Operation Rondella

 

In dem dreimotorigen Flugzeug, das sie in einem Flughafen Ostdeutschlands an Bord genommen hatte, herrschte ein Teufelslärm. Das zwang den Genossen Don Camillo zu schweigen und gestattete dem Genossen Peppone, ziemlich ruhig zu reisen.

Trotzdem verlor er Don Camillo nie aus den Augen, denn dieser war eines jener Subjekte, die gefährlich sind, auch wenn sie nicht reden. Aber Don Camillo führte sich durchaus anständig auf und beschränkte seine antisowjetische Tätigkeit auf die Lektüre von Lenins Maximen. Allerdings setzte Peppones Herzschlag beinahe aus, als der Genosse Hochwürden das rote Büchlein schloß und in Gedanken versunken – die rechte Hand zur Stirne führte. Aber er hatte sich gleich wieder in der Gewalt, verwandelte das Tupfen in ein Streicheln der Stirne und beendete sein Unternehmen, indem er mit den Fingerspitzen zuerst die Mitte seines Rockes säuberte und dann leicht die linke und rechte Schulter bürstete.

»Amen sagte Peppone zu sich und ließ seiner Brust einen Seufzer entweichen, der seinen Vergaser entlastete.

Das Flugzeug verlor langsam an Höhe, und bald berührten seine Räder die russische Erde.

»Herr, wie fern ist mein Kirchlein«, dachte bestürzt Don Camillo, während er die Treppe hinunterstieg.

»Doch der Himmel ist nah«, beruhigte ihn die Stimme Christi.

Don Camillo wurde wieder der Genosse Tarocci.

»Genosse Senator«, sagte er wichtig zu Peppone, »hast du nicht das Verlangen, eine Faustvoll dieser Erde aufzulesen, um sie zu küssen

Peppone zischte die Antwort durch die Zähne: »Ja, sie zu küssen und dann in dein dreimal verdammtes Maul hineinzustopfen

Auf dem Flugplatz wurden sie erwartet, und zwar nahte sich ein hübsches Mädchen, gefolgt von einem Mann, der in einem langen, zerknitterten, ziemlich verschossenen Regenmantel steckte.

»Willkommen, Genossen«, begrüßte sie das Mädchen. »Ich bin Nadia Petrowna von der Zentrale der Übersetzer, und das ist Genosse Yenka Oregow, Funktionär des Verkehrsbüros

Das Mädchen sprach das denkbar reinste Italienisch, und wenn es nicht ein slawisches Gesicht gehabt und nicht ein so schlecht geschnittenes Kostüm mit eckigen Schultern getragen hätte, wäre es leicht gewesen, es mit einem Geschöpf aus westlichen Gegenden zu verwechseln.

Peppone stellte sich vor, dann stellte er seine Mannschaft vor, und nachdem die Orgie des Händeschüttelns vorbei war, überbrachte der Genosse Funktionär den italienischen Brüdern den Gruß der sowjetischen Brüder, die mit ihnen graniten vereint seien im Kampf für die Freiheit, die soziale Gerechtigkeit, den Frieden und so weiter und so fort.

Der Genosse Funktionär, um die Vierzig, untersetzt, mit rasiertem Schädel, die Kinnbacken quadratisch, die Lippen dünn, die Augen hell, den Hals kurz, mit einem Mantel, der bis zu den Füßen reichte, stank meilenweit nach einem Polypen. Er sprach mit harter Stimme, war äußerst kühl und maßvoll in seinen Gebärden, und wenn niemand seine Worte übersetzt hätte, wäre man der Meinung gewesen, daß er statt eines Grußes eine Anklage vorbrächte.

Auch die Genossin Nadia Petrowna, ebenfalls eine Funktionärin der Partei, wies eine sehr besorgte Miene auf, die sie am Lächeln verhinderte; aber im Grunde war sie doch von ganz anderer Art als der Genosse Oregow.

Der Genosse Nanni Scamoggia war ganz verblüfft, als er sie so vor sich auftauchen sah, obwohl die Genossin Nadia keineswegs das erste hübsche Mädchen war, dem er gegenüberstand. Scamoggia war einer jener gutgebauten Burschen, die es in sich haben, die Frauen ihre Hausadresse vergessen zu lassen: ein flotter Jüngling um die Achtundzwanzig, mit schwarzen, glänzenden, leicht gewellten Haaren, die Augen mit langen Wimpern, doch mit einem leicht verruchten Blick, mit gut gezeichnetem Mund und einer Stirnfalte, halb Frechheit, halb Härte, mit breiten Schultern, das Becken schmal, die Füße klein wie die eines Tänzers. Und als ob das alles noch nicht genügt hätte, trug er enge Hosen, eine Joppe aus schwarzem Leder über einem feuerroten Pulli und die Zigarette flott im hintersten Mundwinkel. Scamoggia war ein echter Bulle, einer jener Bullen, die ihr Handwerk verstehen und sich nicht von den Frauen behexen lassen.

Während die Mannschaft das große Feld des Flughafens überquerte und Peppone, der Genosse Oregow und die Genossin Nadia Petrowna allen vorangingen, fand Scamoggia den Gebrauch seiner Zunge wieder:

»Genosse«, teilte er Don Camillo mit, »hast du gesehen, was für ein Prachtstück von Mädchen das ist

»Jawohl, ich hab's gesehen«, antwortete Don Camillo.

Scamoggia zog ihn am Arm zu sich heran, damit er freie Sicht bekam.

»Wirf diesem Sputnik einen Blick zu, und dann sag mir deinen Eindruck

Don Camillo bat Gott innerlich um Verzeihung, schaute und bestätigte kurz und bündig:

»So gut gebaute, perfekte Mädchen trifft man sonst nirgends

Er sagte es laut, weil Genosse Rondella ihnen nahe war. Und der Genosse Rondella biß an:

»Schön ist sie, kein Zweifel«, rief er aus, »aber so gut gebaute Mädchen gibt's auch bei uns

»Bei uns verstehen die Mädchen sich zu kleiden«, stellte Don Camillo fest. »Doch nimm die schönste und heiße sie einen häßlichen Rock und eine grobe Jacke anziehen, wie sie die Genossin Petrowna trägt – dann wirst du sehen, was für eine Elendsgestalt herauskommt. Diese Nadia ist eine solide, klassische Schönheit. Sie ist eine schöne Frau, nicht eines der Püppchen, denen man in unsern Dörfern und in unsern Städten begegnet. Angefangen bei Mailand, wo es kein einziges Weib gibt, das nicht verfälscht ist.«

»Flausen, Genosse wehrte Rondella heftig ab. »In Mailand gibt es so schöne Mädchen, wie du sie nicht einmal träumst

Scamoggia vermittelte: »Gerate nicht in Zorn, Genosse. Auch bei uns gibt es schöne Weiber, aber diese hat etwas Besonderes.

Ich weiß nicht, was es ist, aber sie hat es

»Das hängt vom geistigen Klima ab, in dem sie geboren und gewachsen ist«, stellte Don Camillo fest. »Die Umgebung macht den Mann und auch die Frau. Natürlich sind nicht alle imstande, diese einfachen Wahrheiten zu erkennen

Der Genosse Rondella wollte mit Don Camillo weiter handeln, doch hielt in diesem Augenblick die Mannschaft an.

»Zollkontrolle«, erklärte Peppone, indem er sich in die Gruppe keilte, »macht die Koffer bereit

Als er Don Camillo nahe war, flüsterte er ihm vorsichtig zu:

»Ich hoffe, Ihr habt nichts bei Euch, das uns in Verlegenheit bringt

»Genosse«, beruhigte ihn Don Camillo, »ich weiß, wie man sich auf Erden benimmt

Bei der Zollkontrolle handelte es sich um eine hurtige Sache, denn Peppone hatte alles mit Umsicht vorbereitet. Vor der Abreise in Rom hatten sich die zehn Erkorenen einen leichten Koffer kaufen müssen. Alle hatten das reglementarisch gleiche Ausmaß wie der Fiberkoffer, den Peppone für wenig Geld in einem Warenhaus erworben hatte. Und dann war jeder gefüllte Koffer gewogen worden. Die einzige Ware, an der die Zöllner etwas auszusetzen hatten, war das Flakon, das sie im Koffer Scamoggias fanden. Der Funktionär der Zollpolizei schraubte den Verschluß ab, roch und reichte das Flakon der Genossin Petrowna, die ebenfalls daran roch.

Die Genossin Nadia wandte sich an Scamoggia: »Er fragt, warum du Frauen-Parfüm mitbringst

»Das ist kein Frauen-Parfüm«, erklärte Scamoggia. »Es ist Lavendelwasser, das ich nach dem Rasieren brauche. Hier herrscht wahrscheinlich der Brauch, sich mit Naphta zu desinfizieren

Die Genossin Nadia schickte sich zu einer scharfen Antwort an, aber vor einem Bullen wie Scamoggia gab es keine Frau, die den Kamm stellen konnte. Sie wandte also ihren Kopf und übersetzte dem Zöllner nur den ersten Teil von Scamoggias Antwort.

Der Zollfunktionär brummte etwas und tat das Fläschchen in den Koffer zurück.

»Er hat gesagt, daß hier die Männer das Gesicht mit Alkohol zu desinfizieren pflegen«, erklärte die Petrowna dem Scamoggia, als der Verein sich wieder in Bewegung setzte.

»Auf alle Fälle mußt du es brauchen und darfst es nicht in den Handel bringen

Als sie außerhalb des Flugplatzes angelangt waren, blieb Scamoggia stehen.

»Genossin, einen Augenblick!« Er öffnete den Koffer und holte das Fläschchen heraus.

»Wenn hier die Männer Alkohol benutzen«, sagte er, »werde auch ich Alkohol benutzen, weil auch ich ein Mann bin. Wenn dies ein Frauen-Parfüm ist, dann wende es eine Frau an

Er streckte der Genossin das Fläschchen hin, aber das Mädchen griff nicht danach.

»Bist du etwa keine Frau wunderte sich Scamoggia.

»O doch«, stammelte die Petrowna.

»Dann nimm! Ich treibe damit keinen Handel; ich schenke es dir

Die Genossin Nadia stand für ein Weilchen verwirrt da; dann nahm sie das Fläschchen und schob es in die Tasche, die sie am Riemen über der Schulter trug.

»Danke, Genosse!«

»Bitte... du Schöne...«

Die Petrowna suchte das finstere Gesicht, das zu einem beleidigten Funktionär passen mochte, aufzusetzen, doch gelang es ihr nur, wie ein gewöhnliches Bürgerweib zu erröten.

Eilends ging sie der Gruppe nach.

Scamoggia brachte seinen Koffer in Ordnung, zündete eine Zigarette an, schickte sie in den hintersten Winkel seiner Lippen und machte sich mit befriedigter Ruhe auf den Weg.

Ein Autobus erwartete sie, und sie stiegen ein.

Während Peppone sein Köfferchen im Gepäcknetz verstaute, berührte ihn Don Camillo an der Schulter:

»Chef«, sagte er, »es muß ein bißchen Verwirrung stattgefunden haben. Dein Koffer ist dieser

Peppone prüfte das Namensschild, und es handelte sich tatsächlich um seinen Koffer. Der andere, den er aus dem Gepäcknetz hob, trug den Namen des Genossen Camillo Tarocci.

»Kein Unglück«, rief Don Camillo aus. »Bloß eine Verwechslung der Koffer.«

Peppone setzte sich, und Don Camillo nahm ihm gegenüber Platz.

»So habe ich«, flüsterte Peppone, während der Autobus anfuhr, »Euren Koffer zum Zoll getragen

»Genau. Purer Zufall!«

»Und war vielleicht, immer aus purem Zufall, etwas Besonderes in Eurem Koffer

»Nichts. Nur ein Bündel Heiligenbildchen, zwei, drei Fotos vom Papst, ein paar Hostien und andere Kleinigkeiten dieser Art.«

Peppone erschauerte.

Der Autobus fuhr durch eine grenzenlose Landschaft; magere Kühe grasten auf den Wiesen.

Die Genossin Petrowna stand auf und erklärte, daß die Gäste nach einem festgelegten Plan zunächst die Traktorenfabrik

»Roter Stern« besuchen würden, um nachher ins Hotel geführt zu werden, wo sie essen und ruhen konnten.

Die Traktorenfabrik befand sich am Rande einer Stadt. Es handelte sich um eine Anhäufung trüber und grauer Zementbaracken, die sich beinahe überraschend an der Nordgrenze einer vergilbten, melancholischen Ebene erhoben.

Dieser Schandfleck betitelte sich »industrielle Zivilisation« und hatte seinesgleichen in allen Teilen der Erde.

Don Camillo dachte mit brennendem Heimweh an sein fernes Dorf, wo die menschliche Wärme jeden Fleck Boden belebte, wo jeder Backstein der Häuser die Liebkosung des Menschen kannte, und wo deshalb zwischen den Menschen und den Dingen ein zähes, unsichtbares Band bestand.

Die Arbeiter, die in den riesigen Schuppen tätig waren, sahen gelangweilt und gleichgültig drein wie die Fabrikarbeiter der ganzen Welt.

In vielen Abteilungen arbeiteten nur Frauen. Sie waren zum größten Teil klein, rundlich, derb, und keine glich der Genossin Petrowna.

Schließlich hielt es der Genosse Rondella nicht mehr aus; er näherte sich Don Camillo und sagte:

»Genosse, diese da, sind sie nicht im geistigen Klima der Genossin Petrowna geboren und herangewachsen

Don Camillo donnerte:

»Genosse, man besucht eine industrielle Frauenabteilung nicht mit der gleichen Einstellung wie eine Miss-Parade. Das ist eine der Grundregeln, die jeder Genosse, der sie respektiert, kennen sollte

Es war nicht am Platz, jetzt eine Diskussion aufzuziehen; dies um so weniger, als Peppone sich umgedreht hatte und böse Blicke schoß.

Die Besichtigung wollte kein Ende nehmen, weil ein eifriger Fabrikfunktionär alles erklärte, auch das, was keine Erklärung brauchte. Auf Schritt und Tritt versprühte er Stöße statistischer Angaben, die die Übersetzerin Wort für Wort wiedergeben mußte.

Schließlich langte man am Ende des Fließbandes an, und man konnte die versandbereiten Traktoren sehen. Allda blieb Don Camillo wie vom Blitz getroffen stehen und rief Peppone zu, nachdem er mit verzückten Augen ein funkelnagelneues Stück bewundert hatte:

»Genosse Senator, das ist ja der gleiche Traktor wie die wundervolle Maschine, die von der Sowjetunion der von dir geschaffenen landwirtschaftlichen Genossenschaft geschenkt worden ist

Peppone hätte Don Camillo gerne gevierteilt, der ihn durch die Blume an den verfluchten Traktor erinnerte, der um keinen Preis gehen wollte und das Gelächter der gesamten Provinz hervorgerufen hatte. Aber was ihn am meisten giftete, war der Umstand, daß er lächeln und mit Begeisterung von dem famosen Traktor sprechen mußte, als handelte es sich um einen lieben Bekannten.

Doch der Mechaniker, der in ihm döste, ließ seine Stimme hören, und während die andern den Rundgang fortsetzten, nahm er einen der Techniker, die den Besuchern beigesellt waren, beim Ärmel, zeigte ihm einen bestimmten Teil der Benzinpumpe und versuchte ihm mit seinen Fingern zu erklären, daß das Ding aus diesem oder jenem Grunde nicht funktionieren konnte.

Der Techniker starrte ihn interessiert an; dann hob er die Schultern. Zum Glück kam die Genossin Petrowna dazu, der der Techniker kurz berichtete.

»Er sagt«, erklärte die Petrowna dem Peppone, »daß er dich verstanden hat. Man wartet, bis die Erlaubnis kommt, das Stück zu ändern

Der Techniker sagte kichernd etwas anderes zu der Genossin; sie runzelte die Stirne und blieb einen Augenblick in Gedanken verloren. Dann entschloß sie sich und teilte Peppone halblaut mit, ohne ihm ins Gesicht zu blicken:

»Er sagt, die Erlaubnis müsse von einem Jahr zum andern eintreffen

Sie ging eilends fort, aber bevor sie noch die Gruppe wieder erreichte, stellte sich Scamoggia ihr in den Weg.

»Genossin«, sagte er und ließ die Zähne eines Stars von Hollywood blitzen, »ich habe die letzten Statistiken über die Produktion der Ersatzteile nicht gehört. Könntest du sie mir durch den Techniker wiederholen lassen

Der Techniker, nachdem er gerufen worden war, brach aus wie ein Vulkan, und die Genossin Petrowna übersetzte eine solche Menge von Zahlen, daß eine elektronische Rechenmaschine davon zum Platzen voll werden mußte.

Scamoggia hörte mit äußerster Aufmerksamkeit zu, indem er zum Zeichen der Anerkennung seinen Kopf wiegte; dann drückte er dem Techniker die Hand und dankte der Übersetzerin:

»Danke, Genossin. Du weißt nicht, was für ein Vergnügen du mir gemacht hast

»Beschäftigst du dich mit landwirtschaftlichen Maschinen erkundigte sich naiv die Frau.

»Nein! Aber mir gefällt es, dich reden zu hören

Das war zuviel! Es handelte sich um einen Frevel, denn dies war ein Tempel der Arbeit, und die Genossin Petrowna fühlte sich mehr denn je als Funktionärin der Partei. Sie erbleichte, erstarrte und sagte mit harter, metallener Stimme:

»Genosse...«

Aber sie kannte Trastevere nicht; sie hatte nie Augen wie diese gesehen, und als sie Scamoggias Blick begegnete, ertrank sie darin wie eine Fliege in der Melasse.

 

Die Stadt, zu der das Traktorenwerk gehörte, hatte rund hundertfünfzigtausend Einwohner; es war eine durchschnittliche russische Stadt, mit wenig Verkehr und höchst seltenen Autos in den Straßen.

Das Hotel war mittelmäßig. Das zweibettige Kämmerchen, das Don Camillo zugewiesen wurde, war beinahe ärmlich. Er wußte nicht, wer im andern Bette schlafen sollte, aber er brauchte nicht lange zu warten, bis er es erfuhr, denn während er sich das Gesicht wusch, trat Peppone ein.

»Hört, Hochw... Genosse«, sagte Peppone sogleich, »Ihr müßt davon Abstand nehmen, Rondella zu foppen. Laßt ihn in Frieden, auch wenn er Euch unsympathisch ist

»Im Gegenteil, er ist mir sympathisch«, antwortete Don Camillo ruhig. »Aber Tatsache ist, daß ich punkto Partei unbeugsam bin und keinen scheue. Er ist ein Genosse mit unklaren Ideen. Er hat bürgerliche Bodenreste im Gehirn, und es ist unsere Pflicht, ihn davon zu befreien

Peppone schmiß seinen Hut gegen die Wand.

»An einem dieser Tage werde ich Euch erwürgen«, zischte er ihm ins Ohr.

 

Am Abend versammelten sich alle in dem ungemütlichen Speisesaal des Hotels. Oben am Tisch saß der Genosse Oregow; er hatte Peppone zu seiner Rechten und zu seiner Linken die Genossin Nadia.

Don Camillo sorgte dafür, daß er Rondella gegenüber zu sitzen kam; das war der erste Schlag, den Peppone einkassierte.

Der zweite kam, als er sah, wie Don Camillo, als er am Tische saß, geistesabwesend die Hand zur Stirne führte, um sich zu bekreuzigen.

»Genossen«, platzte Peppone heraus, »ich würde viel bezahlen, wenn einer der dreimal verfluchten Reaktionäre, die an der Sowjetunion kein gutes Haar lassen, eben mit uns gewesen wäre! Ich hätte einen Heidenspaß, daß sie zugegen wären, daß sie sähen

»Unnütz, Genosse«, sagte Don Camillo, der inzwischen mit Streicheln und Säubern sein Unternehmen zu Ende geführt hatte, »sie würden's nicht glauben. Sie glauben mehr ihrem Haß als ihren Augen

Die Genossin Petrowna übersetzte die Worte Don Camillos dem Funktionär des Verkehrsbüros, und der teilte ihr seinerseits etwas mit, nachdem er mit seinem rasierten Kürbis ernsthaft gewackelt hatte.

»Der Genosse Oregow sagt, daß du sehr gut gesprochen hast«, erklärte Nadia zu Don Camillo gekehrt, der wohlgefällig eine Verneigung machte, um dem Genossen Oregow zu danken.

Scamoggia sprang auf, der für die Rückendeckung Don Camillos bezahlt zu sein schien, und bemerkte:

»Wir sind um ein Jahrhundert zurück. Unsere stinkenden Industriellen glauben, wer weiß was geschaffen zu haben, weil sie irgendeine Mausefalle von Maschine produzieren, eine Ware, wegen der sie angesichts einer Fabrik wie der von heute aus Scham einen Schlag bekämen! Und es ist nicht das größte Werk seiner Art, nicht wahr, Genossin Petrowna

»Nein rief Nadia. »Es gehört zu den kleineren. Es ist zwar nach neuesten Erkenntissen gebaut, hat aber eine unbedeutende Produktion im Vergleich zu den andern

Don Camillo schien sehr betrübt zu sein. Er sagte:

»Für uns Italiener ist es beschämend festzustellen, daß eines der kleineren Traktorenwerke der Sowjetunion die Fiat, den größten Betrieb unserer Motorenindustrie, sozusagen lebend auffrißt

Der Genosse Peratto, ein Turiner, der bisher noch nie gesprochen hatte, ließ seine Stimme hören:

»Genossen, bleiben wir sachlich! Das stimmt vielleicht für die Abteilung Traktoren, aber im Hinblick auf Automobile aller Art ist die Fiat ein gewaltiges Unternehmen. Man darf den Arbeitern, die mit ihrer Arbeit die Fiat geschaffen und mächtig gemacht haben, nicht unrecht tun

»Vor allem darf man der Wahrheit nicht unrecht tun«, stellte Don Camillo fest. »Die Wahrheit ist wichtiger als die Fiat. Und wenn wir, Gefangene unserer nationalen und regionalen Vorurteile, uns in den Kopf setzen, unsere Impotenz auf sozialem, industriellem und administrativem Gebiet zu verteidigen, werden wir nie die Lehre begreifen, die die große Sowjetunion der Welt auf jedem Gebiet erteilt hat. Ein Mann hatte als Verlobte eine Frau, die nur ein Bein besaß, aber für ihn war sie die schönste der Welt, und er hielt die zweibeinigen Frauen für fehlerhaft. Wir haben im eigenen Hause eine Frau mit bloß einem Bein und sie heißt Industrie, während die hiesige Industrie zwei Beine hat

»Und zwar schöne ergänzte Scamoggia.

Nun funkte der Genosse Rondella dazwischen:

»Ich verstehe nicht, wo du hinaus willst«, sagte er zu Don Camillo.

»Daß ein Genosse so ehrlich sein muß, die Wahrheit auch dann anzuerkennen, wenn sie ihn schmerzlich berührt«, erwiderte Don Camillo. »Und wir sind in die große Sowjetunion gekommen, nicht um in Gefühlen zu schwelgen, sondern um die Wahrheit zu erfahren

Der Funktionär folgte der Diskussion sehr aufmerksam und ließ sich Wort für Wort übersetzen. Peppone verging vor Angst, aber zum Glück brachte man jetzt das Essen, und da alle einen verdammten Hunger hatten, löste sich die Spannung.

Die Kohlsuppe war widerlich, rutschte jedoch hinunter. Der Hammel war besser und ließ die Suppe vergessen. Die Sowjetunion hatte sich selbst übertroffen: sogar Wein rückte auf.

Mit dem Wein kamen auch die Wolken! Man redete abermals von der Traktorenfabrik, und der Genosse Peratto, der seine unkluge Bemerkung über die Fiat gutmachen wollte, wies Don Camillo auf eine bestimmte Einrichtung hin, die er in der Montagekette bemerkt hatte.

»Gewiß«, gab Don Camillo zu, »das russische Volk ist vor allem ein geniales Volk. Genial nicht nur, weil es wesentliche Dinge wie Radio und Raumschiff erfunden hat, sondern genial auch in kleinen, winzigen Sachen. Schau dir die Waschbecken in unsern Zimmern an: die beiden Hähne – der eine für warmes Wasser, der andere für kaltes – sind nicht getrennt, sondern durch eine Mischröhre vereint, was dir erlaubt, nach Belieben laues Wasser zu erhalten. Das ist eine Kleinigkeit, aber nur hier kannst du sie finden

Rondella, der Mailänder, war Spengler und lehnte sich auf:

»Genosse, schwatzen wir kein dummes Zeug! Mischbatterien dieser Art hat schon mein Großvater an unsern Waschbecken montiert. Woher kommst du

»Aus einer Gegend, die die größte Zahl an Kommunisten hat und daher zivilisiert und fortgeschritten ist. Übrigens, wenn das dummes Zeug ist, bin ich in bester Gesellschaft, denn Churchill hat die gleiche Feststellung in seinen ›Erinnerungen‹ gemacht.

Ich könnte nicht behaupten, daß Churchill ein Freund der Kommunisten ist

Rondella hatte jedoch diesmal äußerst klare Vorstellungen und gab nicht nach:

»Ich pfeife auf Churchill! Ich sage, daß derartige Übertreibungen der Sache schädlich sind, weil sie das Spiel der Gegner begünstigen. Wenn die Wahrheit die wichtigste Sache ist, muß man der Wahrheit Ehre widerfahren lassen

Don Camillo nahm seine Brille mit den dunklen Gläsern ab.

Dann ließ er in die Stille die folgenschweren Worte fallen:

»Die Wahrheit? Es gibt nur eine Wahrheit, und zwar jene, die mit dem Nutzen des Arbeitervolkes eins ist. Genosse, du glaubst mehr deinen Augen als deinem Hirn. Und dein Hirn kann nicht urteilen, denn allzu starker bürgerlicher Bodensatz verhindert sein richtiges Funktionieren

Rondella verlor seine Beherrschung:

»Dein Hirn ist voll Kürbissamen, Genosse. Zudem bist du ein Biest, das mein Gemüt seit dem ersten Tage, da wir uns gesehen haben, angewidert hat. Wenn wir wieder in Italien sind, werde ich dir die Schnauze zerschlagen

»Ich habe nicht deine Geduld«, sagte Don Camillo ruhig, stand auf und ging um den Tisch herum, »ich zerschlage sie dir gleich hier

Es dauerte nur Sekunden. Rondella sprang auf, landete einen Faustschlag, und Don Camillo versetzte ihm einen Direkten, der ihn wieder zum Sitzen brachte. Er blieb auch sitzen!

Der Funktionär redete auf die Übersetzerin ein, und die Genossin gab Peppone Bericht. Daraufhin erhob sich Peppone, und als er Rondella vom Stuhl hochgezogen hatte, brachte er ihn ins Freie, damit er sich an der Luft erholen konnte.

»Genosse«, erklärte er ihm, sobald Rondella imstande war, die Verse zu reimen, »der Kommissär hat bemerkt, daß du nervös bist. Dieses Klima ist dir unzuträglich. In einer Stunde geht das Flugzeug nach Berlin. Dort ist alles bereit für deine sofortige Rückkehr nach Italien

»Bestimmt gehe ich«, schrie Rondella. »Und du kannst dir die Freude gar nicht denken, die ich verspüren werde, wenn ich eure Fratzen nicht mehr sehe

»Sei still! Wir sehen uns in Italien wieder

Rondella zog die Brieftasche heraus, entnahm ihr die Mitgliedskarte der Kommunistischen Partei Italiens und zerriß sie, indem er wütend schrie:

»Ja, wir werden uns wiedersehen, doch ich werde auf dem andern Ufer sein

Peppone mußte ihm einen Tritt in den Hintern versetzen, aber er tat es mit tiefem Bedauern.

Lächelnd trat er wieder ein:

»Alles in Ordnung«, erklärte er Nadia. »Er ist sehr dankbar für die Bemühungen des Genossen Oregow und läßt sich ihm empfehlen

Darauf hob er sein Glas und schlug ein Prosit vor auf das Wohlergehen der siegreichen Sowjetunion.

Genosse Oregow antwortete mit einem Trinkspruch auf den Frieden und die baldigste Befreiung der vom Kapitalismus unterdrückten Arbeiter Italiens.

»Jetzt trinken wir auf Nadias Wohl«, sagte Scamoggia.

»Genosse«, riet ihm brüderlich Don Camillo, »man sollte nicht übertreiben

Alles endete großartig.

Eine Stunde später, als der Exgenosse Rondella mit verwirrtem Kopf und dem Hintern in Flammen nach Berlin flog, traten Peppone und Don Camillo in ihre Kammer.

»Lösch das Licht, Genosse«, sagte Don Camillo. »Sobald wir entkleidet und im Bett sind, wirst du es wieder anzünden

»Dummheiten rief Peppone, indem er die Lampe ausschaltete.

»Dummheiten, wieso? Ein kommunistischer Senator verdient die Genugtuung nicht, einen Priester in Unterhosen zu sehen

Als es wieder Licht gab, griff Don Camillo zu seinem Notizbuch und trug eine Bemerkung ein: »Nr. 1: Bekehrung und Rettung des Genossen Walter Rondella

»Einer weniger fügte er fröhlich mit lauter Stimme bei.

»Nur ein Priester war zu einem so niederträchtigen Spiel fähig«, flüsterte Peppone. »Aber einen zweiten Streich werdet Ihr mir nicht versetzen

Don Camillo seufzte.

»Das kann nur er wissen«, sagte er und zeigte Peppone seinen dicken Füllfederhalter.

Peppone schaute ihn ahnungsvoll an.

Darauf hob Don Camillo die Hülse von seiner dicken Feder, schraubte das Deckelchen ab und zog aus der großen Röhre etwas Langes und Schmales, das sich im Augenblick in ein kleines Kreuz verwandelte.

»Herr«, sagte Don Camillo und richtete die Augen zum Himmel, »verzeiht, wenn ich Eure Arme mit denen des Kreuzes biegsam gemacht habe. Aber Ihr seid mein Banner, und ich hatte keine andere Wahl, um Euch immer auf meinem Herzen zu tragen

»Amen brüllte Peppone und steckte seinen Kopf unter die Decke.