Drei Weizenpflänzchen
In der Nacht hatte ein wütender Wind – nur Gott weiß, woher er kam – über der weiten Ebene getobt, und sein eisiger Atem hatte die vom Regen aufgeweichte Erde hart gemacht.
Don Camillo war der erste, der am neuen Tag die Augen öffnete. Eistränen verkrusteten die Scheiben der kleinen, vom Wind gepeitschten Fenster; der unmäßige Ofen strahlte eine wohltuende Wärme aus. Die zehn »Erkürten«, auf einem improvisierten Lager um den Ofen gepfercht, schliefen, vom Getümmel und vom Wodka gefällt, einen bleiernen Schlaf.
Don Camillo hatte sich wie alle andern bekleidet auf sein Lager geworfen; er hatte nur die Schuhe ausgezogen, und Peppone lag auf der Pritsche an seiner Seite.
Wenn er nicht so fürchterlich schnarchte, dachte Don Camillo, nachdem er ihn eine Zeitlang betrachtet hatte, täte es mir beinahe leid, daß ich ihm so viele Ungelegenheiten bereitet habe.
Don Camillo warf rasch einen prüfenden Blick um sich: Ausgenommen der Genosse Oregow und die Genossin Nadia Petrowna waren alle vorhanden, und der Genosse Salvatore Capece hatte sein nasses Pflaster auf dem linken Auge.
»Jesus«, betete Don Camillo, »habe Mitleid mit diesen armen Leuten und versuche, ihre verdreckten Gehirne zu erleuchten.«
Er schwang die Beine von der Pritsche herab, um die Schuhe zu angeln. Nachdem er den linken ohne besondere Schwierigkeit angezogen hatte, fand er, als er den rechten vom Boden nahm, ein unerwartetes Hindernis. Der Schnürsenkel mußte sich in irgendeinem Spalt des hölzernen Fußbodens verfangen haben, und er versuchte, ihn mit einem Ruck zu lösen.
Sofort hörte das Schnarchen Peppones auf, und das geschah nicht durch Zufall, sondern weil Don Camillos rechter Schuh mit einer Schnur an den Knöchel Peppones geknüpft war.
»Genosse«, erklärte Don Camillo bitter, während er seinen Schuh wiedererlangte, »ich begreife dein Mißtrauen mir gegenüber nicht.«
»Nach dem, was Ihr unter meinen Augen angestellt habt«, knurrte Peppone und saß auf, »kann ich mir vorstellen, was Ihr anrichten könntet, wenn ich schlafe.«
Sie verließen den Saal des Sowjets, um sich das Gesicht an einer Pumpe zu waschen. Es blies ein scharfer und kalter Wind, der einem den Atem nahm und das Volk in den Hütten mit Strohdächern zurückhielt. Doch kaum hatten Don Camillo und Peppone einigermaßen ihre Toilette beendet, belebte sich die Kolchose plötzlich.
Es kam nämlich ein Lastwagen an, und aus irgendeinem Winkel tauchten der Genosse Oregow und eine Gruppe Kolchoser auf. Als der Lastwagen mitten auf dem Platz vor der Sowjetbaracke anhielt, umgaben ihn alle, und auch Don Camillo und Peppone machten sich auf, den Kreis zu vergrößern.
Als erster sprang ein Bursche vom Lastwagen, dem die andern halfen, ein Motorrad abzuladen.
Dann stieg auch der Chauffeur aus, um vom Genossen Oregow irgendwelche Befehle entgegenzunehme n, und als er den Kragen seines Pelzes herunterschlug, zeigte er das bekannte Gesicht von Stephan Bordonny.
Die Verstärkungen, die der Bursche mit dem Töff bei der Kolchose Grevinec angefordert hatte, waren angekommen.
Jetzt traten der Chauffeur des Autobusses und die Genossin Nadia Petrowna auf den Schauplatz. »Macht euch keine Sorge«, erklärte die Genossin Nadia dem Don Camillo und Peppone,
»das Ersatzteil hat sich in Grevinec gefunden, und alles wird in Ordnung kommen.«
»Man wird den Autobus mit dem Lastwagen bis hierher schleppen müssen«, bemerkte Peppone.
Stephan schüttelte den Kopf und sagte auf russisch etwas, das die Genossin Nadia übersetzte.
»Das ist nicht möglich. Die Straße ist mit Glatteis bedeckt; der Lastwagen ist leicht und hat keine Straßenhaltung. Man wird die Reparatur an Ort und Stelle vornehmen müssen.«
»Von Beruf bin ich Mechaniker«, bot Peppone großmütig an.
»Wenn ihr mir ein Überkleid gebt, bin ich gern zur Mitarbeit bereit.«
Der Genosse Oregow fand an dem Vorschlag höchsten Gefallen. Er antwortete, daß er das Angebot Peppones im vollen Umfang würdige.
Die Genossin Nadia übersetzte und schloß: »Du wirst das Überkleid sofort haben, Genosse Senator.«
»Zwei Überkleider«, verbesserte Peppone und zeigte auf Don Camillo. »Wir werden einen kräftigen Gehilfen brauchen können, und der Genosse Tarocci – auch ein Fachmann der Mechanik – ist unser Mann.«
Der Genosse Oregow genehmigte den Arbeitsplan. Dann fuhr er mit dem Motorrad nach Drewinka, wo es ein Telefon gab, um die zuständige Behörde von der nötigen Umstellung des Programms zu unterrichten.
»Genossin«, sagte Peppone zur Petrowna, »jetzt geht die Befehlsgewalt über meine Männer an dich. Wenn jemand seine Pflichten vernachlässigen sollte, so handle ohne Mitleid. Ich empfehle den Genossen Scamoggia deiner besonderen Aufmerksamkeit. Überwache ihn! Du weißt, er ist gefährlich!«
»Ich habe die ganze Nacht über den Schimpf, den er mir angetan hat, nachgedacht«, gestand die Genossin Petrowna.
»Das ist eine unverständliche Sache, und er wird mir Rechenschaft geben müssen.«
In den Augen der Genossin Petrowna lag kalte Entschlossenheit. Zudem – und das war schlimm – hatte der neapolitanische Kolchoser ihren Zorn benützt, um ihr Dauerwellen zu machen, die wie aufgemalt erschienen.
Die Überkleider kamen; Do n Camillo und Peppone kletterten zu Stephan in die Kabine, und der Lastwagen fuhr ab.
Der Drohblick der Genossin Nadia hatte Peppone aufs tiefste beunruhigt.
»Dieses Weib«, teilte er Don Camillo vorsichtig mit,
»befindet sich in einer gefährlichen Gemütsverfassung. Ich glaube, wenn sie das Nötige hätte, würde sie nicht zögern, sich die Lippen zu bemalen und die Nägel zu lackieren.«
»Ich bin ganz deiner Meinung, Genosse«, antwortete Don Camillo. »In der Politik sind die Frauen immer Extremisten.«
Während der Fahrt schwieg Stephan und tat so, als verstehe er nicht, was Peppone und Don Camillo sagten. Der Genosse Chauffeur vom Autobus war hinten aufgestiegen; er hockte unter der Plane, die die Ladebrücke des Lastwagens bedeckte, aber Stephan wollte klugerweise kein Risiko eingehen.
Stephan hatte alle nötigen Geräte und Werkzeuge mitgebracht und als man beim Autobus angelangt war, der auf dem einsamen Sträßchen verlassen dastand, machte er sich sofort ans Werk.
Das Hinterteil des Wagens wurde rasch gehoben, aber man sah sogleich, daß man Bretter oder Balken brauchte, um die Sache so einzurichten, daß der Wagenheber nicht Gefahr lief, auf dem gefrorenen Boden zu rutschen.
Der Chauffeur, der gebeten wurde, unter den Autobus zu kriechen, um das Ausgleichsgetriebe abzumontieren, weigerte sich. Er hatte tausendmal recht, und Peppone wunderte sich, daß Stephan darauf beharrte und mit dem Jüngling eine lange Diskussion begann. Dieser versuchte, etwas zu erwidern, aber der andere schenkte ihm kein Gehör und fuhr mit Schimpfen fort. Der Genosse Chauffeur gab nicht nach; er wandte schließlich Stephan den Rücken und nahm den Weg zur Kolchose unter die Füße.
»Geh zur Hölle!« knurrte Stephan, kaum war der Jüngling verschwunden.
»Unrecht hat er nicht«, bemerkte Peppone mit Anstand. »Es ist gefährlich, darunterzukriechen.«
»Es war die einzige Möglichkeit, ihn loszuwerden«, erklärte Stephan augenzwinkernd. Die Seitenwände des Lastwagens erwiesen sich als ausgezeichnete Stützen. Die Arbeit begann.
Während Stephan sich damit abplagte, verrostete Schraubenmuttern zu lösen und Bolzen zu entfernen, sprach er leise zu Peppone und Don Camillo, die ihm halfen.
»Hier«, erzählte er, »ausgerechnet in dieser Gegend, fand die berühmte Schlacht von Weihnachten 1941 statt. Die Russen glichen Ameisen, so zahlreich waren sie, und die Italiener mußten sich zurückziehen, wobei sie einen Berg von Toten liegenließen. Ein Trupp von ungefähr dreißig Mann, Bersaglieri und Artilleristen, wurde umzingelt und gefangengenommen.
Viele waren verwundet oder krank. Man brachte sie in einen Lagerschuppen der Kolchose Tifiz und schloß sie ein. Am 26. Dezember eroberten die Italiener die Ortschaft zurück und fanden alle tot. Die Russen hatten sie mit dem Maschinengewehr niedergemetzelt. Ich habe die Leichen gesehen. Es war ein entsetzliches Schauspiel.«
Don Camillo und Peppone arbeiteten weiter, und der rauhe Wind ließ ihnen die Finger gefrieren.
»Wir sammelten alle Toten und begruben sie«, fuhr Stephan fort. »Wenn ihr auf dieser Straße anderthalb Kilometer weit nach Norden marschiert, findet ihr einen Karrenweg, der auf der rechten Seite abzweigt. Hundert Meter, bevor ihr zum Karrenweg kommt, immer auf eurer Rechten, beginnt ein Entwässerungskanal, der auf dem linken Ufer eine große wilde Hecke hat. Wenn ihr der Hecke entlang etwa hundert Schritte tut, kommt ihr zu einer großen Eiche, deren Stamm dicht mit Efeu bedeckt ist. Dort ist der Friedhof der italienischen Soldaten, in dem Viereck, das als Seiten hundert Meter dieser Straße hat, hundert Meter des Karrenwegs, hundert Meter Kanal und hundert Meter der Linie, die parallel zur Straße von der Eiche zum Karrenweg reicht.«
Alle drei arbeiteten eifrig ungefähr eine halbe Stunde lang.
Sie redeten nichts.
»Jetzt kann ich's allein machen«, sagte dann Stephan in einem geeigneten Augenblick. »Im Falle der Gefahr rufe ich euch mit der Hupe. Wenn ihr die Efeuranken hebt, werdet ihr etwas finden.«
Don Camillo startete ohne einen Augenblick des Zögerns in Richtung Norden, und Peppone mußte ihm folgen.
Der Himmel war finster, und der eiskalte Wind brauste über die grenzenlose, verlassene Ebene.
»Wenn der Wind nachläßt«, bemerkte plötzlich Don Camillo, »gibt es Schnee.«
»Möge eine Lawine herunterkommen, um Euch zu begraben!« antwortete Peppone keuchend.
Jetzt rannten sie, und auf einmal sahen sie zu ihrer Rechten den Entwässerungskanal und die große Hecke. Das Wasser im Kanal war gefroren, und das Eis war dick. Don Camillo ließ sich in den Graben gleiten und lief auf die große Eiche zu, die das Geflecht ihrer nackten Äste zum Himmel hob. Peppone folgte.
Als sie zu Füßen der Eiche angelangt waren, stiegen sie am Ufer des Grabens hinauf und bemerkten eine Öffnung in der Hecke.
Gleich darauf sahen sie ein großes Feld vor sich und auf der braunen Erde den grünen Flaum des Winterweizens.
Beide waren beim Anblick der verzweifelten Düsterkeit bestürzt. Dann raffte sich Don Camillo auf, kehrte sich gegen den dicken Stamm der Eiche und löste mit zitternder Hand die Efeuranken, die im Stamm verwurzelt waren.
Vor achtzehn Jahren hatte man in die Rinde geritzt: ein Kreuz und das Datum »27. Dezember 1941«. Und ein kurzes Wort: »Italia.«
Er legte die Efeuranken wieder zurecht.
Peppone hatte langsam die Mütze abgenommen; er betrachtete das Kornfeld, indem er an die nicht mehr vorhandenen hölzernen Kreuze und an die in der kalten Erde verwesten Toten dachte. Die schneidende Kälte des Windes drang in sein Herz.
»Requiem aeternam dona eis Domine et lux perpetua luceat eis... «
Er fuhr auf und wandte sich um. Zu Füßen der uralten Eiche zelebrierte Don Camillo die Totenmesse.
Eine Messe unter dem Kreuz, das vor achtzehn Jahren Stephans Hand in die Rinde der alten Eiche eingegraben hatte!
»Deus, cuius miseratione animae fidelium requiescunt: famulis et famulabus tuis, e omnibus hic et ubique in Christo quiescentibus, da propitius veniam peccatorum; ut a cunctis reatibus absoluti, tecum sine fine laetentur. Per eumdem Dominum...«
Der Wind brauste über die große verlassene Ebene hinweg, und die zarten Weizenpflänzchen zitterten.
»Mein Sohn, wo bist du?«
Peppone erinnerte sich plötzlich eines elenden Blättchens, das er auf einem Spaziergang herumliegen gesehen hatte, und an den verzweifelten Anruf seines Titels: »Mein Sohn, wo bist du? « ...
Stephan arbeitete wie wild, aber er lauschte auf jedes Geräusch und wurde nicht überrascht, als jemand von der Kolchose her nahte. Der Mann war noch fast einen Kilometer weit weg, doch sofort verkündete ein Hupensignal Don Camillo und Peppone die Gefahr.
Es war nicht der Genosse Chauffeur, wie Stephan befürchtet hatte, sondern einer der italienischen Genossen, der mit den Elefantenohren. Er ging langsam, und kaum war er in der Nähe, entschärfte ihn Stephan.
»Du, Genosse, geh mir zur Hand, bis die andern kommen.«
Der Genosse Tavan zog den Mantel aus und machte sich sogleich wortlos ans Werk. Inzwischen kehrten Peppone und Don Camillo eilends zur Basis zurück.
Nach einer Viertelstunde waren sie da, und Peppone trat selbstsicher vor:
»Laß mich das machen!« befahl er brüsk dem Genossen Tavan.
Der Genosse Tavan reinigte sich mit einem Lumpen die Hände und zog den Mantel wieder an. Er schwänzelte ein wenig um Don Camillo herum, der seinen halben Toskano rauchte; dann faßte er Mut und blickte ihm ins Auge.
»Genosse«, sagte er halblaut, »wenn du nichts zu tun hast, möchte ich mit dir sprechen.«
»Jetzt sind die Techniker an der Reihe«, antwortete Don Camillo. »Reden wir miteinander, Genosse!«
Sie schlugen langsam den Weg nach Norden ein.
»Genosse«, begann der Genosse Tavan sichtbar verwirrt, »du sagst richtige Sachen, und ich gebe dir recht. Hingegen irrst du, wenn du die Bauernklasse in Bausch und Bogen verdammst. In der Stadt arbeiten die Arbeiter gemeinsam, sind mit dem Fortschritt und dem politischen Leben in Kontakt. Auf dem Land arbeiten die Bauern voneinander abgesondert und können daher nicht den gleichen Gemeinschaftssinn haben. Sie zum Verständnis gewisser Dinge zu bringen, ist eine harte Sache, und nicht immer sind sie des Verstehens fähig. Aber es gibt solche, die verstanden haben, worum es geht.«
Der Genosse Tavan erregte mit seinem knochigen und dunklen Gesicht und seinen großen Ohren ein wenig Mitleid, und Don Camillo fühlte sich entwaffnet.
»Ich weiß, daß du ein tüchtiger Genosse bist«, erwiderte er.
»Vielleicht habe ich unklug gesprochen, weil ich nicht bedachte, daß ich deinen Klassenstolz verletzen könnte.«
»Du hast gut gesprochen«, stellte der Genosse Tavan fest.
»Die Bauernklasse ist so, wie du es sagst, aber sie wird sich ändern. Jetzt ist es unmöglich, weil noch die Alten da sind. Und die Alten zählen viel auf dem Land. Sie haben den Kopf voll falscher Ideen, aber wie kann man ihnen widersprechen? Sie haben doch schließlich ihr Leben mit knochenzermürbender Arbeit verbracht! Die Partei hat recht, doch die Alten befehlen.
Die Partei spricht zum Gehirn, die Alten sprechen zum Herzen, und oft, selbst wenn echte Ideen vorhanden sind, bringt das Herz das Hirn zum Schweigen.«
»Genosse, ich bin von Bauern geboren und begreife dich«, antwortete Don Camillo. »Das ist die wahre Schwierigkeit auf dem Land. Und deshalb müssen wir die Propaganda verstärken.«
Sie gingen eine Weile still nebeneinander her.
»Genosse«, sagte auf einmal der Genosse Tavan. »Ich, meine Frau und meine Kinder, wir leben mit meinem Vater, der fünfundsiebzig Jahre alt ist, und meiner dreiundsiebzigjährigen Mutter auf einem Hof inmitten der Ebene, den unsere Familie seit hundertfünfzig Jahren gepachtet hat. Meine Mutter und mein Vater begeben sich einmal im Jahr ins Dorf, und in der Stadt waren sie ein einziges Mal. Was kann ich ihnen erklären?
Und erst noch nach dem, was vorgefallen ist?«
Don Camillo schaute ihn fragend an.
»Genosse«, ermutigte er ihn, »wenn du etwas zu sagen hast, so sag es ruhig. Ich höre dich als Mensch an, nicht als Parteimann.«
Der Genosse Tavan sah ihn an.
»Ich hatte einen Bruder, der um fünf Jahre jünger war«, erklärte er. »Der Krieg hat ihn uns genommen. Mein Vater hat sich damit abgefunden, hingegen meine Mutter nicht. Als sie hörte, daß ich hierher kommen würde, hat sie mir keine Ruhe mehr gelassen. Und ein dutzendmal habe ich schwören müssen, das zu tun, was sie sagte.«
»Wo ist er gestorben?« fragte Don Camillo.
»Er ging dorthin, wohin man ihn schickte, der arme Junge. Er ist hier gefallen. In der Schlacht von Weihnachten 1941.«
Der Genosse Tavan hatte eine lebendige Katze im Leib und befreite sich jetzt von ihr.
»Meine Mutter hat mich gezwungen zu schwören, daß ich mein möglichstes versuche, um sein Grab zu finden und dieses da vor sein Kreuz zu setzen.«
Er hielt Don Camillo ein Wachskerzchen hin.
»Ich begreife dich, Genosse«, sagte er. »Aber wie willst du auf den zweiundzwanzig Millionen Quadratkilometern der Sowjetunion das Flecklein Erde finden, wo dein Bruder begraben ist?«
Der Genosse Tavan zog eine abgewetzte Brieftasche aus seinem Rock und suchte fieberhaft in ihrem Innern.
»Da ist sie«, keuchte er und reichte Don Camillo eine vergilbte Fotografie. »Der Feldgeistliche hat sie meiner Mutter gegeben. Sie zeigt das Kreuz mit dem Namen meines Bruders.
Auf der Rückseite stehen der Name der Ortschaft und ein genauer Plan der Gegend.«
Don Camillo kehrte die Aufnahme um, dann gab er sie dem Genossen Tavan zurück.
»Verstehst du, Genosse?« keuchte der andere. »Das Grab ist ausgerechnet hier, in dieser Gegend, und ich muß mein möglichstes tun, um es zu suchen. Aber wie kann ich diese Leute fragen, wo sich der Soldatenfriedhof der Italiener befindet?«
Während sie sprachen, hatten sie eine schöne Strecke zurückgelegt, und schon sah man die Hecke und die große Eiche.
Diese große Eiche war auf der Rückseite der Fotografie mit der Skizze des Feldgeistliche n deutlich zu sehen.
»Beeile dich!« befahl Don Camillo und beschleunigte seine Schritte. Als sie beim Kanal angelangt waren, hielt er an.
»Dies ist die Straße auf deiner Skizze. Dort ist der Karrenweg, das ist die Hecke längs des Grabens, und dort ist die Eiche.«
Er lief abermals, gefolgt vom Genossen Tavan, den vereisten Graben entlang und stieg die Böschung bei der großen Eiche hinauf.
»Da ist der Friedhof«, erklärte er und deutete auf das Feld mit den zarten Kornpflänzchen. »Hier ist dein Bruder begraben.«
Er lüftete den Efeubehang, zeigte ihm das Kreuz, das Datum und das in die Rinde gegrabene Wort.
Der Genosse Tavan blickte auf das Kornfeld und die Hand, die das Kerzchen umklammerte, zitterte.
Don Camillo trat ein paar Schritte in das Kornfeld, beugte sich nieder und machte ein Loch in die Erde. Der andere begriff, und nachdem er bei ihm war, stellte er das Kerzchen in das Loch und zündete es an. Als er sich wieder erhoben hatte, betrachtete er das Lichtlein ein Weilchen, mit der Mütze in der Hand.
Don Camillo zog sein Messer aus der Tasche und stach eine winzige Scholle mit drei zarten Weizenpflänzchen aus der harten braunen Erde.
In der Tasche hatte er den Aluminiumbecher, der ihm als Kelch diente. ›Ich werde einen andern finden‹, dachte er, während er ihn mit der Scholle füllte.
»Bring ihn deiner Mutter nach Hause«, sagte er zum Genossen Tavan, während er den Becher in dessen Hand gab.
Sie kehrten an den Rand des Feldes unter die Eiche zurück.
»Bekreuzige dich nur, Genosse«, sagte Don Camillo zum Genossen Tavan. »Auch ich bekreuzige mich!«
Sie bekreuzigten sich. Und das Flämmchen der Kerze, das in seiner Nische vom Winde geschützt war, zuckte.
Ein Hupenzeichen brachte sie auf den Rückweg.
Ehe sie den Autobus erreichten, hielt Don Camillo an.
»Genosse«, sagte er mit ernster Stimme, »deine Mutter wird zufrieden sein, doch die Partei könnte dem, was wir taten, nie zustimmen.«
»Das kümmert mich keine Laus«, erwiderte mit fester Stimme der Genosse Tavan.
Und er hielt das Becherchen, das die Erdscholle und die drei Getreidepflänzchen barg, mit unendlicher Sorgfalt fest, als habe er zwischen seinen groben Fingern etwas Weiches und Lebendiges.