Die Erpressung

 

»Herr«, sagte Don Camillo, während er vor dem Altar stand, »er hat es zu arg getrieben, und ich werde ihn erledigen

»Don Camillo«, erwiderte der gekreuzigte Christus, »auch jener, der mich ans Kreuz schlug, hat es zu arg getrieben, aber ich habe ihm verziehen

»Der Euch ans Kreuz schlug, wußte nicht, was er tat. Peppone wußte es genau, und seine Hinterlist kann keinen Anspruch auf Mitleid machen

»Don Camillo«, erkundigte sich Christus lächelnd, »findest du nicht, daß du in bezug auf Peppone besonders streng bist, seit er Senator geworden ist

Don Camillo, der sich von den Worten Christi grausam getroffen fühlte, konnte seine Verbitterung nicht verbergen.

»Herr«, rief er aus, »Ihr würdet nicht so reden, wenn Ihr mich wirklich kenntet

»Ich kenne dich«, versicherte Christus mit einem Seufzer.

Don Camillo besaß die Gabe der Bescheidenheit.

Er bekreuzigte sich, wobei er eine Verbeugung andeutete, und glitt hinaus.

Draußen jedoch erwartete ihn eine neue Bitternis, weil irgendein Unseliger eben, ausgerechnet neben der Türe des Pfarrhauses, ein Exemplar des Plakates angeschlagen hatte, jenes Plakates, das der Grund seiner Wut war und das eine mindestens zwei Jahre alte Geschichte an die Oberfläche spülte.

 

An einem trüben Winterabend, während Don Camillo zu Bett gehen wollte, hatte jemand an die Türe des Pfarrhauses geklopft.

Es handelte sich um Peppone, doch hatte man Mühe, ihn zu erkennen, so durcheinander war er.

Don Camillo brachte ihn zum Sitzen und schob ihm ein Glas Wein hin, das der arme Kerl in einem einzigen Zug hinunterstürzte. Aber es waren noch zwei weitere Gläser nötig, um seine Zunge zu lösen.

Endlich keuchte Peppone: »Ich ertrag' es nicht mehr !«

Peppone zog unter dem Mantel ein Paket hervor, das in Zeitungspapier gewickelt war, und legte es auf den Tisch.

»Seit ich dieses Zeug im Hause habe«, sagte er traurig, »kann ich nicht mehr schlafen

Es handelte sich um die famosen zehn Millionen vom Sport-Toto, und Don Camillo erwiderte: »Bring das Geld auf eine Bank

Peppone verzog sein Gesicht.

»Ihr sagt es nicht im Ernst! Ein kommunistischer Bürgermeister, der plötzlich zehn Millionen, deren Herkunft er nicht nachweisen kann, auf sein Konto einzahlt!«

»Wechsle sie in Gold um und vergrab es irgendwo!«

»Das bringt nichts ein

Don Camillo war sehr müde, aber seine Geduld war noch nicht erschöpft.

»Genosse«, sagte er gelassen, »sehen wir zu, daß wir's erledigen: Was willst du von mir

Peppone rückte mit seinem Anliegen heraus:

»Hochwürden, jener berühmte Kommendatore, der das ihm anvertraute Geld so gut verwaltet...«

»Ich kenne ihn nicht«, unterbrach ihn Don Camillo.

»Ihr müßt ihn kennen. Er gehört zu euch. Einer, der sich der Priester als Mittelsmänner bedient und sie sich dadurch verpflichtet, daß er Kirchen, Klöster, Bruderschaften und dergleichen beschenkt.«

»Ich weiß, wer es ist, doch habe ich mit ihm nie in Verbindung gestanden

»Hochwürden, Ihr könnt mit ihm in Verbindung treten, wann Ihr wollt. Der Pfarrer von Torricella ist einer seiner Agenten

Don Camillo schüttelte betrübt den Kopf: »Genosse«, sagte er, »Gott hat dir einen Finger hingestreckt; warum willst du die ganze Hand an dich reißen

»Hochwürden, Gott hat mit der Sache nichts zu tun. Das Glück hat mir geholfen, und jetzt muß ich ein Kapital zum Zinsen bringen

»Dann ist alles einfach. Geh zum Pfarrer von Torricella und laß dich dem Kommendatore vorstellen

»Das ist nicht möglich. Ich bin allzu bekannt. Wenn mich jemand sähe, wie ich um das Pfarrhaus von Torricella streiche oder um den Palast des Kommendatore, wäre ich erledigt.

Stellen wir uns vor: Die Kommunisten, die die Klerikalen finanzieren! Wenn ich die Moneten gebe und dabei ungenannt bleibe, handelt es sich um eine reine Wirtschaftsfrage. Wenn ich sie als bekannter Kommunist gebe, wird eine politische Frage daraus

Der Sache mit dem famosen Kommendatore, der ihm anvertrautes Geld mit fünfzig und sechzig Prozent verzinste und Klöster, Kirchen, Kapellen, Bruderschaften usw. beschenkte, hatte Don Camillo immer mißtraut. Anderseits war der Pfarrer von Torricella ein alter Ehrenmann, und wenn seine Pfarrei ein Kino, einen Spielplatz und ein Schwimmbad besaß, so daß er imstande war, allen Teufeleien, die von den Roten organisiert wurden, um die Jungen einzufangen, die Waage zu halten, so war dies dem famosen Kommendatore zu verdanken.

Don Camillo verlor seine Ruhe nicht. »Ich will nichts damit zu tun haben«, schloß er. »Morgen abend zu dieser Stunde wird der Pfarrer von Torricella hier im Hause sein. Ich werde euch allein lassen, und ihr könnt euch verständigen

Am folgenden Abend traf Peppone in der Stube Don Camillos den Pfarrer von Torricella. Don Camillo ließ sie allein.

Hernach wurde von der ganzen Angelegenheit nicht mehr gesprochen, aber ein Jahr später wurde Peppone zum Senator gewählt, und ein kleiner Satan fing an, um Don Camillo herumzustreichen, ihn an der Kutte zu zupfen und ihn Tag und Nacht aufzureizen.

»Peppone ist der ärgste der Undankbaren«, lispelte das Teufelchen in Don Camillos Ohr. »Du hast dich ihm gegenüber so redlich aufgeführt, als du gingst, um die zehn Millionen für ihn einzuziehen, und was hat der Lump aus Dankbarkeit getan?

Kaum war er zum Senator gewählt, hat er auf dem Platz eine haarsträubende Rede gehalten

Jawohl, Don Camillo hatte diese Rede gehört. Eine Rede voll Aufgeblasenheit, Anmaßung und mit spöttischen Anspielungen auf »einen gewissen Pfarrer, der sich irrsinnig ins Zeug gelegt hatte, um den Sieg des Volkes zu verhindern, indem er alberne Beweisgründe gebrauchte, und der, wenn er fähig wäre, die Glocken zu läuten, höchstens das Amt eines Glöckners bewältigen könnte.«

Lange hatte der kleine Satanas Don Camillo gestichelt:

»Warum erzählst du den Leuten nicht die Geschichte vom geheimen Multimillionär und Genossen Peppone

Don Camillo hatte ein Jahr lang gekämpft, um sich vom kleinen Satanas zu befreien, und als er ihn endlich abgeschüttelt hatte, tauchte unversehens das Plakat Peppones auf.

In jenen Tagen war der schändliche Betrug des famosen Kommendatore ans Licht gekommen. Es gab einen riesigen Skandal, und auf seinem Höhepunkt hatte der unselige Senator Peppone das Dorf mit einem Plakat tapezieren lassen, das sich mit wütender Heftigkeit auf die »Schacherpriester« stürzte, »die, um Geld zu erraffen, nicht gezögert hatten, Komplizen eines Betrügers zu werden und die armen, naiven Gläubigen täuschten und sie ihrer erschwitzten Ersparnisse beraubten«.

Eine schauerliche Sache!

Gegenüber soviel Unverschämtheit hatte Don Camillo beschlossen, die Bombe zum Platzen zu bringen.

Peppone kehrte ziemlich oft ins Dörfchen zurück, war dort aber nicht mehr der frühere Peppone, sondern eine bis zu den Augen von Würde geschwollene Persönlichkeit, die mit einer dicken Mappe voll wichtigster Akten reiste und die besorgte Miene jener zur Schau trug, auf deren Schultern das Gewicht einer enormen Verantwortung lastet.

Er grüßte die Leute mit Zurückhaltung und flößte den armen Genossen eine schreckliche Scheu ein.

»Ich werde in Rom darüber berichten »Ich werde mich in Rom danach erkundigen«, schloß er bedeutsam, wenn ihm irgendein Problem vorgesetzt worden war.

Er trug dunkle Anzüge, Doppelreiher, einen Hut wie Bürger von hoher Stellung und zeigte sich nie ohne Krawatte in der Öffentlichkeit.

In dem berühmten Plakat kamen faustdicke

Rechtschreibefehler vor, aber da es der Mensch ist, der den Stil macht, erschien den Lesern alles so unumstößlich, daß jedes spöttische Lächeln erstickte.

Don Camillo lauerte Peppone auf und faßte ihn, als er um elf Uhr nachts nach Hause kam.

»Verzeihung«, sagte Don Camillo, während Peppone sich mit dem Schloß der Haustüre abmühte, »entweder irre ich mich, oder Ihr seid auch einer der armen naiven Gläubigen, die von skrupellosen Priestern, Komplizen des Betrügers, ausgeplündert wurden

Peppone mußte ihn hineinlassen, und Don Camillo ging sofort zum Angriff über.

»Genosse Senator, jetzt ist die Reihe an mir. Ich werde dafür sorgen, daß ganz Italien hinter deinem Rücken grinst. Ich werde die ganze Geschichte erzählen: Wort für Wort. Deine Wähler sollen erfahren, wie der Genosse Senator, mit einem Priester als Mittelsmann, die Partei hintergangen und den Fiskus bemogelt hat, nachdem er zehn Millionen beim Sport-Toto gewonnen hatte. Und wie er nochmals die Partei bemogelt und den Fiskus hintergangen hat, als er die zehn Millionen dem famosen Kommendatore anvertraute und ihm so half, die Sache jener, die ihr als Feinde des Volkes bezeichnet, zu unterstützen.«

Der Senator wölbte die Brust:

»Ich werde Sie wegen übler Nachrede verklagen! Sie können nichts beweisen

»Ich werde alles beweisen. Dein Name figuriert im Kundenverzeichnis des Kommendatore. Die Zinsen wurden dir durch Schecks bezahlt, und ich kenne die Nummern der Schecks und die Beträge

Peppone trocknete sich die schweißbedeckte Stirne.

»Sie werden nie eine solche Lumperei vollbringen«, sagte er.

Don Camillo setzte sich ruhig hin und zündete seinen halben Toskano an.

»Es ist keine Lumperei«, erklärte er. »Es ist die richtige Antwort auf dein Plakat

Peppone platzte beinahe vor Wut; er riß sich die Jacke vom Leib, warf sie auf das Sofa und löste die Krawatte. Dann setzte er sich Don Camillo gegenüber.

»Es ist eine unnütze Bosheit«, brüllte er, »ich habe das Kapital verloren...«

»Aber du hast zwei Jahre lang riesige Zinsen eingesackt und beinahe gleichgezogen

Peppone fühlte sich in der Schlinge. Da er von der Verzweiflung überwältigt war, sagte er eine Dummheit:

»Hochwürden, genügen Ihnen drei Millionen

Don Camillo machte ein böses Gesicht: »Genosse Senator, einen solchen Vorschlag hättet Ihr mir nie machen dürfen. Das werdet Ihr noch büßen

Er zog eine Zeitung aus der Tasche, entfaltete sie und wies auf einen kurzen Artikel.

»Wie Ihr seht, Senator, bin ich im Bilde: Ich weiß, daß Ihr die wichtige Aufgabe habt, die zehn Aktivisten, ausgewählt in ganz Italien, zu bestimmen, die Ihr selbst auf einer Reise nach der Sowjetunion begleiten werdet. Ich werde Euch nicht in Eurer Arbeit stören. Die Ernte wird erst eingebracht, wenn Ihr in Rußland seid. Die Verwirrung, in die Eure Chefs geraten werden, wird das Vergnügen vermehren

Peppone hatte nicht einmal mehr die Kraft zu reden. Seit zu vielen Jahren kannte er Don Camillo; er begriff, daß ihn diesmal nichts aufhalten konnte. Der robuste Mann war zu einem Waschlappen geworden.

Dieser Anblick erweckte Don Camillos Erbarmen.

»Genosse«, sagte er, »du bist erledigt. Es sei denn...«

Peppone hob den Kopf:

»Es sei denn... rief er voller Spannung.

Don Camillo erklärte ihm mit äußerster Ruhe, zu welchem Preis er davonkommen würde, und Peppone lauschte ihm mit offenem Mund. Dann, als Don Camillo zu reden aufgehört hatte, sagte er: »Hochwürden, Sie spaßen

»Nein! Und ich sage dir: Entweder schluckst du diese Suppe, oder du springst zum Fenster hinaus

Peppone sprang auf die Füße. »Sie sind verrückt«, brüllte er,

»reif für die Zwangsjacke

»Gerade darum, Genosse, mußt du es zehnmal überlegen, ehe du mit Nein antwortest. Verrückte sind gefährlich. Ich warte bis morgen abend

 

Zwei Tage später empfing der alte Bischof Don Camillo in privater Audienz und hörte ihm mit größter Geduld zu, ohne ihn zu unterbrechen.

»Ist das alles fragte er am Schluß.

»Alles, Exzellenz.«

»Sehr gut, mein Sohn. Ich glaube, daß du nach vierzehn Tagen Ruhe in einem stillen Kurhaus des Apennins diese Krise überwinden könntest

Don Camillo schüttelte den Kopf.

»Exzellenz«, sagte er, »ich habe im Ernst gesprochen. Es ist eine einzigartige Gelegenheit. Es wird eine sehr nützliche Erfahrung sein: Vierzehn Tage in Tuchfühlung mit der Crème de la crème unserer Aktivisten und mit den russischen Bolschewisten

Der alte Bischof schaute Don Camillo verwundert an.

»Mein Sohn, wer hat dir diesen Floh ins Ohr gesetzt

»Ich weiß es nicht, Exzellenz. Ganz plötzlich habe ich die Idee in meinem Gehirn gefunden. Wer weiß? Auch der Herr könnte sie dorthin verpflanzt haben

»Das glaube ich nicht... das glaube ich nicht«, brummte der alte Bischof. »Doch wie dem auch sei, die Idee hast du nun im Gehirn, und ich sollte dir die Stange halten und dich abreisen lassen, ohne irgendwem etwas zu sagen. Aber wenn sie dich nun entdecken?«

»Sie werden mich nicht entdecken. Ich werde viel Sorgfalt auf die Verkleidung legen. Ich meine nicht das Gewand, Exzellenz, ich meine die innere Verkleidung. Das Gewand hat wenig Bedeutung; was zählt, ist die Verkleidung des Hirns. Auch ein normales Gehirn kann dem Blick, dem Tonfall und dem Gesichtsausdruck jene eigenartige Prägung verleihen, die alle echten Kommunisten kennzeichnet, wenn es in ein kommunistisches Gehirn verkleidet ist

Der alte Bischof schlug noch ein Weilchen mit der Spitze seines Stabes auf das Schemelchen zu seinen Füßen, dann zog er die Schlußfolgerung:

»Mein Sohn, es ist Irrsinn

»Ja, Exzellenz«, gab Don Camillo ehrlich zu.

»Also dann, geh

Don Camillo kniete vor dem Bischof nieder, und der Alte legte ihm die kleine knochige Hand aufs Haupt.

»Gott beschütze dich, Genosse Don Camillo«, sagte er und hob die Augen voller Tränen zum Himmel.

Er sagte es mit unterdrückter Stimme, und Don Camillo vernahm kaum ein Gelispel. Aber Gott hörte es gut.