Die Zelle beichtet

 

In dem Zug nach Moskau befand sich wenig Volk. Don Camillo war allein im Abteil, weil sich Peppone, als er sah, daß jener sein bekanntes Büchelchen »Maximen Lenins« hervornahm, fortgeschlichen hatte, um mit der Genossin Nadia Petrowna und dem Genossen Oregow zu plaudern, die ihr Büro im ersten Abteil des Wagens eingerichtet hatten.

Don Camillo legte sein Zwergbrevier weg und zog sein Notizbuch aus der Tasche, um seine Reisebemerkungen zu ergänzen: »Donnerstag acht Uhr, Kolchose Tifiz, Stephan, Friedhof, Totenmesse, Genosse Tavan. – 15 Uhr Abfahrt mit der Eisenbahn...«

Donnerstag? Erst Donnerstag?

Es schien ihm nicht möglich zu sein, aber er blätterte in seinem Kalenderchen und mußte sich überzeugen, daß er sich erst seit neunundsiebzig Stunden in Rußland befand.

Der Abend dämmerte. Kein Baum, kein Haus durchbrach die Eintönigkeit der ungeheuren, gewellten, vom Wind gepflügten Ebene. Man sah nur Kornfelder, sie sich unendlich aneinanderreihten und die man sich unschwer als ein wogendes Meer goldener Ähren vorstellen konnte. Aber nicht einmal die leuchtendste Sonne der Phantasie vermochte das von Traurigkeit durchfrorene Herz Don Camillos zu erwärmen.

Don Camillo dachte an sein Tiefland; an den Nebel, an die vom Regen getränkten Felder, an die schlammigen Straßen. Das war eine andere Traurigkeit. Unten im Tiefland vermochte kein Wind, kein Frost jene menschliche Wärme auszulöschen, die aus allen vom Menschen berührten Dingen drang.

Selbst ein unten im Tiefland inmitten der Landschaft verlorener und im dichtesten Nebel begrabener Mensch fühlt sich nie von der Welt abgesondert. Ein unsichtbarer Faden bindet ihn immer an die andern Menschen und an das Leben, das uns Wärme und Hoffnung vermittelt.

Hier in Rußland band kein Faden den Menschen an die andern Menschen. Hier war ein Mensch wie ein Backstein: Zusammen mit den andern Menschen bildet er eine Mauer, war notwendiger Teil eines festen Gefüges. Wenn man ihn aus der Mauer brach und wegwarf, war er nichts mehr, wurde er eine unnütze Sache.

Hier war der abgesonderte Mensch verzweifelt allein.

Don Camillo erschauerte. ›Wo hat sich dieser unglückliche Kerl nur versteckt?‹ sagte er zu sich und dachte an Peppone.

Die Schiebetür des Abteils quietschte, und der Genosse Tavan trat ein.

»Störe ich erkundigte er sich.

»Setz dich, Genosse«, antwortete Don Camillo.

Tavan setzte sich ihm gegenüber; er hielt eine Art Papptüte in der Hand und zeigte Don Camillo nach einigem Zögern den Inhalt.

»Es handelt sich noch um ein paar Tage«, sagte er, »und sie sollen nicht darunter leiden

Wer nicht darunter leiden sollte, waren die drei Weizenpflänzchen, die zusammen mit ihrem »Topf« in der Kartontüte untergebracht waren.

»Sie können atmen«, ergänzte der Genosse Tavan, »oben ist die Tüte offen. Glaubst du, daß ich auch unten ein paar Löcher machen sollte

»Das scheint mir nicht nötig zu sein«, antwortete Don Camillo. »Das Wichtigste ist, daß sie nicht zuviel Wärme bekommen

Der Genosse Tavan stellte seinen Schatz vorsichtig auf den Polstersitz, wobei er die Tüte an die Rückwand lehnte, damit die Pflänzchen aufrecht blieben.

»Und nachher fragte er.

»Nachher? Wann?«

»Wenn ich wieder daheim bin

Don Camillo zuckte die Achseln.

»Genosse, ich sehe nicht ein, welche Schwierigkeiten es böte, drei Getreidehalme zu verpflanzen

»Die Schwierigkeit besteht aus meiner Mutter«, brummte der andere. »Was soll ich ihr sagen? Soll ich ihr sagen: ›Das ist der Weizen, der...‹«

Er unterbrach sich und sah zum Fenster hinaus.

»Zweiundzwanzig Millionen Quadratkilometer«, sagte er gedrückt, »und ausgerechnet dieses Fleckchen Erde hatten sie nötig, um Weizen zu säen

Don Camillo schüttelte den Kopf.

»Genosse«, antwortete er, »ein Land, das im Krieg zwanzig Millionen Tote hatte, stellt die fünfzig- oder hunderttausend Toten, die der Feind in seinem Hause ließ, nicht groß in Rechnung

»Das kann ich meiner Mutter nicht sagen

»Das mußt du auch nicht. Begnüge dich damit, daß deine Mutter an das Holzkreuz denkt, das sie auf dem Bilde gesehen hat. Und mit diesen drei Pflänzchen mache, was dein Herz dir eingibt. Wenn du sie am Leben erhältst mit dem Samen, den sie dir geben werden, dann ist es, als ob du deinen Bruder lebendig halten würdest

Der Genosse Tavan hörte finster zu.

»Genosse«, fragte ihn Don Camillo, indem er ein anderes Register zog, »warum verführst du mich zu diesen Reden, die von bürgerlicher Gefühlsduselei nur so triefen

»Weil es mir Freude macht, dir zuzuhören«, antwortete der Genosse Tavan, ergriff seine Tüte und stand auf.

Bevor er hinausging, sah er nochmals durchs Fenster hinaus.

»Zweiundzwanzig Millionen Quadratkilometer Boden«, knurrte er, »und ausgerechnet dieses Nastuch voll Erde hatten sie nötig...«

 

Don Camillo blieb nicht lange allein. Es vergingen nur fünf Minuten, bis die Seitentüre sich wieder öffnete. Diesmal erschien der Genosse Bacciga.

Er nahm Don Camillo gegenüber Platz, und da er ein harter und rasch entschlossener Kerl war, brachte er sofort eine Sache vor.

»Genosse«, sagte er, »ich hab's mir überlegt und gebe zu, daß du recht hattest. Es war nicht der Ort, um einen Handel dieser Art zu betreiben. Mir tun auch die Dummheiten leid, die ich dir auf der Treppe gesagt habe

»Ich müßte dir erwidern, daß auch ich gefehlt habe, indem ich die Angelegenheit der Zelle vorlegte, anstatt mit dir persönlich, von Mann zu Mann, zu reden. Tatsache ist, daß der Genosse Oregow den Handel im Warenhaus gesehen hat, und ich mußte eingreifen, damit nicht er dazu den Anstoß gab

Der Genosse Bacciga brummte etwas Unverständliches, dann bemerkte er:

»Immerhin hat er meine Stola eingesackt, obwohl sie aus einem unerlaubten Handel stammte

»Dafür ist die Sache nun erledigt«, tröstete ihn Don Camillo.

Der Genosse Bacciga war Genuese, und für ihn war die Partei etwas für sich, und die Geschäfte waren etwas ganz anderes.

»Aber wer hat dabei die Federn gelassen? Der Genosse Bacciga erwiderte er.

»Wer zerbricht, bezahlt, Genosse«, ermahnte ihn Don Camillo.

»Richtig! Doch das wird die Person, die mir die Nylons gegeben hat, damit ich ihr die Pelzstola bringe, nicht überzeugen

Don Camillo schwieg.

Der Genosse Bacciga murmelte etwas vor sich hin und fuhr dann fort:

»Genosse, reden wir offen, von Mann zu Mann. Während des gestrigen Festes habe ich den Streich, den dir der Chef gespielt hat, gesehen und habe gehört, daß du eine schreckliche Frau hast. Nun, wenn deine Frau schrecklich ist, meine Frau ist es zehnmal mehr. Sie hat mich gezwungen, mich mit den Nylons zu stopfen, weil sie eine Pelzstola will. Wenn ich ihr die Stola nicht bringe, wird mich nicht einmal Togliatti retten. Genosse, wenn deine Frau die Fotos von gestern abend sieht, wird sie dir solche Augen machen. Gut, das ist deine Sache. Aber wenn ich die Stola nicht mitbringe, bestraft mich meine Frau mit vier solcher Augen, obwohl sie nur zwei hat. Und ich kann sie nicht einmal vor die Quartiergruppe zitieren, denn sie ist eine dreckige Faschistin. Und auf ihrer Seite stehen auch die beiden Töchter, die noch viel verrückter sind

»Auch sie Faschistinnen erkundigte sich Don Camillo.

»Schlimmer brüllte der Genosse Bacciga. »U.D.I.! Aber von jenen Sturmtrupp- ›Udinen‹, die einem Glatzkopf die Haare sträuben können!«

»Ich vestehe dich«, sagte Don Camillo. »Wie kann ich dir helfen

»Genosse, ich verkehre mit dem Hafenvolk, denn ich arbeite im Hafen von Genua, und wer da zu tun hat, findet immer ein paar Dollars im Sack. Ich habe einige mitgenommen, denn Dollars sind überall nützlich, auch wenn Amerika eine Schande ist. Hab' ich's richtig gesagt

»Bis zu einem gewissen Punkt.«

»Genosse, um ruhig nach Hause kehren zu können, bin ich bereit, meine Dollars zu opfern. Darf ich das tun, oder begehe ich dann wieder einen Verstoß

»Nein! Wenn du in Dollars bezahlst, dann nicht, denn die Sowjetunion hat Dollars nötig, um ihre Ankäufe im Ausland zu bezahlen

»Das dachte ich mir«, rief der Genosse Bacciga aus. »Nun, da wir schon bei der Sache sind: Hast du eine Ahnung vom Kurs?«

Don Camillo war völlig auf dem laufenden.

»Zum offiziellen Kurs geben sie dir für einen Dollar vier Rubel. Zum Touristenkurs bekommst du für einen Dollar zehn.

Die reaktionäre Presse behauptet, daß auch ein schwarzer Dollarmarkt existiert, und daß sie dort für einen Dollar sogar zwanzig Rubel zahlen. Aber du wirst wohl verstehen, daß es sich da um die gewohnte schmutzige antisowjetische Propaganda handelt

»Natürlich«, stimmte der Genosse Bacciga zu. »Dann kann ich also, wenn wir in Moskau sind, ruhig handeln

»Du bist in deinem vollen Recht, Genosse

Der Genosse Bacciga ging befriedigt hinaus, aber Don Camillo gelang es nicht, wie er gewollt hätte, sein Notizbuch herauszunehmen, um die letzten Ereignisse zu vermerken, da sogleich der Genosse Salvatore Capece erschien.

Die kalten Umschläge hatten ihre Wirkung gezeitigt, und der Kreis um sein linkes Auge wies nur noch ein sehr abschattiertes Blau auf.

»Genosse«, sagte er, indem er sich Don Camillo gegenüber niederließ, »der Wodka ist etwas, das man wie Grappa hinter die Binde gießen kann; hingegen ist es Wodka. Dann geschieht, was geschieht! Aber wenn es geschehen ist, ist es geschehen. Habe ich es klar gesagt

Don Camillo bejahte.

»Genosse«, fuhr der andere fort, »der Chef hat mir gesagt, daß wir später abrechnen werden. Ich habe einen Schlag aufs Auge gekriegt, und hinten am Kopf habe ich eine Beule, groß wie eine Nuß. Warum wollt ihr mich noch ins Unglück bringen? Meine Frau ist in der Partei und besucht die Zelle. Wenn man in der Zelle von dieser Dummheit spricht, bekommt sie es sicher zu wissen. Sie ist jung und eifersüchtig... Du wirst mich begreifen, Genosse, denn laut Chef versteht auch deine Frau keinen Spaß

»Geh ruhig, Genosse«, beschwichtigte ihn Don Camillo, »ich werde alles mit dem Chef in Ordnung bringen

Der andere sprang auf die Füße, und sein Gesicht hellte sich auf.

»Salvatore Capece rief er aus, packte Don Camillos Hand und schüttelte sie. »Wenn du zufällig nach Neapel kommst, so frage nach Salvatore Capece. Mich kennen alle

Die Dinge hatten sich so rasch entwickelt, daß Don Camillo unbedingt ein paar Notizen hinwerfen mußte, um sich an jede Einzelheit zu erinnern, aber das Schicksal wollte es, daß es ihm nicht gelang, das gesegnete Notizbuch aus der Tasche zu ziehen.

Tatsächlich: Kaum war der Genosse Salvatore Capece draußen, trat der Genosse Peratto ein.

Da er ein echter Piemontese war, kam er ohne Umschweife zum »Also«:

»Genosse«, rief er aus, kaum daß er Don Camillo gegenüber Platz genommen hatte, »gestern abend hat man ein bißchen Spaß gemacht. Das geht immer so, wenn man allzu Starkes trinkt. Aber jetzt haben sich die Wodkadünste verflüchtigt. Der Chef kann sagen, was er will: Ich bin Berufsfotograf und kenne meine Pflichten. Hier hast du die Spule mit allen Fotos, die ich gestern geknipst habe, während du tanztest. Mach damit, was du willst.«

Don Camillo nahm das Röllchen, das der andere ihm reichte.

»Ich bin dir dankbar, Genosse«, antwortete er. »Das ist eine sehr sympathische Geste

Der Genosse Peratto stand auf.

»Es ist eine Frage der Berufsmoral«, stotterte er, »und der Solidarität. Auch ich habe eine Frau, die, je älter sie wird, desto eifersüchtiger und verständnisloser ist. Ich werde dem Chef sagen, die Spule habe Licht bekommen

Er ging, und als er draußen war, lenkte Don Camillo seine Augen zum Himmel.

»Herr«, sagte er, »nach dem, was geschehen ist, schäme ich mich fast, keine alte und eifersüchtige Frau zu haben

Dann riß er Hals über Kopf sein Notizbuch heraus und schrieb: »Die Frau ist das Opium der Völker Er konnte nichts anderes beifügen, weil genau in diesem Augenblick der Genosse Scamoggia auftauchte.

Er flegelte sich auf den Sitz, der dem von Don Camillo gegenüber lag, zündete eine Zigarette an und schob sie in die äußerste Ecke des verbitterten Mundwinkels.

Er war schrecklich ernst, und man sah, daß tiefe und quälende Gedanken seinen Geist beschäftigten.

Don Camillo schaute ihn ein schönes Weilchen an; dann zog er, da der andere nicht aus seiner Zurückhaltung heraustrat, das Notizbuch aus der Tasche und schickte sich an, seine Notizen zu ergänzen.

»Genosse!«

Don Camillo legte das Notizbuch hin.

»Irgendein Kummer ermutigte er ihn.

»Genosse, du weißt, was gestern abend geschehen ist

»Mach dir darüber keine Gedanken«, beruhigte ihn Don Camillo. »Capece war vor einer Minute da. Alles in Ordnung.«

»Capece? Was hat der damit zu tun fragte erstaunt der Genosse Scamoggia.

»Er hat damit zu tun, weil du ihm ein blaues Auge geschlagen hast«, rief Don Camillo aus. »Außerdem hat er eine dicke Beule am Hinterkopf

»Ah murmelte Scamoggia. Er erinnerte sich nicht mehr.

»Nicht von dem wollte ich reden

»Dann verstehe ich weniger als nichts«, erklärte Don Camillo, der tatsächlich völlig im dunkeln tappte.

Scamoggia machte einige Lungenzüge.

»Gestern abend«, beichtete er, »hatte ich einen Augenblick der Schwäche, und da ist mir eine Ohrfeige ausgerutscht

»Wem gegenüber?«

»Ihr.«

Da Don Camillo von dieser Sache nichts wußte, blieb er einen Augenblick stumm. Er mußte die Erklärung erst verdauen.

»Du hast die Genossin Petrowna geohrfeigt stammelte er schließlich. »Und warum?«

Scamoggia breitete trostlos die Arme aus.

»Die Genossin Petrowna ist eine gescheite Frau und wird sich bewußt sein, daß du zuviel Wodka getrunken hattest«, meinte Don Camillo.

»Ich hatte nicht getrunken«, stellte Scamoggia richtig, »und sie weiß es ganz genau. Das ist der Haken

Scamoggia warf die Zigarette auf den Boden und zertrat sie. Er war ganz deprimiert und erregte Don Camillos Mitleid.

»Nicht dramatisieren, Genosse! Sie muß ein gutes Geschöpf sein...«

»Sie ist es bestätigte Scamoggia ermuntert. »Sie ist schön, gut und brav, und ich kann sie nicht behandeln wie irgendein Lottchen. Ich kann sie nicht täuschen

Rußland ist entsetzlich weit von Rom entfernt, und Don Camillo, ein armer und einfacher Priester aus dem Tiefland, verstand die besondere Denkart eines Bullen aus dem Trastevere nicht.

»Täuschen stammelte er. »Und warum?«

»Freund schrie Scamoggia. »Scherzen wir? Wenn Nanni Scamoggia einem Mädchen eine Ohrfeige gibt, tut er das nicht nur so zum Spaß. Oder scheint dir, Nanni Scamoggia sei einer jener Halunken, denen es Freude macht, die Frauen schlecht zu behandeln

Don Camillo schüttelte ernst den Kopf.

»Jetzt verstehe ich! Im Grunde hast du Angst, das Mädchen denke, es interessiere dich

»Jawohl.«

»Hingegen interessiert dich das Mädchen gar nicht. Aber du hast nicht den Mut, es zu enttäuschen

»Eben.«

»Dann ist alles einfach: Du beläßt es bei der Täuschung, und wenn sie dich demnächst abreisen sieht, wird sie sich dreinschicken

»Sie ja! Aber ich werde mich nicht dreinschicken

Don Camillo war sich des Ernstes der Lage völlig bewußt.

»Freund«, rief er aus, »wenn es so steht, weiß ich dir keinen Rat

»Natürlich weißt du einen«, erwiderte Scamoggia. »Du hast einen klaren Kopf und kannst mich auf den richtigen Weg verweisen. Wir haben heute nacht, nach dem Tanzen, lange miteinander gesprochen... Ich konnte sie nicht so verlassen, ohne jede Erklärung

»Richtig!«

»Sie wird in einigen Monaten nach Rom kommen, weil sie als Übersetzerin eine Gruppe Funktionäre auf einer Bildungsreise begleiten muß. Und dann...«

Scamoggia zögerte.

»Freund«, sagte er, indem er Don Camillo in die Augen blickte, »kann ich mich dir anvertrauen

»Als ob du zu einem Beichtvater sprächest

»Nie werde ich einem Priester meine Privatsachen erzählen

erwiderte Scamoggia.

»Daran tust du gut, Genosse. Trotzdem hat es Priester gegeben, die sich lieber töten ließen, als daß sie verraten hätten, was ihnen im Beichtstuhl anvertraut worden war. Wenn ich Priester wäre, würde ich zu diesen gehören. Sprich

»Sie kommt nach Rom«, fuhr Scamoggia leise fort, »und wäre bereit, nicht mehr heimzukehren, um bei mir bleiben zu können.

Dürfte man so etwas machen

Don Camillo schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte er entschieden, »das wäre feiger Verrat, und der Genosse Scamoggia kann sich nicht als Verräter benehmen.

Schon deshalb nicht, weil es eine viel natürlichere und saubere Lösung gibt.

»Und die wäre

»Das Mädchen ist tüchtig und hat zweifellos wichtige Freunde in der Partei. Morgen früh werden wir in Moskau sein, und es wird ihr keine Mühe machen, dir die Erlaubnis zu verschaffen, hierzubleiben und irgendeine Arbeit zu finden.

Viele haben das getan. Die Sowjetunion hat tüchtige Techniker und zuverlässige Genossen nötig. Wenn du erst einmal hier niedergelassen bis t, wird alles andere leicht. Und du wirst mit deinem Herzen und deinem Gewissen in Ordnung sein, weil du ein armes, braves, verliebtes Mädchen nicht in ein verrücktes Abenteuer ziehst

Das Gesicht Scamoggias verklärte sich.

»Mein Gehirn denkt nicht mehr vernünftig, und du hast mich auf den rechten, dazu einfachsten Weg zurückgebracht rief er aus. »Wahrlich, ich bereue es nicht, mich dir anvertraut zu haben. Ich danke dir, Genosse

Er ging, nachdem er ihm aufs kräftigste die Hand gedrückt hatte.

»Herr«, flüsterte Don Camillo, indem er die Augen nach oben wandte, »die Aufgabe des Genossen Guter Hirt besteht darin, die Genossin Verirrtes Schaf wieder aufzufinden, um sie in den Pferch der Partei zurückzubringen

»Du irrst dich«, antwortete ihm die Stimme Christi, »das ist die Aufgabe des Genossen Teufel

Aber vielleicht war das nicht die Stimme Christi; vielleicht war es der Wind, der über die verlassene und trostlose Ebene brauste. Don Camillo ging der Sache nicht auf den Grund; er ließ sie in der Schwebe. Auch, weil in diesem Augenblick Peppone ankam.

»Warum seid Ihr nicht gekommen, um ein wenig mit uns zu plaudern, statt hier zum Fenster hinauszublicken fragte er.

»Genosse«, antwortete Don Camillo, »ein Zellenchef hat immer viel zu tun, wenn er auf der Höhe der Aufgabe, die ihm die Partei anvertraute, bleiben will

Peppone betrachtete ihn mit Verdacht; dann zuckte er die Schultern.

›Himmel‹, dachte er, ›selbst wenn es sich um den Teufel persönlich handelt, welches Unheil kann ein einzelner Priester, eingeschlossen in einem Abteil des Zuges, der durch das Herz des sowjetischen Rußland gondelt, anstiften?‹