Ende einer kleinen Geschichte, die nie endet

 

»Herr« Don Camillo wandte sich an den gekreuzigten Christus auf dem Hauptaltar , »schon seit zwei Wochen weile ich wieder im Schatten meines Glockenturms, und immer noch spüre ich den Kummer, der mich auf meiner ganzen Reise begleitet hat, auf dem Herzen lasten. Kummer, Herr, nicht Furcht. Es gab keinen Grund, Furcht zu haben. Ich hatte nur Anlaß, mich meiner selbst zu schämen. Ich fühlte die Demütigung des alten Soldaten, der, sonst an offenes Visier gewöhnt, die Uniform des Feindes trägt und sich in seine Reihen schleicht, um seine Bewegungen auszuspionieren oder Fallen zu stellen. Was für eine Qual: das Kruzifix mit den faltbaren Armen, das im Füllfederhalter versteckt war, das als ›Maximen Lenins‹ getarnte Brevier, die heimlichen Messen, die ich vor dem Tischchen meines Hotelzimmers gelesen habe. Was für eine Qual...!«

»Don Camillo, quäle dich nicht«, antwortete Christus sanft,

»du hast nicht aus Feigheit so gehandelt oder um deinen Nächsten hinterrücks zu überfallen, sondern um deinem Nächsten zu helfen. Wenn dein Nächster vor Durst stirbt

verzichtest du dann vielleicht darauf, ihm den Schluck Wasser, der ihm das Leben wiedergeben wird, zu reichen, nur darum, weil du dein Wesen verleugnen und dich vor dir selber lächerlich machen müßtest? Das Heldentum des Soldaten Christi ist die Demut, und sein wahrer Feind ist der Stolz. Glücklich die Demütigen!«

»Herr«, widersprach Don Camillo, »Ihr redet von der Höhe dieses Kreuzes, das der stolzeste Thron des Weltalls ist und das Ihr erobert habt, indem Ihr mit offenem Visier kämpftet. Nie habt Ihr Euer Wesen verheimlicht. Nie habt Ihr Euch der Menge in den Gewändern des Teufels gezeigt

»Don Camillo, ist es vielleicht nicht Demut für den Gottessohn, wie ein Mensch zu leben und ans Kreuz genagelt zu sterben, zwischen zwei Schächern? Don Camillo, sieh deinen Gott! Sieh sein armes, gemartertes, entblößtes Fleisch und die schändliche Dornenkrone, die er auf seinem Haupte trägt. Ist das vielleicht nicht ein armer Christus

»Herr«, bestand Don Camillo auf seinen Worten, indem er die Augen zum gekreuzigten Christus hob, »ich sehe Euch, aber meine Augen sehen nur das göttliche Licht Eures erhabenen Opfers. Hingegen erhellt kein Licht, nicht einmal das dünne Flämmchen eines Zündhölzchens, die traurige Gestalt des

›Genossen Don Camillo‹.«

Christus erwiderte:

»Und die Flamme, die du in den Augen der alten Frau von Grevinec entzündet hast? Und die andere, die du in den Augen des verirrten Soldaten, seiner Frau und seiner Kinder angezündet hast? Don Camillo als der Sturm wütete und du auf dem Schiff dein kleines Kruzifix hervorzogst und es den Unglücklichen zeigtest, die sich schon an der Schwelle des Todes gla ubten, und du von Gott die Verzeihung ihrer Sünden erflehtest warum hat da keiner es lächerlich gefunden, daß der Genosse Tarocci sich wie ein Diener Gottes aufführte warum sind alle niedergekniet und haben sich bekreuzigt und diesen armen Christus mit den biegsamen Armen geküßt? Hast du dich nie gefragt, wie das sich ereignen konnte

Don Camillo war verwirrt.

»Ich«, stotterte er, »ich habe mich aufgeführt, wie jeder andere Diener Gottes sich aufgeführt hätte

»Ja, Don Camillo, doch wußte außer Peppone niemand, daß du ein Diener Gottes bist. Für die andern warst du nur der Genosse Tarocci. Also?«

Don Camillo breitete die Arme aus. Erst jetzt dachte er an diese seltsame Tatsache, und sie erschien ihm unglaublich.

»Also«, fuhr Christus sanft fort, »das bedeutet also, daß ein bißchen Licht auch vom Genossen Don Camillo ausstrahlt

Don Camillo war seit zwei Wochen zu seiner Basis zurückgekehrt, und seit zehn Tagen versuchte er, aufs Papier zu setzen, was alles er auf seiner Reise getan und gesagt und gesehen und gehört hatte.

Er wollte, daß der Bischof alles erfuhr, und zwar ganz genau, doch das Unternehmen war nicht leicht, weil der Bischof alt war und sein Gedächtnis ihn oft im Stiche ließ, aber mit der Sprachlehre war er noch vollkommen vertraut.

Von Peppone hatte Don Camillo, nachdem sie sich am Bahnhof in Mailand getrennt hatten, nichts mehr gehört.

Kaum hatten sie den Flughafen Berlin hinter sich, war der rumänische Neapolitaner aus dem Zug verschwunden. In Verona war der Genosse Tavan mit seinen drei Weizenpflänzchen ausgestiegen, und in Mailand hatten die Genossen Bacciga und Peratto, zusammen mit Don Camillo, die Gesellschaft verlassen.

»Warum willst du uns nicht bis Parma oder Reggio Emilia begleiten hatte Scamoggia Don Camillo gefragt, und Don Camillo hatte ihm erklärt, daß er wegen eines wichtigen Geschäftes in Mailand aussteigen müßte. Reine Wahrheit, denn Don Camillo hatte seine schwarze Schale in Mailand zurückgelassen und mußte sie dort holen.

Peppone hatte rasch die Rechnung gemacht. Während Don Camillo sich zum Verlassen des Wagens rüstete, hatte er Scamoggia Geld gegeben mit dem fröhlichen Ausruf:

»Jetzt sind wir bloß noch sechs! Fasse sechs Flaschen Wein, Genosse, eine je Kopf. Ich offeriere

Das Gelächter Peppones war Don Camillo in den Ohren geblieben, und in diesen zwei Wochen hatte er sich oft nach dem Grund dieser plötzlichen, lärmigen Fröhlichkeit gefragt.

Peppone selber erklärte es ihm, und das trug sich ausgerechnet am Abend des vierzehnten Tages nach der Heimkehr zu.

Don Camillo mühte sich gerade im Eßzimmer des Pfarrhauses mit seiner Berichterstattung ab, als jemand an die Haustüre klopfte. Es handelte sich um Peppone.

Zunächst hatte ihn Don Camillo nicht wiedererkannt. Er hatte einen senatorialen Peppone verlassen einen Peppone mit einem weichen Filzhut, mit einer Krawatte aus grauer Seide, einem hellen Hemd aus feiner Popeline und einem majestätischen Zweireiher. Und jetzt fand er vor sich den bäuerischen Peppone der vergangenen Zeiten einen Peppone mit ungebügelten Hosen, einer Barchentjacke, einem verwegenen Hut, dem Nastuch am Hals und dem Mantel auf den Schultern.

Er betrachtete ihn erstaunt und schüttelte dann den Kopf.

»Ach, mein armes Gedächtnis«, rief er aus, »ich vergaß, daß das arbeitende Volk in der Uniform des Senators leidet, wenn es in Rom ist, und in der Uniform des Bürgermeisters, wenn es in sein Dörfchen zurückkehrt. Nehmen Sie Platz! Es muß aber für Sie ein schöner Verdruß sein, stets nachts zu reisen. Bitte, nehmen Sie Platz

»Für das, was ich Ihnen zu sage n habe, kann ich auch stehen bleiben«, entgegnete Peppone finster. »Ich komme, um meine Schuld zu bezahlen

Er holte unter dem Mantel eine Kerze hervor und legte sie auf den Tisch.

»Das ist, um dem Ewigen Vater für meine Errettung aus dem Sturm zu danken

Don Camillo lächelte.

» ›In der Gefahr erinnern wir uns an Gott‹, sagte der Schiffskapitän ganz richtig beim Abschied zu mir. Aber leider vergißt man Gott nur allzu leicht, wenn die Gefahr vorbei ist.

Sie haben ein gutes Gedächtnis, und darüber freue ich mich ehrlich

»Und das ist, um dem Ewigen Vater zu danken, daß er mich vor einem gewissen Priester, den mir der Teufel an die Fersen geheftet hatte, errettet hat!« erklärte Peppone traurig, zog unter dem Mantel eine zweite Kerze hervor und legte sie auf den Tisch. Es war eine reichverzierte Kerze, ein Meter zwanzig lang und fünfzehn Zentimeter im Durchmesser.

Don Camillo riß die Augen auf.

»Ich mußte sie extra herstellen lassen«, erklärte Peppone. »Sie hat schon ein Kaliber, aber um der Gefahr, die jener Priester darstellte, gemäß zu sein, müßte sie sechzehn Meter Höhe und einen Durchmesser von drei Metern haben

»Sie tun mir zuviel Ehre an«, erwiderte Don Camillo. »Ein kleiner Landpriester verdient keine so große Beachtung

»Es gibt kleine Landpriester, die gefährlicher sind als ein großer Papst«, stellte Peppone fest.

Dann warf er ein dickes Päckchen und zwei Briefe auf den Tisch.

»Es sind Sachen, die man an mich adressiert hat, damit ich sie dem Genossen Tarocci übermittle«, sagte Peppone. »Diese Geschichte gefällt mir nicht. Ich mache Sie darauf aufmerksam: Wenn noch anderes kommen sollte, werde ich es verbrennen

Don Camillo öffnete das Päckchen. Es enthielt einen Stoß großer Fotografien und einen Brief, den er rasch überflog.

»Es handelt sich...«

Peppone unterbrach ihn.

»Ihre Geschäfte kümmern mich nicht, Hochwürden

»Es sind nicht die Geschäfte des Hochwürden, sondern des Genossen Tarocci. Und der Zellenchef Tarocci hat die Pflicht, seinen direkten Vorgesetzten zu informieren. Der Brief ist vom Genossen Peratto. Er schickt mir eine Reihe Fotos, damit ich darüber verfüge, wie ich es für gut halte. Beachten Sie diese Gruppe, wo Sie und ich im Vordergrund stehen! Ist sie nicht interessant

Peppone ergriff das Bild, schaute es an und sagte dann verbissen:

»Ich will hoffen, daß Sie mir kein weiteres Unheil bescheren

»Seien Sie beruhigt, Senator. Der Genosse Peratto schickt mir auch eine Serie inoffizieller Fotos und wünscht von mir, daß ich sie unterbringe, ohne den Namen des Fotografen zu nennen. Er hat es nötig, etwas Geld zu verdienen. Es scheint, daß die Partei ihn ziemlich schlecht bezahlt. Ich werde schauen, ihn zufriedenzustellen

»Würden Sie tatsächlich eine solche Lausbüberei begehen

schrie Peppone.

»Wie Sie meinen«, antwortete Don Camillo und übergab ihm die Aufnahmen. »Wie aber, wenn wir ihn nicht zum Schweigen bringen, und er dann den Parteizeitungen die Fotos schickt, die auch mich zeigen, und die Zeitungen sie veröffentlichen

Peppone ließ sich auf den Stuhl fallen und wischte sich den Schweiß ab, der ihm die Stirne netzte.

»Genosse, ich habe es Ihnen schon gesagt. Ich will Sie nicht in die Patsche bringen. Wählen Sie die Fotos aus, die den Parteizeitungen zu schicken sind, und überlassen Sie das übrige dem Genossen Tarocci

Während Peppone, nunmehr heiterer, die Aufnahmen durchsah, las Don Camillo den zweiten Brief und berichtete.

»Es ist vom Genossen Tavan. Er bedankt sich, weil er so getan hat, wie ich ihm riet, und seine Mutter ist zufrieden. Die drei Weizenpflänzchen sind gesund und munter angekommen, und er hat sie sofort verpflanzt. Er sagt, er gehe täglich sie anzusehen, manchmal auch zweimal am Tag. ›Wenn sie sterben sollten‹, schreibt er, ›wird mir sein, als ob mein Bruder nochmals sterben würde.‹ Er bittet mich, den Genossen Senator zu grüßen und ihm zu danken

Peppone grunzte und sah die Fotos weiter durch.

Der dritte Brief enthielt ein Blatt mit wenigen Zeilen und Geld.

»Er ist vom Genossen Gibetti«, teilte Don Camillo mit.

»Daheim ist ihm ein Verdacht gekommen, und er hat den Bericht übersetzen lassen. Er dankt uns und schickt tausend Lire, damit ich eine Messe für die Seele des Mädchens lese. Ich werde ihm die tausend Lire zurückschicken und jeden Monat für die Ärmste eine Messe lesen

Peppone schlug die Faust auf den Tisch.

»Das verstehe ich nicht«, rief er aus. »Wer hat diesen Blödianen gesagt, daß Sie ein Priester sind

»Niemand. Sie haben es gemerkt

»Und wie haben sie es angestellt, das zu merken

»Das ist eine Sache der Erleuchtung«, brummte Don Camillo.

»Ich bin kein Fachmann der Elektrizität, und ich könnte es schwerlich erklären

Peppone schüttelte den Kopf.

»Vielleicht bin ich schuld«, rief er aus, »vielleicht habe ich Euch, statt Euch ›Genosse‹ zu heißen, einmal als

›Hochwürden‹ angesprochen

»Das scheint mir nicht der Fall zu sein«, antwortete Don Camillo.

Peppone hielt ihm eine Aufnahme hin. Ganz im Vordergrund befand sich Yenka Oregow selig.

»Als ich ihn das letztemal gesehen habe«, sagte Peppone mit gesenktem Kopf, »war der Höhepunkt des Sturms vorbei. Wie ist es möglich, daß eine Woge ihn ins Meer riß? Was ist auf Deck vorgegangen, als wir uns unter Deck befanden

»Das weiß nur Gott rief Don Camillo aus. »Und nur er weiß, wie oft ich an diesen Mann gedacht habe und wie ich weiter an ihn denke

Peppone entließ seiner Brust einen endlosen Seufzer.

»Ich würde diese da gern mitnehmen«, sagte er und zeigte auf einen Stoß Fotos.

»Geht in Ordnung«, antwortete Don Camillo. »Und was machen wir mit den beiden Kerzen

Peppone zuckte die Achseln.

»Die große zündet Ihr für die Rettung vor dem Schiffbruch an«, bestimmte er.

»Alle beide also für die Rettung vor dem Schiffbruch«, schloß Don Camillo.

»Nein«, schrie Peppone. »Die kleine muß für die Rettung vor dem Priester angezündet werden

Peppone ging grußlos weg, und Don Camillo lief in die Kirche.

Es gab keinen Kandelaber, der die riesige Kerze fassen konnte, aber in der Sakristei fand er einen großen, schweren Bronzetopf, der dem Zwecke dienen konnte.

Als Don Camillo die Kerzen auf den Altar gestellt hatte, zündete er sie an und sagte dann:

»Herr, Peppone hat sich Eurer erinnert

»Auch deiner, wenn ich mich nicht täusche«, antwortete Christus lächelnd.

 

Als der alte Bischof den langen Bericht gelesen hatte, ließ er Don Camillo kommen.

»Jetzt«, sagte er, als er vor ihm erschien, »erzähle mir alles, was du geschrieben hast, und auch das, was du nicht geschrieben hast

Don Camillo erzählte einen halben Tag lang, und am Schluß rief der Bischof aus:

»Das ist nicht möglich! Bekehrung des Genossen Tavan, Bekehrung des Genossen Gibetti, Befreiung des Genossen Rondella, Befreiung des Rumänen aus Neapel, Messe und Kommunion für die alte polnische Frau, Weihe der Ehe ihrer Tochter mit dem Vermißten, Taufe ihrer sechs Kinder, Beichte des Auswanderers und seine Ehrenrettung, Messe für die toten Soldaten auf dem Friedhof. Dazu achtzehn Absolutionen in articulo mortis. Damit noch nicht zufrieden, bist du auch Zellenchef geworden! Und das alles in sechs Tagen und im Lande des Antichrists! Das ist nicht möglich

»Exzellenz, wenn mein Wort nicht genügt, wenn die Aufnahmen und die Briefe nicht genügen, so ist da auch das Zeugnis des Senators

»Auch noch das Zeugnis eines Senators stöhnte der alte Bischof. »Dann ist das Unglück nicht mehr aufzuhalten

Don Camillo sah ihn mit aufgerissenen Augen an.

»Verstehst du nicht, mein Sohn«, fuhr der alte Bischof fort, »wenn sich die Dinge so verhalten, werde ich gezwungen sein, dich zum Monsignore zu machen

Don Camillo kniete nieder. »Domine, non sum dignus! « sagte er und hob den Blick zum Himmel.

Der alte Bischof schüttelte den Kopf.

»Das gleiche habe ich vor vielen Jahren gesagt. Aber niemand hat mir Gehör geschenkt. Möge Gott dich beschirmen, mein Sohn

 

Ein weiterer Monat ging vorbei, und Don Camillo dachte immer weniger an sein unglaubliches Abenteuer, als er eines Morgens beim Verlassen der Kirche auf den Genossen Smilzo stieß, der mit großem Fleiß ein Plakat auf die Vordermauer des Pfarrhauses klebte.

Don Camillo ließ ihn seine Arbeit fertigmachen. Aber als Smilzo von der Leiter gestiegen war und sich wandte, stand er ihm vis-à-vis und erkundigte sich:

»Genosse! Wie wäre es, wenn jemand, die Tatsache nutzend, daß der Leim noch frisch ist, das Plakat von der Mauer löste und es dich fressen ließe

Smilzo lachte.

»Hochwürden, der Mensch, der das fertigbrächte, muß noch geboren werden

»Nimm den Fall, auf Grund einer verfluchten Hypothese, daß dieser Kerl vor einem Haufen Jahren geboren wäre und sich in diesem Augenblick vor dir befände

Don Camillo hatte den Smilzo bei den Armen gepackt und erweckte den Eindruck, ihn nicht mehr loslassen zu wollen.

»Dann«, gab Smilzo zu, »wäre die Lage anders

Don Camillo änderte das Register brüsk.

»Komme ich jemals, um auf die Fassade des Volkshauses Plakate zu kleben fragte er drohend. »Also, warum kommt ihr, um die Mauer meines Hauses mit eurem politischen Irrsinn zu besudeln

»Es handelt sich nicht um Politik«, berichtete Smilzo. »Es ist ein Plakat, das sich auf eine neutrale kulturelle Veranstaltung bezieht

Ohne seinen Griff zu lösen, schaute Don Camillo nach oben und las, daß am nächsten Abend im Saal des Gemeindetheaters der Senator Giuseppe Bottazzi, von einem Besuch der Sowjetunion zurückgekehrt, über seine Reise sprechen und auf jede Frage, die von den Bürgern an ihn gerichtet würde, antworten wollte.

Don Camillo ließ Smilzo los.

»Das ändert die Sache«, gab er zu. »Du hast recht. Hier handelt es sich um eine kulturelle Kundgebung ohne jeden politischen Hintergedanken. Wo bekommt man die Eintrittskarten

»Freier Eintritt für alle«, erklärte Smilzo und rückte Rock und Rippen wieder zurecht. »Jedermann kann intervenieren und Fragen stellen

»Auch ich?«

»Auch der Bischof samt der ganzen Kurie«, antwortete Smilzo und sprang vorsichtig ein paar Schritte zurück. »Wir arbeiten vor allem, damit die Priester sich Kultur verschaffen

Smilzo war schon aus der Gefahrenzone heraus, doch hatte Don Camillo ganz andere Dinge im Kopf als den Smilzo und ging wortlos ins Pfarrhaus.

Eine halbe Stunde später händigte ein Knabe Peppones Frau einen Brief aus, der wörtlich besagte:

»Lieber Genosse Senator, da mich die kulturelle Kundgebung von morgen sehr interessiert, werde ich unfehlbar kommen.

Inzwischen erlaube ich mir, diese Frage an Dich zu richten: Warum suchst Du Unheil? Grüße vom Genossen Tarocci

Es geschah noch in derselben Nacht, daß Peppone unvermutet nach Rom verreisen mußte.

Und am folgenden Morgen war Smilzo genötigt, den Rundgang durchs Dorf nochmals zu machen, um auf die Plakate einen Streifen zu kleben:

»Wegen unvorhergesehener schwerer Verpflichtungen des Redners wird die kulturelle Kundgebung auf ein späteres Datum verschoben

Auch diesmal befand sich Smilzo, nachdem er von der Leiter gestiegen war, die er unter dem Plakat an die Mauer des Pfarrhauses gelehnt hatte, vis-à-vis von Don Camillo.

»Schade«, bedauerte Don Camillo. »Wer weiß, wie lange der Klerus noch in der Dunkelheit des finstern Mittelalters verharren muß

Nachdem Smilzo die Leiter an sich genommen und die Zone der Sicherheit wiedergewonnen hatte, antwortete er ihm:

»Sorgt Euch nicht deswegen, Hochwürden. Im rechten Augenblick werden wir Euer Hirn aufhellen

In der Folge ergab es sich, daß das Datum der Kundgebung nicht neu festgelegt wurde. Der Regen sorgte dafür, daß die Plakate von den Mauern verschwanden, und niemand sprach mehr von der Geschichte.

 

Sechs Monate später begann Don Camillo, während er im Eßzimmer des Pfarrhauses Papiere ordnete, daran zu zweifeln, daß er sein Abenteuer wirklich erlebt hatte, denn er konnte zu keiner lebenden Seele davon reden. Vielleicht war es ein Traum gewesen.

Aber eines Morgens kam der Mesner und sagte, ein Fremder wolle ihn sprechen. Don Camillo bat ihn, diesen einzulassen, und sah kurz darauf den Genossen Nanni Scamoggia vor sich erscheinen.

Einen solchen Besuch hatte er nie erwartet, und eine Zeitlang fehlten ihm die Worte.

»Wieso bist du hier stammelte er schließlich.

»Weil die Züge auch romaufwärts verkehren«, antwortete Scamoggia. »Ihre Adresse habe ich von dem Genossen Bottazzi erfahren

»Ich verstehe«, brummte Don Camillo, der nichts verstanden hatte. »Und warum bist du zu mir gekommen

Der Genosse Scamoggia war immer noch der gleiche Bulle und bewies es mit der Art und Weise, wie er seine Zigarette anzündete und sich in den Schaukelstuhl beim Kamin hinflegelte. Aber seine Frechheit amüsierte Don Camillo nicht mehr, der die Augen voller Tränen der Genossin Nadia Petrowna nicht vergessen hatte.

»Ich sitze in der Patsche, Genosse... Hochwürden«, erklärte Scamoggia. »Es handelt sich um das bewußte Mädchen

»Was hat's gegeben

»Vor zwei Monaten ist sie in Rom angekommen, zusammen mit einer Delegation sowjetischer Frauen. Sie ist abgehauen und ist geblieben

»Und du?«

Scamoggia hob die Schultern.

»Als kämpfender Kommunist und Zellenchef konnte ich unmöglich mit einer Genossin, die das sowjetische Vaterland und die Partei verraten hat, verkehren

»Und dann warf Don Camillo ein.

»Dann mußte ich, um sie heiraten zu können, der Partei die Kündigung einreichen«, erklärte Scamoggia und warf seinen Stummel weg.

»Ist das die Patsche

»Nein«, antwortete Scamoggia, »das Unglück besteht darin, daß ich sie vor einem Monat geheiratet habe, und seit einem Monat raubt sie mir die Ruhe, weil ihr die staatliche Heirat nicht genügt. Sie will auch kirchlich getraut sein

Don Camillo schaute ihn aufgeheitert an.

»Wenn das ganze Unglück darin besteht, ist es nicht der Rede wert«, bemerkte er.

»Für Euch nicht. Vielen Dank! Aber für einen wie den Unterzeichneten, dem es den Magen kehrt, wenn er von Priestern reden hört, und der vom ersten bis zum letzten alle aufknüpfen würde, ist das Unglück groß

»Verstehe, Genosse«, rief Don Camillo. »Jeder ist frei, zu denken, was er für am besten hält. Aber wenn du so denkst, warum bist du gekommen, um es ausgerechnet mir zu sagen

»Damit es wenigstens ein Priester mit einigen Milderungsgründen ist, wenn ich ausgerechnet von einem Priester übers Ohr gehauen werden soll. Schließlich seid Ihr ein Ex-Genosse wie ich, in einem gewissen Sinne. Und in einem gewissen Sinne seid Ihr auch mein Ex-Zellenchef

»Ich kann dir nicht unrecht geben«, gab Don Camillo ehrlich zu.

Daraufhin wandte sich Scamoggia zur Tür, schrie »A Na

und es erschien die Genossin Nadia Petrowna, die, kaum hatte sie Don Camillo erblickt, sich auf ihn stürzte, um ihm die Hand zu küssen.

Scamoggia sah es mit einer Grimasse des Ekels.

»Welche Schande knurrte er. »Seit zwei Monaten ist sie in Italien, und schon kennt sie die Spielregeln, als ob sie seit ihrer Geburt hier gelebt hätte

Sie hatten alle Papiere in Ordnung, und die Ehe zu vollziehen war eine einfache Sache, die ohne Aufsehen erledigt wurde.

Natürlich mußte Peppone die Pille schlucken, als Brautzeuge zu fungieren. Es war jedoch keine zu bittere Pille, und er schluckte sie lächelnd.

Bevor die beiden Eheleute wieder gingen, nahm Don Camillo die Ex-Genossin Nadia Petrowna zur Seite und fragte sie, was dem Genossen Oregow zugestoßen sei.

»Eine böse Geschichte«, antwortete die Frau. »Als wir unter Deck waren, befahl der Genosse Oregow dem Kapitän, alle einzusperren und Euch und den Genossen Bottazzi zu fesseln.

Er sprach von einer Untersuchung wegen Verrats durch Spione des Vatikans. Er war wie verrückt. Er beschimpfte und bedrohte auch den Genossen Kapitän. So wurden sie handgemein, und ein Faustschlag des Kapitäns warf den Genossen Oregow gegen die Reling. In diesem Augenblick schlug eine Woge über Bord und nahm den Genossen Oregow mit. Das ist die Wahrheit, und nur Ihr, der Kapitän und ich kennen sie. Eine traurige Geschichte...«

Die beiden Neuvermählten gingen. Don Camillo und Peppone blieben, um sich am Feuer, das im Kamin des Eßzimmers brannte, zu wärmen.

Eine Zeitlang schwiegen sie, dann rief Don Camillo aus:

»Nehmen wir Notiz davon, ehe ich es vergesse

Er zog das bekannte Notizbuch aus der Tasche und erklärte:

»Ich muß meiner Liste zwei weitere Bekehrungen und eine zweite Heirat anfügen

»Schreibt nur brüllte Peppone. »Ihr werdet alles auf der Rechnung finden, wenn der Augenblick der proletarischen Erhebung kommt. Und Ihr werdet alles bezahlen

»Werdet Ihr mir nicht einmal einen kleinen Rabatt gewähren?

Nicht einmal etwas Rücksicht auf einen Ex-Genossen nehmen

»Gewiß«, grinste Peppone, »wir lassen Euch wählen, wo Ihr erhängt werden wollt

»Ich weiß es schon«, antwortete Don Camillo, »neben dir, Genosse

 

Es war ein kalter Wintertag, und der Nebel, der aus dem großen Flusse stieg, breitete seinen Schleier auch über diese Geschichte, die, kaum daß sie fertig war, schon uralt erschien.