum die Schlüssel?“
„Na, weil ich dich damit erstechen will, warum sonst?“
„Wieso?“
Na gut. „Ich muss fahren lernen. Ich habe meinen Großeltern versprochen, das nach der Schule zu machen.“
„Willst du etwa sagen …?“
Seine Sonnenbrille rutschte zurück auf ihren Platz, als er eine Hand um meinen Nacken legte und mich näher an sich zog. Er sah mich ernst an.
„Du kannst nicht Autofahren?“
„Natürlich kann ich das. Wenn du mich allerdings fragst, ob ich gut fahren kann, müsste ich was anderes darauf antworten.“
Er lachte, aber dann trat er einen Schritt zurück und warf mir die Schlüssel zu. „Warte bitte, bis der Parkplatz leer ist, bevor du mein kostbares Leben in Gefahr bringst.“
Während ich auf den Fahrersitz kletterte, ließ ich den Blick über den weiten Himmel schweifen. Er war immer noch wunderbar hellblau, abgesehen von schwebenden kleinen weißen Wölkchen, die zusammenwuchsen und sich teilten. Ich hätte besser nicht nachsehen sollen.
Das Kaninchen war wieder da.
Angst überfiel mich, denn ich wusste, was das bedeutete. „Heute Abend werden die Zombies kommen“, sagte ich tonlos. Dass sie an einem Tag erschienen, an dem ich keine Zukunftsvision mit Cole gehabt hatte …
„Das bezweifle ich allerdings. Sie waren schon viel zu oft draußen und müssen sich erholen.“
„Glaub mir. Sie werden kommen.“
„Woher weißt du das?“
Ich war mir nicht sicher, wie ich das mit Emma erklären sollte, deshalb erwiderte ich nur: „Ich weiß es eben.“
Nervös rieb er sich die Oberschenkel. „Okay. Die ganze Gruppe wird heute Nacht auf die Jagd gehen, nur für den Fall.“
„Bin ich dabei?“
Er öffnete den Mund, sah mich an, schloss ihn wieder. Dann nickte er. „Ich denke schon.“
„Gut.“ Das Positive war, ich wäre außer Haus und würde die Zombies nicht in die Nähe meiner Großeltern locken.
Ich gurtete mich an und startete den Motor. Beim Aufheulen der Maschine erschrak ich, und Furcht überkam mich. Ich saß hinter dem Lenkrad eines Wagens. In Kürze würde ich auf der Straße mit anderen Fahrzeugen unterwegs und für Coles Leben verantwortlich sein.
Auf der Verstandesebene wusste ich, dass dieses Kaninchen gar nichts mit Autounfällen zu tun hatte, das beruhigte mich aber nicht. Ich begann zu zittern, der kalte Schweiß brach mir aus, und bei jedem Atemzug schien die Luft in meiner Kehle und in meiner Lunge zu brennen.
„Du wirst es schon gut machen“, sagte Cole.
„Und wenn nicht …?“
„Ich kann dich vom Sitz schieben und das Lenkrad übernehmen. Ich bin ganz sicher, wirklich.“
Der Witz funktionierte, und ich lachte gequält auf. „Sehr komisch.“
„Du kannst das, Ali“, sagte er ernst. „Ich vertraue auf dich und, na ja, auf mich auch. Ich werde dir während der Fahrt Anweisungen geben.“
Seine aufmunternden Worte zeigten Wirkung. Ich konnte es. Inzwischen war ich nicht mehr das Mädchen, das Kat davongelaufen war, um im Regen zu Fuß nach Hause zu gehen. Ich war stärker. Immerhin hatte ich einige Male den Zombies ins Auge gesehen und es überlebt.
Endlich leerte sich der Parkplatz, und ich fuhr vorsichtig rückwärts. Hey, lieber Gott. Erinnerst du dich noch an mich? Ich könnte deine Hilfe gebrauchen. Mein Magen zog sich zusammen, als ich den Gang wechselte. Cole war geduldig mit mir, obwohl ich fast die ganze Zeit kaum über vierzig fuhr und die Fahrer hinter mir hupten und an mir vorbeizischten. Einige zeigten mir sogar den Stinkefinger, was Cole manches Mal beinah veranlasst hätte, aus dem Wagen zu springen. Wie auch immer, ein dunkler SUV folgte uns im Schneckentempo.
„Justins Leute“, sagte Cole, dem aufgefallen war, wie oft ich in den Rückspiegel sah.
„Großartig. Brandstifter an meinen Fersen.“ Genau das, was mir noch gefehlt hatte. Ein weiterer Stressfaktor. „Werden sie irgendwas machen?“ Die Windschutzscheibe der Limousine war so dunkel getönt, dass man niemanden erkennen konnte.
„Nein. Sie zeigen nur gern, dass sie da sind. An der nächsten Ecke verziehen sie sich.“
Er hatte recht.
Ich atmete erleichtert aus. „Justin hat mir gesagt, dass sein Boss dir einen Besuch abgestattet hat.“
„Warum redest du mit Justin?“, fragte er, während er am Radiogerät herumdrehte.
„Weil ich Antworten von ihm will.“
„Von jetzt an lass sie dir von mir geben.“
„Wir sind zusammen in einer Klasse. Ich wollte ihn nicht ignorieren und …“
„Ali. Du kennst ihn nicht und hast keine Ahnung, wozu er fähig ist, was er für Lügen verbreitet.“
„Okay, okay, ich werde ihn nicht mehr beachten.“
Die Fahrt dauerte fast eine Dreiviertelstunde, obwohl es normalerweise vermutlich eine Sache von zehn Minuten gewesen wäre. Cole wohnte in einer Gegend mit weit auseinanderliegenden Häusern, die wie Farmgebäude aussahen. Sie waren überwiegend aus Holz, rot oder weiß gestrichen. Daran schloss meist eine Scheune an. Drahtzäune und Weizenfeldern umgaben sie anstelle von Bäumen.
Erst als ich den Wagen in den Parkmodus gestellt hatte, konnte ich mich entspannen. Wir waren in Sicherheit. Wir waren unversehrt. Noch mal vielen Dank, lieber Gott! Ehrlich!
„Ich kann nicht versprechen, dass ich dich als Fahrerin einsetze, wenn wir flüchten müssen“, sagte Cole. „Aber mit etwas mehr Übung wirst du bestimmt schneller als meine Großmutter - in ihrem Rollstuhl.“
„Normalerweise bin ich nicht so schlimm. Tut mir leid. Ich habe bloß … der Unfall … und dann noch das Kaninchen …“
„Was für ein Kaninchen?“
Oh, verdammt. Ich war so ein emotionales Wrack, sodass ich ihm schließlich das mit der Wolke erzählte und sie ihm zeigte. Ich berichtete ihm, dass ich sie jedes Mal an dem Tag gesichtet hatte, an dem die Zombies herausgekommen waren, und dass ich am ersten Tag ihres Erscheinens meine geliebte Familie verloren hatte. Sogar, dass mir meine tote kleine Schwester erschienen war und mir gesagt hatte, dass sie die Kaninchenwolke irgendwie als Warnung formte, verriet ich ihm. Während ich redete, legte mir Cole tröstend eine Hand auf den Nacken und massierte mich, wie er es manchmal auch bei sich selbst machte.
„Du meinst nicht, ich spinne?“, fragte ich zögernd.
„Als wäre ich der Richtige, um so was zu beurteilen.“
„Das ist keine Antwort.“
„Okay, wie wär‘s damit? Nein, ich denke nicht, dass du spinnst.“
Ich beschloss, ihm zu glauben. „Hast du jemals einen Zeugen gesehen? So hat sie sich selbst bezeichnet. Kein Geist, weil es die nicht gibt, auch kein Engel, die aber existieren, sondern eine Zeugin.“ Vielleicht wie einer seiner getöteten Freunde.
„Nein.“
„Hast du den Ausdruck schon mal gehört?“
„Außer im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren nicht, nein.“
„Jemand anders?“
„Nicht dass ich wüsste.“
„Oje.“ Ich ließ die Schultern sinken.
„Das heißt nicht, dass mit dir was nicht stimmt, Ali. Du kannst Zombies sehen, während viele Leute das nicht können. Zeugen zu sehen ist wahrscheinlich nichts anderes.“
Er zerzauste mir das Haar und gab mir das Gefühl, drei Jahre alt zu sein.
„Jetzt komm, wir haben eine Menge zu tun.“
Nachdem ich ihm die Schlüssel zurückgegeben hatte, kletterte ich aus dem Jeep und ging auf das Haus zu. Auf halbem Weg zur Tür war er neben mir, verschränkte seine Finger mit meinen und zog mich zur Scheune hinüber.
„Hier lang“, sagte er, ohne mich loszulassen.
Wir hielten uns an den Händen wie ein Paar.
Je näher wir der Tür kamen, desto lauter vernahm ich Gegrunze und Gestöhne. Ich blinzelte. Das hörte sich an, als würden dort Leute gefoltert.
Es stellte sich heraus, dass in der Scheune tatsächlich gefoltert wurde, nur taten sich die Leute das selbst an. Im Raum verteilt standen Fitnessgeräte, eine Trainingsmatte und sogar ein Boxring. Alle Jungen, die ich am ersten Schultag in der Gruppe um Cole gesehen hatte, hielten sich dort auf. Außerdem noch ein paar, die ich nicht kannte.
Cole stellte uns einander vor. Da war Lucas, ein atemberaubender Afroamerikaner, der ungefähr das Gewicht eines Autobusses stemmte. Er trug eine Hausarrest-Fußfessel, trotzdem hätte ich wetten können, ihn auf Reeves Party bemerkt zu haben.
Derek, ebenfalls Afroamerikaner, stand ganz hinten in der Scheune und schoss auf einen Dummy, der wie ein Zombie ausstaffiert war. Bronx hämmerte auf einen Sandsack ein. Brent, ein blonder Typ, hielt das Gerät fest. Collins, ein Junge mit rasiertem Kopf, ebenfalls mit einer Fußfessel, und Haun (Spike), ein asiatischer Typ mit dunklem Haar und dunkelbraunen Augen, lieferten sich einen Schwertkampf. Dem Geräusch von klingendem Metall auf Metall nach zu urteilen, kämpften sie mit echten Schwertern.
Eine große Auswahl an heißen schwitzenden Typen mit Kriegerwaffen. Ich befand mich inmitten eines Mädchentraums.
Frosty und Mackenzie trainierten auf dem Laufband. Trina und Cruz (Turd), ein hispanischer Junge mit braunem Haar und einer Narbe über der Wange, boxten im Ring, ohne Handschuhe - und schlugen sich gegenseitig windelweich.
Während ich dort stand und die Szene beobachtete, wehten mir tausend unterschiedliche Gerüche in die Nase. Etwas Blumiges von Mackenzie, etwas Moschusartiges von Haun. Fruchtiges von Collins.
„Macht ihr das jeden Tag nach der Schule?“, fragte ich und versuchte mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen.
„So ziemlich. Stärke und Ausdauer kann dein Leben retten. Außerdem können wir die Waffen mit in unseren Geistzustand nehmen. Die sind eine große Hilfe beim Unschädlichmachen der Zombies, mit denen lassen die sich besser eliminieren.“
„Dann muss ich lernen, damit umzugehen.“
„Ja. Aber wegen deiner Verletzungen wirst du heute erst mal nur üben, in den Geistzustand zu wechseln, ein bisschen Laufband und Zielschießen. Wenn deine Wunden verheilt sind, fangen wir mit allem anderen an.“
„Okay.“
„Bist du bereit?“
„Ja.“
„Gut.“
So, wie er mich von oben bis unten begutachtete, fühlte ich mich wie ein Insekt unter dem Mikroskop. Ihm entging nichts.
„Raus aus deinem Körper.“
Ich brauchte einen Moment, um zu kapieren, was er gesagt hatte. „Einfach so?“ Ich schnipste mit den Fingern und sah mich unsicher um. „Hier und jetzt?“
Er nickte mir erbarmungslos zu. „Einfach so. Hier und jetzt.“
Eine ganze Weile versuchte ich es, ich schwöre, doch ohne Erfolg. Egal, wie sehr ich mich bemühte, meinen Geist aus der Körperhülle zu treiben, die beiden blieben fest verbunden.
„Du hast es schon gemacht“, erinnerte mich Cole.
„Ja, aber das war unter Zombiezwang.“
„Wie wär‘s damit? Tritt aus deinem Körper, oder ich leg dich übers Knie und versohle dir vor allen Leuten den Hintern.“
Ich schnaufte vor Wut. „Das möchte ich sehen!“
Er streckte die Arme nach mir aus, ich schrie auf, schlug ihm auf die Hand und flüchtete aus seiner Reichweite.
„Fünf …“, sagte er und hatte ein stählernes Funkeln in den Augen.
Ich versuchte es mit aufgesetzter Furchtlosigkeit. „Was denn? Zählst du mich aus wie meine Mutter?“
„Vier …“
Er zählte tatsächlich. Großartig. Ich atmete tief ein und aus und schätzte meine Lage ab. Ich wollte ja, unbedingt.
„Drei …“
Ich schloss die Augen, stellte mir vor, die Zombies vom Friedhof zu sehen, die sich über meinen Vater hergemacht hatten. Die Entschlossenheit brannte mir wie Feuer in der Brust. Glaube. Ich musste nur daran glauben. Ich schaffte das.
„Zwei …“
Ich würde es schaffen. Auf jeden Fall. Nichts konnte mich aufhalten.
So leicht, als würde ich atmen, trat ich aus meinem Körper.
Im einen Moment war ich noch schweißgebadet, im nächsten wurde mir eiskalt. Meine Zähne klapperten, während ich mich in der Scheune umsah. Ich erkannte das Leuchten der Blutlinien, die Flecken auf den Fenstern. Es kam mir vor, als würden sich alle mit einem Mal langsamer bewegen, der Schweiß rann ihnen über die Schläfen, helles Licht - Energie? - drang aus ihren Poren.
Cole produzierte den hellsten Schein.
Die Gerüche im Raum wurden intensiver und waren jetzt so stark, dass ich sie fast als stechend in der Nase empfand.
„Geh zurück“, sagte Cole in einer merkwürdig hohen verzerrten Stimme.
Erschrocken drehte ich mich um und sah meinen Körper bewegungslos direkt neben ihm stehen. Mein Gesichtsausdruck wirkte konzentriert. „Wie soll …?“
„Nicht sprechen!“, rief er, und wieder zuckte ich zusammen.
„Schweig du doch!“, fuhr ich ihn an.
Coles Arm schoss vor, um mir mit der Hand auf den Mund zu schlagen, aber seine Finger glitten durch mich hindurch. Für einen Augenblick fühlte ich mich, als würde ich in warmem Honig baden.
„Was ist denn?“, fragte ich.
Er wurde blass und deutete auf seine Lippen, die sich bewegten, er brachte jedoch kein Wort heraus.
Sofort fiel es mir wieder ein. Was immer ich im Geistzustand von mir gab, von dem ich überzeugt war, es würde eintreffen. „Du kannst sprechen, du kannst sprechen!“, rief ich schnell.
„Kein weiteres Wort mehr.“ Er keuchte.
Die Augen zusammengekniffen, griff er nach der Hand meiner Körperhülle und gab mir ein Zeichen, es ebenso zu machen. Genau wie er nahm ich die Finger meines realen Körpers. Im Moment der Berührung schlüpfte mein Geist an seinen Platz, als würde er an einer Schnur gezogen werden.
„Tut mir leid“, sagte ich schnell. „Es tut mir so leid, aber ich dachte, ich könnte mich nicht über den freien Willen wegsetzen, egal, was ich sage.“
„Ich habe dir erklärt, es gibt Regeln und mit den Regeln auch die Ausnahmen. Manchmal, wenn das richtige Kommando zur Verteidigung ausgesprochen wird, ist der freie Wille schwächer und kann überlagert werden.“
„Wie geht das? Ich habe den Zombies zugerufen, sie sollen mich loslassen, aber sie sind trotzdem immer wieder zurückgekommen. Glaub mir, dieser Befehl kam aus reiner Selbstverteidigung.“
„Du hast es allen gleichzeitig zugerufen und das Kommando damit abgeschwächt. Jeder der Zombies hat nur einen Teil des Zwangs zu gehorchen gespürt, nicht die volle Power.“
„Ach so.“ Es war klar, dass ich mehr lernen musste, als ich gedacht hatte.
„Jetzt löse dich noch einmal aus deinem Körper.“
Während der folgenden Dreiviertelstunde schaffte ich es nur vier Mal, aus dem Stand in den Geistzustand zu wechseln.
„Das reicht“, sagte Cole schließlich. „Übe das zu Hause in einem verschlossenen Raum, den du nicht verlassen darfst. Und sei leise. Du musst lernen, es von einem Augenblick zum anderen hinzubekommen.“
„Das mache ich. Aber wie kann ich meine Hand glühen lassen, so wie du, als du die Zombies zu Asche verbrannt hast?“ Einmal hatte ich es getan, wusste jedoch nicht, wie ich das ein zweites Mal schaffen sollte.
„Wenn ich kämpfe und weiß, dass ich einen Vernichtungsschlag ausführen werde, passiert es von selbst.“
„Du musst nicht mal darüber nachdenken?“ Wow.
„Nicht mehr. Jetzt hör zu.“
Seine Stimme wurde tiefer und bekam diese Wenn-du-nicht-gehorchst-wirst-du-leiden-Strenge. Mir wurde sofort klar, warum er der Anführer der Truppe war.
„Versuch das auf keinen Fall in deinem Zimmer. Du könntest aus Versehen das Haus deiner Großeltern abbrennen. Fürs Erste werden andere die Zombies eliminieren, die du kampfunfähig gemacht hast. Falls deine Hand von allein im Kampf glüht, halte dich nicht zurück. Wir gehen dir dann aus dem Weg.“
Deutlicher: Ich könnte aus Versehen jemanden aus der Gruppe verletzen. Fürchterlich.
„Also“, fuhr er fort. „Wenn du übst, in den Geistzustand zu treten, lass deinen Körper nie an einem Platz, wo andere ihn finden können. Im Kampf müssen manchmal Ausnahmen gemacht werden. Versuch es zu verhindern, aber wenn es sein muss, tu‘s. Und sprich in diesem Zustand niemals etwas laut aus. Damit kannst du jede Menge Unheil anrichten, das solltest du nicht riskieren.“
„Verstanden.“ Obwohl, mit der Zeit konnte man auch lernen, das Richtige zu sagen, doch das brauchte ich jetzt nicht zu erwähnen, da seine Lippen wahrscheinlich noch von meinem versehentlich ausgesprochenen Schweigebefehl vibrierten.
„Frosty!“, rief Cole.
Frosty wusste, was Cole wollte, ohne dass er es ihm sagen musste. Er hielt das Laufband an, sprang herunter, nahm sich eine Flasche Wasser und trank den Inhalt in Sekunden aus. „Du bist dran“, sagte er zu mir.
Nun, was sollte ich davon halten? Ich würde direkt neben der von mir meistgehassten Person rennen.
„Hast du Fitnessklamotten mitgebracht?“, fragte Cole mich.
Ich strich mir mit der Zunge über die Lippen und betrachtete mein Hemd und die Jeans. Innerhalb von Minuten würde ich die durchgeschwitzt haben und wie eine Fieberkranke aussehen, statt gut durchblutet und gesund wie Mackenzie. „Nein.“
„Keine Sorge. Ich hab dir was besorgt.“ Eine Spur Genugtuung lag in seiner Stimme. „Das Bad ist da durch. Ich hab alles, was du brauchst, in dein Schließfach gelegt.“
Ich hatte ein Schließfach?
Die Duschen und Umkleideräume sahen aus wie in jeder amerikanischen Highschool. Mein Plätzchen war ein längliches rotes Fach direkt neben Coles. Darin lagen ein blauer Sport-BH und die kürzesten, knappsten Spandex-Shorts, die ich jemals gesehen hatte, dazu ein Paar Socken und Laufschuhe.
Meine Wangen wurden knallrot, als ich mich umzog. Wenigstens hatte er mir keinen Slip gekauft.
Als ich fertig war und hinausging, fühlte ich mich nackt. Mein Bauch lag frei, genauso wie meine Beine. Wahrscheinlich blitzten auch noch die Pobacken heraus. Cole, der neben dem Wasserkühler auf mich wartete, stieß einen leisen Pfiff aus, sobald er mich sah. Wieder kam ich mir vor wie ein Insekt unter dem Mikroskop, nur dass der kleine Käfer diesmal bloß mit Riemchen bekleidet war.
„Nett.“ Seine Stimme klang leicht heiser.
„Deine Vorstellung von Sichverkleiden gefällt mir nicht“, murmelte ich und zupfte am Saum der Shorts.
Er lachte. „Das sehe ich ganz anders. Aber wenn du dich dabei besser fühlst, ich ziehe mich auch aus.“
„Tu ich nicht.“ Wahrscheinlich würde ich unzusammenhängendes Zeug schwafeln und sabbern.
Sein anzügliches Grinsen zeigte mir, dass er genau wusste, was in mir vorging.
„Jetzt komm, lass uns anfangen.“ Er führte mich zu den Laufbändern.
Mackenzie blickte zwar nicht in meine Richtung, aber sie versteifte sich und stolperte sogar. Ich sah unauffällig auf ihre Zeitanzeige. Sie lief bereits anderthalb Stunden. Genauso prüfte ich ihre Geschwindigkeit und den Neigungswinkel des Bands und stellte meins schneller und steiler ein, startete jedoch noch nicht. Cole sollte sich vorher entfernen.
Natürlich blieb er neben dem Band stehen. „Keine achtet auf die andere“, kommandierte er streng.
Mackenzie schnaufte. „Ja, Daddy.“
Er kniff die Augen zusammen, behielt aber mich im Blick. „Sei vorsichtig. Übertreib es am Anfang nicht.“
Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch Mackenzie war schneller.
„Ihr seid ja echt erbärmlich. Das sollte euch wirklich peinlich sein.“
„Müssen wir uns draußen mal unterhalten, Kenz?“
Er hatte einen Kosenamen für sie. Wie wundervoll.
„Nein!“, schnappte sie.
„Sehr gut.“
„Wenn ich mir noch mal einen Vortrag von dir darüber anhören muss, dass ich mich mit der Neuen anfreunden soll, werfe ich mich den Zombies zum Fraß vor“, fügte sie hinzu.
„Das wird nicht nötig sein. Ich werde die Glocke läuten und sie selbst zum Dinner einladen.“
Damit machte er sich davon und ließ uns endlich allein.
Sieh zu, dass du das auf die Reihe bringst, Bell.
Während der ersten zehn Minuten, die ich rannte, hielten wir uns beide an Coles Anordnung. Ich weiß nicht, warum sie das tat, ich jedenfalls konnte meinen Blick nicht von Cole losreißen und war abgelenkt. Bevor er zu Lucas bei den Gewichten hinüberging, zog er sein Muskelshirt aus und tauschte seine Jeans gegen schwarze Mesh-Shorts, die tief auf seinen Hüften saßen und die feine Linie dunkler Härchen vom Nabel bis zum Bund zeigten.
Seine Muskeln spannten sich an, als er die Gewichtstange anhob. Sie senkte. Wieder anhob. Schweiß benetzte seine Haut, tropfte … tropfte …
„Hoffentlich genießt du seine Aufmerksamkeit“, meldete sich Mackenzie.
Die Zeit für gutes Benehmen war offensichtlich vorüber. Ihr gelockter Pferdeschwanz schwang bei jedem Schritt hin und her.
„Das wird nämlich nicht lange andauern.“
Ich war mir nicht sicher, ob ich seine Aufmerksamkeit wirklich hatte, jedenfalls nicht so, wie sie meinte. „Nur weil er dich abserviert hat, bedeutet das noch längst nicht, dass es anderen Mädchen auch so geht.“ Mutige Worte von einer, die bisher nicht mal ein richtiges Date mit Cole gehabt hatte.
„Ist das jetzt unser kleines Gespräch?“ Sie wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus den Augenbrauen. „Da bin ich aber enttäuscht. Ich dachte, du würdest wenigstens mal zuschlagen. Na ja, ich hätte wissen müssen, dass du ein Feigling bist.“
„Das mit dem Zuschlagen werden wir noch nachholen, versprochen.“ Meine Oberschenkelmuskeln brannten bereits von der Anstrengung, mir lief der Schweiß den Bauch und den Rücken runter. Sollte ich das Band etwas langsamer stellen? Verdammt, nein. „Warum hast du diese Gerüchte verbreitet?“
„Habe ich nicht.“
„Ich bitte dich. Ich bin nicht so dumm wie deine Jungs und lasse mich von einem hübschen Gesicht nicht beeindrucken.“
„Du findest mich also hübsch, was? Wahrscheinlich träumst du sogar von mir.“
Kats Ego liebte ich, Mackenzies weckte in mir nur den Wunsch, ihr eine zu verpassen. „Sobald ich mit dir fertig bin, wirst du froh sein, wenn du noch deine Zähne hast.“
„Wie originell. Warum denkst du nicht, bevor du den Mund aufmachst? Ich habe kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich dich nicht leiden kann oder dass es mir lieber wäre, wenn du dich wieder verziehst. So wie jetzt. Aber Gerüchte über dein Sexleben verbreiten? Machst du Witze? Ich bin doch keine Zwölfjährige.“
Während ihrer gesamten Rede hatte diese Schlampe nicht ein einziges Mal gekeucht. Ich dagegen musste bereits nach Luft hecheln. „Es kommt außer dir niemand infrage.“
„Es ist mir eine Freude, dir diese Nachricht zu überbringen, Barbiedoll. Es gibt sogar jede Menge, die infrage kommen. Diverse Mädchen von der Asher High wollen gern mal das wilde Leben kennenlernen und sich einen von meinen Jungs schnappen. Die meisten haben kein Glück. Du hattest Glück, daher bin ich sicher, dass bei vielen Neid aufkommt.“
„Deine Logik hat leider einen Haken. Kat geht mit Frosty, doch niemand redet über Kat.“
„Sie liebt mich!“, rief Frosty vom Boxring herüber, ohne sich zu schämen, weil er offensichtlich unserer Konversation lauschte. „Außerdem habe ich dir gesagt, dass ihre Freundinnen sie eine Weile fallen lassen haben. Und was die Gerüchte über mich angeht, sie lauten, ich sei ein Hengst.“
Ich ballte die Hände zu Fäusten. „Worum geht‘s denn hier?“ Ich redete extra leiser, damit nur Mackenzie mich hörte. „Ein Mädchen geht mit einem deiner Jungs und schon werden Gerüchte verbreitet.“
„Hör nicht auf das, was Frosty sagt. Ihre Freundinnen haben sie vielleicht fallen lassen, aber es gab kein Gerede über ihr Sexleben. Hat keinen interessiert. Außerdem zum Mitschreiben: Ich. War. Es. Nicht.“
Etwas hatte ich beim Training mit meinem Vater gelernt, Emotionen lassen die Leute leichtsinnig werden. Wenn man leichtsinnig wurde, machte man Fehler. Das galt nicht nur beim körperlichen Kampf, auch bei Diskussionen. Im Moment bewegte sich Mackenzies Stimmung auf der Skala von Ärger zu Wut. Wenn ich sie ein bisschen provozierte, könnte sie vielleicht aus Versehen das ausplaudern, von dem ich noch immer überzeugt war.
Also ging ich einen Schritt weiter und ließ meine innere Tigerin frei. „Fragst du dich eigentlich manchmal, was die Leute so hinter deinem Rücken reden? Du lebst ja mit den Jungs zusammen, mit denen ich angeblich im Bett war. Du bedrohst alle, die Interesse an diesen Jungs haben. Das schmeckt doch auch nach Eifersucht, oder etwa nicht? Gib dir keine Mühe, darauf zu antworten. Ich schätze nämlich, du bist immer noch in Cole verknallt. Ich könnte sogar wetten, dass …“
Ein Aufschrei und Mackenzie sprang vom Band und stürzte auf mich zu. Wir landeten beide auf dem Boden, sie auf mir drauf. Ich bekam die ganze Wucht des Aufpralls ab. Die Luft wurde mir aus der Lunge gepresst wie bei einer Explosion. Mein Kopf schlug auf den Betonboden, und Sterne blinkten vor meinen Augen.
Wie traurig, dass mein erster Gedanke war: Gott sei Dank bin ich endlich vom Band runter!
Sie lag über mir, hielt mich zwischen ihren Beinen gefangen und landete einen Schlag, ihre Faust krachte gegen meine Wange. Noch mehr Sterne, diesmal heller. Ich hatte das Gefühl, dass mein Hirn vibrierte.
Ohne abzuwarten, bis sich das Sternenfeuerwerk verzog, schlug ich selbst zu. Ein Treffer auf ihren Mund, sodass die gerade verheilende Oberlippe erneut aufplatzte. Ihr Kopf flog zur Seite, Blut tropfte auf den Boden. Ich packte sie am Nacken und schob sie von mir, nagelte sie fest und es folgte ein doppelter Haken.
Noch mehr Blut tropfte von ihrem Kinn. Sie versuchte aus der Horizontalen zu kämpfen, doch die Haarsträhnen in ihren Augen behinderten ihre Sicht.
Ich erinnerte mich an Justins Bemerkung über ihre Unfähigkeit, Schläge zu verteilen, wenn sie am Boden lag. Ich hätte sie besinnungslos schlagen können, hier und jetzt, aber dann hätte ich nie eine Antwort bekommen, deshalb hob ich die Hände und sagte: „Das ist vollkommen unnötig. Sag mir bloß …“
„Aaaah!“
Sie schoss hoch, schlug mir in den Magen und ich flog zur Seite. Nach Luft schnappend, rappelte ich mich schnell auf. „Ich werde …“ Starke Arme, warm und vertraut, schlossen sich um mich und rissen mich an einen festen muskulösen Körper.
„Das reicht!“, bellte Cole so laut, dass ich zusammenzuckte.
Bronx und Frosty hatten sich Mackenzie geschnappt.Sie versuchte sich verzweifelt freizukämpfen, um auf mich loszugehen.
„Du denkst, ich weiß nicht, was die Leute über mich sagen? Meinst du, ich würde das anderen antun wollen, nur weil ich sie hasse?“ Sie spuckte jedes einzelne Wort auf mich.
Merkwürdig. Ich begann ihr zu glauben. Echter Schmerz kam da zum Vorschein. Nicht von meinen Schlägen, sondern aus ihrem tiefsten Innern. Sie hatte gelitten. Und sie litt noch immer.
Ich sackte gegen Cole. „Tut mir leid“, sagte ich zu ihr. „Das, was ich gesagt habe, tut mir leid.“
„Was soll‘s!“
Die Jungen lockerten den Griff und ließen zu, dass sie sich befreite. Sie stampfte aus der Scheune, die Tür schlug krachend hinter ihr zu.Vor Scham ließ ich die Schultern sinken. Wie konnte ich nur so blind gewesen sein?
Na ja, die Antwort kannte ich ja, oder nicht? Ich hatte ihr vorgeworfen, eifersüchtig zu sein, aber im Grunde war das mein eigenes Problem. Sie war Coles Ex. Sie wohnte bei ihm. Ich hatte keine Ahnung, ob er noch was für sie empfand. Ich war ausgeflippt.
„Lass uns deine Wunden verbinden“, sagte Cole. Er nahm meine Hand und führte mich in den Umkleideraum, wo er mich auf die Waschbeckenablage hievte. Er verschwand kurz und kam mit dem Erste-Hilfe-Kasten zurück.
Na großartig. Die Wundnähte an meinem Arm waren aufgerissen. Es blutete wieder. Jetzt, wo ich es bemerkte, spürte ich auch den stechenden Schmerz. Außerdem puckerte meine Wange fürchterlich.
„Du hast es mir gesagt. Ich hätte dir zuhören sollen.“ Tränen brannten in meinen Augen. Ich senkte den Kopf, damit Cole es nicht sah. Unauffällig wischte ich mir mit zittrigen Fingern über das Gesicht … und blickte direkt auf das Piercing in einer von Coles Brustwarzen.
Na hallo! Warum hatte ich das denn nicht vorher bemerkt?
„Ja, das hättest du.“ Er schnitt die Fäden ab, reinigte die Wunde und betäubte die Haut mit einer Salbe, bevor er mich neu vernähte. Selbst mit dieser Betäubungssalbe fühlte es sich an wie hundert Wespen, die beschlossen hatten, Wo-tut-es-am-meisten-weh mit meinem Arm zu spielen, aber ich biss mir auf die Lippen und hielt durch.
„Das hast du wohl schon öfter gemacht“, bemerkte ich. Seine Hand war ruhig, und er wusste genau, wo er die Nadel ansetzen musste.
„Ja, allerdings. Auch bei mir selbst. Das betrifft uns alle hier.“
Als er fertig war, wickelte er mir einen Verband um den Unterarm. Danach umfasste er meine Hüften, schob sich zwischen meine Beine, beugte sich herunter und sah mir in die Augen.
„Geht es dir gut? Wirklich?“
„Ja.“
„Gut.“
Dann küsste er mich.
Es war wie vorher schon. Ich vergaß alles um mich herum und konzentrierte mich vollkommen auf Cole. Auf seinen Mund, der sich auf meinen presste. Auf seine Zunge, die mit meiner zu tanzen schien. Sein Geschmack, so süß, so süchtig machend, wie Erdbeeren und Schokolade. Sein Duft, herb und würzig. Sein Körper, warm und stark und so nah an meinem, so einnehmend.
Kein Gedanke an Widerstand. Ich legte die Arme um ihn, zog ihn noch dichter an mich. Wir waren praktisch aneinandergepresst, und es gefiel mir. Ich schlang ihm sogar die Beine um die Hüften, um ihm so nahe wie möglich zu sein.
Ich denke, er war tatsächlich an mir interessiert.
Er spielte mit meinem Haar und schob meinen Kopf ein Stück zur Seite, um besseren Zugang zu meinem Mund zu haben.
„Du schmeckst so gut.“
„Nicht reden. Küssen.“
„Ja.“
Irgendwas kam mir an den Worten bekannt vor, aber in dem Moment fiel es mir nicht ein. War mir auch egal. Es gab nur noch ihn und mich, das Hier und Jetzt. Er hatte kein Hemd an und, oh Himmel, ich konnte jeden Muskel ertasten, jede Erhebung seiner Narben, spürte sogar das kalte Metall seines Brustpiercings.
„Soll ich aufhören?“, fragte er heiser.
„Nein. Ja. Ich …“
Sein Griff wurde fester und ich …
„O-ha“, ertönte eine Stimme hinter uns. „Das hatte ich nun nicht gerade erwartet.“
Cole ließ mich los und wirbelte herum. Er blieb schützend vor mir stehen.
Sein Vater. „Ich habe gehört, dass hier ein Katzenkampf stattgefunden hat“, sagte Mr Holland.
Wie er dort stand, groß und bedrohlich, wirkte er auch etwas … amüsiert?
Bitte lass mich auf der Stelle tot umfallen!
„Kein Schaden entstanden“, sagte Cole lässig.
Mr Holland strich mit der Stiefelspitze über die Wand neben sich. „Das sehe ich.“
Bitte, bitte, lass mich doch tot umfallen!
Cole räusperte sich. „Wir wollten gerade rausgehen.“
Mr Holland zeigte auf die Tür. „Na gut, lasst euch von mir nicht aufhalten. Dann geht.“
Ich rutschte von der Waschbeckenablage, ging um Cole herum und machte, dass ich rauskam, ohne mich noch einmal umzusehen.
Der große Unterschied zwischen dem Zusammenleben mit meinem Dad, der seine Augen überall hatte, und dem mit meinen ahnungslosen Großeltern war die Schlafenszeit. Mein Vater hatte nachts nicht geschlafen, Nana und Pops lagen um neun im Bett. Das „Early Bird Special“ nannten sie es. Zum Glück ersparte mir das, ihnen ein Mittel einzugeben. Das hatte Cole mir geraten, falls ich mich rausschleichen müsste.
Um halb zehn stand er in unserem Garten hinterm Haus. Cole, der mich geküsst hatte. Cole, der sich anschließend geweigert hatte, darüber zu reden. Okay, okay, ich hatte mich geweigert.
Cole, der mich vollkommen verrückt machte.
Drei Minuten nachdem ich ihn entdeckt hatte, war ich draußen und stellte mich neben ihn - der widerliche Gestank nach Verwesung lag in der Luft.
Wie Emma mit ihrem Zeichen angekündigt hatte, waren die Zombies unterwegs.
Erwartung und Nervosität mischten sich. Ich hatte mehrere Stunden lang das Geist-aus-dem-Körper-Ding trainiert und war inzwischen schon ganz gut darin. Von nun an würde ich mich nicht so schnell unterkriegen lassen.
„Ich kann heute auf keinen Einzigen verzichten, tut mir leid. Deshalb habe ich so viele Fallen wie möglich aufgestellt, damit niemand am Tor zu eurem Garten vorbeikommt, okay?“
Cole nahm meinen Arm und sprintete sofort los. Ich musste mitlaufen, um nicht von ihm gezogen zu werden.
„Tritt nur dahin, wo ich auch hintrete.“
„Ich dachte, wir kämpfen hier gegen sie.“ Ich keuchte. Wir hatten Vollmond, die große goldene Kugel wurde vom weiten schwarzen Himmel umrahmt. Es gab vereinzelte Wolken, Sterne konnte ich nicht entdecken.
„Frosty hat bereits die erste Kolonne gesichtet und bleibt ihnen auf den Fersen. Sie ziehen in Richtung eures Hauses. Wir wollen sehen, ob sie dir folgen.“
„Und wenn nicht?“ Das war eine Frage, auf die ich gern eine Antwort hätte.
„Dann werde ich benachrichtigt, und wir kehren um.“
Wir gelangten auf die durch den Wald führende Straße, Coles Jeep war dort geparkt. Bronx saß am Steuer, sein Haar hatte er unter einem dunklen Tuch verborgen, genauso wie ich meins. Cole schob mich ins Auto und setzte sich neben mich. Die Reifen quietschten, als wir losfuhren.
Das alles erinnerte mich ein bisschen zu sehr an den Abend, als meine Familie umgekommen war, daran, wie mein Vater mich in den Wagen geschoben hatte, wie ich mich mit dem Sicherheitsgurt abgemüht hatte. Ich bleibe ganz ruhig. Diesmal war es anders. Es würde auch anders enden. Obwohl es stockdunkel war, konnte ich ein Arsenal an Schusswaffen, Armbrüsten und Schwertern erkennen.
Heute Nacht würden die Zombies vernichtet werden, nicht wir.
„Hast du Waffen dabei?“, fragte Cole mich.
„Ja.“ Bevor er mich nach Hause gefahren hatte, hatte er mir ein Schweizer Messer und einen doppelschneidigen Dolch gegeben. Morgen würde ich die Grundlagen des Kurzschwertkampfs erlernen und das Schießen mit einer Armbrust. Ich konnte es kaum erwarten. Bis dahin musste ich mich mit dem zufriedengeben, was ich zustande brachte.
Bronx riss das Steuer herum, sodass der Jeep ausscherte, und bog scharf um eine Kurve. Wir wurden hin und her geschüttelt.
„Vorsichtig“, sagte Cole.
Bronx war so redselig wie immer, er sagte keinen Ton. Nach mehreren Abzweigungen und einer Fahrt über die Straße außerhalb des Ortes stoppte er abrupt am Straßenrand. Cole sprang aus dem Wagen und zog mich mit sich - nachdem er sich zwei der Schwerter geschnappt hatte.
Er führte mich einen Berg hinauf, durch ein Stück Wald und auf eine Lichtung. Bronx heftete sich an unsere Fersen.
„Was soll ich tun?“ Obwohl ich seine Truppe nicht sehen konnte, war ich mir sicher, dass sie hier überall im Gelände verteilt waren. Ich roch den blumigen Duft von Mackenzies Shampoo, den moschusartigen Geruch von Hauns Aftershave und fastalles andere, was ich bei Cole in der Scheune gerochen hatte.
Eine dichte Wolkengruppe schob sich vor den Mond, sodass er rötlich gedämpft leuchtete. Es war die perfekte Tarnung für uns. Wir waren alle in Schwarz gekleidet und hatten uns dunkle Schatten unter die Augen gemalt. Ich hatte keine Ahnung, weshalb Cole wollte, dass ich mir Farbe auf mein Gesicht pinselte, aber er und Bronx trugen diese Streifen ebenso, also okay.
„Heute Nacht wirst du zusehen und lernen“, sagte Cole. Er warf die Schwerter auf den Boden und zog mich zu einem Baum. Dann verschränkte er die Finger ineinander und machte eine Räuberleiter. „Hoch mit dir.“
Ich benutzte seine Hände als Steigleiter und kletterte auf einen der Äste, auf dem ich mich zusammenkauerte, in jeder Hand ein Messer. „Ich will euch helfen“, sagte ich. „Es muss doch was für mich zu tun geben.“
Er blieb unten am Boden und schaute mit einem stechenden Blick aus violetten Augen zu mir hoch.
„Wir hier oben sind heute Nacht die letzte Verteidigungslinie, deshalb werden wir nicht sehr viele zu bekämpfen haben, vielleicht gar keine“, fügte er hinzu. „Komm nicht runter, wenn es nicht absolut notwendig ist. Deine Verletzungen sind immer noch nicht verheilt. Ich müsste eigentlich mit denen, die zu dir wollen und es bis hierher schaffen, fertigwerden.“
„Aber …“
„Da du mit Messern arbeitest“, unterbrach er mich, „müsstest du dicht an sie rangehen, um sie kampfunfähig zu machen. Wenn du ihnen nahe kommst und deine Wunden öffnen sich, wirst du bluten und bist geschwächt. Sie werden leichtes Spiel mit dir haben.“
Okay, dann war ich also der Lockvogel. „Ich hätte mich nicht zu bewaffnen brauchen, wenn ich sowieso nur zusehen soll.“ Der Drang, in Aktion zu treten, war groß.
„Wir müssen auf alles vorbereitet sein, immer.“
Ich seufzte. Vielleicht gefiel mir seine Logik nicht, doch ich verstand ihn.
„Es ist mir überhaupt nicht recht, dass wir dich hier mitten ins Gefecht bringen. Du hast keine Probekämpfe mitgemacht und wirst überrascht sein, wie das abläuft, aber falls die Zombies wirklich speziell hinter dir her sind, müssen wir es unbedingt wissen. Das ist der schnellste Weg.“
Ein Heulen durchbrach die Nacht und jagte mir einen Schreck ein. Das war kein Wolfsgeheul gewesen, sondern das eines Menschen. Cole hockte sich vor den Baum und platzierte die Schwerter vor sich. „Normalerweise lassen wir unsere Körper in einem unserer Häuser, damit sie verborgen sind und niemand uns was antut, während wir uns nicht verteidigen können.“ Er zog eine kleine Armbrust aus einem Wadenholster und eine Pistole aus dem anderen. „Das war für Bronx und mich nicht möglich, weil wir dich hierherfahren mussten. Wir werden unsere Hülle hier bei dir lassen. Mach dir keine Sorgen, falls Zombies sich ihnen nähern. Die interessieren sich nicht dafür, aber halte Ausschau nach Menschen. Wenn du welche siehst, musst du sie vertreiben.“
Ich zitterte leicht. „Okay.“
„Habe ich dir gesagt, dass diese Kreaturen keinen Schmerz spüren?“, fragte er in seinem Lehrertonfall. „Falls du gezwungen bist zu kämpfen, versuche nicht, ihnen wehzutun. Das hat keinen Zweck. Sie geben Laute von sich, wenn du sie triffst, weil sie wütend werden. Dein einziges Ziel muss sein, sie unschädlich zu machen.“
„Okay.“ Ich hatte bereits einen Entschluss gefasst, egal welche Folgen das haben sollte, ich würde meine Meinung nicht ändern.
Wieder ein Heulen. Ein Schrei. Grunzen und Stöhnen. Die Geräusche kamen von überall um uns herum. Ich war mir nicht sicher, von wem sie stammten, ob von den Zombies oder von Coles Truppe. Als Nächstes raschelten die Blätter der Büsche, Schritte ertönten.
„Ja, sie folgen dir“, sagte Cole. „Bronx?“
Bronx nickte.
Beide setzten eine Sonnenbrille auf, die sie mit einem Gummiband am Kopf befestigten. Cole warf mir eine zu, aber ich ließ sie fallen. Großartig!
„Jetzt“, sagte Cole.
Gleichzeitig traten sie aus ihren Körperhüllen.
Jemand musste einen Schalter betätigt haben, denn helles Halogenlicht beleuchtete plötzlich die gesamte Lichtung. Ich blinzelte, die Augen taten mir weh und tränten.
Nun kapierte ich den Sinn der Sonnenbrillen und der schwarzen Streifen unter den Augen. Schwarz absorbierte das Licht und lenkte die grellen Lichtstrahlen ab, sodass man besser sehen konnte. Ziemlich clever.
Das war mein letzter rationaler Gedanke.
Frosty brach durch das grüne Dickicht, er hatte ebenfalls schwarze Streifen unter den Augen, trug aber keine Sonnenbrille. Er sprang nach vorn und rollte über den Boden.
„Jetzt, jetzt, jetzt!“
Als er sich wieder umdrehte, hatte er zwei Pistolen im Anschlag und zielte.
Die Zombies kamen - und nicht nur ein paar, sondern eine ganze Horde.
Peng, peng. Zisch, zisch. Bum, bum. Sowohl Cole als auch Frosty schossen ununterbrochen mit Kugeln und Pfeilen, die durch die Luft pfiffen. Noch mehr Grunzen und Stöhnen war zu hören, während die Kreaturen zusammenbrachen und fielen. Der Gestank von Verwesendem wurde immer intensiver. Ich musste würgen.
Weitere Zombies schoben sich zwischen den Büschen hervor, einige stolperten über ihre Kumpel, andere stiegen über die Hindernisse.
Als sie in den Lichtkreis kamen, zuckten sie zusammen und schlugen die Hände vors Gesicht, um ihre Augen zu schützen. Ich hatte sie noch nie in so grellem Licht gesehen. Jetzt wünschte ich, es wäre so geblieben. Sie stanken zwar nach Verwesung, sahen mit ihren verschmutzten Klamotten, den verzerrten Zügen und der in Fetzen herunterhängenden Haut schrecklich aus, aber da war auch etwas merkwürdig … Schönes an ihnen.
Die sichtbaren Teile ihres Körpers erinnerten an zertrümmerte Eiswürfel und schimmerten in nachtschwarzen und saphirblauen Tönen. Die im Dunklen schwarz wirkenden Augen glitzerten jetzt fast rubinrot und wirkten unglaublich hypnotisch.
Die Kreaturen, die nicht von Coles, Bronx‘ oder Frostys Waffen getroffen worden waren, liefen auf die Bäume zu, als ihnen klar wurde, dass sie sich die Jungen nicht schnappen konnten, ohne sich weiter dem grellen Licht auszusetzen. Ein Glück - bis ein Windzug kam und ihnen meinen Geruch zufächelte. Die Zombies blieben auf der Stelle stehen, schnüffelten … und die roten Augen richteten sich auf mich. Plötzlich schienen sie ihre Abneigung gegen Helligkeit vergessen zu haben.
Sie marschierten vorwärts.
„Sie schwärmen aus“, hörte ich Frosty zwischen den Schüssen zu Cole sagen. „Kommen von allen Seiten.“
Frosty behielt die Vorderseite im Auge, Cole die Rückseite. Bronx streckte die Arme aus, um beiden den Rücken freizuhalten. Bum, bum, bum. Die Kugeln flogen in alle Richtungen.
Cole warf ein leeres Magazin weg und schob in Windeseile ein neues ein, das er griffbereit an seinem Gürtel hängen hatte. Die Jungen zielten auf die Hälse der Zombies und versuchten deren Nackenwirbel zu zerschießen.
Sie trafen so viele, dass sich inzwischen ein Berg zerlumpter Monster angesammelt hatte, aber die Angreifer wurden nicht weniger. Sobald eine Kreatur fiel, nahmen zwei andere deren Platz ein. Es kamen immer wieder neue. Als Cole keine Pfeile mehr hatte und das zweite Magazin leergeschossen war, zog er sein Schwert und schlug sich durch die Reihen. Köpfe wurden von Rümpfen getrennt. Die Gestalten brachen zusammen - doch wie ich es schon vorher gesehen hatte, lebten Kopf und Körper weiter.
Cole bewegte sich mit fließender Eleganz, wich aus, wenn einer nach ihm schnappte, verteilte in der Drehung Schwertschläge an die vor ihm, während er denen, die hinter ihm waren, Tritte verpasste.
Getrampel. „Verstärkung!“, rief jemand.
Frosty und Bronx hörten auf zu schießen. Trina und Cruz kämpften sich durch eine Wand von Zombies in das grelle Licht, ihre Hände glühten. Sie fielen über die am Boden liegenden Kreaturen her, bis einer nach dem anderen zu Asche zerbröselte.
Ein weiterer Verstärkungsruf ertönte. Mackenzie, Derek und Haun erschienen als Nächste, dann Lucas und Collins. In ihrer Geistform behinderten die Fußfesseln sie nicht, wie ich feststellte. Brent tauchte nicht auf.
Einige der Jungen bluteten. Alle schwitzten und hatten rote Gesichter wegen der Strapaze und Anstrengung, und ich saß untätig auf dem Baum und sah zu, wie sie ihr Leben aufs Spiel setzten.
Es machte mich fertig, einfach zuzusehen.
Was hatte ich gesagt? Mir war klar gewesen, dass ich der Herausforderung nicht widerstehen könnte.
Unsere Jäger wurden von Zombies verfolgt, und bald waren wir vollkommen von ihnen umzingelt. Alle aus der Gruppe feuerten weiter ihre Schusswaffen ab, kämpften gegen die Angreifer und versuchten, ihre glühenden Handflächen auf deren Brustkorb zu pressen. Die meisten der Kreaturen gaben fortwährend Zischlaute von sich, während sie permanent der Hitze des grellen Lichts ausgesetzt waren. Der Blauton ihrer Haut verdunkelte sich mehr und mehr … bis schwarzer Dampf aus ihren Poren stieg. Doch sie schienen es nicht zu bemerken. Vielleicht, weil sie keinen Schmerz empfanden. Hatte Cole das nicht gesagt? Außerdem hatte es den Anschein, als würden die Zombies in organisierten Gruppen arbeiten. Sie nahmen sich bestimmte Jäger als Ziel und trennten sie von den anderen, bevor sie mit vereinter Kraft gegen sie vorgingen.
Ein Schrei hallte über die Lichtung. Mackenzie stolperte rückwärts, als sie einen Arm aus den Fängen eines Zombies riss. Eine schwarze Masse blubberte aus der Wunde, und ich wusste, dass das Böse direkt in ihre Venen geflossen war.
Sie hörte nicht auf zu kämpften, doch ihre Bewegungen verlangsamten sich … wurden noch langsamer … bis sie sich wie in Zeitlupe bewegte. Eine weitere Kreatur schaffte es, sie erneut in den bereits verletzten Arm zu beißen, die schwarze Masse spritzte förmlich auf. Mackenzies Schrei schien in tausend Stücke zu zersplittern und verstummte jäh. Eine neue Gruppe Zombies sprang auf sie zu, machte sich über sie her, zog sie zu Boden. Keiner der anderen Jäger bemerkte ihre Bedrängnis, sie waren alle zu sehr damit beschäftigt, sich selbst zu verteidigen.
Ich atmete einmal tief durch … hielt die Luft an, etwas länger … Ich kann es. Ich will es tun … Dann ließ ich den Atem mit einem Stoß ausströmen und schoss im selben Augenblick aus meiner Körperhülle, so, wie ich es geübt hatte. Hier an Ort und Stelle mit dem Adrenalinschock fiel es mir noch leichter.
Ich sprang auf den Boden in die Hocke, richtete mich auf, in jeder Hand ein Messer. Ein Lichtfeld dort, eins hier. Die anderen Jäger, die Blutlinien. Dinge, denen ich aus dem Weg gehen musste. Innerhalb von Sekunden trat ich in Aktion und schoss auf Mackenzies Angreifer zu.
Einem der Zombies zog ich eine Messerklinge durch die Kehle. Er stolperte zur Seite. Ich wirbelte herum und stach einem weiteren in den Bauch. Wieder eine Drehung, noch ein Stich. Aus dem Augenwinkel sah ich Mackenzie zuckend und von Schwärze umwabert am Boden liegen, kein Glühen mehr, ihre Finger vor Schmerzen verkrampft. Zumindest hatten ihre Angreifer die bereits auf dem Serviertisch angerichtete Mahlzeit vollkommen vergessen und konzentrierten sich auf mich.
Einer schlich sich gebückt an mich heran, schaffte es, mein Handgelenk zu umfassen und zog mich hinunter. Ich stach ihm in die Augen, einmal, zweimal, blendete ihn. Als Nächstes vollführte ich fast einen Handstand, während ich nach einem Zombie kickte, der von hinten angriff. Meine überstrapazierten Oberschenkelmuskeln protestierten, aber die Kreatur ließ von mir ab.
„Ihr Zombies werdet heute Nacht nicht gewinnen!“, sagte ich, als mehrere andere sich um mich formierten. Ich hoffte sehnlich, dass ich daran auch wirklich glaubte.
Ich sprang auf, als sie auf mich zustürzten, schlitzte einem die Kehle auf, dann dem nächsten. Ich spürte jemanden an meinem Rücken, der sich fest an mich presste, was mich aber nicht erschreckte. Den vertrauten Duft nach Sandelholz hatte ich sofort gerochen. Cole.
„Du machst das großartig.“ Er kämpfte hinter mir und hielt mir den Rücken frei.
Wie ein warmer Wind, der mich umwehte, fühlte ich aufwallende Kraft und Stärke in mir. Er hatte wirklich gemeint, was er gesagt hatte, und ich glaubte an das, was ich ausgesprochen hatte. Ich machte mich gut, und von nun an würde ich noch besser werden!
„Du auch!“ Ich streckte die Arme in verschiedene Richtungen aus, stach oben auf jemanden ein, dann unten auf einen anderen.
„Mach so weiter mit allem, nur rede nicht dabei!“
Schneller … schneller … Die Zombies hoben abwehrend die Arme, aber sie waren zu langsam. Ich stach zu, schlitzte sie auf, stach zu - Schultern, Arme, Hände, Oberkörper, Bäuche, Schenkel - um mich herum wuchs die Anzahl zuckender Leiber.
Bronx fiel mit uns ein, seine beiden Hände glühten im grellen weißen Licht, und er verteilte Todesstöße.
Cole und ich kämpften weiter, aber in meinen Handflächen erschien kein Glühen. Nachdem wir uns den Weg durch die Horde von Mackenzies Angreifern frei gehackt hatten, reihten wir uns in Frostys Kampflinie ein, dann bei Collins. Ich wurde ein paar Mal gebissen, nicht sehr tief, nicht so wie nach der Party, doch die brennenden Wunden verursachten letztendlich eine Verlangsamung meiner Bewegungen. Jedes Mal sprangen die Zombies mir aus dem Weg, als wüssten sie genau, dass sie von meinen Messern eine besonders liebevolle Behandlung erwartete.
Als die Schlacht vorüber und niemand mehr zu bekämpfen war, verlor ich die letzte Energie. Es war, als würde mich eine unsichtbare Kette zum Baum hochziehen … weiter hoch … hoch … hoch. Vorher hatte ich immer erst meinen Arm ausstrecken und eine Berührung einleiten müssen, um in meinen Körper zu gelangen. Zum ersten Mal verspürte ich einen derart starken Sog.
Ich holte tief Luft, als die reale Welt plötzlich wieder in meinen Fokus rückte.
Selbst in meiner natürlichen Form war es mir unmöglich, mich aufrecht zu halten, ich taumelte förmlich vom Baum hinunter, fiel auf den Boden und rollte weiter. Dabei glitten mir die Messer aus den Händen und blieben irgendwo auf dem Weg liegen. Ich spürte einen scharfen Stich im Arm und wusste, dass die Wundnähte aufgeplatzt waren.
Zu viele Kreaturen lagen um mich herum, um sie zählen zu können. Die Zombies erinnerten mich an Fliegen, die sich im klebrigen Fliegenfängerstreifen verfangen hatten, der seit Wochen nicht ausgetauscht worden war.
„Frosty, bring Mackenzie zu Ankh“, hörte ich Cole rufen. Er lief zu seinem Körper, der vor dem Baum stand, und streckte einen Arm danach aus. Sofort war er wieder mit ihm vereint.
„Wird gemacht“, erwiderte Frosty. Er nahm Mackenzie hoch und machte sich mit ihr auf den Weg.
„Trina, Haun, sucht Brent.“
„Sind schon unterwegs“, rief Trina.
„Alle anderen zerstören die übrigen Zombies.“
„Das wird nicht nötig sein“, ertönte da eine unbekannte Stimme, und eine Gestalt löste sich aus dem Schatten am Rand der Lichtung.
Jemand betätigte den Schalter der Halogenbestrahlung, und der gesamte Platz wurde in Dunkelheit getaucht. Aus dem Augenwinkel entdeckte ich Bewegungen. Hämmernde Schritte von mehreren Personen waren zu hören, begleitet von einem Knistern, das … woher kam? Dann erschien eine Gruppe in Overalls gekleideter Leute in meinem Blickfeld.
„Wir werden die Zombies mitnehmen“, sagte der Sprecher.
Cole sprang auf ihn zu, doch sein Arm glitt durch ihn hindurch. Der Unbekannte befand sich in Geistform. „Du Feigling! Ich hätte ahnen müssen, dass du auftauchst!“
Die Typen mussten die Schlacht vom Rand der Lichtung aus beobachtet haben, ohne uns zu Hilfe zu kommen, nur auf den richtigen Moment wartend, um ihren Schlag auszuführen. Und welcher Augenblick wäre geeigneter als jetzt, wo Cole und ich in unserem Körper zurück waren, verletzt und zu schwach, um gegen sie zu kämpfen?
„Geht!“, rief Cole seinen Leuten zu.
Bis auf Bronx schossen alle davon. Sie befanden sich noch immer in Geistform und waren empfindlich gegenüber Verletzungen durch die Overallträger. Normalerweise würde sie das nicht beunruhigen, dessen war ich sicher, Cole und seine Truppe waren sehr viel besser trainiert, jetzt waren wir jedoch schwach und verwundbar.
Einer der Overalls kam zu mir herüber und sah mich an. In seinem Helm gab es eine Sichtscheibe, und als ich die Augen zusammenkniff und genauer hinsah, erkannte ich Justin dahinter.
„Du bist im falschen Team“, sagte er.
Eine warme Brise wehte mir entgegen. Ich dachte, sie käme irgendwie aus der Kraft seiner Worte, eine Power, die ich selbst in meinem normalen Zustand spüren konnte.
„Ich bin im richtigen Team!“, stieß ich aus. Sein Wille würde meinen nicht verdrängen.
Seine Schwester tauchte neben ihm auf und grinste mich durch ihren Helm höhnisch an. Ihre aufblitzenden weißen Zähne verliehen ihr ein raubtierhaftes Aussehen. Sie sagte kein Wort, aber das war auch nicht notwendig. Sie lachte.
Ich beobachtete hilflos, wie die Overalls das, was von den zuckenden Zombies übrig war, einsammelten und wegschleppten.
Sekunden nachdem sie verschwunden waren, ergriffen mich zwei blutüberströmte Arme, einer unter den Achseln, der andere unter meinen Knien, und ich wurde vom Boden gehoben.
„Ich habe dich“, sagte Cole.
Ich spürte, dass sein Herz wie verrückt hämmerte, als ich mich an seine Brust schmiegte.
„Es tut nicht so weh, ich kann selbst gehen.“ Obwohl er nicht den Eindruck machte, dass es ihn besonders anstrengte, wusste ich doch, dass er ebenfalls vom Kampf geschwächt war.
„Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder ich trage dich weg, oder ich jage hinter den Overalls her. Ich hab mich für dich entschieden.“
„Gute Wahl, denke ich.“ Während er mich durch den Wald trug, fiel mein Blick auf meine Schwester, die sich wenige Meter von uns entfernt materialisiert hatte. Ihre luftige Gestalt flackerte von sichtbar zu unsichtbar. Auf ihrem Gesicht lag ein unglaublich trauriger Ausdruck.
„Jetzt ist es zu spät“, flüsterte sie. „Es tut mir leid, Alice, so leid. Er wird kommen, um dich zu holen.“