Die Raumzelle
Mit Ausnahme Don Camillos waren alle Erkorenen von Peppones Mannschaft Genossen erprobter Überzeugung, auch jener arme Rondella, den die perfiden Machenschaften Don Camillos ausrangiert hatten. Von den acht Verbliebenen schien Genosse Bacciga der am besten abgerichtete zu sein, denn er hatte oft bei ziemlich passender Gelegenheit bedeutende Stellen aus den heiligen Schriften des Kommunismus zitiert.
Aber Bacciga war Genuese und die Genuesen sind – wie man weiß –, bevor sie irgend etwas anderes sind, Genuesen. Das heißt: praktische Leute, mit einem angeborenen Sinn für Geschäfte.
Und da Don Camillo ein Auge auf ihn geworfen hatte, war es gerade dieser angeborene Geschäftssinn, der Bacciga große Verlegenheiten bescherte.
Die Sache trug sich am Nachmittag des ersten offiziellen Tages zu, nämlich während des Stadtbesuches. Das Warenhaus
›Universal‹ lag nur wenige Schritte vom Hotel entfernt, und der erste Halt war hier.
Der Genosse Yenka Oregow beauftragte die Genossin Nadia Petrowna, den Gästen zu erklären, daß jeder frei wäre zu kaufen, was er wollte, und nachdem er passenderweise daran erinnert hatte, daß 1965 die sowjetische Produktion an Wollstoffen acht Milliarden Meter und die der Strumpfwaren
fünfhundertfünfzehn Millionen Paare erreicht haben würde, pflanzte er sich bei der Türe auf und kümmerte sich ausschließlich darum, zu verhindern, daß jemand sich drücke.
Natürlich brauchte der Genosse Scamoggia eine riesige Menge technischer Auskünfte über die Organisation der staatlichen Warenhäuser und sonderte sich mit der Genossin Petrowna in die Abteilung der Haushaltartikel ab. Peppone klebte sich an die Fersen Don Camillos, und die anderen zerstreuten sich im Umkreis.
Das Warenhaus war voller Frauen. Viele trugen das Überkleid des Arbeiters oder die Uniform des Eisenbahners oder Briefträgers, aber alle begaben sich – nachdem sie irgendeine Schachtel oder irgendein Paket in der Abteilung Lebensmittel erstanden hatten – zu den Auslagen von Schuhen, Kleidern, Wäsche und anderen weiblichen Gegenständen, um sie mit verzückten Augen zu bewundern.
»Der echte Kommunist«, sagte Don Camillo zu Peppone,
»zeichnet sich durch seine Bescheidenheit und seine Verachtung des Luxus aus. Zwei Fälle sind möglich. Entweder sind diese Frauen keine guten Kommunistinnen, oder die Waren, die sie mit verlangenden Augen verschlingen, sind nicht mehr als Luxus zu betrachten, in Anbetracht des hohen Standards, den die Sowjetunion erreicht hat.«
»Ich weiß nicht, wo Ihr hinauswollt«, brummte Peppone argwöhnisch.
»Ich will sagen: in der Sowjetunion sind die Konsumgüter augenscheinlich so zahlreich, daß eine Frau es als erlaubtes Verlangen betrachten darf, die Hosen auszuziehen und sich als Frau zu kleiden.«
Peppone wurde sich der Provokation nicht bewußt.
»In Anbetracht dessen, daß sie dir so viele Rubel für deine zehntausend Lire gaben«, beharrte heimtückisch Don Camillo, »warum kaufst du nicht dieses Unterröcklein für deine Frau?«
Ein Unterrock des Staates, mit Staatsstoff und nach staatlichem Modell eines Staatsschneiders angefertigt, könnte nie zu dem modischen Getue verführen, wie es mit den in kapitalistischen Ländern von der Privatinitiative hergestellten Unterröcken üblich sei.
Doch Peppone gab donnernd zurück:
»Für eine Frau ist es besser, sie trägt einen häßlichen Unterrock, ist aber frei, als einen Unterrock von Christian Dior zu tragen und Sklavin zu sein.«
»Gut gesagt, Genosse«, stimmte Don Camillo zu, der endlich sein Huhn, das inmitten des Durcheinanders verloren gegangen war, wieder aufgefunden hatte.
Der Genosse Bacciga hatte sich geschickt von den andern abgehängt und diskutierte mit der Genossin Verkäuferin der Abteilung Pelze.
Es war eine harte und völlig stumme Diskussion, weil sie von beiden mit Ziffern, erst von dem einen und dann von der andern auf einen Block geschrieben, durchgeführt wurde.
Sie einigten sich rasch, und darauf begann der Genosse Bacciga, unter seinem Rock kleine glänzende Päckchen hervorzuziehen, die die Verkäuferin ergriff und mit großer Geschicklichkeit unter der Theke verschwinden ließ. Am Ende packte ihm die Verkäuferin eine Pelzstola ein; damit war der Handel abgeschlossen.
Peppone hatte nichts gemerkt, aber Don Camillo hatte alles gesehen und begriffen; jetzt hatte er es verdammt eilig, ins Hotel zurückzukehren.
Sie kamen jedoch erst am Abend zurück, denn nach dem Warenhaus besuchten sie eine Luftkissenfabrik und dann das Krankenhaus. Kaum hatten sie ihr Hotel betreten, eilte Don Camillo davon, um sich sofort auf seine Kammer zurückzuziehen.
Peppone, der über sein Verschwinden besorgt war, verließ bald danach die Gesellschaft im Hotelsaal und fand Don Camillo, wie er am Boden saß und eifrig seine Sachen, die er aus dem Koffer genommen hatte, durchging.
»Genügen Lenins ›Maximen‹ nicht?« zischte Peppone. »Was habt Ihr sonst noch an Schweinereien mitgebracht?«
Don Camillo hob nicht einmal den Kopf und fuhr fort, seine Blätter und Broschüren durchzusehen.
»Nimm das da«, sagte er schließlich zu Peppone und gab ihm eine Seite, die er aus irgendeiner Zeitschrift herausgerissen hatte. »Lerne die blau unterstrichenen Stellen auswendig!«
Peppone widmete dem Blatt einen verstohlenen Blick und verspürte so etwas wie einen Stoß:
»Aber, aber«, rief er aus, »das ist ja ein Blatt aus dem ›Heft des Aktivisten‹.«
»Warum nicht? Wolltest du vielleicht, daß ich Ausschnitte aus dem ›Osservatore Romano‹ mit mir nähme?«
Peppone wurde rot und wild wie die Oktoberrevolution.
»Ich sage, daß dieses Blatt aus der Sammlung der ›Hefte des Aktivisten‹ gerissen wurde«, keuchte er, »aus meiner persönlichen Sammlung, die sich in der Bibliothek der Sektion meines Dorfes befindet! Hier ist der Stempel! Ich möchte wissen, auf welche Weise...?«
»Reg dich nicht auf, Genosse! Um mir eine kommunistische Bildung zu verschaffen, konnte ich mich nicht gut an die Bibliothek des Bistums wenden!«
Peppone bückte sich, um die Blätter und Broschüren, die zerstreut am Boden lagen, zu prüfen.
»Alles meine Ware!« schrie er entsetzt. »Ihr habt mir die ganze Bibliothek gemordet. Ich...«
»Basta, Genosse«, schnitt ihm Don Camillo das Wort ab. »Es ist unrühmlich, dem Ausland das jämmerliche Schauspiel unserer kleinen persönlichen Angelegenheiten zu bieten. Schau nur, daß du dir die blau unterstrichenen Stellen ins Gedächtnis prägst. Diese wirst du zitieren. Ich benütze die rot unterstrichenen Abschnitte.«
Peppone schaute ihn mit aufgerissenen Augen an.
»Ihr richtet mir wieder irgendeine Lausbüberei an!« rief er.
»Keine Lausbüberei. Wenn du nicht als Dummkopf gelten willst, dann lerne die Stellen, die ich dir angegeben habe, auswendig, und beeile dich, denn du hast nur eine halbe Stunde Zeit.«
»Gut«, antwortete Peppone barsch, »wir werden später darüber reden.«
Er setzte sich an das Tischchen, heftete die Augen auf das Blatt und begann, seine Lektion zu lernen.
Es handelte sich bloß um zwei Stellen mit wenigen Zeilen, aber er hätte auch eine ganze Seite seinem Gedächtnis eingeprägt, so groß war seine Wut.
»Hören wir«, sagte schließlich Don Camillo und versorgte seine Papiere wieder im Koffer.
»Genossen«, schrie Peppone, »Lenin hat gesagt: ›Die Extreme sind bei keiner Gelegenheit gut, aber vor die Wahl gestellt, ziehen wir klare, wenn auch beschränkte und unerträgliche Feststellungen der weichlichen und ungreifbaren Verschwommenheit vor‹.«
»Gut. Dies wirst du sagen, wenn ich tue, als ob ich mich eines gewissen Satzes Lenins nicht mehr erinnerte. Den andern Abschnitt aber, wenn ich dich um die Meinung der Partei frage.«
»Welcher Partei? Daß Gott dich fälle!« gurgelte Peppone.
»Der ruhmreichen Kommunistischen Partei, Genosse«, antwortete ihm Don Camillo feierlich. »Jener Partei, wie ganz richtig in Nummer 9 des ›Kommunist‹ geschrieben steht, die von allen ihren Mitgliedern fordert, daß sie...«
»... daß sie, in ihrer persönlichen Lebensführung...«, unterbrach ihn heftig Peppone. Und wütend rezitierte er die Litanei Nummer zwei bis zum letzten Wort, ohne je zu stolpern und ohne ein Komma zu vergessen.
Don Camillo hörte ihm gesammelt zu und sagte schließlich:
»Bravo, Genosse! Ich bin stolz, dein Pfarrer zu sein!«
Das Abendessen war reichhaltig und lehrreich, weil der Genosse Kommissär mit einer außerordentlichen Menge an statistischem Material die Ziele darlegte, welche die sowjetische Industrie im Jahre 1965 erreichen würde. Am Schlusse, nach den vorgeschriebenen Trinksprüchen auf den Frieden, die Entspannung, den unfehlbaren Endsieg des Kommunismus und so weiter und so fort, erhob sich Don Camillo.
»Genossen«, sagte er, »die Zugehörigkeit zur Partei verpflichtet jeden Kommunisten, die bolschewistischen Grundsätze einzuhalten und die Kritik wie auch die Selbstkritik zu entwickeln.«
Er sprach langsam, indem er die Worte betonte und dabei stolz den Genossen Oregow fixierte, dem die Genossin Petrowna Wort für Wort übersetzte.
»Gegenüber dem Gewissen der Partei muß jeder Kommunist seine Handlungen genau abwägen und nachprüfen, ob er nicht ein Weiteres oder Besseres tun könnte. Kein Kommunist soll sich fürchten, die Wahrheit zu sagen: er soll sich offen und aufrichtig aussprechen, auch wenn es sich darum handelt, unangenehme Werturteile zu fällen. Genossen, Lenin schrieb...«
Don Camillo tat, als ob er sich innerlich abplackte, sich der Worte zu erinnern. Da griff Peppone ein:
»Mühe dich nicht ab, Genosse! Lenin schrieb: ›Die Extreme sind bei keiner Gelegenheit gut, aber vor die Wahl gestellt, ziehen wir klare, wenn auch beschränkte und unerträgliche Feststellungen der weichlichen und ungreifbaren Verschwommenheit vor.‹«
»Danke, Genosse!« fuhr Don Camillo fort, indem er die Augen des Kommissärs wieder auf sich zog. »Nach dieser Feststellung halte ich mich für ermächtigt, mit aller Klarheit zu reden. Der unerfreuliche Zwischenfall, der sich gestern mit dem Genossen Rondella ereignete, hat mich bewogen, den Absatz 5
der Parteisatzung nachzulesen, da, wo es heißt: ›Jeder, der bei der Kommonistischen Partei eingeschrieben ist, hat bei einem disziplinarischen Verstoß das Recht, von einem regulären Parteigericht beurteilt zu werden und in jedem Falle an die Versammlung seiner Organisation und auch an die höhern Instanzen zu appellieren.‹ Jetzt frage ich: Wenn jemand von uns, die wir vom Senator Genossen Bottazzi geführt sind, sich eines disziplinarischen Verstoßes schuldig machte, welches reguläre Parteiorgan könnte ihn beurteilen? Der Genosse Senator stellt hier die Partei dar und wäre besorgt, den des Verstoßes Verantwortlichen dem Verband, der Sektion, der Zelle, welcher der Verantwortliche angehört, anzuzeigen. Aber da die zu richtenden Fakten hier, auf sowjetischer Erde, eng mit dem sowjetischen Leben oder seinen ausgeprägten Eigenheiten verbunden sind, werden da die betreffenden Organe imstande sein, mit voller Unbefangenheit und Sachkenntnis die Tat des angeklagten Genossen zu beurteilen? Nein, sage ich. Der Genosse, der sich hier vergangen hat, muß sofort hier verurteilt werden. Und da wir keinem Organ der Partei eingegliedert sind, halte ich es für unser Recht und unsere Pflicht, gemäß Artikel 10
der Satzung uns in einer Zelle zu konstituieren. «
»Genossen«, fuhr Don Camillo fort, »ihr schaut mich erstaunt an und fragt euch: Welche Art Zelle? Die der Arbeit nicht, denn wir arbeiten nicht hier. Die des Bezirkes nicht, denn wir wohnen nicht hier. Genossen, ich könnte euch erwidern, daß wir nicht in die Sowjetunion gekommen sind, um uns zu zerstreuen, sondern um zu lernen und dann zu lehren: und das ist Arbeit. Wichtige Arbeit! Ich könnte euch erwidern, wenn wir physisch nicht auf der Sowjeterde beheimatet sind, so ist doch die Sowjetunion unser großes Vaterland, und geistig haben wir hier das Domizil.
Hingegen gestattet, daß ich euch aufrichtig mein Herz öffne!«
Don Camillo war sichtlich und schändlich gerührt.
»Genossen, wir sind ein unwahrnehmbares Pünktchen, das sich plötzlich von einem alten, gebrechlichen Planeten losgelöst und eine neue, wundersam junge Welt erreicht hat. Wir sind die winzige Besatzung des Raumschiffs, das die verfaulte kapitalistische Welt verlassen hat und jetzt in geringer Höhe über die reizvollen Länder der Welt des Sozialismus schwebt, um deren großartige Wirklichkeit zu entdecken. Diese winzige Besatzung besteht nicht aus vereinzelten Individuen, sondern aus Männern, die in einer einzigen Idee, in einem einzigen Glauben und in einem einzigen verzweifelten Willen geeint sind: dem Aufbau der kommunistischen Welt! Genossen, laßt es mich sagen: keine Zelle der Arbeit, keine Zelle des Bezirks, jedoch eine Raumzelle, eine interplanetarische Zelle muß es sein. Die Welt, aus der wir kommen, die faulige Welt des Kapitalismus, ist von der gesunden und großmütigen Welt des Sozialismus viel weiter entfernt als die Erde vom Mond! Und darum schlage ich die Bildung einer Zelle aus unserer Gruppe vor und schlage auch vor, sie mit dem Namen dessen zu betiteln, der in sich das Verlangen nach Frieden, nach Fortschritt, nach Zivilisation und Wohlstand des großen Sowjetvolkes zusammenfaßt – mit dem Namen Nikita Chruschtschow!«
Der Genosse Kommissär war vor Rührung bleich geworden; er erhob sich, während der Beifall prasselte, und ließ nicht ab, Don Camillo zehn Minuten lang die Hand zu drücken.
Vermittels der Petrowna plauderte Peppone ein wenig mit dem Genossen Oregow, dann sagte er:
»Namens der Kommunistischen Partei Italiens und in völliger Übereinstimmung mit dem Vertreter der Kommunistischen Sowjetpartei bewillige ich die Bildung der Zelle ›Nikita Chruschtschow‹.«
Unverzüglich vereinigte sich die Versammlung der neun –
was dadurch sehr erleichtert wurde, daß alle schon am gleichen Tische saßen –, um auf Grund des Artikels 28 der Satzung die Wahl des leitenden Ausschusses der Zelle vorzunehmen. Als politischen Sekretär erhielt man so den Genossen Camillo Tarocci, als Sekretär der Organisation erhielt man Nanni Scamoggia, als Kassenverwalter den Genossen Vittorio Peratto.
Erst als man miteinander die Gläser zu Ehren des leitenden Ausschusses der neuen Raumzelle erhob, merkte Peppone, daß der Genosse Zellenchef kein anderer war als Don Camillo.
Und als er trank, verschluckte er sich.
»Genossen«, verkündete mit ernster Stimme Don Camillo,
»ich danke euch für das Vertrauen; ich werde alles tun, um es zu verdienen. Deshalb schlage ich vor, daß die Zelle sofort mit ihrer Tätigkeit beginnt. Hat jemand etwas vorzubringen?«
Niemand hatte etwas vorzubringen.
»Ich bringe etwas vor«, sagte Don Camillo, während Peppone schrecklich zu leiden begann.
»Genossen«, erklärte Don Camillo, »der Kommunist, der Angst vor der Wahrheit hat, ist kein Kommunist. Die Partei erzieht die Kommunisten in einem Geist der Unversöhnlichkeit gegenüber den Mängeln, in einem Geist gesunder Unzufriedenheit über die erreichten Ergebnisse. Ein Parteimitglied, das nicht fähig ist, die Dinge kritisch zu betrachten und das nicht anspruchsvoll ist gegen sich und die andern, kann den Parteilosen kein Vorbild, kann ihnen kein echter Führer sein. Genossen, im Artikel 9 der Satzung, wo die Pflichten des bei der Partei Eingeschriebenen verzeichnet sind, befindet sich auch jene, ein ehrliches, vorbildliches Privatleben zu führen. Genosse Bacciga, gestehe, daß du heute im Warenhaus des Staates eine Pelzstola gekauft hast!«
Der Genosse Bacciga wurde totenblaß.
»Ja«, antwortete er nach einigem Zögern, »der Genosse Oregow hatte uns ermächtigt zu kaufen, was wir wollten.«
»Stimmt. Gestehe, daß du die Stola aber nicht mit Geld, sondern mit weiblichen Nylonstrümpfen, die du aus Italien mitgebracht hast, bezahltest! Wenn du es nicht zugibst, bist du ein Lügner. Wenn du es zugibst, bist du ein Lieferant jenes Schwarzen Marktes, der die Pläne der sowjetischen Industrie behindert, und darum als Saboteur zu betrachten. Im einen wie im andern Falle ist dein Privatleben weder ehrlich noch beispielhaft. Das ist meine Anklage. Die Versammlung wird deine Verteidigung hören.«
Der Genosse Bacciga hatte Mühe, wieder zu Atem zu kommen. Inzwischen unterrichtete die Genossin Nadia Petrowna den Genossen Kommissär über alle Einzelheiten. Die Gegengründe des Genossen Bacciga wurden sehr unbefriedigend befunden. Er hatte Ware geschmuggelt und demnach den sowjetischen Zoll betrogen und hatte, indem er mit der Ware den Schwarzen Markt belieferte, die sowjetische Staatswirtschaft geschädigt. Überdies hatte er das Vertrauen der Sowjetgenossen hintergangen.
»Daß du dein Unrecht jetzt zugegeben hast«, schloß Don Camillo, »ist eine achtenswerte Sache, aber es genügt nicht, um die Angelegenheit zu erledigen. Ich fordere zu diesem Zweck die bewährte Ansicht der Partei.«
Peppone machte ein finsteres Gesicht: »Die Partei«, sagte er, indem er von oben herab die Worte fallen ließ, »fordert von allen ihren Mitgliedern, daß sie, auch in ihrer persönlichen Haltung, ein moralisches Vorbild für die andern seien. Die Partei kann nicht gleichgültig sein jenen Kommunisten gegenüber, die, durch ihre unwürdige Haltung, das Ansehen der Partei aufs Spiel setzen, sie moralisch bloßstellen. Der Kommunist, der sich vom Marxismus-Leninismus inspirieren läßt, bindet aufs engste sein persönliches Leben an die Tätigkeit der Partei; seine Bestrebungen decken sich völlig mit der Bestrebung der Partei. Der echte Kommunist zeichnet sich durch seine Bescheidenheit aus und durch seine Unduldsamkeit gegenüber dem Luxus. Die Organe der Partei vollführen ihre Erziehungsarbeit und belehren jene Kommunisten, die – zum Nachteil der sozialen Pflicht – ihre Gedanken hauptsächlich auf Fragen ihres persönlichen Wohls hinlenken und sich so mit kleinbürgerlichem Schimmel bedecken.«
Also sprach Peppone und sagte seine Lektion tadellos auf, so daß ihn der Genosse Oregow mit Blicken offener Bewunderung anschaute und ihm ein zweitesmal zulächelte.
Nachdem Don Camillo die Ansicht der Partei vernommen hatte, fuhr er fort: »Die Selbstkritik ist keine Buße für das Verbrechen. Auch die Priester, obwohl sie die Heuchelei und die Unehrlichkeit in Person sind, schreiben dem Büßer, der den Diebstahl beichtet, die Rückerstattung der Beute vor.«
Peppone, der vor Wut schäumte, sprang auf:
»Genosse, du kennst die Pfaffen nicht! Sie versuchen, mit dem Dieb halbpart zu machen!«
»Ich sprach vom Theoretischen«, stellte Don Camillo fest.
»Was der Genosse Bacciga illegal erworben hat, ist als gestohlen zu betrachten.«
Die Versammlung diskutierte; dann brachte der Genosse Scamoggia einen Antrag vor:
»Die Beute werde der Sowjetunion zurückerstattet. Der Genosse Bacciga verehre die Stola der Genossin Nadia Petrowna.«
Daraus entstand eine neue, sehr lebhafte Diskussion, der von der Genossin Petrowna Einhalt geboten wurde.
»Ich danke für die Freundlichkeit, doch spüre ich etwas jenen kleinbürgerlichen Schimmer, von dem euer Chef gesprochen hat. Ich habe dem Genossen Oregow gesagt, daß ihr vorschlagt, die Pelzstola, die der Genosse Bacciga gekauft hat, der Genossin Sonia Oregowna, seiner Frau, anzubieten.«
Das war eine großartige Lösung, und die Versammlung stimmte ihr durch Händeklatschen zu. Der Genosse Bacciga wurde gezwungen, die Stola herauszugeben, worauf sie von Peppone im Namen der Raumzelle »Nikita Chruschtschow«
dem Genossen Oregow ausgeliefert wurde.
Die Sache mit den Strümpfen wurde vergessen. Aber Bacciga prägte sich alles ein.
Und als Don Camillo vor Sitzungsschluß für den Genossen Bacciga sechs Monate Einstellung vorschlug, schaute ihn Bacciga mit unversöhnlichem Haß an.
Dann, als sie die Treppe hinaufstiegen, fand er Gelegenheit, sich Don Camillo zu nähern und ihm zuzuflüstern:
»Genosse, in der Kommunistischen Partei ist kein Platz für uns beide.«
»In diesem Falle«, erwiderte Don Camillo, »ist es besser, wenn der Unehrliche geht.«
Im Zimmerchen zog Don Camillo, bevor er das Licht auslöschte, sein Notizbuch aus der Mappe und schrieb: »Nr: 2.
Moralische Hinrichtung des Genossen Bacciga.«
Peppone streckte sich zum Bett hinaus und riß ihm das Büchlein aus der Hand; er las die Eintragung und warf es ihm zurück:
»Bereitet Euch vor zu schreiben: Nr. 3: Der Unterzeichnete erledigt vom Genossen Peppone.«
Don Camillo musterte ihn von oben herab.
»Genosse«, sagte er zu ihm, »du vergißt, daß du mit einem Zellenchef sprichst. Es ist nicht leicht, einen Führer der Kommunistische n Partei zu erledigen.«
»Da kennt Ihr die Kommunistische Partei schlecht!« höhnte Peppone und steckte den Kopf unter die Decke.