12. KAPITEL

Kopf ab!

Die ersten Probleme ergaben sich ziemlich schnell. Zuerst mal, ich hatte keine Ahnung, wie ich meinen Geist aus dem Körper treten lassen konnte. Im Tagebuch wurde „Glaube“ als Hilfe zur Teilung genannt. Ja, doch wie sollte ich den Glauben entwickeln? Musste ich meine inneren Kräfte nutzen, Kräfte, die ich gar nicht spürte?

Zweitens hatte ich keine Ahnung, was passierte, falls ich es schaffte, Kat aber ihren Job nicht machte. Was, wenn jemand herauskam und versuchte, mit meiner starren Körperhülle zu sprechen? Vorausgesetzt, Kat bewachte die Haustür, konnte trotzdem jemand zur Hintertür hinausgehen, geradewegs in den Tod.

Wenigstens war eins klar, was auch immer geschah, ich musste die Zombies so weit wie möglich vom Haus weglocken.

Obwohl ich mir vorkam wie ein Bündel blank liegender Nerven, nahm ich allen Mut zusammen und trat in Aktion. Ich umklammerte das Messer und sprang dem Feind entgegen. „Lieber Gott“, betete ich, „gib mir Kraft und Schnelligkeit und vielleicht einen von diesen Schutzanzügen.“

Gerade als ich die ersten beiden Zombies fast erreicht hatte - du lieber Himmel, da waren acht weitere hinter der Baumreihe, die Ankhs Besitz vom Wald trennte -, rief ich: „Das Abendessen ist fertig! Kommt her, und fangt mich!“, und schlug einen Haken nach links.

Ein Chor aus Grunz-und Knurrlauten erhob sich, als all diese Kreaturen mir folgten, so, wie ich es beabsichtigt hatte. Im Laufen warf ich einen Blick über meine Schulter zurück - und musste noch einmal hinsehen. Bridezilla hatte sich auf mich eingeschworen und wurde mit jedem Schritt schneller und schneller. Ihr Bräutigam würde nicht weit entfernt sein. Er war immer in ihrer Nähe.

Ich sah hinter sie - und zack, da war er. Bezahl einen, nimm zwei. Obwohl einer seiner Fußknöchel merkwürdig verdreht war, hatte er eine erstaunliche Geschwindigkeit drauf, er schwebte geradezu.

Entweder hatte sich irgendeine Verletzung vor seinem irdischen Tod auf den Geist übertragen, oder Cole und seine Kumpel hatten ihn im Kampf verletzt und er war ihnen noch vor dem Todesglühen entkommen.

Wenn sie ihn nicht erledigt hatten, was für eine Erfolgschance hatte ich denn dann, die Novizin?

So durfte ich nicht denken.

Da ich mehr nach hinten auf das Geschehen blickte, statt auf den Weg zu achten, krachte ich gegen einen Baum und taumelte rückwärts. Sterne funkelten vor meinen Augen, während ich versuchte, nach Luft zu schnappen. Panik drohte mich zu überwältigen. Steh auf! Ich hatte ein paar Episoden von „Animal Planet“ gesehen und wusste, was mit unbeweglichen Zielen passierte.

Blitzschnell rappelte ich mich wieder auf, warf einen kurzen Blick zurück und schrie auf. Zu dicht, viel zu dicht, sie hatten mich fast erreicht. Ich umrundete den Baum und sprang vorwärts.

Komm schon, Bell. Du schaffst das. Ich könnte die Zombies durch den Wald führen, mich im Gebüsch verstecken und auf Verstärkung warten, die hoffentlich bald eintraf. Nur hatte Cole die Drahtfallen dort und hinter unserem Garten erwähnt. Ich hätte wetten können, dass hier auch welche ausgelegt waren. Wie ein nicht greifbarer Geist in feste Materie tappen konnte, war mir allerdings nicht klar. Ich könnte jedoch leicht in eine treten.

Der Wald stand also nicht zur Disposition.

Vielleicht könnte ich zur Straße laufen und beten, dass ein Auto käme und anhielte, mich einsteigen ließe und mit mir losraste. Aber es hätte ja keinen Sinn, unschuldige Menschen in Reeves Haus zu beschützen, wenn ich dafür unschuldige Autofahrer in Gefahr brächte.

Die Straße stand also auch nicht zur Disposition.

Großartig. Ich konnte nirgends hinflüchten.

Okay, noch einmal. Reeves Vater gehörte zur Sorte misstrauischer Typ. Vermutlich hatte er innerhalb und außerhalb des Gebäudes und an der Grenze zum Grundstück Überwachungskameras installiert. Jemand Eingeweihtes würde sicher die Aufnahmen verfolgen. Schließlich hatte Mr Ankh mich und Kat ziemlich schnell erwischt.

Ich musste also dem Wald mit seinen Fallen und allem fernbleiben. Wenn ich in einem Umkreis von ein paar Hundert Metern in der Nähe des Hauses bliebe, wäre die Chance, auf solch eine Falle zu stoßen, vielleicht nicht allzu groß. Ich könnte versuchen, mir die Zombies an einer Stelle zu schnappen und sie, falls möglich, zu verbrennen, so, wie Cole das gemacht hatte.

Während der Zeit würde mich Mr Ankh hoffentlich irgendwann bemerken.

Ich lief schneller, Zweige und Blätter schlugen mir ins Gesicht. Vom Laub über mir wurde das Mondlicht gedämpft, ebenso die Beleuchtung vom Haus her. Dunkelheit umfing mich und verstärkte meine Angst, in eine Falle zu treten. Ich hielt den Blick auf den Boden gerichtet - vor mir diesmal - und scannte den Weg, um festzustellen, ob sich etwas von Menschenhand Gemachtes darauf befand, das sich um die dickeren Baumwurzeln schlängelte. Ich hatte keine Lust, als So-viel-wie-du-schaffst-Büffet für die Zombies von einem Ast zu baumeln.

Ich bemerkte ein Häufchen trockener Blätter vor mir und fragte mich, ob das dort hingetragen worden war, um etwas zu verbergen, weil ansonsten in der Umgebung nichts dergleichen zu sehen war. Ich sprang darüber hinweg. Zwei Sekunden später hörte ich einen scharfen Luftzug und ein Grunzen. Blick zurück. Ohne Zweifel, den Bräutigam hatte es erwischt, er hing kopfüber am Baum und kam nicht mehr frei. Entzückend!

Wenn die anderen ebenfalls in eine Falle tappten … aber nein, die klebten mir an den Fersen. Ich rannte schneller, mein Herz wummerte wie ein Presslufthammer. Adrenalin rauschte durch meine Adern, mein Körper vibrierte förmlich, der Schweiß rann mir in Strömen den Rücken hinunter. Meine Muskeln meldeten sich schmerzlich, meine Verletzungen taten wieder weh.

Trotz meiner geschwächten Kondition würden die Zombies mich nicht besiegen. Das würde ich nicht zulassen. Ich würde kämpfen, egal wie es ausging und welche Schmerzen ich dabei hatte, ich würde …

Die Hitze in meinem Innern wurde zu eisiger Kälte, doch ich rannte ohne Zögern weiter, änderte den Kurs nicht; plötzlich fühlte ich mich leichter, freier, meine Schritte waren sicherer. Ich warf einen Blick zurück und sah meinen Körper unbeweglich stehen, ein Bein vor das andere gestellt, mitten in der Bewegung eingefroren.

Die Zombies liefen an meiner Hülle vorbei, als wäre sie nur irgendein Baum.

Glaube. Irgendwie hatte ich das Vertrauen in mich entwickelt und befand mich nun in Geistform. Jawohl!

Ich sprang nach rechts, zu dicht an einen dicken Baumstamm, kümmerte mich aber nicht darum, da ich annahm, ich würde durch ihn hindurchschweben … bis ich spürte, wie die raue Borke über meinen Arm kratzte. Was war das? Obwohl ich mich außerhalb meiner soliden Körperhülle befand, konnte mich Material wie Holz berühren? Das war nicht logisch - und unfair.

Darüber denkst du später nach. Konzentrier dich jetzt. Ich prüfte die Umgebung und suchte den besten Platz, um stehen zu bleiben und zu kämpfen.

Etwas weiter entfernt erregte ein flackernder Schein meine Aufmerksamkeit. Als ich näher kam, wurden aus den zuckenden Lichtern glühende Flecken von … irgendwas. Ich runzelte die Stirn. Ein großer Felsstein tauchte vor mir auf, der so grell leuchtete, als wäre ein Stück Sonne vom Himmel gefallen.

Stinkender Atem umwaberte mich. Aus Angst, jeden Moment geschnappt zu werden oder schlimmer, gebissen zu werden, stieß ich einen Kampfschrei aus und sprang über diesen Brocken.

Hinter mir hörte ich ein Krachen.

Noch immer auf den Beinen und unverletzt, warf ich schnell einen Blick zurück. Der Zombie, der mich fast eingeholt hatte, war über den Stein gestolpert. Ein weiterer, der sich dicht hinter ihm befunden hatte, fiel ebenfalls. Die anderen waren schlauer und übersprangen so wie ich das Hindernis. Und … oh je, sie hatten sich vervielfacht wie ein Schwarm Fliegen. Sobald man eine wegschlug, traten drei neue an ihre Stelle.

Meine Verstärkung sollte besser bald eintreffen.

In der Hoffnung, dass diese glühenden Flecken mir helfen sollten, dass es sich womöglich um Markierungen handelte, die mich in die richtige Richtung wiesen, folgte ich deren Spur. Nach einer Weile erreichte ich einen Punkt, an dem es nicht weiterzugehen schien. Zweige und Äste bildeten eine solide Wand. Da ich nicht mehr zurück konnte, lief ich trotzdem weiter - stürzte darauf zu, durchbrach das Dickicht und landete auf einer Lichtung.

Ich wirbelte herum. Bridezilla und ein bulliger fleischiger Zombie kämpften sich durch die Büsche und nahmen mich ins Visier. Sie trug wie üblich das verschmutzte Kleid. Er hatte kein Hemd an, die Arme waren blass, die Brust schwarz von Blasen und Schorf.

Grunzend stürzten sie sich auf mich. Die blutbefleckten Zähne gebleckt.

Mach sie unbeweglich, hatte mir mein Vater immer geraten. Wenn du bedrängt wirst, mach so viele deiner Angreifer wie möglich unbeweglich, sodass sie dich nicht weiter verfolgen können.

Jetzt, wo ich für die Zombies zur greifbaren Materie geworden war und sie für mich, könnte dieser Rat nützlich sein. Ich duckte mich blitzartig und ritzte ihnen in einer fließenden Bewegung die Schenkel mit der Messerklinge ein. Sie fielen über mich, purzelten aufeinander, doch schon hatten sie sich wieder aufgerappelt. Bridezilla griff als Erste an und zerrte mich an meinen Haaren herum. Scharfer Schmerz durchfuhr mich, als ich wegsprang. Natürlich streckten beide Kreaturen nun die Krallen nach mir aus.

Ich schoss auf einen der Baumstämme am Rand der Lichtung zu, dachte, hoffte, dass sich dort eine Falle befand und die Zombies hineintappten und kopfüber aufgehängt wurden. Etwas, irgendwas. Sie segelten aber nicht durch die Luft, sondern tappten in eine verdeckte Grube. Das schreckte sie nicht davon ab, weiter nach mir zu greifen …

Ich drehte mich und kickte dem einen Zombie in den Magen, sodass er zurückfiel. Gleichzeitig riss ich Bridezilla an den Haaren nach vorn. Die Büschel lösten sich von ihrer Kopfhaut, der Schwung reichte jedoch, um sie mit der Nase gegen den Baum schlagen zu lassen. Es knirschte, und sie sackte zu Boden, doch ich wusste, dass sie nicht lange außer Gefecht gesetzt sein würde.

Der Rest der Bande traf ein. Dem Ersten, der mich erreichte, versetzte ich einen Fußtritt, und er flog wie sein Kumpel nach hinten. Die Biester näherten sich. Ich schlug zu und stach mit dem Messer auf sie ein. Dabei tänzelte ich ständig von einer Seite zur anderen, um mich ihren Griffen zu entziehen.

Mein Erfolg war nicht gerade umwerfend.

Ich hätte vielleicht besser in eine von Coles Fallen tappen sollen, dann würde ich jetzt womöglich weit oben im Ast baumeln, unerreichbar für die Zombies.

Unerreichbar … Verdammt, ich sollte auf einen Baum steigen.

Klettern. Genau. Ich fand eine Kerbe im Baumstamm, schob meine Stiefelspitze hinein und hob einen Arm. Mit der Hand ertastete ich einen leichten Vorsprung, einen leuchtenden Vorsprung, wie ich bei einem kurzen Blick hinauf feststellte. Meine Armmuskeln schmerzten, als ich mich ein Stück nach oben zog, mich mit den Füßen abstieß und mit der zweiten Hand einen weiteren leuchtenden Vorsprung fand. Ich schaffte es schnell ein ganzes Stück hoch … weiter … noch weiter.

Je höher ich kam, desto heller wurde das Leuchten. Schließlich entdeckte ich ein paar Leiterstufen, die an den Baumstamm genagelt waren. Das musste Mr Ankh gemacht haben.

Einer der Zombies sprang, erwischte einen meiner Füße und zog daran. Ich klammerte mich an die Sprosse und trat ihm mit dem freien Fuß ins Gesicht. In dem Moment, wo er den Griff lockerte, hangelte ich mich das letzte Stück nach oben.

In der Baumkrone angelangt, schnappte ich hechelnd nach Luft. Die Monster versuchten mir zu folgen, aber sie konnten offensichtlich nicht klettern.

Halleluja, ich hatte gerade etwas Zeit zum Atemholen gewonnen.

Ich blickte mich um und zählte die Angreifer. Sechzehn. Um sie zu besiegen, musste ich sie nur kampfunfähig machen, meine Hand über ihr Herz legen und hoffen, dass daraus ein Flammenwerfer wurde. Weiter nichts.

Ja. Genau.

Bridezilla hatte sich erholt und gesellte sich zu den anderen, kratzte und krallte sich in die Borke - und schaffte es tatsächlich ein Stück den Stamm hinauf. Angst überkam mich. Von wegen Atempause.

Ich wusste, was ich tun musste, und nahm ein zweites Messer in die Hand. So viele wie möglich unschädlich machen und fliehen, genauso wie mein Vater es gesagt hatte. Denk nicht mehr nach. Agiere! Ich sprang - über die Kreaturen hinweg. Bei der Landung schlugen meine Knie gegeneinander und mein Hirn schien vom Aufprall gegen die Schädeldecke zu krachen. Mein Körper vibrierte von der Erschütterung, aber ich wirbelte herum und stach mit den Messern zu. Ich traf einen Zombie so tief in die Kehle, dass die Schneide bis zum Rückgrat durchfuhr. Er stöhnte auf und schwankte zur Seite.

Es blieb keine Zeit, ihm die Hand auf die Brust zu legen, um ihn zu verbrennen. Eine der Kreaturen schlug mir ihre Krallen in die Wange. Ich stolperte über etwas Hartes und fiel. Sofort wollte ich wieder auf die Füße springen, wollte mich auf den nächsten stürzen und ihm den Hals aufschlitzen. Nur hinderten mich zwei Arme daran, die sich mit erstaunlicher Kraft um meine Taille gelegt hatten und mich am Boden festhielten.

Ich spürte spitze Zähne in meiner Schulter. Bei dem höllischen Schmerz schrie ich unwillkürlich auf. Es war, als würden Flammen an mir lecken und die Kälte vertreiben. Die Sicht verschwamm, und meine Muskeln versagten ihren Dienst.

„Ankh!“, rief ich. „Cole!“ Keine Schritte von großen starken Männern waren zu hören, niemand, der mir zu Hilfe kam.

Das durfte es nicht gewesen sein. Ich hatte schon einige Male dem Tod ins Auge gesehen und war doch entkommen. Ich würde es wieder schaffen.

„Ich töte euch!“, schrie ich. Ich war wütend, weil ich mich in einem so hilflosen Zustand befand. „Das ist euer Ende!“

Schockiert bemerkte ich, wie sich meine rechte Handfläche erhitzte und genauso konzentriert glühte wie die weißen Lichtflecke. Ich hob die Hand und presste sie auf den Zombie, der sich in meiner Schulter festgebissen hatte, erreichte jedoch nur seine Stirn mit meinen Fingerspitzen.

Es reichte.

Er zerfiel zu Asche.

Dunkle Partikel regneten zu Boden, das Glühen in meiner Handfläche verblasste.

Aber wie … Wir haben festgestellt, dass alles, was wir aussprechen, sobald wir uns als Geist bewegen, tatsächlich passiert, ob gut oder schlecht, solange es nicht gegen den freien Willen eines anderen ist und wenn wir das aussprechen, was wir wirklich denken.

Coles Worte gingen mir durch den Kopf.

Ich wollte aufstehen, hatte jedoch nicht die Kraft. Zombies, sie waren überall, umzingelten mich …

„Bleibt mir vom Leib!“, schrie ich.

Sie sahen auf meine Hand … begriffen, dass das Licht verblasste und verschwand … und stürzten sich auf mich. Die Saison war eröffnet. Ich versuchte Bridezilla von mir zu schieben, aber sie wehrte sich und biss zu. Alle bissen sie mich wieder und wieder.

„Lasst mich los! Ich … töte euch …“

Niemand hörte auf mich und das Glühen in meiner Handfläche kam nicht zurück. Erneut überfiel mich ein stechender Funkenregen von Schmerzen. Ich schrie auf, so laut und schrill, dass ich glaubte, mein Trommelfell wäre geplatzt und würde bis in die Ewigkeit bluten.

Eine sehr kurze Ewigkeit.

Ich war allein, bereits mehrmals gebissen worden. Die Kreaturen knurrten wie Raubtiere, versenkten ihre Zähne in mich, als wären sie Hunde und ich ihr Lieblingsknochen. Ich war erledigt.

Aufschlitzen … töten … zerstören …

Die Worte dröhnten in meinem Kopf, irgendetwas nach Schwefel riechendes Öliges schien meine Adern zu füllen, meine Haut zu bedecken.

Aufschlitzen … Ich sollte jemanden aufschlitzen, dachte ich benommen.

Töten … Ich sollte jemanden töten.

Zerstören … Ich sollte alles zerstören.

Bridezillas Kiefer lockerte sich plötzlich. Mein Arm fiel zur Seite, schlaff und nicht zu gebrauchen. Blätter raschelten, donnernde Schritte. Der Zombie an meiner Schulter ließ los. Noch mehr Geraschel, ein Luftzug, ein fürchterliches Aufheulen. Ich versuchte mich aufzusetzen, aber ich schaffte es nicht. Das Brennen nahm nicht ab, wurde sogar stärker.

Göttlicher Duft lag mit einem Mal in der Luft. Mir lief der Speichel im Mund zusammen. Kosten. Ich wollte es kosten. Würde dafür töten und zerstören.

Ein Stich traf meinen Nacken, und schweres Gewicht legte sich auf mich.

Die fiebrige Sehnsucht ließ nach. Das „Göttliche“ verwandelte sich zu etwas Jämmerlichem. Die Galle stieg mir hoch, brannte in meiner Kehle, und ich würgte.

„Ach Ali“, hörte ich Cole sagen, seine Stimme voller Angst. Zärtlich strich er mit den Fingerspitzen über mein Gesicht, jemand hob meinen Arm, um die Verletzung zu prüfen.

„Es tut mir so leid. Ich hätte dich nicht allein lassen dürfen. Es tut mir leid. Ich bin so schnell ich konnte hergekommen.“

„Ich weiß nicht, wie sie das rausgefunden hat“, sagte ein Mann. „Aber sie hat ein paar in unsere Fallen gelockt.“

Die Stimme war mir unbekannt.

Wieder spürte ich Fingerspitzen auf meiner Wange.

„Jeder Zombie, der dich angegriffen hat, ist vernichtet, Ali, das kann ich dir versichern. Sie haben dafür bezahlt.“

„Wir müssen sie hier wegschaffen.“

Ich glaubte, Frostys Stimme zu erkennen.

„Ich nehme sie“, erklärte Cole entschieden. „Du kümmerst dich um ihre Großeltern.“

Sich um meine Großeltern kümmern? Wie denn das? Ich wurde von hinten hochgehoben. Bei der Bewegung taten die Bisswunden noch stärker weh, und ich stöhnte auf.

„Ich habe dich“, sagte Cole. „Es wird dir nichts mehr passieren, dafür sorge ich.“

Stunden schienen vergangen zu sein, bis wir aus dem Wald traten. Plötzlich konnte ich Partygeräusche hören, gedämpfte Stimmen, Lachen, schnelle hämmernde Musik, auch klatschendes Wasser. Einige mussten sich im Pool vergnügen.

Ich versuchte, mich aus Coles Armen zu winden. Die Bewegungen verstärkten die Schmerzen, aber das kümmerte mich nicht. Ich wollte nicht, dass mich jemand so sah, doch er war zu stark, als dass ich etwas ausrichten konnte.

„Bleib ruhig“, sagte er leise. „Es gibt einen unterirdischen Gang in den Raum, den du und Kat entdeckt habt. Wir können dich da verarzten. Niemand wird dich sehen, das schwöre ich dir. Und du wirst dich erholen, hörst du mich? Ich habe dir das Gegenmittel gegeben. Du musst noch behandelt werden, doch das Schlimmste, was dir passieren kann, ist, dass du zu spät nach Hause kommst und deine Großeltern dir ein paar Wochen Stubenarrest verpassen.“

Vielleicht. Aber meine Großeltern würden sich jede Minute mehr Sorgen machen, die ich zu spät kam. Das konnte ich nicht zulassen. „Muss … anrufen …“, presste ich hervor. Der Schmerz … war einfach zu viel … zu viel … „Darf sie nicht …“

„Frosty wird ihnen ein Schlafmittel geben, okay? Ohne ihnen einen Schreck einzujagen“, fügte er hinzu, weil er offenbar meinen Protest erwartete. „Sie werden gar nicht mitbekommen, dass er da war. Sie werden die ganze Nacht schlafen und morgen früh frisch und gesund wieder aufwachen. Ihnen wird allerdings immer noch klar sein, dass du zu spät gekommen bist, dagegen kann ich nichts machen. Es ist nämlich schon fünf vor halb und Frosty wird erst in fünfzehn Minuten da sein können. Sie werden aber nicht erfahren, wann genau du zu Hause warst.“

Seine Stimme hallte plötzlich. Wir mussten wohl in diesem Tunnel sein. Der unterirdische Gang. Wenn ich jetzt schrie, mir war dringend danach zu schreien, würde das bis in alle Ewigkeit in Coles Ohren nachklingen und ihm endgültig beweisen, dass ich ein Schwächling war. Das darf ich nicht zulassen.

Mir war nicht klar, was schlimmer war, der mögliche Verlust meines Ansehens oder die Tatsache, dass ich ins Höllenfeuer gefallen war.

Als Cole stehen blieb, schaffte ich es, einen Schrei zu unterdrücken und nur aufzustöhnen. Ich hörte Fußgetrappel, dann das Quietschen von Türscharnieren. Cole ging weiter, und ich wurde auf eine kalte harte Oberfläche gelegt. Kurz darauf waren um mich herum Stimmen, männliche und weibliche.

„Wie viele haben sie erwischt?“

„Acht habe ich gesehen. Können mehr gewesen sein. Sie ist von einem ganzen Rudel über das Grundstück gejagt worden.“

„Wie lange war sie ihnen ausgeliefert?“

„Keine Ahnung. Aber ich habe mich noch vor einer Stunde mit ihr unterhalten, da war alles in Ordnung.“

„Irgendwelche Überlebenden?“

„Nein, Sir.“ Stolz klang in seinem Tonfall mit. „Wie schwer sind Alis Verletzungen?“

Das folgende Schweigen war brutal, es zerrte an meinen restlichen intakten Nerven.

„Sehr schwer. Die Kontamination ihres Geistes hat sich auf die Muskeln übertragen. Wenn ihre Knochen betroffen sind …“

Cole fluchte fürchterlich.

„Helft … mir …“, brachte ich heraus. Hört auf zu reden und helft mir! Es ging mir jede Sekunde schlechter.

Mein Hemd wurde aufgeschnitten, vielleicht sogar mein BH. Die Schmerzen beschäftigten mich zu sehr, als dass ich mir Sorgen um die Peepshow machte, die ich womöglich gerade bot. Was das anging, der Schmerz war so stark, dass mich mein Image nicht mehr interessierte. Ich schrie mein Elend laut hinaus. Wer auch immer mir die Klamotten vom Körper schnitt, hörte nicht damit auf. Meine Stiefel und die Jeans wurden schnell entfernt.

Ich spürte etwas Kaltes an der Wunde in meinem Hals, bäumte mich auf und schrie noch einmal. Dieser Schmerz … Ich dachte, ich hätte vorhin das Schlimmste erlebt, doch das hier war echter Schmerz. Eine Tortur in ihrer reinsten Form. Schmerz, Schmerz, Schmerz.

„Gib ihr eine Spritze!“, rief Cole.

Ich wollte etwas fragen, es war jedoch nicht greifbar. Das nervte mich. Ich bewegte mich unruhig, mir wurde sogar übel. Vielleicht kam das vom Zombiegift oder dem Gegenmittel oder was auch immer sich in meinem Innern breitmachte.

Nach einem Stich in meinen Oberarm breitete sich Wärme in mir aus. Schwindel überschattete den Schmerz und lenkte mich ab. Mit einem Mal schwebte ich durch einen See von Wolken.

Schwebte … hinweg … schwebte … zurück …

Ich kämpfte gegen die Rückkehr in meinen Körper an, wollte in diesem nebligen Nirgendwo bleiben, in dem Probleme der Vergangenheit angehörten und mir nichts wehtun konnte, doch diesen Kampf verlor ich genauso wie den gegen die Zombies.

Zombies.

Das war die Halteleine, die mich endgültig ins Bewusstsein zurückholte. Ich fiel … blieb … nicht in der Lage, wieder zu flüchten.

Mein Magen rebellierte, sandte stechenden Schmerz nach oben und nach unten. Ich stöhnte. In meinem Kopf schien sich nur noch eine riesige Portion Gelee zu befinden, meine Augenlider fühlten sich an wie zugeklebt. Ich musste mehrmals heftig blinzeln, um die Augen öffnen zu können. Versuchte etwas zu erkennen. Im Hintergrund hörte ich ein leises, regelmäßiges Piepen. Es roch stark nach Desinfektionsmittel, doch der Geruch konnte den widerlichen Gestank nach Verwesung nicht überdecken.

Eine viel zu grelle Lampe hing über mir, die hin und her schwang. Das Letzte, an das ich mich erinnerte, war die Party, die Zombies. Laufen, gejagt werden, kämpfen. Zähne, die sich in mich gruben. Wie war ich hierhergekommen? Und überhaupt, wo war ich?

Mein Herzschlag beschleunigte sich, gleichzeitig wurde das Piepen im Hintergrund schneller. Ich versuchte mich aufzusetzen, bekam aber meine Handgelenke nicht frei. Vorsichtig drehte ich den Kopf und schrie auf. Bei der Bewegung schoss mir sofort messerscharfer Schmerz durch Hals, Arme und den Rest meines Körpers.

„Ganz ruhig“, sagte jemand.

Bin nicht allein. Angespannt schaute ich mich um. Ich sah niemanden. „Wer ist da?“

„Und beweg dich nicht“, fügte jemand anders hinzu. „Sonst reißen die Wundnähte wieder auf.“

„Du bist außerdem festgegurtet.“ Die weibliche Stimme kam mir bekannt vor, ich konnte sie nur nicht einordnen.

Festgegurtet? Schließlich fiel mein Blick auf meine Handgelenke. Sie waren mit Gurten an die Liege geschnallt. „Lasst mich sofort frei!“ Ich hatte schreien wollen, brachte jedoch nur ein Krächzen rau wie ein Reibeisen heraus.

„Wenn du nicht gleich Ruhe gibst, werde ich dir noch ein Beruhigungsmittel geben müssen, aber du willst doch bei Bewusstsein bleiben, oder, Ali Bell?“

Reeves Vater, Mr Ankh, kam hinter einem Vorhang hervor. Er hatte seinen teuren Anzug gegen einen blutverschmierten OP-Kittel eingetauscht. Um seinen Hals baumelte ein Stethoskop. Sein Haar stand in alle Richtungen ab, unter den Augen hatte er dunkle Ringe.

Neben ihm tauchte ein anderer Typ auf, größer als Ankh, jedoch nicht weniger zerzaust. Seine Gesichtszüge wirkten härter, ein Bartschatten bedeckte seine Wangen und das Kinn. Seine Augen waren stahlblau, auf dem Nasenrücken entdeckte ich einen leichten Höcker. Gesicht und Kleidung waren schmutzig, aber die Hände sahen blitzsauber aus.

Hinter den beiden erschien Dr. Wright, eine Hornbrille auf der Nase, die Arme vor der Brust verschränkt. Statt ihres fließenden Kleids trug sie nun ein weites Oberhemd und Jogginghose, die offensichtlich zu lang war, sie hatte sie unten an den Knöcheln umgeschlagen. Irgendwie wirkte sie jetzt nicht mehr so autoritär.

„Wie fühlst du dich, Ali?“, erkundigte sie sich. „Du warst fast die ganze Nacht über besinnungslos.“

„Ich fühle mich, als sollte mich jemand unbedingt freilassen. Kleiner Tipp, dieser jemand sind Sie!“

Hinter diesen drei Leuten meldete sich nun noch eine Stimme zu Wort: „Sie wollen dir nur noch ein paar Fragen stellen. Je eher du bereit bist, desto schneller wirst du frei sein.“

Angespannt beobachtete ich, wie Cole zur Tür hereinkam. Er hatte sich nicht umgezogen, obwohl sein Hemd und seine Jeans mit Blutflecken übersät waren. Mein Blut wahrscheinlich. Eine weiße Baseballkappe bedeckte seinen Kopf, darunter schauten die schwarzen Haare hervor. Der Schirm der Mütze überschattete seine Augen.

„Wer ist das?“, wollte ich wissen und hob das Kinn in Richtung des Mannes, den ich nicht kannte.

„Mein Vater. Er heißt Tyler.“

Ich riss die Augen auf und starrte den Typ mit den harten Gesichtszügen an. Jetzt, nachdem ich wusste, wer er war, konnte ich die Ähnlichkeit zu Cole erkennen. Die gleichen hohen Wangenknochen, das störrische Kinn.

„Okay.“ Ich bemühte mich, mich auf der harten Liege etwas zu entspannen. „Ich bin bereit.“

Mr Holland begann als Erster. Irgendwie konnte ich ihn nicht Tyler nennen. Das war zu freundschaftlich, und er war ja alles andere als ein Freund.

„Woher hast du gewusst, wo sich die Fallen befinden? Eigentlich hätte das niemand wissen können, es sei denn, er spioniert uns aus.“

Sollte ich das ehrlich beantworten oder nicht? Vielleicht bedeutete ja die Fähigkeit, das Glühen zu erkennen, dass ich eine Monster-Jägerin war - eine mit diesen erweiterten Fähigkeiten, die in dem Tagebuch erwähnt wurden, vielleicht auch nicht. Vielleicht würde das alles Misstrauen und die Feindseligkeit mir gegenüber beenden, vielleicht auch nicht. Vielleicht würde es noch schlimmer werden.

Wie auch immer, ich erklärte es. Ich berichtete ihnen von den Leuchtfeldern. Ihre Gesichtszüge blieben unbewegt und distanziert, selbst während sie Blicke tauschten, als wollten sie sehen, was die anderen davon hielten.

Sie forderten mich auf, die Lichtfelder zu beschreiben, und ich versuchte das in einem neutralen Tonfall, ohne meine Gedanken zu verraten. Was glaubten diese Idioten denn, wie sie aussahen? Ich musste ihnen die Farbe auf einer Skala zeigen, die auf dem Bildschirm eines Laptops abgebildet war. Wer hätte gedacht, dass es solch eine Menge Weißtöne gab? Sie löcherten mich mit Fragen nach meinem Vater, was er gesagt und getan hatte, dann zu meinen Großeltern, die sie nie kennengelernt hatten.

„Ich glaube, ich weiß, was du gesehen hast“, meldete sich Mr Ankh. „Oder besser, woher das Leuchten kam.“

Als er nicht weiterredete, schnappte ich: „Ja. Und?“

Ich warf Mr Holland einen finsteren Blick zu, bis er nickte und Mr Ankh sagte: „Die Blutlinien.“

Cole hatte erwähnt, dass um ein Gebäude eine bestimmte Chemikalie gesprüht wurde, um die Kreaturen fernzuhalten, aber weshalb sollten sie die Bäume besprühen?

Mr Holland fuhr sich mit der Zungenspitze über einen Schneidezahn. „Die Zombies kamen zu einer Zeit, die vollkommen außer der Reihe ist. Wieso?“

„Woher soll ich das wissen?“, erwiderte ich. „Warum sagen Sie mir das nicht? Offensichtlich wissen Sie ja darüber viel besser Bescheid als ich.“

„Du musst irgendwas wissen“, sagte er. „Wie hättest du sonst diese Angriffe überleben können?“

Wut stieg in mir hoch. „Wollen Sie etwa behaupten, dass ich mit den Zombies unter einer Decke stecke? Dass ich die bezahlt habe, damit sie so tun, als würden sie mich angreifen, sodass ich Sie davon überzeugen kann, dass ich in die Gruppe aufgenommen werde?“

„Ist es so?“, entgegnete Mr Holland.

„Ja, genau, so war‘s“, sagte ich sarkastisch. „Ich war gestern Nacht mit Zombie Carl zum Dinner. Sie wissen schon, rohe Steaks und so, und eine Flasche Blutgruppe A. Er hat mir alle seine Geheimnisse verraten, aber leider muss ich Sie enttäuschen, ich habe ihm versprochen, nichts weiterzusagen. Als Gegenleistung hat er mir vorgeschlagen, ich solle mich mit den Untoten zusammentun und auf dem Grundstück meiner Freundin ein bisschen herumschlendern. Ach so, und es war völlig in Ordnung, dass sie mich zwischendurch als Abendbüffet benutzt haben, wer braucht heutzutage schon Organe?“

Cole wandte sich ab, und ich hörte ihn merkwürdig husten. Lachte er etwa?

Wie konnte er es wagen! Es war mein Leben, über das ich sprach.

Ich hätte meine Lippen versiegeln sollen, um nicht noch weiter zu seiner Belustigung beizutragen, aber die Wut war stärker. „Sie wissen ja, die Chance besteht, dass Sie die beste Kämpferin hier in diesem Raum vor sich haben. Ist Ihnen der Gedanke jemals gekommen?“ Egal, dass ich fast gestorben wäre. „Wenn Sie mehr drauf hätten, würden Sie sich vielleicht nicht so darüber wundern, dass jemand besondere Fähigkeiten hat.“

Die drei Erwachsenen starrten mich an.

„Und nur um eins mal klarzustellen“, sagte ich zu Coles Vater. „Was genau denken Sie eigentlich, was ich getan habe oder was ich vorhaben könnte? Glauben Sie etwa, ich erzähle den Leuten von Justin Silverstone jetzt alles? Okay, werde ich nicht. Wenn ich Cole richtig verstanden habe, sind deren Aktionen reichlich fragwürdig. Ich habe viel zu viel zu verlieren.“

Ich wartete, aber es kam keine Antwort. Sie starrten mich nur weiter an. Meine Mutter hatte diegleiche Technik angewandt, deshalb wusste ich, sie hofften, ich würde die Stille nun mit all meinen Geheimnissen füllen.

„Behandeln Sie alle Neuankömmlinge so?“, wollte ich wissen. „Haben Sie Mackenzie festgeschnallt und sie ausgefragt, bevor Sie sie in Ihrem stinkenden Haus aufgenommen haben?“

„Oh, oh“, murmelte Cole. „Jetzt wird es ernst.“

Ich achtete nicht auf ihn.

„Cole meint, du wärst die neugierigste Person, die er je kennengelernt hat.“

Mr Holland rieb sich den Nacken, eine Geste, die ich schon mehrmals bei Cole beobachtet hatte.

„Aber wenn du glaubst, wir beantworten alle Fragen, ohne uns vorher über deine Intention klar zu sein, bist du dumm. Justin hat uns betrogen. Er hat diesen Leuten beigebracht, wie man Zombies jagt - wie man uns jagt. Das sind keine Typen, die ein Nein als Antwort akzeptieren. Sicher würden sie sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, ein Mädchen in unsere Gruppe zu schmuggeln, um uns von innen zu zerstören. Sie wollen uns loswerden, nicht diese Monster.“

„Warum?“

„Warum schon? Wir bekämpfen diese Kreaturen und behindern so ihre Forschung.“

Ich verkniff mir die Bemerkung, dass er hier der Dummkopf war. Er hatte gerade eine meiner Fragen beantwortet, ohne einen von ihm so ersehnten Beweis hinsichtlich meiner Intentionen. „Ich kann es nicht glauben, dass Sie ernsthaft denken, ich wäre auf Sabotage aus. Das würde doch bedeuten, dass ich den Autounfall, der mein Leben zerstört hat, selbst verursacht hätte.“ Ich wollte das Wort „zerstört“ mit einer Geste unterstreichen, aber die Handfesseln verhinderten das. „Vielleicht habe ich ja sogar meine eigene Familie ermordet, um die Zombies und deren Handlanger auf meine Seite zu ziehen und mich in ihre Reihen eingliedern zu können.“

Mr Holland zeigte kein Erbarmen. „Glaub mir, alles ist möglich.“

Das bedeutete, ich war nicht glaubwürdig, egal was ich von mir gab. „Okay. Angenommen, ich arbeite mit denen zusammen. Wonach suche ich dann eigentlich?“

Aus irgendeinem Grund begann Cole jetzt laut zu lachen, ohne zu versuchen, es zu unterdrücken. Mr Holland warf ihm einen strengen Blick zu, der ihm eindringlicher als alle Worte zu verstehen gab, dass er ruhig sein sollte. Das ersparte mir die Arbeit.

„Was denn?“, sagte Cole. „Ihr werdet sie nicht einschüchtern. Glaubt mir, ich hab‘s versucht.“

Mr Ankh sagte: „Sie wollen anhand ihrer Untersuchungen an Zombies herausfinden, wie man unsterblich wird. An uns interessieren sie geistige Fähigkeiten jenseits aller Vorstellungskraft. Was sonst?“

Vielleicht glaubten sie mir ja endlich, eventuell war das aber nur Allgemeinwissen unter Zombie-Jägern und Overalls. Wie auch immer, es war mir egal. Ich hatte Mühe, das zu verdauen, was er gerade gesagt hatte. Die hofften, eine Möglichkeit zu finden, dass die Menschen für alle Ewigkeit als verwesende wandernde Geister weiterlebten? Echt nicht cool.

„Wie sind denn diese Zombies überhaupt entstanden?“

Die beiden Männer wechselten einen Blick, bevor Mr Holland mir antwortete. „Zombies existieren, weil das Böse existiert. Wir wissen nicht genau, wie sie entstehen, wir können es nur vermuten.“

„Wir denken, die Quelle des Bösen war vor uns da und hat das menschliche Leben nach und nach infiltriert“, fügte Dr. Wright hinzu. „Es hat sich ausgebreitet wie eine Krankheit, die nicht behandelt wird, ist stärker und schlimmer geworden.“

Die Männer sahen sie stirnrunzelnd an, beschwerten sich aber nicht.

Ich war geneigt, ihre Version zu glauben. „Wie ich schon gesagt habe, ist meine Familie bei einem Autounfall ums Leben gekommen, den diese Kreaturen verursacht haben. Ich würde niemals mit ihnen zusammenarbeiten oder mit irgendjemandem, der sie unterstützt.“

Mr Holland kam einen Schritt näher, während er mir direkt in die Augen blickte. „Meine Freunde und ich haben deinen Vater früher einmal im Sommer aus Spaß nachts aus dem Haus geschleppt. Die Zombies waren entweder mir gefolgt oder auf der Jagd nach ihm, denn sie kamen wie aus dem Nichts und griffen uns an. Er und ich waren die Einzigen, die reagiert haben. Das war das erste Mal, dass mir so etwas passiert ist. Am nächsten Tag bin ich zu ihm gegangen, um mit ihm zu reden, doch er hatte seine Sachen gepackt und ist mit deiner Mutter weggezogen.“

Tränen traten mir in die Augen, als mir klar wurde, wie mein Vater in jener Nacht gelitten haben musste. Ich wollte Mr Holland dafür hassen, wirklich, aber ich hatte ihn keineswegs besser behandelt, oder?

„Es tut mir leid“, sagte Mr Holland schroff. „Es tut mir auch leid, was du durchgemacht hast.“

Ich spürte, dass meine Wangen nass waren, und schluchzte leise auf. „Danke.“

Ich glaube, Mr Ankh wurde die Situation nun unangenehm, denn er wechselte schnell das Thema.

„Warum hast du in meinem Haus herumgeschnüffelt?“

„Und wieso war Kat dabei?“, fügte Dr. Wright hinzu. „Hat sie was mit der Sache zu tun?“

Niemals würde ich Kat verraten. „Nein, sie hat gar nichts damit zu tun. Wir haben ein ruhiges Plätzchen gesucht, um uns unter vier Augen zu unterhalten, das ist alles. Außerdem können Sie uns keinen Vorwurf daraus machen, dass wir herumgewandert sind. Sie wussten doch von der Party und hätten wissen müssen, dass die Kids trinken und durchs Haus laufen. Sie hätten den Rest absperren sollen.“

„Das habe ich getan“, sagte er.

„Okay, irgendjemand hat‘s dann wohl wieder rückgängig gemacht.“

Die Erwachsenen rückten zusammen und flüsterten miteinander. Beschlossen sie nun mein Schicksal? Ob ich es wert war, in ihrer Gruppe mitzumachen oder nicht? Vielleicht war es ihnen ja entgangen, aber Cole hatte mir bereits die Richtung gewiesen.

Was hockst du denn hier noch rum? Jetzt ist deine Chance, in Aktion zu treten. Obwohl Cole mich so beobachtete, dass ich die Hitze seines Blicks förmlich auf mir spürte, begann ich etwas ungelenk an den Handfesseln zu zerren. Schmerz durchzuckte mich, als sich dabei die Haut an den Wundnähten verzog, aber ich biss die Zähne zusammen und machte weiter. Hilflosigkeit war etwas, das ich nie wieder akzeptieren wollte.

Erfolg! Ich schaffte es, meine Hände freizubekommen. Ein kurzer Blick nach unten zeigte mir, dass sich die Wunden geöffnet hatten. Kleine Blutstropfen traten aus den Nahträndern. Das nehme ich in Kauf.

„Wir haben beschlossen, dir zu vertrauen“, sagte Mr Ankh. „Wir behalten dich aber im Auge, nur damit du Bescheid weißt.“

„Wahnsinn“, erwiderte ich trocken. „Sie haben wohl nicht mit Cole geredet. Er hat nämlich andere Vorstellungen.“

„Wir wissen, dass er dich eingeladen hat, sich uns anzuschließen. Und wir wissen auch, dass er die Einladung wieder zurückgenommen hat, beides ohne unsere Erlaubnis. Insofern zählt weder das eine noch das andere“, sagte Dr. Wright.

Mr Holland sah seinen Sohn an. „Sie gehört dir, Cole. Viel Glück.“

Damit verließen die drei Erwachsenen den Raum.

Cole kam an meine Krankenliege und hockte sich neben mich. Ich beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Er nahm seine Kappe ab und strich sich mit den Fingern durchs Haar.

„Du kannst mich ruhig ansehen“, sagte er. „Es ist fast Morgen, und du bist einmal nachts aufgewacht. Wir hatten unsere Vision heute schon.“

„Wie bitte?“

„Okay, ich hatte eine.“

„Was hast du gesehen?“

„Eine Wiederholung der ersten Vision.“

Küsse. „Na ja, das kannst du vergessen.“ Ich rückte von ihm ab und vermied es, ihn zu berühren. Er merkte es - und beugte sich zu mir herüber.

Ich blieb auf der Stelle liegen. Er wollte die Berührung, also würden wir uns berühren, aber es würde keine Bedeutung haben. Das würde ich nicht zulassen. „Wohin geht das Trio infernal denn? Und warum hast du vorhin gelacht?“

Sein Mund verzog sich zu einem leichten Grinsen. „Weil du so süß bist, wenn du so viele Fragen stellst, die kein Mensch beantworten kann. Trotzdem werde ich es versuchen. Die drei sagen jetzt den anderen, dass sie dich anständig behandeln sollen.“

Er nahm meine Hand und begutachtete das Gelenk, ohne darauf einzugehen, dass ich es einfach zuließ.

„Das ist genau das, was ich vermeiden wollte. Dass du verletzt wirst.“

„Ich habe dir gesagt, ich würde für die Sache sterben.“

„Vielleicht musst du das auch.“

Ich reagierte wie er so oft mit Schweigen, bis er mit dem Daumen leicht über eine meiner Wunden strich und ich aufstöhnte.

Sofort hörte er auf, und sein Gesichtsausdruck wurde weich. „Es tut mir leid, dass ich nicht zur Stelle war.“ Seine Stimme versagte fast. „Also, ja. Es gibt kein Zurück mehr für dich. Du hängst jetzt mit drin.“

Wie bedrohlich er sich plötzlich anhörte. „Für Justin gab es offensichtlich ein Zurück.“

„Ja, und sieh dir an, was uns das eingebracht hat.“ Cole stand auf, ging zu einem Gestell mit allen möglichen Utensilien darauf und schob es herüber. „Wir werden diesen Fehler nicht noch einmal machen. Wenn du nicht für uns bist, bist du für sie. Und mit deiner Fähigkeit, die Blutlinien zu sehen, sobald du dich in Geistform befindest, können wir nicht zulassen, dass du dich ihnen anschließt.“

Okay, wir sind also von bedrohlich zu direkter Bedrohung übergegangen. „Du würdest mich umbringen?“

Ein Muskel zuckte in seiner Wange. „Ich nicht, nein.“

Aber andere würden es tun. „Ich muss schon sagen, bis jetzt finde ich die Umgangsformen in meinem neuen Team nicht gerade ansprechend.“ Ich hatte nicht offiziell beschlossen, mich dieser Gruppe anzuschließen, doch so, wie es aussah, war die Sache bereits ohne mich entschieden worden. Unbestritten. Das lag nicht in meiner Macht.

Er reinigte meine frischen Wunden. „Du wirst sie bald lieben. Sie sind diejenigen, die dich beschützen.“

Und ich wäre angehalten, sie zu beschützen. „Dann kann sonst keiner die Blutlinien sehen, wenn er sich in Geistform befindet?“

„Niemand, der zurzeit am Leben ist, aber vor einigen Jahren gab es einen Typen, der es konnte. Er war der Boss von meinem Vater und seinen Freunden.“

Ich dachte an das Tagebuch. Womöglich hatte dieser frühere Anführer es ja verfasst. „Hat er gern verschlüsselte Botschaften geschrieben?“

Cole sah mich stirnrunzelnd an. „Wie kommst du denn darauf?“

„Ach … das sage ich dir später. Vielleicht. Sollte ich dir jemals wieder vertrauen.“

Er öffnete den Mund, als wollte er etwas fragen, schließlich nickte er. „Das ist nur fair. Und weil ich weiß, wie gern du Details erfährst, werde ich dir verraten, ohne dass du danach gefragt hast, dass niemand je herausgefunden hat, warum er es konnte und andere nicht.“

„Was ist mit ihm passiert?“, wollte ich wissen. Dann presste ich verärgert die Lippen zusammen. Mehrere Male hatte er schon Bemerkungen über meine vielen Fragen gemacht. Ich sollte meinen Mund besser im Zaum halten.

„Er ist bei einem Angriff umgekommen, das war alles.“

Cole hatte meine Wunden gereinigt und wickelte mir nun um beide Handgelenke einen Verband.

Also kannten sie nur zwei Menschen mit dieser Fähigkeit. Im Tagebuch stand, dass wir alle Fähigkeiten erwerben können, wenn wir die Kräfte in uns mobilisieren. Vielleicht waren der Typ und ich die Einzigen, die das geschafft hatten.

„Du hast viele tiefe Bisse“, sagte Cole, „doch das Antiserum hat das Gift neutralisiert. Die nächsten Tage wirst du ziemlich müde sein und nicht so stark oder so schnell wie sonst, aber du erholst dich wohl vollständig.“

Er hatte das gesagt, als bestünde die Möglichkeit, dass das Antiserum nicht wirkte, und ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Erleichtert, weil ich es geschafft hatte, oder schockiert, weil ich hätte sterben können. „Hast du … ich meine, du bist sicher auch schon gebissen worden.“

„Öfter, als ich zählen kann. Je länger die Zombies leben, um es mal so auszudrücken, desto schlauer werden sie. Sie lernen, wie man die Fallen umgeht, bisher aber noch nicht, wie sie die Blutlinien übertreten können. Sie arbeiten zusammen. Spüren ihre Ziele auf. Kommen aus dem Hinterhalt.“

Die Ausdrucksweise ließ mich stutzen. Ich bin aufgespürt worden. Bridezilla und ihr Bräutigam waren viele Nächte im Wald hinter unserem Haus aufgetaucht, dann bei Reeve. Offensichtlich hatten sie es auf mich abgesehen.

„Diese Blutlinien …“, sagte ich, ohne eine Frage zu stellen.

„Du willst mehr darüber wissen?“

Ich nickte.

Ein Funkeln erschien in seinen Augen. „Sie entwickeln eine Energie, die Dinge in der geistigen Sphäre zu fester Materie werden lassen, so können die Zombies sie nicht durchdringen. Diese Energie gibt außerdem einen Duftstoff ab, der die Kreaturen abstößt. Deshalb waschen wir auch unsere Sachen in einer verdünnten Mixtur der Chemikalie. Das Einzige, was sie nicht festigen kann, ist der menschliche Körper.“

Faszinierend. „Ich will was davon haben.“

„Nachdem ich dir beigebracht habe, wie man es richtig anwendet.“

„Wann?“

„Bald.“

Dagegen konnte ich wohl kaum etwas sagen, aber ich hätte es gern. „Kämpft dein Vater auch?“ Na gut, verdammt. Noch eine Frage.

„Nein. Er hat eine Allergie gegen das Antiserum entwickelt, deshalb muss er sich zurückhalten.“

Etwas in seinem Tonfall ließ mich vermuten, dass alle irgendwann eine Allergie dagegen entwickelten, aber darüber würde ich mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen. „Was passiert nun als Nächstes?“

Der Blick, den Cole mir zuwarf, vermittelte mir das gleiche beruhigende Gefühl wie eine Decke aus Glasscherben.

„Du gehst nach Hause, ruhst dich aus und wirst dir Lügen für deine Großeltern zurechtlegen. Sobald du dich erholt hast, fängst du mit dem Training an.“